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Wirtschaft Vapiano-Mitarbeiterin

„Ich habe oft vergammelte Sachen gesehen“

Vapiano-Mitarbeiter packen aus

Vergorene Spaghetti, Verdorbenes Gemüse, schlechtes Fleisch: Aktive und ehemalige Mitarbeiter erheben schwere Vorwürfe gegen die erfolgreiche deutsche Restaurant-Kette.

Quelle: Die Welt

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Schwere Vorwürfe gegen Vapiano: In einigen Filialen sollen gammelige Waren serviert worden sein. Derzeitige und ehemalige Mitarbeiter berichten, wie Haltbarkeitsdaten einfach verlängert wurden.

Für Nina N.* begann der Arbeitstag bis vor ein paar Wochen immer so: Kochuniform anlegen, im Chefbüro den Handdrucker holen und dann in den Kühlraum, MHD-Check machen. „MHD“ ist die in der Gastronomie gängige Abkürzung für Mindesthaltbarkeitsdatum. Nina N. war bis September Küchenchefin in einem Vapiano-Restaurant in München. Zu ihren Aufgaben, erzählt sie, habe gehört, morgens die Aufkleber mit den unternehmenseigenen Haltbarkeitsdaten von den Verpackungen für Fleisch und Gemüse zu knibbeln, mit dem Handdrucker neue Etiketten auszudrucken und diese aufzukleben. Damit die Ware jeweils zwei oder drei Tage länger verarbeitet werden konnte.

Fleisch, das schon mehrere Stunden am Tag zuvor vorne an der Kochstation gelegen hatte, wurde häufiger in neue Tüten umgefüllt und bekam dann einen neuen Aufkleber, behauptet eine Kollegin, die noch bei Vapiano arbeitet. „Dadurch, dass die Waren so oft umetikettiert werden, wussten wir am Ende gar nicht mehr, wie alt sie eigentlich sind.“ Die Folge, sagt Nina N.: „Wenn ich an der Kochstation stand, kamen mir manchmal die Karotten oder Zucchini schon fast aus der Wanne entgegen, die waren dann schon leicht schleimig.“

Die Küchenchefin und neun weitere derzeitige und ehemalige Vapiano-Mitarbeiter aus Berlin, Frankfurt am Main, Hannover, Köln und München haben unabhängig voneinander per eidesstattlicher Versicherung und teils vor der Kamera schwere Vorwürfe gegen die Restaurantkette erhoben. Demnach sind in ihren Filialen immer wieder die vom Unternehmen selbst gesetzten Haltbarkeitsdaten verlängert worden. Dadurch seien auch immer wieder Waren auf den Tellern der Kunden gelandet, die nicht mehr appetitlich aussahen.

Firma erlebte zuletzt Umbrüche

Der „Welt am Sonntag“ liegen Fotos vor, die diese Schilderungen glaubhaft erscheinen lassen. Darauf ist zu erkennen, dass alte Mindesthaltbarkeitsdaten überklebt und durch neue ersetzt wurden: einmal bei Rindercarpaccio, einmal bei frischen Spaghetti. Das jüngste Bild wurde am 10. Oktober in einer Vapiano-Filiale in München aufgenommen. „Es zeigt, dass die Pasta vom 10. auf den 13. Oktober umdatiert wurde. Der Originalaufkleber klebte noch unter dem neuen“, beschreibt die Mitarbeiterin, die das Foto gemacht hat.

Umetikettierung bei Vapiano. Das Foto „zeigt, dass die Pasta vom 10. auf den 13. Oktober umdatiert wurde“, sagt eine Mitarbeiterin
Umetikettierung bei Vapiano. Das Foto „zeigt, dass die Pasta vom 10. auf den 13. Oktober umdatiert wurde“, sagt eine Mitarbeiterin
Quelle: .

Die Erfolgsstory von Vapiano hat in den vergangenen Monaten arge Kratzer bekommen. Mehrfach berichtete die „Welt am Sonntag“ über Probleme bei der Pasta- und Pizzakette. Vapiano betreibt gut 160 Restaurants in Deutschland und anderen Ländern und wächst kräftig. Vor allem bei jungen Kunden ist das Konzept beliebt: eine Mischung aus klassischem Restaurant und Fast Food. An den Kochstationen können die Gäste zuschauen, wie ihr Essen zubereitet wird.

Zuletzt hat die Firma aber Umbrüche erlebt. Anteilseigner Gregor Gerlach, der aus einer Hamburger Hoteliersfamilie stammt, gab den Chefposten im September ab, zudem verließ der Finanzchef das Unternehmen. Unter den Eignern der Firma, die im vergangenen Jahr 385 Millionen Euro Umsatz erzielte, sind die Tchibo-Erben Günter Herz und Daniela Herz-Schnoeckel.

‪Ex-Mitarbeiter werfen Vapiano Lohn-Betrug vor

‪Die deutsche Restaurantkette gilt als ein Vorzeigeunternehmen. Doch jetzt erheben ehemalige Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen den Konzern. Das Unternehmen soll sie systematisch betrogen haben.

Quelle: Die Welt

Für ein Unternehmen, dessen Erfolg auch am guten Ruf hängt, können solche Nachrichten gravierende Folgen haben. Zumindest in manchen Filialen soll Aussagen derzeitiger und ehemaliger Mitarbeiter zufolge mit den Waren deutlich anders umgegangen worden sein, als es die Vapiano-Leitlinien vorgeben.

Zum Beispiel beim Fleisch: Den Vorschriften zufolge soll es, nachdem es einmal in der Vorbereitungsküche aufgetaut und in eine Plastiktüte verpackt wurde, binnen zwei Tagen auf den Teller kommen. Um die Frische zu garantieren, gibt es für jeden Tag eine andere Tüte. „Wenn es dann noch nicht verkauft ist, wurde es aber bei uns noch mal in eine andere Tüte umgefüllt und so um zwei Tage verlängert“, sagt ein Angestellter, der bis Mitte dieses Jahres bei Vapiano arbeitete. In zwei Berliner Filialen seien Lachs, Rind und Feta-Käse noch „ein bis zwei Tage gezogen“ worden, behauptet eine vor Kurzem ausgeschiedene leitende Mitarbeiterin. „Ich habe oft vergammelte Sachen gesehen“, berichtet eine andere ehemalige Angestellte.

Nicht eindeutige gesetzliche Lage

Stimmen die Vorwürfe, dann verstoßen die verantwortlichen Restaurantleiter gegen firmeneigene Qualitätsrichtlinien. Vapiano antwortet in seiner Stellungnahme nicht direkt auf die Frage, ob dem Unternehmen Fälle von Umetikettierungen bekannt seien. Stattdessen verweist die Firma allgemein darauf, dass es für die Frische der Lebensmittel „strenge Regeln“ gebe, die „regelmäßig und engmaschig vom SGS Institut Fresenius überwacht und auditiert“ würden.

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Auch gebe es keinen Grund, umetikettieren zu müssen, da die Lebensmittel stets schnell verbraucht würden – pro Restaurant würden „im Schnitt“ 1000 Gäste pro Tag empfangen. Der Begriff „im Schnitt“ ist offenbar wichtig. Denn die Mitarbeiter, die mit der „Welt am Sonntag“ gesprochen haben, behaupten, dass vor allem in den weniger stark besuchten Filialen, wo die Waren länger lagern, umgeklebt wurde.

Vapiano schreibt auch, Haltbarkeitsdaten zu verlängern, sei technisch gar nicht möglich. Mehrere Mitarbeiter haben jedoch unabhängig voneinander erklärt, wie dies sehr wohl funktioniere: Man drücke auf dem Handdrucker auf „Umgefüllt am“ und gebe dann ein neues Datum ein. Der Hersteller der Drucker bestätigt, dass sich jeder Kunde seine Tasten so belegen könne, wie er es benötige.

Die Nudeln, die wir verkauft haben, hatten manchmal einen grünlichen Schimmer
Ein Mitarbeiter

Die gesetzliche Lage ist in solchen Fällen nicht eindeutig. Grundsätzlich dürfen Gastronomen Lebensmittel, die abgelaufen sind, noch verkaufen, heißt es beim Bundesamt für Verbraucherschutz. Das gilt auch für Haltbarkeitsdaten, die eine Firma sich selbst setzt. Denn gesetzliche Vorgaben, wie lang ein Restaurant aufgetautes Fleisch und frisches Gemüse verkochen darf, gibt es nicht.

Ein Gastronom, erklärt das Bundesamt, muss nach Ablauf eines – selbst gesetzten oder vom Lieferanten vorgegebenen – Haltbarkeitsdatums dafür geradestehen, dass die Ware noch genießbar sei. Gehe der Gastronom aber mit diesem Ermessensspielraum nicht verantwortungsvoll um und landeten gammelige Waren auf den Tellern, sei das ein Fall für die Lebensmittelaufsicht.

„Schieb sie in der Auslage nach vorne“

Glaubt man den Informanten, sollen tatsächlich zuweilen Waren verkocht worden sein, die nicht mehr appetitlich waren. „Die Nudeln, die wir verkauft haben, hatten manchmal einen grünlichen Schimmer“, sagt ein Mitarbeiter aus München. „Der Kunde merkt das nicht, da kommt ja Soße drüber.“ Ein ehemaliger Angestellter in Hannover gibt an, das Hühnchen, das er verkaufte, habe zuweilen „eklig“ gerochen. Ähnliches behauptet ein Ex-Kollege aus Frankfurt. „Da hat dann mein Chef gesagt: Mach einfach den Wok heißer, dann schmeckt man es nachher nicht mehr.“

Auf frischer Tat: Umetikettierung eines Rindercarpaccios bei Vapiano
Auf frischer Tat: Umetikettierung eines Rindercarpaccios bei Vapiano
Quelle: kein credit

Wegwerfen, das sagen mehrere Gesprächspartner unabhängig voneinander, dürfe man die Ware als Mitarbeiter erst dann, wenn es einer der Schichtleiter gestatte. Sonst riskiere man eine Rüge. Ein Angestellter in Köln, der bis vor Kurzem an der Bar arbeitete und dort auch Desserts verkaufte, sagt, er habe häufig die MHDs auf den Gläschen erneuern müssen, in denen die Desserts verkauft wurden. „Fast jeden Tag waren drei oder vier Gläser dabei, deren Inhalt nicht mehr genießbar aussah. Der Chef hat mir dann gesagt: Die sind noch gut, schieb sie in der Auslage nach vorne.“

Bei Nudeln, für die Vapiano bekannt ist, kommt noch ein weiterer Vorwurf hinzu. Das Unternehmen wirbt auf seiner Internetseite mit dem Satz: „Unsere Pasta machen wir täglich frisch“. Das jedoch stimmt so offenbar nicht immer. In ihrer Münchener Filiale, sagen Nina N. und zwei ihrer früheren Kollegen, werde seltener frische Pasta gemacht. „Die Pastamaschine wurde nur zweimal in der Woche benutzt. Da wurden dann jeweils um die 500 Tüten hergestellt. Das MHD betrug 36 Stunden, wurde aber regelmäßig verlängert.“

Aufsichtsbehörden können nur wenig tun

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Laut Lebensmittelgesetz ist es verboten, Lebensmittel mit irreführenden Bezeichnungen in den Verkehr zu bringen. „Frische ist für viele Verbraucher ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Wenn Pasta in der Gastronomie als frisch beworben wird, erwarten Verbraucher sicher nicht, dass sie schon mehrere Tage vorher hergestellt wurde“, sagt Isabelle Mühleisen, Lebensmittelexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW. Ob in diesem Fall eine Täuschung im rechtlichen Sinn vorliege, müsse letztlich ein Gericht entscheiden. Weist ein Unternehmen den Kunden dagegen explizit darauf hin, dass die Pasta vom Vortag stammt, liegt der Fall schon wieder anders. Vapiano beantwortet die Fragen der „Welt am Sonntag“ zur Frische der Pasta nicht.

Die zuständigen Aufsichtsbehörden können in Fällen wie diesem nur wenig tun. Die städtischen Lebensmittelkontrolleure, die regelmäßig Restaurantküchen überprüfen, schauen sich unter anderem an, wie hygienisch es dort zugeht: Läuft Ungeziefer durch die Küche? Gibt es Dunstabzugshauben? Funktionieren die Abflüsse? Wie frisch die Lebensmittel sind, kontrollieren die Aufseher überwiegend per „Inaugenscheinnahme“: Sie riechen an den Lebensmitteln und schauen sie sich an. Und auch das können sie nur stichprobenartig tun.

Ob Mindesthaltbarkeitsdaten verändert wurden, können Kontrolleure kaum feststellen, sagt Michael Jenisch vom in Frankfurt zuständigen Ordnungsamt. Erst vor knapp zwei Wochen hat seine Behörde Vapiano einen unangemeldeten Besuch abgestattet. Ob dort umetikettiert wurde, ließ sich dabei aber nicht feststellen, sagt Jenisch. „Das könnten meine Kollegen ja nur sehen, wenn die abgepiddelten Aufkleber zum Beispiel noch neben der Ware liegen würden.“

Außerdem hätten die Lebensmittelkontrolleure viel zu tun, erklärt Jenisch. „Sie müssen sich auf die Fälle konzentrieren, in denen tatsächlich Verbraucher zu Schaden kommen – auch wenn eine Umetikettierung unter Verbrauchertäuschung fällt und damit auch in unseren Zuständigkeitsbereich gehört.“

„Hygiene Audits“ sollen Tricksereien verhindern

Besteht für die Restaurantleiter im System Vapiano ein Anreiz, den Kunden abgelaufene Waren zu servieren, um an den Einkaufskosten der Lebensmittel zu sparen? Das Unternehmen beantwortet diese Frage nicht. Kalkuliert wird in den Filialen der Kette offenbar so: Die Restaurantleiter legen mit ihren jeweiligen Bezirksleitern fest, wie viel Gewinn das Lokal in den kommenden drei Monaten abwerfen soll. Erreicht der Restaurantleiter das Ziel, erhält er einen Bonus von bis zu 8000 Euro pro Quartal – das geht aus der „Bonusrichtlinie 2014“ hervor, die der Redaktion in Auszügen vorliegt. Bei einem monatlichem Gehalt von 3000 bis 3500 Euro plus Zulagen, auf den ein Restaurantleiter kommen soll, fällt dieser Bonus durchaus ins Gewicht.

Der Bundesverband der Systemgastronomie nimmt sein Mitglied Vapiano in Schutz: „Wenn Sie eine solche Wirkungskette annehmen – Budgetvorgaben machen Sparmaßnahmen beim Essen unumgänglich, und das führt zu verdorbenen Waren auf dem Teller –, machen Sie es sich zu einfach“, sagt Hauptgeschäftsführerin Valerie Holsboer. Denn solche Standards und Prozesse würden ständig überprüft und angepasst.

Eigentlich sollen „Hygiene Audits“, die Vapiano einmal pro Jahr in jedem Restaurant durchführt, Tricksereien verhindern. Die Mitarbeiter sagen jedoch, deren Wirkung verpuffe weitgehend, da die Prüfbesuche mehrere Tage zuvor angemeldet würden. Die Firma bestreitet das – dreimal im Jahr gebe es unangemeldete Hygiene-Audits.

Vapiano sieht auch sein Image nicht beschädigt, von den beschriebenen Fällen wisse man nichts. Das Unternehmen schreibt, es werde weiter seine „nachhaltige Wachstumsstrategie“ verfolgen und wolle bis Ende 2016 auf weltweit rund 200 Restaurants wachsen. „Dabei gilt: Qualität vor Quantität.“

*Name geändert

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