Täglich kommen Tausende Geflüchtete aus der Ukraine nach Deutschland – Länder und Kommunen dringen deshalb auf eine bessere Abstimmung für den Umgang mit ihnen. Es sei "unerlässlich, die Ankommenden rasch und unkompliziert zu registrieren", zitiert das Handelsblatt aus einem Beschlussentwurf der Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder für die Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Nachmittag. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stehe in der Pflicht, "in Abstimmung mit den Innenministerien der Länder die bundesweite Koordinierung und Verteilung schnell zu verbessern und die Rahmenbedingungen für die Registrierung zügig festzulegen".

Ein "geordnetes und strukturiertes Verteilungsverfahren" unter Berücksichtigung des sogenannten Königsteiner Schlüssels sei "unerlässlich, um einseitige Belastungen einzelner Länder zu vermeiden", heißt es in dem Entwurf. Er sieht laut Handelsblatt zudem vor, dass "die bestehenden Überlasten in einzelnen Ländern" von der Ländergemeinschaft aufgefangen und abgefedert werden. Der Bund müsse hierbei eine "stark koordinierende Funktion einnehmen", weil aufgrund der freien Wahlmöglichkeit des Aufenthaltsortes der Geflüchteten bislang "nur begrenzte Steuerungsinstrumente" bestünden.

Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), fordert eine bessere Abstimmung: "Was mich wirklich besorgt, ist, dass es keine wirkliche Koordinierung bei der Verteilung von Geflüchteten gibt", sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die meisten Betroffenen seien Frauen und Kinder. "Wir dürfen hier nicht unsere staatliche Schutzverantwortung außer Acht lassen und müssen ausschließen können, dass sie im schlimmsten Fall Opfer von Menschenhandel oder Ausbeutung werden", sagte Amtsberg. Die staatlichen Akteure hätten die Pflicht, zu koordinieren, abzusichern und Strukturen bereitzustellen.

Pro Asyl fordert Vorrang für Unterbringung bei Angehörigen

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl spricht sich indes gegen einen festen Verteilungsschlüssel aus. Stattdessen solle die Unterbringung bei Angehörigen in Deutschland Vorrang haben, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wenn Geflüchtete bei Angehörigen unterkommen könnten, sei das "sinnvoll, denn Familie hilft bei der Integration". Das gelte für Spracherwerb, Arbeitssuche und generell für das Einleben in einen neuen Alltag, sagte er. "Wir sollten die Kriegsflüchtlinge daher nicht bürokratisch und streng nach Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer verteilen." Dies sei "eine Lehre aus dem Jahr 2015", als es zudem eine Residenzpflicht für bestimmte Landkreise gegeben habe. Damals kamen Hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien.

Der Pro-Asyl-Chef schlug vor, Bundesländer, Landkreise und Städte, die aufgrund größerer ukrainischer Gemeinden mehr Menschen aufnähmen, "sollten entsprechend mehr finanzielle Unterstützung vom Bund bekommen". Doch die anderen Regionen müssten sich ebenfalls beteiligen, denn es gebe auch Flüchtlinge aus der Ukraine ohne familiäre Anbindung in Deutschland.

Bisher wurden hierzulande rund 175.000 Geflüchtete aus der Ukraine von der Bundespolizei registriert, die meisten sind Frauen und Kinder. Ihre tatsächliche Zahl dürfte weit höher sein, weil es keine festen Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen gibt und Ukrainer ohne Visum einreisen können. Besonders stark belastet bei der Versorgung der Kriegsflüchtlinge sind Großstädte wie Berlin.  

Städtetag: Notunterkünfte in Großstädten bald ausgelastet

"In dieser akuten Lage erwarten wir zusätzliche klare Zusagen vom Bund in Bezug auf organisatorische, personelle und auch finanzielle Unterstützung, die wir nicht nur in Berlin dringend benötigen", sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den Funke-Zeitungen. Ihr Bundesland nehme "aktuell im bundesweiten Vergleich den größten Anteil an Geflüchteten aus der Ukraine auf".

Auch der Deutsche Städtetag forderte eine bessere Verteilung der Geflüchteten. "Besonders in den Großstädten sind bald auch die neuen Notunterkünfte in Messe- und Veranstaltungshallen überfüllt", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe dem RND. Bund und Länder müssten bei der Ministerpräsidentenkonferenz "eine schlüssige Lösung verabreden, um die Geflüchteten gut auf alle Städte und Gemeinden zu verteilen" und auch neue Aufnahmekapazitäten zu schaffen. Lewe forderte zudem einen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen.   

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet mit Milliardenkosten durch die Aufnahme der Menschen. "Für Unterbringung und Integration müssen etwa 1.000 Euro pro Person und Monat angesetzt werden", sagte Städtebund-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Bild-Zeitung. Angesichts von jetzt schon rund 175.000 Geflüchteten aus der Ukraine stünden die Kommunen "vor riesigen Herausforderungen bei der Unterbringung und Versorgung". Die Ausgaben müssten "Bund und Länder übernehmen".

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