Der Antisemitismus in Deutschland hat viele Gesichter. Zu dem völkisch oder sozialistisch motivierten Judenhass hat sich längst einer gesellt, der sich aus islamischen und arabischen Quellen speist. Seit Freitag waren in mehr als einem Dutzend deutscher Städte Mitglieder der arabischen und türkischen Community gegen Israel auf die Straße gegangen. Bei einigen Demonstrationen wurden Israelfahnen verbrannt und „Tod den Juden“-Rufe skandiert.
Am Montag dann veröffentlichte die Bundesregierung auf ihrem Facebook-Profil diesen Eintrag: „Für Antisemitismus, Gewalt und Provokation ist in Deutschland kein Platz! ‚Man muss sich schämen, wenn auf den Straßen deutscher Städte Judenhass so offen zur Schau gestellt wird.‘ – Regierungssprecher Steffen Seibert zu den antiisraelischen Aktionen am Wochenende.“
Doch nicht einmal auf ihrer eigenen Facebook-Seite hat die Bundesregierung den Judenhass im Griff. Denn wer die mehr als 1000 Kommentare unter dem Beitrag liest, findet neben Lob und sachlicher Kritik antisemitische Hetze.
Da schrieb etwa ein Murat Ulusoy aus Frankfurt am Main, „weder die Türken noch die Araber waren es, die Toleranzte Volk der Welt mit ,Holocaust‘ lüge abgestempelt haben, Sondern IS-REAL= Zionismus=Grösste Verbrechen je die Menschheit begegnet hat!“ Unter diesen Kommentar schrieb am Montag ein anderer Nutzer: „@Bundesregierung Das dröhnende Schweigen der Bundesregierung zur strafbaren Holocaust-Verleugnung eines Murat Ulusoy (2 Kommentare oberhalb) ist erschütternd und entlarvend zugleich. Aber es ist auch symptomatisch für das Regierungsversagen insgesamt.“
Darauf schaltete sich nicht etwa das Onlineteam der Regierung ein. Stattdessen antwortete Ulusoy, der laut seinem Facebook-Profil als Reiseleiter für TUI arbeitet: „Die Zionsten waren es,die alles geplant, fortgesetzt und in die Schuhe von Deutschen geschoben haben. Die Deutschen haben sogar ihre eigenes Leben riskiert um sie zu retten. (…)Aber sorry gelle,ich hatte es für einen kurzen Moment ‚vergessen‘ daß eher alles für euch im ‚ Verschwörungstheorien‘ Bereich ist,was eurer Meinung nicht entspricht.“
Am Mittwoch um elf Uhr morgens war dieser Kommentar immer noch für jeden Leser der Seite der Bundesregierung aufrufbar. Ebenso wie die Analyse eines anderen Murat, diesmal ein Herr Murat Aktay aus Werdohl in Nordrhein-Westfalen: „Wenn Juden den Hass und Morden gegen Palästinenser und Muslimen niederlegen, gibt es auch keinen Hass gegen Juden.“ Emre Cakmak aus Plettenberg postete auf der Facebook-Seite der deutschen Regierung: „Ich vermisse den Adolf echt er Wuste von Anfang an das die Juden ein Dreck Volk sind“.
Nicht gegen Juden - aber gegen „Zionisten“
Die meisten Kommentatoren dosieren ihren Hass auf Juden etwas sparsamer: Typisch sind Beiträge wie der von einer Nutzerin namens Anela Rednas: „Man muss unterscheiden zwischen Antisemitismus und Antiisraelismus. Der durchaus verständliche Hass gegen Israel richtet sich nicht gegen unbedingt Juden, sondern vor allem gegen ein politisches Projekt, den Staat Israel, und seinen Umgang mit Palästina.“
Auch Jamil Alyou aus Bielefeld ist an der Unterscheidung gelegen: „Sollten wir nicht langsam Mal etwas genauer differenzieren zwischen Juden und Israel? Nicht jeder der die Politik und Gewalttaten diesem Terrorstaat/Besatzungsmacht kritisiert ist gleich ein Antisemit, auch wenn Netanjahu uns das glauben machen möchte.. Wir sind nicht gegen Juden sondern gegen Zionisten..“
Beachtenswert daran ist, dass Herr Alyou, der Israel als Terrorstaat bezeichnet, beruflich in der Integrationsbranche tätig ist. Laut seinem Facebook-Profil arbeitet er als Dolmetscher und Berater für Train of Hope, eine während der Flüchtlingskrise vor zwei Jahren gegründete Hilfsorganisation, die etwa Festivals gegen Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber veranstaltet und vor Tagen den Integrationspreis des Jahres 2017 von der Stadt Dortmund verliehen bekam.
Wenn die Bundesregierung nicht schon den halben Haushalt für „Soziales“ veranschlagen würde, müsste man ihr raten, noch einige zusätzliche Pädagogen anzustellen, die sich exklusiv um die Kommentatoren der Facebook-Seite der Bundesregierung kümmern. Etwa um Ebru Özyurt aus Stuttgart. Sie schreibt: „Jeder der 2 und 2 zusammenzählen kann, kann mit bloßem Auge erkennen, dass die wahren Terroristen und Unterstüzter hier in Europa, USA, Israel sitzen ;) nicht der Erdogan ist ein Terrorist, sondern die, die diesem völkerrechtswidrigen Geschehen durch Netanjahu Regime in Palästina ein Auge zudrücken und wegschauen !!“
Mounib Ben Mansour aus Frankfurt am Main fällt zu dem Beitrag des Regierungssprechers zu dem angeblich entschlossenen Handeln gegen Antisemitismus ein: „Aber Islamhass ist okay ? Sich immer solidarisch mit Israel (einer illegalen Besatzung , Massenmörderstaat) zeigen ! Traurig Deutschland anstatt klare Linien zu ziehen“.
Alle Einträge standen am Mittwochvormittag mindestens 24 Stunden unwidersprochen auf der Seite. Garniert werden die antisemitischen Ergüsse der Zuwanderer von fremdenfeindlichen Kommentaren herkunftsdeutscher Nutzer gegen „Pack“ oder „Gesindel“, das man zum Leidwesen der Deutschen ins Land gelassen habe; oder gegen „Ziegenhirten“, denen man nicht das schöne Israel überlassen dürfe.
Nachdem die WELT dem Bundespresseamt Screenshots zu zwei Kommentaren mit Holocaustleugnung und Bezeichnung der Juden als „Drecksvolk“ zugesandt und angefragt hatte, wann die Kommentare gelöscht würden, antwortete eine Sprecherin des Bundespresseamtes am Mittwochnachmittag: „Die Kommentare, auf die Sie uns hingewiesen haben, sind inzwischen gelöscht und der Polizei gemeldet worden.“
Allgemein behalte man sich „Löschungen von Nutzerbeiträgen“ bei „allen Rechtsverletzungen einschließlich Verletzungen unserer Netiquette, insbesondere bei strafbaren Inhalten vor“. Ziel der Redaktion sei es, derartige Inhalte möglichst zeitnah zu bearbeiten und zu löschen. „Strafwürdige Beiträge werden darüber hinaus auch den Strafverfolgungsbehörden gemeldet.“
In anderen Foren ist Antisemitismus selbstverständlich
Dass die Kommentare dort aber so lange stehen konnten, zeigt: Weder Facebook noch das von Union und SPD beschlossene Programm gegen sogenannte Hasssprache („Hate Speech“) verhindern offenen Antisemitismus auf der Seite der Bundesregierung. Ganz zu schweigen von öffentlich zugänglichen Facebook-Gruppen wie „Generation Islam“, die 61.000 Abonnenten verzeichnet.
Dort unterhalten sich in Deutschland lebende Muslime über Allah und die Welt sowie Politik: Die Seitenbetreiber veröffentlichten dort am Wochenende ein im Stil amerikanischer Actionfilme gehaltenes Video, in dem sie die „Reaktionen der arabischen und muslimischen Herrscher“ auf die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, als „gewohnt schwach“ beschreiben.
Dem halten sie als leuchtendes Beispiel die großen islamischen Eroberer der Geschichte entgegen. Jerusalem und Palästina seien aber „keine arabische oder palästinensische Angelegenheit“, sondern eine der weltweiten Gemeinschaft der Muslime. Mehr als 20.000 Mal wurde das Video schon aufgerufen. Darunter stehen seit mehreren Tagen Kommentare, in denen vom „Krebsgeschwür und Zionistengebilde“ die Rede ist. Israel habe „kein Existenzrecht“. Solange „sich die muslimischen Armeen nicht“ bewegten, werde „sich das Problem ,Israel‘ nicht lösen“.
Unter einem Beitrag über den angeblich von Israel herbeigeführten Wassermangel in Gaza, schreibt eine Asma Noor: „Möge Allah diese Hunde vernichten und ihnen die qualvollste Strafe geben.“ Abu Karim Marco Aghbal-Schelb aus Freiburg schreibt: „Hitler hat die Juden wie Tiere gehalten und hingerichtet, was tun diese Juden jetzt? Halten die Menschen im Gaza wie tiere . Israel ist ein hitlerstaat.“ Murat Citlak aus Bochum schreibt: „Stirb Israel stirb USA stirb Westen stirb einfach.... Die Ganze Welt hasst den Westen und die Juden.“
Für solche Gewaltfantasien, für Antisemitismus, Gewalt und Provokation, ist – entgegen der Behauptung auf der Facebook-Seite der Bundesregierung – in Deutschland viel Platz.