Bei der Radikalisierungs-Hotline des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge melden sich vermehrt Lehrer und Schulpsychologen, denen Grundschulkinder mit islamistischen Tendenzen auffallen. Diese „Kinder des Salafismus“ seien ein neues Phänomen, das im Lauf der vergangenen Monate häufiger aufgetaucht sei, sagte Florian Endres von der Beratungsstelle Radikalisierung in Nürnberg. „Die meisten Kinder haben ihre Sozialisation aus einem salafistischen Umfeld – sprich: Die Eltern selbst sind bereits radikalisiert.“ Auch wenn es bislang noch Einzelfälle seien, beobachte man dieses Phänomen derzeit genau.
Die Berater seien auch im Austausch mit anderen Einrichtungen, die etwa auf Rechtsextremismus spezialisiert sind. Wenn man den Kindern helfen wolle, müsse die Beratung bei den Eltern ansetzen. „Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen“, sagte Endres. Sobald das Wohl der Kinder in Gefahr sei, müssten andere Behörden wie etwa Jugendämter eingeschaltet werden. Solche Fälle gebe es nicht nur in Migranten-Familien, sondern auch in manchen deutschen – etwa wenn Mutter und Vater zum Islam konvertiert seien.
Die Berater helfen Familien, in denen Jugendliche in die islamistische Szene abdriften. Häufig geht es um junge Männer und Frauen, die nach Syrien oder in den Irak ausreisen wollen oder sogar schon ausgereist sind. Das Durchschnittsalter der jungen Leute ist in den vergangenen Jahren gesunken. „Die letzten zwei, drei Jahre haben gezeigt, dass die Jungen und Mädchen immer jünger werden“, sagte Endres. Zum Start der Hotline 2012 seien die Betroffenen im Schnitt um die 20 Jahre alt gewesen, heute seien sie knapp 18 Jahre alt. Der Salafismus – eine besonders konservative Ausprägung des Islam – werde immer mehr zu einem Phänomen der Jugendsubkultur.
Radikalisierung von Mädchen nimmt zu
Häufig radikalisierten sich inzwischen zudem Mädchen, sagte Endres. „Die Quote der Frauen und Mädchen hat sich im Lauf der Zeit nach oben entwickelt.“ Anfangs machten sie 10 bis 15 Prozent der Beratungsfälle aus. Seit etwa drei Jahren liege der Frauenanteil konstant bei etwa 30 Prozent. Ein Grund sei, dass die salafistische Szene Frauen inzwischen gezielter anspreche. „Die Propaganda wurde speziell auf sie zugeschnitten“, sagt Endres. Die dschihadistischen Kämpfer würden als Helden verklärt und „romantisiert“ dargestellt. „In der Vorstellung vieler Mädchen aus diesem Milieu ist es das Allergrößte, einen Mudschaheddin zu heiraten“, sagte Endres.
Stark zugenommen haben in den vergangenen zwei Jahren auch Anfragen zu Flüchtlingen. Dazu gingen mehr als 450 Anrufe ein. Viele Ehrenamtliche und auch professionelle Betreuer machten sich Sorgen – etwa wenn ein Flüchtling ein Video anschaue mit arabischen Schriftzeichen und ein Soldat mit Gewehr in der Hand zu sehen sei. Dies müsse aber nicht unbedingt ein IS-Video sein, sagte Endres. Es könne auch einen Soldaten der freien syrischen Armee zeigen.
Seit ihrem Start im Jahr 2015 haben sich knapp 3800 Anrufer an die Hotline gewandt. Bei etwa 1780 Mädchen und Jungen entwickelten sich daraus Beratungsfälle. Die Mitarbeiter in Nürnberg vermitteln die Anrufer dann an eine regionale Beratungsstelle weiter.
Mehr als 10.000 Salafisten in Deutschland
Im ersten Jahr hatten noch knapp 280 Menschen die Nummer gewählt. 2016 riefen dann schon knapp 990 Hilfesuchende an. „Die Anschläge in Ansbach und Würzburg haben im August und September zu einem starken Anstieg der Anruferzahlen geführt“, sagte Endres. Nach jedem Anschlag in Europa schnellten die Anruferzahlen in die Höhe. In diesem Jahr haben sich bisher schon 630 Menschen an die Berater gewandt. Im Durchschnitt zählen sie jeden Monat 80 bis 90 Anrufe.
Die Zahl der Salafisten in Deutschland wird inzwischen auf etwa 10.300 geschätzt. Etwa 1000 von ihnen gelten laut Endres als gewaltbereit. 940 Islamisten aus Deutschland sind bereits in Richtung Syrien und Irak ausgereist, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Einige Ausreisen von jungen Leuten seien durch die Beratung der Radikalisierungsstelle aber auch verhindert worden, sagte Endres.