Donald Trump steht jenseits des Arguments

Donald Trump unterläuft sämtliche Prämissen des politischen Diskurses. Darin liegt sein Erfolgsrezept, und darum ist es so schwierig, argumentativ gegen ihn anzukommen.

Dominik Finkelde SJ
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Donald Trump hat einen egozentrischen Begriff der Wahrheit und markiert damit eine Position ausserhalb der konventionellen demokratischen Vernunft. (Bild: Carlo Allegri / Reuters)

Donald Trump hat einen egozentrischen Begriff der Wahrheit und markiert damit eine Position ausserhalb der konventionellen demokratischen Vernunft. (Bild: Carlo Allegri / Reuters)

Der heute vorherrschende Begriff des Politischen beruht auf dem Habermasschen Projekt gegenseitiger Anerkennung von frei und verantwortlich handelnden Akteuren. Ihm gemäss ist Politik der Kampf um das bessere Argument. Menschen begegnen sich im Politischen als rationale Agenten und bemühen sich im «Geben und Nehmen von Gründen» um die Ordnung ihres Gemeinwesens nach gerechten Normen. Der amerikanische Neopragmatist Robert Brandom spricht in diesem Zusammenhang von einer verpflichtenden «Kontoführung» in diskursiven Praktiken.

Wie bei einem Fussballspiel werden Argumente gleich Torschüssen gegenseitig notiert, so dass am Ende des Spiels bzw. der Diskussion ein klarer Sieger feststeht. Politische Urteile über Normen zu fällen, heisst dann immer schon, einzutreten in das Spiel der «Kontoführungen» im Geben und Nehmen von Gründen, egal ob der Einzelne es möchte oder nicht.

Grenzen demokratischer Vernunft

Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf und der Sieg von Donald Trump haben die Grenzen dieser demokratischen Vernunft offengelegt. Denn nach diesem Verständnis ist Trumps Sieg kein Sieg der Vernunft oder des besseren Arguments. Er ist vielmehr Ausdruck einer politischen Krise, bei der nicht ganz einsichtig ist, wieso sie mit den Mitteln der Vernunft nicht hatte abgewendet werden können.

Diese Ansicht verkennt im Verweis auf den Zwang zu vernünftiger Rede den Umstand, dass es eine Rationalität gibt, die sich auf die Vernichtung der politischen Vernunft, wie man sie kennt, selbst bezieht. Diese Vernunft ist nicht unvernünftig. Sie zielt auf die Neuauslegung der Prämissen dessen, was als vernünftig anzusehen ist. Wo diese Vernichtung im Ansatz gelingt, und das tat sie offensichtlich bei Donald Trump, etabliert sich der Ort einer Universalität, der zuvor vom politischen System – «rigged» oder manipuliert, wie Trump es unentwegt nannte – nicht abgedeckt werden konnte.

Trump hat die «Kontoführungen» sowohl der Republikaner wie auch die der Demokraten verworfen und mit seinen Reden einen Ort zwischen den beiden Kategorien geschaffen. Dass dieser Ort selbst von einem angeblich korrupten und dummen Politiker ausgefüllt wird, kann seinen Wählern zum Teil egal sein, und zwar vollkommen zu Recht. Warum? Weil nur diese Ausnahme wiederum ein angeblich korruptes politisches System erschüttern kann. Diese Position errang Trump besonders durch die Eigenart seiner politischen Provokationen. Diesen ging es nur selten um sogenannte «propositionale Inhalte», d. h. um Inhalte, die auf kontrollierbare Wahrheitswerte überprüft werden konnten.

Aus Mangel wurde Exzess

Trumps Redeweise gewann vielmehr gerade dadurch politische Geltung, weil sie sich den Bedingungen der obenerwähnten «Kontoführung» widersetzen konnte. So bekam sein Sprechen eine performative Bedeutung: Es schuf Fakten, ohne Fakten abbilden zu müssen, und kreierte so den Ort einer Illegalität, eines Ausserpolitischen, das als mangelhaft-vernünftig gerade die Form einer exzessiven politischen Ausnahme und Universalität verkörpern konnte. Aus Mangel wurde Exzess.

Sören Kierkegaard beschreibt diese Art der Autorität als paradox. Er weist in seinem Text «Über den Unterschied zwischen einem Genie und einem Apostel» darauf hin, eine solche Autorität müsse nicht unmittelbar auf der Inhaltsebene der Botschaft, die sie verkündet, begründet sein. Vielmehr kann die Autorität unter bestimmten Bedingungen auf der Ebene eines performativen Sprechens zu finden sein, insofern sie an den Ort des Sprechens selbst gebunden ist als Ausdruck der radikalsten Distanz zur alltäglichen Wirklichkeit.

Ihre Wahrheit kann daher nur von dem Ort aus verstanden werden, von dem sie auch artikuliert ist; d. h. sie ist nicht in einem neutralen Bereich des «Gebens und Nehmens von Gründen» anzusiedeln. Trump ist dies gelungen. Sowohl seine gerade erwähnte Zwischenposition wie auch seine polemischen Reden etablierten performativ einen Ort ausserhalb des traditionell Politischen wie auch des «politisch Korrekten».

Wer ausserhalb des Politischen spricht, kann nahezu ungestört der Zungenrede anhängen. Warum sollte es Menschen geben, die diesen Reden zuhören? Weil sie sich entschieden haben, die etablierten Prämissen des vernünftigen Diskurses zu durchkreuzen. Auf diese Weise wurde Trump so unangreifbar, wie für Kierkegaard nur ein Apostel es sein kann. Der Vorwurf der Fehlerhaftigkeit von Fakten trifft dann nicht mehr das Subjekt, da sein Exzess einen Ort der Ausnahme erzwingt, der die Prämissen der Argumente neu begründet.

Trumps Sonderstellung

In den Vorwahlkämpfen der Republikaner wurde Trumps politische Sonderstellung erstmals deutlich. Wenn man strukturell seine Karriere in dieser Zeit mit den Begriffen «Gattung» und «Art» beschreibt, dann zeigte er sich in der Gattung der republikanischen Anwärter um die Präsidentschaftskandidatur (neben Ted Cruz, Chris Christie und anderen) als diejenige «Art», die sich innerhalb der Gattung als die eine wahre Ausnahme gebärden konnte. Der Beweis dafür ist offensichtlich, da Trump letztlich seine eigene Gattung schuf.

Neben der klassischen Gattung der Kandidaten der Republikaner und der Gattung der Demokraten für die Präsidentschaft bildete er eine bis dahin unbekannte Zwischenposition. Von hier aus erklären sich die wiederholt an Trump kritisierten narzisstischen Hinweise auf sich selbst, d. h. auf das, was er – und zwar nur er – für wahr, für opportun, für schön, für feminin hält usw. Es dient der Fixierung von Fakten auf die Persönlichkeit, um den ausserpolitischen Ort nicht durch allzu viele Allgemeinplätze zu verderben.

Dies ging so weit, ein politisches Urteil über Wladimir Putin wesentlich von der Meinung abhängig zu machen, was Putin seinerseits von Trump hielt. Putins wiederholt positive Urteile über Trump bestärkten Letzteren darin, das Ich seiner Ausnahme als die Instanz der Neubeurteilung scheinbar unerschütterlicher Fakten über Putin dastehen zu lassen.

«Ich kann es nicht begründen, aber ich weiss einfach, dass es wahr ist.» («I do not know it for a fact, I just know it's true.») Bill Maher, der linkspolitische Showmaster der Sendung «Real Time with Bill Maher», hat aus diesem Trump-Zitat ein eigenes Format entfaltet. Ein absurdes Faktum wird dann pointiert zur Unterhaltung des Publikums als eine Wahrheit erklärt mit Trumps Worten: «I just know it's true!»

Aber noch einmal: So absurd ein solcher Satz in seiner Kausalstruktur von Ich und Faktum auch erscheinen mag, in bestimmten Krisensituationen kann eine solche Fixierung mit ihren allzumenschlichen Fehlurteilen tatsächlich der Ort einer Ausnahme von den herrschenden politischen Prämissen darstellen und der Beginn einer neuen Universalität sein. Martin Luthers berühmter Ausspruch auf dem Reichstag zu Worms, «Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen», steht auf einer ähnlichen Ebene, wenn man die performative Rede berücksichtigt, die das sprechende Ich hier in Anspruch nimmt.

Entscheidend ist nämlich, dass das «Nicht-anders-Können» erst als scheinbar objektives Faktum durch das Ich geschaffen wird. Gegen Luther hätte man daher sagen können: Dass du hier stehst und anscheinend «nicht anders kannst», zeigt einfach nur, wie verrückt du bist. Denn natürlich könntest du anders, wenn du nur wolltest.

Brandoms Konzept von der «Kontoführung» taugt für solche Angriffe auf Kontoführungen durch Argument-resistente und exzessive Subjekte im strengen Sinne nicht mehr als Deutungsmuster. Das hängt auch damit zusammen, dass nach der Theorie die Anzeigetafel der Resultate scheinbar über dem Feld des «Gebens und Nehmens» von Gründen schwebt. Leider tut es das natürlich nicht. Es ist stattdessen immer schon Teil desselben und selbst ein politisch umstrittenes Faktum. Aus diesem Umstand heraus ist überhaupt die Schaffung eines Ortes der Ausnahme, wie ihn Trump erobert hat, erst möglich.

Diese Orte der Ausnahmen, so erschreckend sie uns anmuten, per se ausschliessen zu wollen, kann die Demokratie nicht zulassen. Daran wäre ihre eigene Auslöschung gebunden. Deshalb spricht es paradoxerweise auch für die Demokratie, dass Trump als Symptom daraus hervortreten konnte. So scheint der grösste Gewinn dieser Wahl gerade darin zu liegen, die Mangelstrukturen demokratischer Vernunft von einem ausserpolitischen Standpunkt zu offenbaren. Politik muss solche Orte, so frustrierend sie für die etablierten Standards politischer Vernunft sein mögen, ermöglichen. Nur das bewahrt sie vor ihrer eigenen Degeneration.

Dominik Finkelde SJ, geb. 1970, ist ein deutscher Jesuitenpater und Professor für Philosophie an der Hochschule für Philosophie München. In diesem Jahr erschien im Verlag Vorwerk 8 sein Buch «Phantaschismus. Von der totalitären Versuchung unserer Demokratie».