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Geheime Liste von Philip Morris Die Schnüffler von der Tabaklobby

Mit ungewöhnlichen Methoden kämpft Philip Morris gegen eine neue Tabakrichtlinie der EU: Lobbyisten des US-Konzerns hielten in einem geheimen Verzeichnis fest, welche Europaabgeordneten besonders "empfänglich" seien - und bei wem noch eine "dringende Intervention" erforderlich werde.
Sitz von Philip Morris (in Lausanne): "Ein Angriff auf die Bürgerrechte"

Sitz von Philip Morris (in Lausanne): "Ein Angriff auf die Bürgerrechte"

Foto: ? Denis Balibouse / Reuters/ REUTERS

Die Liste liest sich wie das "Who is Who" der französischen Europa-Abgeordneten: Der konservative Ex-Innenminister Brice Hortefeux ist aufgeführt, ebenso wie Stéphane Le Foll, seit 2012 amtierender Landwirtschaftsminister, oder José Bové, landesweit bekannt als schnauzbärtiger Bauernaktivist und Grünen-Vertreter im Straßburger Parlament.

Was sie verbindet? Zusammen mit 71 weiteren EU-Abgeordneten aus dem laufenden und dem vergangenen Jahr tauchen sie auf firmeninternen Dokumenten des US-Zigarettenherstellers Philip Morris International (PMI) auf. Das vertrauliche Verzeichnis, die "EU Tabacco Products Directive Review", am Wochenende von der französischen Tageszeitung "Le Parisien" veröffentlicht, scheint zu belegen, dass der Konzern sich nicht scheut, im Rahmen seiner PR-Arbeit auch Geheimdienstmethoden anzuwenden - "wie aus einem Spionageroman", schreibt die Zeitung.

Die heimliche Aufstellung umfasst eine Kurzbiographie mit Hinweisen auf Parteizugehörigkeit, Mitgliedschaft in EU-Ausschüssen und Ausbildung - durchweg öffentlich verfügbare Informationen. Obendrein aber sind die Abgeordnetendaten farblich unterlegt, streng geordnet nach ihrer Haltung gegenüber den Interessen der Tabak-Lobby: Blau für die Sympathisanten, Rot für die Gegner der Zigarettenindustrie, Grün für unentschiedene Parlamentarier, deren Haltung "eine dringende Intervention" erforderlich mache.

Kampagne gegen die "EU-Regulierungswut"

Im Oktober wird im EU-Parlament über neue gesetzliche Vorschriften beraten, die den Zigarettenkonsum drastisch einschränken könnten: Die EU-Tabakproduktrichtlinie will Menthol- und dünne, sogenannte "Slim-Zigaretten" verbieten, zudem sollen Verpackungen künftig mit abstoßenden Fotos von krebsbefallenen Lungen, teergeschwärzten Zähnen oder abfaulenden Füßen illustriert werden. Die Tabakindustrie läuft Sturm gegen das Projekt und wettert auf einer eigenen Online-Plattform  gegen die "EU-Regulierungswut". Sie warnt vor Verlusten bei Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen, plädiert für die Eigenverantwortung der Raucher und mobilisiert EU-feindliche Ressentiments: "Es gibt wichtigeres als mündige Bürger mit immer neuen Vorschriften zu überhäufen."

Die Branche verlässt sich dabei nicht allein auf die digitale Mobilisierung. Parallel zu dem Vorstoß im Internet werden auch die Entscheidungsträger in Straßburg zum begehrten Zielobjekt der Tabak-Schnüffler. Aufstellungen wie die von Philip Morris sollen dabei offenbar mögliche Wackelkandidaten unter den Politikern ausmachen, deren Gunst für die Sache des blauen Qualms gewonnen werden könnte oder die bereit wären, die Argumente der Tabakindustrie unter Kollegen zu verbreiten. So wie bei der Einschätzung einer Zielperson: "Sehr unterstützend, sehr empfänglich."

Die Zigarettenfabrikanten lassen sich derartige Überzeugungsarbeit durchaus etwas kosten. Nach Angaben des US-Produzenten sind derzeit Dutzende PMI-Mitarbeiter im Einsatz, um EU-Abgeordnete als Fürsprecher zu gewinnen - mit E-Mails, Treffen und dem Angebot gemeinsamer Auftritte. Schon am 9. September ging Philip Morris mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit , in der der Konzern seine Lobby-Arbeit im Vorfeld der Tabakrichtlinie beschreibt: "Wir haben die Planung von 161 unserer Mitarbeiter durchleuchtet, die potentiell einen Teil ihrer Tagesabläufe mit offiziellen Repräsentanten der Europäischen Union verbracht haben."

"Ein Angriff auf die Bürgerrechte"

Über die Art und Weise, wie bei diesen Kontakten verfahren wird, schweigt sich die Mitteilung allerdings aus. Nach den veröffentlichten Unterlagen verfügen die 161 aufgeführten PMI-Werber aber über Spesenkonten für die Organisation von "Events" - insgesamt 548.927 Euro. "Auch wenn es keinen Hinweis auf Korruption gibt", kommentiert "Le Parisien" diese Angaben, so sind "gewisse finanzielle Hinweise befremdend."

Mit den Veröffentlichungen konfrontiert, wies Philip Morris International die "erhobenen Vorwürfe" zurück. Die Firma respektiere die "persönliche Privatsphäre" und setze "höchste Integritätsstandards", teilte das Unternehmen auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mir. PMI leugnete zwar nicht die Existenz der Abgeordneten-Liste, schwieg aber zu der Frage, ob auch deutsche EU-Parlamentarier erfasst worden sein. "Die genannten Dokumente erfassen lediglich die wahrgenommenen Ansichten von gewählten Mandatsträgern", so PMI - das entspräche dem "üblichen Vorgehen."

Die beobachteten Abgeordneten sehen das anders. "Die Existenz einer solchen Datei ist ein Angriff auf die Bürgerrechte", sagte Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll, der im vergangenen Jahr noch als EU-Abgeordneter in der Sparte skeptischer Politiker aufgeführt war. Auch Francoise Grossetête, ihrerseits EU-Abgeordnete der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und klassifiziert als entschlossene Gegnerin der Tabakindustrie, empfindet diese Aktivitäten der Zigaretten-Lobby als "skandalös".

Sie sind vielleicht sogar ungesetzlich. Die Anlage einer Kartei allein sei kein Verstoß gegen bestehendes Recht, befindet Sophie Nerbonne, Vizechefin des juristischen Dienstes bei Frankreichs nationaler Datenschutzbehörde (CNIL). In diesem Fall seien die betroffenen Parlamentarier jedoch weder über die Existenz der PMI-Datei noch ihrer Auflistung informiert worden. "Das Unternehmen müsste ihnen einen Zugang gestatten", so die Juristin, "mit der Möglichkeit der Korrektur oder auch des Einspruchs."