Eigentlich ist es erstaunlich, dass es nicht bei diesem einen Moment of Glory geblieben ist. Als Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos "I want you to panic" sagte und ein Video davon um die westliche Welt ging, war doch schon alles gesagt. Dass sie seitdem selbst um den Planeten reist und immer ähnliche baukastenartige Reden hält, ist ja nicht der Rede wert. Eigentlich. Zu den Verkehrsmitteln kommen wir später.

Die Debatte ist polarisiert: Die einen sagen, dass es sich bei dem Phänomen Greta um einen künstlichen Hype handle, von geltungssüchtigen Eltern erdacht, von Ökokonzernen aus Eigeninteresse gepampert und von Journalisten mit grünem Bias aus weltanschaulicher Verbundenheit gefördert. Nein, sagen die anderen, Greta ist deshalb ein Thema, weil ihre Botschaft wichtig ist und sie sie schonungslos zu Gehör bringt.

Natürlich ist beides, isoliert, Quatsch. Wenn geltungsbedürftige Eltern ein globales Phänomen erschaffen könnten, hätte das auch mit Sophia Thomalla geklappt. Und wenn es allein um wichtige Botschaften in starken Sätzen ginge, wäre Hans Joachim Schellnhuber längst ein Weltstar. Medienkompatibel ist Greta auch eigentlich nur für den einen Moment des Erstaunens darüber, wie viel Gravitas eine Schülerin haben kann. Beziehungsweise: für den kurzen Zeitraum, in dem diese Beobachtung mit dem Verweis auf ihren Asperger-Autismus pathologisiert wird.

Was also sorgt dafür, dass die sonst bei Umweltschutzikonen zu beobachtenden Abnutzungs- und Gewöhnungseffekte ein Jahr nach Beginn des Skolstrejk för klimatet im Fall Greta kaum einsetzen? Warum bleibt nicht nur das Thema aufgrund immer neuer bedenklicher Wetterphänomene virulent, sondern auch die Figur?

Nichts davon führt in die Irre

Zum einen: Greta ist eben keine Ikone. Sie ist kein der religiösen Verehrung anheimgegebenes Totenbild, sie ist auch kein abgemagerter Eisbär, sondern im Gegenteil quicklebendig. Das sorgt nicht zuletzt dafür, dass die Erzählung ihrer Person sich bis heute stetig zuspitzen lässt. Die aktuelle natürlich hochsymbolische Schiffspassage markiert in diesem Kontext den Höhepunkt von etwas, das – auch im Sinne der Greta-Skeptiker – durchaus Inszenierung heißen kann. Doch ändern alle Diskussionen darüber eben nichts daran, dass diese Inszenierung für die Fürsprecher eines nicht bedeutet: dass Greta selbst durch sie zum Fake wird.

Stattdessen wurde Greta Thunberg in den vergangenen Monaten zum Beispiel als Jesus Christus gelesen, weil sich in ihr Heilserwartungen bündeln, oder als Kaspar Hauser, weil ihre pathologische Andersartigkeit vor Augen führt, wie stark gesellschaftliche Handlungsweisen hinter dem kollektiven Bewusstseinsstand zurückbleiben. Ferner ist sie jung und kompromisslos wie Jeanne d'Arc und damit für die idealistische Jugend so anschlussfähig. Und sie erscheint – darauf ist bisher laut Google noch niemand gekommen – so unverwundbar wie Prometheus. Wie dem Titan am Berg die Adlerbisse wieder zuwuchsen, übersteht auch Greta bis hierhin narbenfrei die Bisse derer, die ihr Fehler nachweisen wollen, beginnend bei einem plastikverpackten Toast im Januar, vorläufig endend bei ihrer dann doch etwas klimaintensiveren Schiffsreise.

Nichts davon führt grundsätzlich in die Irre, alles führt zu weiteren Fragen: Warum weckt jemand Heilserwartungen, der nur unbequeme Lösungen anbietet? Wie könnte die neue Bewusstseinsstufe aussehen, auf die Greta uns hebt? Wo endet man heute mit der Kompromisslosigkeit der heiligen Johanna? Wieso zur Hölle lässt sich Greta nicht erledigen, indem man ihr Fehler im Denken nachweist, beziehungsweise im Handeln, das sich auf ihr Denken beziehen sollte?

Die letzte Frage ist am einfachsten zu beantworten: Greta profitiert als Aktivistin mit dem Ziel, Aufmerksamkeit für ein Problem zu erzeugen, durchaus von der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien. Die Grundvoraussetzung dafür ist paradoxerweise, dass sie das dort sonst übliche Großtuerische nicht bedient. Da sie nie behauptet hat, einen einfachen Weg zu kennen, gleiten alle Einwände, die ihren persönlichen Lebenswandel betreffen, an ihr ab. Und wer mit dem Verweis auf Gretas Tun und Lassen die Aufregung um sie als Sturm im Wasserglas entlarven will, sorgt dafür, dass das Glas überschwappt. In diesem Moment können die Greta-Fans – was wiederum jene wahnsinnig macht, die ihrer überdrüssig sind –  zu Recht fragen: Wer seid ihr, dass ihr die Dringlichkeit des Klimaschutzes diskreditiert seht, weil ihr einer 16-Jährigen (!) einen "Fehler" nachgewiesen habt?

Am Ende steht dann der (ausbleibende) Klimaschutz selbst im Mittelpunkt der Diskussion, während diese auch durchs Zutun derer, die sie nicht führen wollen, anschwillt wie im Deutschland der Zehnerjahre sonst nur die Flüchtlings- und Migrationsdebatte. Das Phänomen Greta birgt auf diese Weise einiges an Genugtuung für all jene, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend hilflos rechtspopulistischer Wahrheitsbeugung ausgesetzt sahen. Das korrespondiert eventuell auch mit einer Heilserwartung: Wem wäre eine unvermutete Wende der Welt zum Besseren zuzutrauen, wenn nicht einer heute 16-Jährigen, die innerhalb eines Jahres eine Wende des Diskurses geschafft hat? Frei nach dem Motto: Keine Ahnung, wie, aber wer Markus Söder vom Protofaschisten des bayerischen Landtagswahlkamps 2018 zum Tree Hugger des Jahres 2019 macht, schafft Ähnliches auch noch mit Donald Trump und Jair Bolsonaro!