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Mittags knallt’s

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst hat in der Dippoldiswalder Heide 62 Granaten gesprengt – nicht zum letzten Mal.

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© Egbert Kamprath

Von Andrea Schawe

Karsdorf. Um 11.57 Uhr ertönt die Sirene zum ersten Mal. „Das ist die Vorwarnung“, sagt der Polizeibeamte Peter Graus am Rand der Dippoldiswalder Heide in Malter. 300 Meter entfernt macht sich Sprengmeister Joachim Kniesche bereit. Die zweite Sirene. Um 11.59 Uhr knallt es laut. „Alle bleiben auf ihrem Posten“, knarzt es aus dem Funkgerät an der Schulter des Polizisten. Dann die dritte Sirene: Entwarnung. Auf einem Platz im Wald sammelt Joachim Kniesche Granatensplitter ein. Alles verlief nach Plan – so wie bei den vergangenen Detonationen im „Eisernen Wald“, wie der Forst zwischen Rabenau, Malter und Dippoldiswalde inzwischen genannt wird. Diesmal wurden 62 Granaten gesprengt: zwei Handgranaten aus russischen Beständen und 59 Panzersprenggranaten Kaliber 8,8, die deutsche Truppen am Ende des Zweiten Weltkrieges in die Dippoldiswalder Heide kippten. Sie hätten ein Militärfahrzeug durchschlagen und im Inneren detonieren sollen. „Das sind die legendären, die den sowjetischen Panzer T-34 geknackt haben“, sagt Kniesche. Dazu noch eine Sprenggranate Kaliber 7,5 mit allseits wirkendem Zünder. „Brisant“, nennt der Sprengmeister des Kampfmittelbeseitigungsdienstes die Waffe. Egal, wie man sie dreht, sie sprengt in alle Richtungen.

Punkt 11.59 Uhr werden die 62 Granaten auf einem Platz in der Dippoldiswalder Heide gesprengt.
Punkt 11.59 Uhr werden die 62 Granaten auf einem Platz in der Dippoldiswalder Heide gesprengt. © Egbert Kamprath
. Eine Hohlladung dringt in die Granaten ein (kleines Loch an der Oberfläche), der Sprengstoff detoniert, der Zünder fliegt raus.
. Eine Hohlladung dringt in die Granaten ein (kleines Loch an der Oberfläche), der Sprengstoff detoniert, der Zünder fliegt raus. © Egbert Kamprath

Gefunden wurden die Granaten in einem Trichter. Nach dem Ende des Krieges kam die Rote Armee in das Waldgebiet. Die Russen schafften Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre Munition aus Wehrmachtsbeständen in die Heide und sprengten das Material. „Das hat in diesem Fall nicht geklappt“, sagt Joachim Kniesche. „Also haben sie alles wieder eingegraben und zugeschüttet.“ Das Problem: Durch die Sprengung wurden die Granaten entsichert – und damit nicht transportfähig, um sie in der Munitionszerlegeanstalt des Kampfmittelbeseitigungsdienstes in Zeithain zu entsorgen. Die Granaten müssten dafür unbeschadet auch einen Unfall überstehen.

„Um sicherzugehen, haben wir kurzfristig vor Ort gesprengt“, sagt Kniesche. Dafür musste jede Granate einzeln präpariert werden, erklärt der 62-Jährige. Eine Hohlladung dringt in die Granaten ein, der Sprengstoff detoniert und der Zünder fliegt raus. Nach der Sprengung stehen Spezialisten im Graben, überprüfen, ob alles wie geplant explodiert ist, und sammeln die zerfetzten Einzelteile ein. Mit einem Sensor kontrollieren sie den Sand. Immer, wenn er auf Metall stößt, piept es. Ein anderer gräbt dann langsam nach den Stücken.

Seit 2013 durchforsten 15 Spezialisten im Auftrag der Polizei das Waldgebiet zwischen Karsdorf und Dippoldiswalde, um Munition, Patronen, Granaten und Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg aufzuspüren. Mehr als 60 Tonnen Munition – acht Lkw-Ladungen – hat man bisher aus dem Wald geholt: unter anderem 254 Waffen ausgebuddelt, 24 500 Patronen für Maschinengewehre und Pistolen gefunden sowie 140 Handgranaten geortet. Im Oktober 2014 hat der Kampfmittelbeseitigungsdienst bereits 60 Granaten gesprengt, kurz danach auch eine Fliegerbombe, eine weitere wurde entschärft. Mindestens 28 dieser amerikanischen Bomben stecken laut der Ladeliste eines Fliegers in der Erde. Sie stammen vom Absturz zweier Flugzeuge im April 1945. 23 wurden bereits gefunden und entschärft, zwei sind beim Absturz detoniert und haben Krater im Boden hinterlassen.

„Mindestens drei fehlen noch“, sagt Kniesche. Der Kampfmittelräumdienst habe deswegen immer noch einen Trupp am Laufen, der in der Dippoldiswalder Heide nur nach den Bomben sucht. „Wir haben auch noch nicht alle Gebiete kontrolliert.“ Wie lange die Suche noch dauert, ist unklar. Ziel ist es, dass im Wald keine Sprengkörper oder Waffen mehr im Boden liegen. Solange bleibt der Wald ein regelmäßiger Einsatzort von Joachim Kniesche.