Es ist, als hätte Island eine Zeitreise angetreten – einmal zurück in die Finanzkrise. Aufgeregte Bürger versammeln sich vor dem grauen Parlamentsgebäude im Zentrum Reykjavíks, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Drinnen hatte die Opposition kurz zuvor ein Misstrauensvotum beantragt, das aber erst Ende der Woche behandelt wird.

Es geht um Geld, viel Geld. Und die Zukunft der Regierung und damit des Landes. "Es ist wirklich erstaunlich, wie die Lage an 2008/2009 erinnert", sagt Eirikur Bergmann, Politikprofessor an der isländischen Bifrost-Universität. Damals hatten Politik und Zentralbank jahrelang zugelassen, dass die Banken sich finanziell übernahmen und das Land an den Abgrund drängten. Die sogenannte Töpfe- und Pfannen-Revoultion, lautstarke Demonstrationen mit Küchenutensilien gegen die machthabenden Politiker, führte zum Abtritt der Regierung.

Dieser Tage könnte das auch wieder passieren. Am gestrigen Montagabend gab es erneut eine Massendemonstration vor dem Parlament. Angaben über die Teilnehmerzahl schwanken isländischen Medien zufolge. Es könnten bis zu 23.000 Menschen gewesen sein – knapp sieben Prozent der Bevölkerung. Ihre Botschaft: Der Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson von der Fortschrittspartei muss weg.

Auch diesmal geht es um viel Geld. Die Panama Papers haben Details darüber publik gemacht, was auf Island schon seit März bekannt war: dass der Regierungschef und seine Frau Bonds von Glitnir, eine der gefallenen isländischen Banken, besaßen. Heutiger Wert laut Süddeutscher Zeitung (SZ): rund 3,6 Millionen Euro. Seit Ende 2009 ist laut SZ die Frau des Politikers alleinige Besitzerin. Pikant und damit die Zukunft des Politikers gefährdend sind vier Fakten: Diese Anteile wurden über die offshore registrierte Firma Wintris Inc. gehalten. Der Premierminister hatte lange geleugnet, derartige Anteile besessen und sie für nur einen Dollar an seine Frau verkauft zu haben. Vor allem aber hat er als Regierungschef selber über die Zukunft von Gläubigern der Banken verhandelt.

"Island hat die Finanzkrise womöglich doch nicht so gut aufgearbeitet, wie es vielen schien", so Bergmann. Das 330.000 Einwohner zählende Land war international immer wieder als Vorbild genannt worden, weil es umfangreiche Berichte zur Finanzkrise veröffentlicht hatte und Banker ins Gefängnis kamen.

Details seit März bekannt

Nun werden Rücktrittsforderungen gegen Gunnlaugsson  laut, die dieser allerdings ablehnt: "Es ist unvorstellbar, dass in einem nordeuropäischen Land jemand Premier ist, der Geld offshore hat", sagt Olafur Eliasson. Der Namensvetter des weltberühmten isländischen Künstlers ist Pianist und hat zu Beginn der Finanzkrise selber mit Gunnlaugsson gegen die große Politik gekämpft. Beide gehörten zu den ersten Mitstreitern von Indefence, jener Graswurzelbewegung, sie sich dagegen wehrte, dass Island von Großbritannien wie eine Terrororganisation behandelt wurde. Dann ging Gunnlaugsson in die Politik und Eliasson und Indefence kämpften weiter und setzten sich dafür ein, dass internationale Gläubiger von Island nicht so viel der Schulden der nunmehr verstaatlichten Banken zurückerhalten, dass das Land zu verarmen droht.

Eliasson bewertet Gunnlaugssons Politik nicht als schlecht, sieht ihn jetzt aber moralisch als unhaltbar. "Ich hätte gerne gesehen, dass noch härter gegen die ausländischen Gläubiger gekämpft worden wäre, aber unter seiner Regierung ist ein relativ gutes Ergebnis erzielt worden", so Eliasson. Für ihn sei das Problem, dass der Premier Geld im Ausland versteckt habe. "Wir haben besser als andere die Finanzkrise aufgearbeitet, haben als einzige Banker ins Gefängnis geschickt. Dass das jetzt ans Licht kommt, hilft weiter aufzuräumen", sagt Eliasson. Auf Island sind einige Details des nun auch international diskutieren Offshoreskandals schon seit März publik. Weil der Regierungschef und die Minister für Finanzen und Inneres (beide Unabhängigkeitspartei) Geld offshore gelagert haben, gab es in der Opposition schon damals Forderungen nach Neuwahlen.

"Gunnlaugsson wird sich kaum bis zur Wahl im kommenden Jahr im Amt halten können", glaubt Politikprofessor Bergmann. Zu groß sei der Ärger der Öffentlichkeit. Unhaltbar sei der Staatsmann vor allem geworden, weil er als Regierungschef letztlich auch über den Wert seines Privatvermögens verhandelt habe. Die Bonds, die derzeit von seiner Frau gehalten werden, wären jetzt weniger wert, wenn ihr Mann, der Regierungschef, in den Deals mit den Vertretern der Gläubiger noch härter verhandelt hätte.

Piratenpartei auf Erfolgskurs

Die Zukunft von Gunnlaugsson und seiner Regierung hängt – wie die der sozialdemokratisch-konservativen Koalition vor sieben Jahren – von mehreren Faktoren ab. Gunnlaugsson und seine Fortschrittspartei werden alles daran setzen, an der Macht zu bleiben, denn aktuelle Umfragen sagen ihnen nur knapp 13 Prozent der Stimmen voraus und damit nur etwas mehr als halb so viel wie bei der Wahl in 2013. Mit der Unabhängigkeitspartei von Finanzminister Bjarni Benediktsson, der ebenfalls unter Beschuss ist, reicht es zukünftig laut Umfrage nicht zur Mehrheit, sondern nur zu 36 Prozent der Stimmen. Das ist in etwa so viel, wie derzeit der isländischen Piratenpartei vorhergesagt wird, die damit eindeutig größte Fraktion werden würde. Sozialdemokraten und Linke, die noch vor ein paar Jahren zusammen regiert hatten, kommen beide auf unter zehn Prozent, ebenso die Partei Leuchtende Zukunft, die ihre Wurzeln teilweise in der Partei des ehemaligen Komikers und Reykjavíker Bürgermeister Jón Gnarr hat.

Am meisten Interesse an Neuwahlen hat die Piratenpartei, die als einzige besser, genauer gesagt siebenmal so gut dasteht wie 2013. Weil alle anderen Parteien Parlamentssitze verlieren, dürfte deren Wunsch auf rasche Neuwahlen gering sein. "Denkbar ist, dass die Unabhängigkeitspartei Gunnlaugsson fallen lässt und einen Deal mit der Opposition macht", so Bergmann. Falls Benediktsson und Innenministerin Olöf Nordal trotz ihrer – erheblich kleineren – Offshorekonten glimpflich davonkämen, wären die Demonstranten damit womöglich zufrieden. Dann könnte die Partei sich bis zur Wahl 2017 retten und neue Zusammenarbeitskonstellationen erproben – sofern der Präsident das Parlament nicht zuvor auflöst.