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Zensur und Überwachung Wie das Internet Unterdrückern hilft

Das Internet ist ein Werkzeug der Freiheit? Nicht nur. Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation beobachtet und dokumentiert Fälle von Überwachung, Zensur und Unterdrückung mit Hilfe digitaler Werkzeuge - geliefert wird die Kontrollsoftware meist aus dem Westen.
Von Jillian York
Überwacher (Symbolbild): Spezielle Software hilft den Netzkontrolleuren

Überwacher (Symbolbild): Spezielle Software hilft den Netzkontrolleuren

Foto: Corbis

Im Jahr 1991 wurde Tunesien als erstes arabisches Land mit dem Internet verbunden. Sobald die Bürger des Landes Zugang bekamen, wurde dieser aber auch schon wieder zensiert: Die Tunesische Internetbehörde (ATI), die 1996 gegründet worden war, um den Internet Backbone und das Domainnamensystem des Landes zu betreuen, hatte auch die Aufgabe des Zensors übernommen und blockierte die politische Opposition und andere Websites. Als Mohammed Bouazizi sich im Dezember 2010 selbst verbrannte, war der Zugang der Tunesier zu Information längst stark eingeschränkt.

Als Saudi-Arabien einige Jahre nach Tunesien zum ersten Mal online ging, war das Land vorbereitet. Hunderte von Websites wurden von Anfang an blockiert. 2002 waren laut einem Bericht des in Kairo ansässigen Arabic Network for Human Rights Information (ANHRI) bis zu 200.000 Websites blockiert, eine Zahl, die sich in den darauffolgenden zwei Jahren erneut verdoppelte.

Tunesien und Saudi-Arabien sind zwar extrem - nicht nur für den Nahen Osten und Nordafrika, sondern global betrachtet stehen sie auf einer Stufe mit China und Iran. Doch auch der Rest der Region hat Mittel und Wege gefunden, den Zugang zu Information einzuschränken und Bürger zum Schweigen zu bringen. In der Frühzeit dieser Ära war die übliche Praxis, Websites einfach zu blockieren - über die URL, die IP-Adresse oder bestimmte Schlüsselwörter. Später jedoch fanden die Regierungen subtilere Methoden.

Ägypten beispielsweise hielt es nie für klug, Websites zu blockieren. Man verlegte sich stattdessen darauf, Blogger zu verhaften, oft aus vorgeschobenen Gründen. Auch Marokko blockierte nie mehr als eine Handvoll Websites, doch im Jahr 2008 landete ein junger Ingenieur namens Fouad Mourtada im Gefängnis, weil er eine Facebook-Profilseite angelegt hatte, die die Behörden als Identitätsdiebstahl betrachteten: Die Profilseite enthielt ein Bild eines der Prinzen des Landes.

Todesstrafe für Blasphemie in Kuwait

Heute nimmt die Kontrolle des Internets durch Regierungen unterschiedliche Formen an. Eine Handvoll Regierungen - Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain - zensieren das Internet immer noch stark, aber in anderen Ländern der Region haben sich perfidere Arten der Kontrolle durchgesetzt. Ein jüngerer Trend, den man von Tunesien bis Kuwait beobachten kann, ist die strenge Verfolgung von Blasphemie: Im April wurden zwei junge Tunesier verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Cartoons des Propheten Mohammed bei Facebook gepostet hatten.

Kuwait hat kürzlich ein Gesetz vorgelegt, das für Blasphemie die Verhängung der Todesstrafe ermöglicht. Solche Taktiken führen oft zu Selbstzensur bei den Bloggern und Online-Aktivisten eines Landes, deren Furcht vor Repressalien unter Umständen dazu führt, dass sie jegliche Meinungsäußerung einstellen.

Autonomiebehörde blockiert kritische Websites

Auf ganz ähnliche Weise werden politische Kritiker zum Schweigen gebracht: Im April verhaftete die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) zwei Journalisten und einen Wissenschaftler, die kritisch über Präsident Mahmud Abbas geschrieben hatten. Im Monat darauf wurde festgestellt, dass die PA mehrere kritische Websites blockierte, was auf ein breiter angelegtes Vorgehen gegen Kritiker hindeutet.

Ein weiterer beunruhigender Trend ist der zu übertriebener Internetregulierung. Während ein gewisses Maß an Regulierung notwendig ist, um die Mediengesetzgebung und die Regelung der Meinungsfreiheit an das digitale Zeitalter anzupassen, enthalten neue Vorschläge im Libanon und im Irak Elemente, die im Libanon Politiker davon abhalten würden, Blogs zu betreiben und im Irak zwangsläufig zu verhängende lebenslange Haftstrafen für jene vorsehen, die das Internet zur "Gefährdung der staatlichen Einheit" nutzen. Tunesien und Ägypten erwägen ihrerseits Gesetze zum Blockieren von Pornografie. Das mag dem Willen der Bevölkerung entsprechen, doch sobald so ein System einmal installiert ist, lässt es sich allzu leicht für weitergehende Zensur einsetzen.

Netz-Überwachung ist eine extreme Bedrohungen

Wir mussten im vergangenen Jahr erfahren, dass die extremsten Bedrohungen für Einzelne nicht in Form von Zensur, sondern als Ergebnis von allgegenwärtiger Überwachung daherkommen. Im vergangenen Jahr, während die Winde der Veränderungen die Region durchwehten, sind komplexe Überwachungssysteme - oft von ausländischen Unternehmen geliefert - entlarvt worden.

In Libyen beispielsweise wurden Indizien zutage gefördert, die darauf hinweisen, dass das französische Unternehmen Amesys - eine Tochterfirma von Bull SA - unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Überwachungszentren für die libysche Regierung errichtet hatte, die dann benutzt wurden, um stattdessen Dissidenten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu überwachen.

Ebenfalls im letzten Jahr wurde berichtet, dass das US-Unternehmen BlueCoat - möglicherweise unwissentlich - Ausrüstung nach Syrien verkauft hatte, die dort dann zur Überwachung eingesetzt wurde. Kurz zuvor hatte ein weiteres Unternehmen, die italienische Area SpA, ihre Arbeiten in Damaskus nach Protesten vor der Unternehmenszentrale in Italien eingestellt.

Software aus Deutschland

Manchmal ist Überwachung nur Überwachung, doch in vielen Fällen wurde sie benutzt, um Folter zu rechtfertigen. Im kleinen Golfstaat Bahrain, wo Proteste vom herrschenden Regime niedergeschlagen wurden, haben Menschenrechtsgruppen die Nutzung von Technologie von deutschen Unternehmen nachgewiesen. In einigen Fällen wurden Aktivisten Berichten zufolge geschlagen und verhört, während man ihnen Abschriften von E-Mails und Textnachrichten zeigte.

Unglücklicherweise fällt es vielen dieser Regime leicht, die Nutzung solcher Technologien zu rechtfertigen, da westliche Staaten ihre Bürger auf ähnliche Weise bespitzeln und zensieren. Wenn in den USA die Regierung Obama den Zugang zu Beweisen blockiert, die belegen, dass die National Security Agency (NSA) geheime Überwachungszentrum betrieb, macht es das für Bahrain oder Syrien einfacher, eigene Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Das Argument der "nationalen Sicherheit" wird überall ins Feld geführt, von den USA bis in den Nahen Osten. Es verwundert daher nicht, dass US-Unternehmen weiter bei diesem Spiel mitmachen.

Am Ende sind jene Regimes schuldig, die derartige Menschenrechtsverletzungen begehen. Und doch muss, angesichts der globalen Natur des Überwachungsgeschäfts und der globalen Implikationen von Überwachung, auch das Hinwirken auf einen Wandel zu einer globalen Anstrengung werden.

Jillian York  wird bei der Internetkonferenz re:publica, die vom 2. bis 4. Mai in Berlin stattfindet, am "Transparenz Showcase" (2. Mai, 15.15 Uhr) teilnehmen und einen Vortrag über Meinungsfreiheit in Nordafrika und dem Nahen Osten halten (3. Mai, 13.45 Uhr). SPIEGEL ONLINE ist Partner der re:publica. Die Veranstaltungen der Hauptbühne können Sie bei uns auch im Livestream verfolgen.