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16.09.2014 | Marketing + Vertrieb | Interview | Online-Artikel

"KMU reden kaum über ihre Vorzüge als Arbeitgeber"

verfasst von: Andrea Amerland

5:30 Min. Lesedauer

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Rund 2,5 Millionen junge Menschen sollen künftig auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Mittelständische Unternehmen, die jetzt nicht ins Employer Branding investieren, werden nicht überleben, so Springer-Autor Wolfgang Immerschitt im Interview.

Springer für Professionals: Mehr als eine Million Stellen blieben Ende 2013 in Deutschland unbesetzt. Welche Auswirkungen hat das auf kleinere Betriebe?

Wolfgang Immerschitt: Jede unbesetzte Stelle bedeutet einen betriebs- und volkswirtschaftlichen Schaden. Der betriebswirtschaftliche zeigt sich durch ungenutzte Wachstumschancen von Betrieben, der volkswirtschaftliche durch ein geringer steigendes Bruttosozialprodukt. Kleinere Unternehmen müssen sich ihrer Stärken bewusst werden und diese auch viel mehr kommunizieren. Ein sehr starkes Argument ist für viele Arbeitnehmer die Nähe des Arbeitsplatzes zum Wohnort, ein anderes der familiäre Umgang miteinander. Flexibles Arbeiten, wenig Bürokratie, direkter Zugang zum Chef sind weitere Vorzüge. Gerade in Krisen kommen Familienbetriebe durch, ohne Mitarbeiter zu kündigen. Aber KMU reden kaum über ihre Vorzüge als Arbeitgeber. Sie sollten das aber unbedingt tun, denn die Arbeitsmarktsituation wird sich mittelfristig dramatisch verändern, weil die jungen Leute fehlen.

Was heißt das konkret?

In Deutschland – um nur eine alarmierende Zahl zu nennen – gab es zur Jahrtausendwende 9,85 Millionen Schüler. In gut fünf Jahren werden es nur noch 7,46 Millionen sein. Die Differenz von fast 2,5 Millionen jungen Leuten kann nie in den Betrieben ankommen, weil es sie einfach nicht mehr gibt. Letztlich kann sich durch die demographische Entwicklung die Situation so dramatisch entwickeln, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sinkt und sogar die Verdrängung aus dem Markt droht. Denn ohne Mitarbeiter hört jedes Unternehmertum auf. Die Ressource Personal wird zunehmend zu einem kritischen Erfolgsfaktor, um den sich jedes Unternehmen intensiv bemühen muss. Das gilt für kleinere Betriebe noch viel stärker als für große.

Warum haben gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) solche Schwierigkeiten, neue, qualifizierte Mitarbeiter zu finden?

Neben dem allgemeinen Fachkräftemangel stehen KMU auf dem Arbeitsmarkt in direktem Wettbewerb mit Konzernen, die über ein zugkräftiges Markenimage verfügen und (scheinbar) attraktivere Konditionen bieten. Die Liste der attraktivsten Arbeitgebermarken führen deshalb traditionell die üblichen Verdächtigen an. Es ist halt cool, im Lebenslauf eine Topadresse stehen zu haben. KMU haben dafür andere Vorteile. Der Systemfehler ist aber, dass mittelständische Unternehmen immer ihr Licht unter den Scheffel stellen. Die Botschaft unseres Buches „Employer Branding für KMU“ lautet daher: Der Mittelstand muss sich um die eigene Arbeitgebermarke kümmern. Die Kosten dafür sind vergleichsweise gering. Aber eine Kosten-Nutzen-Analyse stellen in der Regel nur Unternehmen auf, die massiv um passendes Personal kämpfen, um ihr Wachstum sicherzustellen.

Wie viel muss ein kleines Unternehmen in ein effektives Employer Branding investieren?

Ein bisschen Stoff zum Nachdenken: Für Employer-Branding-Maßnahmen werden laut unseren Erhebungen rund ein bis maximal sechs Prozent der Bruttolohnsumme des jeweiligen Betriebs ausgegeben. Ein Unternehmen aus dem Maschinenbau, das im obersten Feld der Ausgaben liegt, hat für sich errechnet, dass der Nutzen den Aufwand um das Zehnfache übersteigt. Ein anderes Unternehmen aus dem IT-Bereich hat für sich errechnet, dass mit dem Abgang eines guten Mitarbeiters Rekrutierungskosten, Know-how-Verluste und Einschulungsaufwendungen in der Größenordnung von 60.000 Euro entstehen. KMU stellen solche Rechnungen selten an, sie analysieren auch kaum jemals ihre personalrelevanten Kennzahlen. Sie sollten es aber dringend tun, denn die Situation wird nicht einfacher. Vor allem in Branchen mit MINT-Affinität (also solche, die Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker benötigen), im Gesundheitsbereich (Spitäler, Pflegedienstleister) oder im breiten Feld der Dienstleistungsunternehmen und des Tourismus.

Ein weiteres Problem: Die Ansprüche an den Arbeitsplatz sind gestiegen (Work-Life-Balance). Können KMU diese Ansprüche befriedigen und wie?

KMU können diese Ansprüche so gut erfüllen wie Großkonzerne. Sie müssen es nur wollen. Natürlich ist es manchmal aufwendig, wenn Schichten anders als gewohnt eingeteilt werden müssen oder ein Arbeitsplatz auf zwei Personen aufzuteilen ist. Flexibilität bei den Arbeitszeiten hat aber gute Gründe. Viele Menschen wollen Ihre Kinder nicht die ganze Zeit sich selbst überlassen, andere – ein rasant wachsender Anteil – kümmert sich um pflegebedürftige Verwandte. An dieser Stelle möchte ich mich vor allen Frauen verneigen, die diese Leistungen für die Familien und die Gesellschaft in 99 Prozent der Fälle erbringen. Zu Lasten ihrer eigenen Karrierevorstellungen und auf Kosten ihrer Work-Life-Balance.

Der erste Schritt zum Verstehen der Ansprüche – die aus dem familiären Bedürfnis des Kümmerns entstehen – ist, den Mitarbeitern zuzuhören. Dazu sind beispielsweise Mitarbeitergespräche da. Wenn sie strukturiert geführt werden, erhalten die Personalverantwortlichen daraus Hinweise auf Kollisionen zwischen Work und Life. Hier die Balance wieder herzustellen, ist im Interesse des Betriebs. Denn ausgebrannte Mitarbeiter helfen niemandem weiter. Es empfiehlt sich auch, jedes Jahr einmal die Mitarbeiter anonym zu befragen. Große Betriebe tun dies über Markt- und Meinungsforschungsinstitute, für KMU wurde mit www.jobklima.com ein Instrument entwickelt, das diese Mitarbeiterbefragung einfach, anonym und kostengünstig ermöglicht.

Welche Maßnahmen müssen insbesondere KMU ergreifen, um als Arbeitgebermarke gegenüber großen Konzernen zu punkten?

Jedes Unternehmen hat Kontaktpunkte mit ihrer Arbeitgebermarke. Diese Kontaktpunkte entstehen in der Rekrutierungsphase, in der Phase der Mitarbeiteraufnahme („Onboarding“) und letztlich in der Bindungsphase. Ein paar Beispiele dazu: Viele KMU haben keine ordentliche Karriere-Website. Sie sagen den Bewerbern also nicht, wer sie sind, was sie bieten und was sie erwarten. Geschweige denn zeigen sie in einem kurzen Video, wie es hinter den Werksmauern so aussieht. Das Problem setzt sich dann auch bei der Rekrutierung über Stellenanzeigen, der Zusammenarbeit mit Schulen oder Hochschulen und der Medienarbeit fort. Mittelständische Betriebe blenden das Thema Personal gänzlich aus.

Welche Fehler machen KMU am häufigsten?

In der Onboardingphase werden bei KMU die neuen Mitarbeiter häufig ins kalte Wasser geworfen. Niemand zeigt ihnen, wie es läuft, geschweige denn, wie die internen Seilschaften verknüpft sind. In ganz schlimmen Fällen werden die neuen Kollegen mit den stumpfsinnigsten Arbeiten zugeschüttet, erhalten die unbeliebtesten Dienstzeiten zugeteilt oder müssen erst einmal eine Zeit lang warten, ehe sie über einen eingerichteten Arbeitsplatz verfügen können. Wenn diese lange gesuchten Mitarbeiter dann in der Probezeit wieder gehen, ist es Zeit, an Änderungen zu denken. In der Phase der Mitarbeiterbindung sollte das Augenmerk auf die interne Kommunikation, die allgemeine Unternehmenskultur, die Work-Life-Balance, Mitarbeitergespräche und vor allem die Mitarbeiterführung durch die direkten Vorgesetzten gelegt werden. Denn aus „Exit-Polls“ (wie man Befragungen nach der Stimmabgabe bei Wahlen nennt) ist bekannt, dass der Kündigungsgrund Nummer eins immer der unmittelbare Vorgesetzte ist.

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