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Margarete Stokowski

Kampf gegen Diskriminierung als angebliches Geschäftsmodell Schwarz, lesbisch, arm – Jackpot?

Margarete Stokowski
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Wer über Rassismus schreibt, verdient manchmal auch Geld damit. Einige sehen darin ein Problem. Bitte was?
Frau bei Black-Lives-Matter-Protest im Londoner Hyde Park, 3. Juni 2020

Frau bei Black-Lives-Matter-Protest im Londoner Hyde Park, 3. Juni 2020

Foto: DYLAN MARTINEZ/ REUTERS

Es gibt Berufe, bei denen ist es nicht völlig abwegig, sich zu fragen, ob da eigentlich prinzipiell alles mit rechten Dingen zugeht. Immobilienspekulant, Notarin, sadistischer Sportlehrer, um mal ein paar zu nennen. Und dann gibt es Berufe, die eigentlich als unproblematisch gelten. Buchautorin zum Beispiel. Oder der Experte, der in Talkshows eingeladen wird. Es sei denn – ja, es sei denn, diese Tätigkeiten werden von Personen ausgeübt, die Diskriminierung erfahren. Dann stellt sich für manche die Frage, ob das in Ordnung ist.

Und so hat vor einigen Tagen die Juristin und Journalistin Fatina Keilani im »Tagesspiegel«  eine Entdeckung gemacht: »Aus der Mission ›Rassismus bekämpfen‹ haben einige Debattenteilnehmer ... inzwischen ein privates Geschäftsmodell gemacht: sei es als Buchautorin, Ex-Journalist und Buchautor, Talkshow-Dauergast oder twitternde Vierfachmutter.« Es sei das »Tagesgeschäft« bestimmter Menschen, ihre Benachteiligung »anzuprangern«. Das »gezielte Suchen nach Belegen für allgegenwärtigen Rassismus« sei die Haupttätigkeit dieser Menschen: »Denkt man sich das Thema Rassismus weg, etwa in der Annahme, dass diese Menschen hauptberuflich einem Tagesgeschäft nachgehen, dann bleibt nichts übrig.«

Nun. Denkt man sich das Thema Rassismus aus einem Buch über Rassismus weg, dann ist das ungefähr so sinnvoll, wie wenn man sich aus einem Telefonbuch die Telefonnummern wegdenkt. Aber abgesehen von diesem sehr speziellen Gedankenexperiment bleibt der Vorwurf, dass es Menschen gibt, die erstens Rassismus zu einem größeren Problem machen als er ist, zweitens daraus ein »Geschäftsmodell« machen, sprich: daran verdienen, und drittens das Monopol auf dieses Thema behalten wollen. Als Beispiel führt sie eine weiße Frau an, die auf einer Demo gegen Rassismus eine Maske mit dem Satz »I can't breathe« trug, den letzten Worten des von Polizisten getöteten George Floyd. Dieser Frau sei, so schreibt Keilani, vorgeworfen worden, sie dürfe das als Weiße gar nicht, und daraus folgt: »Weiße dürfen es aber nicht richtig machen, denn dann bliebe der Empörungsnachschub aus, und das schöne Geschäftsmodell wäre kaputt.«

Die Neuauflage des »Opfer-Abos«

Hier steckt im Grunde noch ein vierter Vorwurf: Von Rassismus betroffene Menschen würden sich über Rassismus beschweren, dabei sollten sie eigentlich froh und dankbar sein, dass sie immer noch diskriminiert werden, denn daraus ergibt sich doch das »schöne Geschäftsmodell« des Kampfes gegen Rassismus. Demnach müssten allerdings schwarze, lesbische, alleinerziehende Frauen, die womöglich noch trans und arm und behindert sind, hierzulande zu den Reichsten gehören, weil sie quasi den Jackpot an Diskriminierung hätten.

Das alles ist im Grunde eine Neuauflage des Vorwurfs von vor etwa neun Jahren, dass Frauen ein »Opfer-Abo« hätten – ein Begriff, der zu Recht zum »Unwort des Jahres 2012« gekürt wurde. Nun sollen es also von Rassismus betroffene Menschen sein, die das »Opfer-Abo« haben und damit fleißig verdienen. Interessant. Wenn ich die Schlagworte »Rassismus« und »Geschäftsmodell« in mein bescheidenes Gehirn eingebe, fällt mir als Erstes ein, dass in unserem Parlament eine Partei sitzt, deren Hauptgeschäft Rassismus ist und deren Abgeordnete wir alle mit unseren Steuern bezahlen.

Was genau soll der Vorwurf sein, wenn Menschen Bücher über Rassismus schreiben und damit Geld verdienen? Sollten diese Leute ihre Arbeit kostenlos anbieten? Verrückt, aber das tun sie bereits: Viele der Menschen, die in Büchern oder Talkshows über ihre Rassismuserfahrungen sprechen, tun dies auch in sozialen Medien, ohne dafür Geld zu bekommen. Man könnte das auch ehrenamtliche Bildungsarbeit nennen. In besagtem »Tagesspiegel«-Text aber ist auch dieses Twittern gegen Rassismus für die Autorin ein Problem: Als Beispiel dient ihr Jasmina Kuhnke, die »twitternde Vierfachmutter«. Kuhnke ist hauptberuflich nicht Vierfachmutter, sondern TV- und Comedyautorin, und hat einen Twitteraccount mit über 70.000 Followern. Dort schreibt sie regelmäßig über alles Mögliche, unter anderem eben über Dinge, die man in Deutschland erlebt, wenn man schwarz ist. (Der SPIEGEL hat sie vor Kurzem porträtiert, mehr dazu hier .) Kuhnke ist – siehe: ihr Beruf – gut im Schreiben von Pointen, wobei sich zwar viele ihrer Tweets auf Rassismus beziehen, aber bei Weitem nicht alle. Manchmal schreibt sie auch einfach nur an Friedrich Merz: »Dein Haar sitzt schlecht.«

Mit Twittern verdient man kein Geld

Um es für diejenigen zu sagen, die es nicht wissen: Mit Twittern verdient man kein Geld. Außer man twittert für einen Auftraggeber, der dafür bezahlt, also beispielsweise, wenn man die Social-Media-Kanäle einer Firma bespielt. Auf Instagram kann man Geld von Firmen bekommen, wenn man Werbung für ihre Produkte macht, das sind dann aber üblicherweise Badebomben und kein Antirassismus. Wenn eine Autorin einen Twitteraccount hat, dann kann sie damit zwar Aufmerksamkeit für ihre Arbeit, ihre politischen Anliegen, ihre Selfies und Witze erzeugen, sie wird aber auch, wenn sie Antirassistin ist, eventuell einen hohen Preis dafür zahlen, denn öffentlich präsente, linke Frauen werden nicht selten mit Gewalt bedroht. Diese Gewaltandrohungen können Betroffene nicht nur Zeit, sondern auch sehr viel Geld kosten: Kosten für eine Anwältin, für Sicherheitsvorkehrungen, Honorarausfälle im eigentlichen Beruf.

An dieser Stelle gibt es ein sehr unangenehmes Phänomen, das man häufiger beobachten kann, wenn Journalist_innen über das Social-Media-Verhalten anderer publizistisch tätiger Menschen sprechen: eine sehr bizarre Form von Neid auf Aufmerksamkeit, selbst wenn diese Aufmerksamkeit Morddrohungen mit einschließt. Journalist_innen, die eher Redaktionsarbeit machen, als eigene Texte zu schreiben, oder solche, die eher wenig reichweitenstarke Texte schreiben, ärgern sich manchmal, wenn sie sehen, wie viele Follower ihre Kolleg_innen haben – das ist einerseits verständlich, andererseits twittern die mit den wenigen Followern oft nur so was wie »Guten Morgen, erst mal Kaffee«. Es sind diese Journalist_innen, die es dann als Shitstorm betrachten, wenn da – fiktives Beispiel – fünf Leute drunterkommentieren, dass sie lieber Tee als Kaffee mögen, während es für andere – kein fiktives Beispiel – normal ist, an manchen Tagen im Minutentakt Gewaltandrohungen zu bekommen.

Funfact: Wenn es Menschen, die in sozialen Medien über ihre Rassismuserfahrungen schreiben, tatsächlich ums Geld ginge, dann könnten sie spätestens ab einer mittelhohen fünfstelligen Followerzahl auf Instagram direkt mit diesen Themen aufhören, denn mit einem solchen Account wäre es auch möglich, als Influencer_in ein ordentliches vierstelliges Monatsgehalt zu erwirtschaften, indem man ein- bis zweimal die Woche eine Handcreme oder einen Wasserfilter bewirbt.

Diskriminierte Gruppen bestehen aus Individuen

Aber Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, kämpfen gegen diese Diskriminierung nicht an, weil es besonders einträglich wäre, sondern weil sie ihnen und anderen das Leben schwer macht. Diskriminierte Gruppen sind üblicherweise froh und dankbar, wenn sich Leute von außerhalb für sie einsetzen – aber nicht egal, auf welche Art: Nicht alles, was man in guter Absicht tut, um eine diskriminierte Gruppe zu unterstützen, kommt auch wirklich gut an. Das liegt daran, dass diskriminierte Gruppen aus Individuen bestehen. Wenn Sie als nichtjüdischer Mensch nach einem antisemitischen Anschlag Ihre Solidarität ausdrücken wollen und dazu eine Kippa aufsetzen, dann wird es jüdische Menschen geben, die »Danke« sagen, und solche, die sagen: »Was soll das, nimm das Ding ab!« Wenn die Solidarität ernst gemeint ist, hört man darauf, was kritisiert wird. Wenn es nur Eitelkeit war und der Versuch, möglichst heldenhaft auszusehen, dann reagiert man gekränkt. So entstehen dann auch Schlussfolgerungen wie die, dass weiße Menschen sowieso nicht gegen Rassismus kämpfen können. Umgekehrt ist es richtig: Nur wenn weiße Menschen sich ändern, wird Rassismus weggehen.

Doch wer Rassismus nicht für ein ernsthaftes Problem hält, wird immer etwas daran auszusetzen haben, wenn Leute gegen ihn vorgehen, ob sie es in Büchern, Talkshows oder Tweets tun. Jasmina Kuhnke hat auf den Artikel, in dem sie angegriffen wurde, in einem Blogbeitrag  geantwortet: »Solange die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht anerkennt, dass unser System strukturell rassistisch ist, macht es keinen Sinn, in freundlich angepasstem Ton darum zu bitten, sich die Vormachtstellung weißer Privilegien bewusst zu machen.« Und auch ein anderer Autor, der über Rassismus schreibt, schrieb eine Antwort – Hasnain Kazim , der auch mit Freude zugibt, mit seinem Buch über rassistische Kommentare Geld verdient zu haben: »Nun, dazu kann ich nur mit einigem Stolz sagen: Mir ist tatsächlich gelungen, woran die Menschheit bisher gescheitert ist – nämlich aus Scheiße Gold zu machen.« Er wird, wie viele andere, regelmäßig beschimpft und bedroht und antwortet darauf das einzig Richtige: »Gegen solch einen Rassismus kann man nicht nur, sondern muss man professionell vorgehen. Solange es professionelle Rassisten gibt – einige davon sitzen im Deutschen Bundestag –, braucht es unbedingt professionelle Antirassisten.«