Kolumne Gott und die Welt: Der jüdische Krieg

Das jüdische Weltverständnis zwischen Selbstbehauptung und Universalmoral: Der Streit um Augsteins angeblichen Antisemitismus ist dafür symptomatisch.

Heilige Stätten: Nach den Wahlen könnte Israels Politik weiter nach rechts rücken. Bild: dapd

Die Debatte über Augsteins angeblichen Antisemitismus erweist sich als Symptom eines Konflikts, der mehr mit der Befindlichkeit des amerikanischen Judentums als mit den Deutschen zu tun hat. Schon im Streit um Judith Butler kamen zwei Formen jüdischen Weltverständnisses zum Ausdruck: Nationale Selbstbehauptung um jeden Preis steht gegen das Eintreten für universelle Moral.

Obwohl beide Haltungen beanspruchen, die richtigen Konsequenzen aus der Schoah gezogen zu haben, sind sie mehr als nur Schlüsse aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Sie reichen in die Antike zurück.

Die letzten Wochen zeigen es: Der „Associate Dean“ des Wiesenthal Centers, Rabbi Abraham Cooper – er verantwortet Augsteins Platz im Antisemitenranking – rühmt sich, um der Menschenrechte willen auch den Kontakt mit Kriegsverbrechern wie dem islamistischen Diktator Sudans, Umar al-Baschir, nicht zu scheuen. Zur Erinnerung: 2003 ermordeten die von Sudan unterstützten arabischen Dschandschawid-Milizen im Darfur-Konflikt Tausende schwarze Sudanesen.

2009 erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Umar al-Baschir. Fünf Jahre zuvor – die sudanesischen Gräueltaten hatten einen ersten Höhepunkt erreicht – war Abraham Cooper als erster jüdischer Repräsentant nach Khartum gereist, um mit al-Baschir über Menschenrechte zu sprechen.

MICHA BRUMLIK ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main. Von 2000 bis 2005 leitete er das dortige Fritz-Bauer-Institut.

Verbindung von Land und Volk

In anderen Fragen reagierte Cooper weniger gelassen. Im November 2012 hatte Palästinenserpräsident Abbas vor der UN-Vollversammlung erklärt, einen Staat Palästina nur in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten zu errichten, sowie: „We extend our hands to the Israeli government for peace-making. Let us build the bridges of dialogue instead of walls of separation, and build cooperative relations based on parity and equity between two neighboring States.“

Cooper nannte Abbas’ Worte reine Brandstiftung, da er die dreieinhalbtausendjährige Verbindung von Land und Volk Israel nicht erwähnt habe. Das harsche Urteil wird vor dem Hintergrund der amerikanisch-jüdischen Debatte verständlich: So hatte das Rabbinat einer der größten Synagogen New Yorks, B’nai Jeshurun, Abbas’ Rede begrüßt: Als um die Sicherheit und Demokratie in Israel besorgte Juden gaben sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Aufnahme Palästinas in die UNO dem palästinensischen Volk den benötigten Sinn für Würde verleihen und eine Zweistaatenlösung befördern werde.

Der von den RabbinerInnen Felicia Sol und Marcelo Bronstein unterzeichnete, später reumütig zurückgenommene Brief entfachte unter amerikanischen Juden einen Sturm, gegen den sich Differenzen des Zentralrats der Juden in Deutschland in Sachen Augstein wie ein Säuseln ausnehmen.

Tatsächlich geht es bei alledem nicht um Antisemitismus, sondern darum, dass schon die gegenwärtige israelische Regierung jede Zweistaatenlösung aufgegeben hat, die Siedlungspolitik fortsetzt und die Allianz mit den USA aufs Spiel setzt. Die in zwei Wochen stattfindenden Wahlen zur Knesset werden Israel ein weiter nach rechts gerücktes Parlament bescheren.

Religiösen Siedlungszionismus

Dessen neuer Star wird der persönlich einnehmende Softwareunternehmer und ehemalige Elitesoldat Naftali Bennett sein. Bennett, dessen Eltern nach dem Sechstagekrieg aus den USA einwanderten, hält den religiösen Siedlungszionismus für die einzig überzeugende, die jüdische Bevölkerung bindende Ideologie und gestand ein, als Soldat einen Befehl zur Räumung der Siedlungen zu verweigern.

Der antike Historiker Flavius Josephus, der im ersten Jahrhundert zunächst den Aufstand der Judäer gegen die Römer mit organisierte, um nach der Zerstörung Jerusalems das Debakel zu analysieren, bemerkte in seinem Werk „Der Jüdische Krieg“ über den antirömischen Aufrührer Johann von Gischala: „Durch solche Reden ließen sich die jüngeren Leute größtenteils verführen und für den Krieg begeistern; alle besonnenen und älteren Männer dagegen sahen das kommende Unheil voraus und betrauerten die Stadt, als ob sie bereits dahin wäre.“

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1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

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