Sojafelder in Las Lajitas.
Sojafelder in Las Lajitas, im Hintergrund sind Sozialbauten zu sehen.

Soja für den Rest der Welt

Argentinien ist einer der größten Sojaproduzenten der Welt, ein großer Teil wird im Nordwesten des Landes angebaut. Die Umwelt in der Provinz Salta wurde dadurch massiv verändert, Proteste gibt es dennoch nicht. Die Bevölkerung nimmt das weitgehend hin – warum, hat der Geograph Robert Hafner erforscht.

Als Tierfutter, in Getränken, als gesunde Eiweiß-Quelle in der Nahrung und Fleischersatz, als Öl, gesund, nahrhaft, ein Mittel gegen Armut und Hunger: Soja gilt als Wunderpflanze, zumindest, wenn man dem Marketing der Lebensmittelkonzerne glaubt. Dass es beim Sojaanbau auch zu Problemen kommen kann und die Pflanze keineswegs nur positiv zu sehen ist, beschäftigt den Geographen Robert Hafner, BA MSc in seiner Dissertation: Er hat sich insbesondere den Sojaanbau in der Provinz Salta im Nordwesten Argentiniens näher angesehen. „Argentinien ist deshalb interessant, weil dieses Land der drittgrößte Sojaproduzent der Erde ist und die meisten Sojaexporte dabei in die EU gehen – man kann sogar den Weg von argentinischem Soja aus der Provinz Salta in die Tierfütterung im Marchfeld in Österreich nachvollziehen.“

Umweltgerechtigkeit

Robert Hafner betrachtet den Sojaanbau in Salta vor dem Hintergrund der Umweltgerechtigkeit: Wie wirkt sich der Sojaanbau auf die Bevölkerung aus? Beeinflusst er die natürlichen Ökosysteme negativ? „Der Sojaanbau hat Salta massiv verändert: Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Gegend fast vollständig von Wald bedeckt, heute sind die Dörfer von Sojafeldern umgeben“, sagt der Geograph, der für seine Forschung über ein Jahr in der Gegend verbracht hat. „Das hat inzwischen sogar merkbare Auswirkungen auf das Mikroklima vor Ort.“ In den 1990-ern und 2000-ern wurden Bewohner betroffener Gebiete in Salta – oft nicht freiwillig – umgesiedelt oder sogar enteignet. Dennoch gibt es bis heute in der Gegend keine großen Proteste gegen den Sojaanbau: „Man sieht rasch, dass die Menschen sich weitgehend mit den Sojafeldern abgefunden haben, obwohl sie nicht unmittelbar davon profitieren. Auf den Feldern arbeiten nur wenige, hochqualifizierte Arbeiter, davon hat die lokale Bevölkerung nur wenig.“ Wenn lokale Bewohner als Arbeitskräfte gebraucht werden, dann bei der Abholzung des Waldes, wenn neue Felder erschlossen werden sollen.

„Der einfache Gegensatz ‚großes Agrarbusiness gegen kleine Aktivisten’, wie es ja bei ähnlichen Fällen zumindest als Inszenierung immer wieder auftaucht, greift hier gar nicht – schon allein deshalb, weil es vor Ort diese Aktivisten nicht gibt, aber auch, weil nicht alle Sojafelder nachweislich großen Konzernen gehören“, erklärt Robert Hafner. Die sichtbaren Auswirkungen sind zwar enorm, die Konflikte werden allerdings subversiver ausgetragen: Zum Beispiel als Malerei an der Wand eines Sojaproduzenten. „Jugendliche des Orts Coronel Mollinedo haben in einem Mural zwei Gegenwelten dargestellt: Einmal Sojafelder, dunkel, bedrohlich, einmal das Dorf in hellen Farben und mit einem Kulturzentrum, das es allerdings noch nicht gab. Das Mural haben sie an die Wand eines Gebäudes gemalt, das einem großen Sojaproduzenten der Gegend gehört – der hat den Wink verstanden und das Kulturzentrum bauen lassen.“

Umweltgerechtigkeit konzentriert sich klassisch auf einen Auslöser von Verschmutzung, der in die Umgebung ausstrahlt: Eine Fabrik, deren Abgase zum Problem für die Bevölkerung werden. Oder die sozialen Auswirkungen von Industriegebieten: Niemand will mehr neben stinkenden Fabriken wohnen, deshalb entstehen dort nur noch Sozialwohnungen für Menschen, die darauf angewiesen sind. „Im Fall von Salta ist dieses Modell umgekehrt: Nicht ein Verschmutzer oder ein Problemträger strahlt auf die Umgebung aus, sondern die Umgebung besteht nun nur noch aus Sojafeldern – die Umgebung strahlt auf die Bewohner der Dörfer. Diese vermeintliche Übermacht lässt die Bevölkerung quasi alternativlos damit leben.“

Hohe Zölle

Die große Bedeutung des Soja-Anbaus für die argentinische Wirtschaft verleiht ihm auch eine politische Dimension: Auf nationaler Ebene hat die nun abgewählte Regierung Kirchner stets gegen Soja gewettert und sehr hohe Exportzölle eingeführt. „Die hohen Exportzölle haben dem Geschäft mit Soja nicht tiefgreifend geschadet, dafür aber hohe Summen in die Staatskassen gespült – die Regierung hat also auf der einen Seite von genau jenem Sojaanbau profitiert, den sie andererseits verteufelt hat“, sagt Robert Hafner. Durch diese Einnahmen sind auch Sozialprogramme möglich, die gerade in strukturschwachen Gegenden wie der von Robert Hafner untersuchten Provinz Salta die Armut gering halten. „Die Menschen wissen durchaus, dass sie zwar nicht direkt, aber indirekt vom Agrarbusiness profitieren. Konflikte, die dennoch auftauchen, werden dann meist als Stellvertreterkonflikte ausgetragen.“

Einerseits vermittelnd, andererseits häufig auch hilflos zwischen Sojabauern und Bewohnern: Diese Rolle fällt häufig an die lokalen und regionalen Politikerinnen und Politiker. „Ich habe in Salta auch mit Politikern gesprochen, aktiven wie ehemaligen. Viele sind richtiggehend desillusioniert, weil sie zum Beispiel Konflikte um Landnutzung nicht lösen können. Zwangsumgesiedelte Menschen kommen dann etwa zu ihnen und verlangen bessere Wohnungen, anstatt ihre Kritik bei den Sojabauern zu deponieren.“ Umgekehrt ist in der Gegend das alte Grundherr-Klient-System noch verbreitet: „Die Mentalität der Leute in Nordwest-Argentinien ist konservativ geprägt, es gibt vielschichtige echte und vermeintliche Abhängigkeiten. Dazu kommt: Die Gegend ist nicht nur landwirtschaftlich interessant, sondern hat auch Probleme mit Drogen und Prostitution. Alles das spielt eine Rolle, die Auswirkungen des Sojaanbaus kann man dort schlicht nicht eindimensional betrachten.“

Zur Person

Robert Hafner, BA MSc (*1985 in Mittersill, Salzburg) ist ÖAW-DOC-Stipendiat am Institut für Geographie. Davor studierte er Geographie (Master) in Innsbruck und European Studies (Bachelor) in Malmö, Schweden. Er hat mehrere Jahre in Argentinien geforscht und dort unter anderem zu europäisch-kultureller Identität in Buenos Aires, Materialsammler-Kooperativen und deren Überlebensstrategien in Buenos Aires und sozial-ökologischen Konflikten um Soja in Nordwest-Argentinien gearbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Mensch-Umwelt-Forschung, der sozial-ökologischen Konfliktforschung und der Umweltgerechtigkeit, zudem beschäftigt er sich mit dem Soja-Agrobusiness, Lateinamerika (speziell Argentinien), Viskeralität und der von ihm entwickelten Jazz-Methodologie.

Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

 

Robert Hafner beim Science Slam im Treibhaus am 15. November 2016

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