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Ausland Syrien-Krieg

Greift Assad jetzt die Kurden an?

Korrespondent für Kriegs- und Krisengebiete
Dem syrischen Machthaber treu ergeben: Soldaten bei einer Flaggenzeremonie im Süden der Hauptstadt Damaskus mit Fotos von Baschar al-Assad Dem syrischen Machthaber treu ergeben: Soldaten bei einer Flaggenzeremonie im Süden der Hauptstadt Damaskus mit Fotos von Baschar al-Assad
Dem syrischen Machthaber treu ergeben: Soldaten bei einer Flaggenzeremonie im Süden der Hauptstadt Damaskus mit Fotos von Baschar al-Assad
Quelle: AFP
Das Regime von Baschar al-Assad steht so gut da wie lange nicht, zwei Drittel Syriens sind unter seiner Kontrolle. Nun will der Machthaber den Rest des Landes zurückerobern: erst die Provinz Daraa – und dann das von Kurden beherrschte Gebiet.

Zu Tausenden flatterten die Flugblätter vom Himmel auf Daraa nieder. „Die Männer der syrischen Armee kommen“, konnten die Bewohner der Stadt im Südwesten Syriens darauf lesen. „Entscheidet euch, bevor es zu spät ist!“ Ein Schreiben, wie es das syrische Regime vor jedem Großangriff auf belagerte Oppositionsgebiete abwirft.

Für die Menschen von Daraa war die Warnung vermutlich keine Überraschung. Sie hatten 2011 als Allererste gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad protestiert und damit die Revolution in Syrien ausgelöst. Die gleichnamige Provinz ist heute eines der letzten von der Opposition kontrollierten Territorien in Syrien. Die anderen Rebellengebiete liegen in Idlib, im Norden des Landes, und jenseits des Ostufers des Euphrat bis zur irakischen Grenze. Daraa hat allerdings besondere strategische Bedeutung: Die Provinz liegt an der Grenze zu Jordanien und Israel.

Wie ernst es das Regime mit der Eroberung Daraas meint, zeigt die Entsendung von mehreren Elitetruppen, darunter Einheiten der Präsidentengarde sowie die berüchtigten Tiger-Einheiten, eine auf militärische Offensiven spezialisierte Spezialtruppe. Das Regime kann sich diesen Großeinsatz leisten, nachdem alle Rebellenmilizen aus der Hauptstadt Damaskus vertrieben worden sind. Damit beherrscht Assad zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs alle wichtigen Metropolen des Landes. Insgesamt sind zwei Drittel Syriens fest in seiner Hand. Und jetzt greift er nach dem Rest.

Quelle: Infografik Die Welt

Vor zwei Monaten hatten die USA zusammen mit Frankreich und Großbritannien den Machthaber noch mit einem Militärschlag für die Giftgas-Attacke auf die Stadt Duma bestraft. Aber seitdem ist nichts mehr geschehen. Assad wurde von seinen Gegnern als „Schlächter des eigenen Volkes“ tituliert, Politiker aus aller Welt hatten seit Beginn des Krieges immer wieder seinen Sturz gefordert. Aber nach sieben Jahren Bürgerkrieg mit mehr als 400.000 Toten und elf Millionen Flüchtlingen im In- und Ausland lässt man Assad stillschweigend gewähren.

Warum? Natürlich hat er die Rückendeckung seiner beiden wichtigen Verbündeten, des Iran und vor allem der Weltmacht Russland. Aber das ist nicht der einzige Grund: Zu Assad ist derzeit schlichtweg keine Alternative in Sicht. Die islamistische Opposition hat sich als politische Führungskraft selbst diskreditiert.

„Sobald die Tiger-Einheiten komplett in Stellung gegangen sind, wird der Angriff auf Daraa beginnen“, schrieben regierungsnahe Medien in Syrien. Das könne in einigen Tagen der Fall sein. Die Eroberung Daraas als Geburtsort der Revolution wäre für das Regime von hoher symbolischer Bedeutung. „Aber es ist auch eine Sicherheitsfrage für Assad“, sagt Nicholas A. Heras, Analyst beim Center for a New American Security in der US-Hauptstadt Washington. „Der Südwesten des Landes ist sehr nah an Damaskus, und Feinde könnten von dort sehr leicht eine Offensive auf die Hauptstadt starten.“

Hinzu kommt: Von Daraa sind es nur 13 Kilometer bis zum Grenzübergang zu Jordanien; dieser wird derzeit von Freischärlern beherrscht, die gegen die jordanische Regierung kämpfen. Für Syriens Regime ist er imminent wichtig: Mit dem Handel ins haschemitische Königreich könnte die vom Bürgerkrieg schwer angeschlagene Wirtschaft angekurbelt werden.

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Assad braucht den Südwesten Syriens, um seine wiedergewonnene Macht zu konsolidieren und auszubauen. Allerdings haben die USA Damaskus vor Militäraktionen gewarnt und bei einem Angriff „harte Maßnahmen“ angedroht. Daraa liegt in einer Deeskalationszone, in der ein Waffenstillstand herrschen soll. Das war 2017 zwischen Russland, Amerika und Jordanien ausgehandelt worden.

Innerhalb dieses Kreises dürfte nun auch entschieden werden, ob die USA ihre Drohung wahrmachen. Denn da ist noch die Frage, was mit den schiitischen Milizen passiert, die im Süden Syriens stationiert sind und von Teheran befehligt werden. Sie stellen eine Bedrohung für Israel dar: Schon einmal haben sie die Golanhöhen beschossen und damit einen Gegenschlag der isaelischen Armee provoziert.

Assad-Regime macht Israel für Angriffe verantwortlich

In Syrien sind Stützpunkte der Regierungstruppen und iranischer Milizen mit Raketen beschossen worden. Das Assad-Regime macht Israel dafür verantwortlich. Mehr als 20 Menschen wurden dabei getötet.

Quelle: WELT

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Laut diplomatischen Quellen soll es bereits die Idee für einen Deal mit Russland über diese Iran-treuen Milizen geben: Sie ziehen sich aus dem Süden Syriens zurück – und im Gegenzug dafür soll der Weg frei sein für eine Offensive von Assads Armee in der Rebellenregion.

Für Washington könnte das durchaus ein akzeptabler Deal sein. Ein offener Krieg zwischen Israel und dem Iran in Syrien würde vermieden – und eine solche Abmachung könnte mit der außenpolitischen Linie der Regierung von US-Präsident Donald Trump in Einklang gebracht werden: Diese will nach der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran Einflusszonen Teherans minimieren. Dass Assad in diesem Fall zum Nutznießer wird, spielt für das Weiße Haus wohl keine Rolle: Trump würde sich am liebsten so schnell wie möglich aus der Innenpolitik Syriens verabschieden und den Diktator Diktator sein lassen.

Assad wiederum denkt bereits – über die geplante Daraa-Offensive hinaus – an den nächsten Schritt, um seine Position zu stärken. In einem Interview mit dem russischen Propagandasender RT erläuterte er, wie er das größte Gebiet Syriens außerhalb seiner Kontrolle zurückgewinnen wolle: die hauptsächlich von Kurden bewohnte Region östlich des Euphrats. Sie umfasst etwa ein Drittel des Landes. Dort hat sich eine Föderation gebildet – mit einer basisdemokratischen Regierung und einer Armee, die sich Syrische Demokratische Kräfte (SDF) nennt. Die SDF werden von den USA unterstützt, weil sie dort die effizienteste Kraft im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat sind.

„Wir werden zuerst verhandeln“, kündigte Assad an. „Schließlich sind sie Syrer und wollen nur das Beste für ihr Land.“ Für den Fall, dass diese Gespräche scheitern sollten, drohte der Präsident aber mit Gewalt: „Es ist selbstverständlich, dass wir uns einen Teil unseres Landes nicht nehmen lassen und ihn zurückerobern.“ Dabei wolle er keine Rücksicht auf die US-Schutzmacht nehmen: „Früher oder später muss Amerika abziehen und einsehen, dass es in Syrien nichts verloren hat.“

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Assad ist selbstbewusst wie lange nicht mehr. Aus den Jahren des Bürgerkriegs scheint er nichts gelernt zu haben: Mehrmals stand der Präsident kurz vor der Niederlage – ihn retteten zunächst die Hilfe des Iran und später die russische Militärintervention. Dennoch scheinen Assad und sein Machtapparat keinen Sinn für Kompromisse entwickelt zu haben.

Erst letzte Woche wies Damaskus einen russischen Vorschlag zurück, der darauf abzielte, Befugnisse des Präsidenten einzuhegen: Die Regierungsgewalt sollte dezentralisiert werden und die Amtszeit auf zwei Perioden beschränkt. Das hätte eine politische Lösung des Konflikts erleichert. „Nur hat Assad daran kein Interesse“, sagte ein syrischer Oppositionspolitiker, der sich im türkischen Istanbul aufhält.

Der syrische Präsident unterscheidet offenbar nur zwischen Verbündeten und Feinden. Das ist wie bei den Flugblättern für die Bewohner von Daraa: Es gibt nur die Wahl zwischen Kapitulation und Tod.

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