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Wirtschaft Depression

Goldman Sachs sieht Europa in jahrelanger Stagnation

Schaut man auf die Renditen der Staatspapiere, haben wir in Deutschland bereits japanische Verhältnisse Schaut man auf die Renditen der Staatspapiere, haben wir in Deutschland bereits japanische Verhältnisse
Schaut man auf die Renditen der Staatspapiere, haben wir in Deutschland bereits japanische Verhältnisse
Die Europäische Zentralbank versucht alles, um eine wirtschaftliche Depression abzuwenden. Zu spät, sagen die Ökonomen der weltweit einflussreichsten Investmentbank. Sie nennen bedrückende Zahlen.
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In der Euro-Zone wird die Geldwertstabilität neu definiert. Ging es den europäischen Notenbankern in den vergangenen Jahrzehnten darum, die Inflation nach oben in Schach zu halten, denken sie jetzt in die andere Richtung.

Seit Monaten versucht die Europäische Zentralbank (EZB) mit allen Mitteln, ein Abtauchen der Teuerung unter die Null-Linie zu verhindern. Mit aktuell 0,3 Prozent befindet sich die Inflation schon jetzt nahe der Gefahrenzone. Die Notenbanker fürchten für ihren Kontinent nichts mehr als die berüchtigten japanischen Verhältnisse.

Nach dem Platzen der Immobilienblase im Jahr 1989 war Japan in eine wirtschaftliche Depression abgeglitten. Es folgten zwei Jahrzehnte ökonomischer Agonie mit fallenden Preisen und stagnierender Wirtschaftsleistung, die Tokio bis heute nicht stoppen konnte.

EZB-Sitzung am kommenden Donnerstag

Während die EZB noch an ihren Plänen für die Sitzung am kommenden Donnerstag fieberhaft feilt, um ein solches Horrorszenario abzuwenden, platzt ein Papier der Investmentbank Goldman Sachs mitten in die Vorbereitungen. Die Ökonomen des einflussreichsten Geldhauses der Welt fällen schon jetzt ein verheerendes Urteil für Notenbankpräsident Mario Draghi.

Laut Goldman hat die EZB ihren Kampf gegen die „Japanifizierung“ der Euro-Zone bereits verloren. „Unsere Analyse zeigt, dass viele Länder der Währungsunion mit der japanischen Krankheit der Stagnation kämpfen“, erklärt Jose Usua, Ökonom bei der US-Investmentbank in New York.

Die Namen der europäischen Patienten sind prominent. Nicht nur übliche Verdächtige wie Italien, Spanien oder Portugal nennt Usua. „Auch Frankreich qualifiziert sich für den Stagnationsstatus.“ Sogar Belgien, bislang nicht als Problemland bekannt, taucht auf der Goldman-Liste der Japan-Infizierten auf.

Italien mit dramatischer Wachstumslücke

Usua stellt eine bedrückende Rechnung auf. Das Wachstum sämtlicher Euro-Länder wird mit der Entwicklung vergleichbarer Ökonomien ins Verhältnis gesetzt. Auf diese Art und Weise lässt sich unabhängig von globalen Konjunkturzyklen die Performance einzelner Nationen aufführen.

Mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre schneidet Italien bei Goldmans Konjunkturvergleich am schlechtesten ab. Der Stiefelstaat kommt im Vergleich zum Durchschnitt auf eine Wachstumslücke von 27 Prozent. Portugal kommt auf 21 Prozent, Frankreich und Spanien auf 18 Prozent, Belgien auf 13 Prozent.

Im Vergleich zu Deutschland weist etwa Italien – gemessen am Pro-Kopf-Einkommen – eine Wachstumslücke von 24 Prozent auf. Laut Goldman-Daten hatte der durchschnittliche Italiener im Jahr 2002 fast so viel wie ein Bundesbürger in der Tasche. Heute liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf nur noch bei 76 Prozent des deutschen Niveaus.

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Ein ähnliches Bild zeigt der Vergleich zwischen Italien und den Vereinigten Staaten. „Diese Stagnation vieler Euro-Länder erinnert exakt an jene Japans der 1990er-Jahre“, schlussfolgert Goldman-Ökonom Usua.

Eine weitere Parallele ist die schlechte demografische Entwicklung. Sowohl die Euro-Zone als auch Japan leiden unter einer schrumpfenden Arbeitsbevölkerung. Darunter verstehen Experten die kontinuierliche Abnahme der Gruppe der 15- bis 67-Jährigen. In Japan nimmt ihre Zahl seit 1995 ab. In der Währungsunion geht es seit 2012 abwärts.

Eine weitere Parallele zwischen der Euro-Zone und Japan ist die schlechte demografische Entwicklung
Eine weitere Parallele zwischen der Euro-Zone und Japan ist die schlechte demografische Entwicklung
Quelle: Online

Selbst für ökonomisch gut aufgestellte Regionen wird dieser Schrumpfungsprozess zu einer langfristigen Konjunkturbürde. Denn die Wirtschaftsleistung errechnet sich schlichtweg aus der Zahl der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Leistung. Die schlechte Demografieprognose schwächt Europa also zusätzlich.

Rentenmarkt offenbart „Japanifizierung“ der Euro-Zone

Die Märkte, die den Ruf eines Frühindikators genießen, nehmen die Japanifizierung der Euro-Zone bereits länger vorweg. So befinden sich die Zinsen im freien Fall. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen sind unter ein Prozent gerutscht, ein Niveau, das unmissverständlich auf eine Depression schließen lässt.

Ein regelrechter Schocker ist der Zinsvergleich zwischen japanischen Staatsanleihen der 1990er-Jahre und Bundesanleihen seit 2004: Dieser zeigt erstaunliche Parallelen. Auch in Japan rutschten die Renditen zehnjähriger Schuldtitel unter die Marke von einem Prozent, wie dies jetzt in Deutschland der Fall ist.

Das Frappierende: Legt man die damalige japanische Zinsentwicklung und die heutige Entwicklung der Bundesanleihen übereinander, gleichen sich die Kurven in ihrem Auf und Ab beängstigend.

„An den Märkten wird die ‚Japanifizierung‘ voll durchgespielt“, sagt Vincent Chaigneau, Stratege bei der französischen Großbank Société Générale in Paris.

Inflationserwartungen stürzen ab

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Auch in Sachen Preisentwicklung prophezeihen die Märkte stagnierende Zeiten. Die langfristigen Inflationserwartungen der Akteure sind abgerutscht. Gegenüber der EZB ist das eine Art Misstrauensvotum. Denn die Märkte trauen den Frankfurter Geldhütern nicht mehr zu, die Teuerungsrate stabil bei zwei Prozent zu halten.

Sichtbar wird das im sogenannten 5-Jahre/5-Jahre-Inflations-Swap. Das inoffizielle Inflationsbarometer der EZB gibt an, mit welcher Teuerung die Akteure auf Sicht von zehn Jahren rechnen. Dieser Indikator ist zuletzt erstmals deutlich unter zwei Prozent gefallen und hat in der vergangenen Woche ein Rekordtief markiert.

„Die Inflationserwartungen der Märkte senden ein Alarmsignal“, sagt Jacques Callioux, Ökonom bei Nomura in London. „Die Zeichen mehren sich, dass Europa den Kampf gegen eine zu niedrige Inflation verloren hat.“

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