Identitätskrise :
Die deutschen Chefs zweifeln an sich selbst

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Die Digitalisierung könnte dazu führen, dass neue Chef-Typen gebraucht werden.
Führungskräfte sollen Leitwölfe sein und die Mannschaft führen – oder? Eine neue Umfrage unter Chefs stimmt skeptisch. Haben die keine Lust mehr, den Ton anzugeben?

Früher war das Ziel klar: Wer Karriere machen wollte, der strebte eine Chefposition an. Macht, Status und Geld – das zählte in der Unternehmenswelt. Seit einiger Zeit aber mehren sich die Hinweise darauf, dass viele Deutschen keine Lust mehr darauf haben, Chefs zu werden und dass die, die es schon sind, in ihrer Rolle nicht glücklich sind.

Das zeigt nun abermals eine repräsentative Studie der Universität Witten/Herdecke gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung. Das Ergebnis: Jede dritte Führungskraft in Deutschland steckt in einer Identitätskrise. Darüber hinaus glaubt jeder Fünfte, den eigenen Ansprüchen an eine Führungskraft nicht gerecht zu werden.

Der Wirtschaftswissenschaftler Guido Möllering, Professor für Unternehmensführung an der Uni Witten/Herdecke und Mitautor der neuen Studie findet die Führungsmüdigkeit in Deutschland bedenklich: „Führungskräfte, die an sich selbst zweifeln, empfinden ihre Mitarbeiter oft als destruktiv und sind dann selbst unmotiviert, die Mitarbeiter zu begeistern“, sagt er. Es drohe ein Teufelskreis. Dabei hält er es eigentlich für wichtig, dass das Bild von den Chefs wieder besser wird, denn: „Heutzutage stehen gute Kandidaten für die Chefetagen nicht mehr Schlange, erst recht nicht mit Blick auf die Demografie.“

So mancher würde lieber folgen als führen

Die Umfrage, in der knapp 1000 Führungskräfte in Deutschland befragt wurden, gibt auch Hinweise auf die Gründe, die hinter den hohen Zweifeln stecken: Die Gruppe der verunsicherten Chefs leidet vergleichsweise stark unter mangelnder Klarheit und großer Bürokratie. „Sehr interessant ist, dass die zweifelnden Führungskräfte eine recht negative Wahrnehmung ihrer Mitarbeitenden haben“, heißt es in der Studie.

Ferner konnten die Forscher feststellen, dass die Digitalisierung und neue Arbeitsformen zur Verunsicherung der Chefs beitragen. Die zweifelnden Chefs sehen sich sich tendenziell auch stärker von der digitalen Transformation betroffen, so ein Ergebnis. Möllering findet das nachvollziehbar: „Wenn eine Führungskraft sowieso schon frustriert ist und dann kommt das Thema Digitalisierung noch obendrauf, dann ist sie im Zweifel noch frustrierter.“

Wie weit die Verzweiflung der Führungskräfte geht, zeigt übrigens dieses Ergebnis: Ein gutes Viertel der Chefs ist überzeugt, mehr zu einer Gruppe beitragen zu können, wenn sie geführt werden, anstatt selbst zu führen. Und 23 Prozent der Befragten geben zu, zwar in einer Führungsrolle zu sein, aber nicht zu wissen, ob Führung ihnen liegt.

Möllering glaubt allerdings, dass dieses Ergebnis in Zeiten, in denen sich Hierarchien abflachen und einfache Teammitglieder mehr Macht bekommen, nicht zwingend negativ sein muss: „Dass Führungskräfte sagen, sie würden lieber geführt werden – das wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Heute ist das Führungsverständnis zum Teil so, dass es sogar ein Vorteil sein kann, sich auch einmal der Gruppe unterzuordnen.“