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Eins für alle!

Regionale Verlage werden die hohen Ansprüche ihrer Leser kaum noch erfüllen können, sagt der Journalist Daniel Drepper. Doch könnten sie mit überregionalen Recherchebüros kooperieren, die große, auch nationale Recherchen auf ihre Belange zuschneiden. Eine mögliche Struktur dieser Büros: gemeinnützig und spendenfinanziert.

Bei Leserbefragungen einer Regionalzeitung, so wurde mir einst erzählt, erstaunte neben all dem, was bei Leserbefragungen halt so herauskommt, vor allem eines: Die Leser waren extrem leidensfähig. Solange sie nicht all zu sehr enttäuscht wurden, blieben sie ihrem Blatt treu. Die Folgen im Blatt: möglichst keine Überraschungen. Das Problem: Neue Leser lassen sich so nicht gewinnen.

Auf lange Sicht sterben auch die alten Kunden - oder entdecken doch noch das Internet. Leser sehen dort, was möglich ist. Die Verlage stehen in weltweiter Konkurrenz, müssen auf einmal frische, überraschende und mutige Recherchen bringen. Lokale und regionale Zeitungen haben kaum eine Chance, die gestiegenen Ansprüche voll zu erfüllen; egal ob Print oder Online und erst recht nicht in der überregionalen Berichterstattung. Was tun?

Eine Möglichkeit: Hochwertige Recherchen für kleine Verlage werden zentral produziert. Das ist kein Aufruf an Kleinverlage, zu fusionieren. Das wäre mit dem Bundeskartellamt nicht zu machen. Stattdessen sollten überregionale Recherchebüros die Rolle zentraler Produzenten übernehmen. Wie das gehen kann, hat in den USA zuletzt "ProPublica" gezeigt.

Das 2008 gegründete Recherchebüro "ProPublica" beschäftigt rund 40 investigative Reporter, Redakteure und Programmierer. Bei Veröffentlichungen kooperiert ProPublica mit der "New York Times" oder bekannten Fernseh- und Radiosendungen. Das Büro produziert aber auch zahlreiche Geschichten, die regionale Verlage nutzen können. Bestes - aber längst nicht einziges - Beispiel ist die Recherche "Dollars for Docs". ProPublica erarbeitete eine Datenbank mit Zahlungen der großen Pharmakonzerne an tausende Ärzte im ganzen Land. Die Datenbank ist auf der Webseite des Büros frei verfügbar. Seit der Veröffentlichung der Daten sind hunderte lokale Geschichten entstanden, viele lokale Verlage haben die Vorarbeit der Reporter genutzt. Die Kraft der Recherche hatte sich damit vervielfacht, alle haben profitiert. Außer vielleicht die aufgeflogenen Ärzte.

Journalismus ohne Rendite machen

Hohe Renditeerwartung ist kaum noch mit journalistischer Qualität zu vereinbaren. Was liegt da näher, als Journalismus ohne Rendite zu machen? Journalismus kann auch in Deutschland längst über gemeinnützige Vereine, Stiftungen oder GmbHs organisiert werden. Solch gemeinnützige Organisationen haben zwei große Vorteile: Sie müssen je nach Art ihrer Einnahmen keine Steuern zahlen und Unterstützer können ihre Spenden von der Steuer absetzen. In den USA arbeiten bereits Tausende Journalisten auf diese Art. Das Magazin "National Geographic"  ist gemeinnützig, auch die Nachrichtenagentur "AP". Dazu gibt es zahlreiche lokale und investigative Journalistenbüros. Vom "ProPublica"-Newsdesk in Manhattan bis hin zum kleinen Büro in den Rocky Mountains: Allein das Investigative News Network  vereint 74 Mitgliedsorganisationen, die die US-Steuerbehörde IRS als gemeinnützig nach Paragraf 501(c)3 eingestuft hat.

Die Gemeinnützigkeit hat einen weiteren Vorteil: So gegründete Büros müssen darauf achten, dass sie der Allgemeinheit dienen. Sie müssen anspruchsvollen Journalismus produzieren, der zur Bildung des deutschen Volkes beiträgt. Beispiele wären außergewöhnliche investigative Recherchen oder die Visualisierung von spannenden Daten. Diese Arbeit müssten die Büros dann so vielen Bürgern wie möglich zur Verfügung stellen. Zum Beispiel über Kooperationen mit großen und kleinen Verlagen und eine eigene Webseite.

Politiker sollten das unterstützen. Zwar gibt es in Deutschland bereits einige journalistische Organisationen, die als gemeinnützig anerkannt sind (zum Beispiel das Portal VOCER  oder die Kontext-Wochenzeitung ), Beteiligte klagen jedoch über relativ hohe Hürden bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit. In Paragraph 52 der deutschen Abgabenordnung wird definiert, wer als gemeinnützig anerkannt wird. Dies sind all jene, deren "Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern". Deshalb müssen gemeinnützige journalistische Organisationen bislang eine Art kleine Bildungseinrichtung sein. Das ist aufwändig und frisst Ressourcen.

Die Politik diskutiert seit einiger Zeit, wie dem deutschen Journalismus geholfen werden kann. In NRW ist eine Stiftung für Vielfalt und Partizipation im Gespräch. Damit sollen einzelne Recherchen finanziert werden. Doch das löst nicht das Problem. Das Reuters Institute for the Study of Journalism  an der Universität von Oxford hat vor zwei Jahren die Pressesubventionen in sechs Ländern untersucht. Die Wissenschaftler stellen fest, dass es den Journalismus nicht voranbringt, wenn - wie derzeit auch in Deutschland - hunderte Millionen Euro an Steuererleichterungen per Gießkannenprinzip verteilt werden. Das halte nur veraltete Strukturen am Leben. Dem Journalismus muss geholfen werden, sich selbst zu helfen. Gemeinnützigkeit ist meiner Ansicht nach die beste Möglichkeit, dies zu tun. Die Politik sollte den Paragraphen 52 in der deutschen Abgabenordnung erweitern, um die Gründung gemeinnütziger Journalistenbüros zu erleichtern. Dazu sollten die zuständigen Finanzämter vor Ort Leitfäden bekommen, in denen die Voraussetzungen für gemeinnützigen Journalismus deutlich gemacht werden.

Was unterscheidet freiwillige Käufer von freiwilligen Spendern?

Ich höre schon die Kritik: Journalismus darf nicht auf Spenden angewiesen sein, er muss sich selbst tragen. Aber trägt sich nicht auch ein Journalismus aus Spenden letztlich selbst? Was unterscheidet freiwillige Käufer von freiwilligen Spendern? Anfang des Jahres sorgte die Musikerin Amanda Palmer mit einer 14-minütigen Rede über Crowdfounding  für Aufsehen. Palmer gibt ihre Musik umsonst her, bittet um Spenden. Ihr geht es hervorragend, ihre Fans gaben allein bei einer Kickstarter-Kampagne freiwillig rund 1,2 Millionen Euro. "Ich glaube wir waren lange besessen von der falschen Frage: Wie bringen wir Menschen dazu, für Musik zu bezahlen? Was wäre, wenn wir uns fragen würden: Wie lassen wir Menschen für Musik bezahlen?"

Ich glaube, das gilt auch für den Journalismus. Nutzer können kaum noch gezwungen werden, für Qualität zu bezahlen. Solide Geschichten über ein bestimmtes Thema finde ich in den verschiedensten Medien. Breaking News halten nur wenige Minuten. Zumindest die wichtigsten Zusammenfassungen bekomme ich überall. Nur Leser, die ihr Produkt lieben, bezahlen dafür. Wir sollten Nutzer motivieren, für Journalismus zu bezahlen.

Ich habe mein Abonnement der "Süddeutschen Zeitung" lange Zeit laufen lassen, weil ich die Zeitung mochte - nicht weil ich die Texte brauchte. Die "Sonntaz" hatte ich eine Zeit lang aus Sympathie abonniert, eine Recherche von Kollege Sebastian Heiser hatte mir besonders gut gefallen. Gelesen habe ich die Sonntaz dann in den seltensten Fällen. Mein Abo betrachtete ich als Spende.

Journalisten müssen besser werden. Und sie müssen besser darin werden, zu erklären, warum man ihre Arbeit unterstützen sollte. Leute sollen gerne Geld für Journalismus geben, zum Bezahlen zwingen kann sie ohnehin niemand mehr. Teile des Journalismus sollten gemeinnützig werden. Ideal für Deutschland wären gemeinnützige Recherchebüros nach Beispiel "ProPublicas". Das würde auch den regionalen Verlagen helfen.