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Religionsgeschichte
Götterdämmerung

Im Römischen Reich lebten Christen und Polytheisten nebeneinander. Das Verhältnis war angespannt. Ein wichtiges Dokument aus dem fünften Jahrhundert ist die Streitschrift "Gegen Julian", in der sich der Patriarch von Alexandrien gegen die "heidnischen" Kulte des Kaisers Julian verwahrte. Bonner Wissenschaftler haben sie neu herausgegeben.

Von Dirk Eckert | 12.05.2017
    Der römische Kaiser Julian im Jahr 363 während der Römisch-Persische Kriege gegen den persischen Großkönig Schapur II. Illustration von Tancredi Scarpelli (1866-1937)
    Der römische Kaiser Julian im Jahr 363 während der Römisch-Persische Kriege gegen den persischen Großkönig Schapur II. Illustration von Tancredi Scarpelli (1866-1937) (imago / Leemage)
    Jupiter, Mars und Venus sind heute nur die Namen von Planeten, aber vor 2000 Jahren herrschte Jupiter noch als Göttervater, Mars war der Kriegsgott und Venus natürlich die Göttin der Liebe. Doch mit dem Aufstieg des Christentums verschwanden die Götter, natürlich sehr zum Missfallen der letzten "Heiden". Einer von ihnen war der römische Kaiser Julian: Ausgerechnet der Neffe von Kaiser Konstantin, der dem Christentum zum Durchbruch verholfen hatte, ging gegen christliche Beamte und Lehrer vor und versuchte, die alten Kulte wieder zu beleben. Welchen Aufwand er dabei trieb, schilderte der britische Historiker Edward Gibbon in seinem Klassiker "Verfall und Untergang des römischen Imperiums":
    "Aus den entlegensten Weltgegenden wurden unablässig die seltensten und schönsten Vögel herbeigeschafft, um auf den Altären der Götter zu bluten - nicht selten opferte Julian an einem Tag einhundert Ochsen."
    Abrechnung mit dem Christentum
    Julian verfasste im Jahr 363 auch eine theoretische Abrechnung mit dem Christentum. "Gegen die Galiläer", so der Titel, erwies sich als so wirksam, dass noch etwa 70 Jahre später Kyrill, der Patriarch von Alexandrien, eine Entgegnung schrieb, die jetzt in einer kritischen Neuausgabe erschienen ist. Noch dieses Jahr soll eine deutsche Übersetzung folgen. "Gegen Julian" heißt diese Schrift. Sie liefert faszinierende Einblicke in die damalige Welt – auch deshalb, weil wir Julians Schrift gegen die Galiläer nur aus Kyrills Entgegnung kennen. Wolfram Kinzig, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Bonn, hat an der Neuausgabe mitgewirkt:
    "Kyrill fährt sozusagen alles auf, was man sich vorstellen kann zur Verteidigung des Christentums. Warum tut er das? Auch darüber haben wir keine oder nur sehr wenige direkte Zeugnisse. Aber wir wissen, dass in Alexandrien, wo Kyrill Bischof war zu dieser Zeit, es große heidnische Zirkel gab. Und auch sehr viele innerhalb der Elite Alexandriens – das war ja eine große Weltstadt, eine Metropole – sich für das Heidentum noch interessiert haben und für die platonische Philosophie. Und mit denen setzt er sich auseinander."
    Fundamentaler Dissens
    Im Streit zwischen Kaiser und Patriarch ging es hoch her: Julian verspottete die Christen als Provinzler, als Leute aus Galiläa, den jüdisch-christlichen Gott kanzelte er als unbedeutende Lokalgottheit ab, längst nicht so mächtig wie die römischen Götter, denen Rom sein Reich verdanke. Unterschiede zwischen den Völkern erklärte Julian mit verschiedenen lokalen Gottheiten. Dagegen setzte Kyrill den einen Gott, vor dem alle Menschen gleich sind, erklärte Unterschiede mit dem Turmbau zu Babel und die Macht Roms mit der Stärke seiner Armeen. Julian warf den Christen vor, dass sich die Evangelien widersprechen. Und Kyrill konterte, auch die antiken Philosophen seien sich nicht einig. Und dann wurden akribisch die Schöpfungsgeschichten verglichen und auch debattiert, wer der bessere Philosoph ist, Moses oder Platon. Letztlich gab es aber einen fundamentalen Dissens, das sagt jedenfalls Wolfram Kinzig:
    "Was die Christen nicht akzeptieren konnten, war eine Göttervielfalt. Es war völlig klar, von ihrer Geschichte her, aus dem Alten Testament und dem Judentum: Es gibt einen Gott und dieser eine Gott hat Jesus Christus gesandt zur Erlösung der Menschheit. Das ist sozusagen die Grundlehre. Und das war für Heiden an diesem Punkt nicht akzeptabel: Gott kann nicht Mensch werden, das ist ausgeschlossen. Es gibt zahlreiche Traktate über die Frage, kann Gott Mensch werden. Und das ist ein ganz klarer Dissenspunkt."
    Strittige Rolle Kyrills
    Und der hatte eben auch Folgen: Wurden zuerst die Christen im Römischen Reich verfolgt, drehten diese später den Spieß um. Und so wurde die heidnische Philosophin Hypatia im Jahr 415 in Alexandria von einem christlichen Mob ermordet. Gelehrte wie Edward Gibbon vermuten, dass Kyrill als Patriarch daran beteiligt war:
    "Noch die ranghöchsten und angesehensten Personen waren ungeduldig, diese Philosophin aufzusuchen; und Kyrillos sah mit Neide den prachtvollen Fuhrpark und den Zug von Pferden und Sklaven, die sich vor der Tür ihrer Akademie stauten".
    Hypatia (370 - 415 n.Chr.), eine griechische spätantike Mathematikerin, Astronomin und Philosophin, wird in Alexandria von einem Mob von Anhängern des Patriarchen Kyrill ermordet.
    Hypatia (370 - 415 n.Chr.), eine griechische spätantike Mathematikerin, Astronomin und Philosophin, wird in Alexandria von einem Mob von Anhängern des Patriarchen Kyrill ermordet. (imago / Leemage)
    Ihre Ermordung machte dann aus Hypatia eine Ikone, Heilige und Märtyrerin der Wissenschaft und des Feminismus, so auch im Film "Agora – Die Säulen des Himmels" von 2009. Unter Historikern ist das freilich umstritten, Hypatia könnte auch Opfer eines politischen Mordes geworden sein im Kampf um die Herrschaft in Alexandria. Dass Kyrill darin verwickelt war, das schließt Wolfram Kinzig allerdings auch nicht aus:
    "Es gibt keine reichsweiten Heidenverfolgungen. Aber es gibt lokal, auch in Alexandrien, und Kyrill ist da teilweise dran beteiligt, oder jedenfalls wird das diskutiert, kommt es dann zu lokalen Pogromen. Ein berühmter Fall ist eben die Philosophin Hypatia, an deren Ermordung durch einen christlichen Mob Kyrill möglicherweise beteiligt war. Das halte ich nicht für ausgeschlossen, aber auch nicht für erwiesen."
    Durchsetzung christlicher Humanität
    Wolfram Kinzig warnt allerdings davor, das damalige Zusammenleben auf Gewalt zu reduzieren. Heute weiß man auch von getauften Christen, die in Synagogen gingen und ebenso von "Heiden", die mal den christlichen Glauben ausprobierten. Auch gegen solche Mischformen richtete sich Kyrills Schrift. Dass sich letztlich dann das Christentum durchsetzte, dafür sieht Wolfram Kinzig drei Gründe.
    "Erstens eine insgesamt konsistente theologische Lehre, die darauf basiert, den Menschen zu erklären, warum diese Welt in sich unvollkommen ist, woher diese Welt kommt und wohin diese Welt und die Menschen darauf gehen werden. Zweitens, eine klare Organisation, in der es Spezialisten gibt, die für den Kult zuständig sind, für die Gottesdienste. In der es Spezialisten dafür gibt, die für die Gemeindestruktur, für die Finanzen verantwortlich sind. In der flächendeckend Menschen, die Christen sind, betreut werden. Und drittens eine Ethik der Humanität, die sich um das Schicksal des Einzelnen kümmert."
    Dazu gehörte neben der Armenfürsorge auch die Gemeindearbeit, die wir ja heute auch noch kennen. Die Kirche betreut ihre Gläubigen von der Geburt an bis in den Tod. Gegen diese Konkurrenz konnten die antiken Götter offenbar nicht bestehen.