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Ronald Reagan: Ein Satz für die Ewigkeit

Foto: IRA SCHWARTZ/ ASSOCIATED PRESS

30 Jahre Reagan-Rede in Berlin "Wir wollten Gorbatschow nicht bloßstellen"

"Mister Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder": Vor 30 Jahren hielt Ronald Reagan seine berühmte Rede in Berlin. Peter Robinson schrieb das Manuskript. Hier erzählt er, wie umstritten die Rede war - und wer den Einfall für den Satz hatte.

SPIEGEL ONLINE: US-Präsident Ronald Reagan stellte sich am 12. Juni 1987 vor das Brandenburger Tor und sagte den berühmten Satz: "Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder." Sie haben diese Rede geschrieben. Was dachten Sie, als Reagan den Satz tatsächlich sagte?

Robinson: Das weiß ich noch ganz genau. Ich war einfach nur erleichtert. Wir hatten in der Regierung vorher drei Wochen einen regelrechten Krieg über die Frage geführt, ob dieser Satz im Manuskript bleiben soll oder nicht. Ich war aber auch erleichtert über die Art und Weise, wie Reagan den Satz sagte. Reagan war ein unglaublich begabter Redner, ein Performer, er hat unser Material genommen und meistens wunderbare Dinge damit gemacht. Hinter diesem Satz steckte eine besondere Leidenschaft.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Robinson: Reagan hat uns nach seiner Rückkehr mal erzählt, dass er vor seiner Rede auf eine Plattform am Brandenburger Tor geführt worden sei, von der er in den Osten auf die Straße Unter den Linden habe blicken können. Ihm wurde erzählt, dass sich dort an jenem Morgen Menschen versammelt hätten, um der Rede zu lauschen, sie seien aber von der Polizei vertrieben worden. Reagan sagte uns, er habe das im Kopf gehabt, als er den Satz sagte. Deswegen die besondere Leidenschaft.

SPIEGEL ONLINE: Wie kam es, dass ausgerechnet Sie diese Rede schrieben?

Robinson: Wir waren damals fünf oder sechs Redenschreiber im Weißen Haus, und jeder musste mal eine große Rede schreiben. Ich war für Reagans Berlin-Auftritt an der Reihe. Es war, wenn man so will, eine Art Routine - bis ich zur Vorbereitung für zwei Tage nach Berlin flog.

SPIEGEL ONLINE: Wie war Ihr Eindruck von Berlin damals?

Robinson: Ich bin als Erstes zum Ort gegangen, an dem Reagan sprechen sollte. Ich weiß gar nicht, ob man das heute noch Leuten vermitteln kann, wie sich das damals angefühlt hat. Da steht der Reichstag, noch immer gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg. Da ist die Mauer, da sind Kreuze am Fuße dieser Mauer für die Menschen, die bei ihrer Flucht getötet wurden. Ich war noch nie an einem Platz, an dem man das Gewicht der Geschichte so spüren konnte. In dem Moment wusste ich: Das wird keine Routine.

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SPIEGEL ONLINE: Die Frage, wer den berühmten Satz wirklich in die Rede geschrieben hat, ist ein wenig umstritten. Die meisten Beobachter schreiben den Satz Ihnen zu, aber auch die damaligen US-Diplomaten in Berlin um John Kornblum wollen involviert gewesen sein. Andere sagen, der Präsident selbst habe den Satz geschrieben.

Robinson: Die Berliner um Kornblum hatten damit nichts zu tun. Sie hatten damals auch einen Entwurf geschrieben, in dem glaube ich so etwas stand wie: Diese Grenze wird verschwinden. Etwas anderes ist aber eigentlich viel interessanter: Ich habe den Satz zwar ins Manuskript geschrieben, aber er stammt eigentlich von einer Deutschen.

SPIEGEL ONLINE: Von wem?

Robinson: Nachdem ich damals am Brandenburger Tor war, habe ich John Kornblum getroffen, und er gab mir eine ganze Reihe von Warnungen: Reagan dürfe auf keinen Fall wie ein antikommunistischer Cowboy klingen. Und für die Mauer würden sich die Berliner gar nicht mehr so sehr interessieren. Ich brauchte aber irgendwie Material für die Rede. Ich bin noch am gleichen Abend vor meinem Hotel in ein Taxi gestiegen und in die Limonenstraße gefahren, wo ich bei einer Dinnerparty von zwei Berlinern eingeladen war, Dieter und Ingeborg Elz.

SPIEGEL ONLINE: Zwei Menschen, die inzwischen verstorben sind.

Robinson: Ja, richtig. Ich kannte sie nicht, aber wir hatten gemeinsame Freunde. Ein Professor war da, ein Arzt, ein paar Studenten. Ich fragte die Runde, ob es stimme, dass sich die Berliner an die Mauer gewöhnt hätten. Jeder hatte eine Geschichte. Einer erzählte, dass er seine Schwester seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Ein anderer erzählte, er gehe jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit an einem Wachturm vorbei und sehe den gleichen Soldaten. Ingeborg Elz, übrigens eine wunderbare Frau, war regelrecht wütend. Sie sagte: "Wenn Gorbatschow es ernst meint mit Glasnost und Perestroika, dann kann er es beweisen, indem er die Mauer abreißt." Das habe ich mir notiert.

SPIEGEL ONLINE: Was passierte dann, als Sie zurück in Washington waren?

Robinson: Ich bin zu meinem Boss gegangen, Tony Dolan. Ich habe ihm gesagt, ich würde gerne eine Rede schreiben, die sich im Kern um die Forderung dreht, die Mauer zu beseitigen. Wir sind dann zu Tom Griscom gegangen, dem Kommunikationsdirektor. Er war einverstanden mit dem Plan.

SPIEGEL ONLINE: Wann hat Reagan das Manuskript das erste Mal gesehen?

Robinson: Das weiß ich auch noch ziemlich genau. Vor Berlin musste Reagan nämlich noch nach Venedig zu einem Wirtschaftsgipfel und nach Rom zum Papst. Es gab da wahnsinnig viel vorzubereiten für ihn. Am 15. Mai, das war ein Freitag, ist er nach Camp David geflogen. Und mein Chef, Tony Dolan, hatte die Idee, ihm das ganze Zeug für das Wochenende mitzugeben. Er hat dann auf den Hubschrauber gewartet, und als der auf dem Rasen des Weißen Hauses landete, hat er die Unterlagen genommen, unter anderem meinen Rede-Entwurf, ist in den West Wing gelaufen und hat alles der Sekretärin gegeben mit dem Hinweis: Das ist so viel, der Präsident muss das am Wochenende durchschauen. Hat er auch gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Woher wissen Sie das?

Robinson: Wir Redenschreiber hatten am Montag, dem 18. Mai, ein Treffen im Oval Office mit ihm. Und wir sind alle Reden durchgegangen, die er in Europa halten sollte. Zu meinem Manuskript sagte der Präsident: "Guter Entwurf, gute Rede." Das war ein bisschen enttäuschend, weil wir Redenschreiber immer eine Anregung wollten von ihm. Ich fragte ihn: "Mister President, in Berlin hat man mir gesagt, die Rede könne bei entsprechendem Wetter sogar im Osten zu hören sein. Gibt es irgendetwas, das sie den Menschen jenseits der Mauer sagen möchten?" Reagan sagte: "Es gibt da diese Passage über den Abriss der Mauer. Das würde ich gerne sagen."

SPIEGEL ONLINE: Sie sprachen den Streit in der Regierung über den Satz an. Warum gab es Streit, wo doch der Präsident den Satz ausdrücklich wollte?

Robinson: Der Nationale Sicherheitsrat hatte Bedenken, dort glaubte kaum einer, dass die Mauer so schnell fallen würde. Das Außenministerium war stark dagegen, weil Gorbatschow nicht zu sehr provoziert werden sollte. Drei Wochen lang bin ich in ein Meeting nach dem anderen gerufen worden.

SPIEGEL ONLINE: Sie waren nicht mit auf der Reise, sondern blieben damals in Washington. War das ein Problem in dieser Hinsicht?

Robinson: Ja, klar. Ken Duberstein, damals stellvertretender Stabschef, erzählte mir anschließend, dass es in Italien noch ganz schön zur Sache gegangen sei wegen der Rede. Irgendwann habe er die Bedenken einfach zum Präsidenten tragen müssen. Er hat sich dann in den Garten irgendeines italienischen Palazzos mit ihm gesetzt, ihm die zentrale Passage noch einmal vorgelesen und die Gegenargumente aufgelistet. Reagan sagte dann: "Also, wenn ich der Präsident bin, dann entscheide ich doch auch darüber, ob ich den Satz sage oder nicht. Oder?" Der Satz blieb drin.

SPIEGEL ONLINE: Der Streit ist ja auch deshalb interessant, weil damals eigentlich noch niemand wirklich wissen konnte, ob die Rede wirklich historisch wird.

Robinson: Ja. Heute sagen alle: Wow, wie war das denn, als du diese Rede geschrieben hast? Ich wollte damals vor allem meine Frist einhalten und dem Präsidenten vernünftiges Material geben. Das waren die Ziele. Eigentlich ganz schlicht. In Wahrheit wurde die Rede ja auch erst eineinhalb Jahre später wirklich bedeutsam. Sie wurde sozusagen im Rückblick prophetisch, das klingt ein bisschen komisch, aber so ist es.

SPIEGEL ONLINE: Reagan war nicht der beliebteste US-Präsident in Deutschland. Viele empfinden die Rede heute auch noch als propagandistisch.

Robinson: Das war sie aber nicht. Schauen Sie, das Verhältnis zwischen Amerika und der Sowjetunion entwickelte sich unter Reagan. Im ersten Teil seiner Präsidentschaft haben wir aufgerüstet und es gab nicht ansatzweise Verhandlungen. Plötzlich kam Gorbatschow, und es entstand eine Art Verhältnis zwischen den beiden. Beide waren selbstsicher und deswegen auch entspannt. Das Gefühl der Feindschaft, das war auf einmal weg. Als Reagan also diesen Satz sagte, meinte er eigentlich: "Ich kenne dich. Ich weiß, dass du auch nicht mehr an die Mauer glaubst. Also gib dir einen Ruck."

SPIEGEL ONLINE: Den Kontext hatten nur damals nicht alle.

Robinson: Wir wollten Gorbatschow nicht bloßstellen. Reagan war damals angetan von ihm. Möglicherweise auch, weil beide religiös waren. Ich habe Gorbatschow Jahre später mal getroffen, als er einen Vortrag hielt. Er sagte, Reagan und er hätten die gleichen christlichen Moralvorstellungen geteilt. Dann hat er eine faszinierende Geschichte über seinen Großvater erzählt. Wenn dieser sich mit anderen Kommunisten getroffen habe, so Gorbatschow, habe er stets Bilder von Stalin und Lenin aufgehängt. Wenn seine Kollegen wieder verschwunden waren, habe der Großvater wieder Heiligenbilder aufgehängt.

SPIEGEL ONLINE: Eine generelle Frage zum Abschluss: die politische Kommunikation hat sich in den letzten 30 Jahren dramatisch verändert. Sind Reden heute noch so wichtig wie damals?

Robinson: Ich glaube schon. Ich finde es spannend, dass man 2500 Jahre zurückgehen kann zu Perikles, und die Essenz des Regierens in einer Demokratie ist immer noch die Gleiche: Ein Mann oder eine Frau stellt sich vor die Bürger und benutzt einfache Sprache, um sie zu überzeugen.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich aus Ihrer Sicht denn gar nichts verändert?

Robinson: Doch. Vor 30 Jahren war das Fernsehen wesentlich weniger wichtig als die Zeitung. Unser Hauptziel war immer, dass es da diesen einen Satz gab, der auf jeden Fall zitiert werden wird in großen Artikeln. Die Rolle des Mediums hat sich verändert, die Bedeutung der Kernsätze nicht. Sie waren eigentlich schon immer ein Zeichen für eine gute Rede. "So wie ich nicht Sklave sein möchte, möchte ich nicht Herr sein": Abraham Lincoln. "Ich habe nichts anzubieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß": Winston Churchill. Das sind echte, historische O-Töne.