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Haushaltsmisere im Vergleich Amerika schlittert in die Schulden-Katastrophe

Europa kämpft mit Milliarden gegen die Schuldenkrise - dabei sind die Finanzprobleme der Euroländer geradezu harmlos im Vergleich zur Lage in den USA. Auf fast 13 Billionen Dollar summiert sich Amerikas Staatsverschuldung. Wenn sie nicht bald reduziert wird, droht der Kollaps.
Börsenhändler in New York: Schulden gehören zum "American Way of Life"

Börsenhändler in New York: Schulden gehören zum "American Way of Life"

Foto: MARIO TAMA/ AFP

Mehr als 21 Jahre ist es her, dass der New Yorker Immobilienmagnat Seymour Durst am Times Square die erste "National Debt Clock" installieren ließ. Seither zeigt diese acht Meter lange, elektronische "Schuldenuhr" mit ihren riesigen Leuchtziffern die Staatsverschuldung in Echtzeit an. Die Zählung begann am 20. Februar 1989 - mit rund 2,7 Billionen Dollar.

Im Herbst 2008 überschritt die Verschuldung die Zehn-Billionen-Dollar-Marke. Die Uhr hatte aber nur 13 Stellen - eine zu wenig, um eine zweistellige Billionensumme anzuzeigen. Daraufhin stand sie zunächst still. Die Medien kalauerten fröhlich vom "Zeichen der Zeit".

Schließlich wurde das Dollarzeichen, das der Zahl vorausging, provisorisch zur 14. Ziffer umgewandelt. Seitdem surrt die Uhr wieder ungebremst weiter. Aktueller Stand in der Nacht zum Dienstag: 12,9 Billionen Dollar.

Die meisten New Yorker jedoch, die an der Uhr vorbei über die Sixth Avenue hasten, schenken ihr kaum noch Beachtung. Sie nehmen das Schuldenloch ihrer eigenen Regierung längst als selbstverständlich hin - und ignorieren die heraufziehende Katastrophe. Ein Fehler, den auch die Europäer lange gemacht haben, bevor sie jetzt bitter dafür zahlen müssen.

"Wir haben kein Geld mehr"

Dabei wirken Europas Staatsschulden im Vergleich zu den USA geradezu harmlos. Die Gesamtverschuldung der Euro-Zone betrug 2009 annähernd sieben Billionen Euro (rund neun Billionen Dollar) - knapp 70 Prozent des amerikanischen Werts. "Washington lässt Paris sparsam aussehen", schreibt das US-Magazin "Reason" in seiner aktuellen Ausgabe. Deren Titel: "Wir haben kein Geld mehr."

Die US-Zahlen sind in der Tat atemberaubend. Das gilt sowohl für die gesamte Staatsverschuldung als auch für das aktuelle Defizit, das im Haushaltsjahr 2009 noch hinzukommt: mehr als 1,4 Billionen Dollar - ebenfalls ein historischer Höchstwert. Die Summe entspricht dem Dreifachen des Vorjahresrekords, als die Finanzkrise so richtig begann, ist die höchste seit dem Zweiten Weltkrieg.

Auch in Zukunft dürfte die US-Staatsverschuldung jährlich um eine weitere Billion Dollar wachsen. Die Prognose für 2019: 18,4 Billionen Dollar. Für diesen gigantischen Schuldenberg werden dann allein 700 Milliarden Dollar Zinsen und Gebühren fällig.

Besonders teuer wurden für den Staat die Maßnahmen gegen Kreditkrise und Rezession. Allein die Rettungspakete für die Wall Street und die Konjunktur, die das Weiße Haus in den vergangenen eineinhalb Jahren durch den Kongress peitschte, summierten sich auf mehr als 1,5 Billionen Dollar. Zugleich sanken die Steuereinnahmen des Staats dramatisch.

Schulden gehören zum American Way of Life

Mehr als die Hälfte der US-Regierungsschulden liegen über Staatsanleihen in öffentlicher Hand. Die Gläubiger sind Privatinvestoren, Industriekonzerne, Wall-Street-Banken, ausländische Regierungen. China ist der größte US-Auslandsgläubiger mit 877,5 Milliarden Dollar, gefolgt von Japan (768,5 Milliarden Dollar), Großbritannien (231,7 Milliarden Dollar) und Brasilien (170,8 Milliarden Dollar).

Anders als Europa, das nun massiv auf die Bremse tritt und einen radikalen Sparkurs einleitet, steuern die USA weiter auf den Abgrund zu. Die Gründe sind vielfältig. Schulden gehören zum "American Way of Life", weshalb die moralische Hemmschwelle fehlt. Das Land ist seit seiner Gründung verschuldet: Schon 1791 verbuchte es 75,5 Millionen Dollar Schulden. Nur einmal fielen die Staatsschulden vorübergehend auf annähernd Null - 1835 unter US-Präsident Andrew Jackson. Zwei Jahre später schlitterten die USA in eine Wirtschaftskrise, und die Geldschleusen öffneten sich prompt wieder.

Lange ließ sich dies relativ billig finanzieren: Die Zinspolitik der US-Notenbank, die Flucht panischer Investoren in vermeintlich sichere Staatsanleihen und die Regierungsprogramme auf dem Finanzmarkt hielten die Kosten des Geldleihens auch für den Staat niedrig. Doch all diese Konditionen dürften sich bald ändern.

Amerika sei auf einem "unverantwortbaren fiskalischen Weg", warnte der US-Rechnungshof jetzt. "Die Nation muss einen Kurswechsel einleiten, bevor das Defizit und die Verschuldung beispiellose Höhen erreichen."

Die Regierung hat das Problem immer wieder vertagt

Das Problem: Viele der kurzfristigen Kredite, die das US-Finanzministerium während der Finanzkrise aufnehmen musste, werden in den kommenden Monaten fällig - rund 1,6 Billionen Dollar, so schätzen Experten. Diese Summe muss die Regierung nun also refinanzieren.

Washington droht damit der gleiche Zahlungsschock wie den Millionen US-Hausbesitzern, die sich mit ihren Ramschhypotheken verzettelt hatten. "Die Regierung hält sich dank der aktuellen Niedrigzinsen über Wasser", sagte Robert Bixby, der Chef der Lobbygruppe Concord Coalition, der "New York Times". "Wir halsen uns eine enorme Hypothek auf und werden den Schmerz später spüren."

Doch jedes Mal, wenn Washington sich des Themas anzunehmen versucht, kocht wieder etwas anderes hoch, was die US-Bevölkerung und den Kongress ablenkt. Die Schuldenkrise, obwohl unübersehbar, wurde bisher vertagt.

Dabei läuten überall Alarmglocken. Die Rating-Agentur Moody's - selbst tief in die Ursachen der Finanzkrise verstrickt - warnte kürzlich, dass der wachsende US-Schuldenberg zur Abwertung der Staatsanleihen führen könnte.

Washington schlittert sehenden Auges in die Katastrophe. "Inflation, höhere Zinsen und Umschuldungsrisiken sollten die oberste Sorge sein", schrieb auch das Treasury Borrowing Advisory Committee - ein Gremium aus Marktexperten, das die US-Regierung berät - schon im November vergangenen Jahres. "Clevere Kredit-Managementstrategie kann kein Ersatz für vernünftige Fiskalpolitik sein."

Ratschläge von Ex-Notenbank-Chef Greenspan

Selbst Notenbankchef Ben Bernanke erkennt das Problem, drückt sich aber um konkrete Lösungen - wohl auch, da diese politisch derzeit kaum durchsetzbar sind. "Leider ist die Arithmetik ziemlich klar", gibt er zu. "Um große und unhaltbare Haushaltsdefizite zu vermeiden, muss die Nation zwischen höheren Steuern, Kürzung von Sozialprogrammen, weniger Ausgaben oder einer Kombination aus allem wählen." Damit beließ er es dann aber auch.

Sein Vorgänger Alan Greenspan, nun von der Verantwortung befreit, ist da schon deutlicher. Nicht der Dollar-Kurs mache ihm Sorgen, unkte er im Herbst vorigen Jahres - sondern das Defizit und die Staatsschulden: Dies sei "der beunruhigendste Aspekt der Wirtschaftsagenda der USA". Wobei aber auch Greenspan nicht der beste Kronzeuge ist - unter ihm kam es schließlich erst so weit.

Greenspan trat sein Amt am 11. August 1987 an. Eineinhalb Jahre später ließ Seymour Durst die "National Debt Clock" aufhängen. Sie zog seither viermal um und hängt heute über dem Eingang der Steuerbehörde IRS.