Das türkische Amt für Religiöse Angelegenheiten hält es für ungeboten, wenn verlobte Paare Händchen halten und sich ohne die Anwesenheit anderer Personen allein in einem Raum aufhalten. Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn Verlobte sich treffen, um sich besser kennenzulernen, heißt es in einer am Montag auf der Internetseite der Behörde veröffentlichten Fatwa, also einem religiösen Rechtsgutachten.
Allerdings dürften dabei die Grenzen zur Intimität nicht überschritten werde. „Verlobte Paare dürfen nicht flirten und keinen Anlass zu Gerede geben, indem sie sie sich allein in einem Raum aufhalten. Sie dürfen nicht Händchen halten und müssen sich von allen unislamischen Verhaltensweisen fernhalten.“
Heutzutage würden viele religiöse junge Menschen – teils mit Wissen der Eltern, teils ohne – „religiöse Trauungen“ vornehmen, was „bedauerliche Vorkommnisse“ nach sich zöge. Die Behörde stellt klar: Jede eheliche Beziehung müsse durch eine staatliche Trauung „abgesichert“ werden. Die Imame werden deshalb dazu aufgefordert, bei Paaren ohne Trauschein keine religiösen Trauungen vorzunehmen. Das direkt dem Ministerpräsidenten unterstellte Präsidium für Religiöse Angelegenheiten ist die höchste islamische Autorität der Türkei. Die Moscheen des Landes und die dort tätigen Geistlichen sind als Beamte weisungsgebunden.
In Deutschland unterhält die Behörde eine eigene Niederlassung: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der laut eigenen Angaben bundesweit rund 900 Moscheegemeinden angeschlossen sind.
Erdogan erklärte kürzlich Verhütung zu „Landesverrat“
In einer anderen Fatwa erklärte die Religionsbehörde, die Heirat mit Aleviten sei nur dann zulässig, wenn diese Muslime seien. Die Minderheit der Aleviten (nicht zu verwechseln mit den vorwiegend in Syrien lebenden Alawiten) machen ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung aus. Sie pflegen einen säkularen Lebensstil und stehen der Regierungspartei AKP politisch fern. Ein Teil von ihnen sieht sich als Muslime, andere begreifen das Alevitentum als eigenständige Religion oder als kulturelle Weltanschauung.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu dürften keine Einwände gegen die Fatwa zum Thema Händchenhalten haben. Erst kurz vor Weihnachten hatte Erdogan Geburtenkontrolle – also Verhütung – zu „Landesverrat“ erklärt. Abtreibungen wurden unter seiner Regierung mehrfach erschwert.