Zum Inhalt springen

Apokalypse 2000 Sekten im Weltuntergangs-Fieber

Zum Millenniums-Wechsel übertrumpfen sich Endzeit-Sekten mit Prophezeiungen und schillernden Szenarien zum Weltuntergang. Die Polizei wappnet sich seit Monaten für den Ernstfall.
Von Nicole Adolph

Wie der Weltuntergang vonstatten gehen wird, steht schon in der Bibel. In der Offenbarung des Johannes heißt es: "Und siehe, da geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack, und der ganze Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde."  Nur über die Frage, wann es zu diesem Endzeit-Szenario kommen wird, darüber schweigt die Heilige Schrift.

Viele Sektenanhänger und selbsternannte Untergangspropheten glauben den Termin zu kennen: Die Apokalypse naht zum Millenniumswechsel. Während sich so mancher Durchschnittsbürger sorgt, wie er sich bei einem Zusammenbruch der Technik mit Kerzen und gehamsterten Vorräten über die ersten Tage des Jahres 2000 retten kann und wie sein Computer auf die magische Zahl reagieren wird, verkünden Sekten den Weltuntergang und die nahende überirdische Rettung.

"Runde Jahreszahlen beflügeln die Phantasie der Menschen. Dass sie den Beginn eines neuen Jahrtausends miterleben, halten viele für ein besonderes Ereignis", weiß Reinhard Hempelmann, Theologe und Sektenexperte bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Er glaubt, dass man zum Millenniumswechsel verschärft mit apokalyptisch motivierter Selbstvernichtung von Sektenmitgliedern rechnen muss.

Endzeit-Sekten fasziniert vor allem die Vorstellung vom erlösenden Tod und einer paradiesischen Welt danach. Wenn die Erlösung nicht zum prophezeiten Datum eintritt, helfen die Jünger oft selbst nach. Die Todessehnsucht von Endzeit-Jüngern führte schon ein paarmal zur Katastrophe:

Im November 1978 begehen 923 Mitglieder der amerikanischen Volkstempler-Sekte in Jonestown im Dschungel Guayanas (Südamerika) den vermutlich größten Massenselbstmord in der Geschichte.

September 1985: Mit Gift nehmen sich 68 Anhänger einer naturreligiösen sekte auf der Philippinen-Insel Mindanao das Leben.

August 1987: In Südkorea werden auf dem Dachboden einer Fabrik 33 gefesselte Leichen gefunden. Die Ermittlungen ergeben, daß eine fanatische Sektenführerin die Menschen in den Selbstmord geführt und vergiftet hat.

April 1993: Mindestens 81 Menschen verbrennen im Anwesen der Davidianer-Sekte im texanischen Waco. Vermutlich legten Sekten-Mitglieder das Feuer selbst, als die Polizei das Anwesen nach 51 Tagen Belagerung stürmte. Im Oktober 1994 will der Homöopathie-Arzt Luc Jouret, der sich für Jesus Christus hält, das Ende der Welt nicht mehr erwarten. Der Gründer des Sonnentempler-Ordens nimmt sich zusammen mit 53 Anhängern das Leben.

Im März 1997 interpretiert der amerikanische Sektenguru Marshall Applewhite, Anführer der Sekte "Heaven's Gate", die Ankunft des Kometen "Hale-Bopp" als Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs. In seiner Luxusvilla in Rancho Santa Fe bei San Diego (Kalifornien) werden die Leichen von 39 Mitgliedern der Sekte gefunden. Sie hatten Schlafmittel, Alkohol und ein Opiat zu sich genommen.

Die Polizei nimmt die Gefahr eines apokalyptischen Blutbades zur Jahrtausendwende deshalb sehr ernst. Vor allem in der Heiligen Stadt Jerusalem, die zu Silvester Hunderte von Sektenanhängern erwartet, wappnen sich die Sicherheitskräfte seit einiger Zeit für den Ernstfall.

Weil viele Sektenanhänger darauf warten, dass Jesus auf dem Tempelberg erscheint oder die Apokalypse über das Heilige Land hineinbricht, will der israelische Sicherheitsminister Ben Ami den Tempelberg von 400 Polizisten überwachen lassen und die Präsenz von Sicherheitskräften an den Stadtgrenzen von Jerusalem und am Flughafen in Tel Aviv verstärken.

Die Spezialeinheiten haben ihre ersten Einsätze in Sachen Jahr-2000-Prävention schon hinter sich: Im Januar verhafteten sie 14 Mitglieder der Endzeit-Sekte "Concerned Christians" (Besorgte Christen). Die aus Denver stammende Gruppe wollte angeblich im Laufe der Jahre 1999 oder 2000 in Jerusalem muslimische Heiligtümer sprengen und dann kollektiv Selbstmord begehen. Ihr Anführer Monte Kim Miller hatte prophezeit, er werde im Dezember 1999 in den Straßen von Jerusalem getötet und drei Tage später auferstehen.

Experten halten amerikanische Sekten für die gewalttätigsten. Neben den "Concerned Christians", so glauben sie, könnten auch rechtsradikale Gruppen wie "The Order" oder "The World Church of the Creator" ihre kruden Verschwörungstheorien mit Antisemitismus und weißem Rassismus anreichern. Das FBI räumt ein, dass es sehr schwer sei, das Gefahrenpotenzial zum Millenniumswechsel einzuschätzen, da viele Gruppen aus wenigen versprengten Wirrköpfen bestehen.

Aber auch europäische Sekten-Experten blicken sorgenvoll auf den Jahreswechsel. "Einige esoterische Gruppen, Neu-Heiden, Satanisten und Anhänger nordischen Götterglaubens leben in Erwartung einer apokalyptischen Zeitenwende", warnt der Schweizer Sekten-Kenner Hugo Stamm. Der Jahrtausendwechsel wird als große Endreinigung von Feinden des eigenen Kultes herbeigesehnt.

In Deutschland warten vor allem die Anhänger der Sekte "Fiat Lux" im Schwarzwald auf die nahe Apokalypse. Sektenführerin Uriella, die sich mit ihrem Termin für den Weltuntergang bereits ein paarmal geirrt hat, prophezeit nun das Ende der Welt bis zum Ende des Jahres 1999. Sie rechnet mit einer abrupten Verlagerung der Erdachse, mit gewaltigen Kontinentalverschiebungen und verheerenden Flutwellen. Auch verschiedene Esoterik-Gruppen glauben, dass die Erdachse ihren Winkel verändern wird - mit furchtbaren geoklimatischen Folgen.

Während die meisten Sekten willig dem nahenden Untergang entgegenfiebern, lehnt sich die "Bruderschaft des Jungen Christus" in Nordportugal auf: Die Sektenanhänger glauben zwar auch, dass am Ende des Millenniums eine apokalyptische Katastrophe ausbricht - mit Sintflut, Sonnenfinsternis, Dürre und verheerenden Bränden.

Doch wissen die aufgeweckten Brüder ein Wundermittel gegen das bevorstehende Unheil: ein mehr als sieben Meter großes Kreuz aus weißem und blauem Plexiglas mit Neonröhren soll nachts das Dunkel der Welt erhellen und die Apokalypse fernhalten. Die göttliche Leuchtreklame kann man bei der Sekte erstehen - für 6000 Mark pro Stück. Das Geschäft läuft glänzend: Denn was sind schon 6000 Mark für die Rettung der Welt?