Es war eine Art Abschiedsreise. Joachim Gauck besuchte in der vergangenen Woche Japan – gerade als in Berlin die Spitzen der großen Koalition Frank-Walter Steinmeier als ihren Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten ausriefen.

Gauck war noch nie in Japan gewesen. Erwartungsvoll und neugierig machte er sich auf diese "besondere Reise", wie er sie nannte, die wohl letzte große Tour seiner Amtszeit. Japan ist eine fremde Kultur und Deutschland doch in vielem so nah, ein "ferner Gefährte", wie Gauck den Titel einer Ausstellung zitierte.

Fern und zugleich nah genug, um noch einmal drei Fragen zu stellen, die den Bundespräsidenten seit Langem umtreiben. Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um? Wie können die Demokratien im "Wettbewerb der Ideen" mit autoritär regierten Staaten bestehen? Wie verteidigen wir uns, falls sich der große Verbündete Amerika weltpolitisch tatsächlich zurückzieht?

Der Bundespräsident warf diese Fragen auf im Gespräch mit Intellektuellen in Tokio, mit jungen Wissenschaftlern und Künstlern in Kyoto und mit einem Überlebenden des Atombombenabwurfs in Nagasaki.

Die Regierung in Tokio hatte vor der Reise befürchtet, Gauck könne ihr, wie mancher Landsmann vor ihm, Vorhaltungen machen, Japans Kriegsschuld nicht klar genug zu bekennen; er könne ihnen Deutschland als Vorbild bei der Vergangenheitsbewältigung und der Versöhnung mit den Nachbarn empfehlen.

Diesen Fehler machte der Bundespräsident nicht. Zwar sagte er auch in Japan, dass er "ein Gegner des Vergessens" sei. Vor allem aber hob er in einer Rede an der Waseda-Universität in Tokio hervor, "was für ein staunenswerter Weg bis in die Gegenwart" beiden Ländern gelungen sei.

Mehr als die Vergangenheit beschäftigte sich Gauck mit seinem zweiten Thema, dem neuen Systemstreit: "Liberalismus steht gegen Illiberalismus, Demokratie gegen Autokratie." Ein ums andere Mal betonte er die deutsch-japanische "Wertepartnerschaft", die sich in der Auseinandersetzung mit Ländern wie Russland und China beweisen müsse.

Viel Hoffnung auf Wandel hat er für diese beiden Länder nicht. Russland sei ökonomisch schwach und habe "keine richtige Zukunftsvision". Deshalb spiele Putin die "Karte der nationalen Identität" aus. In China könne sich die herrschende Ideologie nur behaupten, weil sie sich mit einem "Raubtierkapitalismus nach Manchester-Art verbunden" habe.

Den eigentlichen Akzent auf dieser Reise setzte Gauck aber mit seinem dritten Thema. Japan und Deutschland seien gefestigte Demokratien, die bei der Verteidigung ihrer Sicherheit stärker auf die eigenen Kräfte vertrauen könnten – gerade in einer Zeit, da Amerika sein weltpolitisches Engagement verringere. "Unsere Geschichte darf keine Begründung für Untätigkeit sein."

Gauck knüpfte damit an seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 an. Seither scheint bei ihm der Zweifel an Amerika gewachsen zu sein. Es liege doch auf der Hand, antwortete er auf die Frage eines Studenten, "dass wir nicht angstschlotternd sagen, was machen wir bloß ohne Amerika?". Erforderlich sei vielmehr, "dass in unseren Ländern das Zutrauen wächst, uns verteidigen zu können, wo andere nicht für uns eintreten".

Aber, ging es dem Zuhörer durch den Kopf, die Abscheu gegen das Amerika Donald Trumps sollte nicht dazu führen, die eigenen Möglichkeiten zu überschätzen. Beide, Deutschland und Japan, sind meilenweit davon entfernt, auf den Schutz der Vereinigten Staaten verzichten zu können. Gauck, der dies weiß, wollte denn auch nicht missverstanden werden: "Zur Großmacht sind wir noch nicht geworden", sagte er mit Blick auf Deutschland.

Doch sein Glaube an die gefestigte Demokratie der Deutschen ist groß, fast unerschütterlich. Immerhin konzediert er, sie sei "work in progress" – ein Lieblingswort auf dieser Reise; die Demokratie müsse ein "lernfähiges System" bleiben.

Keine Frage, dass er Deutschen und Japanern zutraut, klug genug zu sein, diese Demokratie zu bewahren – und notfalls eben auch zu verteidigen. Der Zweifel an den Vereinigten Staaten jedoch, der nagt an ihm. Natürlich gehe es nicht ohne Amerika, das sei doch klar. Aber etwas mehr, bitte schön, könnten sich Japaner und Deutsche schon zutrauen.

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, ein konservativer Nationalist, der die Fesseln der pazifistischen Nachkriegsverfassung abstreifen möchte, hat dieses Zutrauen zweifellos. Er will ein militärisch stärkeres Japan. Doch der Nationalist Abe ist zugleich Realist. Drei Tage nach dem Besuch Gaucks bei ihm reiste er nach New York, um als erster westlicher Regierungschef Donald Trump zu treffen. Möglich, dass er die Kräfte seines Landes richtig einschätzt.

Matthias Naß begleitete den Bundespräsidenten auf dieser Reise als Co-Vorsitzender des Deutsch-Japanischen Forums.