ZEIT ONLINE: Bei Bewerbungen wird geschönt, getrickst, gelogen. Frau Becker, woran erkenne ich einen Blender?

Linda Becker: Es fängt schon einen Schritt vorher an: Viele Unternehmen verwenden lediglich Standardprofile. Die suchende Firma sollte jedoch neben einem genauen fachlichen Anforderungsprofil auch wissen, welche Charaktereigenschaften der ideale Kandidat mitbringen muss, um für die Stelle und zur Unternehmenskultur zu passen. Das relativiert viele Blender-Lebensläufe.

ZEIT ONLINE: Sie suchen hauptsächlich nach Führungskräften für das obere Management. Wie gehen Sie vor?

Becker: Zuerst nehmen wir telefonisch Kontakt zu potenziellen Kandidaten auf und klären, ob beiderseitiges Interesse an weiterführenden Gesprächen besteht. Nachdem wir dann Lebenslauf, Diplome und Referenzen geprüft haben, versuchen wir in ausführlichen Interviews, die drei bis vier Stunden dauern können, den Bewerber kennenzulernen: Was hat ihn von Kindheit an geprägt? Wie kam es zu seiner bisherigen Karriere? Wichtig ist uns, während des Gesprächs in die Tiefe zu gehen. Meine Erfahrungen zeigen, dass die Bewerber, die auf der allgemeinen Gesprächsebene bleiben und nichts von sich preisgeben wollen, am Ende die Blender sind. 

ZEIT ONLINE: In welchem Punkt wird Ihrer Meinung nach am häufigsten geschwindelt?

Becker: Am häufigsten sicherlich bei den Beweggründen für einen Wechsel. Erstaunlich ist auch immer wieder, wie oft Bewerber beispielsweise angeben, über gewisse Sprachkenntnisse zu verfügen, in der Realität allerdings nicht über das Schulniveau hinauskommen. Auch Belege wie Zeugnisse sind wenig wert. Deshalb testen wir grundsätzlich die angegebenen und geforderten Sprachkenntnisse im Gespräch.

ZEIT ONLINE: Wie finde ich heraus, ob ein Bewerber wirklich Führungserfahrung hatte?

Becker: Entscheidend ist, welche Art von Führungserfahrung von dem jeweiligen Unternehmen gesucht wird. Ein Krisenmanager muss ganz andere Erfahrungen mitbringen als beispielsweise ein Vertriebsvorstand.

Haben wir gemeinsam mit dem Unternehmen definiert, welche Art von Führungspersönlichkeit gesucht wird, ist es meine Aufgabe, im Interview anhand von konstruierten Situationen herauszufinden, mit wem ich es zu tun habe. Der Bewerber muss nicht nur faktisch über die entsprechende Führungserfahrung verfügen, sondern auch persönlich von seiner Art zu Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten passen.

ZEIT ONLINE: Dann sind Fragen nach den Stärken und Schwächen nicht wirklich aussagekräftig, oder?

Becker: Oft bekommt man nur Phrasen als Antwort – beispielsweise "Ich bin viel zu perfektionistisch." Wer auf dieser oberflächlichen Ebene bleibt, schadet sich meiner Meinung nach. Ich möchte dagegen herausfinden, wie der Bewerber tickt, seine Persönlichkeit kennenlernen. Daher frage ich nicht Standards ab, sondern lasse das Gespräch laufen – um dem Bewerber im positiven Sinne auf den Zahn zu fühlen: Wie arbeitet jemand? Nach welchen Strukturen agiert er? Welche Erfolge und auch Misserfolge haben ihn in seiner bisherigen Laufbahn geprägt? Gerade der Umgang mit Misserfolgen sagt viel über die Persönlichkeit eines Bewerbers aus. Wer begriffen hat, dass nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen wichtig sind, die zum Leben dazugehören, und diesen Erfahrungsschatz auch in seine Führungsrolle mit einfließen lässt, ist am Ende eine langfristig wertvolle Führungspersönlichkeit für das Unternehmen.

ZEIT ONLINE: Ich kann mir vorstellen, dass für viele Bewerber so viel Offenheit beängstigend ist.

Becker: Wer sich auf eine Führungsposition bewirbt, sollte generell offen und ehrlich agieren. Aber natürlich lösen solche direkten Fragen bei vielen Bewerbern gewisse Ängste aus. Wer damit souverän umgehen kann, der wird auch in anderen Situationen Souveränität beweisen.