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Russlands Außenpolitik: Auf Dostojewskis Spuren

Foto: Vladimir Rodionov/ AP

Russlands neue Außenpolitik Putins Pakt mit China

Wladimir Putin forciert einen Kurswechsel in Russlands Außenpolitik: Von einer Annäherung an den Westen ist beim Kreml-Chef längst keine Rede mehr. Moskau will sich als Partner Chinas seinen Einfluss in Zentralasien sichern.

Wie wichtig ihm eine Neubestimmung der außenpolitischen Strategie ist, zeigte Russlands Präsident Wladimir Putin schon am Tage seiner erneuten Amtseinführung am 7. Mai dieses Jahres.

Kaum waren die Marschlieder verklungen, war die Präsidentengarde in ihren historischen Uniformen abmarschiert, und hatten die Gäste aus Staats-Duma, Ministerien und hohen Gerichten den Kreml verlassen, da unterzeichnete Putin den Ukas 605 "Über Maßnahmen zur Realisierung des außenpolitischen Kurses der Russischen Föderation".

Schon im ersten Satz betont das Dokument die "nationalen Interessen". Kurz darauf ist von den "Integrationsprozessen" ehemaliger Sowjetrepubliken die Rede als einer "Schlüsselrichtung" der Außenpolitik. Und von einem "strategischen Zusammenwirken mit der Chinesischen Volksrepublik". Der Ukas endet mit einer Weisung an das Außenministerium, bis Dezember 2012 das "Projekt der Konzeption einer Außenpolitik" vorzulegen. Die mehrseitige Weisung aus dem Kreml bedeutet die demonstrative Abkehr vom Versuch einer Annäherung an den Westen, den Putins Vorgänger Boris Jelzin ab 1991 unternommen hatte.

"Mister Yes" scheitert

Damals hatte die Moskauer Führung einen grundlegenden System- und Richtungswechsel verkündet. Nach dem Ende der Sowjetunion führte Andrej Kosyrew das Moskauer Außenministerium. Der erwarb sich in den USA schnell den Ruf als "Mister Yes". Kosyrews Kurs war klar: Russland sollte sich so weit wie möglich den strategischen Interessen der USA unterordnen, in der Hoffnung, daraus Vorteile zu ziehen. Doch die blieben weitgehend aus.

So war der Mann bald selbst im Außenamt am Smolensker Platz verhasst. Kosyrew, höhnte ein russischer Diplomat damals heimlich, habe das Außenministerium "in eine Filiale des State Departement verwandelt". Präsident Jelzin ersetzte Kosyrew 1996 durch den sowjetisch geprägten, aber moderaten Orient-Experten Jewgenij Primakow. Der besänftigte Patrioten, indem er mit seiner Bass-Stimme "russische Interessen" betonte und gern von einer "multipolaren Welt" sprach, in der die USA nicht die alleinige Großmacht seien. Diese eher betulichen Politik, die sich bemühte, jenseits des Atlantik nicht ernstlich anzuecken, setzte auch der 1998 von Jelzin eingesetzte Primakow-Nachfolger Igor Iwanow fort.

Der Halb-Georgier hatte ein Herz für die Heimat seiner kaukasischen Mutter. Beim Sturz des georgischen Alt-Präsidenten Eduard Schewardnadse in der "Rosen-Revolution" im November 2003 in Tiflis legte er charmant mit Hand an. Doch was für den Moment als Vorteil galt, kehrte sich für Iwanow bald zum Nachteil, als auf Schewardnadse der autoritär regierende Präsident Micheil Saakaschwili folgte. Der ging mit Unterstützung neokonservativer Hardliner in den USA auf Konfrontationskurs gegenüber Russland. Dort galt Außenminister Iwanow bald als Sinnbild demütigender Rückzüge.

Im März 2004 ersetzte Putin Iwanow durch den Karrierediplomaten Sergej Lawrow. Der eloquente Kettenraucher erwies sich im Traditionsbüro Nummer 706 des Außenamts rasch als taktisch geschickter Profi. In Lawrows Mund bekam das Wort von "unseren Partnern im Westen" schon mal eine sarkastische Note.

Putins Wende in München

In die mehr als achtjährige Amtszeit des Ministers fällt der Wendepunkt in der neuen russischen Außenpolitik, die Rede Putins auf der Sicherheitskonferenz in München im Februar 2007. Dort kritisierte Russlands Präsident die militärischen Interventionen der USA etwa im Irak wie auch politische Einmischung zugunsten US-freundlicher Regierungen in Georgien und der Ukraine. "Die Vereinigten Staaten", so Putin, "überschreiten ihre nationalen Grenzen in allen Sphären, in der Wirtschaft, der Politik und im humanitären Bereich. Nur wem gefällt das?"

Russland, verkündete Putin in München, sei "ein Land mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte und nutzte fast immer das Privileg einer unabhängigen Außenpolitik". Der Hinweis "fast immer" war ein ebenso knappes wie vernichtendes Urteil über die Ära Jelzin/Kosyrew. Außenminister Lawrow beklagte Anfang 2007 in einem SPIEGEL-Gespräch eine westliche "Siegermentalität" nach dem Ende des Kalten Krieges und betonte, sein Land wolle keineswegs "ständig bei der EU um etwas betteln".

Damit berührte er ein Dilemma westlicher Politik. Weder die Europäische Union noch die Nato wollten und konnten Russland eine Mitgliedschaft anbieten. In der russischen Elite verfestigte sich der Eindruck, der Westen erkenne sie nicht als ihresgleichen an. Doch westliche Politiker und Diplomaten taten dennoch gern so, als habe Russland gar keine andere Option, als sich dem Westen anzunähern. Diese Illusion erhielt neue Nahrung, als Putin im März 2008 seinen Weggefährten Dmitrij Medwedew als Präsidentendarsteller inthronisierte. Der ließ, umgarnt von USA-freundlichen Einflüsterern, im Juli 2008 eine "Außenpolitische Konzeption" verkünden. Die beschwor gegenüber den USA den "Geist der gegenseitigen Achtung". Das Medwedew-Konzept versprach, "die russisch-amerikanischen Beziehungen in den Zustand einer strategischen Partnerschaft zu überführen".

Medwedews Duftnote verweht

Das war nicht mehr als eine liberale Duftnote, deren Geruch Putin und seine Kameraden jetzt am Beginn eines politisch kalten Winters aus den Amtsstuben lüften. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die USA gegenüber Moskau in ihren Plänen für eine Raketenabwehr bisher nicht kompromissbereit zeigen.

Die Hauptrichtung der neuen russischen Außenpolitik weist nach Asien. Kasachstan ist neben Weißrussland zentraler Partner Moskaus in einer Zollunion, die zu einer "Eurasischen Union" wachsen soll, möglichst gemeinsam mit der Ukraine. Auch Tadschikistan und Kirgisien, wo Russland Militärbasen unterhält, will Moskau in der Eurasischen Union sehen. Ziel, so Putin, sei die Schaffung einer gemeinsamen Währung.

China ist Russland-Partner in der Shanghaier Organisation für Sicherheit. Gemeinsam mit Peking will Moskau die fragilen Regime nördlich Afghanistans stabilisieren, "um das Eindringen der USA in das postsowjetische Zentralasien zu verhindern", so der Moskauer Politologe und Asienexperte Alexander Nagorny. Russisches Kapital drängt auf die asiatischen Wachstumsmärkte, auch bereits nach Nordkorea. "Das 21. Jahrhundert wird kein amerikanisches, sondern ein asiatisches sein", formulierte Alexej Puschkow, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der Staats-Duma, kürzlich in Berlin als Gast des Deutsch-Russischen Forums als eine Gegenthese zu Mitt Romney.

Damit weckt die russische Politik Erinnerungen an Fjodor Dostojewski. Dessen "Tagebuch eines Schriftstellers" gehört zum Zitatenschatz außenpolitischer Berater in Moskau. Über Russlands machtpolitisches Interesse in Asien schrieb Dostojewski 1881: "Es ist eine Notwendigkeit, weil Russland nicht nur in Europa liegt, sondern auch in Asien; weil der Russe nicht nur Europäer, sondern auch Asiate ist. Und außerdem: weil in Asien vielleicht noch mehr unsere Hoffnungen liegen als in Europa. Und überdies: weil in unserem zukünftigen Schicksal vielleicht gerade Asien unser wichtigster Ausweg sein wird!"

Die Frage freilich, ob sich die Russen dies auch als Juniorpartner der Chinesen vorstellen können, musste sich Dostojewski noch nicht stellen.