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Deutschland Straßburger Urteil

Kopftuch tragen zählt nicht zu den Menschenrechten

Ist ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen religiöse Diskriminierung? Im Fall Frankreich bekräftigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat Ist ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen religiöse Diskriminierung? Im Fall Frankreich bekräftigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat
Ist ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen religiöse Diskriminierung? Im Fall Frankreich bekräftigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat
Quelle: dpa
Wer für den französischen Staat arbeitet, darf sich nicht verhüllen oder verschleiern, bestätigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Das Urteil könnte Signalwirkung für Deutschland haben.

Was wiegt schwerer – die Religionsfreiheit oder das Neutralitätsgebot für Staatsbedienstete? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat entschieden: Die Interessen des Staates sind wichtiger.

Allerdings bezieht sich der Richterspruch auf den Fall einer Krankenhausangestellten in Frankreich. Und dort ist anders als in Deutschland im ersten Artikel der Verfassung klar festgehalten: Der Glaube ist ausschließlich Privatsache – und deshalb auch im Privaten zu halten. Diese strikte Trennung von Kirche und Staat, der sogenannte Laizismus, gehört regelrecht zu den Grundpfeilern der französischen Nation.

Religion hat nicht nur keine staatliche, sondern auch keine öffentliche Funktion. Religiöse Symbole oder Bekenntnisse sind für Staatsdiener, wie es die in einem Krankenhaus angestellte Sozialarbeiterin war, tabu. Sogar Schüler dürfen im Klassenzimmer weder Kreuz noch Kopftuch oder Kippa tragen; ja, sie dürfen nicht einmal nach ihrer Konfession befragt werden.

Außenansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg
Außenansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg
Quelle: picture alliance / Bildagentur-o

Verhandelt wurde in Straßburg die Klage der 1951 in Frankreich geborenen Christiane E., die diesen Verfassungsgrundsatz nicht akzeptieren wollte. Sie war mit einem Zeitvertrag in der psychiatrischen Station eines Krankenhauses nahe Paris beschäftigt. Obwohl es Beschwerden von Patienten über ihr Kopftuch gab, wollte sich die Sozialarbeiterin bei der Arbeit unbedingt weiter verhüllen, um ihrem muslimischen Glauben Ausdruck zu geben. Deshalb war ihr Vertrag schließlich nicht weiter verlängert worden. E. klagte vor diversen Gerichten bis hin zum Menschenrechtsgerichtshof. Doch auch dort ist die Frau nun unterlegen.

Die europäische Menschenrechtskonvention garantiere zwar die Religionsfreiheit. Doch gebe es in diesem Fall keine Möglichkeit, die Interessen beider Parteien – hier Neutralitätsgebot, dort Kopftuch als Ausdruck muslimischen Glaubens – zu vereinbaren, lautete die Begründung der Richter. In diesem Fall sei der Anspruch des Staates auf Neutralität und Unparteilichkeit höher zu bewerten.

Der Menschenrechtsgerichtshof will nach eigenem Verständnis keine Politik machen. In ihrer Begründung betonen die Richter auch ausdrücklich, es sei nicht ihre Aufgabe, über das französische Modell des strikten Laizismus zu urteilen. Aber mit Blick auf die Grundsätze der französischen Verfassung und Entscheidungen höchster Gerichte im Land hätte sich die Klägerin im Klaren sein müssen, welche Konsequenzen ihr drohten, wenn sie ihr Kopftuch weiter trage. Der Staat habe das legitime Recht genutzt, seine Verfassungsgrundsätze durchzusetzen.

Muslimische Lehrerin klagt in Berlin

Womöglich hat die Entscheidung aus Straßburg Signalwirkung auch für Deutschland. Denn hier gibt es seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2015 einen drängenden, rechtlichen Konflikt. Im Frühjahr 2016 wird sich das Berliner Arbeitsgericht erst mal damit auseinandersetzen müssen, ob und inwiefern das Neutralitätsgesetz eines Bundeslandes – in diesem Fall von Berlin – mit der deutschen Verfassung vereinbar ist.

Lehrerinnen darf Kopftuch nicht pauschal verboten werden

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden: An deutschen Schulen darf es kein pauschales Kopftuchverbot mehr geben. Zwei Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen hatten geklagt.

Quelle: N24

Die Karlsruher Richter hatten Anfang des Jahres entschieden, dass der Staat muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern nicht pauschal und vorsorglich verbieten dürfe. Erst wenn der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität konkret und nachweislich gefährdet seien, könnten religiöse Bekundungen in öffentlichen Schulen untersagt werden.

Die Grundsatzentscheidung betraf acht Bundesländer, darunter Berlin, in denen entsprechende Verbotsgesetze galten. Der Berliner Senat hat sich aber entschlossen, dennoch an dem Neutralitätsgesetz festzuhalten. Dagegen laufen Organisationen wie das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan) oder das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg Sturm. Sie unterstützen nun auch eine muslimische angehende Lehrerin, die das Land Berlin auf Entschädigung verklagt. Der Fall kommt am 14. April 2016 vor das Arbeitsgericht.

Anwältin: Kopftuchverbot benachteiligt Frauen

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Laut „Tagesspiegel“ kritisiert die Klägerin, sie sei wegen ihres Kopftuchs bei einer zentralen Bewerberrunde benachteiligt und damit wegen ihres Glaubens diskriminiert worden. Ihre Bewerbung sei mit dem Hinweis auf das geltende Neutralitätsgesetz abgelehnt worden. Damit habe Berlin das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Recht auf Religionsfreiheit verletzt.

Das Berliner Neutralitätsgesetz untersagt Lehrern, Polizisten und Juristen das Tragen religiöser Symbole. Dazu gehören auch jüdische Kippas oder Kreuze. Doch das, findet das Inssan-Netzwerk, sei keine haltbare Situation. „Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde das Berliner Neutralitätsgesetz ausdrücklich beibehalten und damit geltendes höheres Recht übergangen“, kritisiert Nina Mühe von Inssan und fordert das Land Berlin auf, das Gesetz zu streichen.

Als ein Argument will die Anwältin der jungen Lehrerin vorbringen, dass faktisch nur muslimische Frauen mit Kopftuch in ihren Rechten auf Religions- und Berufsfreiheit eingeschränkt werden. Die pauschale Ablehnung der Kopfbedeckung im Schuldienst benachteilige Frauen, findet Anwältin Maryam Haschemi.

Buschkowsky: Gerichte haben „keine Ahnung“

An der Entscheidung des Verfassungsgerichts hatte es aber auch harsche Kritik gegeben, unter anderen vom Ex-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), einem erfahrenen Praktiker. Der Richterspruch transportiere eine „völlig falsche Botschaft“ zulasten der liberalen Muslime in Deutschland, sagte Buschkowsky im Deutschlandfunk. Demnach habe die Frau „zu gehorchen, sie hat rein und devot zu sein, und sie ist das Eigentum ihres Mannes“. Die Richter hätten „keine Ahnung“, wie es in Gebieten wie etwa Neukölln zugehe.

So denken Neuköllner über den Kopftuchstreit

Der Fall der muslimischen Juristin Betül Ulusoy aus Berlin hat für Aufregung gesorgt. Es geht um Neutralität versus Religionsfreiheit. Reporter Henrik Neumann wollte wissen, was die Neuköllner meinen.

Quelle: Die Welt

Ohne Not habe das oberste deutsche Gericht eine Säule der Gesellschaft geschleift, wonach staatliches Handeln wertneutral zu sein habe, kritisierte Buschkowsky. „Das Gericht hat gesagt: Die Wertneutralität staatlichen Handelns übt keine normative Funktion aus, sondern ist eher eine offene Haltung.“ Das sei für ihn unverständlich.

Frankreichs Gerichte hingegen haben häufig und auf allen Ebenen anders entschieden. Für einen dieser Fälle haben die Gerichte nun vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eine Bestätigung bekommen. Doch auch schon zuvor war der Staat Frankreich in Straßburg als Sieger aus dem Gericht gezogen. 2014 hatten die Richter das 2010 erlassene französische Burka-Verbot abgesegnet.

Wer in der Öffentlichkeit eine Burka trägt, dem droht in Frankreich ein Bußgeld von 150 Euro. Das sei kein unzulässiger Eingriff in Menschenrechte, urteilte der Gerichtshof und verwies auf den „großen Entscheidungsspielraum“ der europäischen Länder. Das Argument der französischen Regierung, dass Bürger ihr Gesicht nicht verschleiern sollten, um ein gutes gesellschaftliches Miteinander zu ermöglichen, sei legitim.

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