25 Jahre Männerschwarm Verlag

"Wir sind im Buchhandel kaum noch präsent"

Detlef Grumbach, Geschäftsführer des Männerschwarm-Verlags
Detlef Grumbach, Geschäftsführer des Männerschwarm-Verlags © Jens Wormstaedt
Detlef Grumbach im Gespräch mit Joachim Scholl · 08.01.2018
Mit den Comics von Ralf König hatte der Männerschwarm-Verlag in den 1990er-Jahren einen Riesenerfolg. Seitdem ist der Verlag eine feste Größe für Literatur für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle. Zum 25-jährigen Bestehen warnt Geschäftsführer Detlef Grumbach vor einem gesellschaftlichen Rollback.
Joachim Scholl: Kürzlich haben in der Frankenstraße 29 in Hamburg vermutlich die Korken geknallt, denn dort residiert der Verlag Männerschwarm seit nunmehr genau 25 Jahren, und mitgegründet hat ihn Detlef Grumbach. Er ist einer der beiden Geschäftsführer, mit seinem Kollegen Joachim Bartholomae schmeißt er den Laden, und ist jetzt im Studio. Guten Morgen nach Hamburg, Herr Grumbach!
Detlef Grumbach: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Glückwunsch nachträglich! Haben Sie schön gefeiert?
Grumbach: Wir haben ein bisschen gefeiert. Wir haben vor allen Dingen im Schmidtchen auf der Reeperbahn die Sektkorken knallen lassen und haben da eine rauschende Ballnacht gefeiert mit einem wunderbaren Programm.
Scholl: Und sicherlich dann auch zurückgeblickt und Bilanz gezogen. Wie fällt die denn aus, Herr Grumbach? Younger than ever, Miss Sophie, oder Glück gehabt, dass es uns noch gibt?
Grumbach: Glück gehabt, dass es uns noch gibt und dass es 25 Jahre brauchte, um zum Beispiel mal im Deutschlandradio Kultur vorzukommen, –
Scholl: Och nee, sagen Sie nicht, dass Sie noch nie bei uns waren!
Grumbach: – unsere Bücher und wir. Zumindest kann man die Male wahrscheinlich an einer halben Hand abzählen, aber wir wollen ja nicht insofern … Nein, wenn ich zurückblicke, kann ich sagen, als wir uns 92 gründeten, war es natürlich eine ganz andere Zeit, und es war eine große Offenheit und auch eine Neugier. Bei den Medien etwas rückhaltender, aber auch im Buchhandel.
Es war einfach was Neues, und bei allem Fortschritt, den man …, was die Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Transsexuellen, Transidenten, Bi und was es alles gibt, seit den 90er-Jahren, was wir da erreicht haben, muss man sagen, dass das Buchsegment eigentlich immer stärker an den Rand gedrängt worden ist und wir heute im Buchhandel eigentlich kaum noch präsent sind. Muss man bitter so sagen.

Der Hype um Ralf König

Scholl: Da sind wir schon bei einem Problem, das wir vielleicht noch einen Moment vertagen, Herr Grumbach. Einen guten Start hatten Sie ja Anfang der 1990er-Jahre mit den schwulen Comics von Ralf König. Die wurden ja schnell Kult. Sind das eigentlich bis heute. Wie wichtig war denn dieser kommerzielle Erfolg gleich zu Beginn für so einen kleinen Verlag? War wahrscheinlich ziemlich wichtig?
Comiczeichner Ralf König signiert in Brüssel eine von ihm gemachte Wandmalerei. 
Comiczeichner Ralf König © picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq
Grumbach: Der war die Voraussetzung. Ralf König ist ja mit dem "Bewegten Mann" wirklich zum –
Scholl: Superstar geworden.
Grumbach: – Star der internationalen Comicszene … und ist 92 mit dem Comic "Bullenklöten" noch zum Buchladen Männerschwarm gegangen, da gab es noch gar keinen Verlag. Da wollte er was Kleines, Schönes machen und sagen, das sollte jetzt nur für die schwule Szene sein, das macht er im Buchladen Männerschwarm sozusagen verlegerisch, und das soll nur über die schwulen Buchläden verkauft werden, aber der Hype auf König war natürlich so groß, dass im ersten Jahr, glaube ich, 50.000 verkauft worden sind und insgesamt, was weiß ich wie viele, über 100.000, und der Buchladen Männerschwarm, zu dem ich damals gar nicht gehörte, hat dann gesagt, so, was machen wir denn mit dem Geld, tragen wir es zum Finanzamt oder machen wir was Sinnvolles damit, und dann ist die Entscheidung gefallen, wir gründen einen Verlag, und in dem Moment bin ich dazugekommen.
Der Verlag hatte eben damals auch eine gewisse Berechtigung und Notwendigkeit darin, wenn Sie sich erinnern, die 80er-Jahren waren geprägt von der Aids-Krise, und viele Schwulenaktivisten sind in die Aidshilfe-Bewegung gegangen, und schwulenpolitisch …, also Aids stand auf der Tagesordnung, und jetzt im engeren Sinne schwulenpolitisch herrschte Brachland, war Brachland, und da wollten wir wieder ein bisschen neuen Schwung in die Debatte bringen, und das ist uns auch gelungen, aber mit Ralf König im Rücken sozusagen. Die ersten zehn Jahre waren bestimmt die König-Comics …
Scholl: Wie engstirnig die Zeiten damals noch waren, das zeigen ja auch die juristischen Schritte, die damals das bayerische Bundesjugendamt eingeleitet hat gegen die Veröffentlichung der König-Comics.
Grumbach: Sie sind ein Pessimist, wenn Sie schon vom bayerischen Bundesjugendamt sprechen! Es war das Landesjugendamt, aber …
Scholl: Gut, okay, aber es war schon heikel.
Grumbach: Ja, aber … Na ja, die Schiedsstelle der Bundesprüfstelle, die hat ja entsprechend gesprochen und beurteilt, und in der "FAZ" war damals zu lesen, dass das Gutachten der Bundesprüfstelle ja eine Empfehlung eigentlich sei.

Führender Verlag für homosexuelle Literatur aus Skandinavien

Scholl: Wie hat sich denn, Herr Grumbach, die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 25 Jahre ausgewirkt auf ihr Programm? Sie haben ja schon auch gesagt, 92, das war noch eine andere Zeit. Ich meine, mittlerweile haben wir doch einige gesetzliche Liberalisierungen, die sich schließlich schon bemerkbar machen in unserer Gesellschaft: die Gleichstellungsschritte, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und die immer doch ja, würde ich schon sagen, zunehmende Sensibilität für Diskriminierung von Schwulen, Lesben und Transgender. Ist das Leben nicht leichter geworden und vielleicht auch sozusagen dann die Programmatik für Ihren Verlag?
Grumbach: Natürlich hat sich wahnsinnig was verändert und natürlich ist das Leben leichter geworden. Unser Programm hat sich geweitet. Wir machen ja heute einen großen Teil auch Übersetzungen im Literarischen aus dem Englischen, Amerikanischen, aus skandinavischen Ländern. Wir sind ja der führende Verlag für homosexuelle Literatur aus Skandinavien – das weiß man gar nicht – mit Autoren wie Herman Bang zum Beispiel, dessen Debüt wir gemacht haben, seine schönen Geschichten, die man als Idylle lesen kann. Wir haben damals gefragt, habt ihr eigentlich auch die "Hoffnungslosen Geschlechter" auf dem Zettel? Das wollten sie nicht, das war das Debüt, wo man eigentlich sehr schön ablesen kann, wie ist ein Autor wie Bang zu dem geworden, was er ist, und das ist ein Roman, der hat einen Skandal hervorgerufen. Da hat es Prozesse gegeben, der ist verboten worden.
Scholl: Herman Bang, sagen wir noch mal, Literatur der Jahrhundertwende, also um 1900.
Grumbach: Ja. Bis 1912, da ist er gestorben. Und diesen Roman "Hoffnungslose Geschlechter", den haben wir zum Beispiel rekonstruiert, wir haben sozusagen die unzensierte Fassung, die Originalfassung, die zu diesen Prozessen geführt hat, bei uns im Verlag wieder neugemacht. Nein, jetzt bin ich schon wieder von Ihrer Frage abgekommen. Was hat sich verändert? Wenn man sich anguckt, was wir an junger deutscher Gegenwartsliteratur machen, dann drückt die natürlich ein ganz anderes Lebensgefühl aus als das von vor 25 Jahren. Wir haben den Berliner Autor Marko Martin, den man ja auch aus Ihrem Programm kennt –
Scholl: Geschätzter Kollege.
Grumbach: – mit seinen Geschichten. Das ist ein Kosmopolit, der durch die Welt reist nicht nur mit offenen Augen, mit offenen Sinnen und über seine Erfahrungen erzählt. Nein, da hat sich eine ganze Menge getan, und wenn man sich jetzt aber anguckt, was wir in der Geschichte gemacht haben, sozusagen im politischen Sachbuch, wir haben uns anfangs, und machen das auch immer noch, sehr intensiv mit Geschichte, mit Verfolgungsgeschichte beschäftigt: schwule Männer im KZ Sachsenhausen, was weiß ich, Nationalsozialismus, wir haben eine Reihe "Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 45" im Programm, was dann mit den 50er-Jahren anfängt und so weiter und so fort. Das ist das eine, dass wir davon ein bisschen …, dass wir nicht mehr nur so stark in die Geschichte gucken. Das tun wir immer noch, aber wir müssen auch trotz dieser Erfolge in die Gegenwart gucken. Wenn Sie sich die politischen Debatten der letzten Jahre angucken, das Aufkommen dieser besorgten Eltern, die "Demos für alle" veranstalten und damit nicht für alle demonstrieren, sondern dagegen, dass Schwule, Lesben, Transgender, Transidente, Bisexuelle, Queers im Schulunterricht vorkommen, dann ist das ja schon bemerkenswert, und man kann an diesen Entwicklungen ablesen, dasselbe wie in der Flüchtlingsfrage und in anderen gesellschaftspolitisch im Moment ja spannenden Fragen, was von rechts außen angestoßen wird, von der AfD protegiert wird, kommt irgendwann in der Mitte der Gesellschaft, im Bund Bayern an.
Die Parole der AfD: Genderideologie wollen wir nicht, Genderwahn an deutschen Schulen, Horst Seehofer, lesen Sie die "Zeit" von Silvester: CSU will keine Genderideologie im Unterricht. Also die Positionen sickern ein, und ich weiß es nicht persönlich, ob die Schwulen-, Lesben-, Transbewegung auf einen Rollback vorbereitet ist, ob wir überhaupt Strategien entwickeln, wie wir bei all den rechtlichen Fortschritten, über die wir uns gefreut haben, dafür sorgen, dass auch bewusstseinsmäßig wirklich es nachhaltig und tiefgründige Veränderungen gibt, dazu haben wir zum Beispiel im letzten Jahr ein Buch gemacht, wo wir diese Parole "Demo für alle" aufgegriffen haben, setzen allerdings Punkte dahinter. Wir meinen das ernst mit dem "für alle". Im Untertitel heißt es dann "Homophobie als Herausforderung", ein Debattenband, wo die aktuellen schwulen- und lesben- und transpolitischen Fragen diskutiert werden, wie sind wir vorbereitet, was kann uns blühen, wo sind unsere Strategien in einer Situation, wo der Wind uns wieder entgegenbläst. Wir müssen ja nur nach Osteuropa gucken und sonst wohin. Wir sind ja auf einer Insel der Seligen hier mittlerweile.

"Die Auflagen werden immer niedriger"

Scholl: Wir haben in der vergangenen Woche, Herr Grumbach, hier in der "Lesart" über den Schwund an Buchkäufern diskutiert, also dass Käufer eigentlich immer weniger werden, kaufen aber umgekehrt mehr Bücher, so bleiben die Umsatzzahlen zwar einigermaßen stabil, und dennoch ist es ein Trend, der an Rückgang also gerade auch die kleinen Verlage trifft, die Nischen viel härter als die Großen. Spüren Sie das eigentlich auch?
Grumbach: Ja, klar. Die Auflagen werden immer niedriger. Ich sagte eingangs schon, wir sind im Buchhandel kaum noch präsent. Es ist heutzutage ein Balanceakt, aber das hat jetzt nichts mit unserer thematischen Ausrichtung zu tun, das ist wirklich … Das geht allen kleinen Verlagen so. Der große Buchhandel Thalia und die Ketten waren von Anfang an stromlinienförmig, sie haben aber viel an kleiner Buchhandelsstruktur auch plattgemacht in den letzten zehn, fünfzehn Jahren, und da ist nicht mehr viel. Heute steht man wirklich vor dem Problem, dass die Bücher ja von vielen kleinen Verlagen – denken Sie an die Kurt-Wolff-Stiftungsverlage, wo wir auch ja im Freundeskreis der Kurt-Wolff-Stiftung präsent sind –, die haben heute es sehr schwer, überhaupt in den Buchläden präsent zu werden. Wenn Sie solche Studien zitieren, dann wissen Sie auch, die meisten Buchkäufe finden auf die Art und Weise statt, dass jemand in eine Buchhandlung geht und sich umguckt, die Auslagen anguckt, fünf Bücher, die nimmt er in die Hand, und eins kauft er davon. Und wenn dann unsereins da seine Bücher nicht hinlegen kann, dann kauft auch niemand die Bücher. Man findet uns natürlich im Netz. Also das ist die andere Seite. Wer weiß, dass es uns gibt und wissen will, was wir machen, der findet uns, und das ist ja auch nicht schlecht.
Scholl: So, Herr Grumbach, Geburtstagskinder dürfen sich was wünschen, und in Ihrem Fall wären es vielleicht Leserkäufer welches besonders interessanten neuen Buches, das Sie aktuell im Programm haben, eins sollen Sie uns empfehlen. Okay?
Grumbach: Eins empfehle ich jetzt dann: Ich empfehle Ihnen Paul Russell. Paul Russell ist ein amerikanischer Autor, den wir entdeckt haben über einen biografischen Roman über Sergej Nabokow. Das ist der kleine Bruder, der schwule Bruder, der stotternde, fast verstummende Bruder von Vladimir Nabokow, und der ist 45 bei Hamburg im KZ Neuengamme ums Leben gekommen, ist entsprechend – also 1900 geboren – nur 45 Jahre alt geworden, aber dieser biografische Roman über diesen Sergej Nabokow gibt einem wunderbare Einblicke in das Leben in Sankt Petersburg bis zur Russischen Revolution und dann durch die russischen Exilgemeinden, erst mal Berlin, und dann ist er als Korrespondent einer russischen Zeitung nach Paris gegangen und ist dort in Paris in die Boheme eingetaucht und war im Salon von Gertrude Stein und so weiter und so fort, ein österreichischer Industriellensohn hat ihn sich geangelt und auf ein Schloss nach Österreich mitgenommen, und da haben die Nazis dann die beiden erwischt, und über diesen Roman sind wir eben … Wir haben gedacht, Mensch, das ist ein tolles Buch, was schreibt denn der sonst noch, und haben gleich, was für einen kleinen Verlag wie uns mutig ist, zwei weitere Bücher, die Rechte eingekauft. Im Herbst haben wir den Roman "Brackwasser" gemacht. Das ist ein Roman, eine Dreierkonstellation, zwei junge Männer, eine Frau, beste Freunde, ein Dream-Team, alles unzertrennlich, und dann kommt der junge Gott, wie "Teorema" …
Scholl: Herr Grumbach, Sie Filou, jetzt sind Sie schon beim zweiten Buch. Wir müssen leider …
Grumbach: Aber bei einem Autor!
Scholl: Clever Trevor! Herr Grumbach, es war nett, mit Ihnen zu plaudern! Vielen Dank! Wir haben auch Ihren Tipp im Ohr, das ist wirklich eine verheißungsvolle Geschichte. 25 Jahre Männerschwarm-Verlag in Hamburg. Herr Grumbach, Detlef Grumbach, vielen Dank für Ihren Besuch, alles Gute für hoffentlich viele, viele weitere Jahre!
Grumbach: Bitte schön! Und rezensieren Sie unsere Bücher!
Scholl: Wir nehmen es uns zu Herzen! Danke schön!
Grumbach: Danke!
Schol: Tschüss nach Hamburg!
Grumbach: Ciao!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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