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Guerilla-Marketing Verboten gute Werbung

Eine 85-Jährige will den Mount Everest besteigen, Kalifornien entgeht einem Anschlag und ein Philosoph rappt über Achselschweiß: Immer mehr Werbeagenturen verbreiten Lügengeschichten, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Von Samuel Jackisch
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Guerillawerbung: Dreiste Lüge, gute Gags?

Foto: Jens Kalaene/ picture-alliance/ dpa

Hamburg - Mit Tausenden Werbebotschaften wird der Mensch täglich konfrontiert - die meisten davon erreichen ihn unterbewusst. Wer in der Werbemasse noch auffallen will, muss sich etwas einfallen lassen.

Und das tun die Werber. Derzeit geht der Trend zu einer besonderen Form der Guerilla-Werbung: Erfundene Geschichten um vermeintlich echte Personen dienen als Trojanische Pferde, um Botschaften an die Empfänger zu bringen - über die Medien. "Der Verbraucher steht Werbung anders gegenüber, als objektiven Berichten", erklärt der Berliner Medienanwalt Martin Schirmbacher. Ein Grund, warum der Gesetzgeber Schleichwerbung und "nicht kenntlich gemachte kommerzielle Kommunikation" verbietet.

Guerilla-Werbung ist juristisch gesehen ein Graubereich. Denn, so Schirmbacher, die Täuschung eines Journalisten ist keine Schleichwerbung, "wenn für die Berichterstattung kein Geld an die jeweiligen Redaktionen fließt".

Mit dem Dackel auf den Everest

Wie Guerilla-Werbung funktioniert, wird am Fall Mary Woodbridge deutlich: Dutzende Zeitungen in Europa amüsierten ihre Leser im Jahr 2006 mit der Geschichte, eine 85-jährige Britin wolle den Mount Everest besteigen und dabei ihren Dackel Daisy mitnehmen. Bald entpuppte sich die Geschichte als Werbegag der Schweizer Bekleidungsmarke Mammut.

David Eicher von der Münchner Agentur webguerillas erklärt, wie die Story publik wurde: "Die vermeintliche Mary Woodbridge selbst hat sich bei den Zeitungen gemeldet und nach Hilfe bei der Sponsorensuche gefragt. Die Journalisten haben darin eine Story 'erkannt' und darüber berichtet." Dabei hätten die Redakteure die Geschichte durchschauen können: Welche 85-Jährige hat schon eine professionelle Website ?

Werbeprofi Eicher weist Vorwürfe an seine Zunft zurück. "Werbung bildet selten die Realität ab. Wo liegt der Unterschied zwischen einem am Computer geschönten Kampagnenbild, welches eine Scheinrealität abbildet, und einer Mary Woodbridge? Werbung verkauft nun mal Illusionen."

Die Bluewater-Affäre

Im Herbst sorgte die "Bluewater-Affäre" für Diskussionen darüber, wie weit Werbung gehen darf. Um seinen neuen Film bekannter zu machen, inszenierte ein Produktionsteam einen versuchten Terroranschlag in Kalifornien. Dazu wurden auf gefälschten Internetseiten aufwendig produzierte TV-Beiträge und Bekennervideos gezeigt, Schauspieler in der Rolle von Augenzeugen und Polizeisprechern nahmen die Anrufe von Journalisten entgegen - und führten diese reihenweise in die Irre.

Diese Aktion bewertet auch Guerilla-Werber Eicher als kritisch: "Es gibt natürlich Grenzen, hinter denen Provokation nicht mehr angesagt ist. Am Vorabend des 11. Septembers einen Terroranschlag in den USA zu inszenieren, das halte ich für zu viel des Guten."

Viraler Crash eines Stuntmans

Erfolgreiche Guerilla-Kampagnen sind oft viral angelegt. Dabei setzen die Agenturen darauf, dass Internetnutzer Inhalte an ihre Freunde weiterleiten, wenn sie ihnen gefallen haben. Ob die Empfänger die Werbebotschaft erkennen oder nicht: Sie verbreitet sich von selbst - wie ein Virus.

Die Marketing-Figur Ron Hammer ist dafür ein gutes Beispiel: Zunächst tauchte im Netz das vermeintliche Video eines Amateurfilmers  auf, das einen Stuntman bei dem Versuch zeigt, mit seinem Motorrad über einen Baumarkt zu springen - und dabei verunglückt.

Der Clip war nicht als Werbung gekennzeichnet und verbreitete sich schnell - worin Agenturchef Eicher Parallelen zum Fall Mary Woodbridge erkennt: "Auch Ron Hammer wurde aufwendig inszeniert. Er hatte einen eigenen Wikipedia-Eintrag, Plakate und groß angekündigte Shows, die dann wieder abgesagt wurden. So entwickelt sich ein Mythos, der Aufmerksamkeit erzeugt."

Erst Wochen später bekannte sich die Baumarktkette Hornbach als Urheber: Alles erfunden, Ron Hammer gibt es nicht.

Medienrechtler Schirmbacher bemängelt das Vorgehen der Kette: "Der Clip ist sogenannte 'kommerzielle Kommunikation', also Werbung", sagt er. Diese müsse erkennbar sein, wenn sie im Netz stattfindet - so will es das Telemediengesetz. Geklagt hat bisher allerdings niemand gegen Hornbach - im Gegenteil: Die verantwortliche Werbeagentur wurde für die Kampagne mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Unterwegs mit dem Deo-Rapper

Komplizierter liegt der Fall von "Dr. Stay Dry".  Für den Konsumgüterkonzern Unilever hatte eine Kölner Agentur im vergangenen Jahr eine Kampagne für die Deo-Marke "Axe" entworfen. Heraus kam nicht nur ein banaler Werbespot, sondern zusätzlich eine musikalische Kunstfigur: Dr. Stay Dry und sein Song "Don't Sweat That".

Um die Figur wurde eine absurde PR-Geschichte gesponnen: Dr. Stay Dry sei der Sohn einer Opernsängerin, der sein Philosophie-Studium abgebrochen habe, um in Las Vegas ein Vermögen am Roulette-Tisch zu verdienen und dann zufällig ins Musikgeschäft geraten sei. Unilever drehte mit "Doktor Bleib Trocken" einen Videoclip , der zwar deutlich erkennbar Elemente aus dem dazugehörigen Axe-Werbespot zitiert, das Produkt Axe oder die Firma Unilever jedoch nicht ausdrücklich erwähnt.

Der Song wurde ein Hit - maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Sender MTV und VIVA das Musikvideo in Deutschland oft gesendet haben. Gegenüber SPIEGEL ONLINE erklärte MTV, die Videoredaktionen hätten den "werblichen Charakter des Clips" durchaus gekannt. Für die redaktionelle Auswahl sei das jedoch "nicht ausschlaggebend gewesen".

Medienanwalt Schirmbacher sieht darin einen Regelverstoß: "Damit beteiligt sich der Sender eigentlich an Schleichwerbung. Aber es gibt hier leider keine einheitliche Rechtssprechung." Bei MTV hält sich das schlechte Gewissen in Grenzen. Es sei eine "rein redaktionelle Entscheidung" gewesen, den Clip zu zeigen - obwohl klar war, "dass es sich bei Dr. Stay-Dry um ein Kunstprodukt handelt", sagte Nicola Haake von MTV. Es sei keine Seltenheit, dass Künstler oder Songs aus ausgefallenen und cleveren Werbespots den Sprung in die Charts und entsprechend auf die Playlist schaffen.

Unternehmen und Lobbyverbände verschleiern ihre Werbebotschaften oft auch, indem sie vermeintlich unabhängige Privatpersonen im Internet für sich sprechen lassen: Die Bahn fingierte Straßenumfragen auf Youtube und der Deutsche Bauernverband ließ in Internetforen für seine Sache trommeln. Auch offline funktioniert diese Methode - zum Beispiel mit falschen Demonstranten gegen ein Computerspiel.

Trotzdem fliegen Schleichwerbung und inszenierte Realitäten nur selten auf. Denn viele unmittelbar Geschädigte - etwa Mitbewerber - gehen nicht dagegen an, weil sie nicht als Spielverderber dastehen wollen: "Daran will sich niemand die Finger verbrennen", sagt Medienrechtler Schirmbacher.