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Energie Gaskraftwerk

Der Irrsinn von Irsching könnte teuer werden

Wirtschaftsredakteur
Der effizienteste Stromerzeuger der Welt, das Kraftwerk Irsching in Bayern Der effizienteste Stromerzeuger der Welt, das Kraftwerk Irsching in Bayern
Der effizienteste Stromerzeuger der Welt, das Kraftwerk Irsching in Bayern
Quelle: picture alliance / dpa
E.on will das Gaskraftwerk in Irsching stillegen. Es gilt als das modernste der Welt – und ist wohl auch zur Stromversorgung Bayerns unverzichtbar. Wer bezahlt den Irrsinn?

Der Energiekonzern E.on hat sich entschieden: Eines der modernsten Gaskraftwerke der Welt im bayerischen Irsching ist unter den Bedingungen der deutschen Energiewende nicht mehr länger wirtschaftlich zu betreiben. Nur wenige Jahre nach der Inbetriebnahme soll die hocheffiziente Anlage baldmöglichst vom Netz gehen.

Einen entsprechenden Antrag hat der Konzern jetzt bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Kraftwerksstilllegungen müssen ein Jahr im Voraus bei der Regulierungsbehörde angemeldet werden, damit diese die Folgen für die Versorgungssicherheit analysieren und Ausgleichsmaßnahmen organisieren kann.

Sowohl der vom Energiekonzern E.on alleine gehaltene Block 4 als auch der mit Partnern betriebene Block 5 sollten am 1. April 2016 abgeschaltet werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von E.on, Mainova, der Nürnberger N-Ergie und weiteren Partner am Montag.

Bund dürfte Weiterbetrieb erzwingen

Beobachter erwarten, dass die Bundesnetzagentur die Stilllegung der Anlagen untersagen wird: Denn nach bisherigen Analysen der Behörde gilt so gut wie jedes Kraftwerk südlich der Mainlinie als systemrelevant: Eine Abschaltung würde die Netzstabilität und damit die Versorgungssicherheit in Süddeutschland akut gefährden.

Bei einem Abschaltverbot wären die Betreiber gezwungen, das Kraftwerk gegen eine geringe staatliche Aufwandsvergütung weiter zu betreiben. Die dafür maßgebliche „Reservekraftwerks-Verordnung“ war ursprünglich allerdings nur für alte, finanziell abgeschriebene Kraftwerke gedacht: Sie sieht deshalb keine Erstattung von Kapitalkosten vor. Auch der Verschleiß der Anlage wird staatlicherseits nicht vergütet.

Die Betreiber des modernen Gaskraftwerks Irsching drohen deshalb, auf einem Teil der Kosten des erzwungenen Weiterbetriebs sitzen zu bleiben.

Deshalb werden die Irsching-Betreiber gegen den staatlich angeordneten Weiterbetrieb einer eigentlich unwirtschaftlichen Anlage wohl vor Gericht ziehen. Dafür spricht, dass auch der Energiekonzern EnBW in Baden-Württemberg einen ähnlichen Bescheid der Bundesnetzagentur bezüglich dreier Kraftwerke im Südwesten bereits vor Gericht anfechtet.

Atomkraftwerk Grafenrheinfeld geht im Mai vom Netz

Rückstellungen der Energie-Konzerne sind nicht sicher

Gutachter sind zu dem Schluss gekommen, dass die Rückstellungen der Energiewirtschaft für die Atommüll-Entsorgung und den Rückbau der AKWs nicht ausreichend abgesichert sind. Doch damit noch nicht genug.

Quelle: N24

Auch politisch ist die geplante Kraftwerksstilllegung heikel: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte zuletzt den Bau neuer Gaskraftwerke in seinem Bundesland verlangt. Diese sollen nicht nur das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld ersetzen, das im Mai dieses Jahres vom Netz geht. Neue Gasanlagen sollen auch den Import von Windstrom aus Norddeutschland und den Bau neuer Stromtrassen überflüssig machen.

Doch jenseits aller politischen Wünsche nach bayerischem „Heimatstrom“ aus neuen Gaskraftwerken zeigt sich nun, dass Seehofer schon die Existenz der bestehenden Anlagen nicht mehr sichern kann.

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Vorerst kann Bayern nur darauf hoffen, dass die sogenannte „Thüringer Strombrücke“ bis zum Winter fertiggestellt ist. Über diese Leitung kann dann Braunkohle-Strom aus der Lausitz und erneuerbare Energien aus den nordöstlichen Bundesländern nach Bayern fließen, wenn dort die Elektrizitätsnachfrage temperaturbedingt ansteigt.

Vor diesem Hintergrund ist unsicher, ob der bayerische Regierungschef seine Blockadehaltung gegen den Netzausbau und damit die Energiewende in Deutschland nun aufgibt oder im Gegenteil sogar verfestigt.

Eines der effizientesten Gaskraftwerke weltweit

Die Kraftwerke Irsching 4 und 5 werden schon seit zwei Jahren nur dank eines Sondervertrages mit dem Netzbetreiber Tennet wirtschaftlich am Leben erhalten. Die Blöcke dienen seither fast ausschließlich der Netzstabilisierung, am Marktgeschehen nehmen sie nicht mehr teil.

Weil der Vertrag der Betreibergesellschaft mit Tennet in einem Jahr ausläuft, gibt es keine sichere Perspektive mehr für einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb der Anlagen. Deshalb reichten die Unternehmen jetzt den Stilllegungsantrag ein.

Irsching 5 ging erst im Jahr 2010 in Betrieb. Mit einem Wirkungsgrad von 59,7 Prozent gehört es zu den modernsten Gaskraftwerken Europas. Irsching 4 ging ein Jahr später in Betrieb und ist mit einem Wirkungsgrad von 60,4 Prozent eines der effizientesten Gaskraftwerke weltweit. Doch weil die Großhandelspreise für Elektrizität verfallen, spielen die Anlagen noch nicht einmal mehr ihre Betriebskosten ein.

Subventionierter Strom als Kraftwerkskiller

„Die zunehmenden Mengen subventionierten Stroms aus erneuerbaren Energien und die niedrigen Großhandelspreise für Strom lassen mittlerweile keinen Einsatz am Markt mehr zu“, erklärten die Betreiber nun. „Um keine roten Zahlen schreiben zu müssen, sehen die Eigentümer keine Alternative zu einer Stilllegungsanzeige.“

Die Betreiber des Gaskraftwerks Irsching kritisierten die unzureichende Reservekraftwerks-Verordnung, die sie zur unfreiwilligen Kostenübernahme zwingt. Ein langwieriger Rechtsstreit um den Stilllegungsantrag könnte vermieden werden, wenn der Bund die Verordnung so ändert, dass auch die Vollkosten moderner Gaskraftwerke vergütet werden.

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Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist sich des Problems unzureichender Kraftwerksreserven in Süddeutschland bewusst. Derzeit plant das Haus von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) deshalb die Einrichtung einer „Kapazitätsreserve“. Dabei handelt es sich um besonders ausgewählte Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von vier Gigawatt, die zusätzlich in Bereitschaft gehalten werden sollen, um bei akuten Versorgungsnotlagen einzuspringen.

Extreme Preisspitzen sollen neue Investitionen auslösen

Allerdings sind die Pläne für eine solche Kraftwerksreserve noch nicht weit genug gediehen. Die Regierungspläne sind deshalb für E.on keine gesicherte Grundlage, um darauf wartend mit Irsching 4 und 5 weiterhin Verluste zu schreiben. Ohnehin sollen die Kraftwerke für die geplante Reserve deutschlandweit ausgeschrieben werden, sodass bis zuletzt unklar bliebe, ob Irsching dabei überhaupt zum Zuge kommen würde.

Auch langfristig können die Betreiber nicht auf neue gesetzliche Regeln für konventionelle Kraftwerke hoffen. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte es kürzlich abgelehnt, ein eigenes Marktsegment für wetterunabhängige, sicher planbare Stromerzeugung einzurichten. Es solle kein „Hartz-IV für alte Kraftwerke“ geben, erklärte Bundesminister Gabriel. Beim Ausbalancieren des schwankenden Wind- und Solarstroms will Gabriel lieber auf das bisherige Marktdesign vertrauen.

Demnach hofft der Minister, dass sich durch die Stilllegung von immer mehr konventionellen Kraftwerken am Strommarkt temporär, in Zeiten mangelnder Ökostrom-Einspeisung extreme Preisspitzen ergeben.

Um sich gegen solche Preisspitzen abzusichern, würden Stromverteiler künftig vermehrt langfristige Lieferverträge mit Kraftwerksbetreibern abschließen. Solche neuen Langfristverträge könnten aus Sicht des Ministeriums genug Investitionsanreize für den Neubau von Kraftwerken bieten.

Bis sich solche Knappheitspreise einstellen und neue Kraftwerksbauten auslösen, setzt das Bundeswirtschaftsministerium als Übergangslösung auf eine „Winterreserve“ und „Netzreserve“ an Kraftwerken, über deren Einsatz die Übertragungsnetzbetreiber bestimmen dürfen. Die Kosten dafür werden über die Netzentgelte auf die Stromrechnung der Verbraucher abgewälzt.

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