ÜMIVERSITY OF
TORONTO PRESS
KARL KRAUS
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT
c
\^
DIE LETZTEN TAGE
DER MENSCHHEIT
TRAGÖDIE IN FÜNF AKTEN
MIT VORSPIEL UND EPILOG
VON
KARL KRAUS
17. BIS 23. TAUSEND
(EINSCHLIESSLICH DER AKTAUSGABE)
VERLAG ,DIE FACKEL', WIEN — LEIPZIG
ALLE RECHTE
DES NACHDRUCKS, DER ÜBERSETZUNG
DES VORTRAGS UND DER AUFFÜHRUNG
VORBEHALTEN
DRUCK VON JAHODA & SIEGEL, WIEN
Der erste Entwurf der meisten Szenen ist in den Sommern 1915
bis 1917, das Vorspiel Ende Juli 1915, der Epilog im Juli 1917
verfaßt worden. Viele Zusätze und Änderungen sind im Jahre 1919
entstanden, in das auch der Drucl< der Akt-Ausgabe fällt.
(Der Epilog erschien im November 1918.) Die durchgehende
Umarbeitung und Bereicherung jener vorläufigen Ausgabe und
der Druck des Gesamtwerkes sind in den Jahren 1920 und 1921
vorgenommen worden.
Die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach
irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen
würde, ist einem Marstheater zugedacht. Theater-
gänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten.
Denn es ist Blut von ihrem Blute und der Inhalt
ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren,
keinem wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung
zugänglichen und nur in blutigem Traum verwahrten
Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Mensch-
heit spielten. Die Handlung, in hundert Szenen und
Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos
wie jene. Der Humor ist nur der Selbstvorwurf eines,
der nicht wahnsinnig wurde bei dem Gedanken,
mit heilem Hirn die Zeugenschaft dieser Zeitdinge
bestanden zu haben. Außer ihm, der die Schmach
solchen Anteils einer Nachwelt preisgibt, hat kein
anderer ein Recht auf diesen Humor. Die Mitwelt,
die geduldet hat, daß die Dinge geschehen, die hier
aufgeschrieben sind, stelle das Recht, zu lachen, hinter
die Pflicht, zu weinen. Die unwahrscheinlichsten Taten,
die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich
habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten
Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich
gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind
Zitate. Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr
eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik. Das
Dokument ist Figur; Berichte erstehen als Gestalten,
Gestalten verenden als Leitartikel; das Feuilleton
bekam einen Mund, der es monologisch von sich gibt;
Phrasen stehen auf zwei Beinen — Menschen behielten
nur eines. Tonfälle rasen und rasseln durch die Zeit
und schwellen zum Choral der unheiligen Handlung,
I*
VIII
Leute, die unter der Menschheit gelebt und sie
überlebt haben, sind als Täter und Sprecher einer
Gegenwart, die nicht Fleisch, doch Blut, nicht Blut,
doch Tinte hat, zu Schatten und Marionetten abgezogen
und auf die Formel ihrer tätigen Wesenlosigkeit
gebracht. Larven und Lemuren, Masken des tragischen
Karnevals, haben lebende Namen, weil dies so sein
muß und weil eben in dieser vom Zufall bedingten
Zeitlichkeit nichts zufällig ist. Das gibt keinem das
Recht, es für eine lokale Angelegenheit zu halten. Auch
Vorgänge an der Sirk-Ecke sind von einem kosmischen
Punkt regiert. Wer schwache Nerven hat, wenn auch
genug starke, die Zeit zu ertragen, entferne sich von
dem Spiel. Es ist nicht zu erwarten, daß eine Gegenwart,
in der es sein konnte, das wortgewordene Grauen für
etwas anderes nehme als für einen Spaß, zumal
dort, wo es ihr aus der anheimelnden Niederung
der grausigsten Dialekte wiedertönt, und das eben
Erlebte, Überlebte für etwas anderes als Erfindung.
Für eine, deren Stoff sie verpönt. Denn über alle
Schmach des Krieges geht die der Menschen, von
ihm nichts mehr wissen zu wollen, indem sie zwar
ertragen, daß er ist, aber nicht, daß er war. Die ihn
überlebt haben, ihnen hat er sich überlebt, und
gehen zwar die Masken durch den Aschermittwoch,
so wollen sie doch nicht aneinander erinnert sein.
Wie tief begreiflich die Ernüchterung einer Epoche,
die, niemals eines Erlebnisses und keiner Vorstellung
des Erlebten fähig, selbst von ihrem Zusammenbruch
nicht zu erschüttern ist, von der Sühne so wenig
spürt wie von der Tat, aber doch Seibstbewahrung
genug hat, sich vor dem Phonographen ihrer
heroischen Melodien die Ohren zuzuhalten, und genug
Selbstaufopferung, um sie gegebenenfalls wieder
anzustimmen. Denn daß Krieg sein wird, erscheint
denen am wenigsten unfaßbar, welchen die Parole
»Jetzt ist Krieg« jede Ehrlosigkeit ermöglicht und
gedeckt hat, aber die Mahnung »Jetzt war Krieg!«
IX
die wohlverdiente Ruhe der Überlebenden stört.
Sie haben den Weltmarkt — das Ziel, zu dem sie
geboren wurden — in der Ritterrüstung zu erobern
gewähnt; sie müssen mit dem schlechteren Geschäft
vorlieb nehmen, sie auf dem Trödelmarkt zu verkaufen.
In solcher Stimmung rede ihnen einer vom Krieg!
Und es mag zu befürchten sein, daß noch eine
Zukunft, die den Lenden einer so wüsten Gegenwart
entsprossen ist, trotz größerer Distanz der größeren
Kraft des Begreifens entbehre. Dennoch muß ein
so restloses Schuldbekenntnis, dieser Menschheit
anzugehören, irgendwo willkommen und irgendeinmal
von Nutzen sein. Und »weil noch die Gemüter der
Menschen wild sind«, sei, zum Hochgericht auf
Trümmern, Horatios Botschaft an den Erneuerer
bestellt:
Und laßt der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen,
Wie alles dies geschah; so sollt ihr hören
Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich,
Zufälligen Gerichten, blindem Mord;
Von Toden, durch Gewalt und List bewirkt,
Und Planen, die verfehlt, zurückgefallen
Auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich
Mit Wahrheit melden.
VORSPIEL
1. Szene (Seite 3) j
(Wien. Ringstraßenkorso.)
Die Zeitungsausrufer
Ein Korsobesuclier
Seine Frau
Vier Offiziere
Zwei Agenten
Fisch 1
Fin Wiener
Seine Frau
Ein alter Abonnent der Neuer
Freien Presse 1
Der älteste Abonnent
Einige Betrunkene
Vier Burschen und vier Mädchen
Arm in Arm
Die Menge
Fritz Werner
Fräulein Löwenstamm
Fräulein Körmendy
Ein Gebildeter
Seine Frau
Poldi Fesch
Ein Wachmann
Zwei Kleinbürger
Zwei Reporter
Ein Fiaker
2. Szene (Seite 9)
(Cafe Pucher.i
Der Zahlkellner Eduard
Der Prokurist
Ein Fremder
Der Kellner Franz
Der Ministerpräsident
Der Minister des Innern
Der Direktor der Kabinetts-
kanzlei
3. Szene (Seite 12)
(Kanzleizimmer im Obersthof-
meisteramt.)
Nepalleck
4. Szene (Seite 16)
(Ebenda.)
Ein Diener
Nepalleck
5. Szene (Seite 17)
(Ebenda.)
Nepalleck
Ein alter Kammerdiener
6. Szene (Seite 18)
(Ebenda.)
Montenuovo
Ein alter Kammerdiener
7. Szene (Seite 18)
(Ebenda.)
Montenuovo
Nepalleck
8. Szene (Seite 18)
(Ebenda.'
Ein Diener
Fürst Weikersheim
Nepalleck
9. Szene (Seite 19)
(Ebenda.)
Nepalleck
10. Szene (Seite 19)
(Südbahnhof.^
Nepalleck |
Angelo Eisner v I
Eisenhof [ Marionetten
Spielvogel und i
Zawadil j
XII
Marionetten
Hofrat U.Hof rätin
Schwarz-Gelber
Dobner v.
Dobenau
Conte Lippay
Cafetier Riedl
Dr. Oharas
Der Chef des
Sicherheits-
bureaus Hofrat '^ Marionetten
Stukart
Sektionschef
Wilhelm Exner
Gouverneur Sieg-
hart von der Bo-
denkreditanstalt
Präsident Landes-
berger von der
Anglobank
Spaziergänger, Passanten, Kaffeehauspersonal, Publikum, Polizei-
beamte, Würdenträger, Hofgesellschaft, Damen des Hochadels,
Geistlichkeit, Gemeinderäte, Honoratioren, Lakaien, Journalisten.
Herzberg-Fränkel 1
Die freisinnigen
Gemeinderäte
Stein und Hein
Zwei Konsuln
Stiaßny
Drei kaiserliche
Räte
Sukfüll
Birinski und
Qlücksmann
Der Buchhändler
Hugo Heller
Flora Dub
Der Nörgler
Der Redakteur
xin
I. AKT
1. Szene (Seite 29)
(Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke.)
Die Zeitungsausrufer
Ein Demonstrant
Ein Gebildeter
Ein Pülcher
Eine Prostituierte
Mehrere Passanten
Die Menge
Zwei Reporter
Zwei Armeelieferanten
Vier Offiziere
Ein Wiener
Stimmen aus der Menge
Ein Bettelbub
Zwei Mädchen
Ein Wachm.ann
Ein Intellektueller
Seine Freundin
Ein Fahrgast
Ein Fiaker
Ein Hausmeister
Zwei Amerikaner v. Roten Kreuz
Zwei Türken
Zwei Chinesen
Eine Dame mit leichtem Anflug
von Schnurrbart
Ein Besonnener
Stimme eines Kutschers
Eine Stimme
Ein Passant
Seine Frau
Ein Trupp Knaben mit Tschako
und Holzsäbel
Eine Gruppe Singender
Ein Dieb
Die Bestohlene
Eine weibliche Stimme
Poldi Fesch
Sein Begleiter
Zwei Verehrer der Reichspost
Gesang Einrückender
Ein alter Abonnent der Neuen
Freien Presse
Der älteste Abonnent
Vier Burschen und vier Mädchen
Arm in Arm
Fritz Werner
Fräulein Körmendy
Fräulein Löwenstamm
Drei Pülcher
Zwei Agenten
2. Szene (Seite 45)
(Südtirol. Vor einer Brücke.)
Ein Tiroler Landsturmmann
Der Nörgler
3. Szene (Seite 46)
(Hinter der Brücke.)
Ein Soldat
Der Nörgler
Ein Hauptmann
4. Szene (Seite 46)
Der Optimist und der Nörgler
5. Szene (Seite 49)
(Am Ballhausplatz.)
Graf Leopold Franz Rudolf
Ernest Vinzenz Innocenz Maria
Baron Eduard Alois Josef Ottokar
Ignazius Eusebius Maria
Die Stimme Berchtolds
6. Szene (Seite 54)
(Vor einem Friseurladen in
Habsbnrgergasse.)
Die Menge
Ein Geigenhändler
Ein Friseur
BrocCsen } ™**«
der
XiV
7. Szene (Seite 57)
(Kohlmarkt. Vor der Drehtür am
Eingang zum Cafi Pucher.)
Der alte Biach
Der kaiserliche Rat
Der Kompagnon
Der Doktor
Der Nörgler
Der Kurzwarenhändler
Der Patriot
Ein Zeitungsausrufer
12. Szene (Seite 96)
Ein Riese in Zivil und ein Zwerg
in Uniform
Ein Zeitungsausrufer
8. Szene (Seite 60)
(Eine Straße in der Vorstadt.)
Vier junge Burschen
Der Besitzer d. Cafe Westminster
9. Szene (Seite 65)
(In einer Volksschule.)
Der Lehrer Zehetbauer
Die Klasse
Die Knaben Anderle, Braunshör,
Czeczowiczka, Fleischanderl,
Oasselseder, Habetswallner,
Kotzlik, Merores, Praxmarer,
Sukfüll, Süßmandl, ^Ottawa,
Wunderer Karl und Wunderer
Rudolf, Zitterer
10. Szene (Seite 70)
(Im Cafe Pucher.)
Der Zahlkellner Eduard
Der alte Biach
Der kaiserliche Rat
Der Doktor
Der Kompagnon
Der Kurzwarenhändler
Der Ministerpräsident
11. Szene (Seite 76)
Zwei, die sichs gerichtet haben
Der Abonnent
13. Szene (Seite 97)
(Elektrische Bahn Baden — Wien.)
Ein Schwerbetrunkener
Ein Paar
Em Kondukteur
Ein galizisches Flüchtlingspaar
Ein Verzehrungssteuerbeamter
Ein Wiener
14. Szene (Seite 99)
(In der Wohnung der Schauspielerin
Elfriede Ritter.)
Elfriede Riiter
Füchsl 1
Feigl > Reporter
Halberstam j
15. Szene (Seite 104)
Der Optimist und der Nörgler
16. Szene (Seite 105)
(Standort des Hauptquartiers.)
Auffenberg |
Brudermann \ Heerführer
Dankl j
Pflanzer-Baltin > ^
Ein Adjutant
XV
17. Szene (Seite 109)
(Wien. In der Kaffeesiedergenossen-
schaft.)
Riedl
Drei Cafetiers
Ein Kellner
18. Szene (Seite 112)
(In der Wiener Deutsclimeister-
loserne.)
Ein Herr
Feldwebel Weiguny
Kadett Wögerer
19. Szene (Seite 114)
{Kriegsfürsorgeamt.)
Hugo V. Hofmannsthal
Ein Zyniker
Der Poldi
20. Szene (Seite 117)
(Bukowinaer Front. Bei einem
Kommando.)
Oberleutnant Fallota
Oberleutnant Beinsteller
21. Szene (Seite 123)
(Ein Sctilaclitfeid.)
Zwei Kriegsberichterstatter
Die Schalek
Der Maler Haubitzer
22. Szene (Seite 130)
(Vor dem Kriegsministerium.)
Der Optimist und der Nörgler
Ein Zeitungsausrufer
Zwei Flüchtlinge
Nepalleck
Eisner v. Eisenhof
23. Szene (Seite 138)
(Am Janovver Teich.)
Ganghofer
Ein Fliigeladjutant Wilhelms II.
Wilheltü II.
Der Photograph der , Woche'
Eine Ordonnanz
24. Szene (Seite 145)
(Zimmer des Generalslabscliefs.
Conrad v. Hötzendoif
Ein Major
Skolik, Photograph
25. Szene (Seite 148)
(Korso.)
Ein Spekulant
Ein Realitätenbesitzer
Wachtmeister Wagenknecht
Feldwebel Sedlatschek
Hans Müller
Stimme eines Fiakers
Stimme einer Prostituierten
^^ndel^Singer \ vorbeigehend
Ein Mann, der einen Zigarren-
stummel aufhebt
Eine Zeitungsfrau
26. Szene (Seite 159)
(Südwestfront. Ein Stützpunkt aof
einer Höhe von mehr als dritt-
halbtansend Meter.)
Ein Beobachter
Die Schalek
Ein Standschütze
Ein Offizier
Eine Ordonnanz
XVI
27. Szene (Seite 162)
(Im Vatikan.)
Die Stimme des betenden
Benedikt
28. Szene (Seite 163)
(In der Redaktion.)
Die Stimme des diktierenden
Benedikt
29. Szene (Seite 164)
Der Optimist und der Nörgler
30. Szene (Seite 202)
(Nachts am Graben.)
Zwei Kettenhändler mit ihren
Damen
Ein Zeitungsausrufer
Spaziergänger, Passanten, Bettler, Schieber, Prostituierte, Offiziere,
Soldaten, Demonstranten, Gäste, Kaffeehauspersonal, Minister,
Passagiere, deutschnalionale Studenten, galizische F^lüchtlinge,
Gefolge Wilhelms II.
XVII
II. AKT
1. Szene (Seite 205)
(Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke.)
Die Zeitungsausrufer
Ein polnischer Jude
Ein seßhafter Wucherer
Ein Agent
Ein Schwerverwundeter auf
Krücken, mit Gliederzuckungen
Bermann
Eine auffallend gekleidete Dame
Weiß
Vier Offiziere
Ein Soldat auf Krücken
Ein Intellektueller
Poidi Fesch
Sein Begleiter
Gesang Einrückender
Drei Schieber mit Zahnstocher
im Maule
Drei deutsche Grenadiere
Drei Wiener Gemeindeorgane
Zwei Reporter
Ein Berliner Schieber
Ein Dienstmann
Rufe aus der Menge
2. Szene (Seite 213)
Der Optimist und der Nörgler
3. Szene (Seite 215)
Der Abonnent und der Patriot
4. Szene (Seite 218)
(Standort des Hauptquartiers. Eine
Straße.)
Ein Journalist u. ein alter General
Ein anderer Journalist und ein
anderer alter General
5. Szene (Seite 219)
(Südwestfront.)
Zwei Stimmen aus dem Hinter-
grund
Ein alter General und ein
sizilianischer Soldat
Ein Mitglied des Kriegspresse-
quartiers
6. Szene (Seite 219)
(Ein Infanterieregiment dreiliundert
Schritt vom Peind.)
Ein Infanterieoffizier
Der Feldkurat Anton Allmer
7. Szene (Seite 220)
(Bei der Batterie.)
Ein Artillerieoffizier
Der Feldkurat Anton Allmer
Rufe
Die Schalek
8. Szene (Seite 222)
(Der Wurstelprater.)
Der Entrepreneur des Schützen-
grabens im Prater
Ein Vertreter der Korrespondenz
Wilhelm
Sein Kollege
Die Stimme des Erzherzogs Karl
Franz Josef
Das Publikum
Hofrätin Schwarz-Gelber
Der ungenannt sein wollende Herr
Oberleutnant, der in Schau-
manns Apotheke, Stockerau,
zu Gunsten des Roten Kreuzes
den Betrag von 1 K erlegt hat
Doktor Kunze
Der Patriot
Der Abonnent
XV in
9. Szene (Seite 224)
(Semmering. Terrasse des Südbahn-
hotels.)
Jung und Alt
Groß und Klein
Eine Dame, die soeben mit tiefer
Empfindung Heine rezitiert ha(
Dangl
Alle
Stimmengewirr
Ein Getreuer des Semmering
Ein Generaldirektor
10. Szene (Seite 226)
Der Optimist und der Nörgler
Ein Zug von Rekruten, die graue
Bärie haben
Singende Bursclien
11. Szene (Seile 242)
(Gasse in der Vorstadt.)
Zwei Wachmänner
Frauen und Männer aus der an
gestellten Menge
Em Greisler
Eine besser gekleidete Frau
12. Szene (Seite 243)
(Kärntnerstraße.)
Ein starker Esser
Ein normaler Esser
Ein Hungernder
13. Szene (Seite 245)
(Florianigasse.)
Hofrat i. P. Dlauhobetzky von
Dlauliobetz
Hofrat i. P. Tibetanzl
14. Szene (Seite 247,
(Eine Jagdgesellschaft.)
V. Dreckwitz
Die Jagdgesellschaft
15. Szene (Seite 251)
(Bureauzimmer bei einem
Kommando.)
Hirsch
Roda Roda
16. Szene (Seite 254)
(Ein anderes Bureauzimmer.)
Ein Generalstäbler am Telephon
17. Szene (Seite 255)
(Restaurant des Anton Grüßer.)
Anton Grüßer, Restaurateur
Vier Kellner
Zwei Kellnerjungen
Der Zahlkellner
Ein Herr und eine Dame
Ein zwerghafter Zeitungsjunge
Zwei Mädchen mit Ansichtskarten
Zwei Frauen mit Ansichtskarten
Der Blumenmann
Das Blumenweib
Eine Kolporteurin
Drei Gäste
Ein Stammgast
Bambula von Feldsturm
Der Nörgler
18. Szene (Seite 262)
(Schottenring.)
Frau PoUatschek ) „„ , n^u-
Frau Rosenberg r°"^'^'^'^«h°
Frau Bachstelz 1 „ . „ri„i
FrauFunk-Feigir°"^^'^Oekawe
Ein Invalide auf Krückea
Eine Bettlerin
XIX
Ein Knabe
Ein Säugling
Eine Schwangere
Der Nörgler
10. Szene (Seite 268)
(Belg'-cd.)
Die Schalek
Lachende serbische Frauen
Ein Dolmetbch
20. Szene (Seite 269)
(VorstidlstraBe.)
Eine alle Frau
Ein Oberleutnant
Die Menge
21. Szene (Seite 270)
(Eine Vorstadtwohnung.)
Familie Liebal: Vater, Mutter
und Knabe
Die Nachbarin Sikora
22. Szene (Seite 270)
(Standort des Hauptquartiers. Eine
Straße.)
Ein Hauptmann des Kriegs-
pressequart iers
Ein Journalist
Ein älterer korpulenter Herr
mit Koteletts und Zwicker,
der in jeder Harid einen
Marschalisstab trägt
23. Szene (Seite 273)
(Innere Stadt.)
Ein Invalide mit einem blinden
Soldaten
Ein Revolverjournalist
Ein Agent
24. Szene (Seite 274)
(Während der Vorstellung in einem
Vorstadttheater.)
Die Niese
Der Partner
Das Publikum
25. Szene (Seite 275)
(Beim Wolf in Gersthof.)
Der Wolf in Gersthof
Der Generalinspektor des Roten
Kreuzes
Er/herzog Franz Salvator, sein
Kammervorsteher, zw ei Aristo-
kraten und die Pulzi
Ein Gast
Die Volkssänger
26. Szene (Seite 275)
Der Abonnent und der Patriot
27. Szene (Seile 277)
(Standort in der Nähe des Uzsok-
Passes.)
Ein österreichischer General
Ein preußischer Leutnant
28. Szene (Seite 278)
(Hauptquartier. Kinotheater.)
Armeeoberkommandant Erz-
herzog Friedrich
König herdinand von Bulgarien
Eine Stimme, die »Bumsti!« ruft
29. Szene (Seite 279)
Der Optimist und der Nörgler
XX
30. Szene (Seite 285)
(Irgendwo an der Adria. Im Hangar
einer Wasserfliegerabteilung.)
Die Schalek
Ein Fregattenleutnant
31. Szene (Seite 288)
(In einem Unterseeboot, das soeben
emporgetaucht ist.)
Ein Maat
Ein Unterseebooloffizier
Die Mitglieder des Kriegspresse-
quartiers
Die Schalek
32. Szene (Seite 289)
(Eine unter das Kriegsdienst-
leistungsgesetz gestellte Fabrik.)
Der militärische
Fabrik
Der Fabrikant
Leiter einer
33. Szene (Seite 293)
(Zimmer im Hause des Hofrats
Schwarz-Gelber.)
Hofrat und Hofrätin Schwarz-
Gelber
Galizische Flüchtlinge, Schieber, Spaziergänger, Passanten, Bettler,
Bettlerinnen, Bettelkinder, Berufsoffiziere auf Urlaub, Spitals-
komraandanien. Leichterer Dienst, Zivilisten die sichs gerichtet
haben, Verwundete aller Grade, Soldaten, Provinzschauspieler,
Publikum, Semmeringgäste, Angestellte vor einem Greislerladen,
Heereslieferanten, Offiziere, Prostituierte, Journalisten, Gäste,
Heurigenmusik.
XXI
III. AKT
1. Szene (Seite 307)
(Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke.)
Die Zeitungsausrufer
Zwei Armeelieferanten
Vier Offiziere
Ein Aläderl
Ein Mädchen
Ein Weib
Zwei Verehrer der Reichspost
Ein alter Abonnent der Neuen
Freien Presse
Der älteste Abonnent
Ein Krüppel
Poldi Fesch
Sein Begleiter
Zwei Invalide
Gesang Einrückender
Die Fiakerstimme
2. Szene (Seite 310)
(Vor unseren Artilleriestellungen.)
Die Schaiek
Der Kanonier
3. Szene (Seite 311)
(Isonzo-Front. Bei einem
Kommando.)
Oberleutnant Fallota
Oberleutnant Beinsteller
4. Szene (Seite 316)
(In Jena.)
Zwei Studenten der Philosophie
5. Szene (Seite 318)
(Hermannsladt, Vor einem ver-
sperrten deutschen Buchladen.)
Ein preußischer Musketier
Ein deutscher Buchhändler
6. Szene (Seite 318)
(Ir der Viktualienhandlung des
Vinzenz Chramosta.)
Vinzenz Chramosta
Kunden
Der Marktamtskommissär
7. Szene (Seite 321)
(Zwei Kommerzialräte aus dem
Hotel Imperial tretend.)
Zwei Komm.erzialrätc
Ein Invalide
Ein Fiaker
Eine Bettlerin mit emem Holzbein
und einem Armstumpf
8. Szene (Seite 322)
Der alte Biach
9. Szene (Seite 323)
(Kriegsarchiv.)
Ein Hauptmann
Dörmann
Hans Müller
Andere Literaten
Zwei Ordonnanzen
10. Szene (Seite 331)
(Ein chemisches Laboratorium In
Beriin.)
Der Geheime Regierungsrat
Professor Delbrück
11. Szene (Seite 332)
(Vereinssitzung der Cherusker in
Krems.)
Pogatschnigg, genannt Teut,
Cherusker
XXII
Eine Stimme
Frau Pogatschnigg
Winfried Hromatka
i. a. B.
Kasmader
Übelhör
Homolatsch
Cherusker
12. Szene (Seite 335) \
(Tanzunterhaitung in Hasenpoth.)
Baltischer Herr u. Baltische Dame
13. Szene (Seite 336)
(Rerisionsverhandlung des Land-
gerichtes Heilbronn.)
Ein Staatsanwalt
Eine Angeklagte
Zwei aus dem Auditorium
14. Szene (Seite 337)
Der Optimist und der Nörgler
15. Szene (Seite 341)
(Eine protestantisclie Kirctie.)
Superintendent Falke
16. Szene (Seite 342)
(Eine andere protestantisclie Kirche.)
Konsistorialrat Rabe
17. Szene (Seite 343) j
(Eine andere protestantische Kirche.)
Pastor Qeier
!
18. Szene (Seite 345) \
(Wallfahrtskirche.) '
Ein Mesner
Ein Fremder '
IQ. Szene (Seite 346)
(Konstantinopel. Eine Moschee.)
Zwei junge Leute aus Berlin
Ein Imam
Eine Dame
20. Szene (Seite 348)
(Redaktion in Berlin.)
Alfred Kerr
21. Szene (Seite 349)
(Ordinationszimmer in Berlin.)
Professor Molenaar
Ein Patient
22. Szene (Seite 351)
(Bureauzimmerb. einem Kommando.)
Ein Generalstäbler am Telephon
Zwei alte Generale
Ein Journalist
23. Szene (Seite 352)
(Hauptquartier.)
Erzherzog Friedrich
Die beiden Buquoy
Der Adjutant
24. Szene (Seite 353)
Zwei Verehrer der Reichspost
25. Szene (Seite 359)
(Vor dem Kriegsministerlum.)
Zwei junge Männer
26. Szene (Seite 359)
(Ringstraße.)
Fünfzig Drückeberger
XXIII
27. Szene (Seite 359)
(Vor dem Kriegsministerium. j
Zwei andere junge Männer
28. Szene (Seite 359)
(LandesTerteidigungsministerium.)
Ein Hauptmann
Ein Zivilist
29. Szene (Seite 360)
(Innsbruck. Ein Restaurant.)
Ein Oberst
Die Oberstensgattin
30. Szene (Seite 361)
(Marktplatz in Grodno.)
Ein Beamter der Stadthaupt-
mannschaft
Die knicksenden Mädchen
Die Respektpersonen
Deutsche Beamte
Deutsdie Offiziere
3'i. Szene (Seite 361)
(Briefzensar bei einem deutschen
Frontabschnitt.)
Ein Zensuroffizier, Ein Haupt-
mann, Ein Flieger, Ein Vize-
feldwebel, Ein Unteroffizier,
Ein Landsturmmann, Be-
dienung der Qcm-Geschütze
genannt »Die Sturmkolonne«,
Sechzehn Kraftfahrer, Ein
Oberleutnant, Ein Flieger-
Beobachter, Ein Leutnant,
Ein Militärmusiker,^ Ein Ge-
freiter, Ein Soldat, tin Stabs-
arzt, Ein Kanonier, Ein Kom-
paguieführer, Ein Offizier-
stellvertreter, Ein Pionier,
Ein Kriegsfreiwilliger, F'in
Generalmajor
32. Szene (Seite 365)
(Eine stille Poetenklause im
steirischen Wald.)
Kernstock
Zwei Kernstock-Verehrer
33. Szene (Seite 367)
(Bei einem Abschnittskommando.)
Die Schalek
34. Szene (Seite 369)
(Berlin, liergarten.)
Ein Austausch Professor
Ein nationalliberaler Abge-
ordneter
35. Szene (Seite 372)
(Berliner Vortragssaal.)
Der Dichter
Die Zuhörer
36. Szene (Seite 373)
(Wiener Vortragssaal.)
Der Nörgler
Ein Zuhörer und seine Gattin
37. Szene (Seite 374)
Der Abonnent und der Patriot
38. Szene (Seite 377)
(in einem Coupe.)
Zwei Geschäftsreisende
39. Szene (Seite 379)
Der Optimist und der Nörgler
40. Szene (Seite 380)
(Das deutsche Bad Groß-Salze.)
Kommerzienrat Ottomar
Wilhelm Wahnschaffe
II*
XXIV
Kinder
Frau Kommerzienrat Auguste
Wahnschaffe
M^Sü ! ^-" Kinder
Ein unsichtbarer Chor, der das
Gelächter des Auslands vorstel it
Zwei Invalide
Zwei Bonner
Häuschen u. Trudcheu
Hans Adalbert und
Annemariechen
August und Quste
Mieze
Klaus und Dolly (
Walter und Marga
Paulchen u.Paulinchen
Jochen und Suse
Elsbeth
Eine Mutter
Ein Herr
Zwei Väter
Zwei Söhnchen
41. Szene (Seite 398)
Der Optimist und der Nörgler
42. Szene (Seite 404)
(Während der Somme-Schlacht.
Parktor vor einer Villa.)
Dei' deutsche Kronprinz
Eine vorbeimarschierende
Kompagnie
43. Szene (Seite 404)
(Kriegsministerium.)
Ein Hauptmann
Ein Zivilist
44. Szene (Seite 405^
(Kasteäruth.)
Leutnant Helwig
Ein anderer Leutna;U
Eine Kelineiin
Der diensthabende Fähnrich
45. Szene (Seite 405)
(Ein Wiener Nachtlokal.)
Rolf Rolf, der Stegreifdichter
Rufe
Zwei Offiziere
Frieda Morelli. die Sängerin
Eine Stimme
Ein ungarischer Viehhändler
Der Besitzer des Nachtlokals
Das Oarderobepersoiial und die
Toiletipfrau
Ein Qetreidehändler
Alle
Ein Stammgast
Ein betriinkener Funktionär des
Roten Kreuzes
Sein Kollege
Ein Regimentsarzt
Sein Kollege
Ein betrunkener Gast
46. Sz-ne (Seite 411)
(Nacht. Der Grabea.)
Der Nörgler
Ein Betrunken! r, der mitten
auf ',ier Straiie ein Bedürfnis
verrichtet
Larvju und Lemiiren, Spaziergänger, Passanten, Kriegskrüppel,
Blinde, Bettler, Bettlerinnen, Bettelkinder, Kunden, Literaten,
Cherusker in Krems, Tänzer in Hasenpoth, Qerichtspersonen,
Gerichtssaalbesucher, Kirchenbesucher O-fiziere, Restaurantgiste,
Bevölkeruag, Sold>\ten, Auditorium, Buffetdamen Animierdamen,
Lebemänner, Herren vom Roten Kreuz, polnische Legionäre,
Perional eine? Niohtlokals, Mitwirkende, die Salonkapelle
Nechwatal, die Zigeunerkapelle .Miskolczy Jancsi.
XXV
IV. AKT
1. Szene (Seite 415)
(Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke.;
Die Zeitiin.i<sausri!:er
Vier Offiziere
Eine Komtesse
Ilire Begleiterin
Ein blinder Soldat in einem
Rollwagen
Ein IiiteUektueller
Sein Begleiter
Poldi Fesch
Das Riesen baby
Der Hotelneger
Ge.-ang F.inriickender
Ein Beniner Exporteur mit
Impone im Mund
Sein Begleiter
Ein Passant mit aufgehobenen
Händen
Ein anderer Passant
Eine Offiziersgs'tin
Ihr Begleiter
Zwei Spaziergänger
Zwei Verehrer der Reichspost
Ein Eigenbrötler
Sein Begleiter
Lenzer v. Lenzbruck
Frau Back v. Brünnerherz
Ein Bhimenweib
Zwei Herren
Storni
Fräulein Löv7onstamm
Fräulein Körmendy
Ein Fahrgast
Ein Fiaker
2, Szene (Seite 421)
Der Optimist und der Nörgler
3. Szene (Seite 422)
(Ein Balinhof bei Wien.)
Ein Bahnhofportier
Sechs Wiener
Der Nör^Wer
Das österreichische Antlitz
Ein Eingeweihter
4. Szene (Seite 424)
(Kohlmarkt. Vor dem Schaufenster
einer Bilderhandlung.)
Margosches
Wolffsohn
5. Szene (Seite 425)
Strobl ) rA. , ,
Ertl / ^'^hter
6. Szene (Seite 426)
(Kommers.)
Ein A. H.
Die KommfJi'onen
Ein Fuchs
7. Szene (Seite 427)
(Ärzteversammiung in Berlin.)
Ein Psychiater
Ein Irrsinniger
Professor Boas
Professor Zuntz
Professor Rosenfeld-Breslau
Der Vorstand des Ärzte-
ausschusses von Groß-Beriin
Schutzmann Buddicke
Mehrere Stimmen
8. Szene (Seite 436)
(Weimar. Frauenklinik.)
Professor Henkel
Professor Busse
Die Patientin
Ein Assistent
Der Prinz zu Lippe
Eine Krankenschwester
XXVI
9. Szene (Seite 437)
(Bei einer deutschen Reserve-
Division.)
Ein Oberst
10. Szene (Seite 437)
(Isonzofront. Bei einem Brigade-
Icommando.)
Die Schalek
Chor der Offiziere
16. Szene (Seite 446)
(Praciitenbalintiof in Debreczin.)
Ein Posten
Oberleutnant Beinstelier
Leutnant Sekira
17. Szene (Seite 447)
(Wiener Magistrat.)
Ein Beamter
Eine Partei
11. Szene (Seite 442)
(Divisionsliommando.)
Ein Kommandant
Der Kaiserjägertod
Ein Major
12. Szene (Seite 443)
(Rüciczug. Eine Ortsctiaft.)
Der Kaiserjägertod
Ein hungernder Soldat
Ein Oberst
Oberleutnant Gerl
13. Szene (Seite 444)
(Spital neben einem Divisions-
kommando.)
Ein Schwerverwundeter
Ein Wärter
Gesang von nebenan
14. Szene (Seite 444)
(Bei einer deutschen Reserve-
Division.)
Ein Oberst
15. Szene (Seite 445)
Der Optimist und der Nörgler
18. Szene (Seite 449)
(Wohnung der Familie Darchhalter.
Vater, Mutter und Kinder
19. Szene (Seite 449)
Der Abonnent und der Patriot
20. Szene (Seite 449)
(Sofia. Ein Bankett deutscher und
bulgarischer Schriftleiter.)
Der deutsche Gesandte Graf
Oberndorff
Die deutschen und bulgarischen
Schriftleiter
Kieinecke-Berlin
Steinecke-Hannover
21. Szene (Seite 452)
(Ministerium des AnBern.)
Haymerle
Ein Redakteur
22. Szene (Seite 455/
(In der guten Stube bei Wahn-
schaffes.)
Frau Pogatschnigg
Frau Wahnschaffe
XXVII
23. Szene (Seite 458)
Drei deutsche Modedamen
24. Szene (Seite 458)
Der Abonnent und der Patriot
25. Szene (Seite 460)
(Mitta^isch bei Hindenburg and
Ludendorff.)
Hindenburg und Ludendorff
Paul Goldmann
26. Szene (Seite 463)
(Semmering. Auf dem Hochweg.)
Der kaiserliche Rat
Der alte Biach
27. Szene (Seite 484)
(Berliner Tiergarten.)
Padde und Kladde
28. Szene (Seite 489)
(Kino.)
Der Kinoregisseur
Eine weibliche Stimme
Emil
31. Szene (Seite516)
(Schönbrnnn. Arbeitszimmer.)
Franz Joseph
Der rechte und der linke
Kammerdiener
32. Szene (Seite 525)
(Kragujevac, Militärgericht.)
Der Oberleutnant-Auditor
Der Schriftführer
33. Szene (Seite 526)
(Ischler Esplanade.)
Der alte Komgold
Vier Kurgäste
Fräulein Lö^censtamm
Fräulein Körmendy
Bob Schlesinger
Baby Fanto
Ein alter Abonnent
Der älteste Abonnent
34. Szene (Seite 527)
(Wachstube.)
Der Polizeiinspektor
Ein Wachmann
Die Siebzehnjährige
29. Szene (Seite 490)
Der Optimist und der Nörgler
30. Szene (Seite 510)
(Standgericht.)
Hauptmann-Auditor Dr. Stanis-
laus V. Zagorski
Die elf Delinquenten
Die Offiziere des Standgerichts
35. Szene (Seite 528)
(Ein Berliner Nachtlokal.)
Eine gröhlende Stimme
Frieda Qutzke
Katzenellenbogen
Krotoschiner II
36. Szene (Seite 529)
Der Optimist und der Nörgler
XXVIII
37. Szene (Seite 533)
(Deutsches Hauptquartier.)
Wilhelm IL
Die Generale
V. Seckenctorff, Adjutant
Drei Offizitre
V. Hahnke
V. Duncker
V. Krickwitz
V. Flottwitz
V. Martins
38. Szene (Seite 537)
(Winter in den Karpathen.)
Kompagnieführer Hiller
Füsilier Helmhake
Zwei Soldaten
39. Szene (Seite 538)
(Ebenda im Unterstand Hillers.)
Unterarzt Müller
Kompagnieführer Hiller
40. Szene (Seite 539)
Der Optimist und der Nörgler
41. Szene (Seite 540)
(Ein Militärspital.)
Ein Generalstabsarzt
Oberstleutnant Vinzenz Demmer
V. Drahtverhau
Ein Regiinentsarzt
Ein Feldwebel
Ein Feldkurat
42. Szene (Seite 544)
Der Optimist und der Nörgler
43. Szene (Seite 548)
(Kriegspress«quartier.)
Ein Hauptmann
Ein Journalist
44. Szene (Seite 551)
(Armee- Ausbildungsgmppe
Wladimir- Wolinsky.)
Ein Hauptmann
Eine Schreibkraft
45. Szene (Seite 552)
(Bei Graf Dohna-Schtodien.)
Graf Dohna-Schl'jdien
Zwölf Vertreter der Presse
Eine Stimme aus der Gruppe
Larven und Lemuren, Spaziergänger, Invaliden, Krüppel, Blinde,
Bettler, Bettlerinnen, Betcelkinder, Publikum vor einem Bahn-
schalter, Ärzte, Offiziere, Mannschaft, Spitalsinsassen, Posten,
Neugierige, Kinobesucher, Kurgäste, Nachtlokalgäste, Kokotten,
Rekonvaleszente, Verwundete aller Grade, Sterbende, Mitglieder
des Kriegspressequartiers, Regimentsmusik, Nachtlokalmusik.
XXIX
V. AKT
1. Szene (Seite 555)
(Abend. Slrk-^Ecke.)
Die Zeitungsausrufer
Vier Offiziere
Gesang Einrückender
Poldi Fesch
Sein Begleiter
Turi und Ludi
Fallota
Ein Blumenweib
Zwei Beinstümpfe in einer ab-
gerissenen Uniform
Eine flüsternde Stimme
Ein brausender Ruf
2. Szene (Seite 557)
Der Optimist und der Nörgler
3. Szene (Seite 560)
(Vor dem Parlament.)
Eine Frau, die soeben vor Hunger
zusammengebrochen ist
Pattai
4. Szene (Seite 560)
(Ministerium des Äußern.)
Qraf Leopold Franz Rudolf
Ernest Vinzenz Innocenz Maria
Baron Eduard Alois Josef Ottokar
Ignazius Eusebius Alaria
5. Szene (Seite 563)
(Bei Udine.)
Zwei Generale, jeder in einem
über und über bepackten
Automobil
Ein Infanierist, der einen Kolben
Kukuruz nimmt
6. Szene (Seite 564)
(Etappe Fourmies.)
Landwehrmann Lüdecke
7. Szene (Seite 565)
(Zirkus Busch.)
Pastor Brüstiein
Hauptscnrifileiter Maschke
Ein Mißvergnügter
Professor Puppe
Rufe
8. Szene (Seite 567)
Der- Optimist und der Nörgler
9. Szene (Seite 569)
(Ischler Esplanade.)
Der Abonnent
Der Patriot
Der alte Biach
Die Kurgäste
10. Szene (Seite 580)
(Berlin, Weinrestaurant in
der
Zulauf t
Ablaß /
Passage.)
freisinnige Politiker
1 1 . Szene (Seite 582)
(Kriegsgeneralversammlung des
^sozialdemokratischen Wahlvereines
des Großberliner Riesenvvahlkreises
Teltow-Beskow-Storkow-Charlotten-
burg.)
Genosse Schliefke (Teltow)
Em Zwischenrufer
XXX
12. Szene (Seite 583)
(Bad Gastein.)
Der Abonnent und der Patriot
13. Szene (Seite 583)
(Bureauzimmer bei einem
Kommando.)
Ein Generalstäbler am Telephon
14. Szene (Seite 584)
(Schlachtfeld bei Saarburg.)
Hauptmann Niedermacher
Major Metzler
Ein französischer Verwundeter
Ein deutscher Soldat
15. Szene (Seite 586)
(Bei Vcrdun.)
General Gloirefaisant
Hauptmann de Massacre
Oberst Meurlrier
16. Szene (Seite 587)
(Kriegspressequartier in Rodaun.)
Die Schalek
Der Kamerad
17. Szene (Seite 595)
Der Abonnent und der Patriot
18. Szene (Seite 597
Der Optimist und der Nörgler
19. Szene (Seite 597)
(Michaelerplatz.)
Chor der Pülcher
20. Szene (Seite 597)
(Militärkommando.)
Ein Hauptmann
Eine Schreibkraft
21. Szene (Seite 599)
(Kriegsministeriam.)
Ein Hauptmann
Eine Schreibkraft
Ein Fähnrich
22. Szene (Seite 605)
(Statthalterei in Brunn.)
Der Landeshauptmann
Eine Schreibkraft
23. Szene (Seite 606)
(In einer Volksschule.)
Der Lehrer Zehetbauer
Die Knaben Anderle.Gasselseder,
Kotzlik, Merores, Sukfüll,
Zitterer
24. Szene (Seite 610)
(Im Landesverband für Fremden-
verkehr.)
Ein Redakteur
Ein Funktionär
25. Szene (Seite 612)
(RingstraHencafe.)
Das Geschrei
Mammut
Ein Kellner
Zieselmaus
Walroß
Hamster
Nashorn
XXXI
Tapir
Schakal
Leguan
Kaiman
Pavian
Kondor
Low
Hirsch
Wolf
Posamentier
Spitzbauch
Schlechtigkeit
Stimmen hastig Eintretender
GoUerstepper
Tugendhat
Mastodon
Raubitschek
Vortrefflich
Gutwillig
Aufrichtig
Beständig
Brauchbar
Die Toilettefrau
Pollatschek
Lustig
Ein zitternder Invalide
Bernhard Moldauer, ein alter
Schieber
Zwei seiner Freunde
Seine Frau
Seine Tochter
Der Onkel
Ein jüngerer Wucherer
Der Geschäftsführer
26. Szene (Seite 617)
(Friedrich-Straße.)
Chor der Rufer
Ein Jüngling
Ein Mädchen
Ein Schutzmann
Ein Berliner Schieber und ein
Wiener Schieber Schulter an
Schulter
Ein Zeitungsausrufer
27. Szene (Seite 619)
(Standort d. Armeeoberkommandos.
Vergnügungslokal.)
Ein betrunkener
Generalstäbler
Chor der Kellner
Das Mädchen rechts
Kohn
Fritzi-Spritzi
Der Besitzer
DieToilettef rau und das
Garderobepersonal
Fettköter
Das Mädchen links
Ein Generalstäbler
Die Generalstäbler
Mario-
netten
28. Szene (Seite 622)
(Wiener Vortragssaal,)
Der Nörgler
Ein Zuhörer und seine Gattin
29. Szene (Seite 624)
Der Abonnent und der Patriot
30. Szene (Seile 625)
(Zwei Kommerzialräte aus dem
Hotel Imperial tretend.)
Zwei Kommerzialräte
Eine Bettlerin mit einem Holzbein
und einem Armstumpf
Ein Fiaker
Eine Frau, die vor Hunger
zusammenbricht
Ein Invalide
31. Szene (Seite 628)
Der Optimist und der Nörgler
XXXil
32. Szene (Seite 630)
(Beim Bataiilonsrapport.)
Ein Major
Vier Soldaten
Ein Gefreiter
33. Szene (Seite 632)
Der Optimist und der Nörgler
34. Szene (Seite 636)
(^Im Dorfe Postabi<z.)
Eine Frau
35. Sze'^e (Seite 637)
(Spital in Leittneritz.)
Ein Austauschmvaiidc
Sein Bettnachbar
36. Szene (Seite 637)
(Heimkehrerlager in Galizien.)
Der Freund
37. Szene (Seite 641)
(Nach der Winteroffensive auf den
Sieben Gemeinden.)
Zwei Kriegsberichterstatter
Zwei Soldaten
Ein Hauptmann
Dicl<leihige üestalten, die Auto-
mobilen einsteigen
Eine schmächtigere, in dichtes
Pelzwerk gehüllt
Der Oberst
Ein Major
38. Szene (Seite 644)
(Hofburg. Pressedienst.)
Hauptmann Werkmann
Eine Schreibkraft
39. Szene (Seite 645)
(Kärntnerstraße.)
Erzherzog Max
Ein Lakai
Der Tenor
Die Menge
Ein Zeitungsausrufer
40. Szene (Seite 645)
(Eine Seitengasse.)
Ein blinder Soldat und seine
kleine Tochter
Ein Invalide mit Leierkasten
Ein Leutnant
41. Szene (Seite 646)
(Armeeoberkommando.)
Ein Major
Ein anderer Major
42. Szene (Seite 647)
Der Optimist und der Nörgler
43. Szene (Seite 656)
(Stadtpark.)
Eine unübersehbare Menschen-
menge
Zeitungsausrufer
Zwei Damen
Ein Herr
Der Göttergatte u.dieGöttergattin
Ein dicker Schieber
Sein Mädchen
Ein Begleiter
Stimme eines Skeptikers
Fräulein Körmendy
Fräulein Löwenstamm
Ein Feschak und eine Funzen
Rufe
Drei Redner
Zwei Gruppen
XXXIII
Einer, der gelaufen kommt
Ein anderer
Ein älterer Herr, der vor sich
liinsummt
Ein junger Mann mit Gürtelrock
und ^'eißen Gamaschen
Sein Freund
Die Steffi
Ein Aufwiegler
Der Vertreter der Film-Gesell-
schaft
Der Restaurateur
Die Menge
44. Szene (Seite 660)
Der Optimist und der Nörgler
45. Szene (Seite 664)
(Innsbruck. Maria Theresienstraße.)
Ein Metzgergehilfe
Das Mädchen mit dem Säbel
Der Offizier ohne Säbel
Zwei andere Offiziere
Z'vei Wachleute
Ein Inspektionsoffizier
46. Szene (Seite 667)
Zwei Verehrer der Reichspost,
schlafend
47. Szene (Seite 669)
(Separatcoupee erster Klasse.)
Der Oberstleutnant des Qeneral-
stabs Maderer von Mullatschak
48. Szene (Seite 670)
(3000 Meter hoch.)
Ein Fähnrich
Die Schaiek
49. Szene (Seite 671)
Der Optimist und der Nörgler
50. Szene (Seite 673)
(Schweizer Hochbahn.)
Gog & Magog
Eischen
51. Szene (Seite 679)
(Baracl<e in Sibirien.)
Sibirische Gefangene
Ein österreichischer Hauptmann
52. Szene (Seite 680)
(Nordbahnhof.)
Verschiedene Stimmen
Spielvogel und Zawadil "
Angelo Eisner v.
Eisenhof
Hofrat und Hofrätin
Sch'aarz-Gelber
Sektionschef VX/ilhelm
Exner
Dobner v. Dobenau
Riedl
Stukart
Sieghart
Präsident Landesberger
von der Anglobank '""Jl'""
Eine Mutter "^"^"
Die Tochter
Dr. Oharas
Flora Dub
Zwei Konsuln Stiaßny
Drei kaiserliche Räte
Sukfüll
Birinski u. Glücksmann
Hans Müller
Putzker
Der Buchhändler
Hugo Heller
Der Redakteur
Ein Austauschinvalide, sterbend
Mario-
XXXIV
53. Szene (Seite 683)
(Eine menschenleere Gasse.)
Korybanten und Mänaden
54. Szene (Seite 684)
Der Nörgler am Schreibtisch
55. Szene (Seite 697)
(Liebesmalil bei einem Korps-
Itommando.)
Der General
Der preußische Oberst
Ein Bursche
Generalmajor; Oberst;'
Oberstleutnant; Major;
Rittmeister; Dienst-
habender Generalstabs- beim
offizier;Telephonoffizier; ' Stab
Hauptmänner; Oberleut-
nants; Leutnants; Ober-
intendant; Oberstabsarzt;
Regimentsarzt ; Ober-
auditor; Feldkurat und
Feldrabbiner; Artillerie-
referent; Ein K-Offizier;
Qeza von Lakkati de
Nemesfalva et Kutjafeleg- beim
faluszeg; Romuald Kurz- f Stab
bauer ; Stanislaus von
Zakrychiewicz; Petricic;
Iwaschko; Koudjela;
Trainreferent Felix Bellak
Wowes
Ein deutscher Qeneralstabsoffi-
zier; Ein deutscher Hauptmann;
Zwei preußische Hauptmänner ;
Zwei preußische Oberleutnants;
Ein preußischer Leutnant
Zwei Kriegsberichterstatter
Schwester Paula und Schwester
Ludmilla
Ein Bursche
Die Kapelle
Rufe
Spalier der Verwundeten und Toten, Lebewelt, Bettler, Bettlerinnen,
Bettelkinder, Herrenhausmitglieder, Pfgrch von Tornistern,
Rucksäcken und Leibern in einer Elektrischen, Mannschaft,
Teilnehmer einer Monstreversammlung, Passanten der Berliner
Passage, Wahlvereinsmitglieder, deutsche und französische
Soldaten und Offiziere, deutsche Gefangene, Verwundete,
die Burgmusik. Kaffeehausgäste in Zivil und Uniform,
Göttergatten, Gürteltiere, Mädchen in insektenhafter Tracht, Kellner
und Kellnerinnen, Rennprogrammverkäufer, Ein geordneter Zug
von Rowdies, Maklern, Operettensängern, Bohemiengs, Gesund-
betern, Luden, Pupen, Nutten, Neppern, Schleppern, Schiebern
und Schneppen, Generalstäbler, Kriegsgewinner, Animierdamen,
Nachtlokalmusik, Vorlesungsbesucher, Spaziergänger, Spitals-
insassen, Überreste eines Regiments, Reisende zwischen Koffern,
Passagiere einer Schweizer Hochbahn, Neugierige, Mitglieder des
Vereins »Lorbeer für unsere Helden«, Funktionäre, Labedienst,
Austauschinvalide, Regimentsmusik, Journalisten, Männer und
Frauen die eine Anregung gegeben haben, österreichische und
deutsche Offiziere, Menagepersonal, Erscheinungen.
XXXV
Sprechende Erscheinungen:
Der Knabe Slobodan Ljubinkovits f 1915; Ein Kriegsbericht-
erstatter; Der 19jährige und der 21jährige; Zwei Auditoren;
Ein Oberauditor; Der Hauptmann Prasch; Ein Ulanenoberleutnant;
Die Gasmasken; Die erfrorenen Soldaten; Der alte serbische
Bauer; Die Flammen; Die zwölf hundert Pferde; Lionardo da Vinci;
Die Lusitania-Kinder; Die Kriegshunde; Der tote Wald; Die
Mutter; Das österreichische Antlitz; Die Raben; Die weiblichen
Hilfskräfte; Der ungeborne Sohn.
XXXVI
EPILOG
Die letzte Nacht
(Seite 749)
Sterbender Soldat
Männliche Gasmaske
Weibliche Gasmaske
General
Erster Kriegsberichterstatter
Zweiier Kriegsoenchterstatter
Der Sterbende
Ein Fe-ldwebel
Ein Erblindeter
Die Krjegsberichterstatterin
Ein Verwundeter
Der Totenkopfhusar
Nowotny von Eichensieg
Dokior-lng. Abendrot
Chor der Hyänen
Der Herr der Hyänen
Dre^ gelegentliche Mitarbeiter
Stimmen von oben
Stimmen von unten
Zwei Ordonanzen
Die Kino- Operateure
Eine Stimme von oben
Die Stimme Gottes
Vorspiel
1. Szene
Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Ein Sommerfeiertagabend.
Leben und Treiben. Es bilden sich Gruppen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Ermordung des Thronfolgers! Da Täta vahaftet!
Ein Korsobesucher (zu seiner Frau): Gottlob
kein Jud.
Seine Frau: Komm nach Haus. (Sie zieht ihn weg.)
Z w ei terZeitungsausruf er: Extraausgabee — !
Neue Freie Presse! Die Pluttat von Serajevo! Da
Täta ein Serbee!
Ein Offizier: Grüß dichPowolny! Also was
sagst? Gehst in die Gartenbau?
Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Woher denn?
G'schlossen!
Der erste (betroffen): G'schlossen?
Ein dritter: Ausg'schlossen!
Der zweite: Wenn ich dir sag!
Der erste: Also was sagst?
Der zweite: Na gehn mr halt zum Hopfner.
D e r e r s t e : Selbstverständlich — aber ich mein,
was sagst politisch, du bist doch gscheit —
Der zweite: Weißt, no wer' mr halt(fuchteltmitdem
Spazierstock) — a bisserl a Aufmischung — gar nicht
schlecht — kann gar nicht schaden — höxte Zeit —
Der erste: Bist halt a Feschak. Weißt, einer
wird ganz aus'n Häusl sein, der Fallota, der was —
Ein vierter: (tritt lachend hinzu): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also
du — du bist ja politisch gebildet, also was sagst?
Der zweite: Weißt, diese Bagasch hat Umtriebe
gemacht ganz einfach.
Der dritte: Weißt — also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich mullattiert ~! habts das Bild vom Schönpflug
gsehn, Klassikaner!
Der zweite: Weißt, der Fallota das ist dir ein
Patriot, der sagt immer, es gentigt nicht, daß man
seine Pflicht erfüllt, man muß ein Patriot sein unter
Umstand. Wenn der sich was in den Kopf setzt,
da gibts keine Würschtel. Weißt was ich glaub? Wern
mer halt schwitzen müssen die Tag. No von mir aus!
Der dritte: Was is mit'n Hopfner?
Der vierte: Du, hast die zwei Menscher
gekannt da?
Der zweite: Weißt, der Schlepitschka von
Schlachtentreu, der is furchtbar gebildet, der liest
dir die Presse also auswendig von A bis Z, er sagt
wir sollen auch lesen, dort steht sagt er, wir sind
für den Frieden, wenn auch nicht für den Frieden
um jeden Preis, du is das wahr? (Eine Büfettdame geht
vorüber.) Du schau, das ist das Mensch wo ich dir
erzählt hab was ich umsonst gehabt hab neulich.
(Der Schauspieler Fritz Werner geht vorüber.) Djehre!
Der dritte: Du mir scheint den kenn ich nicht.
Der vierte: Den kennst nicht? Geh mach
keine Gspaß den kennst nicht! Das is doch der Werner!
Der dritte: Klassisch, weißt was ich mir ein-
gebildet hab, ich hab mir eingebildet, das is der
Treumann!
Der erste: Geh hör auf! Wie kann man denn
den Treumann mit dem Werner verwechseln!
Der zweite: Siehst du, weil du nicht Logik
studiert hast — er hat doch konträr den Werner mit
dem Treumann verwechselt.
Der dritte: Weißt, nein — wart (denkt nach)
Weißt überhaupt was meine Ansicht is? »Husaren-
blut« is besser wie »Herbstmanöver«!
Der zweite: Hör auf.
Der erste:Du,dubistjafurchtbargebildet, also —
Der vierte: Also natürlich war das der Werner!
Der erste: Du bist ja furchtbar gebildet —
Der zweite: Warum?
Der erste: Warst schon beim »Lachenden
Ehemann«? Kennst auch den Marischka?
Der zweite: Leider nicht.
Der erste: Kennst auch den Storm?
Der zweite: Aber selbstverständlich.
Der vierte: Gehts, stehts nicht herum bei der
Potenz-Ecken. Gehn wir zum Hopfner, wenn also die
Gartenbau —
Der dritte: Kennst auch den Glawatsch?
(Im Ge?präch ab.)
Ein Zeitungsausrufer (kommt im Laufschritt):
Tagblaad — da Thronfolga und Gemalin ermordet
bittä — !
Ein Agent; Was fangt man mit dem ange-
brochenen Abend an?
Ein zweiter: Venedig soll offen sein.
Der erste: Also schön, steig ma in eine
Bk und fahr ma nach Venedig.
Der zweite: Ich weiß nicht, ich bin doch
etwas nerves, bevor man nicht gehert hat —
Der erste: Hert ma doch unten! Im Imperial
haben sie auf Melpomene getippt, den ganzen Tag
gestern sind sie einem in die Ohren gelegen mit
Melpomene. Aber mise Vögel, Sie wissen doch —
chab genug Lehrgeld gezahlt — dort geht Fischl
(er ruft zur Allee hinüber) Fischl, Melpomene?
Fischl: Nu na nicht!
Der erste: Der Schlag soll Sie treffen.
Fischl: Nach Ihnen. Glaukopis — Z veiter 1
Ein Wiener (zu seiner Frau): Aber laß dir doch
sagen, er war nicht beliebt —
Seine Frau: Marandjosef, warum denn?
Der Wiener: Weil er nicht papolär war. Der
Riedl selber hat mir erzählt — (ab.)
Ein alter Abonnent der Neuen Freien
Presse (im Gespräch mit dem ältesten Abonnenten): Schöne
Bescherung!
Der älteste Abonnent: Was heißlBescherung?
(Sieht sich um.) Besser wird alles! Es wird eine Zeit wie
unter Maria Theresia kommen, sag ich Ihnen!
Der alte: Sagen Sie!
Der älteste: Wenn ich Ihnen sag!
Der alte: Ihnen gesagt! Aber — um Gottes-
willen — Serbien! Mein Jüngster!
Der älteste: Erstens ist ein Krieg heutzutag
ausgeschlossen und dann — grad ihn wem sie nehmen!
Warum, ma hat nicht genug andere? (murmelt) Gott, du
bist gerecht! Ich — freu mich morgen am Leit-
artikel. Eine Sprache wird er finden, wie noch nie.
Wie Lueger gestorben is, wird nix dagegen sein.
Jetzt wird er endlich reden können frei von der
Leber, wenn auch selbstredend vorsichtig. Aber allen
wird er aus dem Herzen reden, sogar den Gojiras
sag ich Ihnen, und sogar den höheren Gojims und
sogar den höchsten und denen ganz besonders. Er
hat gewußt, was am Spiel steht, er jo !
Der alte: Man soll's nicht berufen. Vielleicht
is es nicht wahr.
Der älteste: Pessimist Sie! (Beide ab.)
Einige Betrunkene (drängen sich durch die
Passanten) : Grüß enk Good allamitanandaa ! Nieda 1
Nieda mit Serbien ! Hauts es zsamm ! Hoch !
Vier Burschen und vier Mädchen Arm
in Arm: Er ließ schlageen eene Bruckn daaß man
kont hiniebaruckn Stadtunfestung Beigerad —
Die Menge: Hoch! (Fri^z Werner kommt zurück
und dankt grüßend) Hoch Werner!
Fräulein Löwen stamm: Geh jetzt zu ihm
und bitt ihm.
Fräulein Körmendy (nähert sich) : Ich bin
nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein
Autogramm —
(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und über-
reicht es ihr. Ab.)
So lieb war er.
Fräulein Löwenstamm: Hat er dich an-
geschaut? Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen
dem Mord. Ich schwärm nur für den Storm! (Ab.)
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Eazheazog Franz Ferdinand —
Ein Gebildeter: Kolossaler Verlust wird das
sein für die Theater, das Volkstheater war total aus-
verkauft —
Seine Frau: Schön verpatzter Abend, warn wir
zuhausgeblieben, aber du, du bist ja nicht zu halten —
Der Gebildete: Ich staune über deinen
Egoismus, einen solchen totalen Mangel an sozialem
Empfinden hätte ich bei dir nicht vorausgesetzt.
Die Frau: Du glaubst vielleicht ich intressier
mich nicht, selbstredend intressier ich mich, im Volks-
garten essen hat gar keinen Sinn, wenn sowieso
keine Musik is geht man gleich zu Hartmann —
Der Gebildete: Immer mit deinem Essen,
wer hat jetzt Gedanken — Du wirst sehn was sich
da tun wird, Kleinigkeit —
Die Frau: Wenn man nur wird sehn können!
Der Gebildete: Ein Begräbnis wird das
doch sein, wie es noch nicht da war! Ich erinner
mich noch wie der Kronprinz — (ab.)
Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Heut wird
gedraht — gestern hab ich mit dem Sascha Kolowrat
gedraht, morgen drah ich mit dem — (ab.)
Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!
Ein Zeitungsausrufer: Reichspost ! Zweate
Oflagee! Die Ermordung des Thronfolgapaares!
Ein Kleinbürger: Leben und leben lassen!
Also natürlich für den Wiener, für den kleinen Mann,
war das nicht das richtige. Wofern, das kann ich dir
also aufklären verstehst du. Denn warum? Der Wiener
is gewohnt, daß man ihm seine Gewohnheiten loßt.
Er herentgegen — der Hadrawa hat ihm einmal erkannt,
wie er einmal, also natürlich im Kognito war, da is er
sogar nach der Tax gfahren und hat Trinkgeld geben
wie ein Prifater, aber nicht um a Sexerl mehr sag ich dir.
Zweiter Kleinbürger: Hör auf!
Der erste: Und in die bessern Gschäfte hat
er auch nicht mehr zahln wolln. Das war einer!
Glauböt, der hätt sich von unseran überhalten
lassen? Der hätt sich hergstellt mit unseran! Wo
unseraner doch auch leben will! Nix hat er auslassn.
Nicht um die Burg! Also das is Gefühlssache. I sag,
leben und leben lassen und dafür stirb i. Denn
warum? Der kleine Mann —
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — I
Der Kleinbürger: Her mitn Bladl! kost — ?
Der Zeitungsausrufer: Zehn Heller!
Der Kleinbürger: An Schmarrn! Wurzerei.
Steht eh nix drin. Du — pst — schau dir dös Madi
an, sauber, wos? Die Gspaßlaberln! Da kann sich
meine Alte also natürlich vastecken.
Zweiter: Hör mr auf, das is eine Protestierte!
Erster: Da schau her, vorm Bristol stehn Leut,
gehma hin, da muß eine Persönlichkeit sein. (Ab.)
Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!
Ein Reporter (zu seinem Begleiter): Hier nimmt
man am besten die Stimmung auf. Wie ein Lauf-
feuer, sehn Sie, hatte sich am Korso die Nachricht
verbreitet, wo sich die Wogen brechen. Das fröhliche
Leben und Treiben, das sich sonst um diese Stunde
zu entfalten pflegte, verstummte mit einem Male,
Niedergeschlagenheit, das Gefühl tiefer Erschütterung,
zumeist aber stille Trauer, konnte man von allen
Gesichtern ablesen. Unbekannte Leute sprachen ein-
ander an, man riß sich die Extrablätter aus der Hand,
es bildeten sich Gruppen —
Zweiter Reporter: Da möcht ich so vor-
schlagen: In den Alleen der Ringstraße sah man
Gruppenbildungen von Leuten, die das Ereignis
besprachen. Wachleute zerstreuten die Gruppen und
erklärten, daß sie weitere Gruppenbildungen nicht
dulden würden. Hierauf bildeten sich Gruppen und das
Publikum begann sich zu massieren — sehn Sie, dort!
(Zwischen einem Fahrgast und einem Fiaker, vor dem Hotel
Bristol, hat sich ein Wortwechsel entsponnen, die Passanten
nehmen Partei, man hört Pfui-F\ufe.)
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Der Thronfolger und seine Gemahlin von Ver-
schwörern ermordet!
Der Fiaker: Aber Euer Gnaden! An so
an Tag — !
(Verwandlung.)
2. Szene
Cafe Pucher. An demselben Abend vor Mitternacht. Das Kaffee-
haus ist beinahe leer; nur zwei Tische sind besetzt. An dem
einen hat ein Prokurist des Bankvereins soeben Platz genommen.
An dem andern sitzen zwei glatzköpfige Herren; die, jeder eine
Zigarre mit Papierspitz im Mund, in die Lektüre von Witz-
blättern vertieft sind. Die Kassierin schläft. Ein Kellner fuchtelt
zum Scherz mit dem »Hangerl« vor ihrem Gesicht. Ein anderer
wird vom Kaffeekoch mit einem Fetzen aus der Küche gejagt,
worüber der Zahlkellner und der Koch in Gelächter ausbrechen.
Der Zahlkellner Eduard: Seids in ein
Tschecherl? Schamts euch! Die Minister lesen,
schamts euch, und die Fräuln Paula schlaft!
Der Prokurist: Sie!
Eduard: Herr von Geiringer?
Der Prokurist: Eine Trabukko und eine
Extraausgabe!
Eduard (zieht die Zigarrentasche und die Zeitung aus
der inneren Rocktasche hervor und sagt): Ei n Trabukkerl
und etwas fürs Gemüt!
10
Der Prokurist: War niemand da? Wieso is
heut so stier? Nicht einmal der Dokter Gomperz?
Eduard: Niemand Herr von Geiringer.
Der Prokurist: Hat wer telephoniert?
Eduard: Bisher nicht. Jedenfalls das schöne
Wetter — vielleicht über die Feiertag die Herrn einen
Ausflug —
Der Prokurist: Was für ein Feiertag is
denn heut?
Eduard: Peter und Paul, Herr von Geiringer.
(Während die beiden ihr Gespräch fortsetzen, ist ein Fremder
eingetreten. Er hat an einem Tisch vis-ä-vis den beiden älteren
Herren Platz genommen. Ein Kellner bringt Kaffee.)
Der Fremde: Sie Markör, wer sind denn
die beiden älteren Herren, die kommen mir so
bekannt vor —
Franz (sich über den Gast beugend): Das is der
Ministertisch. Der Herr mit dem Zwicker, der was
das Kleine Witzblatt liest, is seine Exlenz der Minister
des Innern, und der Herr mit dem Zwicker, der was
den Pschütt studiert, das is seine Exlenz der Herr
Ministerpräsident.
Der Fremde: So! Sind die nur heute da,
wegen des Ereignisses, oder immer?
Franz: Jeden Abend bereits, na ja, die
Exlenzen sind hauptsächlich Junggesellen.
Der Fremde: So! Und wer ist der Herr, der
grad dazukommt?
Franz: Ah is scho da — das is Seine Exlenz
der Direktor der Kabinettskanzlei.
Der Fremde: So!
(Franz stürzt davon und bringt dem Direktor der Kabinetts-
kanzlei eine Limonade und das Interessante Blatt. Nach einer
Weile sagt)
Der Ministerpräsident (indem er die Pschütt-
Karikaturen beiseite legt): Nix besonderes heut.
11
Der Minister des Innern (gähnt und ?agf): Fad!
Der Ministerpräsident: Überiiaupt, bis
so ein Tag vorüber is!
Der Direktor der Kabinetts kanzlei:
Man spürt scho die Hundstäg.
Der Ministerpräsident (nach einer Pause des
Nachdenkens): Ein Communique denk ich wird halt
doch nötig sein denk ich. Wegen der Maßnahmen,
die die Regierung zu der durch die Ereignisse
geschaffenen Situation ins Auge gefaßt hat, zu deren
Besprechung die MitgHeder des Kabinetts in längerer
Konferenz beisammen verblieben und so.
Der Minister des Innern: Tunlichst.
Der Ministerpräsident: Eduard!
Der Minister des Innern: Welche Maß-
nahmen werden wir denn treffen?
Der Ministerpräsident: Das wird vom
Communique abhängen. Sie Eduard!
Eduard: Befehlen Exlenz?
Der Ministerpräsident: Gibts denn heut
gar nix Neues? Bringen S' die — wie heißt's denn?
Eduard (unter den Witzblättern am Tisch suchend):
Fehlt denn noch was Exlenz? Richtig!
(Er geht zum Zeitungsschrank. Währenddessen nähert sich der
Prokurist dem Ministertisch und zieht den Minister des Innern,
der sich erhoben hat, ins Gespräch. Eduard winkt den Kellner
Franz herbei, der eben mit einem Fetzen aus der Küclie gejagt
wurde und sich anschickt, der schlafenden Kassierin mit dem
Hangerl vor dem Gesicht zu fuchteln.)
Eduard: Horts denn no net auf? Seids in
einTschecherl? Schamts euch ! (Ersucht weiter im Zeitungs-
schrank). Wo habts denn wieder die Illustrierten
hinmanipuliert? Für den Ministertisch die Bombe!
(Verwandlung.)
12
3. Szene
Kanzleizimmer im Obersthofmeisteramt. Nepalleck, ein Hofrat,
am Schreibtisch. Er telephoniert, sich dabei fortwährend vor
dem Apparat verbeugend, fast in ihn hineinkriechend.
N e p a 1 1 e c k : Begräbnis dritter Klasse —
Versteht sich Exlenz — Exlenz können unbesorgt sein
— Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen —
— wie? Pardon Exlenz wie? Man versteht heut wieder
so schlecht — Kruzitürken, Fräulein, Hofgespräch,
das is ein Skandal! — Pardon Exlenz, es war
unterbrochen — ja — ja — ja — zu dienen — wird
besorgt — aber natürlich — abgewunken — allen —
selbstverständlich — Durchlaucht hat sofort die
Initiative ergriffen — natürlich — Durchlaucht wird
hocherfreut sein — Alles im Sinne von Seiner Durch-
laucht — Exlenz können sich verlassen — nein,
nein, keiner von die Monarchen — auch keine Mit-
glieder — nein, auch keine Verwandten — natürlich
— Wie? — nein, alle wollten — keiner kommt —
A Großfürst war schon reisefertig, aber wir haben
es zum Glück noch rechtzeitig verhindern können —
ginget uns ab, die möchten uns da mit Aufklärungen
— daß' am End nur ja zu kan Krieg kommt —
Wie? schon wieder unterbrochen, Kruzitürken, is
das ein Pallawatsch! — ja, auch von England —
nein, niemand — keine Katz von an Hof — nur
die Botschafter und so Leut — selbstverständlich
auch das mit Auswahl, wo man schon nicht nein
sagen kann — wer mr scho machen — tüchtig
gesiebt, tüchtig — nach Tunlichkeit — Rauni-
rücksichten — mein Gott, die kleine Kapelle, ham
mr an Gspaß ghabt — Der Wortlaut? Gleich bitte.
(Zieht einen Zettel aus der Tasche.) »Beschränkungen der
Delegierungen auswärtiger Fürstenvertreter und
militärischer Delegierter, die mit Rücksicht auf den
verfügbaren Raum — « Wie? Natürlich, selbstver-
ständlich, das wird die bitterste Enttäuschung sein,
keine offizielle und keine allgemeine Beteiligung des
13
Militärs — Wie, Exlenz? In Belgrad? No ja, die werns
kurios finden — sehr richtig, solln s' draufhin nur noch
mehr frech wem gegen uns — wir haben gar nichts
dagegen, nicht wanr ilxlenz? — So ist es! — Sehr
gut. Exlenz, famos, Begräbnis dritter Klasse Niciit-
raucher — famos, muß ich Durchlaucht erzählen,
Durchlaucht wird sich kugeln — wir haben eh die
größten Scherereien mit der Einsegnung — ja der
böhmische Adel, bißl zudringlich von die Herrn — die
Spezi und die Verwandtschaft — was wir geantwortet
haben? Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen.
Ganz einfach, außer dem Allerhöchsten Hof und den
Offiziellen hat höchstens noch der Vormund Zutrht —
Wie? die Kinder? nein, Durchlaucht is dagegen wegen
der Plaazerei — Wie? ja die Herrschaften wollen zu
Fuß mitspazieren — natürlich sehr unangenehm für
Durchlaucht, fast eine Demonstration — Sehr gut, dia
Arbeitslosen! Muß ich Durchlaucht erzählen, Durch-
laucht wird sich kugeln — Wie meinen Exlenz?
Wurscht? Und wie! Savaladi! — Aber natürlich, kein
Mensch kann was sagen — allen Formalitäten genügt
— allerhöchstesRuhebedürfnis ganz ein fach —
justament, solln s' sich guten — selbstverständlich —
Thronfolgerbegräbnis ist eben dritter Klasse, da gibts
keine Würschtel — zu Fleißaufgaben haben wir gar
keine Ursache — ja apropos Exlenz haben von der
unverschämten Zumutung seiner Kanzlei noch nicht
gehört? — Nach dem spanischen Zeremoniell solln
mr ihnen auch noch das Begräbnis in Artstetten,
nicht bloß die Zufuhr zur Westbahn — nicht wahr,
unerhört — In unsere Kompetenz gehört nur die
Kapuzinergruft, punktum! — Aber natürlich, Durch-
laucht hat sofort die Initiative ergriffen und denen
geantwortet, sie solln froh sein, daß wir die Leich
bis zur Westbahn bringen. Das weitere geht die
städtische Leichenbestattungsanstalt an — oder den
Verein zum ewigen Leben, sehr richtig — natürlich,
jedenfalls aus Schmutzerei — in seinem Sinne —
14
Pietät, sehr gut! Muß ich Durchlaucht erzählen,
Durchlaucht wird sich — nein, nur zwanglos, kleines
Festessen in gemütlichem Kreis — Ob mr wen
anstellen wern? Nicht einen, wird alles hinaus-
gschmissen — Oja, Viechsarbeit — natürlich, wenn's
auf mich ankommt, ich persönlich war vom ersten
Moment dagegen, daß die Leich von der Chotek im
selben Zug mitkommt — ich sag in solchen Fällen,
wärst net aufigstiegn, wärst net abigfalln — aber
das war leider — aber ja, das gute Herz von Seiner
Durchlaucht — und dann, Exlenz wissen ja,
Seine kaiserliche Hoheit hat interveniert, kann man
halt nix machen — na, wenigstens hätt mr die
Gschicht so weit in Ordnung bracht, daß ihr Sarg
um eine Stufen tiefer aufgstellt wird wie der seinige
— Gewiß, wird nicht angenehm sein morgen auf der
Südbahn — aber wenigstens kein Gedränge — Wie?
Sehr gut, nicht wie am Sonntag nach Atzgersdorf,
sehr gut, muß ich Durchlaucht, Durchlaucht wird
sich — Wie? pardon, ach so, die Zeitungen? Instruiert,
alles instruiert, wern nicht viel hermachen. Schlagwort:
Kein Prunk, sondern stille Trauer oder was beißt mich da
— Wie Exlenz? So still, daß man — famos, muß ich
Durchlaucht, Durchlaucht wird sich — Wie? Ja, hoch-
erfreut, daß die Kabinettskanzlei ebenso tief erschüttert
ist wie das Obersthofmeisteramt — Durchlaucht wird
sich kugeln — paar Vergnügungsetablissements haben
bei uns angefragt, ob s' ihnere Vorstellungen abhalten
sollen. Antwort: daß irgendeine Hoftrauer noch nicht
angeordnet und daß es dem Ermessen jeder einzelnen
Direktion anheinigestellt bleibt — gut, was? — no
und was die ermessen, kann man sich ja denken,
na ja der Wolf aus Gersthof braucht a net mehr
z'wanen wie mir selber. Aber Venedig in Wien, das
wird Exlenz intressiern, die warn so vernünftig und
habn gar net gfragt und habn ruhig am selben Tag
gspüll. Mein Gott, das bißl Gaudee und das bißl
Gschäft soll man den Leutein bei die schlechten
15
Zeiten vergunnen — leben und leben lassen, natürlich
— Gewiß, gewiß, nicht wir allein, das ganze Reich —
das ganze Reich — sehr gut, alle die gleichen Gefühle,
sehr richtig, man will eben nicht ersticken — Wie?
Kruzitürken, was is denn schon wieder — es war eine
Störung! — sehr richtig, man will gemütlich sein —
so ist es, einmal geht auch der Schinder drauf —
leben und leben lassen — die Leut wolln ein joviales
Gsicht sehn, sonst wem s' selber grantig — jawohl,
wer nicht grüßen kann, ghört nicht an die Spitze! —
no in der Beziehung können wir ja für die Zukunft
Gottseidank unbesorgt sein — Wie? Was die andere
Durchlaucht macht, die neuche? Oder vielmehr, der
gewesene künftige Obersthofmeister? Der verblichene
Günstling, selig in dem Herrn entschlafen, Gott hab
ihn selig, hol ihn der Teufel, noja, ein ganz spezieller
Trauerfall, der einzige, der tiefgebeugt, jedenfalls —
nein, wird uns wohl nicht mehr mit seinem Besuche
beehren — Wie? Die was in Serajevo mit waren?
Der Harrach? Vielleicht auch. Hat ihn ja doch
>mit seinem Leibe gedeckt« — ja, die habn sich
wichtig gmacht unten — Der Morsey fahrt einen
Polizeibeamten an, warum er einen von die Atten-
täter nicht verhaftet, no der hat ihm aber tüchtig
geantwortet, Herr Leutnant kümmern Sie sich um
Ihre Angelegenheiten! — Die Polizei in Serajevo
hat einfach ihre Pflicht erfüllt, nicht mehr und nicht
weniger — Die Gendarmerie — wie viel da waren?
Durchlaucht hat damals die Initiative ergriffen beim
Tisza, der hat aber selbst schon alles vorgekehrt
ghabt. Sechs zu seinem persönlichen Schutz, das
war doch mehr wie genug! — Sehr gut, ein ver-
nünftiger Ausgleich, zweihundert hat man ihm für
Konopischt bewilligt, damit das p. t. Publikum nicht
in die Anlagen trete — ja, das hat ihm gschmeckt,
da hat man geuraßt — Wie? im Auswärtigen sans
schon fuchtig? Natürlich, die beste Handhabe, selbst-
verständlich — Endlich, endlich! — bin neugierig,
16
ob s' lang untersuchen wern im Schlangennest —
wieder ein vernünftiger Ausgleich, sechs Gendarmen
für Serajevo, brauchn mr haU desto mehr für
Belgrad! — Bagasch übereinand — Aber natürlich,
mir san ja eh die reinen Lamperln — Ja das is
wahr mit die Ahnungen, was er ghabt hat, aber da
ham'r ihm schon Mut gemacht, ein Offizier furcht
sich nicht! — sehr richtig, er war in Gottes Hand,
sein Lebtag, bis zum Schluß — nicht zu verhindern
gewesen, versteh, versteh, aber strafen, wanns einmal
gschehn is! — gewiß, nachher nimmt man sich eben
zsamm, ja, ja, wird auch in dem Punkt sein Gutes
haben, nach innen und außen — abrechnen —
Ja, der Conrad, na der wird jetzt — aber natürlich,
das fressen s'! Da muß doch eine Genugtuung sein,
das sieht doch jedes Kind, war net schlecht — ein
Prestischpunkt, der sich gewaschen hat — wer* mr
scho machen — aber ja — Wie? Aber natürlich, da
reißen uns schon die Deutschen heraus — so is, wir
sind für den Frieden, wenn auch nicht für den
Frieden um jeden Preis — nein Exlenz, von Urlaub
leider keine Rede, woher denn — is schon einmal so,
noja, mir bleibt doch nichts erspart — nochmals,
selbstverständlich, bitte unbesorgt — wer's bestelln —
tänigsten Dank, korschamster Diener Exlenz I
4. Szene
Ebenda
Diener: Bitt schön Herr Hofrat — einer is da.
Nepalleck: Was für einer?
Diener (verlegen): No, von die andern.
N e p a 1 1 e c k (herrisch) : Es gibt keine andern !
Die Zeiten sind vorbei! Hab ich Ihnen nicht gesagt,
daß jeder, der kommt —
Diener: Bitt schön — er sagt, daß es nur
wegen einer Erkundigung is.
Nepal leck: Möcht wissen, was es da noch zu
erkundigen gibt, alstern herein mit ihm. (Diener ab.)
17
5. Szene
(Ein alter Kammerdiener des verstorbenen Erzherzogs tritt auf.)
Nepal leck (zischt hervor): Was v/ollen S'?
Der alte Kammerdiener: Zu dienen,
gnädiger Herr Hofrat — also — ich weiß mir in dieser
Beziehung — also diesfalls — also anderweitig —
Nepal leck: Was Sie wollen, möcht ich gern
hören!
Kammerdiener: Nämlich das Unglück, das
große Unglück, also nicht wahr, gnädiger Herr Hofrat
— also wo ich schon unter kaiserlichen Hoheit —
hochseligen Weiland — Herrn Erzherzog Ludwig, Gott
hab ihn selig —
N e p a 1 1 e c k : Aha, also mit einem Wort, Sie sind
ein vazierender Kammerdiener - Sie, mein Lieber,
das schlagen S' Ihnen aus dem Kopf, Anstellungen
werden hier nicht vergeben!
Kammerdiener (weinend): Aber nein, Herr
Hofrat — aber nein, Herr Hofrat —
Nepal leck: Was, zudringlich wem S'?
Kammerdiener: Aber nein Herr Hofrat —
nicht will ich — nicht will ich —
Nepalleck: Also was denn sonst?
Kammerdiener: Aber nein — wahr is, ein
strenge Herr — aber — strenge — und — gute
Hoheit - aber -- so —
Nepalleck: Sie Verehrtester erzählen S' uns
hier keine Raubersgschichten — sagen S' was Sie
von uns wollen!
Kammerdiener: Aber nix wollen, Herr Hofrat,
nix, nix, gar nix wollen — nur sprechen — nur
sprechen — nur sprechen — vor der Leich noch amal —
N e p a 1 1 e c k (seine Stimme erhebend) : Sprechstunde
hab ich für Sie keine, verstanden?
(Von rechts, durch den Lärm gerufen, stürzt Fürst Montenuovo
mit wutverzerrtem Gesicht herein.)
Die letzten Tage der Menschheit. 2
18
6. Szene
Montenuovo: Was ist? Ah is schon einer da!
Sie, schaun Sie, daß Sie weiter kommen! Hier findet
keiner von euch einen Posten, verduften, gschwindl
Kammerdiener (mit großem Staunen): Ich — hab
— Jesus — zu dienen, gnädigste Durchlaucht — (Ab.)
7. Szene
Montenuovo: Sie Hofrat, Sie wissen, daß hier
kein Asyl für Obdachlose ist — ich habe nun einmal
die Initiative ergriffen, also — Ruh will ich haben!
Nepalleck: Durchlaucht können sich verlassen,
es wird nicht mehr vorkommen, der Mensch wollte
nur —
Montenuovo: Alleseins. Daß mir keine von
den Belvedere- Visagen hier unterkommt! — Wie viel
Einladungen?
Nepalleck: Achtundvierzig.
Montenuovo: Was reden S' denn?
Nepalleck: Ach so, bitte tausendmal um Ver
gebung, ich hab an morgen abends gedacht. Sechs-
undzwanzig.
Montenuovo: Die sechs noch streichen! (Ab.)
Nepalleck: Zu Befehl! (Setzt sich wieder an den
Schreibtisch.)
8. Szene
Fürst Weikersheim dicht hinter ihm der Diener,
Diener: Bitte Durchlaucht, ich habe den
strengsten Auftrag —
Ftirst Weikersheim: Was hat der? Auftrag?
Was? Man muß hier angemeldet werden? (Diener ab.
Nepalleck bleibt am Schreibtisch sitzen, ohne aufzublicken. Der
Fürst nach einer Pause des Wartens.) Sie ! (Nach einer weitern
Pause lauter) Sie! Was — geht hier vor? (schreiend) Sie,
stehn Sie auf!
19
N e p a 1 1 e c k (wendet den Kopf, obenhin) : Guten Tag,
guten Tag.
Fürst Weikersheim (nach einer Pause sprachlosen
Staunens): Was — ist — das? So — rasch — (Mit Betonung)
Sie, wissen Sie, wer ich bin?
Nepal leck: Was ist denn, was ist denn, natür-
lich weiß ich das, Sie sind der gefürstete Baion
Bronn von Weikersheim.
Fürst Weikersheim: Und Sie sind ein —
Und der dort ist Ihr Vorgesetzter! (Ab, indem er die
Tür ins Schloß wirft.)
9. Szene
N e p a 1 1 e C k (lacht krampfhaft. Das Telephon klingelt):
KorschamsterDienerExlenz, indemMqjnenthatsich —
(Montenuovo steckt den Kopf zur Tür herein, blitzschnell dreht
sich Nepalleck um) Zu Befehl Durchlaucht —
(V^erwandlung.)
10. Szene
Südbahnhof. Im fahlen Morgenlicht ein Raum, von dem aus
man durch eine große Türöffnung den Hofwartesalon überblickt.
Dieser selbst ist ganz mit schwarzen Tüchern drapiert. In der
Mitte des Saals, für die draußen Stehenden anfangs noch sichtbar,
zwei Sarkophage, deren einer um eine Stufe tiefer steht; rings
um die Särge hohe Leuchter mit brennenden Kerzen. Kränze.
Gebetstühle. Schwarz livrierte Lakaien sind eben damit beschäftigt,
die letzten Kerzen anzuzünden und die zum Empfang der Trauer-
gesellschaft notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Im Vorraum
und auf dem noch sichtbaren Teil der Treppe drängt sich Publikum,
das von Polizeibeamten geordnet wird. Würdenträger, Funktionäre
in verschiedenartigen Uniformen erscheinen, bleiben im Vorraum
oder verschwinden im Saal, wechseln stumm oder flüsternd Qrüße.
Ein unablässiges Kommen und Gehen. Eine Abordnung von
Gemeinderäten in Frack erscheint. Hofrat Nepalleck tritt mit allen
Anzeichen tiefster Niedergeschlagenheit auf und nimmt von zahl-
reichen .A.nwesenden Kondolenzen entgegen. Dieser und die
folgenden Vorgänge spielen sich im Zwielicht ab. Die Gespräche
sind die von Schatten.
Nepal leck: Es ist das Furchtbarste, Durchlaucht
ist ganz trübsinnig und durch Unwohlsein verhindert,
der höchsten Trauerfeier persönlich beizuwohnen.
2*
20
Auch der Graf Orsini-Rosenberg muß das Bett hüten.
Es ist über uns hereingebrochen. Rechts der schönste,
der mit Chrysanthemen auf dem Sarg Ihrer seligen
Hoheit der durchlauchtigsten Frau Herzogin, ist von
Seiner Durchlaucht.
(Ein hochgewachsener Herr, Kleid und Haltung in tiefster Trauer,
erscheint, geht auf Nepalleck zu und drückt ihm warm dieMand.)
Angelo Eisner v. Eisenhof: Er war mein
Freund. Ich bin ihm nahegestanden. Zum Beispiel
bei der Eröffnung der Adriaaustellung. Aber was
ist mein Schmerz, verglichen mit dem Ihren, Heber
Hofrat! Was muß ein Mann wie Sie in diesen Tagen
durchgemacht haben!
Nepalleck: Mir bleibt doch nichts erspart.
(Inzwischen ist das gegenüberliegende Tor "geöffnet worden, und
man sieht, wie sich der Saal mit der Hofgesellschaft, den höchsten
Hof- und Siaatsbeamten und der Geistlichkeit füllt, v/obei ein
Zeremonialbeamter ordnend eingreift und jeden den ihm vor-
behaltenen Platz anweist. Bis zum Beginn der heiligen Handlung
strömen in den Vorrsimi immer neue Teilnehmer und Zuschauer,
die einzutreten versuchen, Einladungen vorzeigen, zugelassen
oder abgewiesen werden. Einige Damen des Hochadels werden
von einem diensthabenden Organ aus dem Saal gewiesen. Es
erscheinen zehn Herren in Oehröcken, die, ohne sich zu legitimieren,
mit Zuvorkommenheit, an dem S)3alier der Wartenden vorbei, bis
über die Tür des Trauergemachs geleitet werden, die sie während
des Folgenden besetzt halten, so daß sie zwar selbst die Vorgänge
beobachten können, aber diese den Blicken der Außenstehenden
fast ganz entziehen. Die Sarkophage sind seit dem Moment ihres
Auftretens nicht mehr sichtbar. Während jeder der zehn ein
Notizblatt hervorzieht, treten zwei Funktionäre an die Gruppe
heran und stellen sich gegenseitig wie folgt vor.)
Zawadil: Spielvogel.
Spielvogel: Zawadil.
Beide (zugleich sprechend): Ein trüber Morgen.
Schon um 6 Uhr waren wir zur Stelle, um die An-
ordnungen zu treffen.
Angelo Eisner v. Eisenhof (tritt hinzu und
spricht angelegentlich mit einem der zehn, die zu schreiben
beginnen. Er deutet auf verschiedene Gestalten, die alle die Hälse
reAen und den Versuch machen, aus dem Spalier zu treten
21
Er beruhiget durch Winken jeden einzelnen, indem er, gleichzeitig
aui die zehn Männer weisend, die Pantomime des Schreibens
macht, so als ob er ihm bedeuten wollte, daß bereits von ihm
Notiz genommen sei. Inzwischen ist es dem Hofrat Schwarz-
Gelber und dessen Gemahlin gelungen, in unmittelbaren Kontakt
mit den Schreibenden zu kommen und einem von diesen auf
die Schulter zu tippen.)
Hofrat Schwarz-Gelber und Hofrätin
Schwarz-Gel ber: Wir haben es uns nicht nehmen
lassen wollen, persönlich zu erscheinen.
Angelo Eisner v. Eisenhof (der sich mit
einem indignierten Blick abwendet, zu seinem Nachbar Dobner
V. Dobenau): Und so etwas will einer heiligen Handlung
beiwohnen! Wahrscheinlich das erstemal. Ich muß
mich vor meinem Freunde Lobkowilz schämen, der
grad herüberschaut. (Er grüßt öfter und winkt.) Aha, er
hat mich bemerkt, aber nicht erkannt.
Dobner v. Dobenau (mit starrer Miene und
langsam): Als Truchseß hätte ich eigentlich das Recht,
hineinzugehen, wo die Spitzen sind.
Conte Lippay: Dadurch, daß es mir als
Künstler gelungen ist, den Papst zu malen, hatte
ich als Palatinalgraf des öfteren Gelegenheit, Seine
Heiligkeit als deren Kämmerer auf die durch solche
Vorfälle nicht zu erschütternde Frömmigkeit des ver-
ewigten hohen Herrn aufmerksam zu machen, was Seine
Heiligkeit beifällig zur Kenntnis zu nehmen geruhte.
Eisner v. Eisenhof: Ja, Lipschitz, wie
kommen denn Sie hieher? Unsere Väter in Pilsen
hätten sich auch nicht träumen lassen —
Conte Lippay: Nichts davon, Baron, nichts
davon, tempi passati. Sie wissen ja selbst, nemo
propheta in sua patria und alle Wege führen nach
Rom. Aber haben Sie nicht meine Söhne die Grafen
Franz und Ervvein gesehn?
Dobner v. Dobenau: Als Truchseß hätte
ich eigentlich das Recht —
22
Cafetier Riedl: In der Adriaausstellung
habe ich mit Seiner kaiserlichen Hoheit verkehrt,
ihm selbst als Padriot und schlichter Gewerbsmann
speziell den Kaffee kredenzt, warum nicht, wenn
ich auch anerkannt bin, unsereins ist nicht so
hopatatschig, indem auch seine hochherzigen Be-
strebungen um den Ausbau unserer Flotte an mir
im Geiste Tegetthoffs als Obmann jederzeit einen
warmherzigen Förderer um damit auf dem einmal
betretenen Wege unerschrocken fortzufahren.
Dr. Charas: Mit mir an der Spitze ist auch
die Rettungsgesellschaft erschienen, hat aber noch
keinen Anlaß gefunden, in zahlreichen Fällen zu
intervenieren.
Der Chef des Sicherheitsbureaus Hofrat
Stukart: Meine Anwesenheit versteht sich von selbst.
Ganz abgesehen von meinem gesellschaftlichen
Prestige, mußte schon das rein kriminalistische Interesse
meine Aufmerksamkeit auf diesen Fall lenken, dem
ich vollkommen unbefangen gegenüberstehe, weil es
sich um einen Mordfall handelt, aus dem es niemandem
gelingen wird den Vorwurf der Reklamesucht gegen
mich abzuleiten. In Wien wäre so etwas unmöglich
gewesen. Ich will ja nicht leugnen, daß der geehrte
Kollege in Sarajevo bis zu dem Attentat selbst eine
ähnliche Taktik eingeschlagen hat, wie sie sich bei
uns wiederholt bewährt hat, indem man von den
Vorbereitungen zu einem Verbrechen eiitweder nichts
weiß oder es ausreifen läßt, um es späterhin mit umso
größerem Erfolge entdecken zu können. Aber der
geehrteKollege in Sarajevo hat eben diesen eigentlichen
kriminalistischen Zweck, wenn er ihn selbst angestrebt
hätte, bedauerlicherweise verfehlt. Wie anders hätte
ich nach vollzogener Tat, weit über meine Dienst-
pflicht hinaus, mir den Fall angelegen sein lassen,
indem unser Sicherheitsbureau fieberhaft gearbeitet
und ich persönlich so lange die Fäden in meiner
Hand gehalten hätte, bis es mir gelungen wäre, den
23
Täter nach erfolgtem Geständnis unter der Last der
Beweise zusammenbrechen zu lassen, was dem geehrten
Kollegen in Sarajevo dadurch, daß der Täter auf
frischer Tat ergriffen wurde, bedauerlicher Weise nicht
geglückt ist. Ich kann mir diese fatale Wendung nur
aus Ungeschicklichkeit, vielleicht aus dem Übereifer
des Attentäters, der sich der Verhaftung nicht wider-
setzte, oder aus einem unglücklichen Zufall erklären,
der eben in diesem besonders beklagenswerten Falle
die Tätigkeit der Polizei vollständig lahmgelegt hat.
Da aber das Opfer des Täters an diesem katastrophalen
Ausgang unschuldig ist, so wird man es begreiflich
finden, daß meine Anwesenheit hier, wenn auch unter
andern, bemerkt wird.
Sektionschef Wilhelm Exner: Ich stehe
hier als Vertreter technologischer Interessen.
Gouverneur Sieghart von der Boden-
kreditanstalt: Ich bin heute Gouverneur. In der
sichern Erwartung, daß nunmehr die Staatsgewalt
sich in den meiner Weltanschauung angepaßten
Bahnen ohne Aufenthalt weiterbewegen w^ird, kann
ich hier meinen Platz behaupten.
Präsident Landesberger von der An gl o-
bank: Sie sagen von mir, ich sei ein Bankmagnat.
Trotzdem glaube ich nicht, daß es unter meiner
Würde ist, hinter dem Sarge eines wenn auch
anderen Idealen zugewandten Mächtigen ein be-
scheidenes, aber stolzes Plätzchen anzustreben.
Herzberg-Fränkel: Mein Name ist Herzberg-
Fränkel. Ich weiß, er hat bei Lebzeiten keine be-
sonderen Sympathien für meinen Typus gehabt, aber
der Tod hat etwas Versöhnendes.
Die freisinnigen Gemeinderäte Stein
und Hein: Ich weiß zwar nicht, was ich hier
zu suchen habe, aber da auch ich da bin, bin ich
auch da.
24
Zwei Konsuln (stellen sich gleichzeitig vor):
Stiaßny. Wir haben zwar keine nennenswerte Be-
ziehung zu dem Verewigten gehabt, sind aber dessen-
ungeachtet herbeigeeilt, um unsere Pflicht zu erfüllen.
Drei kaiserliche Räte (treten in einer Reihe auf):
Wir sind als Abordnung erschienen, weil wir es den
Manen schuldig zu sein glauben, uns in der Hoffnung
auf bessere Zeiten nicht von der Überzeugung ab-
bringen zu lassen, daß er das Gute gewollt hat, aber
schlecht informiert war.
Sukfüll: Vom Gremium entsendet und be-
rufen, die schmerzlichen Gefühle der Sektion aus-
zusprechen, sehen wir einer ungewissen Zukunft
entgegen und sind noch nicht einmal in der Lage,
zu ermessen, ob das Ereignis für die geplante Hebung
des Fremdenverkehrs hemmend oder fördernd aufzu-
fassen ist. Wie dem immer sei, entbiete ich meinen
letzten Gruß.
Birinski und Glücksmann: Als Vertreter
der Kunst hat uns die Kunst entsendet, um an der
Bahre des großen Toten das Gelöbnis idealen Strebens
zu erneuern, während als Vertreter der Industrie jeden-
falls andere gekommen sind.
Der Buchhändler Hugo Heller: Durch meine
weitverzweigten kulturellen Verbindungen v/äre es mir
offenbar ein Leichtes gewesen, den erlauchten Ver-
storbenen dauernd an mich zu fesseln, wenn nicht
wie gesagt der Tod dazwischen gekommen war.
(Während dieser Rede ist eine Dame in tiefster Trauer eingetreten.
Alles weicht zurück.)
Hofrätin Schwarz-Gelber (wie vom Bütz
getroffen, gibt ihrem Gatten einen Stoß und spricht): Was
hab ich dir gesagt! Die is überall, wo sie nicht
hineingehört. Ob man einmal unter sich sein könnte!
Flora Dub: Wie ruhig sie daliegen! Wenn
sie leben möchte, möchte sie sich erinnern, wie ich
einmal Blumen geworfen hab auf ihr. Er war zwar
25
kein besonderer Freund von Rlumenkorsos. Aber ich
bin gekommen, damit sie sehen sollen, ich trug
ihnen nichts nach.
Der Nörgler (im Vordergrutui):
Du großer Gott der Großen und der Kleinen!
Du prüfst die Großen, weil es Kleine gibt.
Du prüftest einmal Kleine durch den Großen.
Und riefst ihn weg. So hat er diese Prüfung
als Prüfer und Geprüfter schlecht bestanden.
War dies die Absicht, als Du Tod und Leben
zu seligem Unterschied erfunden hast?
Stürzt in die Bresche dar Unendlichkeit
der irdische Feind, ein toljgev/ordener Haufe?
Und ist das Leid nicht göttlicher Besitz,
daß die es tragen, die gemordet haben?
Ist selbstvergossnes Blut nur ein Rubin,
ein falscher Diamant die echte Thräne,
ein Putz, den sich die Judasfratze borgt?
Dann ist die Zeit zu Ende und nichts bleibt
als Deine Prüfung. Laß es sie entgelten,
in Stadt und Staat die Mißgebornen fühlen,
daß es vollbracht ist! Nimm ihr eigenes Blut
und traure über sie mit Gottes Thräne!
(Während dieser Vl^orte hat die heilige Handlung in höchster
Feierlichkeit ihren Anfang genommen. Man sieht, wie der gesamte
im Trauersaa! versammelte Hofstaat zum Gebete kniet, vonie
schluchzend die drei Kinder der Ermordeten. Zeitweise wird die
Stimme des Priesters hörbar. Nun spielt die Orgel. Einer der
zehn, die allmählich ganz in das 'i'rauergemach gelangt sind,
wendet sich plötzlich mit lauter Stimme an seinen Nachbarn.)
Der Redakteur: Wo is Szomory? Wir
brauchen die Stimmung!
(Die Orgel setzt ab. Es tritt eine Pause stummen Gebetes ein,
nur vom Schluchzen der drei Kinder unterbrochen.)
Der Redakteur (zu seinem Nachbarn): Schreiben
Sie, wie sie beten!
I. Akt
1. Szene
Wien. Ringstraßen-Korso. Sirk-Ecke. Etliche Wochen später.
Fahncii an aen Häusern. Vorbeimarschierende Soldaten werden
bejubelt. Allgemeine Erregung. Es bilden sich Gruppen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Zweiter Zeitungsausrufer: Extraaus-
gabee! Beidee Berichtee!
Ein Demonstrant (der sich von einer Gruppe den
Prinz Eugen-Marsch singender Leute loslöst, ruft mit hochrotem
Gesicht und schon ganz heiser unaufhörlich): Nieda mit
Serbieen! Nieda! Hoch Habsburg! Hoch! Hoch
Serbieen!
Ein Gebildeter (den Irrtum bemerkend, versetzt
ihm einen Rippenstoß) : Was fällt Ihnen denn ein —
Der Demonstrant (anfangs verdutzt, besinnt sich):
Nieda mit Serbieen! Nieda! Hoch! Nieda mit Habs-
burg! Serbieen!
(im Gedränge einer zweiten Gruppe, in die auch eine Prostituierte
geraten ist, versucht ein »Pülcher«, der dicht hinter ihr geht,
ihr die Handtasche zu entreißen.)
DerPülcher (ruft dabei unaufhörlich) : Hoch ! Hoch !
Die Prostituierte: Loslassen! Sie unver-
schämter Mensch ! Loslassen oder —
Der Pülcher (von seinem Vorhaben ablassend): Wos
rufn S' denn net hoch? Sie wolln a Padriodin sein?
A Hur San S', mirken S' Ihna das!
Die Prostituierte: A Taschelzieher san S'!
Der Pülcher: A so a Schlampen — jetzt is
Krieg, mirken S' Ihna das! A Hur san S' !
Ein Passant: Burgfrieden, wenn ich bitten
darf! Halten S' an Burgfrieden!
30
Die Menge (aufmerksam werdend): A Hur is!
Was hats gsagt?
Ein zweiter Passant: Wenn mr reciit vur-
kummt, so hat s' was gegen das angestaamte
Herrscherhaus gsagt!
Die Menge: Nieda! Hauts es! (Dem Mädchen
ist es gelungen, in einem Durchhaus zu verschwinden.) Laßts
es gehn! Mir san net aso! Hoch Habsburg!
Ein Reporter (zu seinem Begleiter): Hier scheinen
Stimmungen zu sein. Was tut sich?
DerzweiteReporter: Ma werd doch da sehn.
Ein ArmeeHeferant (hat mit einem zweiten eine
Ringstraßenbank bestiegen) : Da Sehn wir sie besser. Wie
schön sie vorbeimarschieren, unsere braven Soldaten!
Der zweite: Wie sagt doch Bismarck, steht
heut in der Presse, unsere Leut sind zum Küssen.
Der erste: Wissen Sie, daß sogar Eislers
Ältester genommen is?
Der zweite: Was Sie nicht sagen! Das hat
die Welt nicht gesehn! So reiche Leute auch. Daß
sich da nichts machen hat lassen?
Der erste: Es heißt, sie versuchen jetzt. Wahr-
scheinlich wird er hinaufgehn und sichs richten.
Der zweite: Und im äußersten Fall — Sie
wern sehn, jetzt wird er ihm doch das Automobil
kaufen, was er sich hat in den Kopf gesetzt.
Der erste: Kann man auch verunglücken.
Ein Passant: Habe die Ehre, Herr General-
direktor !
Ein anderer Passant (zu seinem Begleiter): Hast
ghört? Weißt, wer das is? Ein Generaldirektor in Zivil.
Da muß man vorsichtig mit'n Reden sein. Das is
nämlich der Vorgesetzte von die Generäle.
Ein Offizier: (zu drei anderen): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also
du — du bist ja politisch gebildet, also was sagst?
Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Weißt,
ich sag, es is alles wegen der Einkreisung.
31
Der dritte: Weißt ~ also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich muUattiert — ! habts das Bild vom Schönpflug
gsehn, Klassikaner!
Der dritte: Weißt, in der Zeitung steht, es
war unanwendbar.
Der zweite: Unabwendbar steht.
Der dritte: Natürlich, unabwendbar, weißt
ich hab mich nur verlesen. Also was is mit dir?
Der vierte: No weißt ich hab halt also
Aussicht ins KM.
Der erste: No bist a Feschak, kommst halt
zu uns. Du gestern war ich dir im Apollo bei der Mela
Mars — hat mir der Nowak von Neunundfünfziger
gsagt er hat ghört ich bin eingegeben für die Silberne.
Ein Zeitungsausrufer: Tagblaad! Kroßer
Sick bei Schaabaaz!
Der vierte: Gratuliere dir — hast die gsehn?
Ein Gustomenscherl was sich gwaschen hat, sag ich
euch — warts, ich — (ab.)
Die andern: (ihm nachrufend): Kommst also
nachher zum Hopfner!
Ein Wiener (hält von einer Bank eine Ansprache):
denn wir mußten die Manen des ermordeten
Thronfolgers befolgen, da hats keine Spompanadeln
geben — darum, Mitbürger, sage ich auch — wie
ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen
an das Vaterland anschließen in dera großen ZeitI
Sind wir doch umgerungen von lauter Feinden!
Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir!
Also bitte — schaun Sie auf unsere Braven, die was
dem Feind jetzt ihnere Stirne bieten, ungeachtet,
schaun S' wie s' da draußn stehn vor dem Feind,
weil sie das Vaterland rufen tut, und dementsprechend
trotzen s' der Unbildung jeglicher Witterung — draußen
stehn s', da schaun S' Ihner s' an ! Und darum sage
ich auch — es ist die Pflicht eines jedermann, der ein
Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter
32
sein Scherflein beizutrageen. Dementsprechend! Da
heißt es, sich ein Beispiel nehmen, jawoohl! Und
darum sage ich auch — ein jeder von euch soll
zusammenstehn wie ein Mann ! Daß sie's nur hören
die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg, was
mir führn! Wiar ein Phönix stehm.a da, den s' nicht
durchbrechen wern, dementsprechend — mir san mir
und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx
ausm Weltbrand sag ich! Die Sache für die wir
ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine
Wurschteln, und darum sage ich auch, Serbien —
muß sterbien!
Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist
es! — Serbion muß sterbien! — Ob's da wüll oder
net! — Hoch! — A jeder muß sterbien!
Einer aus der Menge: Und a jeder Ruß —
Ein anderer (brüllend): — ein Genuß!
Ein dritter: An Stuß! (Gelächter.)
Ein vierter: An Schuß!
Alle: So is! An Schuß! Bravo!
Der zweite: Und a jeder Franzos?
Der dritte: A Roß! (Gelächter.)
Der vierte: An Stoß!
Alle: Bravo! An Stoß! So is!
Der dritte: Und a jeder Tritt — na, jeder Britt!?
Der vierte: An Tritt!
Alle: Sehrguat! An Brilt für jeden Tritt! Bravo!
Ein Bettelbub: Gott strafe England!
Stimmen: Er strafe es! Nieda mit England!
Ein Mädchen: Der Poldl hat mir das Beuschl
von an Serben versprochen ! Ich hab das hineingeben
in die Reichspost!
Eine Stimme: Hoch Reichspost! Unser
christliches Tagblaad!
Ein anderes Mädchen: Bitte, ich habs
auch hineingeben, mir will der Fordl die Nierndln
von an Russn mitbringen!
Die Menge: Her darmit!
33
Ein Wachmann: Bitte links, bitte links.
Ein Intellektueller (zu seiner Freundin): Hier
könnte man, wenn noch Zeit war, sich in die Volks-
seele vertiefen, wieviel Uhr is? Heut steht im Leit-
artikel, daß eine Lust is zu leben. Glänzend wie er sagt,
der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit.
Die Freundin: Jetzt is halber. Die Mama
hat gesagt, wenn ich später wie halber zuhaus komm,
krieg ichs.
Der Intellektuelle: Aber geh bleib. Schau
dir bittich das Volk an, wie es gärt, Paß auf
auf den Aufschwung!
Die Freundin: Wo?
Der Intellektuelle: Ich mein' .seelisch, wie
sie sich geläutert haben die Leut, im Leitartikel
steht doch, lauter Helden sind. Wer hätte das für
möglich gehalten, wie sich die Zeiten geändert
haben und wir mit ihnen.
(Ein Fiaker hält vor einem Hause.)
Der Fahrgast: Was bekommen Sie?
Der Fiaker: Euer Gnaden wissen eh.
Der Fahrgast: Ich weiß es nicht. Was be-
kommen Sie?
Der Fiaker: No was halt die Fax is.
Der Fahrgast: Was ist die Tax?
Der Fiaker: No was S' halt den andern gebn.
Der Fahrgast: Können Sie wechseln? (Reicht
ihm ein Zehnkronenstücl< in Gold.)
Der Fiaker: Wechseln, wos? Dös nimm i net
als a ganzer, dös könnt franzeisches Gold sein!
Ein Hausmeister (nähert sich): Wos? A
Franzos? Ahdaschaurija. Am End gar ein Spion,
dem wer mrs zagn! Von woher kummt er denn?
Der Fiaker: Von der Ostbahn!
Der Hausmeister: Aha, aus Petersburg!
Die Menge (die sich um den Wagen gesammelt hat):
A Spion! A Spion! (Der Fahrgast ist im Durchhaus ver-
schwunden.)
Die letzten Tage der Menschheit. 3
34
Der Fiaker (nachrufend): A so a notiger Beitel
vardächtiga!
Die Menge: Loßts'n gehn! Mochts kane
Reprassalien, dös ghört si net! Mir san net aso!
Ein Amerikaner vom Roten Kreuz
(zu einem andern): Look at the people how enthusiastic
tliey are!
Die Menge: Zwa Engländer! Reden S' deutsch!
Gott strafe England! Hauts es! Mir san in Wean!
(Die Amerikaner flüchten in ein Durchhaus.) Loßts es
gehn! Mir san net aso!
Ein Türke (zu einem andern): Regardez l'en-
thousiasme de tout le monde!
D i e M e n g e : Zwa Franzosen ! Reden S' deutsch !
Hauts es! Mir san in Wean! (Die Türl<en flüchten in
das Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir San net aso! Dös
war ja ttirkisch! Sechts denn uet, die ham ja an Fez!
Dös san Bundesgenossen! Holts es ein und singts
den Prinz Eugen !
(Zwei Chinesen treten schweigend auf.)
Die Menge: Japaner san do! Japaner san a
no in Wean! Aufhängen sollt ma die Bagasch bei
ihnare Zopf!
Einer: Loßts es gehn! Dös san ja KineserS
Zweiter: Bist selber a Kineser!
Der erste: 'leicht du!
Dritter: Alle Kineser san Japaner!
Vierter: San So vielleicht a Japaner?
Dritter: Na.
Vierter: Na olstern, aber a Kineser san S' do!
(Gelächter.)
Fünfter: Oba oba oba wos treibts denn,
habts denn net in der Zeitung g'lesen, schauts her,
da stehts (er zieht ein Zeitungsblatt hervor): »Derartige
Ausschreitungen des Patriatismus können in keener
Weisee gedudldeet werden und sind überdies geeigneet,
35
den Fremdenverkehr zu schädigeen«. Wo soll sich
denn da nacher ein Fremdenverkehr entwickeln,
wo denn, no olstern!
Sechster: Bravo! Recht hot er! Der Fremden-
verkehr, wann mr eahm hebn wolln, das is schwer,
das is net aso —
Siebenter: Halts Mäul! Krieg is Krieg und
wann einer amerikanisch daherredt oder türkisch
oder so -
Achter: So is. Jetzt is Krieg und da gibts
keine Würschtel ! (Eine Dame mit leichtem Antlug von
Schnurrbart ist aufgetreten.)
Die Menge: Ah do schauts her ! Das kennt ma
schon, ein verkleideter Spion! Varhaften! Einspirn
stantape!
Ein Besonnener: Aber meine Herren —
bedenken Sie — sie halte sich doch rasieren lassen!
Einer aus der Menge: Wer?
Der Besonnene: Wenn sie ein Spion wäre.
Ein zweiter aus der Menge: Drauf hat
er vergessen! So hat er sich gfangt!
Rufe: Wer? — Er! — No sie!
Ein dritter: Das is eben die List von denen
Spionen !
Ein vierter: Damit mrs net mirkt, daß
Spionen san, lassen s' ihnern Bart stehn!
Ein fünfter: Redts net so dalkert daher,
das is ein weiblicher Spion und damit mrs net mirkt,
hat s' an Bart aufpappt!
Ein sechster: Das is ein weiblicher Spion,
was sich für ein Mannsbild ausgeben tut!
Ein siebenter: Nein, das is ein Mannsbild,
was sich für ein weiblichen Spion ausgeben tut!
Die Menge: Jedenfalls ein Vardächtiger, der
auf die Wachstubn ghört! Packts eahm!
(Die Dame wird von einem Wachmann abgeführt. Man hört die
»Wacht am Rhein« singen.)
3*
36
Der erste Reporter (hält ein Notizblatt in der
Hand) : Das war kein Strohfeuer trunkener Augenblicks-
begeisterung, kein lärmender Ausbruch ungesunder
Massenhysterie. Mit echter Männlichkeit nimmt Wiea
die schicksalsschwere Entscheidung auf. Wissen Sie,
wie ich die Stimmung zusammenfassen wer'? Die
Stimmung läßt sich in die Worte zusammenfassen:
Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche. Weit
entfernt von Hochmut und von Schwäche, dieses
Wort, das wir für die Grundstimmung Wiens geprägt
liaben, kann man nicht oft genug wiederholen.
Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche!
Also was sagen Sie zu mir?
Der zweite Reporter: Was soll ich sagen?
Glänzend!
Der erste: Weit entfernt von Hochmut und
von Schwäche. Tausende und Aberlausende sind
heute durch die Straßen gewallt, Arm in Arm, Arm
und Reich, Alt und Jung, Hoch und Nieder. Die
Haltung jedes Einzelnen zeigte, daß er sich des
Ernstes der Situation vollauf bewußt ist, aber auch
stolz darauf, den Pulsschlag der großen Zeit, die
jetzt hereinbricht, an seinem eigenen Leib zu fühlen.
Eine Stimme aus der Menge: Lekmimoasch!
Der Reporter: Hören Sie, wie immer aufs
neue der Prinz Eugen-Marsch erklingt und die Volks-
hymne und ihnen gesellt sich wie selbstverständlich
die Wacht am Rhein im Zeichen der Bundestreue.
Früher als sonst hat heute Wien Feierabend gemacht.
Daß ich nicht vergeß, wir müssen besonders schildern,
wie sich das Publikum vor dem Kriegsministerium
massiert hat. Aber vor allem, nicht vergessen erwähnt
zu werden darf — raten Sie.
Der zweite: Ob ich weiß! Nicht vergessen
erwähnt zu werden darf, wie sie zu Hunderten und
Aberhunderten sich in der Fichtegasse vor dem
Redaktionsgebäude der Neuen Freien Presse massiert
haben.
37
Der erste: Kopp was Sie sind. Ja, das hat
er gern der Chef. Aber was heißt Hunderte und
Aberhunderte? Ausgerechnet! Sagen Sie gleich
Tausende und Abertausende, was liegt Ihnen dran,
wenn sie sich schon massieren.
Der zweite: Gut, aber wenn man es nur
nicht als feindliche Demonstration auffassen wird,
weil das Blatt letzten Sonntag, wo doch schon die
große Zeit war, noch so viel Annoncen von Masseusen
gebracht hat?
Der erste: In einer so großen Zeit ist eine
so kleinliche Auffassung ausgeschlossen. Überlassen
Sie das der Fackel. Alle haben sie dem Blatt zu-
gejubelt. Es erschollen stürmische Rufe: Vorlesen!
Vorlesen I und das hat sich selbstredend auf Belgrad
bezogen. Dann haben sie tosende Hochrufe aus-
gebracht —
Der zweite: Tosende und abertosende Hoch-
rufe —
Der erste: — und zwar auf Österreich, auf
Deutschland und auf der Neuen Freien Presse. Die
Reihenfolge war für uns nicht gerade schmeichelhaft,
aber es war doch sehr schön von der begeisterten
Menge. Den ganzen Abend is sie, wenn sie nicht
gerade vor dem Kriegsministerium zu tun gehabt
hat oder auf dem Ballplatz, is sie in der Fichtegasse
Kopf an Kopf gedrängt gestanden und hat sach massiert.
Der zweite: Wo nur die Leut die Zeit her-
nehmen, staune ich immer.
Der erste: Bittsie, die Zeit is so groß, daß
dazu genug Zeit bleibt! Also die Nachrichten des
Abendblatts wurden immer und immer wieder erörtert
und durchgesprochen. Von Mund zu Mund ging
der Name Auffenberg.
Der zweite: Wieso kommt das?
Der erste: Das kann ich Ihnen erklären, es
is ein Redaktionsgeheimnis, sagen Sie's erst, bis
Friede is. Also Roda Roda hat doch gestern dem Blatt
38
telegraphiert über die Schlacht bei Lemberg und
am Schluß vom Telegramm stehn die Worte: Lärm
machen für Auffenberg! Das war schon gesetzt.
Im letzten Moment hat man's noch bemerkt und
herausgenommen, dann aber hat man j a Lärm
gemacht für Auffenberg!
Der zweite: Die Hauptsache sind jetzt die
Straßenbilder. Von jedem Eckstein, wo ein Hund
demonstriert, will er ein Straßenbild haben. Gestern
hat er mich rufen lassen und hat gesagt, ich soll
Genreszenen beobachten. Aber grad das is mir un-
angenehm, ich laß mich nicht gern in ein Gedränge
ein, gestern hab ich die Wacht am Rhein mitsingen
müssen — kommen Sie weg, hier geht's auch schon
zu, sehn Sie sich nur die Leut an, ich kenne diese
Stimmung, man is auf einmal mitten drin und singt
Gott erhalte.
Der erste: Gott beschütze! Sie haben recht
— wozu man selbst dabei sein muß, seh ich auch
nicht ein, man verliert nur Zeit, man soll drüber
schreiben, stattdem steht man herum. Was ich sagen
wollte, sehr wichtig is zu schildern, wie sie alle
entschlossen sind und da und dort reißt sich einer
los, er will ein Scherflein beitragen um jeden Preis.
Das kann man sehr plastisch herausbringen. Gestern
hat er mich rufen lassen und hat gesagt, man muß
dem Publikum Appetit machen auf den Krieg und
auf das Blatt, das geht in einem. Sehr wichtig sind
dabei die Einzelheiten und die Details, mit einem
Wort die Nuancen und speziell die Wiener Note.
Zum Beispiel muß man erwähnen, daß selbstredend
jeder Standesunterschied aufgehoben war und zwar
sofort — aus Automobile haben sie gewinkt, sogar aus
Equipagen. Ich hab beobachtet, wie die Dame in
der Spitzentoilette aus dem Auto gestiegen is und
der Frau mit dem verwaschenen Kopftuch is sie um
den Hals gefallen. Das geht schon so seit dem
Ultimatum, alles is ein Herz und eine Seele.
39
Stimme eines Kutschers: Fahr flira
Rabasbua vadächtiga — !
Der zweite Reporter: Wissen Sie, was
ich beobachtet hab? Ich hab beobachtet, wie sich
Gruppen gebildet haben.
Der erste: No und — ?
Der zweite: Und ein Student hielt eine
Ansprache, daß jedermann seine Pllicht erfüllen muß,
dann hat sich einer aus einer Gruppe gelöst und
hat gesagt: »Besser so!«
Der erste: Nicht übel. Ich kann nur konsta-
tieren, ein großer Ernst breitet sich über der Stadt
aus, und dieser Ernst, gemildert von Gehobenheit
und dem Wellgeschichtsbewußtsein drückt sich in
allen Mienen aus, in denen der Männer, die schon
mitmüssen, in denen derer, die noch dableiben —
Eine Stimme: Lekmimoasch!
Der erste: — und in den Mienen jener,
denen eine so hohe Aufgabe zuteil wird. Vorbei die
bequeme Lässigkeit, die genußfroheGedankenlosigkeit;
die Signatur ist schicksalsfroher Ernst und stolze
Würde. Die Physiognomie unserer Stadt hat sich mit
einem Schlage verändert. *
Ein Passant (zu seiner Frau): Du kannst von
mir aus in die Josefstadt gehn, ich geh an die Wien!
Ein Zeitungsausrufer: Vormarsch der
Österreicher! Alle Stellungen genohmen!
Die Frau : Mir is schon mies vor >Husarenblut«.
Der erste Reporter: Nirgends eine Spur
von Beklommenheit und Gedrücktheit, nirgends
fahrige Nervosität und von des Gedankens Blässe
angekränkelte Sorge. Aber ebensowenig leichtherzige
Unterschätzung des Ereignisses oder törichte, ge-
dankenlose Hurrastimmung.
Die Menge: Hurra, a Deitscher! Nieda mit
Serbieen!
Der erste Reporter:- Schaun Sie her,
südliche Begeisterungsfähigkeit, gelenkt und geregelt
40
von deutschem Ernst. Das beobaclit ich für die City.
Sie können für die Leopoldstadt eine aufgeregtere
Note wählen.
Der zweite: Fallt mir nicht ein, ich bin
auch mehr für abgeklärtere Stimmungen. Da und dort
sieht man, wer ich sagen, einen weißköpfigen Greis,
der sinnend entfernter Jugendtage gedenkt, oder ein
gebeugtes Mütterchen, das mit zitternder Hand
Abschiedsgruö und Segenswunsch winkt. Einer merkt
man an, daß sie um einen Sohn oder Gatten bange.
Drehn Sie sich um, da können Sie sehn wie sie
winken, sie winken effektiv,
(Ein Trupp Knaben mit Tschako und Holzsäbel zieht vorbei
und singt: Wer will unter die Soldaten — der ließ schlagen
eine Brücken — )
Der erste: Notieren Sie: Eine hübsche Genre-
szene. Überhaupt müssen wir trachten, möglichst
viel vom Volk zu sagen, der Chef hat erst heute
geschrieben, es is die Quelle, in der wir das Gemüt
erfrischen.
EineGruppe(singend):DieRussenunddieSerben
die hauen wir in Scherben !
Hoch! Nieda! Schauts die zwa Juden an!
Der zweite Reporter: Sie, ich hab keine
Lust mehr, Genreszenen zu beobachten. Soll er sein
Gemüt an der Quelle erfrischen gehn, wenn er sich
traut. Ich bin lieber weit entfernt —
Der erste: Weit entfernt von Hochmut und
von Schwäche, dieses Wort, das wir für die Grund-
stimmung Wiens geprägt haben — (beide schnell ab.)
Es enlrteht eine Bewegung. Ein junger Mann hat einer alten
Frau die Handtasche gestohlen. Die Menge nimmt Stellung
gegen die Frau.
Eine weibliche Stimme: Ja meine Liebe,
jetzt is Krieg, das is net wie im Frieden, da muß
schon jeder was hergeben, mir san in Wien!
Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Gestern hab
ich mii dem Sascha Kolowrat gedraht, heut — (ab.)
41
(Es tre(en auf zwei Verehrer der Reichspost.)
Der erste Verehrer der Reichspost: Kriege
sind Prozesse der Läuterung und Reinigung, sind
Saatfelder der Tugend und Erwecker der Helden.
Jetzt sprechen die Waffen!
Der zweite Verehrer der Reichspost:
Endlich! Endlich!
Der erste: Kriege sind ein Segen nicht nnr
um der Ideale willen, die sie verfechten, sondern
auch um der Läuterung willen, die sie dem Volke
bringen, das sie im Namen der höchsten Güter führt.
Friedenszeiten sind gefährliche Zeiten. Sie bringen
allzuieicht Erschlaffung und Veräußerlichung.
Der zweite: Der einzelne Mensch braucht
doch halt auch a wengerl Kampf und Sturm.
Der erste: Besitz, Ruhe, Genuß darf für nichts
erachtet werden, wo die Ehre des Vaterlandes alles
bedeuten muß. So sei der Krieg, in den unser
Vaterland verwickelt wurde —
Der zweite: — so sei der Krieg, der Sühne
für Frevel und Garantien für Ruhe und Ordnung
will, mit ganzem Herzen erfaßt und gesegnet.
Der erste: Auskehrn mit eiserner Faust!
Der zweite: In Prag, Brunn und Budweis —
überall jubeln s' den kaiserlichen Entschließungen zu.
Der erste: In Serajevo haben s' Gott erhalte
gsungen.
Der zweite: In Treue steht Italien Österreich
zur Seite.
Der erste: Fürst Alfred Windischgrätz hat
sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet.
Der zweite: Seine Majestät hat während des
ganzen Tages in angestrengtester Weise gearbeitet.
Der erste:* Am 27. zwischen 12 und 1 Uhr
wurde im Postsparkassenamt die finanzielle Vorsorge
für den Krieg getroffen.
42
Der zweite: Die Approvisionierung Wiens für
die Kriegsdauer wurde vom Bürgermeister gemeinsam
mit dem Ministerpräsidenten und dem Ackerbau-
minister gesicliert.
Der erste: Hast glesen? Keine Teuerung
durchi den Krieg.
Der zweite: Das is gsciieit!
Der erste: In unentwegter Treue —
Derzweite: — huldigen wir unserem geliebten
alten Kaiser.
Der erste: Der Weiskirchner hat gsagt, meine
lieben Wiener, ihr lebt eine große Zeit mit.
Der zweite: Noja, es is keine Kleinigkeit!
Der erste: Wir gedenken auch des Bundes-
genossen in schimmernder Wehr, hat er gsagt.
Der zweite: Die Huldigung der kaisertreuen
Bevölkerung habens bereits an den Stufen des aller-
höchsten Thrones niederglegt.
Der erste: Am allerhöchsten Hoflager in Ischl.
Der zweite: Wirst sehn, der Krieg wird eine
Renaissance österreichischen Denkens und Handelns
heraufftihren, wirst sehn. Ramatama!
Der erste: Höchste Zeit, daß amal a Seelen-
aufschwung kommt! Rrtsch — obidraht!
Der zweite: Ein Stahlbad brauch' mr! Ein
Stahlbad!
Der erste: Bist schon einrückend gmacht?
Der zweite: Woher denn, enthoben! Und du?
Der erste: Untauglich.
Der zweite: Ein erleichtertes Aufatmen geht
durch unsere Bevölkerung! Dieser Krieg — (ab.)
Man hört den Gesang vorbeiziehender Soldaten: In der Heimat,
in der Heimat da gibts ein Wiedersehen —
Ein alter Abonnent der' Neuen Freien
Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant steht
heute im Leitartikel, wie der serbische Hof und wie sie
43
alle aus Belgrad fort müssen, (lir liest vor.) »Wien
ist heute Abend nicht die Stadt gewesen, die ver-
einsamt dem Hofe, der Regierung und den Truppen
keine sichere Stätte geboten hat. Belgrad war es.«
Der älteste Abonnent: Goldene Worte.
So etwas tut einem wohl zu hören und man spürt
doch bißl eine Genugtuung,
Der alle Abonnent: Allerdings könnte man
einwenden, daß Wien momentan von den Serben
weiter weg is wie Belgrad von den Österreichern,
weil ja Belgrad direkt visavis liegt von Semlin,
während Wien nicht direkt visavis liegt von Belgrad,
und weil sie schon zu schießen anfangen von Semlin
auf Belgrad, während sie von Belgrad nicht herüber-
schießen können gottlob auf Wien.
Der älteste Abonnent: Ich kann Ihrem
Gedankengang folgen, aber wohin führt das ?
Wie immer man die Situation ansieht, muß man
zu dem Resultat kommen, daß das was er im Leit-
artikel sagt wahr ist. Daß nämlich in Wien der Hof
und überhaupt alles bleiben kann wie es ist und in
Belgrad nicht. Oder ist es vielleicht nicht wahr? Mir
scheint Sie sind etwas ein Skeptiker?
Der alte Abonnent: Was heißt wahr?
Es ist geradezu unbestreitbar und noch nie hab ich
die Empfindung gehabt, daß er so recht hat wie er
dasmal recht hat. Denn wo er recht hat, hat er recht.
(Sie gehen ab.).
Ein Zeitungsausrufer: — Lemberg noch
in unserem Besitzee!
Vier Burschen und vier Mädchen Arm
in Arm: Er ließ schlageen eene Bruckn daaß man
kont hiniebaruckn Stadtunfestung Beigerad —
Die Menge: Hoch! (Fritz Werner tritt auf und
dankt grüßend.)
Fräulein Körmendy: Weißt du was, geh du
jetzt zu ihm und bitt ihm.
44
Fräulein Löwenstarnm (nähert sich) : Ich bin
nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein
Autogramm —
(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und
überreicht es ihr. Ab.)
So lieb war er.
Fräulein Körraendy: Hat er dich angeschaut?
Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem
Krieg. Ich schwärm nur für den Storm! (Ab.)
Ein Pülcher: Serwas Franz, wo gehst
denn hin?
Ein zweiter Pülcher: Auxtrois Franzois.
Der erste: Wohin?
Der zweite: Auxtrois Franzois, Dem Hutterer
die Auslagen einschlagen, wann er die Tafel net
weggibt. I hab ein Viechszurn in mir!
Der erste: Hast schon recht, das is ein
Schtandal is das.
Der zweite: Wo ich ein »Modes« seh,
tippe! i's einil (Geht in R-'.serei ab.)
Der erste: Serwas Pepi, wo gehst denn hin?
Ein dritter: I geh ein Scherflein beitragen.
Der erste: A hörst, was du für an Gemein-
sinn betätingern tust —
Der dritte: Wos? An Gemeinsinn? Du, dös
sagst mr net no amol, mir net — (haut ihm eine Ohrfeige
herunter.)
Rufe aus der Menge: Do schaut's her!
Schämen S' Ihna! Wer is denn der? San So vielleicht
der Nikolajewitsch?
Einer aus der Menge: Wos die Leut für
an Gemeinsinn betätingern mitten im Krieg, das sollt
man wirkli net für möglich hahn!
(Zwei Agenten treten auf.)
Der erste Agent: Also heut zum erstenmal,
Sie, Gold gab ach für Eisen.
Der zweite: Sie? Das können Sie wem
andern einreden. Sie haben gegeben! Aufgewachsen —
45
Der erste: Wer sagt, ich hab gegeben?
V^erstehn Sie nicht deutsch? Ich seh da drüben den
Zettel von der Premier' heut: Gold gab ich für
Eisen, ich möcht gehn.
Der zweite: Gut, geh ich auch! Jetzt is
überhaupt am intressantesten. Gestern hat bei der
Csardasfürstin die Gerda Walde die Extraausgab
vorgelesen von die vierzigtausend Russen am Droht-
verhau — hätten Sie hören solin den Jubel, zehnmal
is wenig, daß sie is gerufen worn.
Der erste: Warn schon Verwundete??
Der zweite: Auch! Jetzt is überhaupt am
intressantesten. Kürzlich is einer neben mir gesessen.
Was war da nur? Ja — Ich hatt einen KameradeH.
Der erste: Sie??
Der zweite: Wer sagt, ich? Das is von
Viktor Leon!
Der erste: Guut??
Der zweite: Bombenerfolg!
Ein Zeitungsausrufer: Belgraad bona-
badiert — !
(Verwandlung.)
2. Szene
Südtirol. Vor einer Brücke. Ein Automobil wird angehalten.
Der Chauffeur weist den Fahrtausweis vor.
Der Landsturmmann: Grüaß Good die
Herrschaften! Derf ich bitten —
Der Nörgler: Endlich einmal ein freundlicher
Mann. Die andern sind alle so rabiat und legen
gleich an —
Der Landsturmmann: Jo 's is zwegn an
ruassischen Automobüll mit Gold, no und da —
Der Nörgler: Aber ein Automobil, das halten
will, kann doch nicht auf die Sekunde halten,
sondern rollt noch ein paar Meter — da kann ja
das größte Unglück passieren.
46
Der Landsturm mann (in Rage): Jo — wonn
eins net holten tuat — da schiaß ma alls zsamm —
schiaß ma alls zsamm — schiaß ma alls — (Das
Automobil fährt weiter.)
(Verwandlung.)
3. Szene
Hinter der Brücke. Ein Heerhaufen um das Automobil. Der
Chauffeur weist den Fahrtausweis vor.
Ein Soldat (mit angelegtem Gewehr): Halt!
DerNörgler: Der Wagen steht doch schon.
Warum ist denn der Mann so rabiat?
Der Hauptmann (in Raserei) : Er erfüllt seine
Pflicht. Wenn er nur im Feld rabiat is mit'n Feind,
so is scho recht!
Der Nörgler: Ja, aber wir sind jadoch nicht —
Der Hauptmann: Krieg is Krieg! Basta!
(Das Automobil fährt weiter.)
(Verwandlung.)
4. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Da können Sie von Glück
sagen. In Steiermark ist eine Rote Kreuz-Schwester,
deren Automobil noch ein paar Meter gerollt ist,
erschossen worden.
Der Nörgler: Dem Knecht ist Gewalt ge-
geben. Das wird seine Natur nicht vertragen.
Der Optimist: Übergriffe untergeordneter
Organe werden im Kriege leider nicht zu vermeiden
sein. In solcher Zeit muß aber jede Rücksicht dem
einen Gedanken untergeordnet werden: zu siegen.
Der Nörgler: Die Gewalt, die dem Knecht
gegeben ward, wird nicht ausreichen, um mit dem
Feind, wohl aber um mit dem Staat fertig zu werden.
Der Optimist: Militarismus bedeutet Ver-
mehrung der Staatsordnung durch Gewalt, um —
47
Der Nörgler: — durch das Mittel zur
schließlichen Auflösung zu führen. Im Krieg wird
jeder zum Vorgesetzten seines Nebenmenschen.
Das Militär ist Vorgesetzter des Staates, dem kein
anderer Ausweg aus dem widernatürlichen Zwang
bleibt als die Korruption. Wenn der Staatsmann
den Militärmann über sich schalten läßt, so ist er
der Faszination durch ein Idol der Fibel erlegen,
da» seine Zeit überlebt hat und von der unsern
nicht mehr ungestraft in Leben und Tod übersetzt
wird. Militärische Verwaltung ist die Verwendung
des Bocks als Obergärtner und die Verwandlung
des Gärtners zum Bock.
Der Optimist: Ich weiß nicht, was Sie zu
dieser düsteren Prognose berechtigt. Sie schließen
offenbar, wie schon immer im Frieden, von unver-
meidlichen Begleiterscheinungen auf das Ganze, Sie
gehen von zufälligen Ärgernissen aus, die Sie für
Symptome nehmen. Die Zeit ist viel zu groß, als
daß wir uns mit Kleinigkeiten abgeben könnten.
DerNörgler: Aber sie werden mit ihr wachsen 1
Der Optimist: Das Bewußtsein, in einer
Epoche zu leben, in der so gewaltige Dinge
geschehen, wird auch den Geringsten über sich selbst
erheben.
Der Nörgler: Die kleinen Diebe, die noch
nicht gehängt wurden, werden große werden, und
man wird sie laufen lassen.
Der Optimist: Was auch der Geringste durch
den Krieg gewinnen wird, ist —
Der Nörgler: — Provision. Wer die Hand
aufhält, wird auf Narben zeigen, die er nicht hat.
Der Optimist: Wie der Staat, der für sein
Prestige den unvermeidlichen Verteidigungskampf
auf sich nimmt, Ehre gewinnt, so auch jeder ein-
zelne, und was durch das jetzt vergossene Blut in
die Welt kommen wird, ist —
Der Nörgler: Schmutz.
48
Der Optimist: Ja, Sie, der Sie ihn überall
gesehen haben, fühlen, dafi Ihre Zeit um ist!
Verharren Sie nur nörgelnd wie eh und je in
Ihrem Winkel — wir anderen gehen einer Ära
des Seelenaufschwunges entgegen ! Merken Sie
denn nicht, daß eine neue, eine große Zeit
angebrochen ist?
Der Nörgler: Ich habe sie noch gekannt,
wie sie so klein war, und sie wird es wieder
werden.
Der Optimist: Können Sie jetzt noch
negieren? Hören Sie nicht den Jubel? Sehen
Sie nicht die Begeisterung? Kann ein fühlendes
Herz sich ihr entziehen? Sie sind das einzige.
Glauben Sie, daß die große Gemütsbewegung der
Massen nicht ihre Früchte tragen, daß diese herr-
liche Ouvertüre ohne Fortsetzung bleiben wird?
Die heute jauchzen —
Der Nörgler: — werden morgen klagen.
Der Optimist: Was gilt das einzelne
Leid! So wenig wie das einzelne Leben. Der
Blick des Menschen ist endlich wieder empor-
gerichtet. Man lebt nicht nur für materiellen
Gewinn, sondern auch —
Der Nörgler: — für Orden.
Der Optimist: Der Mensch lebt nicht vom
Brote allein.
Der Nörgler: Sondern er muß auch Krieg
führen, um es nicht zu haben.
Der Optimist: Brot wirds immer geben! Wir
leben aber von der Hoffnung auf den Endsieg, an
dem nicht zu zweifeln ist und vor dem wir —
Der Nörgler: Hungers sterben werden.
Der Optimist: Welch ein Kleinmut! Wie
beschämt werden Sie einst dastehn ! Verschließen
49
Sie sich nicht, wo Feste gefeiert werden I Die
Pforten der Seele sind aufgetan. Das Gedächtnis
der Tage, in denen das Hinterland wenn auch nur
durch Empfang des täglichen Berichtes Anteil an
den Taten und Leiden einer glorreichen Front nahm,
wird der Seele —
Der Nörgler: — keine Narbe zurücklassen.
Der Optimist: Die Völker werden aus dem
Kriege nur lernen —
Der Nörgler: — daß sie ihn künftig nicht
unterlassen sollen.
Der Optimist: Die Kugel ist aus dem Lauf
und wird der Menschheit —
Der Nörgler: — bei einem Ohr hinein und
beim andern hinausgegangen sein !
(Verwandlung.)
5. Szene
Am Balihausplatz.
Graf Leopold Franz Rudolf Ernest
Vinzenz Innocenz Maria: Das Ultimatum war
prima! Endlich, endlich!
Baron Eduard Alois Josef Ottokar
Ignazius Eusebius Maria: Foudroyant ! No
aber auf ein Haar hätten sie's angenommen.
Der Graf: Das hätt mich rasend agassiert.
Zum Glück hab'n v/ir die zwei Punkterln drin
ghabt, unsere Untersuchung auf serbischem
Boden und so — na dadrauf sinds halt doch
nicht geflogen. Haben 's sich selber zuzuschreiben
jetzt, die Serben. -
Die letzten Tage der .Menschhe't. 4
50
Der Baron: Wann rnans recht bedenkt —
wegen zwei Punkterln — und also wegen so einer
Bagatell is der Weltkrieg ausgebrochen! Rasend
komisch eigentlich.
Der Graf: Dadrauf hab'n wir doch nicht
verzichten können, daß wir die zwei Punkterln
verlangt hab'n. Warum hab'n sie sich kapriziert, die
Serben, daß sie die zwei Punkterln nicht angnommen
haben ?
Der Baron: No das war ja von vornherein
klar, daß sie das nicht annehmen wern.
Der Graf : Das hab'n wir eben vorher gewußt.
Der Poldi Berchtold is schon wer, da gibts nix. Da is
auch nur eine Stimme in der Gesellschaft. Enorm!
Ich sag dir — ein Hochgefühl! Endlich, endlich! Das
war ja nicht mehr zum Aushalten. Auf Schritt und Tritt
war man gehandicapt. No das wird jetzt ein anderes
Leben wern! Diesen Winter, stantepeh nach Friedens-
schluß, fetz ich mir die Riviera heraus.
Der Baron: Ich wer schon froh sein, wenn
wir uns die Adria herausfetzen.
Der Graf: .Mach keine Witz. Die Adria ist
unser. Italien wird sich nicht rühren. Ich sag dir, also
nach Friedensschluß —
Der Baron: No wann glaubst wird Frieden sein?
Der Graf: In zwei, allerspätestens drei Wochen
schätz ich.
Der Baron: Daß ich nicht lach.
Der Graf: No was denn, mit Serbien wern
wir doch spielend fertig, aber spielend, mein
Lieber — wirst sehen, wie gut sich unsere Leute
schlagen. Schon allein die Schneid von unsere
Sechser-Dragoner! Ein paar von der Gesellschaft soll'n
schon direkt an der Front sein, du! No und unsere
Artillerie — also prima. Rasend präzis arbeitend!
Der Baron: No und Rußland?
51
Der Graf: Der Ruß wird froh sein, wenn er
a Ruh hat. Verlaß dich auf'n Conrad, der weiß schon,
warum er sie in Lemberg hineinlaßt. Wenn wir erst
in Belgrad sind, wendet sich das Blatt. Der Potiorek
is prima! Ich sag dir, die Serben gehn rasend ein.
Alles andere macht sich automatisch.
D e r B a r o n : No wann glaubst also im Ernst —
Der Graf: In drei, vier Wochen is Frieden.
Der Baron: Du warst immer ein rasender
Optimist.
Der Graf: No also bitte, wann?
Der Baron: Vor zwei, drei Monat nicht zu
machen! Wirst sehn. Wenns gut geht, in zwei. Da
muß's aber schon sehr gut gehn, mein Lieber!
Der Graf: No da möcht ich doch bitten —
das war aber schon grauslich fad. Das war aber
charmant, du ! Ginget ja schon wegen der Ernährung
nicht. Neulich hat mir die Sacher gsagt — Also
du glaubst doch nicht, daß sich das mit die
Ernährungsvorschriften halten wird? Sogar beim
Demel fangen s' schon an mit'n Durchhalten —
das sind ja charmante Zustände — man schränkt sich
ohnedem ein, wo man kann, aber auf die Dauer —
Lächerlich, gibts nicht! Oder meinst?
Der Baron: Du kennst ja meine Ansicht.
Ich halt nicht viel vom Hinterland. Wir sind
schließlich keine Piffkes, wenn wir auch gezwungen
sind, mit ihnen — erst gestern sprich ich
mit dem Putzo Wurmbrand, weißt der was die
Maritschl Palffy hat, er is doch die rechte Hand
vom Krobatin, also ein Patriot prima — sagt er,
wann man einen Verteidigungskrieg anfangt —
verstehst, der hat sich das nämlich speziell entetiert,
das mit'n Verteidigungskrieg —
Der Graf: No — bitte — is es vielleicht
kein Verteidigungskrieg? Du bist ein Hauptdefaitist,
hör auf! In welcher Zwangslage wir waren, hast du
52
schon vergessen, daß wir soit disant gezwungen
waren zum Losschlagen wegen dem Prestige und
so — also das kommt mir vor — erlaub du mir —
hast die Einkreisung vergessen? — erst gestern sprich
ich mit dem Fipsi Schaffgotsch, der, wo sie eine
Bellgard' is, weißt er is bißl gschupft, aber
ausgesprochen sympathisch — also was hab ich
sagen woll'n — ja — also waren wir vielleicht
nicht gezwungen, uns von die Serben bei Temes-
Kubin angreifen zu lassen, um —
Der Baron: Wieso?
Der Graf: Wieso? Geh, stell dich nicht —
also du weißt doch selber am besten, daß ein
serbischer Angriff bei Temes-Kubin notwendig war —
ich mein', wir hab'n doch losschlagen müssen —
Der Baron: No das selbstredend!
Der Graf: No also, hätt man das sonst
nötig? Grad so wie die Deutschen mit die Bomben
auf Nürnberg ! Also — erlaub du mir — also wenn
das kein Verteidigungskrieg is, du!
Der Baron: Aber bitte, hab ich was gsagt?
Du weißt, ich speziell war von allem Anfang für die
Kraftprobe, notabene wann s' eh die letzte is. Der
Ausdruck dafür is mir putten. Verteidigungskrieg —
das klingt rein so, als ob man sich so gwiß
entschuldigen müßt. Krieg is Krieg, sag ich.
Der Graf: No ja, da hast recht. Was, der
Poldi Berchtold! Er is und bleibt ein rasend fescher
Bursch. Da kann man sagen, was man will. Oho,
auch zu unserm Gschäft ghört Schneid, und die muß
man ihm lassen! Wie er den Herrschaften nach Ischl
ausgrutscht is — die hätten womöglich noch das
Ultimatum verhindern wolln! Er aber — also das
war enorm! Ein Treffer nach'm andern!
Der Baron: Epatant! Hätt nicht geglaubt,
daß 's ihm so gelingen wird. Er haltet sich die Leut
vom Leib. Dem Poldi Berchtold seine Politik war
53
schon bei der Reduzierung vom Beg^räbnis zu spüren,
wie er den russischen Großfürsten ausgeschaltet hat.
Der Graf: Natürlich. Daß sich dann Rußland
doch hineingemischt hat, war nicht seine Schuld.
Wann 's nach ihm gegangen war', war' der Welt-
krieg auf Serbien lokalisiert geblieben. Weißt, was
der Poldi Berchtold hat? Der Poldi Berchtold hat
das, was ein Diplomat in einem Weltkrieg vor allem
haben muß-: savolr vivre! Das hat mir rasend
imponiert, wie er den Vorschlag von die englischen
Pimpfe einfach zwischen die Rennprogramm' steckt —
also daß wir Belgrad mit ihrer gütigen Erlaubnis
besetzen soll'n — heuchlerische Söldnerbande das —
und wie er drauf in den Klub hinaufkommt, weißt
Hoch, schaut uns so gwiß an und sagt: Jetzt hat die
Armee ihren Willen! Damals war er dir montiert, du!
Das wirst du mir zugeben — eine Kleinigkeit war
das nicht, nämlich in so einer schicksalsschweren
Stunde —
Man hört aus dem Nebenzimmer ein Klingeln und hierauf
Die Stimme Berchtolds: Aähskaffee!
(Man hört eine Tür schließen.)
Der Baron: Also bitte — um halb zwölf!
Also bitte — um halb zwölf verlangt er schon
seinen Eiskaffee! Nein, das tentiert mich, daß ich
einmal — also bitte, da muß ich schon sagen —
Eiskaffee is wirklich seine starke Seite!
Der Graf: Das is vielleicht die einzige
Schwäche, die er hat! Er adoriert Eiskaffee! Aber
das muß man auch zugeben, der Eiskaffee vom
Demel — also ideal!
Der Baron: Du, eine Sonne is heut
draußen — also prima!
Der Graf (öffnet dn Kuvert des Korrespondenz-
bureaus und liest) : Noch ist Lemberg in unserem
Besitze.
Der Baron: No also!
54
Der Graf: Der Poldi Berchtold — verstehst
du (indem er den weiteren Text der Nachricht murmelt)
— zurückgenommen — ach was, immer dasselbe —
agassant — wachst einem schon zum Hals heraus —
(zerknüllt das Papier) — was ich sagen wollte — je
länger ich die Situation überlege — alles in allem
— heut könnt man mit der Steffi draußen soupieren.
(Verwandlung.)
6. Szene
Vor einem Friseurladen in der Habsburgergasse. Eine MeBScken
inenge in größter Erregung.
Die Menge: Nieda! Hauts alles zsamm!
Einer (der zu beschwichtigen sucht): Aber Leutln,
der Mann hat ja nix tan! Der Geigenhändler von
nebenan, der is sein Feind —
Der Geigenhändler (haranguiert die Menge) :
Er is ein Serb! Er hat sich eine Äußerung zuschulden
kommen lassen. Gegen eine hochstehende Persön-
lichkeit! Ich habs eigenhändig ghört!
Der Friseur (die Hände ringend): Ich bin
unschuldig — ich bin Hoffriseur — wo wird mir
denn einfallen —
Zweiter aus der Menge: Das siacht ma ja
schon am Namen, daß er ein Serb is, hauts eahm
die Seifenschüsseln übern Schädel —
Dritter: Seifts'n ein! Nieda! Nieda mit dem
serbischen Gurgelabschneider !
Die Menge: Niedaa — ! (Das Lokal wird
zertrümmert.)
(An der Ecke tauchen die Historiker Friedjung und Brockhausen
im Gespräch auf.)
Brockhausen: Just heute habe ich in der
Presse eine treffende Anmerkung zu diesem Thema
beigesteuert, die mit zwingender Logik einen Vergleich
unseres Volkes mit dem französischen oder englischen
Gesindel von vornherein ablehnt. Vielleicht können
55
Sie den Passus für Ihre Arbeit brauchen, Herr
Koliega, ich stelle ihn zu Ihrer Verfügung, hören
Sie: »Was den historisch Gebildeten als aller geschicht-
lichen Weisheit letzter Schluß tröstend und auf-
richtend beseelte, daß nämlich niemals der Barbarei
ein endgültiger Sieg beschieden sein kann, das teilte
sich instinktiv der großen Menge mit. In den Wiener
Straßen hat sich allerdings nie das schrille Johlen
eines billigen Hurrapatriotismus vernehmbar gemacht.
Hier flammte nicht das vergängliche Strohfeuer der
Eintagsbegeisterung auf. Dieser alte deutsche Staat
hat seit Kriegsbeginn sich die schönsten deutschen
Volkstugenden zu eigen gemacht: das zähe Selbst-
vertrauen und die tiefinnere Gläubigkeit an den
Sieg der guten und gerechten Sache.« (Er überreicht
ihm den Ausschnitt.)
Friedjung: Fürwahr, eine treffliche Ansicht,
Herr Koliega, die geradezu den Nagel abschießt
und den Vogel auf den Kopf trifft. Ich werde es
ad notam nehmen. Ei sieh — da hätten wir ja
gleich ein Beispiel! Eine patriotisch durchglühte
Menge, die in maßvoller Weise ihren Gefühlen Aus-
druck gibt, suaviter in re, fortiter in modo, wie's der
Wiener Tradition geziemt. Der unmittelbare Anlaß
dürfte wohl darin zu suchen sein, daß es die Habs-
burgergasse ist. Das treuherzige Völkchen wollte
offenbar dem Namen eine geziemende Huldigung
darbringen, wie sie eben im Zeitalter Leopolds
füglich in der Babenbergerstraße demonstriert hätten.
Brockhausen (stutzend): Es will mich aber
denn doch bedünken —
Fried jung (stutzend): Es ist doch merkwürdig —
Brock hausen: Die guten Leutchen sind ja
recht laut —
Friedjung: Jedenfalls lauter, als es der
Tradition geziemt —
Brockhausen: Man darf den gerechten Anlaß
ihrer Erregung nicht übersehen. Wie sagt doch —
56
Friedjung: Seit dem Tage, da unser
erhabener Monarch Tausende und Abertausende
unserer Söhne und Brüder zu den Waffen rief,
scheint es in der Tat mächtig unter dem Völkchen
am Nibelungenstrome zu gären. Allein, wenn sich
der Most auch noch so absurd gebärdet —
Brockhausen: Vorbei die Zeiten, wo sie sich
Phäaken nannten. Der sausende Webstuhl der Zeit —
Friedjung: Ei sieh, vermutlich wollen sie
alle in jenen Barbierladen, es ist ein Hoffriseur und
das naive Volksgemüt denkt wahrscheinlich —
Rufe aus der Menge: »Denhammertrischackt!«
»Rrrtsch — obidraht!< >>SerbischerHundvardächtiga!«
»Jetzt'n kann er die Serben mit die Scherben rasiern!«
»Den Schwamm bring i meiner Alten!« »Alle Parfüms
hab i g;'rettet!« »Gib her a paar!« »Jessas, der scheene
weiße Mantel!« »Geh, leich mr a Spritzflaschl!« »Gott
strafe England!« »Der Kerl is uns ausgrutscht!«
Der Geigenhändler: Hab ichs euch nicht
g'sagt! Das ist ein Hochverräter ist das!
Brockhausen: Die Menge ist erregt und
wähnt mit Recht, wieder einmal den Umtrieben
serbischer Hochverräter auf der Spur zu sein.
Fried jung: Es ist doch merkwürdig, welch
feine Witterung das Volk gegenüber einem Anschlag
auf den unversehrten Besitzstand der im Reichsrat
vertretenen Königreiche und Länder hat. Ich müßte
mich sehr täuschen, wenn sich bei diesem Friseur
nicht die Dokumente über jene großserbische Ver-
schwörung des Slovensky Jug vorfinden sollten, der
ich schon im Jahre 1908 auf die Spur gekommen bin.
Brockhausen: Etwas bedenklich bedünkt
mich nur die Form.
Die Menge: Suchts eahm! Hauts eahm!
Nieda mit Serbieen!
Friedjung: Es wäre vielleicht doch angezeigt,
Herr Kollega, diesem offenbaren Widerspruch zu der
historisch beglaubigten Tatsache, daß die Wiener
57
Bevölkerung dem schrillen Johlen eines billigen
Hurrapatriotismus abgeneigt ist, angesichts dieses
mit Reciit eriegten Geigenhändlers in weiterem
Bogen auszuweichen.
Rufe aus der Menge: »Was wolln denn
die zwa Juden do?« »>Die schaun aa so aus wie zwa
vom Balkan!« »Fehlt ihnen nur der Kaftan!« »Serben
Sans!« »Zwa Serben!« »Hochverräter!« »Hauts es!«
(Die beiden Historiker verschwinden in einem Durchhause.)
(Verwandlung )
7. Szene
Kohlmarkt. Vor der Drehtür s.m Eingang zum Cafe Pucher,
Der alte Biacli (sehr erregt): Das einfachste
war, man würde werfen fünf Armeekorps gegen
Rußland, wäre die Sache schon erledigt.
Der kaiserliche Rat: Selbstredend. Der
Hieb ist die beste Parade. Man muß sich nur die
Deitschen anschaun, wie sie geleistet haben. Ein
Elaan! So etwas wie der Durchbruch durch Belgien
war noch nicht da! So etwas braucheten wir.
Der Kompagnon: Sagen Sie was is also
mit Ihrem Sohn?
Der kaiserliche Rat: Enthoben, eine Sorg
weniger. Aber die Situation — die Situation —
glauben Sie mir, es steht nicht gut oben. So etwas
wie der Durchbruch durcli Belgien — ich sag Ihnen,
einen frischen Offensivgeist —
Der Kompagnon: Verschaffen Sie uns
Belgien her — wern mr auch durchbrechen.
Der Doktor: Einen Bismarck brauchten wir —
Der alte Biach: Was hilft jetzt die Kunst
der Diplomaten, jetzt sprechen die Waffen! Können
wir uns einem Escheck aussetzen? Wenn wir nicht
jetzt durchbrechen —
Der Nörgler (will in das Lokal): Pardon —
)8
Der Doktor: Das leuchtet mir ein. Aber das
strategische Moment, das im Bewegungskrieg den
Flankenangriff —
Der Kurzwarenhändler: Also verlassen Sie
sich darauf, sie sind umzingelt, die Soffi Pollak hat
es selber gesagt.
Der alte Biach: Lassen Sie mich aus, sie
weiß! Woher, möcht ich wissen!
Der .Kurzwarenhändler: Woher? Wo ihr
Mann eingerückt is in der Gartenbau im Reserve-
spital?
Der kaiserliche Rat: Es hat doch geheißen,
er is enthoben? Umzingelt, das war großartig, das
is nämlich müßts ihr wissen dasselbe wie umklammert.
Der alte Biach (mit Begierde): Umklammern
soUn sie sie, daß ihnen der Atem ausgeht! Wenn
ich nur einmal bei so einer Umklammerung dabei
sein könnt!
Der Kurzwarenhändler: Klein kann das,
der is im Kriegspressequartier. Gestern hat er
geschrieben, daß sie bis zum Weißbluten kommen
wern. Früher laßt er nicht locker.
Der Kompagnon: Glück muß man haben,
dabei zu sein. Sie Dokter wie is das eigentlich mit
diesem Kriegspressequartier? Kommt da nur herein,
wer untauglich is oder auch wer tauglich is?
Der Nörgler: Pardon — (Sie machen Platz.)
Der Kurzwarenhändler: Was heißt tauglich?
Hereinkommt, wenn einer schreiben kann, aber wenn er
nicht schießen will, aber wenn er will, daß die andern
schießen.
Der kaiserliche Rat: Wie verstehe ich das?
Wieso will er nicht schießen, aus Mitleid?
Der Kurzwarenhändler: Nein, aus Vorsicht.
Mitleid darf man beim Militär nicht haben und
wenn er im Kriegspressequartier is, is er doch so
gut wie beim Militär.
59
Der alte Biach: Dieses Kriegspressequartier
muß eine großartige Einrichtung sein! Man kann
alles sehn. Es is ganz nah bei der Front und die
Front is bei der Schlacht, also wird Klein beinah
in der Schlacht sein, er kann alles sehn, ohne daß
es gefährlich is.
Der Kompagnon: Da heißt es immer, bei
einem modernen Schlachtfeld sieht man gar nix.
Also sieht man im Kriegspressequartier sogar noch
mehr wie wenn man direkt in der Schlacht is.
Der Doktor: Gewissermaßen ja, und man
kann sogar über mehrere Fronten auf einmal
berichten.
Der kaiserliche Rat: Von Klein war ja die
packende Schilderung in der Presse, daß die meisten
Verwundungen der Unsern an den Außenflächen
der Hände und Füße vorkommen, woraus hervorgeht,
daß die Russen den Flankenangriff bevorzugen —
Der Kurzwarenhändler: No, ein Roda Roda
is er nicht! Da wird noch viel Wasser in den Dnjepr
fließen, bis er so schreiben wird wie Roda Roda!
Der kaiserliche Rat: Was mir an Roda Roda
gefällt is vor allem, daß er fesch is. Er sagt, er
will sich morgen an der Drina die Schlacht ansehn
und er sieht sie sich an. Fesch !
Der alte Biach: Nutzt nix, man spürt eben
den ehemaligen Offizier — den Korsgeist! Mein Sohn
is zwar enthoben, intressiert sich aber doch sehr, er
will sogar den Streffleer abonnieren.
Der kaiserliche Rat: Ich kann mir nicht
helfen — ich bin sehr pessimistisch.
Der alte Biach: Was heißt pessimistisch?
Was wolln Sie haben, noch is Lemberg in unserem
Besitz !
Der Kompagnon: No also!
Der Doktor: Zu Pessimistisch ist gar kein
Grund. Schlimmstenfalls, wenn jetzt die Entscheidung
fällt, ist es eine Partie remis.
60
Der Kurzwarenhändler: Und ich sag Ihnen,
ich weiß sogar von einen Herrn vom Ministerium,
die Sache is so gut wie gemacht. Wir kommen von
rechts, die Deitschen von links und wir zwicken sie,
daß ihnen der Atem ausgeht.
Der kaiserliche Rat: Schön — aber Serbien?
Der alte Biach i rabiat): Serbien? Was heißt
Serbien? Serbien wern wir wegfegen!
Der kaiserliche Rat: Ich weiß nicht — ich
kann mir nicht helfen — der heutige Bericht — man
muß zwischen den Zeilen lesen können und wenn
man sich die Karte hernimmt — ein Blick auf die
Karte zeigt — sogar der einfache Laie — ich kann
Ihnen beweisen, Serbien —
Der alte Biach (gereizt): Lassen Sie mich aus
mit Serbien, Serbien is ein Nebenkriegsschauplatz.
Ich ärger mich. Gehn mr hinein, neugierig bin ich,
was heut die Minister sprechen wern — ich schlage
vor, meine Herrn, daß wir uns direkt am Neben-
tisch setzen. (Sie treten ein.)
(Verwandlung.)
8. Szene
Eine Straße in der Vorstadt. Man sieht den Laden einer .Modistin,
eine Pathephonfirma, das Cafe Westminster und eine Filiale der
Putzerei Söldner & Cliini. Es treten auf vier junge Burschen,
deren einer eine Leiter, Papierstreifen und Klebestoff trägt.
Erster: Hammr schon wieder einen erv/ischt!
Was steht da? Salon Stern, Modes et Robes. Das
überklebn mr als a ganzer!
Zweiter: No aber der Name könnt doch
bleiben und daß mr weiß, was es für ein Gschäft is.
Gib her, das mach mr a so (er klebt und liest vor)
Salo Stern Mode. So ghört sichs. Das is deutsch.
Gehmr weiter.
Erster: Patephon, da schauts her, was is
denn dös? Ist dös franzesisch?
61
Zweiter: Nein, das is lateinisch, das darf
bleiben, aber da — da les ich : »Musikstücke
deutsch, französisch, englisch, italienisch, russisch
und hebräisch*.
Dritter: Wos tan mr do?
Erster: Das muß weg als a ganzer!
Zweiter: Das mach mr a so (er klebt und liest vor)
»Musikstücke deutsch — hebräisch«. So ghört sichs.
Dritter: Ja, aber was is denn dös? Ah, da
schaurija! Da steht ja Cafe Westminster, mir scheint
das is gar eine englische Bezeichnung!
Erster: Du, das laßt sich aber nur im Ein-
verständnis machen, das is ein Kaffeehaus, der
Kaffeesieder könnt eine Persönlichkeit sein, wir
hätten am End Unannehmlichkeiten. Rufmrn außa,
warts. (Er geht hinein und kehrt augenblicklich mit dem
Cafetier zurück, der sichtlich sehr bestürzt ist.) Sie werden
das gewiß einsehn — es ist ein padriotisches Opfer —
DerCafetier: Das is fatal, aber wenn die Herrn
von der freiwilligen Kommission sind —
Vierter: Ja schaun S', warum haben Sie Ihr
Lokal überhaupt so tituliert, das war unvorsichtig
von Ihnen.
Der Cafetier: Aber meine Herrn, wer hat
denn das ahnen können, jetzt is mirs selber peinlich.
Wissen S' ich hab das Lokal so tituliert, weil wir
doch hier gleich bei der Westbahn sind, wo die
englischen Lords in der Saison anzukommen pflegen,
also damit sip sich gleich wie zuhaus fühln —
Erster: Ja hörn S', war denn schon einmal
ein englischer Lord in Ihnern Lokal?
Der Cafetier: Und ob! Das warn Zeiten I
Jessas!
Erster: Da gratulier ich. Aber schaun S' jetztn
kann eh kaner kummen!
Der Cafetier: Gottseidank — Gott sirafe
England — aber schaun S', der Name hat sich bereits
62
so eingebürgert, und nach dem Krieg, wenn so
Gott will wieder die englische Kundschaft kommt —
schaun S', da sollten S' halt doch ein Einsehn haben.
Erster: Auf so etwas kann die Volkesstimme
nicht Rücksicht nehmen, lieber Herr, und Volkes-
stimme, das wird Ihnen doch bekannt sein —
Der Cafetier: Ja natürlich, wo wird denn
unsereins das nicht wissen, wir sind doch mehr
oder weniger ein Volkscafe — aber — ja wie soll
ich denn nacher das Lokal heißen?
Zweiter: Aber machen S' Ihna keine Sorgen,
wir tun Ihnen net weh — das wer' mr gleich
haben — und zwar schmerzlos. (Er kratzt das i weg.)
Der Cafetier: Ja — was — war denn —
nacher das?
Zweiter: So! Und jetzt lassn S' vom Maler
ein ü hineinmal'n —
Der Cafetier: Ein ü? Cafe Westmünster — ?
Zweiter: Ein ü! Das is ganz dasselbe
und is deutsch. Taarloos! Kein Mensch merkt den
Unterschied und ein jeden muß doch auffallen, daß
das ganz was anderes is, na was sagen S'?
Der Cafetier: Ah, großartig! ah, großartig!
Sofort laß i 'n Maler kommen. Ich danke Ihnen
meine Herrn für die Nachsicht. Das bleibt so, solang
der Krieg dauert. Für'n Krieg tuts es ja. Hernach
möcht ich freilich doch — denn was hernach die
Lords sagn möchten, wann s' wiederkommen, die
möchten schaun!
(Zwei Gäste verlassen soeben das Lokal und verabschieden sich
voneinander, der eine sagt: Adieu! Der andere: Adiol)
Erster: Was hab i g'hört? Franzosen und
Italiener verkehren bei Ihnen? Der eine sagt Adieu
und der andere sagt gar Adio? Sie scheinen
überhaupt eine internationale Kundschaft zu haben,
da is manches verdächtig —
Der Cafetier: No hörn S', jetzt wann einer
Adieu sagt —
63
Zweiter: Aber habn S' denn net ghört, wie
der erste Adio gsagt hat? Das ist die Sprache des
Erbfeinds!
Dritter: Des heimtürkischen Verräters!
Vierter: Des Treubrüchigen am Po!
Erster: Jawohl, der Verräter war unser Erbfeindl
Zweiter: Unser Erbfeind, der was uns die
Treue gebrochen hat!
Dritter: Am Po!
Vierter: Am Po! Mirken S' Ihna dasi
(Der Catctier ist schrittweise in das Lokal zurückgewichen.)
Erster (ihm nachrufend) : Sie englischer Katzel-
macher am Po!
Zweiter: Da hätt mr einmal ein Exempel
schtatuiert mit die Fremdwörter ! Gehmr weiter.
Dritter: Da schauts her, heut hammr Glück:
Söldner & Chini! Das is schon wieder dieselbe
Melange wie bei dem Kaffeesieder. Söldner, also das
is doch bekanntlich ein Engländer — und Chini, das
is ein Italiener!
Erster: Gott strafe England und vernichte
Italien — das überkleb'n mr als a ganzer! Chemische
Putzerei? Putz'n weg! Ich hab einen Viechszurn in
mir — morgen muß der Bezirk von alle Fremdwörter
gereinigt sein, wo ich noch eins drwisch, dem reiß
ich 's Beuschl heraus! (Der zweite überklebt die Tafel.)
Dritter: Es is am besten, wir separiern
uns jetzt, ihr zwei bleibts auf dem Trottoir, wir
gehn fisafis.
Erster: Das is fatal, aber ich kann heut nicht
mitgehn, ich bin sehr pressiert, ich hab nämlich
ein Rendezvous —
Zweiter: Das is ein Malheur. Ohne dich
riskiern wir am End einen Konflikt. Mich geniert das
zwar nicht, aber die Leut wern impatinent und —
64
Vierter: Mich tuschiert so was auch nicht
weiter — aber wir könnten halt doch in eine Soß
hineinkommen. Mir is zwar bisher nichts passiert —
Zweiter: Ich versteh, das is odios, und ich
bin immer sehr dischkret darin, daß ich mit die
Leut harmonisch auseinanderkomm! Aber ihr dürfts
euch eben nicht imponieren lassn. Jetzt heißt's
resolut sein und die patriotische Aktion, die wir
einmal entriert haben, atupri konsequent durchführn.
Dritter: Ja natürlich, wenn einer aber, wie
die Leut schon sind, mit dem Argument daherkommt,
daß man ihm seine Existenz ruiniert — er fangt zu
lam.entieren an oder wird gar rabiat, dann -
Erster: Aber ich bitt dich — gar net
ignorieren! Oder stantape replizieren: Jetzt sind
höhere Interessen! Da wird er schon eine Raison
annehmen. Die Leut sind ja intelligent. Man
dischkuriert net lang — wo kommt man denn
hin, wenn man sich mit jedem erst auf paar Purlees
einlassen wollt —
Zweiter: Wenn er sich aber zu echauffieren
anfangt — die Leut wern gleich ordinär —
Erster: Da heißt's ihr ihn ein subversives
Element, basta! Also — Kurasch! Morgen referierts
mir, da assistier ich euch wieder — Herrgott drei-
viertel auf fünf is, jetzt muß ich momentan ein
Tempo annehmen — sonst komm ich akkurat zu
spät — also amüsierts euch gut — Kompliment —
Adien — !
Dritter: Serwas!
Vierter: Servitore!
Zweiter: Orewar!
Erster (zurückkehrend): Apropos, im Fall einer
protestiert, legitimierts euch einfach als interimistische
Volontäre der provisorischen Zentralkommission des
Exekutivkomitees der Liga zum Generalboykott für
Fremdwörter. Adio!
(Verwandlung.)
65
9. Szene
In einer Volksschule.
Der Lehrer Zeheibauer: Jetzt aber
sind höhere Ideale über uns hereingebrochen, so daß
der Fremdenverkehr ein wenig zurückgedrängt ist und
erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Trotzdem
dürfen wir nicht verzagen, sondern es ist unsere
Pflicht, nachdem wir jeglicher ein Scherflein zum
Vaterlande beigetragen haben, auf dem einmal
betretenen Wege unentwegt und unerschrocken fort-
zufahren. Die zarten Keime des Fremdenverkehres,
die wir allenthalben gepflanzt und die dank der
Fürsorge des hochlöblichen Landesschulrates und
des löblichen Bezirksschulrates auch in eure jungen
Herzen Eingang gefunden haben, sollen vom ehernen
Tritt der Bataillone, so unentbehrlich derselbe auch in
dieser großen Zeit ist, nicht zertreten werden, sondern
im Gegenteil gehegt und gepflegt werden für und für.
Sicherlich ist es notwendig, daß jeglicher heute seinen
Mann stelle, so auch ihr und so müsset auch ihr euch
betätigen, indem ihr an eure Herren Eltern oder
Vormünder herantretet, sie mögen euch das schöne
Jugendspiel »Wir spielen Weltkrieg« als Geburtstags-
überraschung bescheren oder da Weihnachten vor
der Tür steht, den »Russentod«. Auch sollet ihr
wissen, daß ihr zur Belohnung für Fleiß und gute
Sitten, natürlich mit Zustimmung der p. t. Herren
Eltern oder Vormünder, am Sonntag jeglicher einen
Nagel in den Wehrmann in Eisen einschlagen dürfet
und so durch Benagelung dieses Wahrzeichens —
Die Klasse: Das is gscheit!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Was willst du, Gasselseder?
Der Knabe: Bitt Herr Lehrer, ich hab schon
mit dem Vattern einen Nagel einigschlagen, derf
ich da noch einen Nage! einisclilagn?
Die letzten Tage der Menschheit. 5
66
Der Lehrer: Wenn deine Herren Eltern oder
Vormünder es gestatten, so steht deinem patriotischen
Wunsche nach einer abermaligen Benagelung dieses
Wahrzeichens von der Schulleitung aus nichts im Wege.
(Ein Knabe zeigt auf.)
Was willst du, Czeczowiczka?
Zweiter Knabe: Bitt, ich muß hinaus.
Der Lehrer: Hinaus? Du bist zu jung, warte,
bis du in ein reiferes Alter kommst.
Der Knabe: Bitt, ich muß.
DerLehrer: Diesen Wunsch kann ich jetzt nicht
erfüllen. Schäme dich. Warum verlangt es dich hinaus?
Der Knabe: Bitt, ich hab Not.
Der Lehrer: Warte, bis bessere Zeiten kommen.
Du würdest deinen Kameraden mit schlechtem Beispiel
vorangehen. Das Vaterland ist in Not, nimm dir ein
Beispiel, jetzt heißt es durchhalten.
(Zwei Knaben zeigen auf.)
Der Lehrer: Was wollet ihr, Wunderer Karl
und Wunderer Rudolf?
Beide: Bitt, wir möchten lieber im Stock im
Eisen einischlagn.
Der Lehrer: Setzen! Schämet euch. Der
Stock im Eisen ist ein Wahrzeichen, auf dem kein
Nagel mehr Platz hat. Aber der Wehrmann im Eisen
soll mit eurer tatkräftigen Hilfe erst ein Wahrzeichen
werden, eine Sehenswürdigkeit, von der noch eure
Kinder und Kindeskinder erzählen werden.
Der Knabe Kotzlik: Bitt, der Merores stößt
immer!
Merores: Das is nicht wahr, er hat Jud zu
mir gesagt, ich sags dem Papa, der wirds ihm schon
geben, er gibt es hinein ins Tagblatt.
Der Lehrer: Haltet Burgfrieden, Kotzlik und
Merores! Wir kommen jetzt zu dem Lesestück:
Haßgesang gegen England. Merores, du kannst gleich
stehen bleiben, beantworte mir die Frage, wie der
Dichter heißt, der dies Gedicht gedichtet hat.
67
Merores: Ob ich weiß, Frischauer.
Der Leiirer: Falsch, setz dich.
Ein Knabe (einsagend): Lissauer.
Der Lehrer: Praxmarer, wenn du noch einmal
einsagst, laß ich dich den Prinz Eugen von Hof-
mannsthal abschreiben. Ich habe den Faden verloren.
Einige Knaben eilen zum Katheder und bücken sich.
Der Lehrer: Was suchet ihr?
Die Knaben: Den Faden, Herr Lehrer, der
Herr Lehrer hat gesagt, der Herr Lehrer haben den
Faden verloren.
Der Lehrer: Ihr seid töricht, ich meine ja das
nicht bildlich, sondern wörtlich.
Ein Knabe: Derf ich vielleicht meinen
Leitfaden —
Der Lehrer: Wottawa, auch du hast mich nicht
verstanden. Ich sehe schon, daß ihr nicht reif seid.
Ich wollte den Haßgesang prüfen, aber ich will euch
das heute noch erlassen. Die Ideale, welche die große
Zeit euch auferlegt, werdet ihr bis morgen präpariert
haben, weil ich dann keine Nachsicht mehr üben
kann. Was soll sich der Herr Bezirksschulinspektor
denken, wenn er in die Klasse kommt und wenn
das so weiter geht. Jetzt, wo ihr für die zweite
Kriegsanleihe werben sollt, ist es umsomehr eure
Pflicht, die Erwartungen nicht zu enttäuschen. Also,
daß ihr mir morgen den Haßgesang auswendig wisset! /
Ich kann euch immer wieder nur einprägen: Haltet
durch, traget ein Scherflein bei, werbet für die Kriegs-
anleihe, sammelt Metalle, suchet euer Gold hervor, das
ungenützt in der Truhe liegt! Für heute aber will ich
noch Nachsicht üben und den Fremdenverkehr mit euch
durchnehmen. Hebet denselben! Ich habe euch früher
erklärt, warum der Fremdenverkehr gerade jetzt nicht
vernachlässiget werden darf. Wiewohl der rauhe
Kriegessturm über unsere Lande hinwegfegt, indem
unser erhabener Monarch Tausende und Abertausende
unserer Söhne und Brüder zu den Waffen rief, so
5*
68
zeigen sich schon jetzt die ersten Ansätze zu einer
Hebung des Fremdenverkehrs. Darum lasset uns
dieses Ideal nie aus dem Auge verlieren. Wir haben
da ein schönes Lesestück »Ein Goldstrom«. Nicht
.idoch. Lasset uns vielmehr heute das alte Lied
/anstimmen, das ihr einst in Friedenszeit gelernt habt,
kennet ihr es noch?
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Habetswallner?
Der Knabe: Bitt Herr Lehrer, ich weiß schon,
bei einem Wirte wundermild.
Der Lehrer: Falsch!
(Ein Knabe zeigt auf )
Der Lehrer: Nun, Braunshör?
Der Knabe: Üb immer Treu und Redlichkeit.
Der Lehrer: Nicht doch! Schäme dich!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Fleischanderl?
Der Knabe : Das Wandern ist des Müllers Lust.
Der Lehrer: Setz dich!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Zitterer?
Der Knabe: Hinaus in die Ferne!
Der Lehrer: Setz dich! Nicht wir können
jetzt in die Ferne, die draußen sollen zu uns kommen!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Süßmandl, weißt du es?
Der Knabe: Bitt, hinaus!
Der Lehrer: Was fällt dir bei, ich sagte
doch, das gibt es jetzt nicht, weder in der Klasse
noch wenn ihr ins Leben hinaustretet. Nun also,
keiner von euch will das Lied kennen?
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Anderle, du?
Der Knabe: Was frag ich viel nach Geld undGut.
Der Lehrer: Setz dich in die letzte Bank.
Wo hast du denn das gelernt? Schäme dich,
69
Anderle! Ich sehe schon, ihr habt es in eiserner Zeit
vergessen. Und doch ist es das liebe alte Lied,
nach welchem ihr alle einst die Vokale gelernt habt.
Schämet euch doch. Nun so will ich denn die
Fiedel nehm.en und dann werdet ihr gleich von
selbst einstimmen.
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun Sukftili, willst du die
Klasse beschämen?
Der Knabe Sukfüll: Pfleget den Fremden-
verkehr!
Der Lehrer: Brav, Sukfüll, du beschämst
die ganze Klasse. Ich werde das deinem Vater mit-
teilen, auf daß auch er dich belobe.
(Er nimmt die Geige, die Klasse fällt ein und singt.)
A a a, der Fremde der ist da.
Die stieren Zeiten sind vergangen,
Der Fremdenverkehr hat angefangen,
A a a, der Fremde der ist da.
E e e, Euer Gnaden wissen eh.
Fesch das Zeugl, fesch die iMadeln,
Gstellt vom Kopf bis zu die Wadeln,
E e e, Euer Gnaden wissen eh.
I i i, wir würzen wie noch nie.
Seids net fad, ruckts aus mit die Maxen,
Reiß'n ma aus der Welt a Haxen,
I i i, wir würzen wie noch nie.
O 0 0, wie sind die Wiener froh.
Mir werns euch schon einigeigen,
Laßt"^ euch das Wiener Blut nur zeigen,
O 0 0, wie sind die Wiener froh.
U u u, nun hat die Seel' a Ruh.
Wien ist und bleibt die Stadt der Lieder,
Bitte beehren uns bald wieder,
U u u, nun hat die Seel' a Ruh.
(Verwandlung.)
70
10. Szene
Im Cafe Pucher. Die Minister sind versammelt.
Eduard (zu Franz): Es fehlt noch die Muskete,
der Floh und das Intressante —
(Fünf Eintretende nehmen am Nebentisch Platz. Der Minister-
präsident wendet sich an den Minister des Innern.)
Der alte Biach: So wahr ich da leb, er hat
etwas von einer Bombe gesagt —
Eduard (bringt illustrierte Blätter): Bitt SChÖn
Exlenz is die Bombe schon frei?
Der alte Biach: Ah so —
Die andern (durcheinander): Was hat er gesagt?
Der alte Biach: Nix — ich hab mich geirrt.
Der kaiserliche Rat (zu seinem Nachbar) :
Intressant steht heut im Tagblalt —
(Der Kellner Franz ist an den Tisch getreten. Nacheinander die
Rufe: ».Mir einen Doppelschlag!« »Mir mit Haut und mehr licht!«
»Obers^spritzt und das 6 Uhr-Blatt!« »Einen Capo passiert!«)
Der kaiserliche Rat: Und mir eine Melange,
oder nein, wissen Sie was, bringen Sie mir zui
Abwechslung eine Nuß Gold und die Presse!
Der alte Biach (die Neue Freie Presse zur Hand
nehmend): Großartig!
Alle: Was denn?
Der alte Biach: Sehn Sie, das imponiert mir,
jetzt feiert er schon seit vierzehn Tagen das fufzig-
jährige Jubiläum, immer an erster Stelle, dann
kommt die Schlacht bei Lemberg mit den Eindrücken.
Da sieht man doch wenigstens, es gibt auch noch
freudige Ereignisse in Österreich! Und schließlich is
es ja ein Ereignis wie es noch nicht da war. Das
Bollwerk deutsch-freiheitlicher Gesinnung, Gesittung
und Bildung, Kleinigkeit, was da für Namen gratu-
lieren — schauts euch bitt euch nur an — sss —
warts — drei, vier, nein, fünf volle Seiten. Alles
wetteifert ihr zu gratulieren, die höchsten Spitzen
genieren sach nicht.
71
Der kaiserliche Rat: Heut habe ich
geschrieben — passen Sie auf, morgen wird es stehn I
Der alteBiach (erregt): Wenn Sie geschrieben
haben, wer' ich auch schreiben. Keine kleine Ehre,
in solcher Umgebung —
Der Doktor: Komisch ist nur, fällt mir auf —
überall, bei den Tausenden und Abertausenden von
Gratulationen, überall druckt er die Adresse mit:
Sr. Hochwohlgeboren Herrn Moriz Benedikt, Heraus-
geber der Neuen Freien Presse, Wien, I. Fichiegasse 1 1.
Ich kann mir nicht helfen — das is etwas eitel!
Das Hochwohlgeboren könnt er sich schenken, und
die Adresse genügt schließlich auch zwanzigmal.
Der Kompagnon: Sagen Sie das nicht.
Das kann man nicht oft genug hören.
Der kaiserliche Rat: (fast gleichzeitig): Das seh
ich nicht ein, er will gar nichts ändern, so haben
sie geschrieben, so soll es stehn, recht hat er!
Der alte Biach: Was hat er gesagt? Was
hat er gesagt?
Der Kompagnon (begütigend) : Aber — nix —
Noch is Lemberg in unserem Besitz.
Der Kurzwarenhändler: Vor allem sieht
man doch, daß alle Zuschriften echt sind, schaun
Sie her, Kleinigkeit, Montecuccoli und lauter
Exellenzen — sss —
Der kaiserliche Rat: Was heißt Montecuccoli
und Exellenzen? Und Berchlold is e Hund? Gestern
eigenhändig gratuliert!
Der alte Biach: Was heißt Berchlold?
Weiskirchner! Da haben Sie's vor Ihren Augen, was
sagt man! Würde man das für meglich halten?
Weiskirchner, der greßte Antisemit! Er gratuliert
ihm »aufrichtigen Sinnes«. Was steht da? Wirklich
schön, wer schreibt das, »die Neue Freie Presse ist
das Gebetbuch aller Gebildeten«.
72
Der Kompagnon: Das is aber ja wahr.
Was steht da? Intressant, die Firma Dukes freut
sich mit ihr in angenehmster Verbindung zu stehn.
Die größte Annoncenfirma von Wien, bitte!
Der Doktor: Schaun Sie her! Sogar Harden,
bekanntlich der glänzendste Stilist — was schreibt
er, er nennt ihn, glänzend, hören Sie, wie er
ihn nennt, »Generalstabschef des Geistes«!
Der Kurzwarenhändler: Betamt, aber nicht
originell. Das is schon in ein paar Dutzend Zuschriften
gestanden, es liegt auch wirklich nah, das zu sagen.
Der alte Biach: Selbstredend, gerade jetzt,
wo dahinter gleich von Lemberg die Rede is! Großartig
waren auch die Ansprachen beim Bankett —
Der Kompagnon: Das war doch nicht beim
Bankett, das Bankett war doch abgesagt wegen dem
Weltkrieg.
Der kaiserliche Rat: Aus Bescheidenheit.
Der Kurzwaren händler: Übertriebene
Rücksicht.
Der alte Biach: Nuna! Also es war kein
Essen, aber doch kolossal feierlich. Wenn kein Krieg
war, hätten Sie sehn sollen, was sich getan hätt. Aber
sie haben sich's nicht nehmen lassen. Sehr schön
war, wie sie ihn alle gefeiert haben, der Vorstand
der Buchhaltung und sogar die erste Austrägerin.
Das hat so etwas Familiäres, so ein Fest der
Presse. Die Reden hab ich mir sagen lassen wern
gleich mitstenographiert.
Der kaiserliche Rat: Aber der Stenograph
gratuliert doch auch?
Der alte Biach: Ja, aber währenddem steno-
graphiert er.
Der Kompagnon: Sehn Sie sich nur bittsie
die Liste an, endlos —
Der Doktor: Ja, das ist traurig.
Der Kompagnon: Wieso traurig?
73
Der Doktor: Ach so, ich hab auf die
Verlustliste geschaut unten, ein Zufall, daß das
gleich nach den Gratulanten kommt.
Der alte Biach: Nebbich — was soll man
machen, ja, ja, das ist und bleibt ein Ereignis,
von dem noch die Kindeskinder reden wem.
Der kaiserliche Rat: Das is wahr, alle Tag
wird ein Blatt nicht fufzig Jahr.
Der alte Biach: Das geben Sie gut, ich hab
gemeint — Lemberg.
Der kaiserliche Rat: Wer redt von Lemberg?
Der Doktor (sich vorsichtig umblickend): Leider
kann man nicht leugnen, daß es gerade keine Ehre
für uns ist.
Der alte Biach: Erlauben Sie — keine Ehre?
Traun Sie sich nur, so etwas laut zu sagen!
Der Doktor (leise): No, ich mein', mit Lemberg —
Der alte Biach: Wer redt von Lemberg?
Und wenn man schon wegen dem kleinmütig wird
und verzagt, so richtet man sich auf an dem, was
vorn steht — am Jubiläum !
Der kaiserliche Rat: Wissen Sie was mir
am meisten imponiert? Mir imponiert nicht was
vorn steht, mir imponiert nicht was in der Mitte steht,
mir imponiert was hinten steht! Erinnern Sie sich, am
Jubiläumstag die hundert Seiten Bankannoncen, ganz-
seitig? Alle ham sie blechen müssen, mitten im Mora-
torium, bis sie schwarz geworn sind! Ja, die Presse
ist eine Macht, an der sich nicht rütteln läßt — wenn aber
sie rüttelt, dann fallen die Zwetschken von den Bäumen.
Der alte Biach: Was wollen Sie haben, der
Mann hat eine Gewure wie heut kein zweiter in
Österreich. Er hat Phantasie und Gemüt und Geist
und Gesinnung und is ein großer Nemmer vor
dem Herrn.
Der kaiserliche Rat: Wissen Sie, Herr Biach,
an wem mich erinnert in der Sprache, was Sie da
jetzt gesagt haben?
74
Der alte Biach: An wem es erinnert? An
wem soll es erinnern?
Der kaiserliche Rat: An ihm selbst mit die
vielen >und«!
Der alte Biach: No und? Ist das ein Wunder?
Man steht unwillkürlich unter dem Bann! Ham Sie
neilich gelesen im Abendblatt Laienfragen und Laien-
antworten? Gediegen, was? Besonders im Abendblatt
is er ganz er selbst. Da wiederholt er alles von
neuem. Wie es geheißen hat, noch is Lemberg in
unserem Besitze, hat er gesagt, hier fällt uns vor
allem das Wörtchen noch auf und das Auge bohrt
sich herein und man kann sich vorstellen. Da gibt
er immer alles und mit noch! »Gestern wurde
gemeldet — heute wird gemeldet«, das bringt man
nicht mehr aus dem Kopf. Er redet wie unsereins,
nur noch deutlicher. Man weiß nicht, redt er wie
v/ir oder reden wir wie er.
Der kaiserliche Rat: No und der Leitartikel
is e Hund? Schon der erste Satz — wer macht
ihm das nach? Die Familie Brodsky ist eine der
reichsten in Kiew. Fertig. Mitten drin is man. Dann
springt er herum, redt von Talleyrand, was er gesagt
hat beim Essen, und schon is man mitten drin im
ungrischen Ausgleich.
Der alte Biach: Mir imponiert am meisten,
wenn er sagt, man kann sich vorstellen. Oder wenn
er mit der Einbildungskraft kommt, das bringt er
packend, und da stellt man sich gleich alles vor,
wie wenn er war mitten drin im Pulverdampf gottbehüt
und wir alle mit ihm. Den größten Wert legt er
aber scheint es auf die Stimmungen und auf die
Eindrücke von die Details und packend is wenn er
erzählt, wie sie die Leidenschaften aufgewiegelt
haben. Ich für meinen Geschmack muß aber sagen,
ich les am liebsten, wenn er sich vorstellt, wie sie
sich schon unruhig wälzen bei Nacht, speziell
Poincar^ und Grey und sogar der Czar, wenn sie
75
von der Sorge benagt sind, weil es schon rieselt im
Gemäuer. Und vielleicht ist in diesem Augenblick
schon, und vielleicht haben sie schon und vielleicht
und vielleicht, das is hochdramatisch! Ich hab mir
sagen lassen, er diktiert, wenn er schreibt. Man kann
sich vorstellen, wenn er so einen Leitartikel diktiert.
Ich sag Ihnen, die Einbildungskraft schwelgt in der
Vorstellung, daß wenn er diktiert, die Kandelaber in
der Redaktion zittern !
Der Doktor: Zufällig weiß ich aber, weil ich
einmal persönlich eine Beschwerde hinaufgetragen
habe, über den Mistbauer und die Fliege —
Der alte Biach: Was wissen Sie?
DerDoktor: Daß sie dort gar keine Kandelaber
haben!
Der alte Biach (erregt): Was denn ham sie?
Lassen Sie mich aus, Dokter, Sie sind ein bekannter
Miesmacher — so ham sie Stehlampen! Tut nix —
die Kandelaber zittern doch! Unsereins hat eben noch
Illusionen. Marqueur, bringen Sie die Blochische
Wochenschrift und Danzers Armeezeitung!
Der Kompagnon: Moment! Jetzt — wenn
man jetzt so hören könnte, was die Minister reden! —
(Alle lauschen. Der alte Biach rückt dicht an den Ministertisch vor.)
DerMinisterpräsident: Der Pschütt is heut
wieder in einem Zustand, recht ärgerlich is das —
anstatt daß die Marquör die Illustrierten einsperrn,
tun sie's aufhängen — die möchten sich wirklich
schon alle Freiheiten nehmen. Nachher krieg
ich so ein Blatt in einer Verfassung — aufheben
wer' ich mir's nächstens lassen, das is das einfachste.
Der alte Biach (in größter Erregung): Wißts
ihr, was ich jetzt gehört hab? Gotteswillen, ich hab
ganz deutlich die Worte gehört: Standrecht, ein-
sperrn, aufhängen —
Der Kompagnon: Sss . . .!
Der alte Biach: Alle Freiheiten nehmen,
Verfassung aufheben!
76
Der kaiserliche Rat: Also, da ham mas!
Der Doktor: Wissen Sie, daß das eine
politische Sensation katexochen ist und man kann
wirklich sagen, aus erster Quelle!
Der alte Biach (stolz): Also was sagen Sie
zu mir!
Der Kurzwarenhändler: Es ist Ihre Pflicht,
es noch heute der Presse zu stecken!
Der alte Biach: Ja, die Zeiten sind ernst —
Der kaiserliche Rat: — und wer kann
wissen was der kommende Tag bringt —
Der Kurzwarenhändler: — und der Staat
hat die Verpflichtung, die Leidenschaften, wenn sie
einmal aufgewiegelt sind, wieder einzudämmen —
Der Kompagnon: — und die Stimmungen
sind wichtig —
Der Doktor: — und die Sorge wächst —
Der alte Biach: — und es is schon zehn Uhr
und meine Rosa sitzt zuhaus und sie hat nicht gern
wenn ich spät komm und ich bin deshalb dafür
wir zahlen und gehn.
(Der Zahlkellner kommt, sie gehn ab, indem sie sich alle noch
einmal mit scheuer Neugierde nach dem Ministertisch umblicken.)
Der alte Biach (im Abgehen) : Wir haben einen
historischen Moment erlebt. Den ernsten Gesichts-
ausdruck vom Gesicht vom Grafen Stürgkh werde
ich mein Lebtag nicht vergessen!
(Verwandlung.)
11. Szene
(Es treffen sich zwei, die sichs gerichtet haben.)
Der erste: Servus, du noch in Wien? Du bist
doch behalten worn?
Der zweite: Ich bin hinaufgegangen und hab
mirs gerichtet. Ja, aber was machst denn du noch in
Wien? Du bist doch behalten worn?
77
Der erste: Ich bin hinaufgegangen und hab
mirs gerichtet.
Der zweite: Natürlich.
Der erste: Natürlicli.
Der zweite: Weißt nicht, was aus dem
Edi Wagner gworn is, hat der sichs vielleicht
gerichtet? Er is im Oktober zur Konschtatierung,
dann hats gheißen, sein Alter kauft ihm einen Daimler,
weil sein Major, der Tschibulka von Welschwehr
versprochen hat, er kommt zum Autlkorps, dann hats
gheißen, entweder er kommt nach Klosterneuburg
zum Kaader oder in eine Munitionsfabrik, natürlich
in die Kanzlei, dann hams wieder gsagt, er soll
für unentbehrlich erklärt wem im Gschäft und der
Onkel von ihm, weißt der fürs Reservespital in der
Fillgradergassen die Würzen is, den hab ich damals
troffen, der hat gsagt, wenn alle Stricke reißen, bringt
er ihn beim Roten Kreuz unter, kein Mensch hat sich
auskennt, kurzum, möcht mich wirklich intressiern,
wo's den armen Teufel am End hingschupft ham.
Der erste: Das kann ich dir sagen. Der Alte
hat sich also, ein Schmutzian wie er is, das überlegt
mit dem Daimler, er hat ihn lieber bei die dänischen
Papierdecken untergebracht, das hat ihm aber gstiert,
da hat er gsagt, lieber m.acht er Dienst und is nach
Blumau kommen, dort war's ihm aber z'fad, und
jetzt sitzt er Nacht für Nacht im Chapeau, abwech-
selnd in Uniform und in Zivil, wie der Bursch das
macht is mir ein Schleier, ich kann mir nur rein
denken, wie alle Protektion nix gnutzt hat, is er
hinaufgegangen und hat sichs gerichtet. Es könnt
aber auch sein, daß er wirklich enthoben is oder
hat er gar am End doch einen C-Befund kriegt. Du
servus ich hab ein Rendezvous mit einer Persönlichkeit,
ich krieg vielleicht eine Lieferung, und das was für
eine, da muß man schon tulli sagen —
Der zweite: Du hast immer die Sau. Hast
ghört, der Seifert Pepi is gfallen, weißt bei Rawaruska,
78
servus ich muß zu einer Sitzung ins Kriegsiürsorgeamt,
morgen hams den Tee und ich hab versprochen,
daß ich die Fritzi-Spritzi hinbring, der Sascha Kolowrat
kommt hin, geh sei fesch und komm auch hin,
bring dein Schlamperl mit, servus!
Der erste: Lieber Freund, ich hab jetzt andere
Dinge, wenn mir das gelingt, ruf ich dich an,
servus — du apropos — was ich dir erzählen wollte —
(Ein Abonnent und ein Patriot treten auf.)
Der Patriot: Gesunde junge Leut, ham Sie
gesehn? Ein Korps könnt ich zusammenstellen auf
der Ringstraße!
Der Abonnent: Da kann man wirklich empört
sein. Pfui, Drückeberger in Frankreich!
Der erste (dreht sich um): Meinen Sie vielleicht
mich?
Der Abonnent: Sie? Ich kenn Sie gar nicht,
lassen Sie mich in Ruh —
Der zweite: Das möchten wir uns auch aus-
gebeten haben — Sie können gar nicht wissen —
Der Patriot: Aber bitte, bitte meine Herrn,
der Herr hat von Drückeberger in Frankreich
gesprochen, also brauchen Sie gar nicht so aufgeregt
sein, Sie sind ja nicht aus Frankreich.
Der erste: A so, also pardon, also wenn sich
das nicht auf Österreich bezieht, so hab ich mich
geirrt, djehre! (Beide ab.)
Der Abonnent: Sehn Sie, frech wem auch
noch! Der hat das mit Drückeberger in Frankreich
faktisch auf sich bezogen.
I Der Patriot: Wahrscheinlich ein Franzos, der
I sich gedruckt hat und hier sein Unwesen treibt,
! kann man wissen, Sie, ich laß mich hängen, wenn
das nicht ein Deserteur is oder gar ein Spion!
Der Abonnent: Ich hab auch stark den
Eindruck.
79
Der Patriot: Überhaupt, wie es in den feind-
lichen Staaten zugeht!
Der Abonnent: Wem sagen Sie das! Sind
nicht zum Beispiel, um gleich bei Frankreich zu
bleiben, dort jetzt Nachmusterungen ausgeschrieben,
man soll sich nur vorstellen, Nachmusterungen!
Der Patriot: Aber nicht genug, daß dort
Nachmusterungen stattfinden — die sie nehmen,
müssen auch an die Front! Ich hab gelesen von
»Einstellung der Nachgemusterten in Frankreich«!
Der Abonnent: Und was sagen Sie zu den
Mißständen in der französischen Heeresintendantur?
Der Patriot: Verträge für Kriegslieferungen sind
zu haarsträubenden Preisen abgeschlossen worden.
Der Abonnent: Bei den Konserven- und
Munitionslieferungen sollen bedenkliche Preisunter-
schiede festgestellt worden sein.
Der Patriot: Wucherpreise sind gezahlt worden
für Tuch, Leinwand und für Mehl.
Der Abonnent: Von gewissen Zwischen-
händlern sind bei den Abschlüssen der Verkäufe
große Verdienste erzielt worden! Mit Zwischenhändlern
arbeiten sie!
Der Patriot: Wo?
Der Abonnent: No in Frankreich!
Der Patriot: Schkandal!
Der Abonnent: Und in offener Parlaments-
sitzung wird so etwas vorgebracht!
Der Patriot: Also ob das bei uns möglich
wäre! Zum Glück haben wir —
Der Abonnent: Kein Parlament, meinen Sie —
Der Patriot: Ein reines Gewissen, wollte
ich sagen.
Der Abonnent: Millerand hat selbst alles
eingestanden, es sei unmöglich, hat er gesagt, Fehler
zu vermeiden, aber es werde unnachsichtlich vor-
gegangen.
Der Patriot: Ich merk nix davon!
80
Der Abonnent: No und Rußland? Sehr
bezeichnend ist, daß sie dort schon die Duma ein-
berufen müssen und die Regierung muß sich eine
offene Sprache gefallen lassen.
Der Patriot: Bei uns war so etwas ausge-
schlossen, wir haben zum Glück —
Der Abonnent: Ein reines Gewissen,
weiß schon.
D e r P a t r i 0 1 : Kein Parlament, wollte ich sagen.
Der Abonnent: No und was sagen Sie
zur Ernte?
Der Patriot: Ich sag nur: Schlechte Ernte
in Italien. Mißernte in England. Ungünstige Ernte-
aussichten in Rußland. Besorgnisse wegen der Ernte
in Frankreich. Und was sagen Sie zum Kurs, he?
Der Abonnent: Was soll ich sagen? Der
Preisfall des Rubels spricht eine deutliche Sprache.
Der Patriot: Gott wenn man damit zum
Beispiel unsere Krone vergleicht —
Der Abonnent: Miserabel stehn auch Lire,
um 30 Perzent gesunken!
Der Patriot: Die Krone zum Glück nur um
das Doppelte.
Der Abonnent: Apropos Italien, haben Sie
heut drüber gelesen, wie es schon drunten
drunter und drüber geht? Der Messagero beklagt
sich über die ungenügende Kehrichtabfuhr in Rom,
was ein sehr charakteristisches Licht auf die dortigen
Zustände wirft.
Der Patriot: Wenn man damit unsere Wiener
Straßen vergleicht! Als ob die im Krieg schmutziger
wären v/ie im Frieden! Hat man je in einer von
unsere Zeitungen ein Wort lesen können, daß in
diesem Punkt vielleicht etwas nicht in Ordnung wäre?
No ja, höchstens hin und wieder steht in der Presse —
also etwas vom »Mistbauer und die Fliege« — das
is aber auch intressant!
I
81
Der Abonnent: Und das sind Übelstände, die
schon zum Teil beseitigi sind. Haben Sie nicht gelesen :
»Teilweise Auflassung des Mistbauers«? No also!
Der Patriot: Was sagen Sie zu England?
Der Abonnent: Ich sag, in England sind
die Karioffelpreise kolossal in die Höhe gegangen.
Der Patriot: Ja und es stellt sich sogar
heraus, daß sie dort jetzt noch niedriger sind wie
bei uns im Frieden. Also da kann man sich vorstellen!
Der Abonnent: No und die Behandlung
unserer Zivilinternierten? Haben Sie gelesen, wie
die schmachten müssen? Sie wissen doch, wie gut
es bei uns den russischen Kriegsgefangenen geht.
Der Patriot: Dafür nehmen sie sich natürlich
die größten Frechheiten heraus. Da hab ich mir
erzählen lassen, in Tirol auf dem Brenner läßt man
sie Schützengräben bauen, damit sie eine Beschäftigung
haben. Was glauben Sie tun sie? Weigern tun sie
sich! No, macht man selbstredend kurzen Prozeß.
Aus Innsbruck wird ein Detachement geholt, noch
einmal wem sie gefragt, ob sie die Schützengräben
bauen wollen. Nein! heißt es. Legt man an.
Nu na nicht, genieren wird man sich, was heißt
Völkerrecht, Krieg is Krieg. Aber gute Potsch
wie sie schon sind bei uns, hat man noch Geduld
gehabt und fragt sie noch einmal, die Rebellen.
Nein heißt es! Zielt man. Da natürlich — hätten Sie
sehn sollen, melden sich auf einmal alle, ja, sie
wolln Schützengräben baun. Ein Geriß war auf
amol um die Schützengräben, sag ich Ihnen. Das
heißt, alle bis auf vier. No die wem natürlich
erschossen, selbstredend. Unter ihnen war ein
Fähnrich — hörn Sie nur zu —
Der Abonnent: Ich hör.
Der Patriot: Wahrscheinlich der erste Rädels-
führer von ihnen. Hat die Frechheit und hält noch
eine Ansprache gegen Österreich, oben am Berg,
Wahrscheinlich ein Antisemit. Hörn Sie zu -—
Die letzten Tage der Menschheit.
82
Der Abonnent: Ich hör.
Der Patriot: Unsere Leut, ich mein, die
Eigenen, gutherzig wie sie sind, waren aber zu
aufgeregt beim Schießen, sie haben um keinen Preis
treffen können, hat also der Hauptmann persönlich
nachhelfen müssen und hat die Kerle mit dem
Dienstrevolver abgeschossen. Also was sagen Sie,
was sich die Russen bei uns herausnehmen!
Der Abonnent: Bei uns? Was sie sich bei
ihnen herausnehmen gegen die österreichischen
Gefangenen, sagen Sie lieber! Falls Sie noch nicht
gelesen haben sollten, was heute steht, hier, ich
hab's bei mir, hörn Sie: Mißbrauch Kriegsgefangener
durch die russischen Truppen zur Teilnahme an den
Feindseligkeiten. Aus dem Kriegspressequartier wird
geschrieben: Seit der Vertreibung der Russen aus
Galizien vergeht selten ein Tag, an dem nicht
irgend eine bisher noch nicht bekanntgewordene
Verletzung des Völkerrechtes durch die russischen
Truppen aufgedeckt werden würde, so daß es heute
kaum noch eine Bestimmung des Kriegsrechtes gibt,
von der nicht feststünde, daß sie von russischer
Seite mit Füßen getreten wird.
Der Patriot: Sehr gut.
Der Abonnent: Hörn Sie nur zu —
Der Patriot: Ich hör.
Der Abonnent: So wird durch die in den
besetzt gewesenen Teilen Galiziens jetzt durch-
geführten Gendarmerieerhebungen bekannt, daß, auf
Grund eines Befehles der russischen Armeekomman-
danten, während der ganzen Okkupationsdauer alle
irgendwie arbeitsfähigen Männer und Weiber außer
zu anderen Arbeiten im Bedarfsfall speziell zur
Erbauung von Schützengräben —
Der Patriot: Was sagt man!
Der Abonnent: — zwangsweise heran-
gezogen und hiezu bis in die Karpathen getrieben
wurden. Daß es dem Feinde nach den Haager
83
Konventionen ausdrücklich untersagt ist, der fried-
lichen Bevölkerung des besetzten Gebietes Dienst-
leistungen aufzuerlegen, welche auf die Bekämpfung
ihres ^/aterlandes hinauslaufen, focht die russischen
Machthaber natürlich nicht an.
Der Patriot: Focht sie nicht an! Packasch 1
Der Abonnent: Hörn Sie nur zu —
Der Patriot: Ich hör.
Der Abonnent: Es ist daher nicht
verwunderlich, daß die Russen, wie jetzt gleichfalls
festgestellt wurde, auch die in ihre Kriegsgefangen-
schaft geratenen Angehörigen der k. und k. Armee
zur Erbauung von Werken gegen uns mißbrauchen —
Der Patriot: Unerhört! Ganz derselbe Fall!
Der Abonnent: — obwohl dies gleichfalls
den Haager Vertragsbestimmungen zuwiderläuft,
nach denen die Kriegsgefangenen nicht zu Arbeiten
verwendet werden dürfen, die mit den kriegerischen
Unternehmungen in irgend einem Zusammenhang
stehen. Ein merkwürdiger Zufall brachte es mit
sich, daß das k. und k. 82. Infanterieregiment jüngst
einen russischen Stützpunkt erstüimte, den kriegs-
gefangene Angehörige desselben Regiments hatten
errichten müssen. Auf einer Holztafel fand man dort
folgende ungarische Inschrift: »Diesen Stützpunkt
erbauten Szekler des 82. Infanterieregiments«. Zu
der kürzlich gemeldeten zwangsweisen Vertreibung
Österreich ischer Staatsbürger aus ihrer Heimat tritt diese
zwangsweise Anhaltung österreichisch-ungarischer
Staatsangehöriger zur Teilnahme an den Feindselig-
keiten gegen ihr Vaterland nicht als Gegenstück,
sondern als eine, das russische Kampfsystem
ergänzende Maßregel hinzu. — No was sagen Sie jetzt?
Der Patriot: Echt russisch! Das hat die Welt
nicht gesehn ! Das is wirklich kein Gegenstück, das
is geradezu eine ergänzende Maßregel! Und von
den armen österreichischen Soldaten hat wahrscheinlich
keiner sich getraut, sich zu weigern.
8*
84
Der Abonnent: No hat denn jeder die
Chutzpe von so einem russischen Fähnrich?
Der Patriot: Eine Ansprache gegen den
Staat zu halten oben mitten am Berg!
Der Abonnent: Oben auf den Karpathen!
Der Patriot: Wieso Karpathen? Oben am
Brenner!
Der Abonnent: Oben am Brenner! Da
kann man wirklich sagen, kein Tag vergeht ohne
solche himmelschreiende Kontraste!
Der Patriot: Ausgezeichnet war der Artikel
von Professor Brockhausen, wie er geschrieben hat,
niemals sind bei uns wehrlose Gefangene auch nur
mit Worten gehöhnt worden.
Der Abonnent: Recht hat er gehabt: Das
war doch dieselbe Nummer der Presse, wo der
Stadthauptmann von Lemberg verlautbart hat,
russische Gefangene sind während ihres Transportes
durch die Straßen von einem Teil des Publikums
beschimpft und mit Stöcken geschlagen worden.
Er hat ausdrücklich konstatiert, daß das ein Verhalten
sei, einer Kulturnation unwürdig.
Der Patriot: Er hat zugegeben, wir sind
eine Kulturnation, nicht bloß die Juden.
Der Abonnent: Selbstredend. Aber es gibt
auch wirklich keinen Punkt, wo wir uns nicht
unterscheiden würden von den Feinden, die ja
doch ein Abschaum der Menschheit sind.
Der Patriot: Zum Beispiel im feinen Ton,
den wir selbst gegenüber den Feinden anschlagen,
die doch die größte Packasch sind auf Gottes
Erdboden.
Der Abonnent: Und vor allem sind wir im
Gegensatz zu ihnen immer human ! Die Presse zum
Beispiel hat im Leitartikel sogar an die Fische und
Seetiere in der Adria gedacht, daß sie jetzt gute
Zeiten haben wern, weil sie so viel italienische
Leichen zu fressen bekommen. Das ist doch schon
85
wirklich die Humanität auf die Spitze getrieben, in
diesen verhärteten Zeiten noch an die Fische und
an die Seetiere in der Adria zu denken, wo doch
sogar Menschen Hunger leiden müssen!
Der Patriot: Ja, übertrieben, wie er über-
haupt manchmal is. Aber — er gibts ihnen ordentlich!
Und nicht nur die Humanität im Krieg haben wir
vor ihnen voraus, sondern etwas, was noch weit
wertvoller ist — die Ausdauer! Bei die andern
herrscht docii schon überall Entmutigung. Froh
wären sie, wenn es zu End war. Bei uns — ?
Der Abonnent: Das is mir auch schon
aufgefallen. Da is zum Beispiel Entmutigung in
Frankreich!
Der Patriot: Verdrossenheit in England!
Der Abonnent: Verzweiflung in Rußland!
Der Patrioi: Zerknirschung in Italien!
Der Abonnent: Überhaupt, die Stimmungen
in der Entente!
Der Patriot: Es rieselt im Gemäuer.
Der Abonnent: An Poincare nagt die Sorge.
Der Patriot: Grey is mißmutig.
Der Abonnent: Der Czar wälzt sich im Bett.
Der Patriot: Beklemmung in Belgien.
Der Abonnent: Das erleichtert! Demorali-
sation in Serbien.
Der Patriot: Da fühlt man sich! Ver-
zweiflung in Montenegro.
Der Abonnent: Da kann man noch hoffen!
Bestürzung im Viererverband.
Der Patriot: Da derfangt man sich ! Zweifel
in London, Paris und Rom. Man brauch wirklich
nur die Titeln anschaun, man brauch gar nicht
weiter lesen, weiß man doch schon woran man is.
Man sieht, wie mies es jenen geht und wie gut uns.
Stimmungen haben wir auch, aber gottlob etwas
andere!
86
Der Abonnent: Bei uns herrscht Freude,
Zuversicht, Jubel, Hoffnung, Genugtuung, wir sind
immer gut aufgelegt, warum nicht, recht hammer.
Der Patriot: Das Durchhalten zum Beispiel,
das is unsere Passion.
Der Abonnent: So gut wie wir treffen sie
das nirgends.
Der Patriot: Der Wiener speziell is ein
Prima-Durchhalter. Alle Entbehrungen tragen sie
bei uns, als ob es ein Vergnügen war.
Der Abonnent: Entbehrungen? Was für
Entbehrungen ?
Der Patriot: Ich mein, wenn es Ent-
behrungen geben m ö c h t —
Der Abonnent: Es gibt aber zum Glück
keine !
Der Patriot: Ganz richtig. Es gibt keine.
Aber sagen Sie — wenn man nicht entbehrt —
wozu muß man dann eigentlich durchhalten ?
Der Abonnent: Das kann ich Ihnen
erklären. Es gibt allerdings keine Entbehrungen,
aber man erträgt sie spielend — das ist die Kunst.
Das haben wir seit jeher getroffen.
Der Patriot: Eben. Das Anstellen zum
Beispiel is eine Hetz — sie stellen sich förmlich
dazu an.
Der Abonnent: Der einzige Unterschied
gegen früher is, daß jetzt Krieg is. Wenn nicht
Krieg war, möcht man rein glauben, es is Friede.
Aber Krieg is Krieg, und da muß man so manches,
was man früher nur gewollt liätt.
Der Patriot: Eben. Bei uns hat sich gar nix
verändert. Und wenn es j a alle heilige Zeiten einmal
bei uns zu Nachmusterungen kommt, soll man sich
anschaun, nicht erwarten können sie's an die Front
zu kommen, unsere jungen Leut bis zu fufzig Jahr.
Der Abonnent: Die altern Jahrgänge sind
noch gar nicht gemustert.
87
Der Patriot: Haben Sie gelesen, »Aushebung
der Neunzehnjährigen in Italien«? Der Titel allein
sagt schon die ganze furchtbare Wahrheit.
Der Abonnent: Nein, das muß mir ent-
gangen sein. Was Sie sagen, so junge Leut! Bei
uns, da muß einer doch schon reifer sein, jetzt sind,
wenn ich nicht irre, noch die Fünfzigjährigen bei
uns an der Tour, aber natürlich nur für den Etappen-
raum, es sind noch genug 49 jährige draußen.
Der Patriot: In Frankreich halten sie schon
bei der Ausmusterung der 48jährigen!
Der Abonnent: Also Leute mit grauen
Haaren! Die Jüngern scheinen alle schon verbraucht
zu sein. Wir rücken im März mit den 17 jährigen
heraus, das wird eine Freud sein.
Der Patriot: Natürlich, das sind die
schönsten Jahre! Wissen Sie, worin auch der
Unterschied liegt? In der Ausrüstung. Die is
nämlich das Wichtigste. Aber bei uns versteht sich
das einfach von selbst, da wird gar kein Aufhebens
gemacht. Haben Sie gelesen heute : Italienische
Sorgen wegen warmer Gebirgskleidung für die
Soldaten?
Der Abonnent: Sorgen was sie haben !
Der Patriot: Bei uns kümmert man sich
um so was gar nicht. Bagatell ! Man vergibt die
Lieferungen und fertig. Sie kennen doch die
Geschichte mit den Vv^ olldecken? Oder nicht?
Der Abonnent: Nein.
Der Patriot: Da haben Sie ein großartiges
Beispiel, wie das alles bei uns von selbst geht.
Feiner & Co. machen einen Schluß auf anderhalb
Millionen Wolldecken aus Deutschland, unser
Kriegsministerium war der Ansicht, so viel beiläufig
wird nötig sein für die Karpathen im Winter.
Man hat aber die Sache nicht tragisch
genommen, weil man ja schon vorher mit dem
Endsieg gerechnet hat. Also wie es dann doch
88
ernst wird, heißt es plötzlich, schön, aber zuerst
müssen die Zollformalitäten erledigt wem. Der
Finanzminister is um keinen Preis zu bewegen, die
Ware früher herauszugeben, und der Kriegsminister
hat wieder gesagt, man braucht sie. Was soll ich
Ihnen sagen, das is so sechs Monate gegangen,
hin und her zwischen Kriegsministerium und Finanz-
ministerium. Durch der ganzen Karpathenschlacht
hindurch. Da entschließt sich die Firma, und
Katzenellenbogen aus Berlin, Sie wissen doch, der
bei uns die rechte Hand is speziell im Kriegs-
ministerium, interveniert persönlich. Er is hinauf-
gegangen zum Finanzminister und sagt ihm direkt
ins Gesicht, das geht nicht! Der Finanzminister
sagt, er kann das nicht kurzerhand erledigen. Sagt
ihm Katzenellenbogen, energisch wie er is Sie wissen
doch, seine Gewure, sagt ihm also Katzenellenbogen,
erstens geht die Firma in Konkurs, zweitens gehn
die Wolldecken zu^rund, sie liegen im Freien bei
der Nässe und Kälte, sie sind schon fast alle hin —
Der Abonnent: Wer?
Der Patriot: No, die Wolldecken 1 Sie sind
nämlich im Freien gelagert.
Der Abonnent: Wer ?
Der Patriot: No, die Wolldecken ! Was fragen
Sie? Also, sagt er kategorisch, erstens geht die
Firma in Konkurs, zweitens gehn die Wolldecken
zugrund und drittens, brauchen sie schließlich auch
die Soldaten. Zuckt der Finanzminister mit die
Achseln und antwortet ihm, er kann nicht, der Akt
muß erledigt wern. Erst der Zoll, dann die Decken —
Der Abonnent: No warum hat aber das
Kriegsministerium nicht gezahlt?
Der Patriot: Frag! Der Kriegsminister hat
sich auf den Standpunkt gestellt, er kann nicht,
erst muß der Akt erledigt wern.
Der Abonnent: Der Akt für den Zoll?
Das erklärt doch der Finanzminister?
89
Der Patriot: Konträr, der Akt über die
Flüssigmachung für den Zoll!
Der Abonnent: Ah so, no und was is da
geschehn? ich bin schon gespannt —
Der Patriot: Was geschehn is? Katzenellen-
bogen geht wieder hinauf und sagt ihm ins Gesicht:
Exzellenz, sagt er, das Kriegsministerium gibt nicht
nach. Sagt er, ich will Ihnen was sagen. Im kauf-
männischen Verkehr is es üblich, wenn eine Kunde
momentan nicht zahlen kann, man erkundigt sich
aber und hört, die Kunde is gut, so is es üblich,
man stundet ihr. Exzellenz, ich wer Ihnen was
sagen, erkundigenSie sich über dasKriegsministerium,
Sie wern hörn, es is gut — was ham Sie davon,
stunden Sie ihm! No, das hat ihm eingeleuchtet.
Man hat gestundet und die Wolldecken sind aus-
geliefert worn.
Der Abonnent: No also, war doch alles in
schönster Ordnung?
Der Patriot: So weit ja. Da war aber
schon März. Was soll ich Ihnen sagen, wie man
die Decken herauszieht, sind sie total verdorben.
Jetzt hat man Flüchtlinge genommen, immer zwei
zammstoppen lassen, und wie schließlich April wird
und alles war so weit in Ordnung, leider doppelt
so teuer wie bei der Bestellung, no so eine Arbeit
will doch bezahlt sein, Kleinigkeit anderhalb Millionen
Wolldecken zammstoppen — also wie alles fertig
war, was glauben Sie daß sich da herausstellt?
Der Abonnent: Noo — ?
Der Patriot: Stellt sich heraus, die Soldaten
haben die Wolldecken gar nicht mehr gebraucht.
Denn erstens war schon nicht mehr so kalt in den
Karpathen, und dann waren den meisten sowieso
schon die Fuß abgefroren. — No, jetzt frag ich
einen Menschen: machen wir uns Sorgen wegen
Wolldecken?
90
Der Abonnent: Die Italiener ja! Das ham
sie jetzt davon! Was sagen Sie zu Lebensmittel-
teuerung in Italien?
Der Patri.ot: Davon hab ich nichts gelesen,
ich hab nur gelesen von schlechter Ernte in Italien.
Der Abonnent: Verwechseln Sie das nicht
mit Mißernte in England?
Der Patriot: Das is wieder ein anderes
Kapitel, genau so wie man wieder Lebensmittel-
knappheit in Rußland unterscheiden muß.
Der Abonnent: Ich bitt Sie, es is überall
dasselbe. Und Verlustlisten zum Beispiel haben sie
auch schon überall eingeführt.
Der Patriot: Ja, genau wie bei uns, alles
machen sie nach —
Der Abonnent: Entschuldigen Sie, wie
meinen Sie das? Haben wir denn —
Der Patriot: Im Gegenteil, bei uns is jetzt
die Tägliche englische Verlustliste eingeführt.
Der Abonnent: Das is mir auch schon
aufgefallen, während die unsere nur alle heiligen
Zeiten einmal erscheint.
Der Patriot: No soll man vielleicht fälschen
und Namen erfinden? Wenn's hoch kommt, ham
wir in dem Jahr vielleicht achthundert Verwundete
gehabt !
Der Abonnent: In Italien erscheint über-
haupt keine. Das is wohl mehr als verdächtig.
Sie können eben ihre Hekatomben nicht zugeben,
was sie schon erlitten haben.
Der Patriot: Apropos Italien, haben Sie
gelesen, Verabschiedung eines italienischen Generals?
Wegen an der Froiit bewiesener Unfähigkeit! Weitere
Verabschiedungen sollen bevorstehen!
Der Abonnent: Sss . . . ! Sollte man nicht
für möglich halten. Hat man bei uns je etwas davon
gehört, daß ein General —
Der Patriot: No, no, das schon.
91
Der Abonnent: Wegen Unfähigkeit?
Der Patriot: Auch !
Der Abonnent: Aber er hat doch
wenigstens nicht Gelegenheit gehabt, sie an der
Fl on t zu beweisen !
Der Patriot: Das nicht, da haben Sie recht.
Wissen Sie übrigens, daß es auch schon Drückeberger
in Italien gibt?
Der Abonnent: Wo denn sonst ? Und kaum
daß sie den Krieg angefangen haben! Aber wissen
Sie, was sie auch schon eingeführt haben? Eine
Zensur! Mit der Freiheit der Meinungsäußerung
soll es übrigens bei allen miserabel stehn. Kein
freies Wörtl darf man dorten reden, hab ich mir
sagen lassen.
Der Patriot: Höchstens is den Zeitungen
dorten erlaubt zu schreiben, daß unsere militärische
Lage viel besser is wie ihre eigene. No ja, die
Wahrheit läßt sich eben nicht unterdrücken. Die
englischen Militärkritiker bezeichnen die Lage der
Ententemächte als hoffnungslos.
Der Abonnent: Schöne Wirtschaft, daß sie
das erlauben! Wenn bei uns einer so etwas sagen
möcht, was möcht ihm passieren!
Der Patriot: Wenn er sagen möcht, daß
die Lage der Ententemächte hoffnungslos ist?
Der Abonnent: Nein, wenn er sagen möcht,
daß die Lage der Zentralmächte hoffnungslos ist.
Mit Recht möcht er aufgehängt wern. So eine
Frechheit nimmt sich hier keiner heraus.
Der Patriot: Warum sollte er auch? Er müßte
lügen! Sehn Sie, sogar in England sagen sie die
Wahrheit, wenn sie nämlich zugeben müssen, daß
es ihnen schlecht geht.
Der Abo nnent: Schöne Patrioten müssen
das dorten sein. Neulich hat einer dorten geschrieben,
92
England verdient, daß es von Deutschland vernichtet
wird. No, dem ist das aber übel bekommen. Wissen
Sie, v/as sie dem aufgepelzt haben? 14 Tage!
Der Patriot (sich an den Kopf greifend) :
Gefängnisstrafe für Kritik in England. Schöne
Zustände das! 14 Tage!
Der Abonnent: Ja, so etwas hören die Herrn
freilich nicht gern, die Wahrheit können sie nicht
vertragen. Bei uns würde sich aber auch kein
Journalist zu so etwas hinreißen lassen.
Der Patriot: No und is es denn in Frankreich
besser? Nicht um einen Gran. Harn Sie nicht grad
heut in der Presse gelesen : Gefängnisstrafen für
Verbreitung der Wahrheit in Frankreich ? Also bitte,
weil einer die Wahrheit gesagt hat! Nämlich eine
Dame — sie hat gesagt, Deutschland war auf den
Krieg vorbereitet, Frankreich aber nicht. Also wenn
man ihnen ja einmal die Wahrheit ins Gesicht sagt —
Der Abonnent: Nein, das vertragen sie nicht,
die Herrn Machthaber in Frankreich ! Krieg führen,
ja das passet ihnen, Deutschland, einen friedliebenden
Nachbarn, aus blauem Himmel überfallen, das passet
ihnen —
Der Patriot: Goldene Worte, Deutschland
führt einen Verteidigungskrieg, keine Seele in
Deutschland war auf den Krieg vorbereitet, die
schwerinduslriellen Kreise waren förmlich wie vor
den Kopf geschlagen.
Der Abonnent: Selbstredend, und wenn die
arme Person in Frankreich eine so einfache Wahrheit,
die auch der Laie begreift, in schlichten Worten —
Der Patriot: Sie, da ham Sie sich jetzt geirrt,
die Frau is doch verurteilt worn, weil sie —
Der Abonnent: No weil sie die Wahrheit
gesagt hat!
Der Patriot: No sie hat aber doch gesagt,
Deutschland war auf den Krieg vorbereitet —
93
Der Abonnent : No die Wahrheit is aber doch,
Deutschland war auf den Krieg nicht vorbereitet —
Der Patriot: No sie hat aber doch gesagt,
Deutschland war auf den Krieg j a vorbereitet !
Der Abonnent: No das is aber doch eine Lüge!
Der Patriot: No sie is aber doch verurteilt
worn, "/eil sie die Wahrheit gesagt hat —
Der Abonnent: No warum is sie dann aber
verurteilt worn?
Der Patriot: No weil sie doch gesagt hat,
Deutschland war auf den Krieg vorbereitet !
Der Abonnent: No wie kann sie dadafür in
Frankreich verurteilt wem, dadafür sollte sie doch
in Deutschland verurteilt wernl
Der Patriot: Wieso? — Moment — nein —
oder doch — passen Sie auf, ich erklär mir die
Sache einfach so: sie hat natürlich die Wahrheit
gesagt, aber in Frankreich wie sie dorten schon sind
is sie verurteilt worn, weil sie gelogen hat!
Der Abonnent: Moment, Sie ham sich da
verhaspelt. Ich glaub eher, es is so : sie hat gelogen,
und verurteilt ham sie sie, weil sie in Frankreich
die Wahrheit nicht vertragen können.
Der Patriot: Sehn Sie. das wird es sein!
Ich bitt Sie, das liegt im Blut. Die Leut lassen sich
dorten zu Äußerungen hinreißen.
Der Abonnent: Natürlich, man liest ja,
wie sie dorten in den Zeitungen der Regierung die
Wahrheit sagen und was sie zusammenlügen über
uns. Das ist Verderbtheit. Wenn man das glauben
würde, was in den Londoner Zeitungen über uns
steht, würde man glauben, England is fertig.
Der Patriot: Ich bitt Sie, wer glaubt das!
Bei uns fühlen sie eben anders. Die Mentalität hab
ich mir sagen lassen is eine ganz andere. Gottseidank.
Unsere Redakteure sind, man kann sagen, noch mehr
begeistert wie unsere Soldaten. Speziell im Feuilleton.
94
Der Abonnent: Weil Sie Feuilleton sagen —
ich wollt Ihnen erzählen, wissen Sie, wer heut zu
uns kommt? Raten Sie, der greßte lebende Schrift-
steller, Hans Müller!
Der Patriot: Sie, dem können Sie sagen, daß
er mir alles aus dem Herzen schreibt! Wie ist der
persönlich? Das intressiert mich. Auf seinem Stil
paßt kein anderes Wort wie sonnig und goldig. Das
war doch mehr wie goldig, wie er in Berlin einem
Feldgrauen auf offener Straße ein Pussl gegeben hat,
und dann das Gebet für die verbündeten Waffen
in der Kirche am Schluß vom Feuilleton! Der is
mein spezieller Liebling! Keiner von ihnen allen, wie
sie da schreiben, sogar Roda Roda, Saiten, hat so das
Schulter an Schulter erfaßt wie er, man kann wirklich
sagen, er schreibt förmlich Schulter an Schulter — zum
Beispiel mit Ganghofer. An den reicht er sogar heran!
Im Anfang, wie er das Feuilleton aus dem Feld
geschrieben hat, Cassian im Feld, so echt, so begeistert,
hat man direkt geglaubt, er is im Feld. Später erst
hab ich durch puren Zufall erfahren, daß er in
V/ien is. Er hat es sogar in Wien selbst geschrieben!
Wie er das trefft! Begabt! Intressiern möcht mich
nur, wie is er persönlich?
Der Abonnent: Persönlich — das is schwer
zu sagen. Momentan sehr in Ängsten, übermorgen
kommt er nebbich zur Musterung.
Der Patriot: So, und wieso kommt das, daß
er da in Ängsten is?
Der AbonnentrNo wegen der Musterung!
Der Patriot: In Ängsten? weil er fürchtet, sie
wem ihn nicht nehmen?
Der Abonnent: Ich versteh Sie nicht, in
Ängsten is er selbstredend weil er fürchtet, sie wern
ihn ja nehmen!
Der Patriot: Machen Sie keinen Witz. Hans
Müller? Der Hans Müller, was sich zerreißt fürs
Vaterland? Was Sie nicht sagen! Ich hab doch noch
95
nie von einem Menschen g^ehört, von dem min so
geglaubt hätte wie von ihm, er lebt und stirbt für
der Nibelungentreue? Ich war konträr der Meinung,
er is damals eigens zurück aus Deutschland, wo er
die Balmachomes umarmt hat, unsere Feldgrauen,
weil er es nicht erwarten kann, weil er sich freiwillig
melden will! Der wird doch froh und glücklich sein
hab ich mir gedacht, wenn sie ihn nehmen — ? und
er tut sich was an, wenn sie ihn nicht nehmen!
Der Abonnent: Wieso, Sie ham doch selbst
gehört, das Feuilleton aus dem Feld war aus Wien,
und grad das hat Ihnen imponiert, wie er getroffen
hat aus dem Feld zu schreiben in Wien?
Der Patriot: Das Feuilleton aus dem Feld,
hab ich mir gedacht, hat er geschrieben aus Kränkung,
weil sie ihn vielleicht schon nicht genommen haben —
um zu zeigen! Er wollt ihnen beweisen, was er erst
möcht treffen aus dem Feld zu schreiben wenn er
war im Feld! Ich kann nicht glauben, was Sie mir
da erzählen. Sie wern ihn verwechseln.
Der Abonnent: Er war froh, wenn sie ihn
übermorgen bei der Musterung verwechseln möchten.
Der Patriot: Hören Sie, das verdrießt mich!
Ich kann mir nur denken, daß Sie da nicht genau
informiert sind. Wenn einer so geschrieben hat, wie
Hans Müller geschrieben hat, so echt, so begeistert,
is er sicher froh, daß sie ihn nehmen —
DerAbonnent (erregt) : Also — also jeden müssen
sie nehmen? Jeder muß froh sein? Gar keine andere
Sorg darf einer mehr haben? Es genügt nicht, daß
er begeistert is? Nein, dienen muß er? Ausgerechnet
er? Gemütsmensch was Sie sind! Als ob Sie es nicht
erwarten könnten, zu sehn, wie er exerziert. Aber
Sie machen sich unnütze Sorgen, und er hoffentlich
auch. Und wenn sie ihn nehmen — man weiß zum
Glück heute schon, wer Hans Müller is! Man wird
ihn verwenden seinem Talent entsprechend!
96
Der Patriot: Sie haben gesehn, ich stimme
in allem mit Ihnen überein — aber da gehn unsere
Ansichten auseinander! Ich hab an Hans Müller
geglaubt und das was ich da hören muß enttäuscht mich.
Sie stehn natürlich auf dem Standpunkt des Abonnenten,
für Sie ist eine solche Kraft unentbehrlich —
Der Abonnent: Und Sie betrachten alles als
Patriot — da möcht man weit kommen! Adieu, ich
such eine Extraausgabe. Und was tun Sie?
Der Patriot: Ich geh ein Scherflein bei-
tragen. (In verschiedenen Richtungen ab.)
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Beide Berichtee — !
(Verwandlung.)
12. Szene
Es treten auf ein Riese in Zivil und ein Zwerg in Uniform.
Der Riese: Sie haben es gut, Sie können
sich der Allgemeinheit nützlich machen. Mich hat
der Regimentsarzt sofort weggeschickt.
Der Zwerg: Was war der Grund?
Der Riese: Zu schwach. Nämlich nach dem
alten Befund, vor fünfzehn Jahren. Damals hab ich
so ausgesehn wie Sie.
Der Zwerg: Darnach muß ich mich wundern,
daß man Sie nicht behalten hat. Mich hat der
Regimentsarzt kaum angeschaut und ich war schon
genommen. Die Mama war sehr unglücklich.
Der Riese: Sie Muttersöhnchen.
Der Zwerg: Ich aber bin zufrieden. Es wächst
der Mensch mit seinen höhern Zwecken. Zuerst hab
ich ja gezweifelt, ob ich in die große Zeit passen
werde und imstande sein, Schulter an Schulter zu
kämpfen. Aber im Zivil wird man nur verspottet und
vom Militär komm ich als Held zurück, über den
so manche Kugel hinweggeflogen sein wird. Wenn
die andern sich zu Boden werfen — ich bleibe stehn!
97
Der Riese: Sie Glücklicher!
Der Zwerg: Trösten Sie sich. Sie können ja
nichts dafür. Es kommt auf die Kommission an.
Der Riese: Ich bin durchgerutscht.
Der Zwerg: Ich bin dem Arzt aufgefallen.
Der Riese: Gehn wir essen, ich habe einen
Riesenhunger.
Der Zwerg: Ich werde eine Kleinigkeit zu
mir nehmen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Beide Berichtee — !
(Verwandlung.)
13. Szene
Elektrische Bahn Baden— Wien.
Ein Schvcerbetrunkener, der im zivilen Leben ein Möbelpacker
sein dürfte, Riesenfigur, buschiger Schnurrbart, Pepitahosen,
welche die Spuren von übermäßigem Weingenuß und einer
eben überstander°n gewaltsamen Entfernung vom Tatort zeigen.
Er hat einen Sack neben sich, aus dem er hin und wieder eine
Flasche hervorzieht. Er gerät mit einem Paar in Streii, weil er
an das Mädchen angestoßen ist, bedroht den Begleiter, und
brüllt die ganze Fahrt hindurch.
Der Schwerbetrunkene: Asoa Binkel —
wüll sich da aufbrausnen — wos hom denn So fürs
Votterland geleisteet? Legimitiern S' Ihna! Vur mir!
— Schaun S' mi an — solchene Söhne wia So hob
i im Föld — die wos mehr Boart ham als wia So —
die leisten wos — fürs Votterland — Wissen S' von
wo i kumm — von Boden kumm i — So Binkel —
legimitiern solln S' Ihna — Was glauben denn So — so
aner — wüll sich da aufbrausnen — 'leicht weil S'
Ihner Muckerl bei Ihna ham — was ham denn So fürs
Votterland geleisteet? — schaun S' mi an — i leist
was — fürs Votterland — A jeder soll aufbrausnen als
wia der — Wos wolln denn So? Hab i Ihna vielleicht
Die letzten Tage der Menschheit. 7
98
beleidigt? — So Binkel — i leist wos — legimitiern
S' Ihna — do schaun S' her — wissen S' wos dös
is — a Földpostkarten von mein Neffen — fürs
Votterland — So Binkel — legimitiern soll er sich
— der Binkel — vur mir soll er sich legimitiern
— hot nix geleisteet — für's Votterland —
(Nachdem er sich über Zureden des schwächlich aussehenden
Kondukteurs ein wenig beruhigt hat, bietet er den Unisitzenden,
auf die er abwechselnd fällt, die Flasche.) G'fällig Herr
Nachbar — weil mr Österreicher san!
Ein galizisches Flüchtlingspaar: Gott
behüte! (Flieht auf andere Plätze, läßt aber an der alten
Stelle den Schirm zurück.)
Der Seh we''betrunkene (nur noch lallend): Der
Binkel — fürs Votterland — legimitiern —
Der Verzehrungssteuerbeamte (erscheint):
Was haben Sie da im Binkel?
Der Schwerbetrunkene (dumpf): Binkel —
fürs Votterland — legimitiern — (Er wird nach
längerem Zureden dazugebracht, zu öffnen und eine Steuer von
20 Heller zu erlegen. Währenddessen hält der Zug.)
E i n W i e n e r (der inzwischen den Platz eingenommen
hat, wo das Flüchtlingspaar gesessen war): Da müssen wir
halt alle warten, wegen so einer Lappalie! Immer
gibts auf dera Strecken solche Unannehmlichkeiten!
Das is mir schon z'fad! (Er verläßt mit dem Schirm den
Zug. Es regnet. Der Schwerbetrunkene verläßt nun gleichfalls
den Zug, der sich wieder in Bewegung setzt.)
Der Schwerbetrunkene (schon draußen, wieder
lebhafter): Fürs Votterland — soll er — legimitiern
soll er si — der Binkel — hot nix geleisteet —
für's Votterland —
Das Flüchtlingspaar (atmet auf und bezieht
wieder die alten Plätze. Nach einer Pause aufspringend): Wo
is der Schirm? Gott wo is der Schirm? Herr Kondukteur
wo is der Schirm?
(Verwandlung.)
99
14. Szene
In der Wohnung der Schauspielerin Elfriede Ritter, die soeben
aus Rußland zurückgekehrt ist. Halb ausgepackte Koffer. Die
Reporter Füchsl, Feig! und Halberstam halten ihre Arme und
dringen auf sie ein.
Alle drei (durcheinander): Haben Sie Spuren von
Nagaikas? Zeigen Sie her! Wir brauchen Einzelheiten,
Details. Wie war das Moskov/itertum? Haben Sie
Eindrücke? Sie müssen furchtbar zu leiden gehabt
haben, hören Sie, Sie müssen!
Füchsl: Schildern Sie, wie Sie behandelt
wurden wie eine Gefangene!
Feigl: Geben Sie Eindrücke von Ihrem Auf-
enthalt fürs Abendblatt!
Halberstam: Geben Sie die Stimmung von
der Rückfahrt fürs Morgenblatt!
Elf riede Ritter (spricht norddeutsch, lächelnd) :
Meine Herren, ich danke für Ihr teilnahmsvolles
Interesse, es ist wirklich rührend, daß mir meine
lieben Wiener ihre Sympathien bewahrten. Ich danke
Ihnen von Herzen, daß Sie sich sogar persönlich
bemüht haben. Ich wollte ja auch gern mit Koffer-
auspacken warten, aber ich kann Ihnen beim besten
Willen, meine Herren, nichts anderes sagen, als daß
es sehr, sehr interessant war, daß mir gar nichts
geschehen ist, na v/as denn noch, daß die Rückfahrt
zwar langwierig, aber nicht im mindsten beschwerlich
war und (schalkhaft) daß ich mich freue, wieder in
meinem lieben Wien zu sein.
Halberstam: Intressant — also eine lang-
wierige Fahrt, also sie gibt zu —
Feigl: Beschwerlich hat sie gesagt —
Füchsl: Warten Sie, die Einleitung hab ich
in der Redaktion geschrieben — Moment — (schreibend)
Aus den Qualen der russischen Gefangenschaft erlöst,
am Ziele der langwierigen und beschwerlichen Fahrt
100
endlich angelangt, weinte die Künstlerin Freuden-
tränen bei dem Bewußtsein, wieder in ihrer geliebten
Wienerstadt zu sein —
Elfriede Ritter (mit dem Finger drohend) :
Doktorchen, Doktorchen, das habe ich nicht gesagt,
im Gegenteil, ich habe doch gesagt, daß ich mich
über nichts, über gar nichts beschweren konnte —
Füchsl: Aha! (schreibend) Die Künstlerin blickt
heute mit einem gewissen ironischen Gleichmut auf
das Überstandene zurück.
Elf riede Ritter: Ja, aber was denn — da muß
ich doch sagen — nee, Doktor, ich bin empört —
Füchsl (schreibend): Dann aber, wenn der
Besucher ihrer Erinnerung nachhilft, packt sie doch
wieder Empörung. In bewegten Worten schildert die
Ritter, wie ihr jede Möglichkeit, sich über die ihr
zuteilgewordene Behandlung zu beschweren, ge-
nommen war.
Elfriede Ritter: Aber Doktor, was treiben
Sie denn — ich kann doch nicht sagen —
Füchsl: Sie kann gar nicht sagen —
Elfriede Ritter: Aber wirklich — ich kann
doch nicht sagen —
Halberstam: Aber gehn Sie, Sie wissen gar
nicht, was man alles sagen kann! Liebe Freundin,
schaun Sie her, das Publikum, verstehn Sie, will
lesen. Ich sag Ihnen, Sie können sagen. Bei uns
ja, in Rußland vielleicht nicht, hier herrscht Gottsei-
dank Redefreiheit, nicht so wie in Rußland, hier
kann man Gottlob alles sagen, über die Zustände
in Rußland! Hat sich in Rußland eine Zeitung um
Sie gekümmert wie hier? No also!
Fei gl: Ritter, sind Sie vernünftig; glauben Sie,
daß Ihnen ein bißl Reklam schaden wird, jetzt wo
Sie wieder auftreten wern, no also!
Elfriede Ritter: Aber meine Herren — ich
kann doch nicht — das ist doch bei den Haaren
herbeigezogen — wenn Sie es gesehn hätten —
auf der Straße oder in den Ämtern — wenn
ich nur Anlaß zur geringsten Klage gehabt hätte,
über Drangsalierungen und so, glauben Sie denn,
ich würde es verschweigen?
F ü c h s 1 (schreibend) : Noch vor Erregung zitternd,
schildert die Ritter, wie der Straßenmob sie bei den
Haaren gezogen hat, wie sie auf die geringste Klage
hin von den Ämtern drangsaliert wurde und wie sie
über alle diese Erlebnisse Schweigen bewahren mußte.
Elfriede Ritter: Aber Doktor, Sie treiben
wohl Ulk? Ich sage Ihnen doch sogar, daß die
Polizeibeamten sehr entgegenkommend waren, man
hat mir, wo man nur konnte, unter die Arme gegriffen,
ich durfte ausgehn, wohin ich wollte, nachhause
kommen, wann ich wollte, ich versichere Ihnen,
wenn ich mich auch nur ein Augenblickchen als
Gefangene gefühlt hätte —
Füchsl (schreibend): Die Künstlerin erzählt, daß
ihr, als sie einmal den Versuch machte, auszugehen,
augenblicklich Polizeibeamte entgegenkamen, sie
unter den Armen ergriffen und nachhause schleppten,
so daß sie buchstäblich das Leben einer Gefangenen
geführt hat —
Elfriede Ritter: Jetzt bin ich aber ernstlich
böse — es ist nicht wahr, meine Herren, ich
protestiere —
Füchsl (schreibend): Sie wird ganz böse, wenn
man ihre Erinneriinjj; an diese Erlebnisse, an ihre
aussichtslosen Proteste —
Elfriede Ritter: Es ist nicht wahr, meine
Herren!
Füchsl (aufbh'ckend) : Nicht — wahr? Was heißt
nicht wahr, wo ich jedes Wort von Ihnen mitschreib?
Fe i g I : Wenn wir bringen wollen, is es nicht wahr ?
Halberstam: Wissen Sie, das is mir noch
nicht vorgekommen. Das is intressant!
Fei gl: Sie is imstand und schickt noch eine
Berichtigung!
102
Füchsl: Sie machen Sie keine Geschichten,
das kann Ihnen schaden 1
Feigl: Machen Sie sich nicht unglücklich!
Halberstam: Wann hat sie denn wieder
eine Rolle?
Füchsl: Wenn ich das Samstag beim Repertoire
dem Direktor erzähl, kriegt die Berger das Gretchen,
das garantier ich Ihnen!
Feigl: Das is also der Dank, wo der Fuchs
Sie immer so gut behandelt hat? Sie, Sie kennen
den Fuchs nicht! Wenn er hören wird, passen Sie
auf, bei der nächsten Premier!
Halberstam: Wolf hat sowieso einen Pick
auf Sie, seit Sie damals in seinem Stück gespielt
haben, das kann ich Ihnen verraten, Wolf is ohnedem
sehr gegen Rußland, wenn er jetzt noch hören wird,
daß Sie sich über Rußland nicht zu beklagen
haben — er verreißt Sie auf der Stelle !
Füchsl: Kunststück, und Low? Fangen Sie
sich nichts mit Low an, eine Schauspielerin hat
sich anzupassen, da gibts nix!
Feigl: Dagegen kann ich Ihnen verraten,
möchte es Ihnen kolossal nützen, nicht nur beim
Publikum, sondern sogar bei der Presse selbst,
wenn Sie in Rußland mißhandelt wurden.
Halberstam: Überlegen Sie sich das. Sie
kommen aus Berlin und haben sich rasch in die
hiesigen Verhältnisse eingelebt. Hier is es Ihnen
immer gut gegangen, mit offenen Armen hat man —
Füchsl: Ich kann Ihnen nur sagen, mit solchen
Dingen is nicht zu spassen. Eine Person soll in
Rußland gewesen sein und nichts zu erzählen haben
von ausgestandene Leiden, lächerlich, eine erst-
klassige Künstlerin! Ich sag Ihnen, es handelt sich
um Ihre Existenz!
Elfriede Ritter (händeringend): Aber — aber
— aber — Herr Redakteur — ich hab ja — geglaubt —
103
lieber Doktor — bitte bitte lieber Doktor — ich
hab ja nur — die Wahrheit sagen wollen — ent-
scliuldigen Sie — bitte bitte sehr —
Feigl (wütend): Die Wahrheit nennen Sie das?
Und wir lügen also?
Eifriede Ritter: Das heißt — pardon — ich
hab nämlich — geglaubt, es sei die Wahrheit —
wenn Sie aber — meine Herren — glauben — daß
es — nicht die Wahrheit ist — Sie sind ja Redakteure —
Sie — müssen ja — das — besser verstehn. Wissen
Sie — ich als Frau hab ja auch gar nicht mal so
den rechten — Überblick, nich \vahr? Mein Gott —
Sie vc^stehn — es ist doch Krieg — unsereins ist
so verschüchtert — man ist so froh, wenn man nur
mit heiler Haut aus Feindesland —
Halberstam: No sehn Sie, wenn Sie sich
erinnern nach und nach —
Elfriede Ritter: Ach Doktorchen natürlich.
Wissen Sie, die erste freudige Aufwallung, wieder
in eurem geliebten Wien zu sein — man sieht dann
alles rosiger, was man überstanden hat, für'n
iMomentchen nur, versteht sich — dann aber —
faßt einen wieder Wut und Erbitterun;< —
Halberstam: No also, sehn Sic, wir haben
vom ersten Moment gewußt, Sie wem —
F ü c h s 1 (schreibt) : Wut und Erbitterung faßt noch
heute die Künstlerin, wenn sie der ausgestandenen
Martern gedenkt und sobald die erste freudige
Aufwallung, wieder in der Metropole zu sein, den
bösen Erinnerungen Platz gemacht hat — (sich zu ihr
wendend) No, is das jetzt wahr?
Elfriede Ritter: Ja, meine Herren, das ist
die Wahrheit — wissen Sie, ich war noch so unter
dem Eindruck — man ist so eingeschüchtert, so —
Füchsl: Warten Sie — (schreibend) Noch ganz
verschüchtert, wagt sie es nicht davon zu sprechen.
Im Lande der Freiheit erliegt sie noch immer zeitweise
der Suggestion, in Rußland zu sein, dort, wo sie
104
den Verzicht auf die Rechte der Persönlichkeit, freie
Meinung und freie Rede, so schimpflich fühlen mußte.
(Sich zu ihr wendend) No, is das jetzt wahr?
Elfriede Ritter: Nee, Doktor, wie Sie die
geheimsten Empfindungen —
Füchsl: No sehn Sie!
Halberstam: No also, sie gibt zu, sie hat
gelitten —
Fei gl: Sie hat ausgestanden!
Füchsl: Was heißt ausgestanden? Wahre
Martern hat sie durchgemacht!
Halberstam: Also was brauchen wir da
weiter, gehn wir, wir sind doch nicht zu unserm
Vergnügen da —
Füchsl: Selbstredend, den Schluß mach ich
in der Redaktion. Also — eine Berichtigung haben
wir nicht zu befürchten? Das hätte noch gefehlt!
ElfriedeRitter: Aber Doktor ! — Na, charmant
war's, daß Sie mich besucht haben. Kommt doch
bald wieder — Adieu, adieu. (Hinausrufend) Grefe!
Gre — te!
Feigl: Sie is wirklich eine vernünftige Person.
Grüß Ihnen ..Gott, Freilein. (Im Abgehn zu den andern)
Sie hat das Ärgste überstanden und sie hat nicht
den iMut es jemandem zu sagen — nebbich !
(Elfiiedu Rilter sinkt auf einen Stuhl und et hebt sich dann, um
den Koffer auszupacken.)
(Verwandlung.)
15. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Es ist erhebend und rührend
zugleich, wie sich der Patriotismus jetzt selbst auf
Firmentafeln zur Geltung bringt, ein Umstand, der
mit der Erhöhung der Preise aussöhnen könnte.
105
Der Nörgler: Da müßten Sie dem Hotel
Bristol gegenüber unversöhnlich bleiben, das noch
immer so heißt, wiewohl es in London selbst im
Frieden kein Hotel St. Polten gegeben hat.
DerOptimist: Immerhin hat das Hotel Bristol
durch Verwandlung seines Grillroom in einen Rost-
raum bewiesen, daß es den Mut und die Kraft
aufbringt, sich auf sich selbst zu besinnen. Und
sehen Sie, hier — »Zur Flotte«. Wie schlicht! Es ist
ein Wäschegeschäft, das bekanntlich noch vor hurzem
»Zur Englischen Flotte« hieß. (Der Geschäftsinhaber er-
scheint in der Tür.)
Der Nörgler: Ja, aber da weiß m.an nicht —
warten Sie, ich will ihn fragen, welche Flotte er
jetzt eigentlich im Schilde führt. Vielleicht läßt er
in der Verwirrung etwas vom Hemdenpreis nach.
(Der Geschäftsinhaber zieht sich zurück.) Es ist die Öster-
reichische!
(Verwandlung.)
16. Szene
Standort des Hauptquartiers. Vier Heerführer (rcten auf.
Auffenberg: Also meine Herren, das gibts
nicht! Ich habe nicht die Absicht, ein zweiter Benedck
zu werden, das laß ich mir einfach nicht gefallen —
Bruder mann: Aber geh, sei net zwider, was
soll denn unsereins sagen. Ich hab nur achtzigtausend
verloren und gegen mich fangen s' auch schon an
zu stierin.
Dank! : Mir rechnen s' die sieberzigtausend nach.
P f 1 a n z e r-B a 1 1 i n : Gar net ignorieren I Bei mir
wird g'stürmt, da gibts keine Würschtel. Morgen
moch' mr an Sturm, sonst sitz' mr in der Scheiß-
gassen. I bin für Sturm, möcht wissen, wozu die Leut
sonst auf der Welt sind als fürn Heldentod ! Sturm
moch mr, Sturm moch mr — (er bekommt einen Anfall.)
106
Auffenberg: Aber geh, aber geh — ganz
deiner Ansicht. Ich war immer dafür, daß die
Eigenen frisch draufgehn. Bin auch schon mitten
drin in der Vorarbeit. I sag, nutzt's nix, so schadt's
nix. Aber richtig, daß ich nicht vergiß — der Adjutant
hat mich wieder nicht erinnert, an alles muß man
rein selber denken —
Brudermann: Was hast denn?
Auffenberg: Nix — zu blöd — nämlich,
also ich muß ihm doch eine Karten schreiben.
Seit Lublin nimm ich mirs vor, aber in dem Durch-
einander beim Rückzug hab ich richtig total drauf
vergessen. Einen Augenblick! (Er setzt sich an einen Tisch
und schreibt.) Na, das wird ihn doch gfreun!
Dan kl: Was schreibst denn da?
Auffenberg: Horts zu: »In dieser Stunde« —
Pflanzer-Baltin: Ah, der pulvert die Leut
auf — dös tur i net. Mir ham Maschinengwehre und
Feldkuraten! Morgen moch mr an Sturm und da —
Auffenberg: »In dieser Stunde — «
Brudermann: Schreibst an' Armeebefehl?
Auffenberg: Nein, eine Korrischpodenzkarten.
Dankl: An wen schreibst denn nacher so
welthistorisch?
Auffenberg: Horts zu: ^^In dieser Stunde,
in der ich sonst in Ihren mir so trauten Räumen
saß, denke ich an Sie und Ihr Personal und
sende Ihnen herzliche Grüße aus fernem Feldlager.
Auffenberg.«
Brudermann: Wem schreibst denn? Dem
Krobatin ?
Auffenberg: Aber was fallt denn dir ein?
Dem Riedl!
Alle: Ah dem Riedl!
Brudermann: Der Auffenberg is doch ein
Gemütsmensch. Sixt es, das gfreut mich von dir.
107
Da wem s* dich nicht mehr mit die neunzig-
tausend Tiroler und Salzburger heanzen können, die
du geopfert hast. Geopfert heißen s' dasi
Pflanzer-Baltin: Gar net ignorieren! I halt
beim Hunderter.
Dankl: Wißts, was? Schreiben wir alle dem
Riedl !
Bruder mann: No ja, ich verkehr eigentlich
mehr im Opera — da wer' ich lieber — (er setzt sich
und schreibt.)
Pflanzer-Baltin : Ich bin im Heinrichshof
wie zuhaus, da wer' ich — (er setzt sich und schreibt.)
Dankl: No ja, das is ja wahr — wo ich
seidera 29 Jahr im Cafe Stadtpark ein- und ausgehn
tu — jeden Tag les ich dort mit'n Höfer zusammen
den Generalstabsbericht — (er setzt sicli und schreibt.)
Auffenberg (beiseite): Alles machen s' mir
nach. Zuerst das Strategische und jetztn den Verkehr
mit'n Hinterland. Schad, daß der Potiorek net da is,
aber der hat mir gestern eine Feldpostkartn ausn
Cafe Kremser gschrieben und der Liborius Frank
sitzt mit'n Puhallo v. Brlog beim Scheid!. Der Conrad
geht auf Freiersfüßen, da is nix mehr mitn Kafieehaus-
leben. Alles machen s' mir nach. Ich war der erste,
der in' »Humoristen« mein Bild hineingeben hat,
da war ich bahnbrechend. Das war doch amal eine
Abwechslung — nicht immer nur lauter Theater-
menscher. Jetzt marschiern s' alle auf, nix wie Generäle,
is scho fad, höxte Zeit, daß wieder a Mensch erscheint.
Ich war der erste, der die Presse mehr herangezogen
hat — jetzt hat scho jeder sein Schlieferl, alles nur
wegen der Regiam. Ich bin gespannt, ob der Riedl
so viel Geistesgegenwart haben wird, die Karten ins
Extrablatt hineinzugeben. Aber richtig, daß ich nicht
vergiß, auf d' Wochen hammer Sturm und da muß
ich doch — du Pflanzer was glaubst, soll ich gleich
an Sturm machn oder erst auf d'Wochen?
108
Pflanzer-Baltin: Ich will dir in diesem
Punkt nichts dreinreden, aber wenn ich an deiner
Stell war, ich machet dir an Sturm, daß —
Brudermann: Jetzt wo deine Leut eh kaputt
sind, war ich auch der Meinung. Zum Retablieren
is immer noch Zeit. Laß s' stürmen !
Dankl: Lächerlich. Er soll sich das lieber
fürn 18. August aufheben, wenn er schon nicht bis
zum 2. Dezember warten will. Das gibt dann immer
eine schöne Überraschung.
Pflanzer-Baltin: Auf solche Liebedienerein
laß ich mich net ein. Bei mir wird morgen g'stürmt.
da gibts keine Wtirschtel!
(Ein Adjutant Pflanzer-Baltins tritt ein.)
Adjutant: Exlenz melde gehorsamst, die
Professoren san scho do und wolln das Ehrendoktorat
tiberreichen.
Pflanzer-Baltin: Aha, solln warten —
wann's schwer is, sollns es niederstelln und a wengerl
verschnaufen. (Der Adjutant ab.)
Auffenberg: Also kann man gratuliern?
Von welcher Fakultät is 's denn?
Pflanzer-Baltin: Czernowitz.
Bruder mann: Aber geh, das is doch keine
Falkultät, sondern nur ein Lehrstuhl. Von welchem
Fach ?
Pflanzer -Baltin: Philosophie natürlich.
Dankl: Wo rehabilitierst dich ?
Pflanzer-Baltin: Czernowitz. 's haßt net
viel, aber schließlich —
B r u d e r m a n n : Ich hab Aussichten für Graz,
weil die dortige Studentenschaft in meinen Reihen
gekämpft hat. Aber leider spießt sichs, weil s' aus 'n
nämlichen Grund zuspirrn wolln.
Dankl: Mir könnts bald zum Ehrendoktorat
von Innschbruck gratuliern.
109
Auffenberg: Ihr seids Provinzschauspielen
Ich würde so etwas gar nicht annehmen! Ich sag:
Wien oder nix. Apropos Wien, der Riedl wird eine
Mordsfreud haben! Ich darf nicht vergessen, daß
ich den Adjutanten erinner, daß er nicht vergißt,
er soll den Kurier erinnern, sonst vergißt der am
End und laßt mr die Kartn fürn Riedl liegen !
Dankl, Brudermann, Pflanzer-Baltin:
Das is eine Idee, das mach mr auch, durch'n Kurier
is alleweil am sichersten.
Auffenberg (beiseite): Alles machen s' mir
nach. Zuerst das Strategische und jetztn den Verkehr
mit'n Hinterland!
(Verwandlung.)
17. Szene
Wien. In der Kaffeesiedergenossenschaft. Vier Cafetiers, darunter
Riedl, treten auf. Alle reden heftig auf ihn ein.
Der erste: Das geht nicht. Riedl, du bist
ein Padriot und schlichter Gewerbsmann, du darfst
das nicht — schau, es is ja nur solang der Krieg
dauert, später kriegst es ja eh wieder zruck.
Der zweite: Riedl, mach mich nicht schiach,
du komprimierst den ganzen Stand, dessen Zierde
du heute bist — du mußt, ob du wüllst oder nicht,
du mußt!
Der dritte: Loßts 'n gehn, mir folgt er.
Riedl, sei net fad. Bist du ein Wiener? No alsterni
Bist du ein Deutscher? No alstern!
Riedl: Aber schauts, wie schaut denn das
nacher aus im nächsten Lehmann — immer war ich
der, der was am meisten Orden im Weichbild Wiens
g'habt hat, so viel wie über mich steht über
keinen drin —
Der erste: Riedl, ich kann dir's nachfühlen,
daß dir das schwer fallt, aber du mußt ein Opfer
110
bringen. Riedl, das war eine Blamage, das war
geradezu Hochverrat, wo bei dir so viele Sciilachten-
lenker verkeliren und einer gar Stammgast is!
Der zweite: Schau, wir alle bringen Opfer
in dera großen Zeit, ich hab sogar den Schwarzen
statt auf vier fufzig bloß auf vier vieravierzig hinauf-
gsetzt, a jeder muß heuntigentags sein Scherflein
beitragen —
Der dritte: Lächerlich, das kann ich gar
nicht glauben, daß der berühmte Padriot Riedl,
der Obmann, der Kommandant von die Marine-
Veteraner — hörts mr auf, der Tegethoff drehert sich
im Grab um, wann er das erfahret. Dös glaub i net!
Riedl, du, der einzige von uns, der schon bei Leb-
zeiten ein Denkmal hat —
Riedl: Bitte und eins, was ich mir selber
gsetzt hab! Ich bin nämlich ein Senfmadlmann
durch und durch — an meinem eigenen Haus,
meiner Seel und Gott, jedesmal wann ich z'haus
komm, hab ich eine Freud mit dem schönen Relif!
Der erste: Na alstern, hast du da die
Fletschen von unsere Feind nötig? Alle mußt
ablegen Riedl, alle, selbst von Montenegro, und
sogar den Orden von der Befreiung von der
Republik Liberia !
Riedl: Hörts auf, den auch? Speziell der
war immer mein Stolz. Schauts, wo ich aufs Jahr
ohnedem mich mit dem Gedanken trage, zuiück-
zutreten — nein, es ist unmöglich !
Der zweite: Riedl, du mußt.
Der dritte: Riedl, es bleibt dir nix übrig.
Riedl: Am End den Franzjosefsorden auch ?
Der erste: Aber im Gegenteil, den kannst
jetzt im Lehmann fett drucken lassn !
Riedl (kämpft mit sich, dann mit großem Entschluß):
Alstern gut — ich will es tun ! Ich weiß, was ich
dem Vaterlande schuldig bin. Ich verzichte auf die
111
Ehrungen, die mir die feindlichen Regierungen
erwiesen haben, die Saubeuteln ! Ich würde nicht
einmal das Geld für den Klumpert zrucknchmen!
Alle (durcheinander) : Hoch Riedl ! — Das is
halt doch unser Riedl ! — Es lebe die Wienerstadt
und unser Riedl! — Der Stephansturm soll leben
und unser Riedl daneben ! — Gott strafe England! —
Er strafe es! — Nieder mit Montenegro! — Schmeiß'n
weg ! — Der Riedl is der größte Padriot !
Riedl (sich die Stirn wischend.) : Ich danke euch —
ich danke euch — gleich telephonier ich zhaus, daß
sie's zum Roten Kreuz hintragen. Morgen werds ihr
schon lesen können — (er wird nachdenklich) Hier steh
ich, ein entleibter Stamm.
Der zweite: Schauts, wie gebildet der
Riedl is, jetzt redt er sogar schon klassisch.
Riedl: Das is nicht klassisch, das sagt
immer der Doktor vom Extrablatt, wenn er im
Angehn verliert. Jetzt — (gebrochen) verlier — ■ ich!
Der dritte: Nicht traurig sein, Riedl! Nicht
traurig sein ! Was d' jetzt hergibst, später kriegst es
doppelt und dreifach wieder herein. Und vielleicht
früher, als wie du glaubst.
(Ein Kellner stürzt in das Zimmer.)
Der Kellner: Herr von Riedl, Herr von Riedl,
eine Karten is kommen, d' Fräuln Anna hat g'sagl,
ich soll laufen — das is großartig — das ganze
Lokal is in Aufregung —
Riedl: Gib her, was is denn — (liest, vor
freudigem Schreck zitternd) Meine Herrn — in dieser
Stunde — es is ein historischer Augenblick — ich
hab als Padriot und schlichter Gewerbsmann, wo
ich von meinen Mitbürgern zahllose ehrende Beweise
ihrer Anhänglichkeit — indem ich als Obmann —
aber so etwas — nein — schauts her —
Alle: Ja, was is denn?
112
R i e d 1 : Mein glorreichster Stammgast — unser
erstklassigster Schlachtenlenker — hat — während der
Schlacht — an mich — gedacht ! Halts mich ! Das
muß ich — dem — Extrablatt —
(Alle halten ihn und lesen.)
Der erste: No geh, ich hab weiß Gott was
glaubt. Was der für G'schichten macht! Ich hab
gestern eine Karten vom Brudermann kriegt —
(zieht sie aus der Tasche.)
Riedl: Hör auf, das is mir peinlich —
Der zweite: No hörts, was is denn da dabei,
ihr seids ja narrisch — mich touchiert so etwas
nicht. Ich hab nämlich vorgestern vom Pflanzer-
Baltin — (zieht sie aus der Tasche.)
Der dritte: Ihr bildts euch alle an Patzen
ein. Ich hab zufällig schon vorige Wochen vom
Dankl — (zieht sie aus der Tasche.)
Alle drei (lesen gleichzeitig vor): In dieser Stunde,
in der ich sonst in Ihren mir so trauten Räumen
saß, denke ich an Sie und Ihr Personal und
sende Ihnen herzliche Grüße aus fernem Feldlager.
Dankl — Pflanzer— Brudermann.
Riedl (ausbrechend) : Das gibts nicht ! Das is
ein Plagat ! Ein Plagat is das ! A Schwindel I
Ihr seids Flohbeutln gegen mich. Ich laß mir das
net gfallen ! Vorläufig hab ich noch kan Orden
zruckg'legt, fallt mr gar net ein, und wenn mir der
Auffenberg das nicht sofort aufklärt — behalt ich
sie alle! ,., ,, >
(Verwandlung.)
18. Szene
In der Wiener Deutschmeisterkaserne.
(Ein elegant gekleideter Herr, etwa 40 Jahre, wartet in einem
schmutzigen Raum, in dem kein Sessel ist. Feldwebe! Weiguny
tritt ein.)
Der Herr: Entschi^ldigen Sie — Herr Feld-
webel — könnten Sie mir — vielleicht sagen — ich
steh nämlich jetzt drei Stunden hier — und kein
113
Mensch kommt — ich habe nämlich einen C-Befund —
ich habe mich freiwillig vor dem Einrückungstermin
gemeldet, damit ich eine Kanzleiarbeil zugewiesen
bekomm — und da hat man mir gesagt, ich soll
gleich — dableiben — aber ich muß doch —
Der Feldwebel: Mäul halten!
Der Herr: Ja — bitte — aber also ich möchte
— ich muß — also bitte wenigstens — meine Familie
verständigen — und ich kann doch nicht so wie ich
bin — ich brauche also doch — also meine Sachen zum
Waschen — eine Zahnbürste, eine Decke und so — -
Der Feldwebel: Mäul halten!
Der Herr: Aber — bitte — entschuldigen Sie
— ich habe mich doch gemeldet — ich hab doch
nicht gewußt — ich muß doch —
Der Feldwebel: Blader Flund, wannst jetzt
no a Wort redtst, nachcr schmier i dr a Foizen
eini, daß d' —
(Der Herr zieht eine Zehnkronennote aus der Westentasche und
hält sie dem Feldwebel hin.)
Der Feldwebel: Alstern — schaunS'gnäHerr —
zhaus derf i Sie wirkli net lassen, dös geht net, aber
wann S' a Decken haben wollen — die verschaff i Ihna.
(Er verläßt den Raum.)
(Ein Kadett tritt aus dem Nebenraum.)
Der Kadett: Was? Du bist der, der den
Disput mit'n Feldwebel g'habt hat? Servus, kennst
mich nicht mehr? Wögerer, Athletikklub —
Der Herr: Ja richtig!
Der Kadett: Hast an C-Befund, gelt? — Du
hör anial, wie kannst denn du dich als intelligenter
Mensch mit'n Feldwebel einlassen?
Der Herr: Ja was soll ich denn machen?
ich steh jetzt drei Stunden da. Ich muß doch
nachhaus — meine Leute haben keine Ahnung —
ich hab mich freiwillig gemeldet —
Die letzten Tage der Menschheit. 8
114
Der Kadett: Na da bist schön hineinpumpst.
Wer hat dir denn den Rat geben? Aber wenn du
nachhaus willst, kannst natürlich gehn.
Der Herr: Ja aber wie macht man denn das?
Der Kadett: Lächerlich, du bist doch ein
besserer Mensch — ich hilf dir — du machst das so —
also du gehst zum Hauptmann —
Der Herr: Was, der läßt mich nachhaus?
Der Kadett: Sonst also natürlich nicht, der
is sehr streng, aber du mußt ihm ganz einfach sagen,
weißt aber ganz direkt, ohne Genierer, schneidig
(er salutiert) Herr Hauptmann, melde gehorsamst, i
muaß zu an Madl! — Paß auf, drauf sagt der
Hauptmann, wett'n, daß er das sagt: Was, zu an
Madl müssen S'? Fahrn S' ab, Sie Schweinkerl! —
No und nacher kannst gehn!
(Verwandlung.)
19. Szene
Kriegsfürsorgeamt.
Hugov. Hofmannsthal (blickt in eine Zeitung):
Ah, ein offener Brief an mich? — Das is lieb vom
Bahr, daß er in dieser grauslichen Zeit nicht auf mich
vergessen hat! (Er liest vor.) »Gruß an Hofmannsthal.
Ich weiß nur, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo,
doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich
Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's
der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie
schön von mir — « (F.r bricht die Vorlesung ab.)
Ein Zyniker: No — lies nur weiter! Schön
schreibt er der Bahr!
Hofmannsthal (zerknüllt die Zeitung): Der Bahr
is doch grauslich —
Der Zyniker: Was hast denn? (Nimmt die Zeitung
und liest bruchstückweise vor) »Jeder Deutsche, daheim
oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das
ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög es uns
115
Gott erhalten! Es ist der alte Weg, den schon
das Nibelungenlied ging, und Minnesang und Meister-
sang, unsere Mystik und unser deutsches Barock,
Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant
und Ficlite, Bach, Beethoven, Wagner. Glückauf,
lieber Leutnant — «
Hofmannsthal: Hör auf!
Der Zyniker (liest): »Ich weiß, Sie sind froh,
Sie fühlen das Glück, dabei zu sein. Es gibt kein
größeres.«
Hofmannsthal: Du, wenn du jetzt nicht
aufhörst —
Der Zyniker (liest): »Und das wollen wir uns
jetzt merken für alle Zeit: es gilt, dabei zu sein. Und
wollen dafür sorgen, daß wir hinfort immer etwas
haben sollen, wobei man sein kann. Dann wären
wir am Ziel des deutschen Wegs, und Minnesang
und Meistersang, Herr Walter von der Vogelweide
und Hans Sachs, Eckhart und Tauler, Mystik und
Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller,
Kant und Fichte, Beethoven und Wagner wären
dann erfüllt. — « Wie hängen denn die mit dir
zusammen? Ah, er meint vielleicht, daß sie enthoben
sind. »Und das hat unserem armen Geschlecht der
große Gott beschert!* Gott sei Dank! — (liest) »Nun
müßt ihr aber doch bald in Warschau sein!«
Hofmannsthal: Aufhören ! !
Der Zyniker: »Da gehen Sie nur gleich auf
unser Konsulat und fragen nach, ob der österreichisch-
ungarische Generalkonsul noch dort ist: Leopold
Andrian.« (Er bekommt einen Lachkrampf.)
Hofmannsthal: Was lachst denn?
Der Zyniker: Der is wahrscheinlich nach
Kriegsausbruch in Warschau geblieben, um den
einziehenden Truppen das Paßvisum auszustellen —
das is ja im Krieg unerläßlich — sonst können s'
nicht nach Rußland! (liest) »Und wenn ihr so vergnügt
beisammen seid, und während draußen die Trommeln
116
schlagen, der Poldi durchs Zimmer stapft und mit
seiner heißen dunklen Stimme Baudelaire deklamiert,
vergeßt mich nicht, ich denk an euch! Es geht euch
ja so gut — «
Hofmannsthal: Hör auf!
Der Zyniker: » — und es muß einem ja da
doch auch schrecklich viel einfallen, nicht? — «
Was dem alles einfallt!
Hofmannsthal: Laß mich in Ruh!
Der Zyniker: Du kommst doch sowieso bald
nach Warschau? Auf Propaganda, mein' ich oder so.
Wirst wieder deinen Hindenburg- Vortrag halten?
Hofmannsthal: Ich sag dir, laß mich in Ruh —
Der Zyniker: Du, eine Kälten hats heut
wieder — ich muß doch läuten, daß er das Wacht-
feuer nachlegen kommt.
Hofmannsthal: Also das is eine Gemeinheit —
du — pflanz wen andern, laß mich arbeiten!
(Der Poldi triU ein.)
Der Poldi (heiße, dunkle Stimme): Gu'n Tog, du
Hugerl v/eißt nix vom Bohr?
(Hofmannsthal hält sich die Ohren zu.)
Der Zyniker: Habe die Ehre, Herr Baron,
Sie kommen wie gerufen.
Der Poldi: Du Hugerl is wohr daß der Bohr
in dem Johr noch nicht do wor oder is er gor
eingrückt?
Der Zyniker: Was, der auch?
Hof mann st hal: Du der Mensch is zu
grauslich — komm, gehn wir da hinein —
Der Poldi: Du Hugerl, der Baudelaire is ganz
gscheidt, ich trog dir ein poor Soeben vor.
Hofmannsthal: Und ich zeig dir meinen
Prinz Eugen!
Der Poldi: Wunderbor!
(Vervc-andlung.)
117
20. Szene
Bukowinaer Front. Bei einem Kommando.
Die Oberleutnants Fallota und Beinsteller treten auf.
Fallota: Weißt also, gestern hab ich mir
eine fesche Polin aufzwickt — also tulli! Schad, daß
man sie nicht in das Gruppenbild hereinnehmen kann,
was wir der Muskete schicken.
Beinsteller: Aha, ein Mägdulein! — Du, der
Feldkurat soll fürs Intressante photographiert wem,
zu Pferd, wie er einem Sterbenden das Sakrament gibt.
Das wird sich ja leicht machen lassen, kann zur Not
auch gstellt wern, weißt soll sich ein Kerl hinlegen
und dann hat die Redaktion noch ersucht, sie brauchen
ein Gebet am Soldatengrab, na das geht ja immer.
Fallota: Du, ich hab dir gestern eine Auf-
nahme gemacht, die aber schon sehr in^ressant is. Ein
sterbender Russ, ein Schanerbild, mit an Kopfschuß,
ganz nach der Natur. Weißt, er hat noch auf den
Apparat starren können. Du, der hat dir einen Blick
gehabt, weißt, das war wie gstellt, prima, glaubst
daß das was fürs Intressante is, daß sie's nehmen?
Beinsteller: No und ob, zahlen auch noch.
Fallota: Glaubst? Du, richtig, also hast was
versäumt, der Korpral is dir gestern ohnmächtig
worn, wie er den Spion, weißt den ruthenischen
Pfarrer, bei der Hinrichtung für den Sascha-Film
ghalten hat, schad daß du nicht dabei warst.
Beinsteller: No was hast mit dem Kerl gmacht?
Fallota: No anbinden naturgemäß. Wer' ihn
doch nicht einspirrn, wir leben ja nicht im Frieden —
einspirrn, das möcht so den Kerlen schmecken.
Beinsteller: Weißt, ich versteh die Russen
nicht. Die Gefangenen erzählen dir nämlich, daß es
bei denen überhaupt keine solchene Strafen gibt!
Fallota: Hör mr auf mit der Schklavennation!
Hast schon das Gedicht vom Kappus glesen? In
Fers und sogar gereimt!
118
Beinsteller: No überhaupt, die Muskete is
jetzt zum Kugeln — der Schönpflug —
Fallota: Was, das is ganz was Andreas! Du
ich schick ihr einen Witz — Du, weißt was, ich fang
jetzt an ein Tagebuch, da wird alles drin stehn, was
ich erlebt hab. Vorgestern vom Mullatschak ange-
fangen. Eine fesche Polin, sag ich dir, aber schon
sehr fesch — (macht eine Geste, die auf Fülle weist.)
Beinsteller: Aha, einen Busam — no ja
du erlebst was, weißt ich interessier mich mehr für
die Bildung. Ich lies viel. Jetzt bin ich bald mit'n
Engelhorn fertig. Früher v/ie ich unten war — da is
auch viel mullattiert worn. Bißl Musik, ja. Mir ham
jetzt ein Grammophon aus'n Schloß. Da könntest
du mir deine Polin leihn, daß sie dazu tanzt.
Fallota: W^eißt wer auch schon viel erlebt
haben muß heraußt? Der Nowak von die Vierzehner,
das war dir immer ein Hauptkerl. Wenn der nicht
seine sechzig Schuß täglich am Gwehr angschrieben
hat, wird er schiech auf die Eigenen. Der Pühringer
hat mir neulich eine Karten gschrieben, also der
Nowak sieht dir einen alten serbischen Bauern
drüben von der Drina Wasser holen. No weißt,
Gefechtspause war grad, sagt er zum Pühringer, du,
sagt er, schau dir den dort drüben an, legt dir an,
bumsti, hat ihm schon. Ein Mordskerl der Nowak.
Schießt alle ab. Er is auch schon eingegeben fürn
Kronenorden.
Beinsteller: Klassikaner ! Die Friedenspimpfe
verstehn so was natürlich nicht. Weißt, neugierig
bin ich wie sich der Scharinger herauswuzeln wird
aus der blöden Gschicht, hast nix ghört?
Fallota: Weil er sich beim Sturm druckt hat?
Beinsteller: Aber erlaub du mir, da wird
man doch nicht einen Berufs —
Fallota: Ah ja so, da war eine Gschicht, er
hat den Koch, weil was anbrennt war, in die
Schwarmlini —
119
Beinsteller: Aber nein, wegen an Mantel —
weißt denn nicht, er is doch damals einzogen wo
vorher der Oberst, der Kratochwila von Schlachtentreu
gwohnt hat, no und da hat er halt an Mantel von
ihm mitgehn lassen, der dort noch glegen is, nacher
wie er wieder weg is. Weißt denn nicht? Also laß dr
erzählen. Der Oberst trifft ihm und sieht den Mantel,
eingepackt. Der Scharinger redet sich aus, er sagt,
er hat geglaubt, es is ein Mantel vom Feind, der ihn
aus'n Schloß genommen hat, und er will ihn grad
zurückgeben. Ergo dessen — no du kannst dir die
Sauerei vorstellen. No wird sich schon herauswuzeln.
Fallota: Ich versteh das nicht — alleweil mit
so was. Ich hab bisher noch keine Schererein ghabt
mit so was. Wenns Beutestück sind — also dann
natürlich! No überhaupt damals! Der Josef Ferdinand
selber hat sich a schönes Gspann gnommen und
Paramenten, weißt er is halt bekanntlich kunstsinnig
du und Schmuckgegenständ und so. Weißt ich hab
auch paar feine Sacherln kriegt damals — da hab
ich dir gleich einen Spurius gehabt — no und
richtig — also du ein Klavier, da muß man schon
lulli sagn.
Beinsteller: No da legst di nieder.
Fallota: No was willst haben, die Generalin hat
Wäsche und Kleider aus der Einquartierung genommen,
no nur zu eigenem Gebrauch natürlich, weißt die
Tochter kriegt eh dicAusstatiung durchs KM. Das waren
halt Zeiten. Da hams Getreide und Viecher mitgehn
lassen und halt sonst so Sachen, was man braucht.
Und a Hetz hats immer geben, Bastonnaden und so.
Alles mit Schampus. Aber jetzt is stier. Ich kann nicht
sagen, daß es mich grad freut hier heraußt, abgsehn
von die Menscher.
Beinsteller: Mir scheint, jetzt hams v/ieder
ein Gusto auf ein Sturm, das is wenigstens a
Abwechslung.
120
Faüota: Beim letzten wars zu blöd. 2000 Ver-
wundete, 600 Tote — weißt ich bin nicht sentimental
und bin immer dafür, daß gearbeitet wird —
Beinsteller: War mir auch ein Schleier.
Fallota: Nicht ein Grabenstückl, nur ftirn
Bericht. Vier Wochen sind die Leut glegen —
Beinsteller: Eben darum. Da hams wieder
austarokiert oben. Lass mas amal stürmen, heißt's
da. Wenn die Mannschaft anfangt, mit'n Dörr-
gemüse unzufrieden z'werden, laßt mas stürmen.
Schon damit s' nicht aus der Übung kommen. Der
Blade sagt nachher: Schauts, is das a Resultat? Ah
was, hat's gheißen, die Leut haben sonst eh nix
anderes zu tun. Aber die höhere Strategie is das
nicht, das muß ich schon sagen, wiewohl ich doch
gewiß nicht zu die Zimperlichen gehör! Aber ich sag,
wenns nicht sein muß — sparen mit'n Menschen-
material. So — erst verpulvern s' die ausgebildeten
Leut, nacher schicken sie s' frisch von der Musterung.
So Krepirln, was eine Handgranaten nicht von an
Dreckhäufl unterscheiden können. Is das ein Ghörtsich?
Fallota: Na ja, damit tegeln s' sich beim
Pflanzer ein.
Beinsteller: Na servus, der Oberst is fuchtig,
wenn bei an Rückzug zu viel am Leben bleiben. Was?
hat er eine Kompagnie angschrieen, warum wollts
ihr nicht krepiern? System Pflanzer Baldhin, sagen s'
beim Böhm-Ermolli.
Fallota: Neulich war a Hetz mit die Verwundeten.
No ja, wer hat denken können, daß das solche
Dimensionen annehmen wird, waren halt nicht genug
Sanitätswagen. Weißt, die Autos waren halt alle in
der Stadt mit die Generäle, ins Theatei und so.
Da hams hineintelephoniert, aber herauskommen is
keins. No da war dir ein Durcheinander!
Beinsteller: Mit die Verwundeten is immer
eine Schererei.
121
Fallüta: Auf die Eigenen sollten s' halt doch
mehr schaun bei uns. Eher versteh ich noch, daß
man die Bevölkerung zwickt, aber Truppen braucht
man doch schließlich. In dem Monat hamr zweihundert-
vierzig Todesurteil gegen Zivilisten ghabt, stantape
vollzogen, das geht jetzt wie gschmiert.
Beinsteller: Warens p. v.?
Fallota: Halbscheit p. u.
Beinsteller: Was war?
Fallota: No Umtriebe hams halt gmacht und so.
Beinsteller: Geh.
Fallota: Weißt, ich bin nicht fürs Standrecht,
das is so a verbohrte juristische Spitzfindigkeit —
immer mit die blöden Schreiberein: Zu vollziehen!
Vollzogen! Hast du schon amal an Akt glesen, ich
nicht. Wenn ich mir meinen Sabul umgürte, brauch
ich so was nicht.
Beinsteller: Bei die Exekutionen soll man
auch noch dabei sein!
Fallota: No im Anfang hat mich das sogar
interessiert. Aber jetzt, wenn ich grad bei einer
Partie bin, schick ich 'n Fähnrich. Man hört's eh
ins Zimmer herein. Jetzt hamr a paar gute Juristen
aus vVien. Aber es is doch eine Viechsarbeit. Ich
bin eingegeben fürs Verdienstkreuz.
Beinsteller: Gratuliere. Du, wie gehts denn
dem Floderer? Schießt der noch immer auf die
Eigenen?
Fallota: Aber! Vor einem Jahr hams bei
ihm Paralyse konschtatiert — nutzt nix. Immer
schicken s' ihn weg, immer kommt er zrück. Wie
er das macht, is mir ein Schleier. Neulich hat er ein'
Feldwebel, den was der Leutnant um Munition schickt,
abgschossen, weil er sich eingebildet hat, der Kerl geht
zrück. Hat ihn gar nicht gfragt, bumsti, hin war er.
Beinsteller: Einer mehr oder weniger. Du
überhaupt, wenn man jetzt ein Jahr bei dem Gschäft
is — ich sag dir, tot, das is gar nix. Aber mit die
122
Verwundeten, das is eine rechte Schererei. Aufs
Jahr, wenn der Frieden kommt, wirds nur Werkel-
männer geben, ich haH mr jetzt schon die Ohren zu.
Was wird man mit die Leut anfangen? Verwundet —
das is so eine haibete Gschicht, Ich sag: Heldentod
oder nix, sonst hat man sich's selber zuzuschreiben.
Faliota: Mit die Blinden is gar z'wider. Die
tappen sich so komisch herum. Neulich wie ich
vom Urlaub fahr, komm ich in eine Station und
komm grad dazu, wie Mannschaft einen herumstößt
und lacht und macht Hetzen.
Beinsteller: No was willst — hättst sehn solln
wie der Divisionär neulich einen Zitterer pflanzt hat.
Faliota: No ja, einen feinfühligen Menschen
stiert so was, aber v/eißt, was ich in solchen Fällen
denk? Krieg is Krieg, denk ich halt in solchen Fällen.
Beinsteller: Du, was macht dein Bursch?
Wie alt is der jetzt?
Faliota: Grad 48. Gestern hat er zum
Geburtstag a Watschen kriegt.
Bei n steller: Was is der eigentlich?
Faliota: No Komponist oder so Philosoph.
Beinsteller: Du, der Mayerhofer war vorige
Wochen in Teschen. Der Gottsöberste geht jetzt dort
auf der Straßen, weißt wie? Mit'n Marschallsstab
spaziert er herum.
Faliota: Wenn er aufs Häusl geht, nimmt
er'n auch mit?
Beinsteller: Jetzt hat er vom Willi noch
einen kriegt, vielleicht geht er jetzt mit beide.
Faliota: Jögerl, das schaut dann aus wie
Krücken !
Beinsteller: Weißt, die dicke Jüdin aus Wien
stiefelt dort wieder herum, die einflußreiche Egeria —
wenn sich da was machen ließe, v/är nicht schlecht —
Faliota: Dir graust vor gar nix. No weißt — ich
war auch schon froh, wenn ich wieder in der Gartenbau
abends sein könnt und vorher an der Potenz ecken.
i
123
Beinsieller: Was? Die Gartenbau? Damit
wird sich's spieben!
Fallota: Wieso?
Beinsteller: No warst also jetzt in Wien und
weißt nicht, daß jetzt ein Spital dort is?
Fallota: Ja richtig! (versunken) ja natürlich —
no du aber hier bin ich auch nicht schlecht ein-
gerichtet. Du jetzt hab ich dir wieder a Klavier und
a Tischlampen —
Beinsteller: Tischlampen, der Schlampen,
das Schlampen.
Fallota: Du mir sclieint, ein Regen kommt.
Beinsteiler (sieht hinauf): Ah, sie regnet!
Gehmr.
Fallota: Hast nix vorn Doderer ghört? Der hat
dir ein Mordsglück.
BeinsteFler: Ja, der war dir immer ein
Feschak.
Fallota: Ein Feschak is er, das is Wcihr.
Aber ein Tachinierer, ujeh!
(Vcrvc'andlung.)
21. Szene
Ein Schiachtfeld. Alan sieht nichts. Im fernen Hintergrund
hin und wieder Rauchentwicklung. Zwei Kriegsberichterstatter
mit Breeches, Feldstecher, Kodak.
Der erste: Schämen Sie sich, Sie sind kein
Mann der Tat, schaun Sie mich an, ich hab den
Balkankrieg mitgemacht und mir is gar nichts
geschehn! (Duckt sich.)
Der zweite: Was is geschehn, ich geh um
keinen Preis weiter.
Der erste: Nichts. Das sind Einschläge.
(Duckt sich.)
Der zweite: Gotteswillen, was war das jetzt?
(Dickt sich.)
124
D e r e r s t e : Ein Blindgänger, nicht der Rede wert.
Der zweite: Jü, ein Blindgänger, Gott!
Nein, so hab ich mir das nicht vorgestellt.
Der erste: Nehmen Sie Deckung.
Der zweite: Was soll ich nehmen?
Der erste: Deckung! Geben Sie den Feld-
stecher her.
Der zweite: Was bemerken Sie?
Der erste: Herbstzeitlosen. Das erinnert
mich an den Balkankrieg. Die Stimmung hätt ich.
(Er lauscht.)
Der zweite: Was hören Sie?
Der erste: Raben. Sie krächzen als ob sie
witterten die Beute. Ganz wie im Balkankiieg. Und
es iockt die Gefahr.
Der zweite: Gehmr.
Der erste: Sie Feigling! Und es lockt die
Gefahr. (Ein Schuß.) Um Gotteswillen ! Sind dort nicht
unsere Leute?
Der zweite: Vom Preßquartier?
Der erste: Nein, die Eigenen.
0er zweite: Mir scheint ja.
Der erste: Sind brave Bursche. Dachte keiner
an seine Lieben, dachte jeder nur an den Feind.
Was liegt dort?
Der zweite: Nichts, italienische Leichen, die
vor unseren Stellungen liegen.
Der erste: Moment! (Er photographiert.) Nichts
erinnert daran, daß man im Krieg ist. Nichts sieht
man, was an Elend, Not, Mühsal und Greuel gemahnt.
Der zweite: Moment! Ich spüre jetzt den
Atem des Krieges. (Ein Schuß.) Gehmr.
Der erste: Das war nichts. Die Affäre stellt
sich als ein Vorpostengefecht dar.
Der zweite: Warn wir in Villach geblieben —
Gott, gestern hab ich mit dem Sascha Kolowrat
gedraht — ich hab Ihnen gesagt, ich hab keinen
Ehrgeiz. Sie wern sehn, der Punkt is eingesehn.
125
Der erste: Wenn Sie nicht einmal Plänkeleien
vertragen können, tun Sie mir leid.
Der zweite: Bin ich ein Held? Bin ich ein
Alexander Roda Roda?
Der erste: Ich bin auch kein Ganghofer,
aber ich kami Ihnen nur sagen, schämen Sie sich
vor der Schalek! Dorten kommt sie! Da können
Sie sich verstecken —
Der zweite: Gut. (Er versteckt sich. Ein Schuß.)
Der erste: Ich will übrigens auch nicht, daß
sie mich sieht. (Er legt sich nieder.)
Die Schalek (erscheint in voller Ausrüstung und
spricht die Worte): Ich will hinausgehen, dorthin, wo der
einfache Mann ist, der namenlos ist! (Sie geht ab,)
Der erste: Sehn Sie, da können Sie sich ein
Beispiel nehmen. (Sie erheben sich.) Die geht bis vorn.
Und wie sie sich für das Ausputzen der feindlichen
Gräben intressiert — !
Der zuleite: No ja, das is was für Frauen,
aber unsereins?
Der erste: So, und wie sie beschreibt, wie
sie im Kugelregen war — da fühlen Sie sich als
Mann nicht beschämt?
Der zweite: Ich weiß ja, sie is tapfer. Aber
mein Ressort is Theater.
Der erste: Wie sie die Leichen beschreibt,
Kleinigkeit der Verwesungsgeruch!
Der zweite: Das liegt mir nicht.
Der erste: Wer hat sich darum gerissen,
einen Flankenangriff mitzumachen? Sie! Und jetzt
möchten Sie davonlaufen, wenn Sie Patrouillen sehn.
Früher haben Sie das Maul voll genommen —
Der zweite: Jeder von uns war im Anfang
mitgerissen. Aber jetzt, nach einem Jahr Krieg —
Der erste: Sie haben geschrieben, Sie wollen
sich den Krieg an der Südwestfront ansehn. No also,
sehn Sie sich ihn an, da haben Sie ihn. (Duckt sich.)
126
Der zweite (duckt sich): Gegen Rußland war
das ganz anders, da is man nicht aus dem Hotel
herausgekommen, ich hab darin keine Erfahrung
gehabt, meinetwegen halten Sie mich für einen
Feigling, ich sag Ihnen ich geh nicht weiter!
Der erste: Aber der Hauptmann kommt doch
gleich, er hat garantiert, daß nichts passiert.
Der zweite: Ich will aber nicht. Ich schick
das Feuilleton so ab, die paar technischen Ausdrücke
geben Sie mir.
Der erste: Sie haben nicht die Schule des
Balkankriegs durchgemacht, ich versteh nicht, wie
einem nicht die Gefahr locken kann. (Duckt sich.)
Der zweite: Aber ich bitt Sie, ich kenne das.
Ich habe diesen Rausch, dieses selige Vergessen vor
dem Tode beschrieben, Sie wissen, wie zufrieden der
Chef war, massenhaft Zuschriften sind gekommen,
wissen Sie nicht mehr? Ich bin doch eingegeben
fürs Verdienstkreuz! (Duckt sich.)
Der erste: Ich versteh aber nicht, wie man
nicht gerade darin Befriedigung findet, daß man sich
selbst überzeugt — (Schuß.) Um Gotteswillen, was
war das jetzt?
Der zweite: Sehn Sie — wären wir nur schon
zurück im Preßquartier! Dort is man wenigstens nicht
vom Feind eingesehn.
Der erste: Mir scheint stark, das ist der
Gegenstoß! Na und wennschon. Jetzt heißt es aus-
harren, wohin den Soldaten unsere Pflicht gestellt hat.
Der Hauptmann hat eigens für uns die zerstörte
Brücke herrichten lassen — jetzt sind wir einmal da,
jetzt heißt es sich zusamm.nehmen. C'est la guerre!
(Duckt sich.) Ich bin auch für Stimmungen, aber im
Ernstfall — nur Stimmungsmensch sein, das geht
nicht! Sie sind eben im Frieden nie aus den
Premieren herausgekommen, das rächt sich jetzt.
Warum haben Sie sich überhaupt für Kriegsbericht-
erstattung gemeldet?
127
Der zweite: Was heißt das, soll ich dienen?
Der erste: No ja, aber ein bisserl Haltung
sind Sie dem Blatt schuldig. Krieg ist Krieg.
Der zweite: Als Held hab ich mich nicht
aufgespielt.
Der erste: Aus Ihrem letzten Feuilleton hat man
stark denEindruckgewinnen müssen, daßSie einer sind.
Der zweite: Feuilletc i is Feuilleton. Bitt Sie,
tun Sie nicht, als ob Sie das nicht wüßten — Gott,
was war das wieder?
Der erste: Nichts, ein kleinkalibriger Mörser
älteren Systems von der Munitionskolonne IV b Flak.
Der zweite: Wie Sie die technischen Aus-
drücke beherrschen! Ist das nicht der, der immer
tsi-tsi macht?
Der erste: Sie haben wirklich keine Ahnung.
Das is doch der, der immer tiu-tiu macht!
Der zweite: Da muß ich etwas im Manuskript
ändern — wissen Sie was, ich geh zurück, damit es
früher abgeht. Es muß doch noch genehmigt wem.
Der erste: Ich sag Ihnen, bleiben Sie da.
Allein bleib ich nicht.
Der zweite: Also hat das einen Sinn?
Der erste: Sie, wir können uns nicht blamieren.
Die Offiziere lachen sowieso schon. Ins Gesicht sind sie
natürlich freundlich, weil sie genannt wem wollen
bei der Offensive, aber ich hab oft das Getühl, daß
sie sich beim Rückzug über uns lustig machen.
Grad will ich ihnen einmal zeigen, daß ich meinen
Mann stelle. Schaun Sie, im Preßquartier is es doch
so fad —
Der zweite: Lieber fad wie gefährlich.
Der erste: Schaun Sie, kann Ihnen das auf
die Dauer konvenieren? Ein Jahr dauert das jetzt
schon. Wir fressen aus der Hand. Man reicht uns
den Schmus, wir haben nichts zu tun wie den
Namen druntersetzen. Er lügt und wir müssen unter-
schreiben. No is das ein Leben?
128
Der zweite: Kommt mir ohnedem lächerlich
genug vor. Was geht das alles mich an? Einmal
im Monat das Feuilleton — das is noch die
Erholung, da kann man schildern, wie sie erleben.
Aber was hab ich zu unterschreiben, wenn der Feind
is zurückgeworfen, wenn er nicht is zurückgeworfen?
Bin ich Höfer? Bin ich der verantwortliche Redakteur
vom Weltkrieg?
Der erste: Bittsie, Höfer — da war ich
mehr draußen wie Höfer!
Der zweite: Mir paßt das alles nicht,
ich wer' mit dem Divisionär sprechen, was mit dem
Fronttheater is.
Der erste: Fronttheater? Wie meinen Sie das? —
Ah so.
Der zweite: Die Idee hat ihm imponiert und
da bin ich in meinem Feld. Heut bei Tisch will ich
ihn erinnern. Ich sag ihm ins Gesicht, daß mir der
Dienst nicht paßt.
Der erste: No ja, Erfolge wie Ganghofer
blühn für unsereins nicht. Für unsereins wird nicht
eigens ein Gefecht arrangiert.
Der zweite: Wieso, davon weiß ich gar nicht.
Der erste: Davon wissen Sie nicht? Bei
seinem letzten Besuch an der Tiroler Front!
Siebzehn Eigene sind sogar durch zurückfliegende
Geschoßböden getötet oder wenigstens verwundet
worn, das war die größte Anerkennung der Presse,
die ihr bis jetzt im Weltkrieg widerfahren is!
Der zweite: Wieso, das is doch ein Witz
aus'm Simplicissimus, daß sie mit der Schlacht
warten, bis Ganghofer kommt.
Der erste: Ja, zuerst war es ein Witz
aus'm Simplicissimus und dann is es wahr geworn.
Der Graf Walterskirchen, der Major, is auf und
davongegangen, wütend. Er war kein Freund der
Presse, er is nie genannt worn, vorgestern, hab ich
gehört, is er gefallen.
i2d
Der zweite: Sehn Sie, zu solchen Ehren
kommt unsereins doch nicht. Ich Sprech mit ihm
heut wegen dem Fronttheater ! Wenn man noch dazu
kein Hüne is wie Ganghofer. Was wollen Sie von
mir haben? Schaun Sie sich den Maler Haubitzer
an — dort steht er und malt. Ein Riese is das
gegen mich. Der hat in der Kaiserbar den Prinz Eugen
gesungen, daß man geglaubt hat, der allein muß
schon siegen. Jetzt? Was glauben Sie, wie der zittert
beim Malen! Der furcht sich mehr wie wir alle!
Der erste: Vielleicht wie Sie! Wie ich nicht!
Überhaupt lassen Sie Haubitzer in Ruh. Er hat
genug Mut, er malt die Schlacht im Freien, wiewohl
er erkältet is. Haben Sie sein Bild gesehn? Ich mein'
die Photographie von ihm im Interessanten Blatt,
Maler Haubitzer im Felde.
Der zweite: Von mir aus — ich geh um
keinen Preis weiter.
Der erste: Nehmen Sie sich ein Beispiel an
Ludwig Bauer im Balkankrieg I
Der zweite: Bauer is im Weltkrieg in der
Schweiz, war ich auch in der Schweiz!
Der erste: Nehmen Sie sich ein Beispiel an
Szomory, oder zum Beispiel an den Soldaten. Die beißen
die Zähne zsamm, die lassen sich nicht unterkriegen —
(duckt sich.) Sie wollen also, daß wir zurückgehn?
D e r z w e i t e : Ja, bis Wien ! Ich hab Stimmungen
einzufangen. Da geb ich meinen Namen I Wenn er
im Blatt steht neben ihr, neben Irma von Höfer,
gut. Aber neben ihm — hab ich das nötig? Da
schäm ich mich offengestanden.
Der erste: Ich nicht! Ich stehe hier in
Ausübung einer einmal übernommenen Pflicht.
(Er wirft sich auf die Erde.)
Der zweite: Sie haben von jeher für das
strategische Moment eine starke Schwäche gehabt.
(Man hört einen Krach.) Gotteswillen!
Der erste: Was sind Sie so erschrocken?
Die letzten Tage der Menschhei*. 9
130
Der zweite: Jetzt — hab ich geglaubt — das
is ja fast — wie die Stimme — vom Chef!
Der erste: Sie Held Sie — das war doch nur
der große Brummer! (Beide laufen weg, hinter ihnen, gleich-
falls im LaufschriU, der Maler Haubitzer mit Zeichenmappe,
ein weißes Taschentuch schwingend.)
(Verwandlung.)
22. Szene
Vor dem Kriegsministerium.
(Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.)
Der Optimist: Sie legen Scheuklappen an,
um die Fülle von Edelsinn und Opfermut, die der
Krieg an den Tag gefördert hat, nicht zu bemerken.
Der Nörgler: Nein, ich übersehe nur nicht,
welche Fülle von Entmenschtheit und Infamie nötig
war, um dieses Resultat zu erzielen. Wenn's einer
Brandstiftung bedurft hat, um zu erproben, ob
zwei anständige Hausbewohner zehn unschuldige
Hausbewohner aus den Flammen tragen wollen,
während achtundachtzig unanständige Hausbewohner
die Gelegenheit zu Schuftereien benützen, so wäre es
verfehlt, die Tätigkeit von Feuerwehr und Polizei
durch Lobsprüche auf die guten Seiten der Menschen-
natur aufzuhalten. Es war ja gar nicht nötig, die
Güte der Guten zu beweisen, und unpraktisch,
dazu eine Gelegenheit herbeizuführen, durch die
die Bösen böser werden. Der Krieg ist besten-
falls ein Anschauungsunterricht durch stärkere
Kontrastierung. Er kann den Wert haben, daß er
künftig unterlassen werde. Ein einziger Kontrast, der
zwischen gesund und krank, wird durch den Krieg
nicht verstärkt.
Der Optimist: Indem die Gesunden gesund
und die Kranken krank bleiben?
Der Nörgler: Nein, indem die Gesunden
krank werden.
131
Der Optimist: Aber auch die Kranken gesund.
Der Nörgler: Sie denken dn an das bekannte
Stahlbad? Oder an die bewiesene Tatsache, daß die
Granaten dieses Krieges Millionen Krüppel gesund
geschossen haben? Hunderttausende Schwindsüchtiger
gerettet und ebensoviele Luetiker der Gesellschaft
zurückgegeben?
Der Optimist: Nein, dank den Errungen-
schaften der modernen Hygiene ist es gelungen, so
viele im Krieg Erkrankte oder Beschädigte zu heilen —
Der Nörgler: — um sie zur Nachkur an die
Front zu schicken. Aber diese Kranken werden ja
nicht durch den Krieg gesund, sondern trotz dem
Krieg und zu dem Zweck, um wieder dem Krieg
ausgesetzt zu werden.
Der Optimist: Ja, es ist nun einmal Krieg.
Vor allem aber ist es unserer fortgeschrittenen
Medizin gelungen, die Verbreitung von Flecktyphus,
Cholera und Pest zu verhindern.
Der Nörgler: Was wiederum nicht so sehr
ein Verdienst des Krieges ist als einer Macht, die
sich ihm in den Weg stellt. Aber sie hätte es noch
leichter, wenn's keinen Krieg gäbe. Oder soll es für
den Krieg sprechen, daß er die Gelegenheit geboten
hat, ein wenig seinen Begleiterscheinungen bei-
zukommen? Wer für den Krieg ist, hätte diese mit
größerem Respekt zu behandeln. Schmach einem
wissenschaftlichen Ingenium, das sich auf Prothesen
etwas zugute tut anstatt die Macht zu haben, Knochen-
zersplitterungen vorweg und grundsätzlich zu verhüten.
In ihrem moralischen Stand ist die Wissenschaft, die
heute Wunden verbindet, keine bessere als jene, die
die Granaten erfunden hat. Der Krieg ist eine sittliche
Macht neben ihr, die sich nicht nur damit begnügt,
seine Schäden zusammenzuflicken, sondern es zu
dem Zweck tut, das Opfer wieder kriegstauglich zu
machen. Ja, so antiquierte Gottesgeißeln wie Cholera
und Pest, Schrecknisse aus Kriegen von annodazumal.
9*
132
lassen sich von ihr imponieren und werden fahnen-
flüchtig. Aber Syphilis und Tuberkulose sind treue
Bundesgenossen dieses Kriegs, mit denen es einer
lügenverseuchten Humanität nicht gelingen wird
einen Separatfrieden abzuschließen. Sie halten Schritt
mit der allgemeinen Wehrpflicht und mit einer
Technik, die in Tanks und Gaswolken daherkommt.
Wir werden schon sehen, daß jede Epoche die
Epidemie hat, die sie verdient. Der Zeit ihre Pest!
Der Optimist: Da wären wir ja vor dem
Kriegsministerium angelangt. Das ist heute ein
erwartungsvoller Tag —
(Man sieht einen Trupp Schieber aus dem Haupttor kommen.)
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee —
Weltblaad!
Ein Flüchtling (der mit einem andern geht):
Geben Sie her! (reißt dem Kolporteur das Blatt aus der Hand,
liest vor) »Alles steht gut! Kriegspressequartier
30. August 10 Uhr 30 Minuten vorm. Die Riesen-
schlacht geht heute Sonntag weiter. Die Stimmung
im Hauptquartier ist gut, v/eil alles gut steht. Das
Wetter ist prachtvoll. Kohlfürst.«
Der zweite Flüchtling: Das muß etwas ein
Heerführer sein! (Ab.)
Der Nörgler: Die Masken an der Fassade
dieser Sündenburg, die rechts schaut und links schaut
machen, sind heute besonders stramm orientiert.
Wenn ich länger auf einen dieser entsetzlichen
Köpfe schaue, bekomme ich Fieber.
Der Optimist: Was haben Ihnen diese alten
martialischen Typen getan?
Der Nörgler: Nichts, nur daß sie martialisch
sind und dennoch den Sendboten Merkurs den Eintritt
nicht wehren konnten. Zu aller Blutschlamperei noch
dieser mythologische Wirrwar ! Seit wann ist denn Mars
der Gott des Handels und Merkur der Gott des Krieges?
Der Optimist: Der Zeit ihren Krieg!
133
Der Nörgler: So ist es. Aber die Zeit hat
nicht den Mut, die Embleme ihrer Niedrigkeit zu
erfinden. Wissen Sie, wie der Ares dieses Krieges
aussieht? Dort geht er. Ein dicker Jud vom Auto-
mobilkorps. Sein Bauch ist der Moloch. Seine Nase
ist eine Sichel, von der Blut tropft. Seine Augen
glänzen wie Karfunkelsteine. Er kommt zum Demel
gefahren auf zwei Mercedes, komplett eingerichtet
mit Drahtschere. Er wandelt dahin wie ein Schlaf-
sack. Er sieht aus wie das liebe Leben, aber Verderben
bezeichnet seine Spur.
Der Optimist: Sagen Sie mir, ich bitt Sie,
was haben Sie gegen den Oppenheimer?
(Vor dem Kriegsministerium ist inzwischen die Menschenmeng«
angewachsen, sie besteht zumeist aus deutschnationalen Studenten
und galizischen Flüchtlingen. Man sieht vielfach beide Typen
Arm in Arm und plötzlich ertönt der Gesang: E« broost ein
Ruf wie Donnerhall — )
Nepalleck und Angelo Eisner v. Eisenhof treten auf einander zu.
V. Eisner: Verehrter Hof rat, servitore, wie steht
das Befinden, was macht Seine Durchlaucht? Wir
haben uns ja seit damals —
N e p a 1 1 e c k : Djehre. Danke. Kann nicht klagen.
Durchlaucht gehts famos.
V. Eisner: Das Allerhöchste Anerkennungs-
schreiben damals, ja das war Seiner Durchlaucht zu
gönnen, das muß seinen Nerven rasend wohl getan
haben, die Gesellschaft ist jetzt auch nur einer Ansicht —
Nepalleck: No ja natürlich — und Sie Baron,
machen Sie viel mit? Von der Wohltätigkeit sehr in
Anspruch genommen, kann mir denken —
V. Eisner: Nein, da überschätzen Sie mich,
lieber Hofrat. Ich ziehe mich jetzt zurück. Da ist eine
Reihe neuerer Streber, denen man gern das Feld
überläßt. Es ist nicht jedermanns Geschmack, mit so
einer Klasse — nein, das tentiert mich gar nicht — da —
Nepalleck: No aber die gute Sache, die
gute Sache Baron, wie ich Sie kenne, werden Sie
134
die vielen Arrangements doch nicht ganz vernach-
lässigen, wenn Sie auch, wie ich ganz begreifhch
finde, nicht mehr selbst in die Komitees —
V. Eisner: Nein, ich walte jetzt nur im
Herrnhaus — ah was red ich, im Hausherrnverein, da
gibts Hals über Kopf zu tun, der Riedl, Sie wissen ja,
ist nicht mehr der Alte — er muß eine Enttäuschung
erlebt haben oder, ich weiß nicht, er scheint sich durch
den Krieg halt ein bißl vernachlässigt zu fühlen — ja, ja,
die populärsten Persönlichkeiten sind jetzt ein wenig
aus dem Geleise gekommen, andere drängen sich vor —
Nepalleck: Na ja, wird sich schon wieder
ausgleichen — auch bei uns ist —
v. Eisner: Ja, wir müssen alle Geduld haben.
Ich für meine Person habe sehr bittere Erfahrungen
gemacht. Wissen Sie, die Wohltätigkeit, das ist auch so
ein Kapitel. Uje, da könnt ich der Fackel Stoff geben —
wenn man sich mit dem Menschen einlassen könnte
heißt das. Wissen Sie, Hofrat, nur opfern und nichts
wie opfern und gar keinen Dank? Mein Gott ja,
ich entziehe mich natürlich nicht — meine Freunde
Harrach, Schönborn und die andern geben ihre Feste,
sie schicken mir ihre Karten — erst gestern hat mich
der Pipsi Starhemberg, Sie wissen doch, der was
sich mit der Maritschl Wurmbrand —
Nepalleck: Gehn S', ich war der Meinung,
daß er sich mit der Mädi Kinsky —
v. Eisner: Aber im Gegenteil, wo denken Sie
hin, da kommt doch nur der Bubi Windischgrätz in
Betracht, wissen S' der Major, der jetzt bei der
Gard is — also ich sag Ihnen, bestürmt wird man
von allen Seiten, erst gestern sagt mir der Mappl
Hohenlohe bei der Meß, wissen S', der wo sie eine
Schaffgotsch is, du, sagt er, warum machst du dich
jetzt so rar, sag ich ihm lieber Mappl tempora
mutatur, was jetzt für Leut obenauf sind, ich
begreif euch alle nicht, daß ihr da noch mittuts.
Ich für meine Person bin rasend gern dort, wo's
135
still is. Mit einem Wort, wo man nicht bemerkt
wird. Wissen Sie lieber Hofrat was er drauf gesagt
hat? Recht hast du, hat er gesagt! Ich denk nämlich
darin ganz wie der Montschi. Selbstverständlich leiste
ich pünktlich mein Scherflein — aber hingehn? Nein,
da kennen Sie mich schlecht. Ich war nie ein Freund
von der Öffentlichkeit. Wissen Sie, da kann es einem
noch passieren — man ist da harmlos bei einem
Tedeum, und am nächsten Tag steht man unter den
Anwesenden in der Zeitung!
Nepal leck: No das is zwider, das kenn ich.
Jetzt hab ich wenigstens drauf gedrungen, wenn's mich
schon nennen müssen, so wenigstens mit dem vollen
Namen. Nicht mehr wie bisher Hofrat Nepalleck,
oder Hofrat Wilhelm Nepalleck, sondern weil ich also
eigentlich Wilhelm Friedrich heiß — Hofrat Friedrich
Wilhelm Nepalleck. Was, das macht sich jetzt ganz gut,
da könnt ich gleich nach Potsdam übersiedeln —
V. E i s n e r : Das macht sich famos I Aber — nach
Potsdam übersiedeln? Hätten S' denn dazu Lust?
Nepal leck: Woher denn, es is nur wegen
der Nibelungentreue. Ich — meine Durchlaucht ver-
lassen! Noch heut is mir die Durchlaucht für das
Arrangement des höchsten Begräbnisses dankbar.
V. Eisner: Das war aber auch schön!
Nepalleck: Mit strikter Einhaltung — wie
eben ein Begräbnis dritter Klasse —
V. E i s n e r : Das ist Ihnen wieder einmal gelungen,
erstklassig. Wirklich furchtbar nett war das damals auf
der Südbahn. (Er grüßt einen Vorübergehenden.) War das
nicht ein Lobkowitz? Dann beklagt er sich wieder,
daß ich ihn nie erkenn — Also in Artstetten natürlich,
da — da hat man leider schon ein bißl gemerkt,
daß Sie Ihre Hand nicht im Spiel ghabt haben, da
is ziemlich ordinär zugegangen.
Nepalleck: Selbstverständlich — weil es uns
unmöglich gemacht wurde! Das Belvedere hat sichs
nicht nehmen lassen. Oh, wir haben drauf bestanden,
136
ich hab gsagt: nach dem spanischen Zeremoniell, da
gibts keine Würschtel! No, und da hats dann leider,
weil die Herrschaften so entetiert warn, also in
Artstetten halt doch Würschtel gegeben.
V. Eisner: Wie?
Nepalleck: No ja, die Feuerwehrleut habens
neben die Särge Ihrer Hoheiten gfressen, wie's Gewitter
war, die Särge sind nämlich im Kassenraum vom
Frachtenbahnhof gstanden, Zigarren hams graucht,
das war ein Skandal, na Sie wissen ja, wir sind
unschuldig, am Südbahnhof wars so schön feierlich.
V. Eisner: Ich denk's wie heut, ich bin damals
zwischen dem Gary Auersperg und dem Poldi
Kolowrat gestanden. Wir haben uns ja seit dem
historischen Augenblick nicht gesehn.
Nepalleck: Ja, wir haben unser Möglichstes
getan. Das Allerhöchste Anerkennungsschreiben hat
aber auch den gewissen Herrschaften die p. t. Münder
gestopft: »Stets in Übereinstimmung mit meinen Inten-
tionen.« Und vor allem, daß anerkannt worn is, wie sich
Durchlaucht, das heißt also wir sich mit dem Begräbnis
geplagt haben. Ich kanns auswendig: »In den jüngsten
Tagen hat das Hinscheiden Meines geliebten Neffen,
des Erzherzogs Franz Ferdinand, mit welchem Sie
andauernd vertrauensvolle Beziehungen verbanden — «
V. Eisner: Das waren zweiFliegen auf einen Schlag.
Nepalleck: Sehr richtig. » — ganz außerordent-
liche Anforderungen an Sie, lieber Fürst, herantreten
lassen und Ihnen neuerlich Gelegenheit geboten — «
v. Eisner: Gewiß, Seine Durchlaucht muß
glücklich gewesen sein, daß ihm das Hinscheiden
Gelegenheit geboten hat. Das kann man ihm nachfühlen.
Nepal leck: So ist es. » — Ihre aufopfernde
Hingebung an Meine Person und an Mein Haus in
hohem Maße zu bewähren.« Also bitte! Und wärmsten
Dank und volle Erkenntlichkeit für ausgezeichnete
treue Dienste, was will man mehr, da dürften wohl
manche Herrschaften zersprungen sein.
i
137
V, Eisner: Das Aüerhöchste Anerkennungs-
schreiben kann wohl nicht überraschend für Seine
Durchlaucht gekommen sein?
Nepalleck: Gar keine Spur, Durchlaucht hat
gleich nach der Leich die Initiative ergriffen —
das heißt, ich meine —
V. Eisner: Ach ja, Sie wollen sagen, die Ereig-
nisse haben sich überstürzt. Sehn Sie, lieber Hofrat,
und jetzt haben wir gar den Weltkrieg.
Nepalleck: Ja, eine gerechte, eine erhebende
Sühne! Ja, ja. Wenn Durchlaucht nicht die hiitiative
ergriffen hätte —
V. Eisner: Wie? Zum V/eltkrieg?
Nepalleck: Ah was red ich. Ich wollte sagen,
Allerhöchstes Ruhebedürfnis ganz einfach.
V. Eisner: Wie? Für'n Weltkrieg?
N e p a 1 1 e c k : Nein — verzeihen S' — ich hab an was
anderesgedacht. Ich wollte sagen, so hat das nichtweiter-
gehn können, so nicht. Wissen Sie, seit der Annexion —
V. E i s n e r : Ich hab's dem Ährenthal vorausgesagt.
Ich denk's wie heut, das war doch in dem Jahr, wo
die Alin' Palffy in die Welt gegangen is. Ich hab
ihn noch bis am Ballplatz begleitet —
Nepal lek: Wenns auch für den einzelnen
eine schwere Last ist —
V. Eisner: Ja, freilich, wer hat nicht zu klagen,
ich habe Verluste —
Nepal leck: Was? Auch Sie Baron?
V. Eisner: Ja, ja, kaum daß man sich mit ein
paar Lieferungen herausreißt. Ich bin eben grad auf
dem Weg da hinüber — dann treff icli vielleicht noch
den Tutu Trauttmansdorff — ja jetzt heißt es durch-
halten, durchhalten — die Hauptsache ist und bleibt,
daß sich unsre Leut gut schlagen, das Weitere findet
sich — Kompliment, Handkuß an Seine Durchlaucht —
Nepal leck: Danke, danke. Wer's bestellen,
Kompliment, Wiedersehn —
(Man hört den Oesang: Es broost ein Ruf — )
(Verwandlung.)
138
23. Szene
Am janower Teich. Ganghofer tritt jodelnd auf. Er trägt
Lodenjoppe, Smokinggilet, Kniehose, Rucksack und Bergstock,
eisernes Kreuz erster Klasse; unter dem Hut mit Gamsbart ist
ein blonder, ein wenig angegrauter Haarschopf sichtbar. Auf der
etwas gebogenen Nase sitzt ein goldener Zwicker.
Hollodriohdrioh,
Jetzt bin ich an der Front,
Hollodriohdrioh,
Dös bin i schon gewohnt.
Bin ein Naturbursch, wie
Man selten einen findt,
Leider schon zu alt
Zum Soldatenkind.
Z'wegn dem stell ich noch immer
Allweil meinen Mann.
Hab in Wean beim Szeps gedient,
Sehn S' mich nur an.
I hab ein Jagagmüat
Holldrioh, dös is wie echt
Und bekanntlich schreib ich
Gar net schlecht.
Als Schmock in Wean, da war
Zu groß die Konkurrenz,
Da bin ich schon verkracht
Im Lebenslenz.
Ins Lodengwandl bin
Ich gschwind hineingeschlieft
Und hab sogleich mich in
Den Wald vertieft.
Erst war ich Schmock im Blatt,
Jetzt bin ich Schmock im Wald,
Jetzt find ich glänzend meinen
Unterhalt.
i
139
In Bayern merken s' nicht,
Wie sehr ich bin verschmockt,
Da merken s' nur, daß ich
Bin blondgelockt.
Und in Berlin, da fliagen s'
Auf meinen Dialekt.
Den Erdgeruch der Preuß'
Am liebsten schmeckt.
Wo er an Lodenjanker
Und an Gamsbart sieht,
Wird dem Berliner wohlig
Ums Jemiet.
Durch Biederkeit hab ich
Die höchsten Herrn entzückt
Und Willem selber ist
Von mir berückt.
Daß ich ein alter Schmock,
Das fallt jetzt ins Gewicht,
Für die Freie Press' mach ich
Den Frontbericht.
Der Roda Roda kriecht
Nicht überall hinein,
Das höxte Interview
Gehört schon mein.
Als Jaga spricht mit mir
Der Kaiser Wilhelm gern.
Das ist doch schön von einem
Solchen Herrn.
Dann liest er mich als Schmock,
Das macht ihm wieder Freud,
Und so wart ich auf ihn
Am Anstand heut.
Hollodriohdrioh (man hört ganz fern ein Auto)
Tatü — tata — tatü —
Die ganze Welt spitzt auf
Die Entrevü,
140
Ein Flügeladjutant (erscheint im Laufschritt):
Ach da sind Sie ja Ganghofer. Majestät wird gleich
hier sein, Sie hörn schon die Tute. Nehmen Sie nur
recht 'ne burschikose Haltung an, Sie wissen, Majestät
hat das gern, machen Se keene Faxen, bleiben Sie
ganz unbefangen, wie Sie sind, wie wenn Se 'nem
alten Jagdkameraden gegenüberständen. Sie wissen,
Majestät hat in der Kunst nur drei Ideale: in der
Malerei Knackfuß, in der Musik den Trompeter von
Säckingen und etwa noch Puppchen du mein Augen-
stern, in der Literatur Sie lieber Ganghofer, und
etwa noch Lauff, Höcker und die Anny Wothe. Otto
Ernst hat auch manches Gute. Also — kein Lampen-
fieber Ganghofer, das haben Sie weiß Gott nich
nötig — stramm, wie's dem Jäger und Naturburschen
geziemt, Majestät wird Ihnen sicherlich unter herz-
lichem Lachen die Hand entgegenstrecken. (Man hört
das Signal: tatü-tata ~) Nu kommt Majestät. Der Photo-
graph der Woche ist mit ihm. Es soll ja mit eine
der packendsten Szenen v/erden, wie Kaiser und
Dichter zusammengehn, denn beide wohnen auf der
Menschheit Höhn. Ich denke da aber beileibe nicht
an Ihre Berge lieber Ganghofer, sondern an die
geistigen Höhen. Also Mut lieber Ganghofer —
(man hört ganz nah das Signal: tatü-tata — ) immer feste
druff !
(S. M. mit Gefolge. Im Hintergrund der Photograph der Woche.
S. M. geht auf den Dichter zu und streckt ihm imter herzlichem
Lachen die Hand entgegen.)
Der Kaiser: Ja Ganghofer, sind Sie dem
tiberall? Hören Sie mal Ganghofer, Sie sind gut!
Ganghofer: Majestät, mei Gmtiat hat sich
bemüat den Siegeslauf der deutschen Heere einzu-
holen. Fix Laudon, dös is aber gach ganga! (Er hüpft.)
Der Kaiser (lachend) : 's ist gut Ganghofer,
's ist gut. Ha — haben Sie schon Mittagbrot gegessen?
Ganghofer: Nein, Majestät, wer würde denn
in so großer Zeit an so etwas denken?
141
Der Kaiser: Um Gottes willen, da müssen
Sie doch gleich etwas essen ! (Der Kaiser winkt, es wird
ein Topf mit Tee gebracht nebst zwei festen Schnitten Gebäck,
Der Kaiser greift selbst mit der Hand in eine Blechdose, stopft
Ganghofer die Taschen mit Zwieback voll und sagt dabei immer
wieder:) Essen Sie Ganghofer, essen Sie doch!
(Der Photograph knipst.)
Der Kaiser: Waren Sie schon in Przemi'sel,
Ganghofer? Essen Sie doch, um Gotteswillen, essen
Sie doch 1 (Ganghofer ißt.)
Ganghofer: Untertänigsten Dank, Majestät.
Seil woll, in Pschemisl.
Der Kaiser: Na, sind Sie befriedigt? Ich
meine von Przemisel. Aber essen Sie doch, essen
Sie doch Ganghofer!
Ganghofer (essend): Seil woll. Fein war's in
dem Pschemisl.
Der Kaiser: Haben Sie Sven Hedin gesehen?
Essen Sie doch Ganghofer —
Ganghofer (essend): Seil woll, den hab i gsehn.
Der Kaiser (dessen Auge glänzt) : Das freut mich,
daß Sie diesen Mann kennen gelernt haben. Dieser
Schwede ist ein Prachtmensch. Wenn Sie ihn wieder-
sehen — aber so essen Sie doch Ganghofer —
grüßen Sie ihn herzlichst von mir.
(Ein russischer Flieger kommt von Osten her, er leuchtet in der
goldenen Abendsonne wie ein goldener Käfer. Hinter ihm puffen
Schrapnells empor. Der Kaiser steht ruhig, schaut hinauf und sagt:)
Zu kurz!
(Die weiteren Schüsse bleiben weit hinter dem Flieger zurück.
Der Kaiser nickt sinnend.)
Ja, Flügel haben, das heißt für die andern immer
zu spät kommen. Essen Sie doch Ganghofer.
(Es tritt eine Pause ein, während deren Ganghofer ißt.
Plötzlich wendet sich der Kaiser zum Dichter und sagt ihm mit
gedämpfter Stimme, streng und langsam, jedes Wort betonend:)
Ganghofer — was — sagen Sie — zu — Italien?
142
(Erst nach einer Weile, während deren Ganghofer gegessen hat,
vermag er zu antworten.)
Ganghofer: Majestät, wie es kam, so ist es
besser für Österreich und für uns. Der reine Tisch ist
immer das beste Möbelstück in einem redlichen Haus.
(Der Kaiser nickt. Ein Aufatmen strafft die Gestalt.)
Der Flügeladjutant (leise zu Ganghofer): Dialekt!
Dialekt!
Der Kaiser: Nu Ganghofer haben Se 'n
schönes Feijetong fertig? Lassen Se hören — ha.
Ganghofer: Zu dienen, Majestät, aber leider
ist es teilweise hochdeutsch —
Der Flügeladjutant (leise): Dialekt!
Der Kaiser: Na wenn schon, ha lesen Se
unbesorgt vor.
Ganghofer: Der Anfang, Majestät, ist in
schwäbischer Mundart.
Der Kaiser: Na, umso besser, köstlich, lesen Se.
Ganghofer (zieht einManuskript ausderTasche und liest):
»Auf halbem Wege erfahren wir, daß der erste feind-
liche Graben vor dem Rozaner Festungsgürtel schon
genommen ist. Da hat's einen feinen Schwaben-
streich gegeben. Ein Stuttgarter, der uns auf der
Straße entgegenkommt, mit dem linken Arm in der
weißen Binde, sagt lachend zu mir: »Den erschte
Grawe hawe mer. 's isch e bissele hart gange.
D' Russe hawe saumäßig mit Granate herg'schosse.
Aber mei, dees macht net viel aus. Weil mer nur
de Grawe hawe! Dees isch d' Hauptsach'!«
Der Kaiser: Famos, Ganghofer.
Ganghofer (weiterlesend): »Ich nütze die erste
Frühe, um ein gut ausgewachsenes Cousinchen
unserer fleißigen Berta zu besuchen. (Der Kaiser lacht.)
Ein noch junges Mädchen! Und doch schon von
erstaunlicher Kraftfülle! Ihr Mündchen liegt etwa vier
Meter oberhalb meines Haardaches. (Der Kaiser lacht
aus vollem Halse.) Und eine Stimme hat sie, daß man
143
sich Watte in die Ohren stopfen muß, wenn man
unzerrissene Trommelfelle behalten will. Beginnt sie
ihr donnerndes Lied zu singen — ein Lied vom
deutschen Erfindergeist und deutsche»- Kraft — , so
fährt ihr ein Feuerstrahl von Mastbaumlänge aus
der Kehle, und wer hinter dem musizierenden
Cousinchen steht (Der Kaiser lacht dröhnend) sieht eine
schwarze, kleiner und kleiner werdende Scheibe steil
durch die Luft emporfliegen bis zu einer Höhe, die man
mit einem vollen Hundert übereinandergeschichteter
Kirchtürme noch nicht erreichen würde. Und viele
Sekunden später ist in der russischen Festung Rozan
eine rauch- und feuerspeiende Hölle los. Ein leistungs-
fähiges deutsches Kind, diese eiserne Jungfrau! (Der
Kaiser schlägt lachend mit der linken Hand auf seinen Schenkel.)
Ich verlasse sie mit dem Gefühl verstärkter Zuversicht
und höchster Befriedigung, nehme nach vierhundert
Schritten die Wattepfropfen aus den Ohren und finde
nun, daß die Stimme des trefflichen Mädchens überaus
lieblich klingt. (Der Kaiser lacht wie ein Wolf.) Ich gebe
zu, daß dieses Urteil einen stark subjektiven Charakter
hat. Man darf vermuten, daß ich als Kommandant
der Festung Rozan zu einer wesentlich anderen
Meinung gelangen würde.«
Der Kaiser (der zuletzt mit leuchtendem Auge
und strahlendem Gesicht zugehört hat, schlägt nun mit der linken
Hand unaufhörlich auf seinen Schenkel und ruft): Ach, 's ist
ja zum Schießen! Bravo, Ganghofer, das haben Se
gut getroffen. Lauff hat die dicke Berta besungen und
Sie hofieren das Cousinchen, ik lach mich dot, ik
lach mich dot! Aber essen Sie doch Ganghofer,
Sie essen ja nicht —
(Ganghofer ißt. Der Kaiser, mit raschem Entschluß auf ihn
zutretend, sagt ihm etwas ins Ohr. Ganghofer fährt zusammen,
ein Stück Zwieback fällt ihm aus dem Mund, sein Gesicht ist
wie von einer frohen Begeisterung überglänzt und drückt
Zuversicht aus. Er legt den Finger an den Mund, als ob er
Schweigen zusichern wollte. Der Kaiser gleichfalls.)
144
Ganghofer: Ein neues Stahlband des
Zusammenhaltens!
Der Kaiser: Erst am Tage der Erfüllung
bekannt geben!
Ganghcfer: Und dieser Tag wird kommen!
Der Kaiser: Essen Sie Ganghofer!
(Ganghofer ißt. Eine Ordonnanz bringt eine Nachricht für ihn.)
Ganghofer: Von Mackensen! (Er liest in
freudiger Erregung.) »Fahren Sie SO früh als möglich
los. Die russischen Stellungen bei Tarnoo wurden
von uns genommen —
Der Flügeladjutant (leise): Dialekt!
Ganghofer: — Morgen fällt Lemberg. « Juchhe !
(Er beginnt zu Schnadahüpfeln. Dann, sich sammelnd, ernst,
mit einem Blick gen Himmel.) iMajestät!
Der Kaiser: Nu was haben Se denn Gang-
hofer, tanzen Se doch noch 'n bisken.
Ganghofer: Soll ich es denn länger
verschweigen?
Der Kaiser: Nu was is denn los?
Ganghofer: Was Majestät mir soeben
anvertraut haben — mei Gmüat kann es nicht
länger zruckhalten — daß Majestät (herausplatzend)
drei Waggon Bayrisches für unsere braven öster-
reichischen Truppen bestimmt haben!
Der Kaiser: Na rufen Sie's meinswegen in die
Welt hinaus ! Sie sollen wissen, daß sie was Gutes aus
Ihrem schönen Bayernland zu trinken bekommen ! Aber
Sie selbst — essen Sie Ganghofer, essen Sie doch!
Ganghofer (ißt und schnadahüpfelt zugleich, der
Kaiser schlägt den Flügeladjutanten auf den Hintern, der
Photograph Imipst. Das Gefolge ordnet sich zum Aufbruch.
Indem der Kaiser das Auto besteigt und noch einmal Ganghofem
zuwinkt, ertönt das Signal: tatü-tata . Während man dieses
noch aus der Ferne hört, schnadahüpfelt Ganghofer weiter.
Dann bleibt er stehen und sagt, mit völlig verändertem Ton):
Das kommt als Leitartikel!
(Verwandlung.)
145
24. Szene
Zimmer des Generalstabschefs.
(Conrad v. liötzendorf allein. Haltung: die Arme gekreuzt,
StandfuH und Spielfuß, sinnend.)
Conrad (mit einem Blick gen Himmel): Wann nur
jetzt der Skolik da war!
Ein Major (kommt): Exlenz melde gehorsamst,
der Skolik is da.
Conrad: Was denn für ein Skolik?
M a j 0 r : Na der Hofphotograph Skolik aus Wien,
der was seinerzeit, während des Balkankrieges, die
schöne Aufnahme gemacht hat, wie Exlenz in das
Studium der Balkankarte vertieft sind.
Conrad: Ach ja, ich erinnere mich dunkel.
Major: Nein, ganz hell. Exlenz, volle
Beleuchtung.
Conrad: Ja, ja, ich erinnere mich, das war
glorios.
Major: Er beruft sich darauf, daß ihn Exlenz
wieder bestellt haben.
Conrad: No bestellt kann man grad nicht
sagen, aber eine Anregung hab ich ihm zukommen
lassen, weil der Mann wirklich hübsche Aufnahmen
macht. Er schreibt, er weiß sich vor die illustrierten
Blätter nicht zu helfen, die Aufnahme damals hat
seltenen Sükses ghabt, kurzum —
Major: Er hat auch die Bitte, ob er jetzt
in Einem die Herrn Generäle aufnehmen könnt.
Conrad: War mir nicht lieb! Die solln sich
nur ihre eigenen Photographen kommen lassen.
Major: Er sagt, die ham kan Kopf, da macht
er eh nur a Brustbild.
Conrad: Ah, das is was andres. Also herein
mit dem Skolik! Warten Sie — sollen wir wieder
beim Studium der Balkankarte — das war ja
außerordentlich — aber ich denk, zur Abwechslung
vielleicht die italienische —
Die letzten Tage der Menschheit. 10
146
Major: Das paßt jetzt entschieden besser.
(Conrad v. Hötzendorf breitet die Karte aus und versucht
verschiedene Stellungen. Er ist, wie der Photograph mit dem
Major eintritt, bereits in das Studium der Karte vom italienischen
Kriegsschauplatz vertieft. Der Photograph verbeugt sich tief.
Der Major stellt sich neben den Tisch. Er und Conrad blicken
starr auf die Karte.)
Conrad: Was gibt's denn schon wieder?
Kann man denn keinen Augenblick — ich bin doch
gerade —
(Der Major zwinkert dem Photographen zu.)
Skolik: Nur eine kleine Spezialaufnahme,
Exzellenz, wenn ich bitten dürfte.
Conrad: Ich arbeite gerade für die Weltge-
schichte und da —
Skolik: Ich soll nämlich für das Interessante
Blatt und da —
Conrad: Aha, zur Erinnerung an die Epoche —
Skolik: Ja, auch für die Woche.
Conrad: Aber da kommt man am End
zwischen unsere Generäle, das kenn ich schon, da
möcht ich lieber —
Skolik: Nein, Exzellenz, darüber können
Exzellenz vollkommen beruhigt sein. Bei dem un-
sterblichen Namen, den Exzellenz haben, versteht
sich das von selbst, daß Exzellenz ganz separat
erscheinen. Die andern, die kommen alle zsamm,
so unter der Rubrik »Unsere glorreichen Heerführer«
oder so, einzelweis kommeten s' höchstens für
Ansichtskarten.
Conrad: So? Wen ham S' denn da. vergessen
S' mr den Höfer nicht, das is ein gar ein tüchtiger
Mann, der kriegt 20.000 Kronen Feldzulage dafür,
daß er täglich seinen Namen lesen muß, wenn er
am Ring die Extraausgab kauft.
Skolik: Is scho vorgemerkt. Exzellenz, selbst-
verständlich, in erster Linie.
147
Conrad: Was, erste Linie, hammer an Gspaß
ghabt! No wo tun S' mich dann selber hinmanipuliern?
Nur nicht auffallend, nur nicht auffallend mein Lieber
wissen S', nicht mit die andern, diskret! immer diskretl
Skolik: Der Raum ist bereits eigens reser-
viert. Es wird das Titelbild sein, von der Woche
nämlich. Eine sehr eine intressante Nummer, aus Wien
hab ich noch die Probiermamselln von der Wiener Werk-
stätten und den Treumann zu liefern, es kommt aber
auch noch, wie ich sicher weiß, Seine Majestät der
deutsche Kaiser auf der Sauhatz, eine bisher unbe-
kannte Aufnahme und gleich daneben sehr sensationell,
Allerhöchstderselbe im Gespräch mit dem Dichter
Gangliofer. Also ich glaube Exzellenz —
Conrad: No ja, nicht übel, nicht übel — aber,
lieber Freund, im Augenblick bin ich leider —
können S' nicht bißl später kommen, ich bin nämlich —
ich sag's Ihnen im Vertrauen, Sie dtirfen's nicht
weiter sagen, ich bin nämlich grad beim Studium
der Karte vom Balkan — ah was sag ich, von
Italien —
(Der .Major zwinkert dem Photographen, der zurücktreten will, zu.)
Skolik: Das trifft sich gut — das ist ein
Augenblick der höchsten Geistesgegenwart, den
muß man beim Zipfel erwischen. Ich siech schon die
Aufschrift: Generaloberst Conrad v. Hötzendorf
studiert mit seinem Flügeladjutanten Major Rudolf
Kundmann die Karte des Balkan-, ah was sag ich,
des italienischen Kriegsschauplatzes. Derf's so
heißen, Exzellenz?
Conrad: Na also meinetwegen — weil's der
Kundmann will, der kann's ja gar net erwarten —
(Er starrt unablässig auf die Karte, der Major, der sich nicht
vom Fleck gemhrt hat, gleichfalls. Beide richten ihren Schnurrbart.)
Wird's lang dauern?
Skolik: Nur einen historischen Moment,
wenn ich bitten darf —
10*
Conrad: Soll ich also das Studium der Karte
vom — also von Italien — fortsetzen?
Skolik: Ungeniert, Exzellenz, setzen nur das
Studium der Karten fort — so — ganz leger —
ganz ungezwungen — so — nein, das war bißl
unnatürlich, da könnt man am End glauben, es is
gstellt — der Herr Major wenn ich bitten darf,
etwas weiter zrück — der Kopf — gut is —
nein, Exzellenz, mehr ungeniert — und kühn,
bitte mehr kühn! — Feldherrnblick, wenn ich bitten
darf! — es soll ja doch — so — es soll ja doch
eine bleibende histri — historische Erinnerung an
die große Zeit — so is's gut! — nur noch — bisserl
— soo — machen Exzellenz ein feindliches Gesicht!
— bitte — jetzt — ich danke!
(Verwandlung.)
25. Szene
Korso.
Ein Spekulant: Wissen Sie, wer vollständig
verschwunden is?
Ein Realitätenbesitzer: Ich weiß, der
Fackelkraus.
Der Spekulant: Wie Sie das erraten — oft
denk ich, kein rotes Büchl, kein Vortrag — ihn selbst
hat man auch schon eine Ewigkeit nicht zu Gesicht
bekommen.
Der Realitätenbesitzer: Lassen Sie mich aus
mit Kraus, ein Mensch, der bekanntlich keine Ideale
hat. Ich kenn doch seinen Schwager. m
Der Spekulant: Ich kenn ihn persönlich.
Der Realitätenbesitzer: Sie kennen ihn
persönlich?
Der Spekulant: Ob ich ihn kenn, Tag für
Tag is er an mir vorbei.
149
Der Realitätenbesitzer: Auf den Umgang
müssen Sie nicht stolz sein. Alles in den Kot zerren —
alles niederreißen — nix aufbauen — Weltverbesserer,
tut sich was! Bittsie ich weiß doch, wie das is. Wie ich
jünger war, hab ich auch alles kritisiert, nix war
mir recht. Bis ich mir hab die Hörner abgestoßen.
Er wird sich auch die Hörner abstoßen.
Der Spekulant: Er is doch schon sehr
gedeltet.
Der Realitätenbesitzer: No sehn Sie?
Ich hab mir sagen lassen, er wird sich bald zur
Ruh setzen.
Der Spekulant: Warum nicht, er hat gewiß
schon hübsch verdient.
Der Realitätenbesitzer: Verdient — ! So klein
is der geworn! Ich sag Ihnen, er is fertig. Ver-
lassen Sie sich auf mich. Da zeigt sichs. Harden
hat nicht aufgehört im Krieg. Der hat eben die
greßeren Themas — (bleibt stehen.) Fesch sind diese
deutschen Offiziere, fescher wie unsere.
Der Spekulant: Natürlich, jetzt, wo ja zu
schreiben war, schreibt er nicht!
Der Realitätenbesitzer: No kann er denn?
DerSpekulant: Wegen der Zensur? Erlauben
Sie mir, da könnte docn eine geschickte Feder, und
die muß man ihm lassen —
Der Realitätenbesitzer: Nicht wegen der
Zensur — er kann von selbst nicht. Er hat
sich ausgeschrieben. Verlassen Sie sich auf mich.
Und dann — er fühlt jedenfalls, daß jetzt andere
Sorgen sind. Das war ja ganz amüsant im Frieden —
jetzt is man zu solche Hecheleien nicht aufgelegt.
Passen Sie auf, er wirds bald billiger geben. Wissen
Sie, was ich ihm gönnen möcht — nehmen
soUn sie ihn! An der Front! Da soll er zeigen!
Was er trefft, is nörgeln. (Der Nörgler geht vorbei. Die
beiden grißen.)
150
Der Spekulant: So was von einem Zufall!
Also Sie kennen ihn auch persönlich? Wieso?
Der Realitätenbesitzer: Flüchtig, von einer
Vorlesung, ich bin froh wenn ich ihn nicht seh.
Mit so einem Menschen verkehrt man nicht.
(Fanto geht vorbei. Die beiden grüßen.)
Beide (gleichzeitig, geheimnisvoll): Fanto.
Der Realitätenbesitzer (versunken): Großer
Mann!
Der Spekulant: Warum er nicht Vorlesungen
hält? Das trägt doch.
Der Realitätenbesitzer (wie erwachend):
Wer? — Ja so — natürlich — Marcell Salzer reist
sogar in Belgien herum, heut erst hab ich gelesen,
er begibt sich von dort zur Armee nach Frankreich
und sodann in das Hauptquartier und zu den Truppen
Hindenburgs.
Der Spekulant: Hindenburg hat ihm doch
sogar geschrieben. Der wird erzählen können. Haben
Sie heut von die Brandgranaten gelesen, selbst-
entzündlich an der Luft, was sie seit zehn Monaten in
Reims hereinwerfen? Die lassen nicht locker! Die
arbeiten! Sehn Sie, ich kann mir ganz gut denken,
daß sie dann am Abend Salzer hören wollen.
Der Realitätenbesitzer: Schad um dieses
■Reims — die Kathedrale nebbich!
Der Spekulant: Sie, damit kommen Sie mir
nicht, das hab ich gern ! Entschuldigen Sie, wenn es sich
nachgewiesenermaßen um einen militärischen Stütz-
punkt handelt, so ist das pure Heuchelei von den
Franzosen. Sich hinter einer Kathedrale verschanzen,
das hab ach gern, lassen Sie mich aus mit dem Gesindel.
Der Realitätenbesitzer: No no fressen
Sie mich nicht bittsie. Hab ich was gesagt? Das
geben Sie gut, als ob ich nicht genau ebenso
wüßte, wo die Barbaren sind. Deswegen kann einem
doch leid tun um die Kathedrale? Als Realitäten-
besitzer —
151
Der Spekulant: No ja das is etwas anderes,
ich kann nur nicht leiden, wenn man im Krieg
sentimental is und besonders dort, wo es sich um
eine effektive List handelt! Krieg is eben Krieg.
Der Reaiitätenbesitzer: Da ham Sie aber
j a recht!
Der Spekulant: Was heißt das? Kann man
sich einem Escheck aussetzen? Der Hieb ist die
beste Parade! Sehn Sie sich an da — da kriegt man
Respekt.
Der Realitätenbesitzer: Warten Sie, ich
wer rufen — Hoch unsere braven Feldgrauen!
(Ein deutscher und ein österreichischer Soldat, Schulter an Schulter,
treten auf.)
Wachtmeister Wagenknecht: Da sind wir
denn alle angetreten und unser Oberbombenwerfer
sagte: Jungens, wenn ihr jetzt mal Lust habt, immer
feste druff.
Feldwebel Sedlatschek (sich ganz nah an ihn
haltend und erschreckt zu ihm emporblickend): Geh — I
Wagenknecht: Erlaube mal, du lehnst ja an
meiner Schulter.
Sedlatschek: Ah paton — (tritt zurück.)
W a g e n k n e c h t : Na so gehts wieder. Also denk
mal an, der Oberbombenweifer überließ es uns —
Sedlatschek: Da schau her, das is eine
unserer größten Niederlagen — (zeigt auf ein Schaufenster)
Wagenknecht: Wie? — ach so — ich glaubte —
also hör mal — (er steht jetzt ganz dicht an Sedlatschek,
der zurücktaumelt.)
Sedlatschek: Au weh, du druckst ja auf
meine Schulter!
Wagenknecht: Pardonk. Also hör mal, der
Oberbombenwerfer —
Sedlatschek: Tschuldige, daß ich unterbreche.
Mir ist das nämlich unklar.
Wagenknecht: Nanu?
U2
Sedlatschek: Nämlich, tschuldige — der
Oberbombenwerfer, sagst du, hat's g'schafft. Aber ihr
seids doch alle Bombenoberwerfer, wer hat's also
g'schafft?
Wagenknecht: Ich verstehe deinen Zweifel
nicht, ich sagte doch, paß mal besser auf — der
Ober bombenwerfer.
Sedlatschek: Noja, aber tschuldige — wirfst
du denn nicht auch Bomben ober? Also bist du
doch auch ein Oberbombenwerfer.
Wagenknecht: Wieso denn, na hör mal —
Sedlatschek: Alstern — der Oberbomben-
werfer, das is doch einer — der was die Bomben —
oberwirft, oder nicht?
Wagenknecht: Oberwirit? Was is denn das?
Sedlatschek (macht die Pantomime des Werfencn:
No — verstehst net — ober — von do — schau
ker — ober — auf die Leut.
Wagenknecht: Ach so, jetzt versteh ich —
ne« Junge, det is aber zu witzich — ik lach mich
dot — 's ist ja zum Schießen komisch — nee, so
hatt' ich's nich jemeint. Dafür haben wir doch den
Ausdruck: herab!
Sedlatschek (ihn verständnislos anblickend): Was —
alstern — der Herabbombenwerfer?
Wagenknecht: Ach nee — det jibts nich.
Menschenskind, paß mal auf. Ik meine, der Bomben-
werfer wirft die Bombe herab. Aber der Ober-
bombenwerfer —
Sedlatschek (ihn anstarrend) : Aber der Ober —
was?
Wagenknecht: Nu, det ist doch der Scheff
von die Bombenwerfer, darum heißt er doch Ober-
bombenwerfer — wie soll ich dir das nur klar machen,
zum Beispiel, ach ja, jewiß doch, ihr habt doch auch
die Bezeichnung Oberkellner oder Oberleutnant —
153
Sedlatschek: Hörst, jetzt versteh i di. Alstern
wie der Oberleutnant der Vorgesetzte von die Gast —
— oder nein — wie der Oberkellner der Vorgesetzte
von der Mannschaft — nein —
Wagenknecht: Ach siehste, in dem Fall
sagen wir einfach: der Ober — Sie Herr Ober,
kommen Sie mal ran.
Sedlatschek: (dreht sich um, salutiert erschrocken) :
Du, hast den Oberleutnant grufen?
Wageiiknecht: Aber Menschenskind, da
könnte ich doch nich Ober sagen. Siehste, beim
Kellner läßt man eben die Berufsbezeichnung wech
und sagt einfach Ober, aber über —
Sedlatschek: Ober aber über?
Wagenknecht: Ach nee, ich wollte nur
sagen, über die andern Vorgesetzten darf man sich
nich so ankternu ausdrücken, man sagt zum Ober-
leutnant nicht: Sie Herr Ober — das wäre doch
'ne Beleidigung. Na und ähnlich ist es mit dem
Oberbombenwerter.
Sedlatschek: Ich versteh — man muß also
sagen: Herr Oberbombenwerfer, derf ich jetzt eine
Bomben — oberwerfen?
Wagenknechl: Na meinswegen, wenn's dir
Spaß macht — ihr Östreicher seid doch zu ulkje
Kunden. Na, gestatte 'n Augenblickchen, ich will
da nur austreten. (Er geht zu einem Anst?ndsort. Da er
eben eintreten will, tritt Hans Müller heraus, geht auf den
deutschen Wachtmeister zu und küßt ihn.)
Wagenknecht: Ja haste Worte, ja hörn Se
mal, das ist ja recht liebenswürdich, ihr Wiener seid
überhaupt 'n niedliches Völkchen, aber —
Hans Müller: Heißa, jeden Tag fällt mir
das Wort Bismarcks ein: Unsre Leute sind zum
Küssen, und so tu ichs denn. Potz Wetter! Ich kann
nicht anders, wenn ich solch eines braven Jungen
ansichtig werde. Ich schritt fürbaß, sinnend, wie jetzt
154
manch wackern Sohnes das treue Mutterherz gedenken
mag, da kämet ihr des Weges, ein Bürge des hehrsten
Treubunds, der je zwei Völker zusammengeschmiedet,
und wenn's euch nit verdrießt, Vetter, will ich gern
einen Tropfen mit euch schmecken. Seht, hie, unfern,
in dieser Schenke, die der Fremdsinn Bristol nennet,
ist ein guter Tisch gedeckt, da winkt wohl auch ein
leckeres Mahl und in munteren Gesprächen, doch
stets der Weihestunde gedenk, soll uns die Zeit
nimmer zu lange werden. Hei, ich hab einen guten
Stecken und kann euch rüstig ausschreiten wie einer.
Kommt, laßt uns der Geselligkeit pflegen, wollet ihr?
Hab nit übel Lust, Kamerad, eins zu trinken, wie
wärs, wollten wir selbander den roten Römer an
die Sonne heben? Oder mögt einem Schoppen Gersten-
saft zusprechen, ein gar bekömmlich Gebräu aus
dem Böhmerland! Wird keinen blanken Taler kosten!
Soll euch ein feines Kraut schmecken, das mir ein
Ohm, ein rechter Knasterbart, übers große Wasser
gesandt. Hei, wir paffen selbander und wenn die
losen Kringeln steigen, dann mag wohl auch manch
treugemuter Wunsch hinüberflattern zu den Braven,
so itzt um unsers Herdes willen manch ungutem
Feind die Stirn bieten und die uns fern sind, seit
wir Händel gekriegt haben mit dem Welschen. Und
ihr — wäret ihr denn auch im Spittel? Seid bresthaft?
Seid wohl gar blessiert? Wohlan! Sollt euch nach
Herzenslust letzen. Doch lasset uns auch der Erbauung
pflegen und die geruhige, vom leichten Ohngefähr
uns geschenkte Stunde sei durch die Nachdenklichkeit
gewürzt, wie sie traun dem Inhalt dieser erschröck-
lichen Historie, wohl aber auch den lenzlichen Tagen
sonnigster Glückserwartung geziemen mag. Ei, ihr
zögert? Wollet nicht? Seid gar mieselsüchtig? Possen!
Hängt den Griesgram an die Wand, stellt ihn in die
finsterste Ecke, wo alter Hausrat, zum Feste unnütz,
sich versammelt hat! Topp, schlaget ein, ergreift
die Bruderhand und lasset alle guten Geister eurer
155
Lebenslust Kirchweih feiern! Wie? Schmollet ihr
mit dem blai'.en Himmel? Pah, Grillen! Ein Brumm-
bär, wer heut abseit weilen wollte, ein Gauch, wer
Mißtrauen hegte gegen Freundeswort, ein Schalk,
wer hinginge und den Kameraden in der Leute
Mund brächte! Hol Dieser und Jener alle Ohren-
bläser! Männiglich weiß, daß nun nicht Zeit
ist, ein Sauertopi zu sein. Ihr seid kein Töriger.
Seid ihr gleich kein Doktor, wir kämen doch selb-
ander eine gute Strecke weit. Hei, werft nur getrost
den Bengel hoch! (Ein Fiaker hält vor dem Hotel Bristol.
Alan hört eine Stimme: Im Kriag kriag i's Doppelte!) Ei,
ihr verwundert euch drob? Nehmt's nit für krumm,
des Landes Brauch ist's, der Wagenknecht ist ein
Rauhbein und ein Erzschelm obendrein —
Wagenknecht: Nanu?
Hans Müller: — nehmts nit für ungut, er
eifert ob des Entgelts, denn er tuts nicht um Gottes
Lohn, solch fahrender Gesell kann beileibe nit genung
fodern, und aus keinem anderen Titul als dem der
Selbstsucht. Ei ein Handel, den's alle Tage gibt,
kein grimmer Zwist behüte — er vermeint, der
andere v/erde eh schon wissen, was die Schuldigkeit
sei, der Fremdling versetzt, er wisse es nicht, wollt's
aber gern erfahren, jener mög's dreist künden, der
beteuert, er fodere nit mehr als rechtens und was
halt die Satzung sei, der Fremdling, ohn Arg, fragt,
was sie denn sei, jener, fürwitzig, rät, ihm zu Zinsen,
was er halt den andern zu Zinsen pflag, und schilt
weidlich auf die schlechten Zeiten, denn fürwahr der
Haber juckt ihn mehr als seinen Gaul, sie feilschen
munter ein Weil fort, doch jener zagt nicht und
meint, daß sie keinen Schultheiß nit brauchen
werden. Und siehe da, sie bringen die rauhe Sach
friedlich zu Rande, der beut ein Zwiefaches, der,
annoch kratzbürstig, verlangt den Zehnten obendrein,
der zahlt, der gibt dem flinken Renner die Sporen
und nennt jenen einen notigen Beutel. Wohlan!
156
Ein jeglicher mag die Gelegenheit nutzen, wo die
gute Stund ihm gnädig ist, und Frau Klugheit
führt allerwegen am sichersten. Wir sind nur die
Hansnarren unsers Glücks, und ein Tor, wer nicht
weiß, was gescheuter Leute Art ist. So auch ihr.
Habt ihr nur Witz für einen Fastnachtsgroschen und
seit nit auf den Mund gefallen, so wird sich Schritt
vor Schritt mählich alles zu euerm Frommen wenden.
(Eine Prostituierte geht vorbei und sagt: »Komm mit schwarzer
Dokter, vpir wollen sich gut amesieren.«) Mit nichten,
hab itzt nit Muße. (Zu Wagenknecht) Ei, ihr verwundert
euch drob? Sc seht selbst zum Rechten und lasset
euch das Fräulen zu willen sein, 's ist 'ne Hübschlerin,
die euch ergetzen wird, denn ihr freies Gewerb ist's,
der Wollust obzuliegen. Der Teufel hole alle Grillen-
fänger und mögt ihr immerhin nach eurem Ermessen
handeln, doch schiene mir solcher Umgang der
ernsten Zeitläufte nicht würdig. Fasset Mut zu euch
selbst, und seid ihr auch nicht in höfischer Rede
gewandt, nicht in den Künsten und Wissenschaften
der Gerechtsame studieret, der gelahrten Schriften
unkundig, ei, Handwerk hat einen goldenen Boden,
und vor mir müsset ihr nicht zaghaft die Zunge hüten.
Liegt euch Tand im Sinn, den ihr eurer Liebsten
mitzubringen verspracht, einem artigen Bäslein oder
sonst einem schmucken Ding, das ihr just nit
heuern mögtet — sprecht frei von der Leber.
Sollt ihn haben, und wär's ein gülden Ringlein an
den Finger, wird wohl den Hals nit kosten.
Bange machen gilt nicht. Ich weiß euch einen
Krämer, der um Gotteslohn schon manch wackern
Krieger aus deutschen Gauen mit köstlicher Gabe
von dannen ziehen ließ. Lasset euch darob kein
Sorg nit anfechten. Gold ist traun ein höllisch
Ding, das wohl verwahrt sein will, und Gevatter
Traugott Feitel genüber wird euch t)aß zu Gefallen
sein. (Mendel Singer geht vorbei. Müller grüßt.) Ei, ihr
erkanntet ihn nicht? Potz, Meister Mendel wars, ein
157
Singer lobesam und des Kaisers lustiger Rat! Nun aber
wollt' ich schier meinen, daß ihr mit mir stracks zur
Schenke müßt. Ist euch ein fürtrefflicher Wirt und
Lcutgeb, wird euch Speis und Trunk bereiten, die euch
wohl munden sollen. Kommt, Freund Zaghaft, lasst
alle bösen Zweifel fahren und schlagt dem Teufel
Trübsinn ein Schnippchen. Ist euch voller Listen
und Nachstellungen und hängt euch wohl gar noch
ein Zipperlein an. Steckt in allerlei Mumme
und zwackt euch, wo ihr's euch nimrner verseht.
Nun, Meister Ratlos, was steht ihr so blöde? Seh'
ich aus wie einer, der Nucken im. Kopfe hat? Oder
wähnet ihr gar, mein Beutel sei leer? Hab' manchen
Batzen bei Schaubühnen verdient und mit Kriegs-
sängen mich tapfer durchgeschlagen! Bin kein
Spielverderber, mein's euch gut und war auf eure
Kurzweil bedacht, nicht, daß ihr bei hellem Tage
Grillen fangen mögtet. Verschmähet ihr, weil ihr ein
Reisiger seid, den Umgang eines armen Jungen,
der daheim geblieben? Bin drum kein Drückeberger nit.
Weiß euch manch tapferes Liedlein, das euch den
Mut zu neuer Mannestat stählen soll. (Sieghart geht vorbei.
Müller grüßt. . Ei, ihr erkanntet ihn nicht? Potz Seh werenot,
Meister Sieghart wars, der Besten Einer, der von den
Gewaffen Tantiemen bezieht — euch gesagt! Wohlan l
Ein Schelm, wer mehr gibt als er hat, doch artiger
Schnurren hab ich wohl ein Schock im Ränzel. Hum.
Denkt ihr, daß ich auf Ränke sinne? Oder ich war ein
Schubbejack, der euch einen Schabernack spielen will,
oder sonst ein müßiger Fant, der nur redt und schwatzt,
um euch hinterdrein zu trügen? Ei der Daus! Seid
nicht hanebüchen! Nicht doch! War mein Lebzeit kein
Tuckmäuser und Leisetreter. Bin sonder Harm und
obschon just kein Milchbart und Habenichts, so
doch einer, der das Herz am rechten Fleck hat, sich
der Sonne freut und im Übrigen unsern Herrgott
einen guten Mann sein läßt. Denn ich bin wacker,
in alle Sättel gerecht und ein quicker Jung. (Ein Mann
158
bückt sich, um einen Zigarrenstummel aufzulieben.) Gott grüß
euch Alter, schmeckt das Pfeifchen? (Fortfahrend)
Auch üb ich immer Treu und Redlichkeit bis zum
letzten Hauch von Mann und Roß. Ihr widersprecht
vergebens. Laßt mich nur erst zu Worte kommen,
dann sing ich euch eine eigne Weis, daß ihr schier
vermeintet, ich spielt euch eins zur Fiedel auf.
Seht, schon sinkt die Sonne über das Gelände,
grüßt mit ihren letzten Strahlen die müden Schnitter,
die hier ihres Weges ziehn, manch einer auch von
fröhlichem Gejaide weidwund heimkehrend, ein
jeglicher den Blick nach dem stillen Ziele gewandt,
wo Haus und Herd, die treuliebende Gesponsin und
die frohe Kinderschar seiner warten. Gar manche
näht sich daheim die Finger wund, denkt frumb an
Kriegers Ungemach in rauher Winterszeit und, der
Pflicht ledig, den eigenen Tisch wohl zu bestellen,
sorgt sie liebend für die weitere Sippe der Volks-
genossen. Frauen und Mädchen an Vindobonas altem
Nibelungenstrom, Gott grüße euch!
Wagenknecht (wie aus einer Betäubung erwachend,
zu Sedlatschek) : Du, hör mal, Sedlätschek —
Sedlatsch ek (kommt herbei): Ja hörst, SO lang
brauchst —
Wagen kn echt: Ach nee, ich wollte da aus-
treten, kommt dir so'n Judenjunge und quatscht
mir was vor —
Hans Müller (plötzlich verändert): Also das is
vielleicht ein Verbrechen, daß ich Sie aus Sympathie
für die Waffenbrüderschaft hab ins Bristol einladen
wollen? Wer sind Sie? Glauben Sie, mir imponieren
Sie? Spielt sich da auf! Worauf herauf? Ich wer'
Ihnen nicht salutieren, das wem Sie nicht erleben,
von mir nicht! Ich wollte mit Ihnen reden, weil ich
für Sonntag ein Feuilleton über die Nibelungentreue
schreiben soll — itzt können Sie lang warten! (Ab.)
Wagen knecht (erstaunt nachblickend): Nee, was
es hier für Typen gibt in eurem lieben Wien! Der
159
Mann sieht aus wie 'n Jude und quasselt 'n Dialekt
wie anno Tobak, wo es noch jar keene Juden ge-
geben hat. Der Mann ist von der Presse und hat
mich geküßt! Anstatt daß so 'ne fesche Wienerin
es einem besorgt, muß man hier so was mitmachen.
Menschenskind, und da frage ich, ob Warschau
nicht zu teuer bezahlt ist!
Eine Zeitungsfrau: Extraausgabee — I
Teitscha Bericht! Kroßa Sick da Vabtindeteen!
Sedlatschek: Sixt es, hörst es, da hast eine
fesche Wienerin!
(Verwandlung.)
26. Szene
Südwestfront. Ein Stützpunkt auf einer Höhe von mehr als
dritthalbtausend Meter. Der Tisch ist mit Blumen und Trophäen
geschmückt.
Der Beobachter: Sie kommen schon!
Die S C h a 1 e k (an der Spitze einer Schar von Kriegs-
berichterstattern): Ich sehe, man hat feierliche Vorbe-
reitungen zu unserem Empfange getroffen. Blumen!
Die sind wohl den Herren Kollegen zugedacht, die
Trophäen mir! Ich danke euch, meine Braven. Wir
sind bis zu diesem Stützpunkt vorgestoßen, es ist
nicht viel, aber immerhin. Man ist schon zufrieden,
daß er wenigstens vom Feind eingesehen ist. Meinen
großen Wunsch, einen exponierten Punkt besuchen
zu d^ürfen, konnte der Kommandant leider nicht
erfülfen, weil das den Feind aufregen könnte, sagt er.
Ein Standschütze: (spuckt aus und sagt) :
Grüaß Gott.
Die Schalek: Gott wie intressant. Wie
gemalt sitzt er da, wenn er kein Lebenszeichen
gäbe, so müßte er von Defregger sein, was sag
ich, von Eggev-Lienz! Mir scheint, er hängt sogar
ein schlau verstohlenes Zwinkern ins Auge. Der
einfache Mann, wie er leibt und lebt! Laßt euch,
160
ihr Braven, erzählen, was wir erlebt haben, bis wir
zu euch vorgedrungen sind. Also die sonst so belebte
Talstraße gehört unbestritten dem Kriegspressequartier.
Oben auf dem Joch, da hab ich zum erstenmal
etwas wie Genugtuung gefühlt beim Anblick der
Verwandlung eines Dolomitenhotels in ein Militär-
quartier. Wo sind jetzt die geschminkten, spitzen-
umwogten Signoras, wo ist der welsche Hotelier?
Spurlos verschwunden. Ah, das tut wohl ! Der
Offizier, der uns geführt hat, hat eine Weile über-
legt, welche Spitze für uns wohl die geeignetste sei.
Er schlug eine vor, die am wenigsten beschossen
wird, damit waren natürlich die Herren Kollegen
einverstanden, ich aber sagte : nein, da tu
ich nicht mit ; und so sind wir schließlich
hier heraufgekommen. Das ist doch das mindeste.
Beantworten Sie mir bitte jetzt nur die eine Frage:
Wieso habe ich vor dem Kriege all die prächtigen
Gestalten niemals gesehen, denen ich nun täglich
begegne? Der einfache Mann ist einfach eine Sehens-
würdigkeit! In der Stadt — Gott wie fad! Hier ist
jeder eine unvergeßliche Erscheinung. Wo ist der
Offizier?
Der Offizier (von innen): Beschäftigt.
Die Schalek: Das macht nichts. (Er erscheint.
Sie beginnt ihm die Einzelheiten förmlich aus dem herb ver-
schlossenen Mund zu ziehen. Nachdem es geschehen ist, fragt sie:)
Wo ist der Ausguck? Sie müssen doch einen
Ausguck haben? Wo ich noch hingekommen bin,
war in dem Graben des Beobachters zwischen den
Moosdeckungen ein fünf Zentimeter breiter Ausguck
für mich frei. Ach, hier ist er! (Sie stellt sich zum Ausguck.)
Der Offizier (schreiend): Ducken! (Die Schalek
duckt sich.) Die drüben wissen ja nicht, wo wir
Beobachter sitzen, ein Stück Nase kann uns verraten.
(Die männlichen Mitglieder des Kriegspresseqiiartiers greifen
nach ihren Taschentüchern und halten sie vor.)
161
Die Schalek (beiseite): Feiglinge! (Die Batterie
beginnt zu arbeiten.) Gott sei Dank, wir kommen
gerade recht. Jetzt beginnt ein Schauspiel —
also jetzt sagen Sie mir Herr Leutnant, ob
eines Künstlers Kunst spannender, leidenschaft-
licher dieses Schauspiel gestalten könnte. Jene, die
daheim bleiben, mögen unentwegt den Krieg die
Schmach des Jahrhunderts nennen — hab' ich's
doch auch getan, solange ich im Hinterlande saß —
jene, die dabei sind, werden aber vom Fieber des
Erlebens gepackt. Nicht wahr Herr Leutnant, Sie
stehen doch mitten im Krieg, geben Sie zu, manch
einer von Ihnen will gar nicht, daß er ende!
Der Offizier: Nein, das will keiner. Darum
will jeder, daß er ende,
(Man hört das Sausen von Geschossen: Sssss — )
Die Schalek: Sss — ! Das war eine Granale.
Der Offizier: Nein, das war ein Schrapnell.
Das wissen Sie nicht?
Die Schalek: Es fällt Ihnen offenbar schwer,
zu begreifen, daß für mich die Tonfarben noch
nicht auseinanderstreben. Aber ich iiabe in der Zeit,
die ich draußen bin, schon viel gelernt, ich werde
auch das noch lernen. — Mir scheint, die Vorstellung
ist zu Ende. Wie schade! Es war erstklassig.
Der Offizier: Sind Sie zufrieden?
Die Schalek: Wieso zufrieden? zufrieden ist
gar kein Wort! Nennt es Vaterlandsliebe, ihr Idealisten;
FeindeshaO, ihr Nationalen; nennt es Sport, ihr
Modernen; Abenteuer, ihr Romantiker; nennt es
Wonne der Kraft, ihr Seelenkenner — ich nenne es
frei gewordenes Menschentum.
Der Offizier: Wie nennen Sie es?
Die Schalek: Frei gewordenes Menschentum.
Der Offizier: Ja wissen Sie, wenn man nur
wenigslens alle heiligen Zeiten einm.al einen Urlaub
b.e){äme!
Die letzten Tage der Menschheit. 11
162
DieSchalek: Aber dafür sind Sie doch durch
die stündliche Todesgefahr entschädigt, da erlebt
man doch was! Wissen Sie, was mich am meisten
intressiert? Was denken Sie sich, was für Empfin-
dungen haben Sie? Es ist erstaunlich, wie leicht
die Männer auf dritthalbtausend Meter Höhe nicht
nur ohne die Hilfe von uns Frauen, sondern auch
ohne uns selbst fertig werden.
Eine Ordonnanz (kommt): Melde gehorsamst,
Herr Leutnant, Zugsführer Hofer ist tot.
Die Schalek: Wie einfach der einfache Mann
das meldet! Er ist blaß wie ein weißes Tuch. Nennt
es Vaterlandsliebe, Feindeshaß, Sport, Abenteuer
oder Wonne der Kraft — ich nenne es freigewordenes
Menschentum. Ich bin vom Fieber des Erlebens
gepackt! Herr Leutnant, also sagen Sie, was denken
Sie sich jetzt, was für Empfindungen haben Sie?
(Verwandlung.)
27. Szene
Im Vatikan.
Man hört die Stimme des betenden Benedikt.
— — Im heiligen Namen Gottes, unseres
himmlischen Vaters und Herrn, um des gesegneten
Blutes Jesu willen, welches der Preis der mensch-
lichen Erlösung gewesen, beschwören wir Euch, die
Ihr von der göttlichen Vorsehung zur Regierung
der kriegführenden Nationen bestellt seid, diesem
fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem
Jahre Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen.
Es ist Bruderblut, das zu Lande und zur See ver-
gossen wird. Die schönsten Gegenden Europas,
dieses Gartens der Welt, sind mit Leichen und
Ruinen besät. Ihr tragt vor Gott und den Menschen
die entsetzliche Verantwortung für Frieden und Krieg.
163
Höret auf unsere Bitte, auf die väterliche Stimme
des Vikars des ewigen und höchsten Richters, dem
Ihr werdet Rechenschaft ablegen müssen. Die Fülle
der Reichtümer, mit denen Gott der Schöpfer die
Euch unterstellten Länder ausgestattet hat, erlauben
Euch gewiß die Fortsetzung des Kampfes. Aber um
was für einen Preis? Darauf mögen die Tausende
junger Menschenleben antworten, die alltäglich auf
den Schlachtfeldern erlöschen — —
(Verwandlung.)
28. Szene
In der Redaktion.
Man hört die Stimme des diktierenden Benedikt.
Und die Fische, Hummern und See-
spinnen der Adria haben lange keine so guten
Zeiten gehabt wie jetzt. In der südlichen Adria
speisten sie fast die ganze Bemannung des >Leon
Gambetta«. Die Bewohner der mittleren Adria fanden
Lebensunterhalt an jenen Italienern, die wir von dem
Fahrzeug »Turbine« nicht mehr retten konnten, und
in der nördlichen Adria wird den Meeresbewohnern
der Tisch immer reichlicher gedeckt. Dem Unter-
seeboot »Medusa« und den zwei Torpedobooten hat
sich jetzt der Panzerkreuzer »Amalfi« zugesellt. Die
Musterkollektion der maritimen Ausbeute, die sich
bisher auf das »maritime Kleinzeug« erstreckte, hat
einen gewichtigen Zuwachs erhalten, und bitterer
denn je muß die Adria sein, deren Grund sich
immer mehr und mehr mit den geborstenen Leibern
italienischer Schiffe bedeckt und über deren blaue
Fluten der Verwesungshauch der gefallenen Befreier
vom Karstplateau streicht
(Verwandlung.)
11*
164
29. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Sie können nicht leugnen,
daß der Krieg, abgeseiien von den guten Folgen
für die, welche ständig dem Tod ins Auge blicken müssen,
auch einen seelischen Aufschwung mit sich gebracht
hat.
Der Nörgler: Ich beneide den Tod nicht
darum, daß er sich jetzt von so vielen armen Teufeln
ins Auge blicken lassen muß, die erst durch die
allgemeine Galgenpflicht auf ein metaphysisches
Niveau emporgezogen werden, abgesehen davon, daß
es in den meisten Fällen mißlingt.
Der Optimist: Die Guten werden besser
und die Schlechten gut. Der Krieg läutert.
Der Nörgler: Er nimmt den Guten den
Glauben, wenn er ihnen nicht das Leben nimmt,
und er macht die Schlechten schlechter. Die
Kontraste des Friedens waren groß genug.
Der Optimist: Aber merken Sie nicht den
seelischen Aufschwung des Hinterlands?
DerNörgler: Was den seelischen Aufschwung
des Hinterlands anlangt, so habe ich ihn bisher
nicht anders gemerkt als den Straßenstaub, den die
Kehrichtwalze aufwirbelt, damit er wieder zu
Boden sinke.
Der Optimist: Es verändert sich also nichts?
Der Nörgler: Doch, aus Staub wird Dreck,
weil auch der Spritzwagen noch hinterher geht.
Der Optimist: Sieglauben also nicht, daß
sich seit dem Anfang August, da sie ausgezogen
sind, etwas gebessert hat?
Der Nörgler: Anfang August, ja das war
der Ausziehtermin, als man der Menschheit die Ehre
gekündigt hatte. Sie hätte ihn vor dem Weltgericht
anfochten sollen.
I
165
Der Optimist: Wuilen Sie etwa die
Begeisterung, mit der unsere braven Soldaten ins
Feld ziehen, und den Stolz, mit dem die Daheim-
bleibenden ihnen nachblicken, in Abrede stellen?
Der Nörgler: Gewiß nicht; nur behaupten,
daß die braven Soldaten lieber mit den stolz
Nachblickenden tauschen würden als die stolz
Nachblickenden mit den braven Soldaten.
Der Optimist: Wollen Sie die große
Solidarität in Abrede stellen, die der Krieg wie
mit einem Zauberschlage hergestellt hat?
Der Nörgler: Die Solidarität wäre noch
größer, wenn keiner hinausziehen müßte und alle
stolz nachblicken dürften.
Der Optimist: Der deutsche Kaiser hat
gesagt: Es gibt keine Parteien mehr, es gibt nur
noch Deutsche.
Der Nörgler: Das mag für Deutschland
richtig sein, anderswo haben die Menschen vielleicht
doch einen noch höheren Ehrgeiz.
Der Optimist: Wieso?
Der Nörgler: Es versteht sich schon nach
der Nationalität, daß sie anderswo keine Deutschen sind.
Der Optimist: Wer hat wie Sie die
Menschheit im Frieden faulen gesehn?
Der Nörgler: Sie trägt ihre Fäulnis in den
Krieg, sie steckt den Krieg mit ihr an, sie läßt ihn
an ihr verkommen und sie wird sie unversehrt und
vermehrt hinüber in den Frieden retten. Ehe der Arzt
die Pest heilt, hat sie ihn und den Patienten um-
gebracht.
Der Optimist: Ja, aber ist denn für eine
so geartete Menschheit der Krieg nicht besser als
der Friede?
Der Nörgler: Ist es so, so kommt der
Friede hintennach.
Der Optimist: Ich würde doch glauben,
daß der Krieg dem Übel ein Ende macht.
166
Der Nörgler: Er setzt es fort.
Der Optimist: Der Krieg als solcher?
Der Nörgler: Der Krieg als dieser. Er wirkt
aus den Verfallsbedingungen der Zeit, mit ihren
Bazillen sind seine Bomben gefüllt.
Der Optimist: Aber es gibt doch wenigstens
wieder ein Ideal. Ist es da mit dem Übel nicht vorbei?
Der Nörgler: Das Übel gedeiht hinter dem
Ideal am besten.
Der Optimist: Aber die Beispiele von
Opfermut müssen doch fortwirken über den Krieg
hinaus.
Der Nörgler: Das Übel wirkt durch den
Krieg und über ihn fort, es mästet sich am Opfer.
Der Optimist: Sie unterschätzen die sitt-
lichen Kräfte, die der Krieg in Bewegung setzt.
Der Nörgler: Das sei fern von mir. Viele,
die jetzt sterben müssen, dürfen zwar auch morden,
sind aber jedenfalls der Möglichkeit, zu wuchern,
enthoben. Nur daß sich für diesen Ausfall die andern,
die ihnen stolz nachblicken, entschädigen können.
Die dort sind die superarbitrierten Sünder; die hier
rücken frisch ein.
Der Optimist: Sie verwechseln eine Ober-
flächenerscheinung, wie sie die korrupte Großstadt
bietet, mit dem gesunden Kern.
Der Nörgler: Die Bestimmung des gesunden
Kerns ist, Oberflächenerscheinung zu werden. Die
Richtung der Kulturtendenz führt zur Welt als
Großstadt. Im Handumdrehn können Sie aus einem
westphälischen Bauern einen Berliner Schieber
machen, umgekehrt gehts nicht und zurück ginge
es auch nicht mehr.
Der Optimist: Aber die Idee, für die
gekämpft wird, bedeutet doch eben dadurch, daß
wieder eine Idee da ist und daß man sogar für sie
sterben kann, die Möglichkeit einer Gesundung.
167
Der Nörgler: Man kann sogar für sie
sterben und wird trotzdem nicht gesund. Man stirbt
eben nicht für sie, sondern an ihr. Und man stirbt
an ihr, ob man für sie lebt oder stirbt, in Krieg
und Frieden. Denn man lebt von ihr.
Der Optimist: Das ist ein Wortspiel.
Welche Idee haben Sie im Auge?
Der Nörgler: Die Idee, für die das Volk
stirbt, ohne sie zu haben, ohne etwas von ihr zu
haben, und an der das Volk stirbt, ohne es zu
wissen. Die Idee der kapitalistischen, also jüdisch-
christlichen Weltzerstörung, die im Bewußtsein jener
liegt, die nicht kämpfen, sondern für die Idee und
von ihr leben und wenn sie nicht unsterblich sind,
an Fettsucht oder Zuckerkrankheit sterben.
Der Optimist: Wenn also nur für eine
solche Idee gekämpft wird, wer würde dann siegen?
Der Nörgler: Hoffentlich nicht jene Kultur,
die sich am willigsten der Idee überlassen hat, deren
Durchsetzung von eben der Macht-Organisation
abhängt, zu welcher diese Idee ausschließlich fähig war.
Der Optimist: Ich verstehe. Die andern,
die Feinde, würden dann also für eine andere Idee
kämpfen?
Der Nörgler: Hoffentlich. Nämlich für eine
Idee. Nämlich für die, die europäische Kultur von
dem Druck jener Idee zu befreien. Sich selbst zu"
befreien, sich selbst auf dem Weg, auf dem die
Gefahr gespürt wird, zur Umkehr zu bringen.
Der Optimist: Und Sie glauben, daß der-
gleichen den Staatsmännern der feindlichen Mächte
bewußt ist, die doch gerade in offenkundiger Weise
Handelsinteressen vertreten und als die Partei des
händlerischen Neides vor der Weltgeschichte
gezeichnet sind ?
Der Nörgler: Die Weltgeschichte erscheint
bei uns täglich zweimal, also zu oft, um sich die
nötige Autorität bei der Entente zu verschaffen.
168
Nein, bewußt ist den Staatsmännern nie eine Idee,
aber in dem Instinkt der Völker lebt sie so lange,
bis sie sich eines Tages in einer staatsmännischen
Handlung manifestiert, die dann ein ganz anderes
Gesicht, ein ganz anderes Motiv hat. Man sollte sich
allmählich gewöhnen, das, was man britischen Neid,
französische Revanchesucht und russische Raubgier
nennt, als eine Aversion gegen den ehernen Tritt
deutscher Schweißfüße aufzufassen.
Der Optimist: Sie glauben also nicht,
dab es sich einfach um einen planmäßigen Überiall
handelt?
Der Nörgler: Doch.
Der Optimist: Also wie — ?
Der Nörgler: Ein Überfall geschieht in der
Regel gegen den, der überfallen wird, seltener gegen
den, der überfällt. Oder nennen wir es einen Überfall,
der für den Überfallenden etwas überraschend kam,
und einen Akt der Notwehr, der den Überfallenden
ein wenig überrumpelt hat.
Der Optimist: Sie belieben zu scherzen.
Der Nörgler: Im Ernst halte ich diesen
europäischen Zusammenschluß gegen Mitteleuropa
für die letzte elementare Tatsache, deren die christ-
liche Zivilisation fähig war.
Der Optimist: Sie sind also offenbar der
Ansicht, daß nicht Mitteleuropa, sondern die Entente
im Zustand der Notwehr gehandelt hat. Wenn sie
aber, wie sich zeigt, nicht fähig ist, diese Notwehr
eines Überfalls erfolgreich durchzuführen?
Der Nörgler: Dann würde dieser Händler-
krieg vorläufig zu Gunsten jener entschieden werden,
die weniger Religion hatten, um nach hundert Jahren
in einen offenen Religionskrieg überzugehen.
Der Optimist: Wie meinen Sie das?
Der Nörgler: Ich meine, daß dann das
judaisierte Christentum Europas vor dem Gebot des
asiatischen Geistes die Waffen strecken wird.
1
169
Der Optimist: Und mit welchen Waffen
würde der asiatische Geist das erzwingen?
Der Nörgler: Mit Waffen. Mit eben der
Idee der Quantität und der entwickelten Technik,
mit der allein der Idee, dem infernalischen Geist
Mitteleuropas beizukommen ist. Die Quantität hat
China schon, die andere Waffe wird es sich noch
zulegen. Es wird für rechtzeitige Japanisierung sorgen.
Es wird so verfahren wie heute in kleinerem Maße
England, das sich den Militarismus anschaffen muß,
um mit ihm fertig zu werden.
Der Optimist: Aber es wird ja mit ihm
nicht fertig.
Der Nörgler: Ich hoffe, doch. Und: daß
es nicht selbst fertig würde, wenn es den Milita-
rismus bekäme; und daß es nicht mit g'^istiger
Verarmung einen materiellen Sieg erkaufe. Sonst
würde Europa verdeutscht. Der Militarismus ist
vielleicht ein Zustand, durch den ein europäisches Volk
besiegt wird, nachdem es durch ihn gesiegt hat.
Die Deutschen haben sich als erste aufgeben müssen,
um das erste Militärvolk der Erde zu sein. Möge es den
andern nicht ähnlich ergehen, zumal den Engländern,
die ein edlerer Selbsterhaltungstrieb bisher vor der
allgemeinen Wehrpflicht bewahrt hat. Die jetzige
Notwehr, die den allgemeinen Zwang herbeiruft,
ist nicht nur ein verzweifelter, sondern auch ein
zweifelhafter Versuch. England könnte zugleich mit
Deutschland sich selbst besiegen. Die einzige Rasse,
die stark genug ist, das technische Leben zu über-
dauern, lebt nicht in Europa. So sehe ich es manchmal.
Gebe der Christengott, daß es anders kommt!
Der Optimist: Aha, Ihre Chinesen; die
kriegsuntüchtigste Rasse !
Der Nörgler: Gewiß, sie lassen heute alle
Errungenschaften der Neuzeit vermissen, denn sie
haben sie vielleicht in einer uns unbekannten Vorzeit
schon durchgemacht und ihr Leben daraus gerettet.
170
Sie werden sie spielend wieder erringen, sobald sie
sie brauchen werden, um sie den Europäern abzu-
gewöhnen. Sie werden auch Firlefanz treiben: aber
zu einem moralischen Zwecke. Das nenne ich einen
Religionskrieg, der eine Art hat.
Der Optimist: Welcher Idee verhilft er
zum Siege?
Der Nörgler: Der Idee, daß Gott den
Menschen nicht als Konsumenten oder Produzenten
erschaffen hat, sondern als Menschen. Daß das
Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Daß der Magen
dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Daß das
Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbs-
interessen begründet sei. Daß der Mensch in die Zeit
gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit den
Beinen irgendwo schneller anzulangen als mit dem
Herzen.
Der Optimist: Das ist Urchristentum.
Der Nörgler: Christentum ist es nicht, denn
dieses war nicht widerstandsfähig vor der Rache
Jehovahs. Seine Verheißung zu schwach, um den
irdischen Heißhunger vertrösten zu können, der sich
für die himmlische Entschädigung schon hienieden
entschädigt. Denn diese Art Menschheit ißt nicht,
um zu leben, sondern lebt um. zu essen und stirbt
nun gar dafür. Freudenhaus und Schlachthaus und
im Hintergrund die Kapelle, in der ein vereinsamter
Papst die Hände ringt.
Der Optimist: Also mit einem Wort, die
Idee ist der Kampf gegen den Materialismus.
DerNörgler: Also mit einem Wort : die Idee.
Der Optimist: Aber ist denn nicht der
deutsche Militarismus gerade jene konservative Ein-
richtung, die den von Ihnen verachteten Tendenzen
der modernen Welt entgegensteht? Ich wundere
mich, daß ein konservativer Denker gegen den
Militarismus spricht.
i
171
Der Nörgler: Ich wundere mich gar nicht,
daß ein Fortschrittsmann für den Militarismus spricht,
Sie haben ganz recht: denn der Militarismus ist
nicht das was ich meine, sondern das was Sie meinen.
Er ist das Machtmittel, das der jeweils herrschenden
Geistesrichtung zu ihrer Durchsetzung dient. Heute
dient er, nicht anders als ihr die Presse dient, der
Idee jüdisch-kapitalistischer Weltzerstörung.
Der Optimist: Aber in den Äußerungen
der feindlichen Mächte ist von nichts anderm die
Rede als daß sie die Freiheit gegen die Autokratie
schützen wollen.
Der Nörgler: Das ist jetzt das nämliche.
Was im Instinkt der Menschheit, auch der unfreiesten,
lebt, ist die Sehnsucht, die Freiheit des Geistes
gegen die Diktatur des Geldes, die Menschenwürde
gegen die Autokratie des Erwerbs zu schützen. Der
Militarismus ist das Machtmittel dieser Diktatur,
anstatt daß er innerhalb des Staates zum Werkzeug
gegen sie verwendet würde, zu dem er von Natur
geschaffen ist. Seitdem die todbringende Waffe ein
Industrieprodukt ist, kehrt sie sich gegen die Mensch-
heit, und der Berufssoldat weiß nicht mehr, welcher
Bestrebungen Werkzeug er ist. Auch Rußland kämpft
gegen die Autokratie. Aus einem letzten kulturellen
Instinkt heraus wehrt es sich gegen die dem Geist
und der Menschenwürde gefährlichste Macht, gegen
jene Überredung, der die prinzipielle Unterworfenheit
des christlichen Gedankens am leichtesten und zum
heillosesten Pakte unterliegt.
Der Optimist: Sollten aber die heterogenen
Völker, die zu diesem Krieg zusammengetrommelt
wurden, eben diese eine gemeinsame Sehnsucht
haben? Die russische Autokratie und die westliche
Demokratie?
Der Nörgler: Eben diese Antithese beweist
die tiefere Gemeinsamkeit, die über das politische
Ziel hinausgreift. Und daß selbst die Kontraste
172
zusammengehen, beweist, daß die schlechte Politik
Deutschlands, diese Ohnmacht gegen diplomatische
Schulregeln, der Ausdruck einer Entwicklungs-
notwendigkeit war.
Der Optimist: Aber das Gemenge dieser
Verbündeten ist doch allzu bunt.
Der Nörgler: Die Mischung beweist die
Echtheit des Hasses.
Der Optimist: Aber der Haß gebraucht
die falschesten Argumente.
Der Nörgler: Das tut der Haß immer, doch
seine iaischen Argumente sind ein Beweis für die
Wahrheit seines Instinkts.
Der Optimist: So hätten also die Deutschen
es nötig, aus den Reichen der Lüge sich kulturelle
Auffrischung zu holen?
Der Nörgler: Nötig wohl, aber ein Sieg
würde es ihnen überflüssig erscheinen lassen.
Sie würden von ihren bedenklichsten Wahrheiten
nicht zu heilen sein. Denn es ist immerhin fraglich,
ob nicht die »Lügen des Auslands^ vorausgesetzt,
daß nicht auch sie made in Germany sind, mehr
Lebenssaft enthalten als eine Wahrheit des Wolff'schen
Büros. Bei jenen kann man die Lüge, die einem
Naturell entspringt, von der Wahrheit, die einer
Einsicht entspringt, unterscheiden ; hier sagen sie
selbst die Wahrheit wie gedruckt und alles entspringt
dem Papier. Ist die Lüge in romanischen Ländern
ein RauscJ!, so ist sie hier eine Wissenschaft und
darum dem Organismus gefährlich. Die dort sind
Künstler der Lüge, sie glauben selbst nicht daran,
sie wollen sie aber hören, weil ihnen die Lüge
deutlicher sagt, was sie empfinden : ihre Wahrheit.
Die hier lügen um kein Wort mehr als für den
zu erreichenden Zweck unbedingt notwendig ist;
sie sind Ingenieure der Lüge, sie sichern durch sie
ihre Kriegs- und Lebenslüge.
173
Der Optimist: Die Vorwürfe, daß die
deutsche Kriegführung barbarisch sei, sind doch
zu albern.
Der Nörgler: Nehmen wir mit Gott an, die
deutsche Kriegführung sei bis auf etliche nur als
Repressalien angewandte Maßnahmen, die zufällig
immer die Zivilbevölkerung treffen, und bis auf
Fälle wie den der Lusitania, die der Biedersinn
»Zwischenfälle« nennt, nicht barbarischer als die
Kriegführung der andern. Aber wenn die andern
sagen, die deutsche Kriegführung sei barbarisch, so
füiilen sie doch mit Recht, daß die deutsche Friedens-
führung barbarisch ist. Und das muß sie gewesen
sein, da sie sonst nicht seit Generationen auf dem
Gedanken aufgebaut gewesen wäre, die deutsche
Kriegführung vorzubereiten.
Der Optimist: Aber die Deutschen sind
schließlich doch auch das Volk der Dichter und
Denker. Widerspricht nicht die deutsche Bildung
dem von Ihnen behaupteten Materialismus?
Der Nörgler: Die deutsche Bildung ist
kein Inhalt, sondern ein Schmückedeinheim, mit
dein sich das Volk der Richtei und Henker seine
Leere ornamentiert.
Der Optimist: Das Volk der Richter und
Henker? So nennen Sie die Deutschen? Das Volk
Goethes und Schopenhauers?
DerNörgler: So kann es sich selbst nennen,
weil es gebildet ist, aber es müßte dafür von rechts-
wegen nach seinem populärsten Strafparagraphen,
nämlich wegen groben Unfugs, vom Weltgericht
abgeurteilt werden.
Der Optimist: Warum denn?
DerNörgler: Weil Goethe und Schopenhauer
gegen den heutigen Zustand des deutschen Volkes
mil mehr Berechtigung alles das vorbrächten, was
sie gegen ihre deutsche Zeitgenossenschaft auf dem
Herzen hatten, und mit mehr Schärfe als der ,Matin'.
174
Sie müßten heute froh sein, wenn es ihnen glückte,
als lästige Inländer über die Grenze zu kommen.
Goethe hat schon dem aufgeschwungenen Zustand,
in dem sich sein Volk während des Befreiungskrieges
befand, nichts als das Gefühl der Leere abgewinnen
können, und die deutsche Umgangs- und Zeitungs-
sprache könnte Gott danken, wenn sie heute noch
auf dem Niveau wäre, auf dem Schopenhauer sie
verächtlich gefunden hat. Kein Volk lebt entfernter
von seiner Sprache, also von der Quelle seines
Lebens, als die Deutschen, Welcher neapolitanische
Bettler stünde seiner Sprache nicht näher, als der
deutsche Professor der seinen ! Ja, aber gebildet ist
dieses Volk wie kein andres und weil seine Doktoren
ohne Ausnahme, das heißt, wenn sie nicht in einem
Pressequartier unterkommen, mit Gasbomben
hantieren, macht es gleich seine Feldherrn zu
Doktoren. Was hätte Schopenhauer zu einer philo-
sophischen Fakultät gesagt, die ihre höchste Ehre
an einen Organisator des Maschinentods vergibt?
Gebildet sind sie, das muß ihnen der britische
Neid lassen, und v/issen Bescheid von allem.
Ihre Sprache dient eben noch dem Zweck, Bescheid
zu sagen. Dieses Volk schreibt heute das abgestutzte
Volapük des Weltkommis und wenn es die Iphigenie
nicht zufällig ins Esperanto rettet, so überläßt es
das Wort seiner Klassiker der schonungslosen
Barbarei aller Nachdrucker und entschädigt sich in
einer Zeit, in der kein Mensch mehr das Schicksal
des Wortes ahnt und erlebt, durch Luxusdrucke,
Bibliophilie und ähnliche Unzucht eines Ästhetizismus,
die ein so echtes Stigma des Barbarentums ist wie
das Bombardement einer Kathedrale.
Der Optimist: Aha, aber die Kathedrale
von Reims war ein militärischer Beobachtungsposten!
Der Nörgler: Interessiertmich nicht. DieMensch-
heit selbst ist ein militärischer Beobachtungsposten —
ich wollte, sie würde von Kathedralen beschossen.
i
175
Der Optimist: Aber das mit der deutschen
Sprache verstehe ich nicht ganz. Sie sind der, der
mit der deutschen Sprache förmlich verlobt tut und
ihr in der Schrift gegen den Heineismus den Vorzug
vor den romanischen Sprachen zuerkannt hat. Jetzt
denken Sie offenbar anders.
Der Nörgler: Daß ich jetzt anders denke,
kann nur ein Deutscher finden. Eben ich denke so,
weil ich mit ihr verlobt bm. Ich bin ihr auch treu.
Und ich weiß, wie dieser Krieg es bestätigen wird
und wie ein Sieg, vor dem Gott uns bewahren möge,
der vollkommenste Verrat am Geiste wäre.
Der Optimist: Sie sehen doch aber die
deutsche Sprache als die tiefere?
Der Nörgler: Aber tief unter ihr den
deutschen Sprecher.
Der Optimist: Und die andern Sprachen
stehn doch nach Ihrer Ansicht tief unter der deutschen?
Der Nörgler: Aber die andern Sprecher höher.
Der Optimist: Sind Sie denn in der Lage,
einen faßbaren Zusammenhang zwischen der Sprache
und dem Krieg herzustellen?
Der Nörgler: Etwa den : daß jene Sprache,
die am meisten zu Phrase und Vorrat erstarrt ist,
auch den Hang und die Bereitschaft hat, mit dem
Tonfall der Überzeugung alles das an sich selbst
untadelig zu finden, was dem andern zum Vorwurf
gereicht.
Der Optimist: Und das sollte eine Qualität
der deutschen Sprache sein?
Der Nörgler: Hauptsächlich. Sie ist heute
selbst jene Fertigware, die an den Mann zu bringen
den Lebensinhalt ihrer heutigen Sprecher ausmacht,
und sie hat nur noch die Seele des Biedermannes,
der gar keine Zeit hatte, eine Schlechtigkeit zu
begehen, weil sein Leben nur auf sein Geschäft auf-
und draufgeht und wenns nicht gereicht hat, ein
offenes Konto bleibt.
176
Der Optimist: Sollten diese Gedanken
nicht weit hergeholt sein?
Der Nörgler: Von dem Fernsten, von der
Sprache,
Der Optimist: Und suchen die andern kein
Geschäft ?
Der Nörgler: Aber ihr Leben geht nicht
drauf auf.
Der Optimist: Die Engländer machen mit
dem Krieg ein Geschäft und ließen auch stets nur
Söldner für sich kämpfen.
Der Nörgler: Die Engländer sind eben keine
Idealisten, sie wollen für ihr Geschäft nicht ihr Leben
einsetzen.
Der Optimist: Söldner kommt unmittelbar
von Sold, da haben Sie Ihre Sprache!
Der Nörgler: Ein klarer Fall. Aber Soldat
noch unmittelbarer. Der Unterschied ist freilich, daß
der Soldat weniger Sold und mehr Ehre bekommt,
wenn er fürs Vaterland sterben geht.
Der Optimist: Aber unsere Soldaten kämpfen
doch eben fürs Vaterland.
Der Nörgler: Ja, das tun sie wirklich, und
zum Glück aus Begeisterung, weil sie sonst dazu
gezwungen wären. Die Engländer sind keine
Idealisten. Sie sind vielmehr so sauber, wenn sie
ein Geschäft machen wollen, es nicht Vaterland zu
nennen, sie sollen gar kein Wort in ihrer Sprache
dafür haben, sie lassen die Ideale in Ruhe, wenn
der Export in Gefahr ist.
Der Optimist: Sie sind Händler.
Der Nörgler: Wir sind Helden.
Der Optimist: Ja, aber Sie sagen doch wieder,
daß die Engländer mit allen andern zusammen, für
ein Ideal kämpfen?
177
Der Nörgler: Ich sage, daß sie es unter
den realsten Vorwänden zu tun imstande sind,
während wir unter den idealsten Vorwänden auf ein
Geschäft ausgehen.
Der Optimist: Halten Sie es für ein Ideal,
die Deutschen an einem Geschäft zu hindern?
Der Nörgler: Gewiß, eben das, was wir ftir
Konkurrenzneid halten. In Wahrheit ist es das Wissen,
wem eine Ausdehnung des Etablissements kulturell
bekömmlich ist und wem nicht. Es gibt Völker, die
nicht zu viel essen dürfen, weil sie eine schlechte
kulturelle Verdauung haben. Das spürt die Nachbar-
schaft im Nu und peinlicher als sie selbst. Welthandel
würde den deutschen Geist, von dem die deutsche
Bildung schon längst nichts mehr weiß, für alle Zeit
isolieren. Aber um mit der Welt in geistiger Verbindung
zu bleiben, dazu ist Exportvermehrung keineswegs
förderlich. Den Engländern steht dergleichen zu,
ohne der dürftigen Seeie, die wir an ihnen wahr-
zunehmen glauben, Abbruch zu tun. Sie können sich
das Notwendige wie den Luxus des Ornaments ohne
Gefahr leisten und vertragen den Betrieb so gut wie
die Monarchie. Im deutschen Wesen, an dem die
Welt genesen soll, geht alles Heterogene sofort eine
heillose Verbindung ein. Jene haben Kultur, weil
sie das bißchen Innerlichkeit von den Problemen
des Konsums streng zu separieren wissen. Sie wollen
von keinem Schmutzkonkurrenten gezwungen sein,
länger als sechs Stunden zu arbeiten, um den Rest
des Tags jenen Beschäftigungen vorzubehalten, für
die Gott den Briten erschaffen hat: Gott oder Sport,
wobei die Beschäftigung mit Gott selbst dann eine
innere Angelegenheit wäre, wenn sie nur Heuchelei
wäre, weil sie immerhin ein Gedanke ist, der von
dem Tagwerk weitab führt. Und darauf kommt es
an. Während der Deutsche vierundzwanzig Stunden
im Tag arbeitet und die seelischen, geistigen, künst-
lerischen und sonstigen Verpflichtungen, die er durch
Die letzten Tage der Menschheit. 12
178
diese Einteilung vernachlässigen würde, innerhalb
der Arbeit absolviert, indem er ihren bezüglichen
Inhalt gleich als Ornament, als Vv'^arenmarke, als
Aufmachung verwendet. Er will nichts versäumen.
Und diese Vermischung der inneren Dinge mit den
Lebensnotwendigkeiten, diese Einstellung des Lebens-
mittels als Lebenszweck und gleichzeitige Verwendung
des Lebenszwecks im Dienste des Lebensmittels, wie
etwa der »Kunst im Dienste des Kaufmanns« —
dies ist das unselige Element, in welchem das deutsche
Ingenium floriert und verwelkt. Dies und nichts
anderes, der fluchwürdige Geist ewiger Verbindung,
Umstülpung, Aufmachung ist das Problem des Welt-
kriegs. Wir sind Händler und Helden in einer Firma.
Der Optimist: Das Problem des Weltkrieges
ist bekanntlich, daß Deutschland seinen Platz an
der Sonne haben wollte.
Der Nörgler: Das ist bekannt, aber man
weiß noch nicht, daß wenn dieser Platz erobert wäre,
die Sonne untergehn würde. Worauf freilich die
Norddeutsche Allgemeine die Antwort hätte, daß wir
dann im Schatten kämpfen würden. Und zwar bis
zum siegreichen Ende und darüber hinaus.
Der Optimist: Sie sind ein Nörgler.
Der Nörgler: Ich bin es, wiewohl ich gern
zugebe, daß Sie ein Optimist sind.
Der Optimist: Waren Sie nicht einer, der
ehedem der deutschen Organisation ein Loblied
gesungen und sie wenigstens im Vergleich zur
romanischen Wildnis begünstigt hat?
Der Nörgler: Ehedem und noch jetzt. Die
deutsche Organisation — nehmen wir selbst an, sie
hielte dem fessellosen Krieg stand — ist ein Talent
und wie jedes Talent weit- und zeitläufig. Es ist
praktisch, subaltern und dient der Persönlichkeit,
die sich seiner bedient, besser als die zerfahrene
Umgebung, in der auch der subalterne Mensch
Persönlichkeit hat. Wie sehr muß aber ein Volk
179
sich seiner Persönlichkeit entäußert haben, um zu
der Fähigkeit zu gelangen, so glatt die Bahn des
äußeren Lebens zu bestellen! Ein Kompliment war
diese Anerkennung nie, und bei der Entscheidung
zwischen Menschheitswerten, zu der vor dem Krieg
kein Aufruf erfolgt war, hat das nervöse Bedürfnis
des Individualitätsmenschen nicht mehr mitzureden.
Er durfte in einem schlechten Leben und zumal
in dem Chaos, in das dieses schlechte Leben
gar hierzulande verdammt ist, sich nach Ordnung
sehnen; er durfte in diesem Notstand die Technik
als Pontonbrücke benützen, um zu sich selbst zu
gelangen ; er war es zufrieden, daß die Menschheit
um ihn herum nur noch aus Chauffeuren bestand,
denen er getrost auch allerlei Stimmrecht entzogen
hätte. Jetzt geht es um die Persönlichkeit der Völker.
Der Optimist: Und welche siegt?
Der Nörgler: Als Nörgler bin ich ver-
pflichtet, schwarz zu sehen und zu fürchten, daß
jene siegt, die am wenigsten Individualität bewahrt
hat, also die deutsche. Innerhalb der geistigen
Grenzen des europäischen Christentums sehe ich das,
in schwarzen Stunden, so verlaufen. Die seelische
Aushungerung kommt hintennach.
Der Optimist: Dies dasResultat des Weltkriegs?
Der Nörgler: Des europäischen Kriegs, und
bis zu der Entscheidung, die der wahre Weltkrieg
gegen das im Geist geeinte Europa bringen würde.
Der slavo-romanische, von Hilfsvölkern unterstützte
Aufstand bleibt eine Episode, bis ganz Europa
genügend deutsche Moral, Stinkbomben und allge-
meine Wehrpflicht hat, um von Asien mores gelehrt
zu werden. So fürchte ich manchmal. Doch zumeist
bin ich ein Optimist und ein ganz anderer als Sie.
Dann hoffe ich zuversichtlich, daß es gut ausgehn
wird, und sehe, daß diese ganze Siegerei nichts ist
als ein frevler Zeit- und Blutverlust zur Fristerstreckung
der unabwendbaren Niederlage.
12*
180
Der Optimist: Seien Sie vorsichtig!
Der Nörgler: Ich sage es ja nur Ihnen und
öffentlich, Sie sagen es nicht weiter, und meinen Stil
versteht der Henker nicht. Ich würde gern deutlicher
werden. Aber ich lasse die Preußen aufs Ganze
gehn und denke mir meinen Teil.
Der Optimist: Aber Sie widersprechen sich
auch in dem, was Sie für sich behalten,
DerNörgler: Das ist doch kein Widerspruch,
daß ich unsern Sieg fürchte und auf unsere Nieder-
lage hoffe.
Der Optimist: Und es besteht also auch
kein Widerspruch zwischen Ihrem Lob des deutschen
Wesens und Ihrem Tadel?
Der Nörgler: Nein, es besteht kein Wider-
spruch zwischen dem Lob einer Zivilisation, die das
äußere Leben reibungslos macht, Straßendreck durch
Asphalt ersetzt und der ergänzungswilligen Phantasie
Schemen statt einer wertlosen Wesenhaftigkeit liefert,
und dem Tadel einer Kultur, die sich eben um dieser
Reibungslosigkeit, Proraptheit und Geschicklichkeit
willen verflüchtigt hat. Es ist kein Widerspruch,
sondern eine Tautologie. Ich fühlte mich in einer
allgemeinen 7v\ißwelt am wohlsten dort, wo sie
geordnet ist und die Gesellschaft entleert genug,
um mir eine Komparserie zu stellen, in der einer
wie der andere aussieht und darum das Gedächtnis
nicht mit Physiognomien belastet wird. Aber ich
wünsche nicht, daß es der Zustand der Menschheit
sei, ich bin weit entfernt davon, meine Bequemlichkeit
über das Glücksbedürfnis der Nation zu setzen, und
halte es iür verfehlt, wenn diese selbst sich wie ein
Bataillon Aschingert)rötchen aufreihen läßt.
Der Optimist: So klären Sie mir auch den
Widerspruch auf, daß Sie den militärischen Typus
für den relativ saubersten im Staatslcben gehalten
haben.
I
181
Der Nörgler: Das ist so wenig ein Wider-
spruch wie der andere einer ist. Der militärische
Typus war unter allen vorrätigen Typen der Mittel-
mäßigkeit im Chaos einer Friedenswelt der brauch-
barste. Dienst ist die Schranke der zügellosen Un-
bedeutung, Zucht, Pflichterfüllung um ihrer selbst
willen ist der Anstand der Banalität. Dies als
Augenmaß für das Gesichtsfeld eines Geldbürgertunis.
Sogar der Jobber, der einmal dienen muß, anstatt zu
gebieten, kommt mit einem bessern, weniger störenden,
fettloseren Habitus zurück.
Der Optimist: Das wäre ja beileibe ein
Lob des Kriegs.
Der Nörgler: Nein, nur der Slrapaz. Bei Leibe!
Der Tod hebt den erreichten Gewinn wieder auf.
Der Optimist: Das ist wahr. Aber wenn
die Jobber sterben, so muß Ihnen das doch
recht sein.
Der Nörgler: Die Jobber sterben nicht.
Und vor allem macht der angemaßte Todesglanz
den Wert der Turnübung wett. Das Heldentum der
Unbefugten ist die schaurigste Aussicht dieses Kriegs.
Es wird dereinst der Hintergrund sein, auf dem sich
die vermehrte oder unveränderte Niedrigkeit male-
rischer und vorteilhafter abhebt.
Der Optimist: Aber es wird doch wirklich
gestorben. Beachten Sie die tägliche Zeitungsrubrik
»Heldentod«.
Der Nörgler: Gewiß, es ist dieselbe Rubrik,
in der früher die Verleihung des Kommerzialratstitels
gemeldet wurde. Aber dieser traurige Zufall eines
Granatsplitters wird auch den überlebenden Vertretern
der kommerziellen Interessen, für die jene gestorben
sind, eine Aureole verschaffen.
Der Optimist: Sie meinen die, die daheim-
geblieben sind?
182
Der Nörgler: Ja, diese werden sich für den
Zwang, dem jene erlegen sind, entschädigen, für
den Zwang im Dienst einer fremden Idee sterben zu
müssen, der da allgemeine Wehrpflicht heißt.
Der Optimist: Diesem Übermut werden die
heimkehrenden Krieger schon zu begegnen wissen.
Der Nörgler: Die heimkehrenden Krieger
werden in das Hinterland einbrechen und dort den
Krieg erst beginnen. Sie werden die Erfolge, die
ihnen versagt waren, an sich reißen und der Lebens-
inhalt des Kriegs, den Mord, Plünderung und
Schändung bilden, wird ein Kinderspiel sein gegen
den Frieden, der nun ausbrechen wird. Vor der
Offensive, die dann bevorsteht, bewahre uns der
Schlachtengoti ! Eine furchtbare Aktivität, aus
Schützengräben befreit, durch kein Kommando mehr
geleitet, wird in allen Lebenslagen nach der Waffe
und nach dem Genuß greifen, und es wird mehr
Tod und Krankheit in die Welt kommen, als der
Krieg selbst ihr zugemutet hat. Der Himmel schütze
die Kinder vor den Säbeln, die ein häusliches
Züchtigungsmittel sein werden, wie vor dem Spiel-
zeug einer mitgebrachten Granate !
Der Optimist: Es ist gewiß gefährlich,
wenn Kinder mit Granaten spielen.
Der Nörgler: Und die Erwachsenen, die
desgleichen tun, hüten sich nicht einmal, mit
Granaten zu beten! Ich habe ein Kreuz gesehn, das
aus einer verfertigt war.
Der Optimist: Das sind Begleiterscheinungen.
Sonst hat auch der Krieg an Ihnen nicht immer einen
so überzeugten Verächter gefunden.
Der Nörgler: Sonst habe ich auch in Ihnen
nicht immer einen so überzeugten Mißversteher
gefunden. Sonst war der Krieg ein Turnier der
Minderzahl und jedes Beispiel hatte Kraft. Jetzt ist
er ein Maschinenrisiko der Gesamtheit und Sie
sind ein Optimist.
183
Der Optimist: Die Entwicklung der Waffe
kann doch hinter den technischen Errungenschaften
der Neuzeit unmöglich zurückbleiben.
Der Nörgler: Nein, aber die Phantasie der
Neuzeit ist hinter den technischen Errungenschaften
der Menschheit zurückgeblieben.
Der Optimist: Ja, führt man denn mit
Phantasie Kriege?
Der Nörgler: Nein, denn wenn man jene
noch hätte, würde man diese nicht mehr führen.
Der Optimist: Warum nicht?
Der Nörgler: Weil dann die Suggestion
einer von einem abgelebten Ideal zurückgebliebenen
Phraseologie nicht Spielraum hätte, die Gehirne zu
benebeln ; weil man selbst die unvorstellbarsten
Greuel sich vorstellen könnte und im Voraus wüßte,
wie schnell der Weg von der farbigen Redensart
und von allen Fahnen der Begeisterung zu dem
feldgrauen Elend zurückgelegt ist; weil die Aussicht,
fürs Vaterland an der Ruhr zu sterben oder sich die
Füße abfrieren zu lassen, kein Pathos mehr mobil
machen würde; weil man mindestens mit der Sicher-
heit hinauszöge, fürs Vaterland Läuse zu bekommen.
Und weil man wüßte, daß der Mensch die Maschine
erfunden hat, um von ihr überwältigt zu werden,
und weil man die Tollheit, sie erfunden zu haben,
nicht durch die ärgere Tollheit, sich von ihr töten
zu lassen, übertrumpfen würde; weil der Mensch
fühlte, daß er sich gegen einen Feind wehren soll,
von dem er nichts sieht als aufsteigenden Rauch,
und ahnte, daß die eigene Vertretung einer Waffen-
fabrik keinen hinreichenden Schutz gegen die Angebote
der feindlichen Waffenfabrik gewährt. Hätte man
also Phantasie, so wüßte man, daß es Verbrechen ist,
das Leben dem Zufall auszusetzen, Sünde, den Tod
zum Zufall zu erniedrigen, daß es Torheit ist,
Panzerschiffe zu bauen, wenn man Torpedoboote baut,
um sie zu überlisten, Mörser zu bauen, wenn man zum
184
Schutz gegen sie Schützengräben baut, in denen
nur jener verloren ist, der seinen Kopf früher
heraussteckt, und die Menschheit auf der Flucht
vor ihren Waffen in Mauselöcher zu jagen und sie
einen Frieden fortan nur unter der Erde genießen
zu lassen. Hätte man statt der Zeitung Phantasie,
so wäre Technii< nicht das Mittel zur Erschwerung
des Lebens und Wissenschaft ginge nicht auf
dessen Vernichtung aus. Ach, der Heldentod schwebt
in einer Gaswolke und unser Erlebnis ist im Bericht
abgebunden! 40.000 russische Leichen, die am Draht-
verhau verzuckt sind, waren nur eine Extraausgabe,
die eine Soubrette dem Auswurf der Menschheit im
Zwischenakt vorlas, damit der Librettist gerufen
werde, der aus der Parole des Opfermuts »Gold
gab ich für Eisen« die Schmach einer Operette
verfertigt hat. Die sich selbst verschlingende
Quantität läßt nur noch Gefühl für das, was einem
selbst und etwa dem räumlich nächsten zustößt,
was man unmittelbar sehen, begreifen, betasten
kann. Ist es denn nicht spürbar, wie aus diesem
ganzen Ensemble, in dem mangels eines Helden
jeder einer ist, sich jeder mit seinem Einzelschicksal
davonschleicht? Nie war bei größerer Entfaltung
weniger Gemeinschaft als jetzt. Nie war eine riesen-
haftere Winzigkeit das Format der Welt. Die Realität
hat nur das Ausm.aß des Berichts, der mit keuchender
Deutlichkeit sie zu erreichen strebt. Der meldende
Bote, der mit der Tat auch gleich die Phantasie
bringt, hat sich vor die Tat gestellt und sie unvor-
stellbar gemacht. Und so unheimlich wirkt seine
Stellvertretung, daß ich in jeder dieser Jammer-
gestalten, die uns jetzt mit dem unentrinnbaren,
für alle Zeiten dem Menschenohr angetanen Ruf
»Extraausgabee — !« zusetzen, den verantwortlichen
Anstifter dieser Weltkatastrophe fassen möchte. Und ist
denn der Bote nicht der Täter zugleich? Das gedruckte
Wort hat ein ausgehöhltes Menschentum vermocht,
185
Greuel zu verüben, die es sich nicht mehr vorstellen
kann, und der furchtbare Fluch der Vervielfältigung
gibt sie wieder an das Wort ab, das fortzeugend
Böses muß gebären. Alles was geschieht, geschieht
nur für die, die es beschreiben, und für die, die es
nicht erleben. Ein Spion, der zum Galgen geführt
wird, muß einen langen Weg gehen, damit die im
Kino Abwechslung haben, und muß noch einmal
in den photographischen Apparat starren, damit die
im Kino mit dem Gesichtsausdruck zufrieden sind.
Lassen Sie mich diesen Gedankengang bis zum
Galgen der Menschheit nicht weiter gehen — und
dennoch muß ich, denn ich bin ihr sterbender
Spion, und mein herzbeklemmendes Erlebnis ist
der horror vor jenem vacuum, das diese beispiellose
Ereignisfülle in den Gemütern, in den Apparaten
vorfindet!
Der Optimist: Die schmutzige Begleitung
großer Dinge ist eine unvermeidliche Begleit-
erscheinung. Es ist ja möglich, daß sich die Welt
nicht in der Nacht auf den 1. August 1914 geändert
hat. Auch scheint mir Phantasie wirklich nicht zu
jenen menschlichen Eigenschaften zu gehören, die
im Krieg Betätigung finden. Aber wenn ich Sie
recht verstehe, wollen Sie überhaupt leugnen, daß
ein moderner Krieg den menschlichen Qualitäten
Spielraum lasse.
Der Nörgler: Sie haben mich recht ver-
standen; er läßt ihnen schon deshalb keinen Spiel-
raum, weil die Tatsache des modernen Krieges
von der Negation menschlicher Qualitäten lebt.
Es gibt keine.
Der Optimist: Was gibt es denn?
Der Nörgler: Es gibt Quantitäten, die sich
gegenseitig gleichmäßig vermindern, indem sie zu
beweisen suchen, daß sie es mit den in maschinelle
Energien umgesetzten Quantitäten nicht aufnehmen
können; daß Mörser auch mit Massen fertig werden.
186
Diesen Beweis erst anzutreten, hat nur jener Mangel
an Phantasie ermöglicht und für nötig erachtet, der
von der Verwandlung der Menschheit in maschinelle
Energien eben übrig blieb.
Der Optimist: Wenn sich die Quantitäten
gegenseitig gleichmäßig vermindern, wann wäre
dann das Ende?
Der Nörgler: Bis von zwei Löwen" die
Schwänze übrig bleiben. Oder wenn dies nicht aus-
nahmsweise einmal Wirklichkeit wird: bis der größeren
Quantität ein Vorsprung bleibt. Ich schaudere davor,
das hoffen zu müssen. Aber ich schaudere noch mehr
davor, fürchten zu müssen, daß der prinzipielleren
Quantität ein Vorsprung bleibt.
Der Optimist: Welche wäre das?
DerNörgler: Eben die geringere. Die größere
könnte sich durch Reste eines Menschentums, das
sie bewahrt hat, entkräften. Aber die geringere
kämpft mit dem inbrünstigen Glauben an einen Gott,
der diese Entwicklung gewünscht hat.
DerOptimist: Einen Bismarck brauchten wir.
Der würde schon früher ein Ende machen.
Der Nörgler: Es kann keinen geben.
Der Optimist: Warum nicht?
Der Nörgler: Wenn die Welt so weit hält,
daß sie ihre Bilanzen mit ihren Bomben belegt,
so entsteht keiner.
Der Optimist: Wie sollte man sich sonst
gegen den infernalischen Plan einer Aushungerung
wehren ?
Der Nörgler: Der infernalische Plan einer
Aushungerung ist in einem Krieg, der sich um die
höchsten Güter der Nation, nämlich um Verdienen
und Fressen dreht, ein ungleich sittlicherer, weil
harmonischerer Behelf als die Anwendung von
Flammenwerfern, Minen und Gasen, Dort ist das
Kriegsmittel vom Stoff des heutigen Kriegs bezogen. Daß
Absatzgebiete Schlachtfelder werden und aus diesen
187
wieder jene, will nur der Mischmasch einer Kultur,
die aus Stearinkerzen Tempel erbaut und die
Kunst in den Dienst des Kaufmanns gestellt hat. Die
Industrie hat aber weder Künstler zu beschäftigen
noch Krüppel zu liefern. Das falsche Lebensprinzip
setzt sich in ein falsches Tötungsprinzip fort, wieder
divergiert das Mittel vom Zweck. Wenn sich zwei
Konsumvereine in den Haaren liegen, so ist der
der sittlichere, der nicht die Esser selbst, sondern
eine von ihnen gemietete Polizei Ordnung machen
läßt, und wenn er sich mit der Kundenabtreibung
oder auch mit der Warenabtreibung begnügt,
so handelt er am sittlichsten. Ganz abgesehen
davon, daß die Blockade bloß die Mahnung an
die Zentralstaaten ist, sie durch Beendigung eines
wahnwitzigen Kriegs von ihren Untertanen abzu-
wenden. Wenn der Buchhalter nicht schon ehedem dem
Ritter in den Arm gefallen ist, so sollte er es eben
tun, wenn selbst der bereits klar erkennen kann,
daß es nicht um ein Turnier, sondern um Baum-
wolle geht.
Der Optimist: Es handelt sich in diesem
Krieg —
Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in
diesem Krieg! Aber der Unterschied ist der: Die
einen meinen Export und sagen Ideal, die andern
sagen Export und diese Ehrlichkeit allein, diese
Separation allein ermöglicht schon das Ideal, auch
wenn es sonst gar nicht vorhanden wäre.
Der Optimist: Sagen Sie doch nicht, daß
es jenen um ein Ideal zu tun ist!
Der Nörgler: Keinesfalls, sie wollen es uns
nur nehmen und es eben dadurch uns zurück-
erobern, indem sie die deutsche Menschheit von
der kulturwidrigen Neigung kurieren, es als Auf-
machung für ihre Fertigware zu verwenden. Dem
Deutschen sind die idealen Güter eine Draufgabe,
wenn sie die andern durch Spediteure verfrachten
lassen. Sie glauben, es gehe nicht ohne Gott und
die Kunst, wenn sie eine Untergrundbahn anlegen.
Das ist der Krebs. Ich habe in einer Berliner Papier-
handlung einen Band Klosettpapier gesehen, auf
dessen Blättern Sinn und Humor der jeweiligen
Situation durch aufgedruckte Shakespeare-Zitate er-
läutert waren. Shakespeare ist immerhin ein feind-
licher Autor. Aber auch Schiller und Goethe mußten
heran, der Band umfaßte die ganze klassische Bildung
der Deutschen. Nie vorher hatte ich so sehr den
Eindruck, daß es das Volk der Dichter und Denker ist.
Der Optimist: Gut, Sie sehen in dem Krieg
der andern einen Kulturinstinkt tätig, im deutschen
Krieg ein Interesse wirtschaftlicher Ausbreitung. Aber
würde der ökonomische Wohlstand nicht gerade das
deutsche Geistesleben —
Der Nörgler: Nein, er würde nicht, sondern
im Gegenteil. Das totale Nichtvorhandensein
dieses Geisteslebens war die Voraussetzung für diese
Bestrebungen. Die geistige Selbstaushungerung, die
ihr Erfolg verheißt, wäre von keiner Phantasie zu
fassen, wenn eine solche noch vorrätig wäre.
Der Optimist: Aber sind Sie nicht selbst
von der Notwendigkeit des Krieges als solchen über-
zeugt, wenn Sie von einem Krieg der Quantitäten
sprechen? Denn daß er auch das Problem der
Übervölkerung auf eine Zeit in Ordnung bringt,
geben Sie ja damit zu.
Der Nörgler: Das tut er gründlich. Die Über-
völkerungssorgen dürften den Entvölkerungssorgen
Platz machen. Die Freigabe der Fruchtabtreibung
hätte jenen schmerzloser als ein Weltkrieg abgeholfen,
ohne ihn heraufzubeschwören.
Der Optimist: Dazu würde die herrschende
iMoralauffassung nie ihre Zustimmung geben!
Der Nörgler: Das habe ich mir auch nie
eingebildet, da die herrschende Moralauffassung nur
dazu ihre Zustimmung gibt, daß Väter, die zu töten
189
dem Zufall nicht ganz gelungen ist, als brotlose
Krüppel durch die Welt schleichen und daß Mutier
Kinder haben, damit diese von Fliegerbomben
zerrissen werden.
Der Optimist: Sie werden doch nicht
behaupten, daß dergleichen absichtlich geschieht?
Der Nörgler: Nein mehr: zufällig! Man
kann nicht dafür, daß es geschieht, aber es geschieht
wissentlich. Mit Bedauern und dennoch. Eine ziemlich
reiche Erfahrung auf diesem Gebiete könnte es jenen,
die den Luftmord anschaffen, und jenen, die mit der
Durchführung betraut sind, endlich zum Bewußtsein
gebracht haben, daß sie in der Absicht ein Arsenal
zu treffen, unbedingt statt dessen ein Schlafzimmer
treffen müssen, und statt einer Munitionsfabrik eine
Mädchenschule. Durch Wiederholungsollten sie wissen,
daß dies der Erfolg jener Angriffe ist, deren sie nach-
träglich in der rühmenden Feststellung gedenken, daß
sie einen Punkt erfolgreich mit Bomben belegt haben.
Der Optimist: Eines zum andern, es ist
ein erlaubtes Kriegsmittel, und da die Luft einmal
erobert ist —
Der Nörgler: — so benützt der Schurke
Mensch gleich die Gelegenheit, auch die Erde
unsicher zu machen. Lesen Sie die Beschreibung
von dem Aufstieg einer Montgolfiere in Jean Pauls
Kampanertal. Diese fünf Seiten können heute nicht
mehr geschrieben werden, weil der Gast der Lüfte
nicht mehr die Ehrfurcht vor dem näheren Himmel
mitbringt und bewahrt, sondern als Einbrecher der
Luft die sichere Entfernung von der Erde zu einem
Attentat auf diese selbst benützt. Der Mensch wird
keines Fortschritts teilhaft, ohne sich dafür zu rächen.
Sie wenden sofort eben das gegen das Leben an, was
ihm aufhelfen sollte. Sie machen sichs eben mit dem,
was es erleichtern sollte, schwer. Der Aufstieg der
Montgolfiere ist eine Andacht, der Aufstieg eines
Aeropians eine Gefahrfür jene, die ihn nicht mitmachen
190
Der Optimist: Aber doch auch für den
bombenabwerfenden Flieger selbst.
Der Nörgler: Jawohl, aber nicht die Gefahr,
von jenen, die er töten wird, getötet zu werden,
und er entgeht den Maschinengewehren, die auf ihn
lauern, leichter, als ihm die Wehrlosen. Leichter auch
dem ehrlichen Kampf zwischen zwei gleichbewehrten
Mördern, ehrlich, soweit die Schändung des Elements,
in dem er sich abspielt, diese Wertung zuläßt. Immer
aber bedeutet, mag auch der »Kühne« sie handhaben,
die Luftbombe die Armierung der Feigheit, ruchlos
wie das Unterseeboot, welches das Prinzip der
armierten Tücke vorstellt, jener Tücke, die den Zwerg
über den bewaffneten Riesen triumphieren läßt. Die
Säuglinge aber, die der Flieger tötet, sind nicht
bewaffnet, und wären sie es, sie würden den Flieger
kaum so sicher erreichen können wie er sie. Es ist
von allen Schanden des Krieges die größte, daß
jene einzige Erfindung, die die Menschheit den
Sternen näher brachte, lediglich dazu gedient hat,
ihre irdische Erbärmlichkeit, als hätte sie auf Erden
nicht genügend Spielraum, noch in den Lüften zu
bewähren.
Der Optimist: Und die Säuglinge, die aus-
gehungert werden?
Der Nörgler: Es ist den Regierungen der
Zentralstaaten freigestellt, ihren Säuglingen dieses
Schicksal zu ersparen, indem sie ihre Erwachsenen
von der Fibel entwöhnen. Aber nehmen wir selbst
an, daß an der Blockade die feindlichen Machthaber
so schuldig seien wie die eigenen: die Bombardierung
der feindlichen Säuglinge als Repressalie — das ist
ein Gedankengang, der der deutschen Ideologie alle
Ehre macht, ein geistiger Unterstand, in dem ich,
beim deutschen Gott, nicht wohnen möchte!
Der Optimist: Sie wollen der deutschen Krieg-
führung eins am Zeug flicken und bedenken nicht,
daß die andern sich desselben Kampfmittels bedienen.
191
Der Nörgler: Das bedenke ich wohl, und es
fällt mir nicht ein, die französischen Aeroplane, die
ungefähr denselben heldischen Schurkereien dienen,
von der Menschheitsschande auszunehmen. Der Unter-
schied scheint mir aber doch, nebstder Priorität, in einer
Gemütsart zu liegen, die auf der einen Seite das
Grauenvolle mitmacht, wissend oder vergessend, was
es bedeute, und einer solchen, die sich nicht begnügt,
Bomben herabzuwerfen, sondern die auch Witze
mitschickt und gar einen »Weihnachtsgruß« für die
Bewohner von Nancy in solcher Aufmachung
darbringt. Auch hier wieder die gräßlicheVermischung
des Gebrauchsgegenstandes, nämlich der Bombe,
mit dem Gemütsleben, nämlich dem Witz, und des
Witzes gar mit der Heiligkeit — die Vermischung,
die der Greuel größtes ist, jene äußerste Unzucht,
durch die sich ein iin Reglement verarmtes Leben
auffrischt, die organische Entschädigung für Zucht,
Drill und Sittlichkeit. Es ist der Humor des Henkers,
es ist die Freiheit einer Moral, die die Liebe auf
den Gerichtstisch gelegt hat.
Der Optimist: Entschädigung für Zucht?
Aber die war Ihnen doch als Schranke der Unbot-
mäßigkeit willkommen?
Der Nörgler: Aber nicht als Hebel der
Macht! Lieber das Chaos, als Ordnung auf Kosten
der Menschheit! Militarismus als Turnstunde und
Militarismus als Geisteszustand — das ist doch
wohl ein Unterschied. Das Wesen des Militarismus
ist, Werkzeug zu sein. Wenn er, ohne es selbst zu
ahnen, Werkzeug jener Mächte geworden ist,
denen sein Wesen widerstrebt, und wenn er dem
durch diese Mächte bedrohten Menschentum gegen-
über sich als Selbstzweck aufspielt, dann besteht
unversöhnliche Feindschaft zwischen ihm und dem
Geiste. Sein Ehreninhalt ist im Bündnis mit einer
feigen Technik zur Spielerei geworden, seine selbst-
gewählte Pflicht im Rahmen des allgemeinen Zwangs
192
ist zur Lüge entartet. Er ist nichts als Ausrede und
Entschädigung einer Sklaverei, die sich hinter der
Maschine ihre elende Macht beweist. So sehr ist das
Mittel Selbstzweck geworden, daß wir im Frieden nur
noch militärisch denken und der Kampf nur noch ein
Mittel ist, um zu neuen Waffen zu gelangen. Ein Krieg
zur höheren Ehre der Rüstungsindustrie. Wir wollen
nicht nur mehr Export und darum mehr Kanonen,
wir wollen auch mehr Kanonen um ihrer selbst
willen: und darum müssen sie losgehen. Unser Leben
und Denken ist unter das Interesse des Schwer-
industriellen gestellt; das ist eine schwere Last. Wir
leben unter der Kanone. Und da sich jener mit Gott
verbündet hat, so sind wir verloren. Das ist der
Zustand.
Der Optimist: Man könnte den Zustand
aber auch aus der Perspektive eines Nietzsche-
Ideals ansehn und würde dann zu einem wesent-
lich andern Ausblick gelangen.
Der Nörgler: Ja, das könnte man wohl und
würde Nietzsches Überraschung erleben, daß der
»Wille zur Macht« nach Sedan sich nicht als Triumph
des Geistes, sondern in Form vermehrter Fabriks-
schlote darbietet. Nietzsche war ein Denker, der es sich
»anders vorgestellt« hat. Nämlich den Seelen-
aufschwung von anno 1870. An den von 1914 hätte
er vielleicht von vornherein nicht geglaubt und
sich nicht mehr vom Sieg der eigenen Gedanken
verblüffen lassen müssen. Und vielleicht doch den
Eroberer verleugnet, der mit dem »Willen zur Macht«
im Tornister und anderm Rüstzeug der Bildung
auf den Kriegspfad geht.
Der Optimist: Wenn der Krieg keinen
kulturellen Segen stiftet, so stiftet er ihn für keines
der beteiligten Völker. Falls Sie nicht etwa
prinzipiell entschlossen sind, kulturelle Möglichkeiten
nur dort zuzugeben, wo Franktireure schlafende
Soldaten ermorden.
193
Der Nörgler: Gewiß dort nicht, wo eigens
ein Wolff'sches Büro existiert, um es zu behaupten.
Aber es wäre selbst auf dem heutigen Stand der
Menschheit ein Unikum, daß Flieger, die Bomben
auf Säuglinge werfen, sich eines völkerrechtlich
erlaubten Kriegsmittels bedienen, und Franktireure
die einen Mord begehn, um einen Mord zu rächen,
es nur deshalb nicht tun dürfen, weil sie nicht die
Lizenz haben, weil sie nicht unter einem Kommando
morden, sondern aus einem andern unwiderstehlichen
Zwang, nicht aus Pilicht, sondern aus Raserei,
also aus jenem einzigen Motiv, das den Mord
halbwegs entschuldigt; weil sie unbefugte Mörder
sind, die sich weder durch das dazugehörige Kostüm
noch durch die Zugehörigkeit zu einem Ergänzungs-
bezirkskommando, Kader, Ersatzkörper oder wie die
Schmach sonst heißt, ausweisen können. Lassen Sie
mich über den sittlichen Unterschied zwischen einem
Flieger, der ein schlafendes Kind tötet, und einem
Zivilisten, der einen schlafenden Soldaten tötet, nicht
richten. Ihnen selbst soll, wenn Sie nur die Gefahr
bedenken und nicht die Verantwortung, die mutigere
Wahl gestellt sein, einen schlafenden Soldaten zu
attakieren oder einen wachen Säugling.
DerOptimist: Darin mögen Sie recht haben,
aber Sie werden auf der andern Seite die Züge der
Menschlichkeit mit der Lupe suchen müssen.
Der Nörgler: Wenn ich sie in unsern
Zeitungen suche, allerdings.
Der Optimist: Halten Sie sich nur die
Rubrik gegenwärtig: »Wie die Russen in Galizien
gehaust haben«.
Der Nörgler: Daraus habe ich allerdings
nicht entnehmen können, ob die galizischen Schlösser
von polnischen Bauern oder von Honveds geplündert
wurden. Wohl aber hat sich unter diesem Titel öfter, wie
wenn es dem Zwang zur Lüge entrutscht wäre, eine
Erzählung von einer russischen Edeltat gefunden.
Die letzten Tage der Menschheit. 13
194
Der Optimist: Sie meinen doch nicht den
Bericht über eine Schändung?
Der Nörgler: Nun, ob Honveds und
Deutschmeister die Frauen des eigenen Landes,
von denen des feindlichen nicht zu reden, mit dem
Hut in der Hand um ein Glas Wasser gebeten haben
werden: sich für diese oder die andere Vermutung zu
entscheiden überlasse ich Ihrem Optimismus, dessen
unerschütterliche Grundlage die Berichterstattung
unseres Kriegspressequartiers zu sein scheint.
Der Optimist: Finden Sie nicht, daß man
doch auch bei uns dem Feinde Gerechtigkeit
widerfahren läßt?
Der Nörgler: Ja, man begnügt sich manch-
mal mit dem Humor idiotischer Ansichtskarten.
Der Optimist: Nein, man läßt ihm zuweilen
Gerechtigkeit widerfahren.
Der Nörgler: Wenn sie pikant ist, dann kann
sie ihm widerfahren. So konnte als Kuriosum — denn
eine Wahrheit über das verleumdetste Volk Europas
wird die mitteleuropäische Intelligenz sich nicht ent-
fahren lassen — , als Kuriosum erzählt werden, daß
die Russen in den katholischen Weihnachten nicht
geschossen, sondern Friedens- und Segenswünsche
für den Feind in ihren Schützengräben zurück-
gelassen haben.
Der Optimist: Und gewiß haben sich die
Österreicher revanchiert.
Der Nörgler: Gewiß, zum Beispiel der Doktor
Fischl, bis zum 1. August Advokaturskonzipient, dann
in die große Zeit eingerückt, hat einen Feldpost-
brief drucken lassen, worin es heißt: »Morgen feiern
die Russen ihre Weihnachten — da wollen wir sie
ordentlich kitzeln.«
Der Optimist: Das war ein Spaß.
Der Nörgler: Ganz richtig, das war ein Spaß.
195
DerOptimist: Man darf nicht generalisieren.
Der Nörgler: Ich tu's. Sie können auf
meine Ungerechtigkeit bauen. Wenn der Militarismus
dazu diente, den Unrat daheim zu bekämpfen, so wäre
ich Patriot. Wenn er die, die nicht taugen, assentierte,
wenn er Krieg führte, um den Menschendreck an
die feindliche Macht abzutreten, wäre ich Militarist!
Aber er opfert den Wert und verschafft dem Abhub
die Glorie, und er macht ihn, wenn's selbst außen
schief geht, immer noch zum Sieger über die
eigene Macht. Nur diese Aussicht kann die Geduld,
mit der der Menschheitshaufe eine Naturinsulte wie die
allgemeine Wehrpflicht erträgt, überhaupt erklären.
Der Unrat weiß, daß er selbst die Idee ist, für die er
kämpft, und in dieser Gewißheit kämpft er sogar für
das Vaterland, das ihm ursprünglich und letztlich eine
fremde Idee ist, auch wenn alle Fibelideologie am Werk
wäre, sie ihm täglich einzubläuen. Müßten sie sonst
nicht doch einmal den Zwang, für eine fremde Idee zu
sterben, als eine Leibeigenschaft empfinden, die tau-
sendmal drückender ist als der reaktionärste Inbegriff
des verfluchten Zarismus? Es ist aber schließlich
und endlich doch die eigene Idee. Würden Menschen,
die nie die Privilegien des militärischen Berufs
genossen haben, sich sonst dazu zwingen lassen,
dessen Gefahren zu teilen? Sich vom eigenen
Beruf, von Erwerb und Familie losreißen lassen, um erst
! in Kasernen getreten zu werden und hierauf für die
I Erhallung der Bukowina zu sterben? Daß sie, wenn
1 sie sich weigerten, für die Bukowina zu sterben,
schon vorher totgeschossen würden, ist ja ein unmittel-
'. barer Beweggrund, der einzelweis vollkommen zur
i Erklärung hinreicht. Aber die Einrichtung hätte nicht
entstehen können, wenn die Quantität nicht wüßte,
' daß sie, scheinbares Opfer autokratischer Gelüste,
I schließlich doch den Sieg über den Sieger davon
\ trägt. Sie sehen, auch ich bin ein Optimist. Ich kann
mich nicht entschließen, die Menschheit für eine so
13*
196
ganz hoffnungslose Kanaille zu halten, daß sie einem
fremden Willen zuliebe sich in Not und Tod und
so viel Kot; begibt.
Der Optimist: Der erhöhte Zustand, den der
Ruf des Vaterlandes herbeiführt, ist aber denn doch
eine bessere Erklärung als Zwang oder Vorteil.
Der Nörgler: Das Vaterland? Wohl, dieser
Rufer hat unter allen Regisseuren noch immer die
stärkste Suggestion für sich. Aber der Rausch, der
die allgemeine Wehrlosigkeit einlullt, würde seine
Wirkung auf die wachere Intelligenz verfehlen, wenn
nicht hier das Gefühl mitwirkte, daß ein Sieg gerade
sie zum Herrn des Lebens erhebt.
Der Optimist: Aber noch nicht der Krieg.
Der Nörgler: Da erspart sie sich bloß Denk-
arbeit, da kann sie einmal ausspannen. Sie braucht
sich den Kopf nicht zu zerbrechen, ehe der Feind
es ihr besorgt, was sich vorzustellen sie nicht mehr
genug Phantasie hat. Denn der Krieg verv/andelt das
Leben in eine Kinderstube, in der immer der andere
angefangen hat, immer der eine sich der Verbrechen
rühmt, die er dem andern vorwirft und in der
die Rauferei die Formen des Soldatenspiels
annimmt. Wenn Krieg ist, lernt man das Soldaten-
spiel der Kinder gering schätzen. Es ist eine
viel zu frühe Vorbereitung auf die Kinderei der
Erwachsenen.
Der Optimist: Das Soldatenspiel der Kinder
empfängt jetzt im Gegenteil neue Anregungen.
Kennen Sie das Spiel »Wir spielen Weltkrieg«?
Der Nörgler: Es ist die ebenso gemeine
Kehrseite des Ernstes: Wir spielen Kinderstube.
Dieser Menschheit wäre zu wünschen, daß ihre
Säuglinge m_it Erfolg anfangen, einander auszuhungern
oder mit Bomben zu belegen, jedenfalls den Ammen
die Kundschaft abzutreiben.
197
Der Optimist: Wenns nach liinen ginge,
wäre die Menschheit schon vor einem WeHl^rieg
auf den Aussterbeetat gesetzt. Aber Gott sei Dank
ist sie rüstig —
Der Nörgler: Sie meinen: gerüstet.
Der Optimist: Sie entwickelt sich von
Generation zu Generation. Sie haben von fünf
Seiten bei Jean Paul gesprochen, die heute nicht
mehr geschrieben werden können. Ich denke aber,
daß die Erfindung des Grafen Zeppelin Deutschland
keineswegs um die Möglichkeit gebracht hat, Dichter
hervorzubringen. Es gibt auch heute noch Dichter,
die nicht zu verachten sind.
Der Nörgler: Ich tue es dennoch.
Der Optimist: Und gerade jetzt, im Krieg,
hat die deutsche Dichtung einen belebenden Impuls
empfangen.
Der Nörgler: Sie hätte lieber Ohrfeigen
empfangen sollen.
D e r O p t i m i s t : Sie sagen Derbheiten, aber
nicht Wahrheiten. Wie immer Sie über den Krieg
denken mögen, die Schöpfungen unserer Dichter
haben etwas von dem Feueratem übernommen, mit
dem diese große Zeit nun einmal über den Alltag
hinweggefegt ist.
Der Nörgler: Zwischen dem Feueratem und
dem Alltag hat sich sofort eine Gemeinschaft ergeben:
die Phrase, die unsere Dichter, anschmiegsam wie sie
sind, sofort übernommen haben. Sie ^ind pünkt-
licher eingeschnappt, als es die verblüffte Kundschaft
verlangt hätte. Die deutschen Dichter! Sie sind ein
geübter Optimist, aber Ihr Optimismus würde schon
inFrozzelei ausarten, wenn Sie mir diese Schöpfungen
als einen Beweis für die Größe der Zeit rekomman-
dieren wollten. Ich mache immerhin noch den
Unterschied einiger sittlichen Grade zwischen armen
Philistern, die der Zwang aus dem Bureau in den
198
Schützengraben ruft, ., und elenden Schmierern, die
daheim mit Entsetzen Ärgeres treiben als Spott, nämlich
Leitartikel oder Reime, indem sie eine Gebärde aus
zehnter Hand, die schon in der ersten falsch war,
und einen Feueratem aus dem Mund der Allgemeinheit
zu einer schnöden Wirksamkeit verarbeiten. Ich habe
in diesen Schöpfungen keine Zeile gefunden, von
der ich mich nicht schon in Friedenszeiten mit einem
Gesichtsausdruck abgewandt hätte, der mehr auf
Brechreiz als auf das Gefühl schließen ließe, an
einer Offenbarung teilzuhaben. Die einzige würdige
Zeile, die ich zu Gesicht bekommen habe, steht im
Manifest des Kaisers, die ein feinfühliger Stilist
zustandegebracht haben muß, der sich in ein an-
genommenes Alterserlebnis versenkt hat. »Ich habe
alles reiflich erwogen«. Die Zeit, die erst kommen
wird, wird ja noch besser als die bereits mitgemachte
zeigen, daß einer noch reiflicheren Erwägung die
Abwendung dieses unaussprechlichen Grauens geglückt
wäre. Aber so wie die Zeile dasteht, isoliert, wirkt
sie wie ein Gedicht, und vielleicht erst recht, wenn
man meinen Gedankengang als ihren Hintergrund
setzt. Schauen Sie, hier — von dieser Säule können
Sie's noch auf sich wirken lassen.
Der Optimist: Wo?
Der Nörgler: — Ach schade, gerade der
Teil des Manifestes, wo die Zeile steht, ist
vom Gesicht des Wolf in Gersthof verdeckt. Sehn
Sie, das ist der wahre Tyrtäus dieses Kriegs! Und
nun erst ist's ein Gedicht.
Der Optimist: Ich kenne Ihre übertreibende
Perspektive. Für Sie gibt es keinen Zufall. Und
doch ist der Wolf in Gersthof, der mir ja selbst
nicht ans Herz gewachsen ist —
Der Nörgler: Wirklich nicht?
Der Optimist: — und doch ist es nur ein
Reklameplakat wie ein anderes, ein altes noch dazu,
199
das eben vor dem Krieg angefertigt wurde. Der
Raum ist nun einmal gemietet, kann sein, das Lokal
ist auch noch im Beirieb, ich weiß das nicht, über
Nacht kann sich das nicht ändern, das alles ist
Oberfläche, aber ich bin überzeugt —
Der Nörgler: Natürlich sind Sie überzeugt.
Der Optimist: — jawohl, daß die Wiener,
die ja doch wirklich über Nacht ein ernstes Volk
geworden sind und wie die Presse so richtig gesagt
hat, »weit entfernt von Hochmut und von Schwäche«
den Ernst der Situation erfaßt haben, ich bin über-
zeugt, daß sie über ein Jahr nicht mehr Lust haben
werden, solche Dinge mitzumachen, ob nun der
Krieg bis dahin zu Ende sein wird oder nicht.
Davon bin ich, jawohl, überzeugt!
Der Nörgler: Sehen Sie, ich habe gar keine
Überzeugungen und ich halte es für ganz egal, ob
es so sein wird oder nicht und ob man es billigt
oder, wie Sie, tadelt, wenn eine Hetz fortginge. Eher
würde ich es im Gegensatz zu Ihnen billigen.
Der Optimist: Dann verstehe ich Sie nicht.
Der Nörgler: Davon, sehen Sie, bin ich über-
zeugt, nur davon, daß es darauf nicht ankommt.
Aber ich sage: Über ein Jahr wird der Wolf in Gersthof,
der keine Singspielhalle, sondern ein Symbol ist,
den Anforderungen der großen Zeit entsprechend
noch größer geworden sein und wird an allen
Straßenecken alles verdecken, die Zeile: »Ich habe
alles reiflich erwogen« und alles andere, was sonst
neben und unter ihm noch Platz hatte, und er wird
die wahre Perspektive eines falschen Lebens her-
stellen. Und aber über ein Jahr werden, wenn draußen
eine Million Menschen begraben ist, die Hinter-
bliebenen dem Wolf in Gersthof ins Auge schauen,
und in diesem Antlitz wird ein blutiger Blick sein
wie ein Riß der Welt, darin man lesen wird, daß
die Zeit schwer ist und heute großes Doppelkonzert I
200
Der Optimist: Es schneidet einem ins Herz,
Sie so sprechen zu hören — das heißt doch wirklich,
eine Zeit, die selbst dem Kurzsichtigsten groß
erscheinen muß, mit Absicht klein zu sehn. Wenn
Uiis diese Zeit eines gebracht hat, so ist es die
Erledigung Ihrer Perspektive.
Der Nörgler: Das walte Gott!
Der Optimist: Gebe er Ihnen größere
Gedanken. Vielleicht wachsen sie Ihnen morgen, in
Mozarts Requiem, gehn Sie mit mir hinein, der
Reinertrag fließt der Kriegsfürsorge zu —
Der Nörgler: Nein, mir genügt das Plakat
— da gleich neben dem Wolf in Gersthof! Aber
was ist das für eine sonderbare Zeichnung? Ein
Kirchenfenster? Wenn mich meineKurzsichtigkeit nicht
betrügt — ein Mörser! Ist es möglich? Ja, wem ist
es denn gelungen, die beiden Welten unter einen
Hut zu bringen? Mozart und Mörser! Welch ein
Konzertarrangement! Wer verbindet so glücklich?!
Nein, man muß darüber nicht weinen. Sagen Sie nur,
ob in der Kultur der Senegalneger, die der Feind
gegen uns zu Hilfe gerufen hat, solch ein Gottbetrug
möglich wäre! Sehen Sie, das ist der Weltkrieg
gegen uns.
Der Optimist (nach einer Pause) : Ich denke, Sie
haben recht. Aber weiß Gott, das sehen nur Sie.
Unsereinem entgeht es und man sieht darum die
Zukunft in rosigem Licht. Sie sehen es, und darum
ist es da. Ihr Auge ruft es herbei und sieht's dann.
Der Nörgler: Weil es kurzsichtig ist. Es
gewahrt die Konturen, und Phantasie tut das übrige.
Und mein Ohr hört Geräusche, die andere nicht
hören, und sie stören mir die Musik der Sphären, die
andere auch nicht hören. Denken Sie darüber nach,
und wenn Sie dann noch nicht von selbst zu einem
Schluß kommen, so rufen Sie mich. Ich unterhalte
mich gern mit Ihnen, Sie sind ein Stichwortbringer
201
für meine Monologe. Ich möchte mit Ihnen vor das
Publikum. Jetzt kann ich diesem nur sagen, daß ich
schweige, und wenn möglich, was ich schweige.
Der Optimist: Was etwa?
Der Nörgler: Etwa: Daß dieser Krieg,
wenn er die Guten nicht tötet, wohl eine moralische
Insel für die Guten herstellen mag, die auch ohne
ihn gut waren. Daß er aber die ganze umgebende
Welt in ein großes Hinterland des Betrugs, der
Hinfälligkeit und des unmenschlichsten Gottverrais
verwandeln wird, indem das Schlechte über ihn
hinaus und durch ihn fortwirkt, hinter vorgeschobenen
Idealen fett wird und am Opfer wächst! Daß sich
in diesem Krieg, dem Krieg von heute, die Kultur
nicht erneuert, sondern sich durch Selbstmord
vor dem Henker rettet. Daß er mehr war als
Sünde: daß er Lüge war, tägliche Lüge, aus der
Druckerschwärze floß wie Blut, eins das andere nährend,
auseinanderströmend, ein Delta zum großen Wasser
des Wahnsinns. Daß dieser Krieg von heute nichts
ist als ein Ausbruch des Friedens, und daß er nicht
durch Frieden zu beenden wäre, sondern durch den
Krieg des Kosmos gegen diesen hundstollen Planeten!
Daß Menschenopfer unerhört fallen mußten, nicht
beklagenswert weil sie ein fremder Wille zur Schlacht-
bank trieb, sondern tragisch, weil sie eine unbekannte
Schuld zu büßen hatten. Daß für einen, der das
beispiellose Unrecht, welches sich noch die schlechteste
Welt zufügt, als Tortur an ihm selbst empfindet —
daß für ihn nur die eine letzte sittliche Aufgabe
bleibt : mitleidslos diese bange Wartezeit zu verschlafen,
bis ihn das Wort erlöst oder die Ungeduld Gottes.
Der Optimist: Sie sind ein Optimist. Sie
glauben und hoffen, daß die Welt untergeht.
Der Nörgler: Nein, sie verläuft nur wie mein
Angsttraum, und wenn ich sterbe, ist alles vorbei.
Schlafen Sie wohl! (Ab.)
(Verwandlung.)
202
30. Szene
Nachts am Graben.
Zwei Kettenhändler (mit ihren Damen,
alle Arm in Arm in angeheiterter Stimmung, trällernd) : Stern-
gucker — Sterngucker — nimm dich in Acht —
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee —
40.000 tote Russen vor Przemysl — !
Der eine Kettenhändler: — Sterngucker —
Sterngucker —
Der andere: — nimm dich in Acht — (ab.)
II. Akt
1. Szene
Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Das Publikum besteht in der
überwiegenden Mehrzahl aus galizischen Flüchtlingen, Schiebern,
Berufsoffizieren auf Uilaub, solchen, die ein SpitalskommantJo
innehaben oder sonst zu leichterein Dienst im Hinterland verwendet
werden, und aus wehrfähigen Zivilisten, die sichs gerichtet hahen.
Ein polnischer Jude: Extrosgabee — kofen
Sie mir ab, meine Damen und Herrn —
Ein seßhafter Wucherer: Das hat uns noch
gefehlt, daß wir den Pofel herbekommen — wo
man hinschaut, nix wie Juden! Was wern sie anfangen?
Bleiben und unsere Geschäfte machen!
Ein Agent: Vorläufig kann ich nicht klagen.
Wenn ich auch beiweiiem nicht sagen könnte, daß
es mir so gut gehl wie Ornstein.
Der Wucherer: Welcher Ornstein? Ornstein
der Enthobene?
Der Agent: Selbstredend. Er hat letzten
Samstag an Tornister achtahalb Tausender verdient
auf einen Telephongespräch, Gewure!
Der Wucherer: Habachaachgehett. Was war
er vor dem Krieg?
Der Agent: Vor dem Krieg, das wissen Sie
nicht? Zindhelzl! Die Vertretung von Lauser & Low.
Jetzt macht er. Er hat gesagt, er wird mir auch
verschaffen. Er is intim mit etwas einem Major.
(Ein Schwerverwundeter auf Krücken, mit Gliederzuckungen,
schleppt sich vorbei.)
Der Wucherer: Ja, jetzt heißt es durchhalten.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Neue Freie Presse! Kroßa Sick der Deitschen in
Galizieen! Blutige Abweisung im Naahkaamf!
206
Der Wucherer: Knöpfimacher muß auch
schon hübsch verdienen. Haben Sie gehört, Eisig Rubel
geht sich täglich herauf in die Spirituszentrale, was
sagen Sie, weit gebracht! Was ich sagen wollte,
gediegen war gestern der Artikel über den seelischen
Aufschwung.
Der Agent: Sie heut hab ich gehört, um
fufzig Perzent gehn sie mit Leder in die Höh.
Der Wucherer: Was Sie nicht sagen, da wird
doch Katz in die Breite gehn, der wird nicht mehr
wissen, wo ein und aus, der is imstand, Sie wern
sehn und wird noch adelig. Unsereins gibts billiger.
Wissen Sie, was ich einmal mecht? Ich mecht
einmal einen Nagel hereinschlagen in dem Wehrmann
neben dem Imperial, aus Hetz, geh mr hin, was liegt
Ihnen dran, ma is in guter Gesellschaft, was
liegt Ihnen dran, eine Krone und man kriegt ein
Blatt, wo der Name eingetragen is für kommende
Geschlechter für die Annalenl
Der Agent: Lassen Sie mich aus mit solche
Narrischkaten.
Der Wucherer: Da kommt Bermann! Enthoben!
Bermann: Servus!
Der Wucherer: Gehn Sie mit nageln in den
Wehrm_ann, Bermann?
Bermann: Hab scho genagelt. (Ab.)
Der Wucherer: Gut, geh ich selbst!
Der Agent: Ich bin kein Freund von solche
Schmonzes.
Der Wucherer: Was heißt Schmonzes? Schaun
Sie sich an, was für Leute — das war einmal
eine Idee! Auf die Art kommt viel herein für
unsere braven Soldaten und man hat ein Andenken
an die große Zeit. Sie, schaun Sie — (Kine auffallend
gekleidete Dame geht vorbei, die beiden bleiben stehn.)
Beide: Unter mir gesagt.
207
Der Agent: Haben Sie gehört, wie sich
Raubitschek und Berber patzig machen mit der
Medaille vom Roten Kreuz?
Der Wucherer: Tut sich was. No was haben
sie geben müssen?
Der Agent: E Pappenstiel. Aber sie hätten
auch für die große gegeben, wenn sie sie kriegen
möchten. Die is nur für Verdienste. Die kostet
Unsummen!
Der Wucherer: Bittsie wer kann sich das
leisten, und die es sich ja leisten können, wollen
lieber Titeln. Eduard Feigl, der Konservenfeigl, der
Große, wird heißt es Baron. Sofort nach dem Frieden.
Der Agent: Wer denkt jetzt an Frieden, jetzt
sind andere Sorgen.
Der Wucherer- Was sind Sie auf einmal so
kriegerisch? Mir scheint, Sie haben eine große Sache
in Aussicht? No habach erraten??
Der Agent: Große Sache, Schmock was Sie
sind, große Sache. Ma bringt sach durch.
Der Wucherer: Recht ham Sie. Ich steh auf
den Standpunkt, Krieg is Krieg. Bittsie, ob die
jungen Leut sich beim Automobilfahren den Hals
brechen oder gleich fürs Vaterland — ich kann
solche Sentementalitäten nicht mitmachen.
Der Agent: Das is aber ja wahr. Das fort-
währende Geschimpfe am Krieg wachst mir
schon zum Hals heraus. Manches is ja teurer
geworn — aber das gehört dazu! Ich versicher Sie,
da wern noch viele sein, die heut so tun, da wird
ihnen noch sehr mies wern, wenn sie hörn wern,
es kommt Frieden.
Der Wucherer: Gewiß, wir sind doch heute
mit Leib und Seele dabei —
Der Agent: Und mitten drin, grad wo sie
sich Verdienste geschafft haben, soll es auf einmal
zu End sein?
208
Der Wucherer: Nebbich, unsere braven
Soldaten.
Der Agent (in ein schallendes Gelächter ausbrechend):
Das is gediegen — Was harn Sie verstanden? Ich
red vom Geschäft und Sie — (er lacht und hustet)
Ein Staub is heut wieder, Schkandaal — das geb ich
in die Presse unter die Rubrik »Der Mistbauer
im Eisen« — was red ich, »der Wehrmann und die
Fliege« — oder nein —
Der Wucherer: Hab auch schon mein
Scherflein beigetragen, vor unserem Haus is nämlich
seit geschlagenen drei Monaten —
Der Agent: Schaun Sie da her wer sich daher-
kommt, Weiß in Uniform! Das hat die Welt nicht —
(Weiß bleibt mißmutig stehn.) Also — eingerückt?
Weiß: Scho lang, scho gor net mehr wohr. (Ab.)
Der Wucherer: Was aus die Leut wird! Wer
hätt das noch vor einem Jahr gedacht — wenn
man mir gesagt hätte — Weiß wern sie nehmen!
Einen Menschen, den ich hab verdienen lassen!
Der Agent: Er is sehr mißmutig nebbich.
Der Wucherer: Nicht Brot auf Hosen hat er
gehabt. Jetzt hat er des Kaisers Rock. Ja, es is eine
große Zeit.
Der Agent: Sie was man nicht für möglich
halten sollte, hörn Sie mich an, seit acht Tag
telephonier ich zu Kehlendorfer für Husarenblut.
Auf vier Wochen ausverkauft. Ich sag Ihnen, der Krieg
wird vorüber sein und wir wern Husarenblut nicht
gesehn haben! Meine Frau quält mich doch —
Ein Zeitungsausrufer: Der Ansturm
abgewieseen — Alle Stellungen genohmen!
Der Wucherer: Und ich sag Ihnen, nicht zu
vergleichen mit Herbstmanöver. No und was sagen Sie
zur Csardasfürstin — was die Leut hermachen! Warn
Sie schon bei Fürstenkind?
Der Agent: Fürstenkind, selbstredend war mr!
Da kommt doch — warten Sie — da kommt doch
209
der großartige Witz vor, wo sich das Haus vvnlzt,
»das warn die ramasurischen Sümpfe^<. Das Haus
dröhnt, wie er das herausbringt Marischka — (ab.)
Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny,
also du — du bist ja politisch gebildet, also was
sagst zu Italien?
Zweiter O f f i z i e r (mit Spazierstock) : Weißt, ich
sag halt, es ist ein Treubruch, ganz einfach.
Der dritte: No was willst von die Katzeimacher
anderes verlangen — also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich mullattiert — ! habts das Bild vom Schönpflug
gsehn, Klassikaner!
Der erste: Weißt was ich möcht nach langer
Zeit, möcht wieder amal in die Gartenbau.
Der zweite: Geh, bist denn verwundet?
Der dritte: Wieso verwundet?
Der vierte: Er ist doch nicht verwundet.
Der erste: Ich bin doch nicht verwundet.
Der zweite: No weißt denn nicht, die Garten-
bau is doch jetzt a Spital! (Alle lachen.)
Der erste: Richtig, a Spital — (nach einigem
Nachdenken) Weißt, das hab ich dir auf den Tod
vergessen — jetzt dauert der Krieg schon so lang —
(Ein Soldat auf Krücken kommt vorbei.)
Der zweite: Soll ich den stelln, der salutiert
blöd —
Der erste: Mach kein Aufsehn, apropos was is
mitn Militärverdienstkreuz?
Ein Zeitungsausrufer: Blutige Abweisung
im Naahkaamf bittee — !
Der zweite: Ich bin eingegeben — zu blöd,
wie lang das dauert.
Der dritte: Eine Wirtschaft!
Der vierte: Was wollts ihr haben, Krieg is
Krieg. Heut sind keine Menscher.
Die letzten Tage der Menschheit. 14
210
Der erste: Wißts ihr, was? Gehmr zum
Hopfner! (Ab.)
Ein Intellektueller (zu seinem Begleiter): Ich
versicher Sie, solange die Mentalität unserer Feinde —
(Beide ab.)
P 0 1 d i Fesch (zu seinem Begleiter) : Heut soll ich
mit dem Sascha Kolowrat drahn — {ah.)
Man hört den Gesang vorbeiziehender Soldaten: In der Heimat,
in der Heimat da gibts ein Wiedersehn —
(Drei Schieber mit Zahnstocher im Maule treten aus dem Rost-
raum des Hotel Bristol.)
Erster Schieber: Sie, gestern war ich bei
Marcel Salzer. Ich sag Ihnen meine Herrn, das
sollten Sie nicht versäumen.
Zweiter Schieber: Soo guut?
Der erste: Ja! Sie, da trägt er Ihnen ein Gedicht
vor, von etwas einem berühmten Dichter, weiß ich
wie er heißt — warten Sie — ja — Ginzkey!
Dritter Schieber: Teppiche.
Der erste: Er soll sogar verwandt sein. Also,
da kommt vor von Tannenberg, wie sie Hindenburg
hereintreibt in die Sümpfe — Sie ham doch in der
Presse gelesen damals die packende Schilderung —
Der zweite: Ich weiß noch den Titel:
Umfassung der russischen Truppen durch die
deutsche Armee und Hereinwerfen in die masurischen
Sümpfe.
Der erste: Ja, also das kommt genau vor,
aber mehr komisch, und da macht er gluck-gluck
und gluck-gluck, wie sie ersticken. Ich sag Ihnen
und dabei das betamte Gesicht, was er macht Salzer,
die Äuglein — es is sein Geld wert.
Der dritte: Ps— -Sie — dakommen Feldgraue!
(Sie bleiben stehn.)
Der zweite (andächtig): In schimmernder Wehr,
Der erste: Ja, die Deitschen!
211
(Es treten hintereinander drei deutsche Grenadiere auf, jeder
begleitet von einem Wiener Oemeindeorgan, das Frack und
Zylinder (ragt.)
Erstes Gemeindeorgan: Durt is die Oper,
jetzt kommen wir in die Kirntnerstraße, woselbst
ich Ihnen den Stock im Eisen zeigen werde, das
größte Wahrzeichen von Wien, was mir harn, er-
richtet zum Andenken, daß vorüberziehende Hand-
werksburschen jeder einen Nagel einigschlagen haben,
gradaso wie Sie's beim Wehrmann in Eisen gsehn
haben. Dann kommt die sogenannte Pestsäule, weil
damals in der Wienerstadt die Pest gewietet hat
und da hat er ein Gelübde getan, an dera Stelle
eine große Sehenswürdigkeit zu errichten.
Erster Grenadier: Ach was, Donnerwetter!
Zweites Gemeindeorgan: Durt is die Oper,
jetzt gehn wir durch die Kirntnerstraße, zum so-
genannten Stock im Eisen, das ist ein Wahrzeichen,
weil dort vorüberziehende Handwerksburschen jeder
einen Nagel einigschlagen haben. Dann zeige ich
Ihnen die Pestsäulen, da hat er nämlich ein Gelübde
getan, weil damals die Pest gewietet hat, gradaso
wie beim Wehrmann in Eisen, und darum is dort
eine Sehenswürdigkeit errichtet.
Dritter Grenadier: Famos, Donnerwetter!
Drittes Gemeindeorgan: Da ham S' die
Oper. Jetzt kommt aber gleich die Kirntnerstraße,
da gehn mir zum Stock im Eisen, in den haben
nämlich die vorüberziehenden Handwerksburschen
einen Nagel einigschlagen, gradaso wie sie's jetzt
beim Wehrmann tun. Dann führ ich Ihnen am
Graben zu einer Sehenswürdigkeit, zum größten
Wahrzeichen was mir ham, indem nämlich durt die
Pest gewietet hat an dera Stelin, und da hat er ein
Gelübde getan und so is bekanntlich der Stock im
Eisen entstanden.
ZweiterGrenadier: Donnerwetter, schneidich !
14*
212
Ein Reporter (zu einem zweiten): Sehn Sie, da
kann man einmal sehn, was das heißt Schulter an
Schulter.
Der zweite: Sie scheinen sich gut zu verstehn,
aber man hört nicht was sie zusammen sprechen.
Der erste: Er erklärt ihm.
Ein Berliner Schieber (sehr schnell zu einem
Dienstmann): Kommen Se mal ran und laufen Se
rüber ins Restaurang, kucken Se, ob dort'n Herr
wachtet oder gehn Se zum Potje oder zum Ober
und fragen Se nach dem Sektionscheff Swoböda,
der von Zadikower aus Berlin Mitte bestellt ist,
mit der einflußreichste Mann, den ihr in Wien jetzt
habt, er möge noch wachten und 'n Tisch anjeben, das
Treffbuch liegt vamutlich an der Auskunftei aus,
falls ich vahindat wäre, will ich mit ihm Amdbrot
essen, habe aber noch'n Jeschäft, für den Fall hörn Se
daß a vahindat wäre, möge er nachts nach dem
Muläng rusche komm'n oder wie det Etablissemang
jetzt heißt, Se wissen doch, wo die Mizzal tanzt,
mit das schikste Mädchen, das ihr in Wien jetzt
habt, ich komme fünfzehn Minuten vor zwölfe,
nu man fix habn Se vaschtanden? (Der Dienstmann
betrachtet den Fremden erstaunt und schweigend.) Ja
Menschenskind vaschtehn Se nich deutsch?
DerDienstmann: Ahwoswoswaßiwossöwulln -
Der Schieber (sich empört an die Vorübergehenden
wendend, die eine Gruppe bilden): Nu haste Worte, hörn
Se mal, erlauben Se mal, das is'n ausjewachsener
Skandal, was in eurem lieben Wien allens vorkomm'
kann, ich habe hier als Reichsdeutscher ja schon
manche Überraschung erlebt, so'ne richtje Wiener
Schlamperei ist man bei euch ja jewöhnt, ihr
seid ja überhaupt 'n niedliches Völkchen, aber so
etwas sollte man denn doch nich für möglich halten,
das is doch wieder mal nur in Wien möglich, nee
überhaupt daß sich eine Bevölkerung, mit der wir doch
Schulter an Schulter kämpfen, so'ne Sottise jefallen
213
läßt, das ist doch kolomassiv, ihr Wiener habt ja
nu eben keene Ahnung, daß ihr im Kriege seid,
darumseidihrauch schon nach einem Jahre uniendurch,
bei uns hingegen, da liann man sagen, ist die Stimmung
ernsc, aber zuversichtlich, bei euch hingegen — na,
das sollte mal Hindenburch wissen, da will ich ihn
nu mal gründlich orientieren —
Rufe aus der Menge: Ja was is denn
gschehn?
Der Schieber: Was jeschehn is? Da fragen
Se noch? Ulkjes Völkchen! Der Mann da, hat da-
jesianden wie'n richtich gehender Wiener Dienstmann,
ich wollt ihn rüberschicken ins Restaurang mit 'ner
wichijen Nachricht für 'nen Sektionscheff, den ich
bestellt habe, und er — ich bitte Sie, jetzt im Krieg —
Die Menge: Na was denn, was hat er denn tan?
Der Schieber: — und er antwortet mir englisch!
(Er entfernt sich in größter Erregung. Die Menge sieht den
Dienstmann fragend an, der seinerseits die ganze Zeit wie erstarrt
dagestanden ist und sich nun stolz entfernt.)
Die Menge: Gott strafe England!
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabce — !
Kroßa Sick da Yabündeteen!
(Verwandlung.)
2. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Nörgler: Halten Sie es im Bereich
organischer Möglichkeiten für denkbar, daß ein
Eskimo und ein Kongoneger auf die Dauer sich
verständigen oder gar miteinander Schulter an Schulter
kämpfen können? Ich denke, höchstens wenn es
ein Bündnis gegen Preußen gilt. Die Verbindung
zwischen einem Schöneberger und einem Grinzinger
scheint mir unpraktikabel.
Der Optimist: Warum denn?
214
Der Nörgler: Es ist in alten Mären, auf
welche die Nibelungentreue zurückzuführen ist, der
Wunder viel geseit. Aber was sind diese gegen
die wunderbaren, märchenhaften Verbindungen der
blutlebendigen Gegenwart? Denn sehen Sie: noch
nicht einmal telephonieren können und nichts
als telephonieren können — das mag wohi zwei
Welten ergeben; aber läßt es eigentlich ihre seelische
Verbindung zu, da kaum eine telephonische Zustande-
kommen könnte? Lassen sich zwei Wesen Schulter
an Schulter denken, deren eines die Unordnung
zum Lebensinhalt hat und nur aus Schlamperei noch
nicht zu bestehen aufgehört hat, und deren anderes
in nichts und durch nichts besteht als durch Ordnung?
Der Optimist: Das Vorbild des Bundesbruders,
dessen im Frieden bewährte Organisation —
Der Nörgler: Sie würde sich an dem Vorbild
der Schlamperei lockern, wenn sie nicht ohnedies
in diesem Krieg kaputt gehen müßte. Die äußere
und innere Ordnung der deutschen Welt ist eine
Hülle, die bald geborsten sein wird. Dann mag es
Schulter an Schulter mit uns mißglücken.
DerOptimist: Meinen Sie, daß etwa die deutsche
Beamtenschaft in ihrem erprobten Pflichtgefühl je
nachlassen oder gar korrumpiert werden könnte?
Der Nörgler: Als ein Symbol der deutschen
Entwicklung ist mir jüngst an der deutsch-
scliweizerischen Grenze ein uniformierter Bahn-
funktionär entgegengetreten, der mir neben der Kassa
die Umwechslung der Valuta zu einem besseren
Kurs als dem, den die Bahn zahlt, flüsternd anbot.
Der Optimist: Wo Sie sittlichen Verfall sehen,
sehe ich —
Der Nörgler: Seelenaufschwung. Diese Vision
wird jene Wirklichkeit noch fördernd beeinflussen.
Unter der Ägide der sich selbst belügenden
Kriegslüge wird das Chaos unendlich werden. Die
ins Rollen gebrachte Quantität wird entgleisen.
215
Der Optimist: Und wir in Österreich?
Der Nörgler: Werden kaum nötig haben,
herunterzukommen. Bei uns war schon im Frieden
Krieg und jeder Konzertschluß ein ungeordneter
Rückzug, Wir werden eher durchhalten.
Der Optimist: Im Treubund gibt es keine
Rivalität. Er hat sich bisher bewährt und wir werden
auch zusammen kämpfen bis zum Ende.
Der Nörgler: Das glaube ich auch. Nur
werden in der gemeinsamen Verwirrung die Sprachen
verschieden sein.
Der Optimist: Gemeinsam ist diedesSchwertes.
Wir sind mit den Deutschen verbunden auf Gedeih
und —
Der Nörgler: — Verderb!
(Verwandlung.)
3. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Abonnent: Haben Sie gelesen, der
Bürgermeister Dr. Weiskirchner hat anläßlich der
glänzenden Waffentat des Ü 5-Boots dem Admiral
Haus ein Glückwunschtelegramm geschickt, und er
hat schon geantwortet?
Der Patriot: Whs hat er geantwortet?
Der Abonnent: »Bitte, meinen verbindlichsten
Dank für die überaus freundlichen Glückwünsche
entgegenzunehmen.«
Der Patriot: Aber wissen Sie schon, daß
der Leiter der israelitischen Militärseelsorge Feld-
rabbiner Dr. Frankfurter beim Osterfeste eine
patriotische Ansprache gehalten hat?
Der Abonnent: Was Sie nicht sagen! Das
is mir entgangen! Und dann?
216
Der Patriot: Der Text wurde vom Militär-
kommando Wien dem Erzherzog Friedrich und dem
Erzherzog Karl Franz Josef vorgelegt.
Der Abonnent: Und dann?
Der Patriot: Beide Erzherzoge ließen dem
Feldrabbiner danken.
Der Abonnent: Sehn Sie, das freut mich.
Aber ich kann Ihnen dafür erzählen, König Ludwig
von Bayern hat dem sich zurzeit in Franzensbad
aufhaltenden Bezirksrabbiner Benzion Katz von
Borszczow auf dessen anläßlich der Einnahme von
Warschau gesandtes Huldigungstelegramm tele-
graphisch seinen Dank ausdrücken lassen.
Der Patriot: Das weiß ich und ich weiß
noch mehr.
Der Abonnent: Da bin ich gespannt.
Der Patriot: Benzion Katz, Bezirksrabbiner
zu Borszczow, derzeit in Franzensbad, hat anläßlich
der Einnahme von Warschau und Iwangorod —
Der Abonnent: Also auch wegen Iwangorod?
Der Patriot: Ja, auch wegen Iwangorod, an den
Armeeoberkommandanten Feldmarschall Erzherzog
Friedrich eine Huldigungsdepesche gerichtet —
Der Abonnent: Und dann?
Der Patriot: — auf welche folgende Antwort
eingetroffen ist: Se. k. u. k. Hoheit der durch-
lauchtigste Herr Armeeoberkommandant Feldmarschall
Erzherzog Friedrich —
Der Abonnent: Aha weiß schon: dankt
bestens für die patriotische Kundgebung. Im höchsten
Auftrage Flügeladjutant Oberst v. Lorz.
Der Patriot: Woher wissen Sie das?
Der Abonnent: No ich kann Ihnen noch
mehr sagen. Nämlich den Text von der Antwort
von König Ludwig von Bayern, nämlich das hab
ich erst später gelesen, nämlich König Ludwig von
Bayern hat an den sich in Franzensbad aufhaltenden
217
Bezirksrabbiner Benzion Katz von Borszczow auf
dessen anläßlich der Einnahme von Warschau
gesendetes Glückwunschtelegramm folgende Antwort
gerichtet: »Ihnen und Ihren in Franzensbad weilenden
Landsleuten danke ich bestens für die Glückwünsche
zur Befreiung Warschaus. Ludwig.«
Der Patriot: Schad, daß man immer nur von
den Antworten hört, und nie, was Benzion Katz
telegraphiert hat.
Der Abonnent: Gott, es gibt ja so viel jetzt,
man weiß gar nicht, wofür man sich zuerst intressieren
soll, richtig, wissen Sie schon, wer im Reserve-
spital Nr. 9 (früher k. k. Statthaltereispital) unter der
Leitung des Regisseurs Franz Brunner mitgewirkt hat?
Der Patriot: Frau Sektionschef Jarzebecka,
Rosa Kunze, Helene Gad, Marta Seeböck, Elsa v.
Konrad, Marta Land, Frau Professor Felsen, Gusti
Schlesak, Henriette Weiß, Mizzi Ohmann, Christine
Werner und die Herren Ernst Salzberger und Viktor
Springer.
Der Abonnent: Fürwahr, eine stattliche Liste.
Im Vereinsreservespital Nr. 8 (Rothschild-Spital) haben
meines Wissens nur mitgewirkt: Frau Anna Kastinger,
Fräulein Finni Kaufmann (am Klavier Heia Lang),
Fräulein IIa Tessa, Adolf Raab, Fräulein Karla Porjes,
das Schrammel-QuartettUhlund das Edelweiß-Quartett
unter Leitung des Chormeisters E. Bochdansky mit
den Herren I. Michl, G. Steinweiß und I. Zohner,
Der Patriot: So ist es. Wissen Sie aber, daß
im Spital in der Apostelgasse auf Anregung des
Bezirksschulinspektors Homolatsch das »Deutsche
Lied in Wort und Bild und Sang und Klang« zum
Besten gegeben wurde?
Der Abonnent: Nein, es setzt mich in
Erstaunen, aber das eine weiß ich, daß sich
E. Koritschoner, Prag und Minna Husserl,
Mährisch-Trübau am 15. d. verlobt haben.
218
Der Patriot: So ist es. Ja, ja, es gehn
große Dinge vor. Haben Sie gelesen, »Verzweiflung
des Viererverbandes am Sieg«?
Der Abonnent: Ja, ja, es scheint' sich zu
bewahrheiten, ich glaub es wird eine Verzweiflung
am Sieg des Viererverbandes ausbrechen, wie sie
die Welt noch nicht gesehn hat.
Der Patriot: Ma werd doch da sehn. (Ab.)
(Verwandlung.)
4. Szene
Standort des Hauptquartiers. Eine Straße.
Ein Journalist und ein alter General treten auf.
Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in
der Lage, mir einige Andeutungen über die momentane
Situation zu machen?
Der General (nach einigem Nachdenken): Wir
gedenken — in Liebe — unserer Lieben — in der
Heimat — die uns — mit Liebesgaben — bedenken
— und unserer — in Treue — gedenken.
DerJournalist: Aufrichtigen Dank, Exellenz,
ich werde nicht verfehlen, diese bedeutsame Äußerung
eines unserer glorreichen Heerführer sofort — (Beide ab.)
(Ein anderer Journalist und ein anderer alter General treten auf.)
Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in
der Lage, mir über den Verlauf der jetzigen Begeben-
heit Authentisches, soweit es im Rahmen der
gebotenen Rücksichten möglich ist, für das Blatt
zur Verfügung zu stellen?
Der General: I waß nix — i hob nur
g'hört — daß jetzt — die Preißen kummen — die
Preißen — nacher — alstern nacher — gehts uns
wieder — schlecht — diese — diese — verflixten
Preißen —
219
Der Journalist: Intressant. Wissen Exellenz
vielleicht etwas über das uns besonders am Herzen
liegende Schicksal der dritten reitenden Artillerie-
brigade?
Der General: Die ritte — dreitende —
rati — tatita — ti — titeriti —
Der Journalist: Vielen Dank, Exellenz,
ich werde nicht verfehlen, diese hochbedeutsame
Kundgebung eines unserer siegreichen Feldherrn —
(Beide ab.)
(Verwandlung.)
5. Szene
Südwestfront.
Eine Stimme aus dem Hintergrund:
Net z'weit vurgehn, Exlenz, net z'weit vur!
Eine zweite Stimme aus dem Hinter-
grund: Net vurgehn Exlenz, der Ort is vom Feind
eingsehn, da muß doch ein Einsehn sein, net vurgehn!
Ein alter General tritt auf. Er ist in Gedanken versunken.
Ein sizilianischer Soldat nähert sich ihm und fängt ihn mit
dem Lasso. Der Soldat führt den General ab.
Ein Mitglied des Kriegspressequartiers
(bemerkt es und ruft): Das ist nicht wahr! — Ich hab
es selbst gesehn! — Das wird ein Fressen für sie
sein! — Märchen italienischer Berichterstattung! —
Kommentar überflüssig.
(Verwandlung.)
6. Szene
Ein Infanterieregiment dreihundert Schritt vom Feind. Heftiger
Feuerkampf.
Ein Infanterieoffizier: Da schauts nach
rückwärts, unser guter Feldkurat kommt zu uns.
Das is schön von ihm.
220
Der Feldkurat Anton Allmer: Gott grüße
euch, ihr Braven! Gott segne eure Waffen! Feuerts
tüchtig eini in die Feind?
Der Offizier: Habe die Ehre Hochwürden —
wir sind stolz, einen so unerschrockenen Feldkuraten
zu haben, der trotz feindlicher Feuerwirkung, der
drohenden Gefahr nicht achtend, sich unserer Feuer-
stellung nähert.
Der Feldkurat: Gehts, laßts mich auch a wengerl
schießen.
Der Offizier: Wir freuen uns alle, einen so
tapfern Feldkuraten zu haben! (Er reicht ihm ein Gewehr.
Der Feldkurat feuert einige Schüsse ab.)
Der Feldkurat: Bumsti!
Rufe: Bravo! Ist das aber ein edler Priester!
Hoch unser lieber Feldkurat!
(Verwandlung.)
7. Szene
Bei der Batterie.
Ein Artillerieoffizier: Daschauts, unser guter
Feldkurat kommt zu uns aus der Infanteriestellung.
Das is schön von ihm!
Der Feldkurat Anton Allmer: Gott grüße
euch, ihr Braven! Gott segne eure Waffen! Feuerts
tüchtig eini in die Feind?
Der Offizier: Sauber laufts, Hochwürden.
Der Feldkurat: Mit Gott möcht ich auch
einmal ein Geschütz probieren.
Der Offizier: Gern, Hochwürden, hoffentlich
treffen Sie einige Russen.
(Der Feldkurat feuert ein Geschütz ab.)
Der Feldkurat: Bumsti!
Rufe: Bravo!
221
Der Offizier (zur Mannschaft): Das ist ein
guter, edler Priester! Und ein Sohn unserer schönen
Steiermark. Das muß ich ins Grazer Volksblatt geben!
(Zum Feldkuraten) Das heimische Regiment freut sich
und ist stolz auf seinen Feldkuraten und tapferen
Mitkämpfer, der mit gutem Beispiel vorangeht.
Rufe: Hoch!
Der Offizier: Jetzt erst, da Hochwürden
geschossen hat, sind unsere Waffen gesegnet!
Die Schaiek nähert sich.
Die Schaiek: Was is das für eine Stellung?
Das soll eine Stellung sein? Ich hab schon bessere
Stellungen gesehn!
Der Offizier: Bitte Nachsicht zu haben —
in der kurzen Zeit —
Die Schaiek: Sie, Herr Oberleutnant, wissen
Sie was, ich möcht bißl schießen.
Der Offizier: Von Herzen gern Fräulein,
aber das is momentan leider unmöglich, weil es
den Feind aufregen könnte. Jetzt is grad eine
Gefechtspause und wir sind froh —
Die Schaiek: Aber bitt Sie machen Sie keine
Geschichten — also der Kurat darf und ich darf nicht? —
wenn ich schon eigens herausgekommen bin — wie
Sie wissen, schildere ich nur aus dem persönlichen
Erleben — bedenken Sie, daß ich die Schilderung
unbedingt vervollständigen muß — es is doch für
Sonntag!
Der Offizier: Ja — also — eine Verantwortung
kann ich nicht übernehmen —
Die Schaiek: Aber ich! Geben Sie her. Also
wie schießt man?
Der Offizier: So —
222
(Die Schalek schießt. Der Feind erwidert.)
Der Offizier: Also da ham mrs!
Die Schalek: Was wollen Sie haben? Das
is doch intressant!
(Verwandlung.)
8. Szene
Der Wurstelprater. Die Szene stellt einen Schützengraben dar,
in welchem Provinzschauspieler Schießübungen vornehmen,
telephonieren, schlafen, essen und Zeitung lesen. Der Schützen-
graben trägt Flaggenschmuck. Das tausendköpfige Publikum steht
in dichten Reihen davor, zahlreiche Funktionäre, Würdenträger
und Reporter im Vordergrund.
Der Entrepreneur: — und hiermit empfehle
ich den Schützengraben, welcher dem p. t. Publikum
das Leben im echten Schützengraben täuschend vor
Augen führen soll, dem edlen Zwecke der patriotischen
Kriegsfürsorge und richte an Seine kaiserliche Hoheit
das alleruntertänigste Ersuchen, den Schützengraben
für eröffnet zu erklären.
Ein Vertreter der Korrespondenz V/ilhelm
(zu seinem Kollegen): Unter den militärischen und zivilen
Notabilitäten bemerkte man u. a. —
Der Kollege (schreibend): Angelo Eisnerv. Eisen-
hof, Flora Dub, Hofrat und Hofrälin Schwarz-Gelber —
Der Vertreter: Aber ich seh die nicht —
Der Kollege: No ich weiß aber.
Der Vertreter: Pst. Die Eröffnung erfolgt.
Schreiben Sie: Schlag 6 Uhr erfolgte.
Die Stimme des Erzherzogs Karl Franz
Josef: Ich bin gerne gekommen, den Schützengraben
anzuschauen. Ich bin ja selbst Soldat.
Das Publikum: Hoch! Hoch! Hoch!
Hofrätin Schwarz-Gelber (zu ihrem Gemahl):
Hier sieht man nichts, komm, dorten wird man gesehn.
(Es erfolgen Vorstellungen. Das Publikum massiert sich und
zerstreut sich hierauf. Es bilden sich Gruppen.)
223
Der ungenannt sein wollende Herr
Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke,
Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes
den Betrag von 1 K erlegt hat (zu einem Herrn):
Es ist zu hoffen, daß auch diese Veranstaltung, die
Sicherlich einem Gedanken oder einer Anregung ihre
Entstehung verdankt, dem wohltätigen Zwecke manch
namhaftes Sümmchen einbringen wird. Ich interessiere
mich für alle auf die Kriegsfürsorge abzielenden
Bestrebungen, ich bin nämlich wie Sie mich da
sehn niemand anderer als der Spender des in
Schaumanns Apotheke, Stockerau, von einem
ungenannt sein wollenden Herrn Oberleutnant zu
Gunsten des Roten Kreuzes erlegten Betrages von
1 K, Summe 1091 K bar und 2000 K Nominale
Rente, hiezu der frühere Ausweis von 679.253 K bar,
macht 680.344 K bar und —
Doktor Kunze: Was, so viel?
Der ungenannt sein wollende Herr
Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke,
Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes
den Betrag von 1 K erlegt hat: Ja, ja, das
summiert sich. Ich halte lange geschwankt, ob ich
mit meinem Namen hervortreten solle, aber da ich,
wo es sich um Wohltun handelt, ein abgesagter
Feind jeglicher Publizität bin, so entschloß ich mich
verborgen zu bleiben. Und die halbe Anonymität —
das ist wieder die halbe Wohltätigkeit. Da sehen Sie,
Otto Ni. aus Leitmeritz und Robert Bi. aus Theresien-
stadt gratulieren Rusi Ni. in Wien zum freudigen
Familienereignis: »Gut is 'gangen, nix is g'scheh'n!« —
2 K.7 h, rechnet man aber hiezu den früheren Ausweis,
so kommt bloß 576.209 K 52 h heraus. Da stehe
ich ganz anders da, ganz abgesehen davon, daß ich
ja allein war und keineswegs erst den Anlaß einer
glücklichen Entbindung gebraucht habe, um —
Doktor Kunze: Ich beneide Sie. Ich habe
mehr getan, aber im Ganzen wars doch nichts.
224
Wie Sie mich da sehn, bin ich nämlich niemand
anderer als der Mann, der in einer Jagdgesellschaft
die Anregung gegeben hat, daß jeder Teilnehmer
für den Kviegsfürsorgezweck das Scherflein von 2 K
beitragen möge. Ich selbst habe natürlich den
Anfang gemacht und meinem Beispiele haben sich
denn auch alsobald die andern angeschlossen, so
daß ich in der Lage war, es zu veröffentlichen.
Ich hatte lange geschwankt, ob ich mit meinem
Namen verborgen bleiben solle, aber da ich, wo es
sich darum handelt, beispielgebend zu wirken, ein
abgesagter Feind jeglicher Anonymität bin, so
entschloß ich mich, hervorzutreten. Ich huldige denn
da doch wesentlich anderen Anschauungen als Sie.
Im Ganzen waren es also 26 K, denn wir waren
unser dreizehn. Das ist immerhin ein stattliches
Sümmchen, aber freilich verglichen mit dem
Resultat — (sie gehen im Gespräch ab.)
Der Patriot: In London haben sie etwas
eine Spielerei, einen Schützengraben. Sehr gut hab
ich da neulich in der Presse gelesen »Der Prinz
von Wales im Schützengraben«. Natürlich dort treibt
er sich herum, draußen war er noch nicht!
Der Abonnent: Sie tändeln mit dem Krieg.
(Verwandlung.)
9. Szene
Semmering. Terrasse des Südbahnhotels. Alpenglühen. Jung und
All, Groß und Klein ist versammelt. Man bemerkt Schakale und
Hyänen. Eine Dame hat soeben mit tiefer Empfindung Heine
rezitiert und erntet reichen Beifall. Die Getreuen des Semmering
sind in stiller Betrachtung versunken.
Jung: Weiß ist der größte Tourist. Er geht
im Schritt, er geht im Trab oder, wenn keine Zeit
is, geht er auch im Galopp. Er hat den Tarockzug
noch nie versäumt.
225
Alt: Ein erstklassiges Alpenglühn. Schauts
euch den Generaldirektor an am Fenster, sein
Gesicht glänzt.
Dangl (kommt atemlos): Meine verehrten Gäste,
soeben is aus Wien telephoniert worn, Durazzo is
gfalln — große Erfolge bei Verdun!
Alle: Hoch Dangl!
Groß: Ich hab stark den Eindruck, der Himmel
is illuminiert wegen Durazzo.
Klein: Heute kann man es genießen! Heut
sind sie alle versammelt die unbedingten Verehrer
des Semmering und die Getreuen.
Stimmengewirr: Wo is Weiß? — Bittich
schrei nicht, Stukart hört — Habts ihr gehört von
Durazzo, Kleinigkeit — Das Panorama war fabelhaft —
Begierig bin ich, ob er heut zurecht kommt — Nutzt
nix, Heine ist und bleibt der gresste deutsche Dichter
und wenn sie zerspringen — Ich hab den Sektions-
chef gegrüßt, er hat auch gegrüßt — Sie wem
sehn, er wird in den Atinalen fortleben — Am
Sonnwendstein will er herauf hat er gesagt — Nicht
wern sie Verdun bekommen! — Sind Sie eigentlich
ein starker Esser? Ich bin nämlich ein starker Esser —
Das Panorama war fabelhaft — Ich sag dir, im
Schritt, er hat Zeit — Die Verluste müssen gesalzen
seini — Der muß auch hübsch verdienen — Wie sie
das deklamiert hat, war ich effektiv begeistert —
Wetten, er kommt heut im Trab — Der Doktor hat
gesagt, unten steht es glänzend — Ich hätt noch
drei Waggon — Wie er sich getauft hat, hat sie
sich geschieden — Heut versäumt er aber ja, sag
ich euch — Wenn ihr euch kugeln wollts, müßts
ihr in die Josefstadt — Was heißt Truppentransporte?
Der Tarockzug geht immer! — Das Panorama war
fabelhaft — Dorten kommt er gelaufen, was hab
ich gesagt. Weiß im Galopp! (Die Gesellschaft verzieht sich.)
Die letzten Tage der Menschheit. 15
226
Ein Getreuer des Semmering (im Abgehn):
Laßts ihn schlafen, er macht sich Sorgen wegen der
Metallablieferung.
Der Generaldirektor (schlafend, mit der Geste
einer jähen Eingebung): Vergroben! (Er erwacht.)
(Verwandlung.)
10. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Das kann ich wirklich mit
ruhigem Gewissen behaupten, ich habe seit der
Kriegserklärung noch keinen jungen Menschen in
Wien getroffen, der noch da war und wenn er noch
da war, der nicht vor Ungeduld gefiebert hätte,
nicht mehr da zu sein.
Der Nörgler: Ich komme so wenig unter
Leute. Aber ich habe ein Gesellschaftstelephon.
Da habe ich schon im Frieden mühelos und
ohne erst auf die schwarze Scheibe hauen zu
müssen, sämtliche Gespräche des Bezirks, über eine
geplante Poker-Partie, über ein vorgehabtes Geschäft
und über einen angestrebten Koitus hören können.
Meine einzigen Verbindungen mit der Außenwelt
sind die falschen. Seitdem der Weltkrieg ausge-
brochen ist und das vaterländische Telephon dadurch
keineswegs verbessert wurde, drehen sich die Ge-
spräche um ein weiteres Problem und ich kann
tagtäglich, so oft ich ans Telephon gerufen werde,
um andere Leute miteinander sprechen zu hören,
also mindestens zehnmal täglich Gespräche hören wie
die: »Der Gustl is hinaufgegangen und hat sichs
gerichtet.« »Wie gehts denn dem Rudi?« »Der Rudi
is auch hinaufgegangen und hat sichs auch gerichtet.«
»Und der Pepi? Is der am End schon im Feld?«
»Der Pepi hat einen Hexenschuß. Aber sobald er
aufstehn kann, wird er hinaufgehn und sichs richten.«
227
Der Optimist: Seien Sie vorsichtig.
Der Nörgler: Warum? Icii \yürde es beweisen
können. Es gibt nocli Richter in Österreich.
Der Oplimist: Von Ihrem Standpunkt müßten
Sie ja die Befreiung jedes einzelnen begrüßen.
Der Nörgler: Jawohl, jedes einzehien. Ich
stehe auf meinem Standpunkt. Aber das Vaterland
steht nicht auf meinem Standpunkt, und jene, die
ausgenommen sein wollen, bekennen sich zum
Standpunkt des Vaterlands und nicht zu dem meinigen.
Wenn ich den Zwang zum Tode für eine Schmach
halte, so halte ich die Protektion vor dem Tode für
einen Zustand, der die Schmach bis zu dem Gefühl
verschärft, daß man hierzulande nur als Selbstmörder
weiterleben kann. Es ist das letzte Freiwilligenrecht
gegenüber der allgemeinen V/ehrpflicht.
Der Optimist: Aber Ausnahmen muß es
schließlich geben. Zum Beispiel die Literatur. Das
Vaterland braucht nicht nur Soldaten —
Der Nörgler: — sondern auch Lyriker, die
ihnen den Mut machen, den sie selbst nicht haben.
Der Optimist: Die Dichter sind aber mit dem
höheren Zweck entschieden gewachsen. Sie können
unmöglich leugnen, daß der Krieg auch sie gestählt hat.
DerNörgler: Den meisten hat er die Gewinn-
sucht mobilisiert, den paar charaktervollen nur die
Dummheit.
DerOptimist: Ein Mann wie Richard Dehmel,
der selbst eingerückt ist, hat ein Beispiel gegeben —
Der Nörgler: — das er durch seine Kriegs-
lyrik entwertet hat. Er nannte das Geräusch der
Maschinengewehre Sphärenmusik und stellte jene
Kreatur, die der allgemeinen Wehrpflicht noch wehr-
loser gegenübersteht als der Mensch, unter den
Begriff des Vaterlandes, für dessen unheilige Sache
er die »deutschen Pferde« reklamiert hat.
Der Optimist: Ja, in solchen Zeiten sind
eben alle Dichter fortgerissen —
15*
228
Der Nörgler: — der Tat jener, die die
Schöpfung schänden, das Wort zu leihen.
Der Optimist: Blicken Sie auf Kernstock —
Der Nörgler: Nicht gern.
Der Optimist: Ein Dichter christlicher Müde,
in seinem Beruf sogar ein Geistlicher.
Der Nörgler: Ja, das gebe ich zu, der ist
außerordentlich gestählt worden. Ich denke vor allem
an die Verse, in denen er seine Steirerbuam auf-
fordert, aus Welschlandfrüchtchen blutroten Wein
zu pressen.
Der Optimist: Oder denken Sie an den
Bruder Willram —
Der Nörgler: Leider läßt mich mein Gedächtnis
nicht im Stich. Das ist doch der christliche Dichter,
dem Blut ein rotes Blühn ist und der von einem Blut-
frühling träumt. Sie spielen vielleicht auf die Weisung
dieses Seelsorgers an, die da lautet: Im Kampf mit
Drachen und Molchen die stinkende Brut erdolchen?
Oder: Die Feinde dreschen nach Herzenslust und
jedem das schrille Blei in die Brust?
Der Optimist: Nein, ich meine seinen Ausruf:
Zum Freiwild ist geworden der feige welsche Wicht.
Oder die Verse, in denen sein Schlachtroß laut
wiehert und schnaubt voll edlen Muts und trägt ihn
in der Feinde Troß durch Bäche roten Bluts.
Der Nörgler: Aber die Kavallerie ist doch
schon abgesessen und selbst der Einspainer von
der Innsbrucker Weinstube nachhaus ist heute
unerschwinglich.
Der Optimist: Unterschätzen Sie nicht die
Kraft dichterischer Illusion, zumal in dem Gedicht,
worin er den Herrgott bittet, die Feinde so zu segnen,
daß selbst dem Teufel graust, wenn wir uns baden
im Blute.
Der Nörgler: Und was tut der Teufel? Ihm
grausts umsomehr, je weniger es dem Priester graust.
229
Der Optimist: Oder blicken wir auf Dörmann.
Der Nörgler: Der ist doch kein Priester.
Der Optimist: Aber ein Dichter! Wie standen
wir seinerzeit im Bann seiner Worte: »Ich liebe die
hektischen schlanken — «1 Jetzt, um fünfundzwanzig
Jahre älter geworden, hat er sich aus einer anämischen
Geschmacksrichtung, die wir goltseidank alle über-
wunden haben, zu einer blutlebendigeren Auffassung —
Der Nörglar: Sie vergessen, daß schon die
hektischen schlanken Narzissen einen blutroten Mund
hatten.
Der Optimist: Trotzdem. Was ist das im
Vergleich zu den Versen, mit denen er jetzt alle
fortreißt: »Die Russen und die Serben, die hauen
wir zu Scherben!« Wie hat der sich aufgerafft, zu
welcher Entschlossenheit und Kraftfülle ist dieser
einst dekadente Lyriker emporgediehen. Wie groß
muß die Wirkung dieser Gegenwart sein, daß sie einen
amourösen Liebling der Grazien so verwandeln, zu
solcher Unerbittlichkeit des Fühlens, zu solcher
Tatkraft des Vollbringens befähigen konnte.
Der Nörgler: Es ist über ihn gekommen.
Der Optimist: Und Sie werden auch den
Vorteil, den die Einstellung der literarischen
Produktion auf die Bedürfnisse des Vaterlands
sowohl für dieses wie last not least für den
Betreffenden selbst hat, nicht leugnen können.
Dazu kommt, daß in einer Zeit, in der jeder
seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt, auch das
Vaterland Gelegenheit hat, sich der Pflicht gegen
seine besten Söhne zu erinnern. Ich denke da vor
allem an einen Mann wie Lehar. Es hat sich einfach
von selbst verstanden, daß der Schöpfer des Nechledil-
Marsches von jeder Kriegsdienstleistung befreit blieb.
Der Nörgler: Beethoven hätte wegen Schwer-
hörigkeit einen G-Befund gekriegt und infolgedessen
bloß bei Mullatschaks in Offiziersmessen Klavier
230
spielen müssen. Welche Vertreter der Malerei und
der Literatur würden Ihnen ähnlich berücksichtigens-
wert erscheinen?
Der Optimist: Ich denke an Schönpflug,
den Zeichner so vieler lustiger Militärtypen, und an
Hans Müller, dessen sonnige Feuilletons eine wahre
Herzstärkung sind und so viel zum Durchhalten
beigetragen haben.
Der Nörgler: Auch mich sollte es baß ver-
wundern, wenn ein Dichter, den Wilhelm II. in der
Wiener Hofburg empfangen hat, die daraufhin noch
nicht geschlossen wurde, nicht eines Tags von dem
aufreibenden Dienst im k. u. k. Kriegsarchiv befreit
würde.
Der Optimist: Da haben Sie ganz recht.
Solche Männer erbringen ja durch ihr eigenes
Schaffen die erfreulichsten Beweise für ihre Unent-
behrlichkeit. Aber daneben muß es auch Kriegs-
schilderer und Kriegsberichterstatter geben; sie sind
vom Frontdienst befreit, um —
Der Nörgler: — den andern darauf Gusto
zu machen.
Der Optimist: Sie bewähren sich in ihrer Art
so gut wie die Militärärzte, die —
Der Nörgler: — umso untauglicher sind, je
mehr Leute sie für tauglich erklären, und umso
sicherer ihr Leben behalten —
Der Optimist: — je mehr Verwundeten sie
es wiedergeben —
Der Nörgler: — damit diese es verlieren
können. Während wieder die Auditoren es umso
sicherer behalten, je mehr Gesunden sie es nehmen.
Der Optimist: Man darf nicht generalisieren.
Der Nörgler: Man darf alles, nur nicht das.
Der Optimist: Das Vaterland braucht Soldaten,
aber auch Kriegsberichterstatter. Es ist doch Krieg,
und so müssen sie es uns sagen.
231
Der Nörgler:
Wie? Es ist Krieg:? Wir wissen es von solciien,
die noch ihr dreckiges Ich haben, das erzählt,
in welcher Stimmung sie den Krieg besichtigt?
Ein Schlachtroß fand' es unter seiner Würde
mit seinem linken Hinterhuf die Krummnas'
von sich zu stoßen und die oben sitzen,
empfangen sie, und stehn ihr Red' und Antwort,
verköstigen an ihrem eigenen Tisch
den Auswurf? Wie, war das Ereignis denn
nicht stark genug, den innern Feind zu schlagen?
Er dringt zur Front, macht sich ums Blatt verdient?
Stellt uns den Krieg vor, stellt sich vor den Krieg?
Er wird nicht untergehn? Er lebt? Er dient nicht?
Nicht exerzieren müssen die Gemeinen?
Ist es ein Krieg? Ich denk', es ist der Friede.
Die Bessern gehen und die Schlechtem bleiben.
Nicht sterben müssen sie. Sie können schreiben.
(Ein Zug von Rekruten, die graue Barte haben, geht vorbei.)
Der Optimist: Sehn Sie, die rücken ein.
Der Nörgler: Und dennoch sind sie nicht
Einrückende.
Der Optimist: Sondern?
Der Nörgler: Einrückend gemachte, wie sie
mit Recht heißen. Das Partizipium der Gegenwart
allein würde noch eine Willenstätigkeit bekunden und
darum muß schon ein Partizip der Vergangenheit
dabei sein. Es sind also einrückend Gemachte. Bald
werden sie einrückend gemacht sein.
Der Optimist: Nun ja, sie müssen in den
Krieg ziehen.
Der Nörgler: Ganz richtig, sie müssen, die
allgemeine Wehrpflicht hat aus der Menschheit ein
Passivum gemacht. Einst zog man in den Krieg,
jetzt wird man in den Krieg gezogen. Nur in Deutsch-
land ist man schon darüber hinaus.
Der Optimist: Wie das?
232
Der Nörgler: In Karlsruhe habe ich ein
großes Plakat gelesen: Macht Soldaten frei! Und
sogar am Tor des Oberkommandos.
Der Optimist: Wie ist das möglich, das ist doch
Revolution,wie kann das Oberkommando in Karlsruhe —
Der Nörgler: Ja, es werden nämlich Schreiber
für die Kanzlei gesucht und es wird gewünscht, daß
sich Zivilisten melden, damit Soldaten, die noch in
der Kanzlei arbeiten, für die Front frei werden.
Also: »Macht Soldaten frei!« Bei uns würde man
auch da sagen: »Macht Soldaten einrückend«, worin
ja hinreichend Willensfreiheit wäre. Ich glaube aber,
daß das deutsche Plakat seine Wirkung unter allen
Umständen erreicht. Denn wenn es seine Wirkung auch
nicht erreicht, so weiß die deutsche Militärverwaltung
doch dafür zu sorgen, daß die vakanten Schreiber-
postenbesetzt werden. Ein Mangel anBewerbern könnte
nur eintreten, wenn bereits alle Soldaten, die dafür
in Betracht kommen, freie Soldaten geworden sind.
Der Optimist: Ihre Nörgelei macht nicht
einmal vor einer Verlautbarung des Oberkommandos
in Karlsruhe Halt.
Der Nörgler: Ich habe übrigens noch eine
andere draußen gesehn. In einem Polizeiamt hängt
ein Plakat, dessen Text mir ins Ohr gegangen ist.
Er lautet:
Haut die Schufte, haut die Bande,
Werft sie bis zu Aetnas Rande,
Füllt sie in Vesuvens Rachen!
Haut sie, daß die Schwarten krachen!
Haut sie, daß sie nur so glotzen,
Haut sie, bis sie Lumpen kotzen!
Streicht Pardon aus eueren Herzen,
Um das Trugvolk auszumerzen!
Füllt mit Dynamit die Täler,
Rottet aus die Heuchler, Hehler,
Jedem schlagt den Schädel ein
Und seid stolz, »Barbar« zu sein!
233
Der Optimist: So etwas wäre auch bei den
anderen Nationen möglicli.
Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren.
Aber Sie könnten recht haben. Es wäre sogar bei
den Engländern möglich, wenn sie noch ein paar
Jahre allgemeine Wehrpflicht haben. Daß die Täler
dazu da sind, um mit Dynamit gefüllt zu werden,
wird allmählich allen Völkern einleuchten. Nur die
eine Zeile: Haut sie, bis sie Lumpen kotzen — die,
sehn Sie, hat Landesfarbe,
Der Optimist: Eine Roheit, was weiter.
Man darf nicht generalisieren.
Der Nörgler: Gewiß nicht, es wäre bei den
weißen wie bei den farbigen Engländern unmöglich.
Der Optimist: Es ist auch in Deutschland
ein Einzelfall.
Der Nörgler: Der aber nur in Deutschland
möglich ist. Und der Kerl, der es verfaßt hat, sitzt
in einem Bureau und erschrickt, wenn ein Papiersack
explodiert.
Der Optimist: Nun, eben —
Der Nörgler: Und derselbe Kerl ist, wenn er
hinauskommt, ein passionierter Mörder, dreht einem
Sterbenden das Messer im Leib um, würde es stolz
erzählen, wenn er daheim ist, und wieder erschrecken,
wenn ein Papiersack explodiert.
Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht.
Es gibt gute und böse Menschen im Krieg.
Sie sagen doch selbst, daß er nur die Kontraste
vergrößert hat.
Der Nörgler: Gewiß, auch den zwischen mir
und Ihnen. Sie waren schon im Frieden ein
Optimist und jetzt —
Der Optimist: Sie waren schon im Frieden
ein Nörgler und jetzt —
Der Nörgler: Jetzt geb' ich sogar der Phrase
die Blutschuld.
234
Der Optimist: Ja, warum sollte der Krieg
Sie von Ihrer fixen Idee befreit haben?
Der Nörgler: Ganz richtig, er hat mich sogar
darin bestärkt. Ich bin mit dem höheren Zweck
kleinlicher geworden. Ich sehe einrückend Gemachte
und spüre, daß es gegen die Sprache geht. An
Drahtverhauen hängen die blutigen Reste der Natur.
Der Optimist: Wirklich also, mit Grammatik
wollen Sie den Krieg führen?
Der Nörgler: Das ist ein Irrtum, mich
interessiert kein Reglement, nur der lebendige
Sinn des Ganzen. Im Krieg gehts um Leben und
Tod der Sprache. Wissen Sie, was geschehen ist?
Schilder und Schilde sind nicht mehr zu unter-
scheiden und alle, die nur ein Schild und einen
Verdienst gehabt haben, werden dereinst ein
Verdienst und einen Schild haben. So mischen
sich die Sphären und die neue Welt ist blutiger
als die alte, weil sie den furchtbaren neuen Sinn
furchtbarer macht durch die alten Formen, denen
sie geistig nicht entwachsen konnte. Fibel und
Flammenwerfer! Panier und Papier! Weil wir zum
Schwert greifen, mußten wir zur Gasbombe greifen.
Und wir führen diesen Kampf bis aufs Messer.
Der Optimist: Das ist mir zu hoch. Bleiben
wir hübsch in der Wirklichkeit. Es handelt sich in
diesem —
Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in
diesem — !
Der Optimist: Wenn die Kämpfer nicht
ein Ideal vor sich hätten, würden sie nicht in den
Krieg ziehen. Auf Worte kommt es nicht an. Weil
die Völker Ideale vor Augen haben, tragen sie ihre
Haut —
Der Nörgler: Zu Markte!
Der Optimist: Nun gerade in der Sprache
unserer Armeekommanden müßten Sie einen Zug
435
erkennen, der sich von der trivialen Prosa der von
Ihnen verachteten Geschäftswelt kräftig abhebt.
Der Nörgler: Gewiß, insoferne diese Sprache
bloß eine Beziehung zum Varielegeschäft verrät. So
habe ich in einem Divisionskommandobefehl gelesen:
. . . die, was Heldenmut, todesverachtende Tapfer-
keit und Selbstaufopferung anbetrifft, das höchste
geleistet haben, was erstklassige Truppen
überhaupt zu leisten imstande sind . . . Sicherlich
hat dem Divisionär eine jener erstklassigen Truppen
vorgeschwebt, an denen er sich im Frieden oft zu
ergötzen pflegte. Das reine Geschäft kommt mehr
in der fortwährenden Verwechslung von Schilden
und Schildern zur Geltung.
Der Optimist: Meinen Sie das wörtlich?
Der Nörgler: Sachlich und wörtlich, also
wörtlich.
Der Optimist: Ja es ist ein Kreuz mit der
Sprache.
Der Nörgler: Das man auf der Bru'=;t trägt.
Ich trag's auf dem Rücken.
Der Optimist: Ob Sie das nicht überschätzen?
Der Nörgler: Zum Beispiel so: Ein Volk,
sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen
noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren
Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür,
daß es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.
Der Optimist: Wie das?
Der Nörgler: Ein U-Boot-Kommandant hält
die Fahne hoch, ein Fliegerangriff ist zu Wasser
geworden. Leerer wird's noch, wenn die Metapher
stofflich zuständig ist. Wenn statt einer Truppen-
operation zu Lande einmal eine maritime Unter-
nehmung Schiffbruch leidet. Wenn der Erfolg in
unsern jetzigen Stellungen bombensicher war und
die Beschießung eines Platzes ein Bombenerfolg.
236
Der Optimist: Ja, diese Redensarten ent-
stammen samt und sonders der kriegerischen Sphäre
und jetzt leben wir eben in ihr.
Der Nörgler: Wir tun es nicht. Sonst wäre
der Schorf der Sprache von selbst abgefallen. Neulich
las ich, daß sich die Nachricht von einem Brand in
Hietzing wie ein Lauffeuer verbreitet habe. So auch
die Nachricht vom Weltbrand.
Der Optimist: Brennts darum nicht?
Der Nörgler: Doch. Papier brennt und hat
die Welt entzündet. Zeitungsblätter haben zum Unter-
zünden des Weltbrands gedient. Erlebt ist nur, daß
die letzte Stunde geschlagen hat. Denn Kirchen-
glocken werden in Kanonen verwandelt.
Der Optimist: Die Kirchen selbst scheinen
das nicht so tragisch zu nehmen, denn sie stellen die
Glocken vielfach auch freiwillig zur Verfügung.
Der Nörgler: Krieg sei ihr letzt Geläute. Die
Verwandtschaft von Requiem und Mörser steUt sich
allmählich doch heraus.
Der Optimist: In jedem Staat fleht die Kirche
Gottes Segen für ihre eigenen Waffen herab —
Der Nörgler: — und trachtet diese noch zu ver-
mehren. Wohl, es kann von ihr nicht verlangt werden,
daß sie Gottes Segen für die feindlichen Waffen
herabfleht, aber zu einem Fluch für die eigenen
hätte sie sich immerhin aufraffen können. Da hätten
sich dann die Kirchen der kämpfenden Staaten
besser verstanden. Jetzt ist es möglich, daß der Papst
den Krieg zwar verwünscht, aber von »berechtigten
nationalen Aspirationen« spricht und daß an dem-
selben Tag der Fürsterzbischof von Wien den
Krieg segnet, der zur Abwehr »ruchloser nationaler
Aspirationen« geführt wird. Ja, wären die Inspirationen
stärker gewesen als die Aspirationen, so gäb's diese
nicht und keinen Krieg.
Der Optimist: Die schwarze Internationale
iiat eben noch mehr versagt als die rote.
237
Der Nörgler: Bewährt hat sich nur jene,
die es schwarz auf rot gegeben hat, die Presse — .
Der Optimist: — Es ist erfreulich, daß Sie
deren Macht anerkennen —
Der Nörgler: — wiewohl ich ihren Einfluß
überschätze. Was ist Benedikt gegen —
Der Optimist: Was haben Sie gegen —
Der Nörgler: Ich meine doch den Papst.
Was vermag eine Predigt für den Frieden gegen
einen Leitartikel für den Krieg. Und da es nur
Predigten für den Krieg gibt —
Der Optimist: Das will ich zugeben, in
Bethlehem war das Heil der Welt anders beschlossen.
Der Nörgler: Bethlehem in Amerika korrigiert
den Mißgriff, der vor neunzehn Jahrhunderten
begangen wurde.
Der Optimist: InAmerika? WiemcinenSiedas?
Der Nörgler: Bethlehem heißt die größte
Kanonengießerei der Vereinigten Staaten. Bei uns
stellt jede Kirche ihr Bethlehem bei, ihr Bethlehem-
Scherflein.
Der Optimist: Ein Namcnszufall.
Der Nörgler: Sie sind ungläubig. Da wissen
Sie wohl auch nicht, was ein Paternoster ist?
Der Optimist: Ein Gebet!
Der Nörgler: Ein Lift! Sie Optimist!
Der Optimist: Ach so, natürlich. Aber das
mit Bethlehem — ? So heißt also der Ort, von wo
Deutschlands Feinde mit Waffen versorgt werden!
Der Nörgler: Von Deutschen.
Der Optimist: Sie scherzen. An der Spitze
des Stahltrusts steht Carnegie.
Der Nörgler: Steht Schwab.
Der Optimist: So, also Deutschamerikaner
versorgen jetzt die Feinde — ?
Der Nörgler: Reichsdeutsche!
Der Optimist: Wer sagt das!
238
Der Nörgler: Wers weiß. Das Wall Street-
Journai, das in finanzieilen Dingen mindestens so
maßgebend sein soll wie unsere Börsenpresse, hat
festgestellt, daß zwanzig Prozent der Aktien des
Stahltrusts sich in deutschen Händen befinden, aber
nicht in deutschamerikanischen, sondern in reichs-
deutschen. Mehr als das. Da lesen Sie, was in einem
deutschen Sozialistenblatt steht. »Während man von
mehreren waschecht anglo-amerikanischen Fabrikanten
erfahren hat, die Bestellungen der französischen und
englischen Regierung abgewiesen haben, hat der in Mil-
waukee erscheinende sozialistische ,Leader' die Namen
mehrerer Deutschamerikaner genannt, die öffentlich
laut und eifrig für die Sache Deutschlands eintreten —
(Eine Gruppe junger Burschen mit Lampions zieht vorbei, die
das Lied singen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein.)
— während die von ihnen geleiteten Fabriken Patronen,
Flinten und anderes Kriegsmaterial für England und
Frankreich herstellen. Ja es kommt noch schlimmer;
es gibt in den Vereinigten Staaten Filialen reichs-
deutscher Firmen, die sich an diesem Geschäft
beteiligen! Hat man da noch das Recht, gegen die
merkwürdige Neutralität Amerikas zu protestieren,
das schließlich keine Veranlassung hat, um unserer
schönen Augen willen auf diese gewaltigen Profite
zu verzichten?«
Der Optimist: Unglaublich — aber schöne
Augen, das müssen Sie zugeben, haben die Deutschen.
Der Nörgler: Schön und treu und das Herz,
wo immer es sein mag, stets ist es auf dem rechten
Fleck. Wissen Sie, daß die italienischen Karten von
Österreich, in denen die irredentistischen Verheißungen
erfüllt sind und die jetzt hier in den Buchhandlungen
zum Beweis der feindlichen Unverschämtheit aus-
gehängt werden, in Deutschland hergestellt worden
sind? Und daß die französischen Postkarten, auf
denen die Entstehung der Marseillaise illustriert ist,
239
in Dresden gedruckt sind? Ich habe eine Filmanzeige
gesehen, mit dem packenden Titel: Deutsche Treue —
welsche Tücke!
DerOptimist: Nun, das ist doch in Ordnung?
Der Nörgler: Das würden Sie nicht finden,
wenn Sie es gesehen hätten. Ein Dämon hatte im
dritten Wort einen Buchstaben weggelassen —
Der Optimist: Weiche Tücke!
Der Nörgler: Ganz richtig: welche Tücke.
Zum Glück wurde aber der Buchstabe von einem
gewissenhaften Korrektor wenigstens handschriftlich
nachgetragen. Er gab der V/ahrheit die Ehre und
dem Worte das s.
Der Optimist: Sie bleiben Ihrer Gewohnheit
treu, Druckfehler —
Der Nörgler: — für den authentischen Text
zu halten.
Der Optimist: Diese Treue —
Der Nörgler: — welche Tücke!
Der Optimist: Nun, was die italieni<:chen
Landkarten und die französischen Postkarten anlangt,
so könnte man sagen, es spricht für die Tüchtigkeit
der Deutschen —
Der Nörgler: — daß die Feinde ihren Haß
aus Deutschland beziehen müssen, und wenn
sie vor Wut zerspringen! Was nicht sosehr für die
Deutschen als für die Feinde eine Demütigung
bedeutet, nicht wahr?
Der Optimist: Nein, ich sage das nicht,
aber ich sage, daß Sie sich an Auswüchse klammern.
Der Nörgler: Ein gesunder Stamm hat keine.
Der Optimist: Denken Sie lieber daran, daß
die Deutschen in Amerika Bollwerke heimischer
Volksart errichtet haben.
Der Nörgler: Ich denke daran, daß sie in
diesen Bollwerken Munition gegen ihre Stammes-
genossen fabrizieren.
Der Optimist: Ja, business is business.
240
Der Nörgler: Nein, Geschäft ist Geschäft.
Der Optimist: In der Politik sage ich:
Erfolg ist Erfolg. Darum dürfte die Versenkung der
Lusitania nicht ohne großen Eindruck bleiben.
Der Nörgler: Den hat sie allerdings schon
erzielt. In der ganzen Welt, soweit sie noch eines
Absehens fähig ist. Aber auch in Berlin.
Der Optimist: Sogar in Berlin?
Der Nörgler: Das läßt sich wieder nur durch
Beweise beweisen. (Er liest vor.) »In dem Moment, als der
Dampfer unterging, sprangen Hunderte von Personen
ins Meer. Die meisten wurden vom Strudel weg-
gerissen. Viele Personen hielten sich an Holzstücken,
die durch die Explosion losgerissen waren, fest ....
in Queenstown konnte man tragische Szenen
beobachten, Frauen suchten ihre Männer, Mütter
riefen nach ihren Kindern, bejahrte Frauen irrten
mit offenen, wassertriefenden Haaren herum, junge
Frauen gingen ziellos umher, ihre Kinder an die
Brust gepreßt. 126 Leichen lagen bereits in einem
Haufen da; es waren darunter Frauen, Männer und
Kinder aller Altersstufen. Zwei arme kleine Kinder
hielten sich eng umschlungen im Tode. Es war ein
jammervoller unvergeßlicher Anblick.« So.
Der Optimist: Nun, aber in Berlin?
Der Nörgler: In Berlin? In einem dortigen
Variete wurde schon am Tag nach der Katastrophe
ein Film, der dies alles darstellt, vorgeführt, und auf
dem Zettel hieß es: »Die Versenkung der Lusitania.
Naturgetreu. Bei diesem Programmpunkt Rauchen
gestattet.«
Der Optimist: Das ist gewiß geschmacklos.
Der Nörgler: Nein, es ist stilvoll.
Der Optimist: Nun, ich kann den Lusitania-
Fall nicht sentimental nehmen.
Der Nörgler: Ich auch nicht, nur kriminell.
Der Optimist: Die Leute waren gewarnt
worden.
241
Der Nörgler: Die Warnung vor der Gefahr
war die Drohung mit einem Verbrechen, also ging
dem Mord eine Erpressung voraus. Der Erpresser
kann nie zu seiner Entlastung geltend machen, daß
er den Schaden, den er verübt hat, vorher angedroht
habe. Wenn ich Ihnen für den Fall, daß Sie eine Leistung
oder Unterlassung, auf die ich keinen Anspruch habe,
verweigern, den Tod androhe, bin ich ein Erpresser
und kein Warner, und hinterher ein Mörder und
kein Exekutor. Rauchen gestattet. Aber mag lieb
Vaterland, wenn es an die Kinderleichen denkt, noch
versuchen ruhig zu sein!
Der Optimist: Das Unterseeboot konnte
nicht anders als —
Der Nörgler: — den Eisberg ersetzen, der
ein paar Jahre zuvor in die Titanic fuhr v/ie Gottes
Zorn in den Wahnwitz des technischen Übermaßes,
daß er die Menschheit das Schaudern lehre statt der
Ehrfurcht. Jetzt besorgt die Technik selbst das Straf-
gericht und alles ist in Ordnung. Aber damals wurde
noch Gott, der es getan, mit Namen gerufen. Den
Helden dieses Unterseeboots verschweigt die Welt-
geschichte. Der amtliche Bericht nennt ihn nicht.
Die Behauptung der Feinde, der Mensch hätte eine
Auszeichnung erhalten, wird vom Wolffbüro als Lüge
bezeichnet. Und mit einer Entrüstung, die hinter
allem selbstbekömmlichen Tonfall der biedern Phrase
endlich einmal die eigene Tat bloßstellt.
Der Optimist: Gewiß, er hat nicht den
Anspruch, unter Helden wie Weddigen —
Der Nörgler: Ja, warum denn nicht? Die
Tat wird ja verherrlicht. Warum wird sie nicht
verschwiegen wie der Täter?
Der Optimist: Die Tat war nicht erhaben, aber
nützlich. Die Lusitania hat Waffen an Bord geführt,
die den Leibern deutscher Soldaten zugedacht waren.
Der Nörgler: Deutsche Waffen!
(Verwandlung.)
Die letzten Tage der Menscliheit. 16
242
11. Szene
Gasse in der Vorstadt. Vor einem Greislerladen eine Mcnp,e von
Proletariern angestellt. Wachleute halten Ordnung. Eine große Tafel
>Brot ausverkauft^ wird angebracht. Die Menge bleibt stehen.
Ein Wachmann: Sechts denn net, daß aus-
verkauft is?
Eine aus der Menge: Jetzt steh i seit zwa Uhr
in der Nacht!
Zweiter Wachmann: Gehn Sie auseinander!
Eine zweite Frau: Ist das eine Gerechtigkeit?
Acht Stunden steht unsereins da und jetzt haßts
ausverkauft!
Ein Mann: Hauts eahms G'wölb ein!
Ein zweiter: Jo! Trau di! Wannst ihn jetzt
fragst, ob er a Brot hat, haut er dir schon a Watschen
herunter, daß d' den Stephansturm für a Salzstangl
anschaust.
Dritte Frau: Mir zahln so gut Steuern wie
die Juden, mir wolln auch essen!
Vierte Frau: Die Juden san schuld!
Rufe: Heraus mit'n Brot!
Zweiter Wachmann: Wenn Sie nicht aus-
einandergehn, werden Sie sich die Folgen selber
zuzuschreiben haben.
E r s t e r : Sie riskieren, wegen Widergesetzlichkeit
verhaftet zu werden!
Rufe: Pfui! Brot!
ZweiterWachmann: Einspirrn tan mr eucli !
Rufe: Aufspirrn soll er!
ZweiterWachmann: Auf d' Wochen kriegts
eh die Marken.
Vierte Frau: Ujegerl, bis auf d' Wochen san
mr eh hin!
Erster Wachmann: Jetzt heißt's durchhalten!
Eine alte Frau (entfernt sich kopfschüttelnd):
Jessas, is das ein Elend! Die Mannsleut derschießens'
und die Weibsleut lassen s' derhungern!
243
Erster Wachmann: Da gibt's nur ein Mittel —
zerstreun Sie sich!
Dritter Mann: Alstern, wart'n mr auf die
Marken. Wo kriegt man denn hernach ein Brot?
Vierter Mann: No, beim Backen!
Fünfter Mann: Jo, beim Backen! (Gelächter.
Die Menge zieht unter allerlei Rufen ab.)
Der Greisler (öffnet einer besser gekleideten Frau,
die zurückgeblieben ist, die Tür): Kumman S' gschwind
eini —
(Verwandlung.)
12, Szene
Kärntiiersiraße. Ein starker Esser und ein normaler Esser
treffen sich.
Der normale Esser: Na wie gehts, wie
tiberstehn Sie den Weltkrieg?
Der starke Esser: Ich bitt Sie, fragen Sie
nicht, geben Sie mir lieber ein paar Brotkarten von
sich, ich samniel wo ich kann.
Der normale Esser: Was fällt Ihnen ein,
ich komm selber nicht aus. Und dabei bin ich
doch nur ein normaler Esser! Aber ich kann mir
denken, wie wütend Sie sein müssen. Erst gestern
hab ich zu meiner Frau gesagt, das is nichts für
Tugendhat, Tugendhat is bekanntlich ein starker
Esser. Wir haben nämlich grad in der Presse gelesen,
wie sie interessant auseinandergesetzt hat, wie die
starken Esser mehr brauchen wem wie die normalen
Esser, wo doch schon die normalen Esser mehr
brauchen wie die schwachen Esser.
Der starke Esser: Sind Sie ein schwacher
Esser?
Der normale Esser: Das kann ich gerade
nicht sagen, mittel, ich bin ein normaler Esser.
Aber ich komm auch nicht aus. Wenn das so weiter
geht, kann mir der ganze Krieg gestohlen wem.
16*
244
Der starke Esser: Das kann sich auch
unmöglich halten. Ich bin bekanntlich ein starker
Esser, ich hätt der Statth alterei Auskunft geben
können, was man so im Tag braucht.
Der normale Esser: Aber das muß man
zugeben, eine Sensation war dieser erste Tag der
Brotkarte. Selbst kann man ja nur von sich selbst
schließen, aber nach der Presse hat man einen Begriff,
was sich da getan hat.
Der starke Esser: Ja, sie is ins Detail
gegangen. Hundert Berichterstatter hat sie in alle
Lokale geschickt. In jedem war's aber auch anders.
Während sich zum Beispiel beim »Leber« die Stamm-
gäste mit der neuen Einrichtung befreundeten —
Der normale Esser: — hatten die Kellner
im »Weingartl« alle Hände voll zu tun —
Der starke Esser: — die Fragen der
Neugierigen zu beantworten. In sämtlichen Lokalen
soll aber eines gleich gewesen sein, nämlich, daß
sich um den Zahlkellner, so oft er die Schere aus
der Tasche zog —
Der normale Esser: — Gruppen gebildet
haben. Kein Wunder, kann es denn eine größere
Umwälzung geben?
Der starke Esser: Ja, es ist entsetzlich,
was wir hier durchzumachen haben.
Der normale Esser: Na, wenigstens haben
uns die im Schützengraben nicht zu beneiden.
Der starke Esser: Ich muß faktisch zugeben,
am ersten Tag der Brotkarte — da hatte ich das
Gefühl wie bei der Feuertaufe. Nur mit dem Unter-
schied, bei der Feuertaufe, da kann man sich's
richten. Aber bei der Brotkarte? Sind Sie eigentlich
ein starker Esser — ?
Der normale Esser: Mittel. Ich bin ein
normaler Esser.
245
Der starke Esser: Ja aber ich, der ich
bekanntlich ein starker Esser bin, da muß ich denn
doch sagen — wissen Sie — jeder Mensch in Wien
fragt mich, alle sind neugierig, was ich tun wer' —
Der normale Esser: Das kann ich Ihnen
nachfühlen, ein starker Esser wie Sie, wo doch
selbst ich als normaler Esser —
Ein Hungernder (nähert sich ihnen, streckt die
Hand aus): Bitt schön, hab nichts zu essen —
Der starke Esser: — und da ich bekanntlich
ein starker Esser bin — (sie gehen im Gespräch ab.)
(Verwandlung.)
13. Szene
Florianigasse. Hofrat i. P. Dlauhobelzky v. Dlauhobetz und
Hofrat i. P. Tibetanzl treten auf.
Dlauhobetzkyv. Dlauhobetz: Bin neugierig,
ob morgen in der Mittagszeitung — du, das is mein
Lieblingsblatt — ob morgen also mein Gedicht
erscheint, gestern hab ich ihr's eingschickt. Willst
es hören? Wart — (Zieht ein Papier hervor.)
Tibetanzl: Hast wieder ein Gedicht gemacht?
Worauf denn?
Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Wirst gleich
merken, worauf. Wanderers Schlachtlied. Das is
nämlich statt Wanderers Nachtlied, verstehst —
Über allen Gipfeln ist Ruh,
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch —
Tibetanzl: Aber du — das is klassisch —
das is ja von mir!
Dlauhobetzkyv. Dlauhobetz: Was? Von dir?
Das is klassisch, das is von Goethe! Aber paß auf,
wirst gleich den Unterschied merken. Jetzt muß ich
noch einmal anfangen.
246
Also über allen Gipfeln ist Ruh,
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Der Hindenburg schlafet im Walde,
Warte nur balde
Fällt Warschau auch.
Ist das nicht klassisch, alles paßt ganz genau, ich
hab nur statt Vöglein Hindenburg gesetzt und dann
also natürlich den Schluß auf Warschau. Wenn's
erscheint, laß ich mir das nicht neiimen, ich schick's
dem Hindenburg, ich bin ein spezieller Verehrer
von ihm.
Tibetanzl: Du, das is klassisch. Gestern hab
ich nämlich ganz dasselbe Gedicht gemacht. Ich
habs der Muskete einschicken wollen, aber —
Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du hast das-
selbe Gedicht gemacht? Gehst denn nicht —
Tibetanzl: Ich hab aber viel mehr wie du
verändert. Es heißt: Beim Backen.
Über allen Kipfeln ist Ruh,
Beim Weißbäcken spürest du
Kaum einen Rauch.
Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Das is ja
ganz anders, das is mehr gspassig!
Tibetanzl:
Die Bäcker schlafen im Walde
Warte nur balde
Hast nix im Bauch.
Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du, das is
förmlich Gedankenübertragung!
Tibetanzl: Ja, aber jetzt hab ich mich
umsonst geplagt. Jetzt muß ich warten, ob deins
erscheint. Wenn deins erscheint, kann ich meins
nicht der Muskete schicken. Sonst glaubt man am
End, ich hab dich paradiert! (Beide ab.)
(Verwandlung.)
247
14. Szene
Eine Jagdgesellschaft.
V. Dreckvvitz: Ach hört mal auf mit euerm
Jägerlatein. Mein Jahr in Rußland zählt dreifach
gegen alle eure lummrigen Friedensjahre! Gut Gejaid
allezeit gab's in Feindesland. Herrliche Tage waren's,
wenn man als Sieger dem geschlagenen Feind auf
den Fersen saß, ihn zustande hetzte, bis er, zu Tode
erschöpft, sich dem Sieger ergab. Krieg ist doch
wohl die natürlichste Beschäftigung des Mannes.
Aber es gab damals auch einen Wundbalsam, der
alles wieder gut machte, den ich mir kaum zu
erträumen gewagt — das Kreuz von Eisen ohne Band!
Ab und zu mu(3te man schon die alte Feldpulle
zwischen die Zähne nehmen, um sich wenigstens
innerlich etwas anzuwärmen. Man wird besinnlich
in solchen Momenten. Ich dachte an den schönen
lustigen Franzosenkrieg, wie wir die feindliche
Kavallerie in den Dreck ritten, wo sie nur ein
Pferdebein zeigte, um schließlich in der sonnigen
Champagne unsre Rosse zu tummeln. Man bekam
ein verdächtiges Schlucken in den Hals, wenn man
an all den guten Schampus dachte, der einem
damals durch die Kehle gerieselt war! Weiter führten
einen die Gedanken mit einem kleinen Hupf in ein
neues Feindesland: Belgien! Fruchtbare Felder,
reiche Städte dicht gedrängt erwarteten uns da.
Einen himmelblauen Gurkha und zwei belgische
Radler konnte ich damals in mein Schußbuch
eintragen. Und dann — die Grenzpfähle nach
Polenland wegzufegen! Und, beim großen Zeus,
unsere Flinten und Lanzen sollten auch hier nicht
rosten!
Vorläufig gab's aber noch nichts zu schießen.
Feind fehlte noch wegen Mangel an Beteiligung.
Zu Pferde kriegt man die Lümmels schlecht, vorm
Schießen haben sie aber einen Höllendampf. Nach
248
endlosem Marsch, als es schon völlig dunkel war,
kamen wir ins Quartier. Au je, das war doch über-
wältigend! Wer eine solche Panjebude nicht kennt,
der ahnt überhaupt nicht, was es alles gibt.
Beschreiben läßt es sich nicht, das muß man sehen
und fühlen. Die Kosakis hatten sich nun doch
ermannt und uns den Weg über eine Brücke verlegt.
Es war allerdings auch dicke Infanterie dabei. Eine
Schwadron von uns war schon beim Angreifen,
erhielt aber ein wahnsinniges Feuer, das ziemlich
schaurig durch die düstre Nacht gellte. Bei Tages-
anbruch griff dann das ganze Regiment an und
trieb die Brüder zu Paaren. Einer von uns hatte
einen Streifschuß am Kopf, daß die Knochensplitter
man so flogen. Auf leisen Sohlen heranbirschend,
hatten wir bereits die Vorposten getötet. Peng, fällt
ein Schuß, peng, peng, zweiter, dritter! Und dann
ging eine maßlose Knallerei los! Rumbums! spricht
unsere Kanone; kladderadoms! die Handgranaten,
die die albernen Russen aus den Fenstern zu
schmeißen für gut befanden. Über die Straße
laufen alle möglichen Leute, kein Schwein kann
aber im Dunkel erkennen, von welcher Partei sie
sind. Na, wir drückten uns an ein großes Haus, um
mal erst abzuwarten, wem die Siegesgöttin heute
wohlgesinnt wäre. Der Skandal dauerte aber immer
weiter und die Kriegslage schien sich gar nicht klären
zu wollen. Wenn einer nicht Platz machte, kriegte er
einfach einen Tritt. Ich müßte schamlos lügen, wenn
ich dieses Situatiönchen besonders angenehm und
lieblich nennen würde, aber wir kamen durch, und
es sollte sich nachher bezahlt machen. 150 Schritt
hinter der Stadt buddelten wir uns schnell bis an
den Kragenknopf ein. Wir warteten freudig erregt
der Dinge und Russen, die da kommen sollten.
Wir acht Männerchen waren augenblicklich wohl die
einzigen hier, die die Wacht am Rhein singen
konnten. Also, wir lagen mucksmäuschenstill, den
I
249
Finger am Abzug. Meiner Kriegsknechte war ich
mir ziemlich sicher. Ohne Befehl würde keiner
knallen. Neben mir schnatterte ein junger Kriegs-
freiwilliger laut und ungeniert mit den Zähnen. Ich
boxte ihm schnell noch eins in die Rippen. »Lebhaft
weiterfeuern«, kommandierte ich dann mit gellender
Stimme, um den Brüdern da drüben mal den Wohl-
klang einer Preußischen Kommandostimme zu Gehör
zu bringen. Und ich mußte auch laut schreien,
denn auf die erste Salve ertönte drüben ein
Geheul, so entsetzlich, markerschütternd, daß mir
die Haare zu Berge standen, und als unsere
Büchsen lustig in den dichten Knäuel knallten,
da stürzten sie zurück, fielen über die Toten und
Verwundeten — und immerzu die Schreie der
Todesnot! Und schon waren wir mit brüllendem
Hurra hinterher!
Wie die Tiere drängte sich ein ganzer
Haufen in die vorderste Haustür. Wir hätten sie in
aller Ruhe abschießen können. Sie waren noch total
halali und konnten vor Angst keinen Ton sagen.
Die ganze Sache schien einzuschlafen. Das einzige
was uns fehlte, war ein Alkohölchen.
Ich hatte aber doch so das Gefühl, daß
sie noch irgend eine Biesterei vorhatten. Den Feind
hinten wollte ich mir mal selbst etwas näher besehen.
Hier konnten nur noch einige sichere Kugeln helfen.
Da zog ich die Büchse an den Kopf, ein Tupf auf
den Stecher: plautz, da lag der erste Kerl! Schnell
repetiert und wieder gestochen. Nr. 2 und 3 fielen
um wie die Säcke, bevor sie sich von ihrem ersten
Schreck erholt hatten. Da kam Leben in die Gesell-
schaft, sie schienen nur noch nicht zu wissen, wohin
sie sollten. Der nächste Russe, Nummer 4, erhielt
die Kugel etwas zu kurz. Es war vielleicht für mich
von Vorteil, denn der Kerl schrie ganz entsetzlich.
Ich hatte schnell den Karabiner meines Begleiters
genommen und ließ die nächsten fünf Kugeln
250
in den dichten Klumpen am Gartenzaun. Einige Schreie
zeigten, daß auch diese Kugeln nicht umsonst
abgefahren waren. Diese letzten Schüsse waren mir
ja etwas eklig, besonders weil ich gar nicht das
Gefühl der Gefahr hatte, denn die Russen dachten
gar nicht ans Schießen. Aber was hilfts; jeder ist
sich selbst der nächste, und ich habe ja den
Krieg nicht angefangen! Die Flanke war gesäubert;
ich ging befriedigt zu meinen Knaben zurück.
Die russischen Offiziere macliten ein recht dummes
Gesicht, als sie uns sechs Männerchen da stehen
sahen. Mein liebenswürdigesBenehmen beschwichtigte
aber ihre Bedenken. Vv^ir schüttelten uns herzlich
die Hände, ich mit einem gönnerhaften Siegerlächeln.
Es war immerhin ein netter Augenblick, und der
militärische Erfolg doch außerordentlich schön.
Selbander zogen wir auf den Markt, wo alles voll
von Russen stand. Bei dem Artilleriekapitän bedankte
ich mich für die gutsitzenden Schrapnells, dann
mußte ich zur Division und berichten. Allgemeine
Zufriedenheit. Meine sechs Soldaten bekamen gleich,
wie sie gebacken waren, das Eiserne Kreuz. Ich
wurde zur ersten Klasse eingegeben, was aber erst
nach beinahe einem Jahr in die Erscheinung trat. —
Und nun urteilt mal selbst Jungens, ob ihr mit
eurem madigen Jägerlatein mir imponieren könnt!
Was ich auf der Russenfährte erlebt habe, ist, wie
ihr zugeben werdet, 'ne Nummer! Unser Fachorgan
,Wild und Hund' hat die ehrende Aufforderung an
mich ergehen lassen, einen Bericht über meine
Jagderfolge in Rußland zu verfassen. Ich will es tun.
Und denn auf fröhlich Gejaid nach Welschland!
Eh wir aber so weit sind, wollen wir gemütlich
noch mancher Pulle Sekt den Hals brechen. Na denn
Pröstchen!
Alle: Pröstchen Dreckwitz! Weidmannsheil!
(Verwandlung.)
251
15. Szene
Biireauzimmer bei einem Kommando.
Hirsch (tritt singend auf. Melodie aus dem »Ver-
schwender«):
Heisa! lustig ohne Sorgen
Leb ich in den Krieg hinein,
Den Bericht geh ich für morgen,
Schön ist's ein Reporter sein.
War ich noch so grad gewachsen,
Müßt ich nicht zum Militär.
[: So verdiene ich noch Maxen
Auf dem schönen Feld der Ehr. :]
Zweitens aber ist das Leben
Jetzt im Hinterland zu stier.
Darum hab ich mich begeben
In das Kriegspressequartier.
Drittens wärs im Schützengraben
Doch für unsereins zu fad,
[: Weshalb sie enthoben haben
Mich zum leichtern Dienst beim Blatt. :]
Viertens kann ich schnellstens melden,
Wie die Schlacht nimmt ihren Lauf.
Was sie vorne tun die Helden,
Schreib ich gleich von hinten auf.
Ich wer' bis zum Endsieg bleiben,
Ich gewinne, auf mein Wort.
[: Denn kaum fang ich an zu schreiben,
Laufen alle Feinde fort. :]
Darum kann ich fünftens sagen,
Ich bin hier wie's Kind im Hai s.
Wie sich unsre Leute schlagen,
Haben unsere Leut heraus. "
Sechstens, siebtens und so weiter,
Da mich keine Kugel trefft,
[: Leb ich ungeniert und heiter
Hier vom guten Kriegsgeschäf* :]
252
(Hineinrufend:) Sie Major, wenn Sie den General sehn,
sagen Sie ihm, daß ich ihn dann interviewen wer' und
den ganzen Stab! Heut wird sich kaner drucken! (Ab.)
Roda Roda (tritt singend auf. Nach einer
bekannten Melodie) :
Der Rosenbaum,
Der Rosenbaum
Vertritt die schönsten Blätter.
Er gedeihet kaum
Im Etappenraum,
An der Front schreibt sich's viel netter.
Ich seh mir alles
Selber an.
Dann kann ich alles wissen.
Und schlimmsten Falles
Werd' ich dann
Von den Schrapnells zerrissen.
Was schert mich Weib,
Was schert mich Kind,
Was gilt mein eignes Leben?
Zum Zeitvertreib
Mir errichtet sind
Die schönsten Schützengräben.
Doch vor dem Feind
Gibts keinen Schmus,
Da heißt's die Stellung wählen.
Ich bin kein Freund
Von Interviews,
Mir wern sie nix erzählen!
Ich war einmal
Selbst bei dem Gschäft,
Ich kenn hier alle Leute.
Bin überall,
Wo man mich trefft.
Gewährsmann bin ich heute!
253
Einst hat man doch
Mir a. D. gesagt,
Das sollte eine Schand' sein.
Jetzt wird nur noch
Nach mir gefragt,
Denn alle woU'n genannt sein.
Das Militär
Bin ich gewohnt;
Für meine Schlachtberichte
Spring ich von der
Zu jener Front
Und mache Weltgeschichte.
Heut bin ich in
Der Weichselschlacht
Und morgen am Isonzo.
Ich hab es drin
Sehr weit gebracht
Und bin' es schon gewohnt so.
Der Brigadier
Er meldet mir,
Der Feind wird Schläge kriegen.
Doch werden wir
Geschlagen hier.
So laß ich einfach siegen.
Das Hinterland
Betret ich kaum,
Ich bleib viel lieber doda.
Ich bin verwandt
Mit Rosenbaum,
Doch heiß ich Roda Roda.
(Hineinrufend:) Sie Major, wenn Sie den General sehn,
sagen Sie ihm, daß der Oberst versetzt werden
muß — er hat mir den Passierschein für das Fort 5
255
in Przemysl verweigert. Er scheint nicht gewußt
zu haben, wer ich bin. Das entschuldigt ihn
nicht, sondern im Gegenteil. Ich werde den
Herren schon Disziplin beibringen — haben Sie
verstanden? (Ab.)
(Verwandlung.)
16. Szene
Ein anderes Bureauzimmer.
Ein Generalstäbler (erscheint und geht zum
Telephon): — Servus, also hast den Bericht über
Przemysl fertig? — Noch nicht? Ah, bist nicht
ausgschlafen — Geh schau dazu, sonst kommst
wieder zum Mullattieren zu spät. Also hörst du —
Was, hast wieder alles vergessen? — Ös seids —
Hör zu, ich schärfe dir noch einmal ein — Haupt-
gesichtspunkte: Erstens, die Festung war eh nix wert.
Das ist das Wichtigste — Wie? mau kann nicht —
Was? man kann nicht vergessen machen, daß die
Festung seit jeher der Stolz — Alles kann man
vergessen machen, lieber Freund! Also hör zu, die
Festung war eh nix mehr wert, lauter altes Grafiel-
werk — Wie? Modernste Geschütze? Ich sag dir,
lauter altes Graffeiwerk, verstanden? No also, gut.
Zweitens, paß auf: Nicht durch Feindesgewalt,
sondern durch Hunger! Verstanden? Dabei das
Moment der ungenügenden Verproviantierung nicht
zu stark betonen, weißt, Schlamperei, Pallawatsch etc.
tunlichst verwischen. Diese Momente drängen sich
auf, aber das wirst schon treffen. Hunger is die
Hauptsache. Stolz auf Hunger, verstehst! Nicht durch
Hunger, sondern durch Gwalt, ah was red ich,
nicht durch Gewalt, sondern durch Hunger! No also,
gut is — Was, das geht nicht? Weil man dann
merkt, daß kein Proviant — wie? — und weil man
dann einwendet, warum nicht genügend Proviant?
Alstern gut, gehst drauf ein und sagst: unmöglich,
254
so viel Proviant als notwendig aufzuhäufen, weil's
eh der Feind kriegt, wann er die Festung nimmt —
Wie er sie dann genommen hätte? Durch Hunger?
Nein, dann selbstverständlich durch Gewalt, frag
net so viel. Verstehst denn net, wenn er also die
Festung durch Gewalt nimmt und mir harn
an Proviant, iiacher nimmt er auch den Proviant.
Darum dürfn mr kan Proviant haben, nacher nimmt
er kan Proviant, sondern er nimmt die Festung
durch Hunger, aber nicht durch Gwalt. No wirst scho
machen, servus, muß in die Meß, habe nicht die
Absicht, mich durch Hunger zu übergeben — Schluß!
(Verwandlung.)
17. Szene
Restaurant des Anton Grüßer. Vorn ein Herr mit einer Dame.
Von einem Tisch zum andern geht ein Mann, der sich unauf-
hörlich stumm verbeugt. Vorn links an einem Tisch der Nörgler,
Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Nein, die Karte. (Kellner ab.)
Zweiter Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Nein, die Karte. (Kellner ab.)
Kellnerjunge: Zu trinken gefällig, Bier,
Wein —
Herr: Nein. (Kcllnerjunge ab.)
Dritter Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Nein, die Karte. (Zu einem vorbeieilenden
Kellner) Die Karte!
Zweiter Kellnerjunge: Bier, Wein —
Herr: Nein.
Vierter Kellner (bringt die Karte) : Schon
befohlen?
Herr: Nein. Sie haben ja eben die Karte
gebracht. Was ist fertig?
Kellner: Was auf der Karte steht.
Herr: Auf der Karte steht »Gott strafe
England«. Das esse ich nicht.
256
Kellner: Vielleicht was frisch Gemachtes?
Laßt sich der Herr vielleicht —
Herr: Haben Sie Roastbeef?
Kellner: Bedaure, heut is fleischfrei. Laßt sich
die Dame ein schönes Schnitzerl machen oder ein
Ramsleckerl oder vielleicht ein Ganserl die Dame —
Herr: Zuerst eine Vorspeise. Was ist denn
das: Reizbrot (Leckerschnitte)?
Kellner: Das ist ein Appetitbrot,
Herr: Mir ist er schon vergangen. Also
vielleicht — was ist denn das: Eieröllunke vom
Fisch?
Kellner: Das ist eine Fischmayonnaise.
Herr: Was ist denn das: Butterteighohlpastete?
Kellner: Das ist ein Volavan.
Herr: Was ist denn das: Mischgericht?
Kellner: Das ist ein Rakuh.
Herr: Also bringen Sie in Gottes Namen das —
und dann, warten Sie — was ist denn das: Rinds-
lendendoppelstück nach Feldherrnart m.it Hindernissen
nebst Holiändertunkc?
Kellner: Das ist ein Anterkot mit Soß
hollandees.
Herr: 52 Kronen, bißchen teuer, bißchen teuer.
Kellner: Ja, der Herr darf nicht vergessen,
jetzt is Krieg und heut is flelschfrei.
Herr: Also meinetwegen, bringen Sie das.
(Kellner ab.)
Dame: Siehst Du, wir hätten doch zum
Sacher gehn sollen, dort kostet so was nur fünfzig.
Ein Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Ja.
Zweiter Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Ja.
Ein Kellner] unge: Bier, Wein?
Herr: Nein.
Dritter Kellner: Schon befohlen bitte?
Herr: Ja.
257
Vierter Keilner (zurückkommend): Bedaure, kann
nicht mehr dienen. (Streicht fast alle Speisen.)
Herr: Sie haben doch —
Kellner: Ja, heut an ein fleischfreien Tag
is das kein Wunder. Aber laßt sich der Herr zwei
verlorene Eier machen, vielleicht mit einer biganten
Soß, stehn noch auf der Karten —
Herr: Verlorene Eier, was ist denn das? Wer
hat denn die verloren?
Kellner (leise): Öf poschee hat man's ghaßen
vorm Krieg.
Herr: Aha, und man glaubt, daß man ihn damit
gewinnen wird? — Nein, warten Sie — Treubruch-
nudeln — was bedeutet denn das?
Kellner: No Makkaroni!
Herr: Ach ja, richtig. — Schurkensalat, was
ist denn das?
Kellner: Welischer Salat.
Herr: Ach ja, das ist ja klar. Also — bringen
Sie: ein feines Gekröse nach Hausmacherart mit
gestürzten Kartoffeln und verlorenen Eiern, dazu
ein scharfes Allerlei, hernach einen Musbrei und
zweimal Grüßersahnenkuchen. Wie hat denn der
früher geheißen?
Kellner: Grüßerschaumtorte.
Herr: Warum Grüßer?
Kellner: No nachm Herrn! (Grüßer kommt zum
Tisch, grüßt und geht ab.)
Herr: Wer ist der Herr?
Kellner: No, der Herr! (Ab.)
Der Zahlkellner: Schon bestellt der Herr?
Herr: Ja.
Ein zwerghafter Zeitungsjunge (wippt
von Tisch zu Tisch): Sick über Sick! Extraausgabe!
Schwere Niederlage der Italiena! Sick über Sick!
Zwei Mädchen (mit Ansichtskarten und Kriegs-
fürsorgeabzeichen von Tisch zu Tisch): Für die Kriegsfür-
sorge ein Scherflein, wenn ich bitten darf —
Die letzten Tage der Menschheit. 17
258
Kellner junge: Brot gefällig? Bitte um
die Karte.
Herr (will die Speisekarte reichen): — ah SO, ich
habe keine.
Zwei Frauen (mit Ansichtskarten von Tisch zu
Tisch): Für die Kriegsfürsorge bitte —
Der Blumenmann (im Eilschritt auf den Tisch
los): Blumen gefällig — ?
Das Blumenweib (von hinten): Schöne
Veigerln — für die Dame?
Eine Kolporteurin: Extraausgabee !
Ein Gast (den Zahlkellner rufend): Sie, Herr
Finanzminister — !
Der Zahl keilner (beugt sich über einen Gast):
Schon den neuesten Witz ghört, Herr Dokter?
Was ist der Unterschied zwischen einem galizischen
Flüchtling und — (sagt ihm die Fortsetzung ins Ohr.)
Der Gast (immer heiterer werdend, plötzlich aus-
brechend): Glänzend! Aber wissen Sie schon den
Unterschied zwischen einer Rotenkreuzschwester und
— (sagt ihm die Fortsetzung ins Ohr.)
Ein Kellner (mit achtzehn Schüsseln): Sosss
bidee — ! (Er schüttet die Dame an) 0ha, nicht zfleiß
tan, paton !
Dritter Gast: Wer sagt da Pardon? Sie, Herr
Grüßer, in Ihrem gut deutschen Lokal sagt ein
Kellner Pardon!
Grüß er: Herr von Wossitschek glauben gar
nicht, wie schwer es jetzt mit die Leut is. Sagt man
einem von ihnen was, lauft er davon, er kriegt genug
Posten sagt er. Es is ein rechtes Kreuz, die bessern
eingerückt und diese ungebildeten Elemente was
zurückbleiben —
Der Gast: No ja, no ja, aber —
Grüßer: Pardon, Herr von Wossitschek, ich
muß grüßen gehn. (Tut es.)
Der Gast: Pardon pardon, lassen S' Ihnen
nicht aufhalten.
259
Ein Stammgast: Serwas Grüßer, wie gehfs
dr denn? No was sagst, den Leber! hams schön
eintunkt —
Grüßer: No was der aber auch für Preise
hat! Und dann is der Mensch gar nicht beliebt.
Ich, wo ich hier eine Persönlichkeit bin, hab noch
nie den geringsten Anstand gehabt.
Stammgast: Geh setz di bißl her Grüßer.
Grüß er: Später, recht gern, aber weißt ich
muß noch grüßen. (Tut es.)
Stammgast: Ja natürlich, serwas!
Bambula von Feldsturm (brüllend und auf
den Tisch trommelnd): Sackrament noch amal, wird man
denn heut gar nicht bedient? Sie, herstellt!
Ein Kellner: Bitte gleich, Herr Major!
Grüßer: Herr Major befehlen?
Bambula von Feldsturm: Sie, Wirt, was
is denn das? Wird man denn heut gar nicht bedient?
Die Bedienung ist nicht mehr wie früher, seit einem
Jahr bemerk ich das, wo sind denn alle Kellner?
Grüßer: Eingerückt, Herr Major.
Bambula von Feldsturm: Was? Einge-
gerückt? Warum sinds denn alle eingerückt?
Grüßer: No weil Krieg is, Herr Major!
Bambula von Feldsturm: Aber seit einem
Jahr merk ich das schon, Sie haben ja bis auf
die vier gar keine Kellner mehr. Für so ein Riesen-
lokal! Seit einem Jahr merk ich das schon.
Grüßer: No ja, seitdem Krieg is, Herr Majori
Bambula von Feld stürm: Was? Das is
ein Skandal! Daß Sie's nur wissen, die Kameraden
beklagen sich alle, sie wollen nicht mehr herkommen,
wenn das so weiter geht! Alle sinds ausn Häusl.
Der Hauptmann Tronner, der Fiebiger von Feldwehr,
der Kreibich, der Kuderna, der Oberst Hasenörl,
alle sinds ausn Häusl, erst gestern hat der Husserl
von Schlachtentreu von die Sechsundsechziger gsagt,
wenn das so weitergeht —
17*
260
Grüßer: Ja, Herr Major, mir möchten ja alle,
daß's einmal aufhört und daß der Frieden kommt —
Bambula von Feldsturm: Was, Frieden —
hörn S' mir auf mit Ihrer Friedenswinselei — ich
hab die Kaisermanöver mitgemacht — wenn Sie unser
oberster Kriegsherr hören möcht — jetzt heißt es
durchhalten lieber Freund — da gibts nix! (Ein Kellner
eilt vorbei.) Sie rechts schaut! Kerl das verfluchter, na
wart, den wer' ich einrückend machen — Sie sagen S'
mir nur, was ist denn das für eine Bedienung — ?!
Grüßer: Was haben bestellt, Herr Major?
Bambula von Feldsturm: Nix, ein Rost-
bratl möcht ich, aber etwas unterspickt —
Grüßer: Bedaure, heut is fleischfrei.
Bambula von Feldsturm: Was? Fleisch-
frei? Was is denn das wieder für eine neue Mod?!
G r ü ß e r : Ja, jetzt is Krieg Herr Major und da —
Bambula von Feldsturm: Machen S' keine
Spomponadeln. Möcht wissen, was das mit dem Krieg
zu schaffen hat, daß 's Fleisch ausgeht! Das war
früher auch nicht!
Grüß er: Ja, aber jetzt is doch Krieg, Herr Major!
Bambula von Feldsturm (in größter Erregung
aufspringend): Also das brauchen S' mir nicht immer
unter die Nasen reiben — immer mit Ihnern Krieg,
das hab ich schon gfressen! Von uns Kameraden
sehn Sie keinen mehr in Ihrem Lokal — wir gehn
zum Leberl! (Stürzt davon.)
Grüß er: Aber Herr — Major — (kopfschüttelnd)
Mirkwirdigl
Dritter Gast (zu einem Kellner): Gar nix is da?
Nicht amal a Mehlspeis?
Kellner: Wienertascherl, Anisscharten, Eng-
länder —
Der Gast: Was? Engländer habts jetzt im Krieg?
Kellner: Die sein noch vom Frieden.
Der Gast: Sie, pflanzen S' wem andern, zahlen!
261
Kellner: Zahlen!
Zweiter Kellner: Zahlen!
Dritter Kellner: Zahlen!
Vierter Kellner: Zahlen —
Ein Kellnerjunge (zu sich): Zahlen.
G r ü ß e r (ist an den Tisch des Nörglers getreten, grüßt
und spricht, sich über ihn beugend, mit starrem Blick, wodurch
er das Aussehen des Todesengels gewinnt, erst allmählich
lebhafter werdend): Das Wetter scheint sich nach der
letzten mineralogischen Diagnose zu klären und dürfte
auch wieder der Zuspruch ein regerer werden — waren
gewiß verreist, schon recht, schon recht — ja jeder
hat heutzutag zu tun, mein Gott der Krieg, das Elend,
man merkts überall im Gewerbestand, wie der Mittel-
stand leidet — die Einflüsse sind noch immer nicht
abzusehn — auch ein Herr von der Zeitung, ein Dokter
was im Ministerium die rechte Hand is hat selbst
gesagt — mirkwirdig — hm — aber mir scheint, heute
keinen rechten Appetit, grad heut, schad, das Vordere,
alle Herren loben sichs, nun dafür das nächste Mal
als Gustostückl ein Protektionsportionderl von der
Grüßerschnitte — Pol dl abservieren, schlaft wieder
der Mistbub, also djehre djehre
(Der Herr und die Dame vorn sind eingeschlafen.)
Kellner (stürzt herbei): Bedaure, kann nicht
mehr dienen!
Der Herr (erschrocken auffahrend) : Super — arbi-
triert? — Ach so. Also da gefin wir wieder.
(Er erhebt sich mit der Dame.) Adieu.
Kellner: Paton, gestatten, daß ich drauf auf-
merksam mach für das nächste Mal, wir sind ein
deutsches Logal und da derf nicht franzesisch
gesprochen wern — (wischt sich mit dem Hangerl die Stirn.)
Der Herr: So so —
Grüß er (hinter ihnen): Djehreguntagzwintschn-
kstiandschamstadienermenehoachtungkomplimentan-
dersmalwieder!
(Verwandlung.)
262
18. Szene
Schottenring. Frau Pollatschek und Frau Rosenberg treten auf,
Frau Rosenberg: Verehrte Kollegin, für
unser Auftreten gibt es keine Entschuldigung! Wir
erwarten, daß wir Hausfrauen Österreichs auch weiterhin
mit der Disziplin, von der wir schon so glänzendeProben
abgelegt haben, durchhalten und nur am Donnerstag
und Samstag den Einkauf von Schweinefleisch vor-
nehmen werden. Unsere Ortsgruppen werden diese
Fahne hochzuhalten wissen. Auch beim Filz!
Frau Pollatschek: Die Rohö gibt den
Einkauf von Schweinefleisch und Filz für Donnerstag
und Samstag frei!
Frau Rosenberg: So ist es! Wir Hausfrauen
Österreichs hatten die Pflicht, in dieser die vitalsten
Interessen tangierenden Frage ein entscheidendes
Wörtlein mitzusprechen. Wir von der Rohö konnten
nicht mit verschränkten Armen die Bildung der
Marktpreise gewähren lassen und diesen Umtrieben
zusehen, speziell beim Vordem!
Frau Pollatschek: Was jetzt vor allem not
tut, ist Einheit. Durch Einheit zur Reinheit, lautet
mein Wahlspruch, namentlich für den Tafelspitz!
Frau Rosenberg: Und ich möchte hinzu-
fügen, wenn meine Meinung in dieser Sache das
Zünglein an der Wage abgeben soll, daß wir uns
durch keinen Terrorismus abschrecken lassen werden.
Per aspera ad astra, sage ich, wenigstens soweit das
Hiefersch wanzl in Betracht kommt. Wir von der Rohö —
Frau Pollatschek: Wissen Sie, wer dorten
kommt? Die Bachstelz und die Funk-Feigl von der
Gekawe, beide möchten mich in einem Löffel Suppe
vergiften.
(Begrüßung.)
Frau Bachstelz: Nun, verehrte Kolleginnen,
wir kommen eben von der Markthalle, was sich da
tut, speziell mit die Gustostückeln, hätte ich Ihnen
gewünscht mitanzusehn!
263
Frau Funk-Feigl: Wir sind nämlich im
Interesse der allgemeinen Sache, da doch jetzt jeder
sein Scherflein beitragen muß und Not an Mann ist,
aus voller Brust dorthin geeilt, denn wir wissen, wo
es zu kämpfen gilt, im Gegensatz zu gewisse andere
Leute, von denen ich nur das eine sage: Wenn das
am grünen Holze geschieht, ja dann, meine Damen,
kann ich nur sagen —
Frau Rosenberg: Ich bedaure sehr, liebe
Dame —
Frau Funk-Feigl: Ich bin für Sie keine Dame,
ich bin Aufsichtsrat von der Gekawe und hab ebenso
ein Recht wie jede von derRohöi Es ist leicht am
grünen Holz Verordnungen ausarbeiten lassen, aber
dann? Wie sagt doch Schiller, bitte greif nur herein
ins volle Menschenleben —
Frau Rosenberg: Ich habe nur bemerken
wollen, ich bedaure sehr, daß Sie sich zu Personalien
hinreißen lassen, ich weiß ganz gut, daß Ihre heutige
Zuschrift in der Presse seine Spitze gegen die Rohö
nicht verkennen läßt, noch dazu zu einer Zeit
geschrieben, wo Sie noch bei der Rohö waren —
Frau Funk-Feigl: Das ist nicht wahr,
das sag ich meinem Mann, der wird Sie klagen!
Frau Rosenberg: Von mir aus! Ich kann
beweisen, was ich gesagt hab. Ich wer' Ihnen vor
Gericht beweisen, daß Sie eine Eigenbrödlerin sind!
Wenigstens hörn Sie einmal die Wahrheit! Sie haben
gegen die Rohö intrigiert, wie Sie noch drin waren!
Frau Bachstelz: Das wem Sie zu beweisen
haben!
Frau Pollatsche k: Ihnen sag ich ins
Gesicht, hörn Sie mich an, jetzt kommt es nicht
darauf an, der Eitelkeit zu fröhnen, merken Sie
sich das! Wir gehören nicht zu jenen, die
separatistischen Bestrebungen huldigen. Wenn eine
der Rohö angehört, so hat sie ihr auch mit Leib
und Seele anzugehören, unser Organ ist der
264
»Morgen« und die Zeit ist viel zu ernst, lassen Sie
sich das gesagt sein, heute, wo Solidarität der
halbe Erfolg ist!
Frau Funk-Feigl: Von Ihnen wird man
Solidität lernen! Aufgewachsen — !
Frau Bachstelz: Das ist echt Rohö!
Verleumdungen hinter dem Rücken! Wir sparen
uns die Fetten vom Mund ab, um mit gutem
Beispiel voranzugehn!
Frau Funk-Feigl: Hätten Sie nicht intrigiert,
wären wir noch heut bei der Rohö. Man hat uns
das Messer an die Kehle gesetzt, bis wir die Gekawe
haben ins Leben rufen müssen. Ich bin von Pontius
zu Pilatus gelaufen. Jetzt, das garantier ich Ihnen,
wird Ordnung werden, und das sag ich Ihnen heute,
wenn Sie anfangen wern, unsere Erfolge sich
zuzuschreiben, wern Sie auf Granit beißen!
Frau Bachstelz: Wir sparen uns den Bissen
vom Mund ab —
Frau Pollatschek: Ja, für Reiherfedern!
Frau Bachstelz: Beweisen Sie das!
Frau Pollatschek: Samstag im Volks-
theater bei der Premier sind Sie mit Reiherfedern
gesehn worn.
Frau Bachstelz: Infamie! Sie blasen ins
Hörn des Reichsritters Hohenblum, schämen sollten
Sie sich!
Frau Rosenberg: Beweisen? Was heißt
beweisen? Auf Ihrem Hut ist der Beweis!
Frau Bachstelz: Der is vom vorigen Jahr,
das wissen Sie ganz gut!
Frau Rosenberg: Das ist Vogelstraußpolitik!
Frau Funk-Feigl: Nebbich! Vom Vogel
Strauß tragen Sie selbst was am Kopf!
Frau Rosenberg: Der is vom vorigen Jahr,
das wissen Sie ganz gut! Ich trag eine Kriegsblusel
Frau Funk-Feigl: Nebbich!
265
Frau Bachstelz: Meine Bluse und Ihre Bluse
— das is wie tausend und eine Nacht! Wir waren
es, die den ersten Schritt ergriffen haben zur
Schaffung einer Wiener Mode!
Frau Pollatscheli: Sie? Mit der Figur!
Großartig! Mein Geschmack und Ihr Geschmack!
Frau Bachstelz (schreiend): Sie haben zu reden!
Wenn die Zeit nicht so groß war, möcht ich mich
an Ihnen vergreifen!
Frau Rosenberg: Lassen wir diese Reklam-
macherinnen, zum Glück gibt es in dieser ernsten
Stunde vitalere Interessen und wir, wenn wir eine
Phalanx bilden, können wir dieses ohnmächtige
Gekläffe verachten. Man weiß ja, woher die ganze
Wut kommt.
Frau Bachstelz: Sie, wenn Sie noch einmal
diese Verleumdung wiederholen!
Frau Rosenberg: Was meinen Sie? Hab ich
etwas gesagt? Also weil der Inspektor gestern in
der Gemeinschaftsküche mit uns länger gesprochen
hat wie mit Ihnen, deshalb müssen Sie nicht gleich
aufgeregt sein meine Liebe — !
Frau Bachstelz (in Paroxysmus): Diese infame
Insination werden Sie — warten Sie — ich schick
meinen Mann über Sie — passen Sie auf, die ganze
Oezeg kommt über Sie!
Frau Rosenberg: Mein Mann wird schon
mit ihm fertig wern und mit allen, da können Sie
unbesorgt sein! Er hat die ganze Miag hinter sich!
Ein Wink von ihm, kommt noch die Ufa und die
Wafa über Sie — mein Mann is Verwaltungsrat!
Frau Bachstelz: No, ruft mein Mann die
Iwumba! Mein Mann is kaiserlicher Rat! Wie Ihr
Mann enthoben worn is, weiß man!
Frau Rosenberg: Ja Protektion hat er
gehabt, no — und? Sie zerspringen, weil er Ver-
bindungen hat. Er is intim bei der Sawerb. Warten Sie,
266
alles wer' ich in der Ausschußsitzung zur Sprache
bringen, für ein Mißtrauensvotum in der General-
versammlung garantier ich Ihnen!
Frau Funk-Feigl: Sie selbst sind der größte
Ausschuß, Sie fliegen aus der Rohö heraus, das
garantier ich Ihnen, die Gekawe wird Ihnen zeigen —
ich hab Verbindungen, ich geh hinauf zur Presse —
Frau Pollatschek: Im nächsten »Morgen«
warn Sie lesen — warten Sie, wir von der Rohö —
Frau Funk-Feigl: Fangen Sie sich nichts
mit uns an, wir von der Gekawe —
(Alle vier schreien durcheinander, wobei man aus dem Lärm
nur die Worte Rohö und Gekawe heraushört, und genen heftig
gestikuHerend ab. Ein Invalide auf Krücken humpelt vorbei.
Eine Bettlerin, mit einem Knaben an der Hand und einem
Säugling am Arm tritt auf.)
Die Bettlerin: Extraausgabee — Neue Freie
Presse —
Der Knabe: Neue Feile Pesse —
Der Säugling: Leie — leie — lelle —
Eine Schwangere geht vorbei.
Der Nörgler:
O rührend Anbot in der Zeit des großen Sterbens!
Nein, besser wird uns dieses Zwischenspiel entzogen.
Zwar weist es auf die letzten Spuren von Natur hin,
die diese Unmenschheit noch nicht verlassen konnte,
die Tod beschließt und dennoch Leben nicht verleugnet.
Doch es kommt selten etwas Bessres nach. Seht
weg denn,
die letzte Menschlichkeit des heute andern Zielen
verpflichteten Geschlechts hat etwas Peinigendes.
Unheimlich ist die Vorstellung, daß dieses Weib da,
die so sich zeigt, so stillen Schrittes ihre Hoffnung
ins Leben trägt, so voll von heilis-em Auftrag,
der Schmerz zugleich und Segen, in der nächsten
Stande
gebären könnte einen Heereslieferantcn.
267
Der Stolz der Mutterschaft, so groß in alier Vorzeit,
das größte Mißgefühl von Unmaß abzuweisen,
war besser auch so stolz, den unberufnen Blicken
nicht die nur ihm bewußte Harmonie der Schöpfung
zu zeigen. Doch vor dieser mißgeformten Menschheit
ist er nicht mehr berechtigt. Er soll selber wegsehn.
Stolz werde wieder Scham. Sieh du jetzt weg, du
Mutter,
du bist zu schwach allein, und bist auch
unbescheiden;
dies ist ein gütiger Versuch, doch auch ein Anspruch
vor hunderttausend Müttern, die es sehn und wissen,
daß sie ja doch den größern Schmerz erlitten haben
als er der einen erst bevorsteht. Geh nach Hause,
was trägst du deine Bürde auf den Markt, als wäre,
was du der Welt zu bieten hast, bei weitem besser
als das was sie verloren hat, nein mehr, als ob nun,
jetzt endgiltig das neue, letzte Heil erstünde,
als war' ein Sokrates die allerkleinste Gabe,
die hier in Aussicht steht. Wir haben viel zu schlechte
Erfahrungen gemacht. Wir sind in jedem Falle,
und wär's der beste, nicht mehr neugierig und
wünschen,
daß die Erwartung deine Muttersache bleibe,
so keusch wie sie's verdient, bis einstens die
Erfüllung
das Nachschaun einer Welt verlohnt. Geh heim,
wir kommen,
wenns an der Zeit, bis dahin mit dir leidend,
Mutter,
nicht tieferes Leid für dich als für das neue Leben,
das dank dem Mutterfluch einrückt ins alte Sterben,
der Opfer größtes durch Geburt. Geh, mach dich
tauglich.
Wart auf den Jahrgang. Freiwillige, was bringst du?
Halt dich zuhaus, ein Tag ist wie der andere, immer
sieht tot wie tot aus. Geh! wir wollen überrascht sein.
(Verwandlung.)
268
19. Szene
Belgrad. Zerstörte Häuser. Die Schalek tritt auf.
Die Schalek: Ich habe mich durchgeschlagen.
Hier intressiert mich wie immer vor allem das
allgemein menschliche Moment. Das soll eine Kultur
sein? Diese Häuser sind mit den letzten Geschäfts-
häusern in Fünfhaus zu vergleichen, sie haben
deshalb die Bombardierung verdient. Die Trost-
losigkeit dieser Stätte ist so groß, daß an eine
photographische Wiedergabe überhaupt nicht zu
denken ist. V/as mich aber immer wieder empört,
ist, daß die Stadt nicht einmal gepflastert war.
Das mag dem Entschluß, sie dem Erdboden gleich
zu machen, zu Hilfe gekommen sein. Nicht einmal
der Konak bietet etwas. Was wir als Andenken
mitgenommen haben, ist nicht der Rede wert. Was
ist das auch für ein König, der ein Porzellanservice
von Wahliß hat! Es gibt noch eine ausgleichende
Gerechtigkeit des Schicksals. Dieser Gedanke verfolgt
mich durch ganz Belgrad. Wenn man nur wüßte,
ob das die Häuser derjenigen sind, die den National-
fanatismus erfanden? Ich habe mich zur Überzeugung
durchgerungen, daß in einer solchen Stadt keine
Individualitäten wohnen konnten.
(Einige serbische Frauen erscheinen, die ihr entgegenlachen.
Eine streicht kosend über die Wange der Schalek. Dann zuckt
ein rasches Gespräch zwischen ihnen hin und her, und wieder
lachen sie alle, laut, hell und froh. Die Schalek beiseite:)
Dieses Lachen, dessen Ursache ich nicht erfragen
kann, reißt an meinen Nerven, denn jede xMöglich-
keit auf der Stufenleiter menschlicher Gefühle ist
heute denkbar, bis gerade auf das Lachen, für welches
das zerschossene Belgrad keine Gelegenheit bietet.
(Eine der serbischen Frauen bietet der Schalek Eingemachtes
an und lacht.)
Ein irritierendes Rätsel.
269
(Ein Dolmetsch tritt auf.)
Der Dolmetsch (nachdeni er mit den Frauen
gesprochen hat): Sie sagen, es heiße nur ein paar
furchtbare Tage durchhalten. Die Eroberung ihrer
Stadt halten die Belgrader für ein Intermezzo. Sie
glauben, daß wir wieder bald draußen sein werden,
und so lachen sie schadenfroh.
Die Schalek: Das kann nicht der einzige
Grund sein. Fragen Sie sie, was sie empfinden
und warum sie mir Eingemachtes gibt.
Der Dolmetsch (nachdem er mit der Frau ge-
sprochen hat): Sie sagt, nichts könne serbische Gast-
freundschaft außer Wirkung setzen.
Die Schalek: Aber warum geradeEingemachtes?
DerDolmetsch (nachdem er mit der Frau gesprochen
hat): Sie sagt, sie wollten zeigen, daß sie Frauen seien,
und Eingemachtes sei das Gebiet der Frauen.
Die Schalek (nimmt das Eingemachte): Diese
Frauen will ich nicht wiedersehen, will ihre gräßliche
Enttäuschung nicht miterleben, denn Schlimmeres
noch als eingestürzte Häuser und als zerschossene
Straßen, Schlimmeres als die Verjagung des Heeres
und die Erstürmung der Stadt — das Schlimmste
steht den Serben noch bevor. (Die serbischen Frauen lachen.
Die Schalek im Abgehen :) Schaudernd ziehe ich davon,
und das Lachen hallt lange in mir nach.
(Die serbischen Frauen gehen nach der anderen Richtung ab,
man hört noch ihr Lachen.)
(Verwandlung.)
20. Szene
Vorstadtstraße. Ein schwer beladener Handwagen von zwei ganz
schwachen, verhungerten Kriegshunden gezogen.
Eine alte Frau (ruft): Das ist ein Skandal!
Das sollt man dem Ärar anzeigen!
Ein Oberleutnant: Halt! Legitimieren Sie
sich! Das ist eine Beleidigung der Armee!
270
Die Menge (sammelt sich an): A SO a Urschell —
Gehts wecka! — Wos is denn? — Nix, a Hofverrat
is haltl — Recht g'schiehts ilir, um die Viecher nimmt
sie sich an, wo s' selber nix z' essen hat!
(Verwandlung.)
21. Szene
Eine Vorstadtwohnung. An einem Riemen hängt, halbbekleidet,
ein etwa zehnjähriger Knabe, dessen Körper Striemen, Blut-
beulen und Flecken aufweist. Er ist völlig verwahrlost, anscheinend
halb verhungert. Der Knabe heult. Eine Nachbarin steht hände-
ringend in der Tür. Der Vater (in Uniform) liegt auf dem Sofa.
Eine Nachbarin (zu der Mutter, die einen Topf auf
den Herd setzt): Aber Frau Liebal, wie können S' denn
den Buben nur so zurichten? Wenn ich das bei
Gericht anzeig, kriegn S' an Verweis I
Die Mutter: Hörn S' Frau Sikora, der Bub
is Ihna so obstinat, daß S' Ihna gar keine Vorstellung
net machen. A warms Frühstück will er habnl
Der Vater: Was ham S' denn Mitleid mit
dem Bankert? Heut is er eh scho wieda beinand.
Aber neulich hab i ihn hergnommen und ihn so mit
dem Bajonett trischackt, daß i glaubt hab, er bleibt mr
unter die Hand. Sehn S', er hat sich eh wieder erholt!
Die Nachbarin: Herr Liebal, Herr Liebal,
damit is nicht zu spassen, geben S' Obacht, Sie
wern amal an Verweis kriegn!
(Verwandlung.)
22. Szene
Standort des Hauptquartiers. Eine Straße. Man sieht Heeres-
lieferanten, Offiziere, Prostituierte, Journalisten.
Ein Hauptmann des Kriegspressequartiers und ein Journalist
treten auf.
Hauptmann: Also, den Prospekt für das
Werk »Unsere Heerführer« — hörn S' zu Dokterl
und schaun S' sich nicht allerweil nach die
Menscher um, jetzt is Krieg — also den Prospekt
271
hab ich fertig und jetzt müssen S' ihn wenn noch
ein Fehler is, umbessern. (Er liest vor.) »Wenn einst
die brandenden Fluten des Weltkrieges verrauscht sind,
wenn die tröstende Zeit die Wunden geheilt, die
Augen getrocknet hat, dann schauen wir klaren
Blickes zurück auf die glorreichen Tage, da eiserne
Fäuste das Weltgeschick schmiedeten!« Jetzt separate
Zeilen, passen S' auf — »Und über allem tauchen die
Gestalten jener Männer auf, die in dieser Zeit unser
und unseres Vaterlands Schicksal gewesen.« Fett!
(Man sieht im Hintergrund einen älteren Icorpulenten Herrn
mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschalls-
stab trägt, über die Bühne von rechts nach links gehen.)
»Voll Verehrung und Liebe blicken wir auf sie, die
berufen waren, in unermüdlich heißem Ringen, gleich
jenen Helden in der vordersten Front, das Schlachten-
geschick zu lenken — «
DerJournalist: Moment, die Heerführer sind
also genau so viel wie die Helden in der vordersten
Front, die das Schlachtengeschick lenken, also wieso?
Der Hauptmann: Machen S' keine Gspaß,
sonst schick ich Ihna selbst an die Front.
Der Journalist: Sie — mich?
Der Hauptmann: Tun S' Ihnen nix an.
Wenn der Prospekt schön ausfallt, is keine Gefahr
mehr für mich. Hörn S' zu Dokterl. »Begeisterung
und innigste Dankbarkeit soll diesen Helden — «
Der Journalist: Den Schlachtenlenkern in
der vordersten Front? Ach so, ich versteh, jetzt
meinen Sie wieder die Heerführer.
Der Hauptmann: Pflanzen S' wen andern,
also » — in unseren Herzen ein Denkmal errichten
und sie dauernd darin fortleben lassen, als Beispiel
höchster Pflichterfüllung und Aufopferung für das
Wohl des Vaterlandes.« Noch fetter!
(Man sieht im Hintergrund den älteren korpulenten Herrn
mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschalls-
stab trägt, über die Bühne von links nach rechts gehen.)
272
Hören S' zu Dokterl und schaun S' sich nicht
allerweil nach die Menscher um ! »Maler Oskar Bruch
hat diesem Denkmal in edler Weise greifbare
Formen verliehen. Lebenswahr und charakteristisch
hielt sein Griffel ihre Züge fest und schuf so ein
Werk , Unsere Heerführer' von historischer Bedeutung,
welches berufen sein wird, nicht allein Namen und
Bilder der Großen unserer Zeit — « Am fettesten!
(Man sieht im Hintergrund jenen älteren Icorpulenten Herrn
mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschalls-
stab trägt, über die Bühne von rechts nach links gehen.)
»der Nachwelt zu tiberliefern, sondern auch eine
Zierde jeder Bibliothek und jedes Hauses zu
werden — « Jetzt muß noch was über die
geschichtliche Bedeutung der einzelnen Dargestellten
kommen — ja meine Herrn, dreht sich schon
wieder um, Sie mein Lieber, wir sind hier im AOK
und schließlich in kan Bordell, verstanden?
Der Journalist: Sie, war das nicht die
Kamilla vom Oberstleutnant?
Der Hauptmann: Wenn S' an Gusto haben,
schick ich s' Ihnen zur Konschtatierung, aber den
Prospekt müssen S' mir durchsehn —
Der Journalist: Gemacht.
Der Hauptmann: Und dann kommt was
über die Mappe, außerordentlich vornehm gehalten,
erlesenster Geschmack, günstige Bezugsbedingungen,
Unterschrift k. u. k. Kriegsministerium. Punktum.
No was sagn S' Dokterl?
Der Journalist: Herr Hauptmann, ich mach
Ihnen mein Kompliment, wie Sie die Sprache
beherrschen, kein Beruisjournalist hätte dp.s wirk-
samer abfassen können.
Der Hauptmann: Was? Und richtig, vorn
am Prospekt geben wir als Illustrationsprobe, damit
man gleich einen Begriff bekommt vom Weltgeschick
273
und von der höxten Aufopferung, das Bild jenes
Mannes, der uns das alles in einer geradezu beispiel-
gebenden Weise verkörpert!
(Alan sieht im Hintergrund den älteren korpulenten Herrn
mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschalis-
stab tiä;^t, ül er die Bühne von links nach rechts ^ehen.)
(Verwandlung.)
23. Szene
Innere Stadt. Ein blinder Soldat ohne Arme und Beine wird
von einem andern Invaliden in einem Wagen vorwärtsgeschoben.
Sie warten, denn ein Revolverjournalist steht im Gespräch mit
einem Agenten auf dem engen Trottoir.
Der Invalide: Entschuldigen —
Der Revolverjournalist: Ich bitt Sie, was
wollen Sie haben, 80 Zeilen sind mir letzten Montag
gestrichen worn.
Der Agent: Aus dem Artikel gegen Budi-
schovsky & Comp, wegen der Lieferung?
Der Revolverjournalist: Ja — früher,
wenn so etwas gesetzt war und es is dann nicht
erschienen, hat man verdient. Und wenn man nicht
verdient hat, dann hat man eben erscheinen lassen
und hat sicher das nächste Mal verdient. Jetzt erscheint
ein Angriff nicht und man hat rein nichts davon.
Der Agent: Hat Budischovsky gewußt?
Der Revolverjournalist: Ja — aber die
Leute verlassen sich jetzt auf die Zensur. No, denen
wird aber ein gesunder Strich durch die Rechnung
gemacht wern, warten Sie nur bis andere Verhältnisse
kommen. Bis dahin soll sich die Zensur nur mit
uns spielen. Passen Sie auf, nächstens was ich loslaß,
das wird eine Nommer — prima!
Der Agent: Ich bin gespannt.
Der Revolver Journalist: Da geb ich es
einmal der Zensur. Ich setze auseinander, wie
unvernünftig dieses Vorgehn von der Regierung ist,
sie schützt die Lieferanten gegen uns, uns aber
Die letzten Tage der Menschheit. 18
274
braucht sie mehr wie die Lieferanten. Wir können
nicht mehr exestieren. Die Presse hat im Krieg
ihre Pflicht in geradezu vorbildlicher Weise erfüllt,
stell ich dar, unser Dienst ist ein ebenso ver-
antwortungsvoller wie der des Soldaten, stell ich
dar, wir haben ausgeharrt wie die im Schützengraben
und ohne Lohn!
Der Invalide: Entschuldigen —
(Verwandlung.)
24. Szene
Während der Vorstellung in einem Vorstadttheater. Auf der
Szene die Niese und ein Partner.
Die Niese (in der Rolle): Was, a Busserl
woUn S' haben? Sie, ein einfacher Soldat?
Was Ihnen net einfallt! Ja, euch allen z'samm,
euch braven Soldaten, möcht' ich schon eins
geben — aber einem allein? Oh nein! Nur allen
auf einmal (sich besinnend) oder — doch, einem für
euch alle! — einem einzigen Soldaten möcht ich
ein Busserl geben! Aufpappen möcht ich's eahm,
daß die Wienerstadt wackelt und der Stefansturm
zum zappeln anfangt. Und dieser eine, einzige
Soldat — das is — (an die Rampe tretend, durch und
durch bewegt) unser Haber — guater — alter Herr in
Schönbrunn! Aber leider — grad der — is
unzugänglich !
(Orkanartiger Beifallssturm. Ein Theaterdiener erscheint auf der
Szene und überreicht der Schauspielerin eine Extraausgabe.)
Die Niese: Geben S' her! Was die Gerda
Walde trifft, triff ich auch!
Das Publikum: Bravo Niese ! (Die Niese liest unter
größter Spannung des Publikums vor:) durch die
unvergleichliche Bravour unserer braven Truppen
Czernowitz genomn.en! (Ungeheurer Beifall.)
Das Publikum: Hoch! Hoch! Hoch Niese!
(Verwandlung.)
275
25. Szene
Beim Wolf in Gersthof. Am Abend des Tages, an dem Czernowitz
wieder von den Russen genommen war. An einem Tisch sitzt
der Generalinspektor des Roten Kreuzes, Erzherzog Franz Salvator,
sein Kammervorsteher, zwei Aristokraten und die Putzi. Musik und
Gesang: Jessas na, uns geht's guat, ja das liegt schon so im Bluat.
Ein Gast (zum Wolf): — effektiv der Salvator
oder nur eine starke Ähnlichkeit?
Wolf: Nein, nein, er is', der Herr können
sich verlassen.
Der Gast: Aber das kann doch nicht — und
grad heut? Der Schwiegersohn vom Kaiser?
Wolf: Aber ja!
Der Gast: Der die Valerie hat?
Wolf: Der nämliche.
Der Gast: Sagen Sie, sind die Herrschaften
zufällig da?
Wolf: Nein, sehr oft, heut nachmittag schon
telephonisch reservieren lassen. Pardon, ich muß —
(Der Wolf und zwei andere Volkssänger nehmen neben dem Tisch
der Herrschaften Aufstellung, die Musik intoniert die Melodie vom
>Guaten alten Herrn«. Die Volkssänger, ins Ohr des Erzherzogs:)
Draußen im Schönbrunner Park
Sitzt ein guater alter Herr,
Hat das Herz von Sorgen schwer —
(Verwandlung.)
26. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Patriot: Also was sagen Sie jetzt?
Der Abonnent: Was soll ich sagen? Wenn
Sie vielleicht meinen wegen dem Augenleiden des
Sir Edward Grey, so sag ich, so soll es allen gehn!
Der Patriot: Auch, aber was sagen Sie zu
Knebelung der öffentlichen Meinung in England?
DerAbonnent: Weiß schon, der Herausgeber
des Labour Leader wurde vor das Polizeigericht
18*
276
geladen, weil gewisse Veröffentlichungen des Blattes
gegen die Reichsverteidigungsakte verstoßen. Wegen
so was!
Der Patriot: No und Frankreich is e Hund? Was
sagen Sie zu Frankreich? Wissen Sie was es dort gibt?
Der Abonnent: Gefängnisstrafen für Ver-
breitung der Wahrheit in Frankreich. Sie meinen
doch die Dame, die gesagt hat —
Der Patriot: Auch, aber jetzt hat ein Herr
gesagt —
Der Abonnent: Natürlich, ein Herr hat
gesagt, Frankreich hat keine Munition, und dafür
gibt man ihm 20 Tage! Er hat gesagt, die Alliierten
sind in schlechter Lage und Deutschland war für
den Krieg gerüstet —
Der Patriot: Bitt Sie, erklären Sie mir das,
ich versteh nämlich diese Fälle nicht, is es also
unwahr, zu sagen, Deutschland war gerüstet oder
is es wahr, zu sagen, Deutschland war nicht gerüstet —
Der Abonnent: No war denn Deutschland
gerüstet?
Der Patriot: Also wie — ?
Der Abonnent: Merken Sie sich ein für alle
Mal. Deutschland is bekanntlich überfallen worn,
schon im März 1914 waren sibirische Regimenter —
Der Patriot: Natürlich.
Der Abonnent: Deutschland war also voll-
ständig gerüstet für einen Verteidigungskrieg, den
es schon lang führen wollte, und die Entente hat
schon lang einen Angriffskrieg führen wollen, für
den sie aber nicht gerüstet war.
Der Patriot: Sehn Sie, jetzt klärt sich mir
der scheinbare Widerspruch auf. Manchesmal glaubt
man schon, es is etwas wahr, und doch is es unwahr.
Der Abonnent: In der Presse is das oft
sehr übersichtlich, in zwei Spalten nebeneinander,
und das hat den Vorteil, daß man ganz klar den
Unterschied sieht zwischen uns und jenen.
277
Der Patriot: No haben Sie gelesen?
Plünderungen und Verwüstungen der italienischen
Soldaten! Nicht weniger als 500,000 Kronen haben
sie in Gradiska aus einer Panzerl^assa genommen, und
außerdem noch 12.000 Kronen aus noch einer Kassa!
Der Abonnent: Hab ich gelesen. Eine Bande!
Was sagen Sie zum kolossalen Erfolg der Deutschen?
Der Patriot: Hab ich nicht gelesen, wo
steht das?
Der Abonnent: Frag! Gleich daneben in
der Spalte! Mir scheint, Sie lesen nicht ordentlich —
Der Patriot: Gleich daneben in der Spalte?
Das muß mir rein entgangen sein. Wo war der Erfolg?
DerAbonnent: Bei Nowogeorgiewsk. »Gold
in der Beute von Nowogeorgiewsk« war der Titel.
Der Patriot: No was is da gestanden?
Der Abonnent: Da is gestanden, unter der
Siegesbeute in Nowogeorgiewsk befanden sich auch
zwei Millionen Rubel in Gold.
Der Patriot: Großartig! Was die anpacken — !
(Verwandlung.)
27. Szene
Standort in der Nähe des Uzsok-Passes.
Ein österreichischer General (im Kreise
seiner Offiziere): — An keinem von uns, meine Herrn,
is der Krieg spurlos vorübergegangen, wir können
sagen, wir ham was glernt. Aber, meine Herrn,
fertig sind wir noch lange nicht — da ham wir
noch viel zu tun, ojehi Wir ham Siege an unsere
Fahnen geheftet, schöne Siege, das muß uns der Neid
lassen, aber es is unerläßlich, daß wir fürn nächsten
Krieg die Organisation bei uns einführn. Gewiß,
wir ham Talente in Hülle und Fülle, aber uns fehlt
die Organisation. Es müßte der Ehrgeiz von einem
jeden von Ihnen sein, die Organisation bei uns ein-
zuführn. Schaun S' meine Herrn, da können S' sagen
278
was Sie wolln gegen die Deutschen — eines muß
ihnen der Neid lassen, sie ham halt doch die
Organisation — ich sag immer und darauf halt ich:
wenn nur a bisserl a Organisation bei uns war,
nacher gingets schon — aber so, was uns fehlt, is
halt doch die Organisation. Das ham die Deutschen
vor uns voraus, das muß ihnen der Neid lassen. Gewiß,
auch wir ham vor ihnen manches voraus, zum Beispiel
das gewisse Etwas, den Schan, das Schenesequa, die
Gemütlichkeit, das muß uns der Neid lassen — aber
wenn wir in einer Schlamastik sind, da kommen halt
die Deutschen mit ihnerer Organisation und —
Ein preußischer Leutnant (erscheint in der
Tür und ruft nach hinten): Die Panjebrüder solln sich
mal fein gedulden, das dicke Ende kommt nach!
(stürmt in das Zimmer, ohne zu salutieren, geht geradezu
auf den General los und ruft, ihm fest ins Auge sehend:)
Na sagen Se mal Exzellenz könnt ihr Östreicher
denn nich von alleene mit dem ollen Uschook
fertich werden? (Ab.)
Der General (der eine Weile verdutzt dagestanden ist):
Ja was war denn — nacher das? (Sich an die Umstehenden
wendend) Sehn S' meine Herrn — Schneid haben s'
und was die Hauptsach is — halt die Organisation!
(Verwandlung.)
28. Szene
Hauptquartier. Kinotheater. In der ersten Reihe sitzt der Armee-
oberkommandant Erzherzog Friedrich. Ihm zur Seite sein Gast,
der König Ferdinand von Bulgarien. Es wird ein Sascha-Film
vorgeführt, der in sämtlichen Bildern Mörserwirkungen darstellt.
Man sieht Rauch aufsteigen und Soldaten fallen. Der Vorgang
wiederholt sich während anderthalb Stunden vierzehnmal. Das
militärische Publikum sieht mit fachmännischer Aufmerksamkeit
zu. Man hört keinen Laut. Nur bei jedem Bild, in dem Augen-
blick, in dem der Mörser seine Wirkung übt, hört man aus der
vordersten Reihe das Wort:
Bumsti!
(Verwandlung.)
279
29, Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Ja, was wäre dann nach
Ihrer Ansicht der Heldentod?
Der Nörgler: Ein unglücklicher Zufall.
Der Optimist: Wenn das Vaterland so
dächte wie Sie, würde es gut aussehn!
Der Nörgler: Das Vaterland denkt so.
Der Optimist: Wie, es nennt den Heldentod
ein Unglück, einen Zufall?
Der Nörgler: Annähernd, es nennt ihn einen
schweren Schicksalsschlag.
Der Optimist: Wer? Wo? Es gibt keinen
militärischen Nachruf, wo nicht davon die Rede wäre,
es sei einem Soldaten vergönnt gewesen, den Tod
für das Vaterland zu sterben, und es erscheint keine
Parte, in der nicht der bescheidenste Privatmann,
der wohl sonst von einem schweren Schicksalsschlag
gesprochen hätte, in schlichten Worten, gewisser-
maßen stolz bekanntgäbe, sein Sohn sei den
Heldentod gestorben. Sehen Sie, zum Beispiel hier,
in der heutigen Neuen Freien Presse.
Der Nörgler: Ich sehe. Aber blättern Sie
im Text zurück. So. Hier dankt der Generalstabschef
Conrad von Hötzendorf dem Bürgermeister für dessen
Kondolenz »anläßlich des grausamen Schicksals-
schlages«, der ihn getroffen hat, da sein Sohn
gefallen ist. Er hat auch in der Todesanzeige so
gesprochen. Sie haben ganz recht, jeder Raten-
händler, dessen Sohn gefallen ist, nimmt die staatlich
vorgeschriebene Haltung des Heldenvaters an.
Der Chef des Generalstabs entsagt der Maske und
kehrt zum alten bescheidenen Gefühl zurück, das
hier wie vor keinem andern Tod berechtigt ist und
in der konventionellen Formel noch lebt. Eine
bayrische Prinzessin hat einem Verwandten zum
Heldentod seines Sohnes gratuliert. Auf solcher
280
gesellschaftlichen Höhe besteht eine gewisse Ver-
pflichtung zum Megärentum. Der Chef unseres
Generalstabes läßt sich nicht nur kondolieren,
sondern beklagt sich auch immer wieder über das
grausame Schicksal. Der Mann, der eben diesem
Schicksal doch etwas näher steht als das ganze
Ensemble, als die Soldaten, die es treffen kann,
und als die Väter der Soldaten, die es beklagen
können — wenn schon nicht dessen Autor, so doch
dessen Regisseur oder sagen wir verantwortlicher
Spielleiter, und wenn das nicht, so wenigstens dessen
Inspizient — eben der spricht vom grausamen
Schicksalsschlag. Und er sagt die Wahrheit, und
alle andern müssen lügen. Er hat mit seinem
privaten Schmerz aus der heroischen Verpflichtung
glücklich heimgefunden. Die andern bleiben darin
gefangen. Sie müssen lügen.
Der Optimist: Nein, sie lügen nicht. Das
Volk steht dem Heldentod durchaus pathetisch
gegenüber und die Aussicht, auf dem Felde der
Ehre zu sterben, hat für die Söhne des Volkes
vielfach etwas Berauschendes.
Der Nörgler: Leider auch für die Mütter,
die auf ihre Macht verzichtet haben, das Zeitalter
aus dieser Schmach zu retten.
Der Optimist: Für Ihr zersetzendes Denken
waren sie eben noch nicht reif. Und das Vaterland
als solches erst recht nicht. Daß die Oberen so
denken, so denken müssen, versteht sich von selbst.
Der Fall, den Sie berührt haben, ist ein Zufall.
Baron Conrad hat einfach etwas Konventionelles
hingeschrieben. Er hat es sich entgleiten lassen —
Der Nörgler: Ja, ein Gefühl.
Der Optimist: Jedenfalls beweist der Fall
nichts. Etwas anderes, das ich Ihnen zeigen will,
beweist mehr und alles für meine Auffassung. Da
werden selbst Sie einen Beweis haben —
Der Nörgler: Wofür?
281
Der Optimist: Für die geradezu zauberhafte
Einigkeit, für dieses Zusamnienstehn in gemeinsamem
Leid, wo alle Stände wetteifern —
Der Nörgler: Zur Sache!
Der Optimist: Hier — warten Sie, das
muß ich Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher
bin, daß Ihnen kein Wort entgeht: »Eine Kund-
gebung des Kriegsministeriums. Das Telegraphen-
Korrespondenzbüro teilt mit: Das k, u. k. Kriegs-
ministerium bewilligt, daß der gesamten Arbeiter-
schaft, welche in jenen Betrieben beschäftigt
ist, die sich mit der Munitionserzeugung und
Elaborierung sowie mit der Erzeugung von Train-
material befassen, der 18. August d. J. als besonderer
Feiertag freigegeben werde. Bei dieser Gelegenheit
sieht sich das Kriegsministerium veranlaßt, die
besondere Pflichttreue und den unermüdlichen Fleiß
aller jener Arbeitskräfte hervorzuheben, die unseren
unvergleichlich tapferen Truppen durch ihrer Hände
Fleiß mitverholfen haben, die hehren Siegeslorbeeren
in todesverachtender Tapferkeit zu erwerben.« Nun?
(Der Nörgler schweigt.)
Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben?
Die sozialdemokratische Presse druckt es unter dem
stolzen Titel: »Die Leistung der Arbeiter wird
anerkannt«. Und wie viele dieser Arbeitskräfte mögen
unglücklich darüber sein, daß sie zur Belohnung bloß
einen Tag, wenn's auch Kaisers Geburtstag ist,
frei bekommen —
Der Nörgler: Gewiß.
Der Optimist: — anstatt daß man ihnen
die Genugtuung widerfahren ließe, sie endlich aus
der Fabrik herauszunehmen —
Der Nörgler: Allerdings.
DerOptimist: — und ihnen Gelegenheit gibt,
die Munition, die sie dort nur zu erzeugen haben,
endlich auch an der Front erproben zu dürfen!
282
Die Wackern sind gewiß untröstlich darüber, daß sie
nur mit ihrer Hände Fleiß zu ihren Volks- und
Klassengenossen stehen sollen und sich ihnen
nicht auch ihrerseits in todesverachtender Tapferkeit
anschließen dürfen. Die Gelegenheit, an die Front
zu kommen, die höchste Auszeichnung, die einem
Sterblichen —
Der Nörgler: Die Sterblichkeit scheint im
Qualitätsnachweis hauptsächlich erfordert zu werden.
Sie meinen also, daß die Zuweisung an die Front als
höchster Lohn empfunden wird, nämlich von dem
Empfänger?
Der Optimist: Jawohl das meine ich.
Der Nörgler: Das kann schon sein. Meinen Sie
aber auch, daß sie als höchster Lohn vergeben wird?
Der Optimist: Das doch sicher! Es scheint
Ihnen die Rede verschlagen zu haben.
Der Nörgler: In der Tat, und darum bin ich
statt eigener Worte nur in der Lage, mich mit dem
Text einer Kundgebung zu revanchieren. Ich werde sie
Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher bin, daß Ihnen
kein Wort entgeht.
Der Optimist: Aus einer Zeitung?
Der Nörgler: Nein, sie dürfte kaum ver-
öffentlicht werden können, Sie würde wie ein
weißer Fleck aussehen Sie ist aber in jenen
industriellen Betrieben affichiert, die sich durch die
Wohltat, unter staatlichen Schutz gestellt zu sein,
jede Unzufriedenheit der Arbeiterschaft vom Hals zu
schaffen gewußt haben.
Der Optimist: Sie haben doch gehört, daß
die Arbeiterschaft mit Begeisterung bei der Sache
ist und höchstens unzufrieden, weil sie nicht anders
mitwirken kann. Wenn sogar das Kriegsministerium
selbst die Hingabe anerkennt —
Der Nörgler: Sie scheinen die Rede, die es
mir verschlagen hat, ersetzen zu wollen. So lassen Sie
doch das Kriegsministerium zu Worte kommen!
283
»14. VI. 15. Dem Kriegsministerium wurde zur
Kenntnis gebracht, daß das Verhalten der Arbeiter bei
zahlreichen industriellen Betrieben, welche auf Grund
des Kriegsleistungsgesetzes in Anspruch genommen
sind, in disziplinarer und moralischer Hinsicht außer-
ordentlich ungünstig ist. Unbotmäßigkeiten, Frech-
heiten, Auflehnung gegen die Arbeitsleiter und Meister,
passive Resistenz, mutwillige Beschädigung von
Maschinen, eigenmächtiges Verlassen der Arbeits-
stätten etc. sind Delikte, gegen welche sich auch die
Anwendung des Strafverfahrens in vielen Fällen als
wirkungslos erweist — «
Der Optimist: Offenbar sind die Leute schon
ungeduldig, an die Front zu kommen. Diese Aus-
zeichnung wird ihnen vorenthalten —
Der Nörgler: Nein, sie wird ihnen angeboten:
»Das Kriegsministerium sieht sich daher zu der Ver-
fügung veranlaßt, daß in solchen Fällen unbedingt die
gerichtliche Ahndung in Anwendung zu bringen ist.
Die diesfalls vorgesehenen Strafen sind empfindlich
und können durch entsprechende Verschärfungen noch
empfindlicher gestaltet werden, auch bezieht der
Verurteilte während der Haft keinen Lohn, so daß die
gerichtliche Verurteilung gerade in solchen Fällen ein
höchst wirksames Abschreckungs- und Besserungs-
mittel sein dürfte — «
Der Optimist: Nun ja, das sind harte Strafen,
und solche Elemente haben auch die Aussicht verwirkt,
je noch an die Front geschickt zu werden.
DerNörgler: Nicht so ganz. »Jene kriegsdienst-
pflichtigen Arbeiter, welche bei gerichtlich zu ahnden-
den Ausschreitungen als Rädelsführer ausgeforscht
werden, sind nach der gerichtlichen Austragung der
Angelegenheit und nach erfolgter Abbüßung der Strafe
nicht mehr in den Betrieb einzuleilen, sondern seitens
der militärischen Leiter der betreffenden Unterneh-
mungen dem nächsten Erg. Bez. Kom. behufs Ein-
rückung zu den zuständigen Truppenkörpern zu
284
übergeben. Dort sind diese Leute sofort der Aus-
bildung zu unterziehen und beim näctisten Marsch-
Baon einzuteilen. Ist der betreff, einrückend
gemachte Arbeiter nur zum Bewachungsdienst
geeignet klassifiziert, so ist Vorsorge zu treffen,
daß derselbe nach erfolgter Ausbildung zu einem
Wachkörper eingeteilt wird, der im Armeebereich
oder nahe demselben gelegen ist. Für den Minister:
Schleyer m. p. F.Z.M.«
(Der Optimist ist sprachlos.)
Der Nörgler: Es scheint Ihnen die Rede ver-
schlagen zu haben? Sie sehen, daß Leute, die sich
nach der V/ohltat sehnen, an die Front zu kommen,
dafür strafweise an die Front geschickt werden.
Der Optimist: Ja • — sogar zur Strafver-
schärfung 1
Der Nörgler: Jawohl, das Vaterland faßt die
Gelegenheit, für das Vaterland zu sterben, als Strafe
auf und als die schwerste dazu. Der Staatsbürger
empfindet es als die höchste Ehre. Er will den Helden-
tod sterben. Statt dessen wird er ausgebildet und dem
nächsten Marsch-Baon zugeteiU. Er will einrücken,
statt dessen wird er einrückend gemacht.
Der Optimist: Ich kann es nicht fassen —
eine Strafe!
Der Nörgler: Es gibt Abstufungen. Erstens
Disziplinarstrafe, zweitens gerichtliche Abstrafung,
drittens Verschärfung aer Arreststrafe und viertens;
als die schwerste Verschärfung des Arrests: die Front.
Die Unverbesserlichen schickt man aufs Feld der
Ehre. Die Rädelsführer! Bei mehrfacher Vorbestraftheit
wird der Heldentod verhängt. Der Heldentod ist für
den Chef des Geneialstabes, nämlich wenn ihn sein
Sohn erleidet, ein schwerer Schicksalsschlag und
der Kriegsminister nennt ihn eine Strafe. Beide haben
recht. Dies und das — die ersten wahren Worte, die
in diesem Krieg gesprochen wurden.
285
Der O p t i m i s t : Ja, Sie machen es einem schwer,
Optimist zu sein.
Der Nörgler: Nicht doch. Ich gebe ja zu, daß
auch wahre Worte im Krieg gesprochen werden.
Besonders was die Hauptsache betrifft. Das alier-
wahrste hätte ich beinahe vergessen.
Der Optimist: Und das wäre?
Der Nörgler: Eines, das beinahe mit dem
Einrückend-gemachtsein versöhnen könnte, die
Revanche für die Schändung der Menschheit zum
Menschenmaterial: die Aktivierung auf Mob-Dauer!
Nach Flak und Kag und Rag und all den sonstigen
Greueln hat man einmal an diesen Sprach- und Lebens-
abkürzern seine Freude. Gewiß, wir sind auf Mob-
Dauer aktiviert!
Der Optimist: Ihr Verfahren entfärbt alle
Fahnen des Vaterlands. Alles Lüge, alles Prostitution?
Wo ist Wahrheit?
Der Nörgler: Bei den Prostituierten!
Weh dem, der sich vermißt, das Angedenken
gefallener Frauen nun gering zu achten!
Sie standen gegen einen größern Feind,
Weib gegen Mann. Nicht Zufall der Maschine,
der grad entkommt, wer ihr nicht grad verfällt,
hat sie geworfen, sondern Aug in Aug,
aus eigenem Geheiß, eins gegen alle,
im Sturm der unerbittlichen Moral
sind sie gefallen. Ehre jenen sei,
die an der Ehre starben, heldische Opfer,
geweiht dem größern Mutterland Natur!
(Verwandlung.)
30. Szene
Irgendwo an der Adria. Im Hangar einer Wasserfliegerabteilung.
Die Schalek (tritt ein und sieht sich um): Von
allen Problemen dieses Krieges beschäftigt mich am
meisten das der persönlichen Tapferkeit. Schon vor
dem Kriege habe ich oft über das Heldische gegrübeU,
286
denn ich bin genug Männern begegnet, die mit dem
Leben Ball spielten — amerikanischen Cowboys,
Pionieren der Dschungeln und Urwälder, Missionären
in der Wüste. Aber die sahen zumeist auch so aus,
wie man sich Helden vorstellt, jeder Muskel gestrafft,
sozusagen in Eisen gehämmert. Wie anders die Helden,
denen man jetzt im Weltkrieg gegenübersteht. Es sind
Leute, die zu den harmlosesten Witzen neigen, ein stilles
Schwärmen für Schokolade mit Obersschaum haben
und zwischendurch Erlebnisse erzählen, die zu
den erstaunlichsten der Weltgeschichte gehören.
Und doch. — Das Kriegspressequartier ist jetzt auf
einem leeren Dampfschiff einquartiert, das in einer
Bucht verankert liegt. Abends gibt es großes Essen,
es geht bei Musik hoch her; schließt man die Augen —
fast träumte man sich zu einem fidelen Kasinoabend
zurück. Nun, ich bin gespannt, wie dieser Fregatten-
leutnant — ah, da ist er! (Der Fregattenleutnant ist
eingetreten.) Ich habe nicht viel Zeit, fassen Sie sich kurz.
Sie sind Bombenwerfer, also was für Empfindungen
haben Sie dabei?
Der Fregattenleutnant: Gewöhnlich kreist
man ein halbes Stündchen über der feindlichen Küste,
läßt auf die militärischen Objekte ein paar Bomben
fallen, sieht zu, wie sie explodieren, photographiert
den Zauber und fährt dann wieder heim.
Die Schalek: Waren Sie auch schon in
Todesgefahr?
Der Fregattenleutnant: Ja.
Die Schalek: Was haben Sie dabei empfunden?
Der Fregattenleutnant: Was ich dabei
empfunden habe?
Die Schalek (beiseite): Er mustert mich ein
wenig mißtrauisch, halb unbewußt abschätzend, wieviel
Verständnis für Unausgegorenes er mir zumuten
dürfe. (Zu ihm:) Wir Nichtkämpfer haben so erdrückend
fertige Begriffe von Mut und Feigheit geprägt, daß
287
der Frontoffizier stets fürchtet, bei uns für die unend-
liciie Menge von Zwischenempfindungen, die in ihm
fortwährend abwechseln, keine Zugänglichkeit zu
finden. Hab ich's erraten?
Der Fregatte nleutnant: Wie? Sie sind
Nichtkämpfer?
Die Schalek: Stoßen Sie sich nicht daran.
Sie sind Kämpfer, und ich möchte wissen, was Sie da
erleben. Und vor allem, wie fühlen Sie sich nachher?
Der Fregattenleutnant: Ja, das ist sonder-
bar — wie wenn ein König plötzlich Bettler wird. Man
kommt sich nämlich fast wie ein König vor, wenn
man so unerreichbar hoch über einer feindlichen
Stadt schwebt. Die da unten liegen wehrlos da —
preisgegeben. Niemand kann fortlaufen, niemand
kann sich retten oder decken. Man hat die Macht
über alles. Es ist etwas Majestätisches, alles andere
tritt dahinter zurück, etwas dergleichen muß in Nero
vorgegangen sein.
Die Schalek: Das kann ich Ihnen nach-
empfinden. Haben Sie schon einmal Venedig
bombardiert? Wie, Sie tragen Bedenken? Da werde
ich Ihnen etwas sagen. Venedig als Problem ist
auch langen Grübelns wert. Voll von Sentimentalität
sind wir in diesen Krieg gegangen —
Der Fregattenleutnant: Wer?
Die Schalek: Wir. Mit Ritterlichkeit hatten
wir ihn zu führen vorgehabt. Langsam und nach
schmerzhaftem Anschauungsunterricht haben wir uns
das abgewöhnt. Wer von uns hätte nicht vor Jahresfrist
noch bei dem Gedanken geschauert, über Venedig
könnten Bomben geworfen werden! Jetzt? Konträr!
Wenn aus Venedig auf unsere Soldaten geschossen
wird, dann soll auch von den Unsern auf Venedig
geschossen werden, ruhig, offen und ohne Empfind-
samkeit. Akut wird das Problem ja erst werden,
bis England —
288
Der Fregattenleutnant: Wem sagen Sie
das? Seien Sie beruhigt, ich habe Venedig
bombardiert.
Die Schalek: Brav!
Der Fregattenleutnant: In Friedenszeiten
pflegte ich alle Augenblicke nach Venedig zu fahren,
ich liebte es sehr. Aber als ich es von oben
bombardierte — nein, keinen Funken von falscher
Sentimentalität verspürte ich dabei in mir. Und
dann fuhren wir alle vergnügt nach Hause. Das
war unser Ehrentag — unser Tag!
Die Schalek: Das genügt mir. Jetzt erwartet
mich Ihr Kamerad im Unterseeboot. Hoffentlich hält
der sich auch so wacker wie Sie! (Ab.)
(Verwandlung.)
31. Szene
In einem Unterseeboot, das soeben emporgetaucht ist.
Der Maat: Sie kommen schon!
Der Offizier: Schnell wieder hinunter! —
Nein, zu spät.
(Die Mitglieder des Kriegspressequartiers treten ein, an der
Spitze die Schalek.)
Meine Herren, Sie sind die ersten Gesichter, die
wir sehen. Es ist eine eigenartige Empfindung, dem
Licht wiedergegeben zu sein.
Die Journalisten: No wie is es da unten — ??
Der Offizier: Fürchterlich. Aber da oben —
Die Journalisten: Geben Sie Details.
Der Offizier: Die wird er Ihnen geben,
der Maat —
Die Journalisten: Der Mad? Nur ihr?
No und wir? (Nach erfolgter Aufklärung des Mißverständnisses
stürzen sich die Journalisten auf den Maat.) Also das sind
die Lanzierrohre?
Der Maat: Nein, das sind Kalipatronen.
289
Die Journalisten: Sind das nicht die
Diesel-Motoren?
Der Maat: Nein, das sind Wassertanks.
Der Offizier (wendet sich zur Schalek): Sie
sprechen ja gar nicht?
Die Schalek: Mir ist zumute, als habe ich
die Sprache verloren. Erlauben Sie, daß ich an ein
dunkles Problem rühre. Ich möchte nämlich wissen,
was haben Sie gefühlt, wie Sie den Riesenkoloß
mit so viel Menschen im Leib ins nasse, stumme
Grab hinabgebohrt haben.
Der Off izier: Ich habe zuerst eine wahnsinnige
Freude gehabt —
Die Schalek: Das genügt mir. Ich habe jetzt
eine Erkenntnis gewonnen: Die Adria bleibt unser!
(Verwandlung.)
32. Szene
Eine unter das Kriegsdienstleistungsgesetz gestellte Fabrik.
Der militärische Leiter: Anbinden, Stock-
hiebe, Arrest, no und halt Einrückendmachen — mehr
ham wir nicht, was anders gibts nicht. Kann man
halt nix machen.
Der Fabrikant (an dessen Arm eine Hundspeitsche
baumelt): Solang es geht, versuch ichs in Güte.
(Er zeigt auf die Hundspeitsche.) Wie man sich aber helfen
soll, wenn diese Gewerkschaftshunde mit ihren
Hetzereien nicht aufhören -- - Aussprache über die
Lage der Arbeiterschaft, Ernährungsfrage — wie
unsereins da durchhalten soll! — Rechts- und
Arbeitsverhältnisse, Neugestaltung des Arbeiterrechtes
im Kriege —
Der militärische Leiter: Ehschowissen.
Einrückend gemacht und womöglich die Herrn Abge-
ordneten dazu. Wir haben aus 'm Kriegsdienst-
leistungsgesetz und dem Landsturmgesetz ohnedem
alles herausgeietzt was nur möglich war. Wir brauchen
Die letzten Tage der Menschheit. 19
290
uns da keine Vorwürfe zu machen. Am schönsten war
das im August 14 mit die Schmiede und Mechaniker.
Vormittag hams noch im Akkord ihre 6 Kronen
verdient, Mittag hat mas gemustert und ihnen
schön eröffnet, daß sie jetzt Soldaten sein, no und
Nachmittag hams am gleichen Arbeitsplatz für die
gleiche Arbeitsleistung schön um Soldatengebühren
gearbeit'. Hat sich keiner gemuckst. Aber ich sag,
eigentlich is so eine Musterung überflüssig —
Der Fabrikant: Oho!
Der militärische Leiter: Ich mein', man
hätt's überall so machen solln wie bei uns in Kloster-
neuburg im Trainzeugdepot, da hab ich ihnen einfach
gsagt, ihr seids von jetzt an Kriegsleister und habts
daher nur Anspruch auf Soldatenlöhnung.
Der Fabrikant: Ja so!
Der militärische Leiter: Einmal hab'n sie
sich beschwert wegen Unhöflichkeit oder was. Hab
ich sie mir zum Rapport bestellt und frag sie, wer
sie aufgeklärt hat. Antwortet der Kerl: Wir sind
organisierte Arbeiter und haben uns an unsere
Gewerkschaften um Aufklärung gewendet, die haben
uns an zwei Abgeordnete gewiesen! No, sag ich,
die Herrn wer' ich mir holen lassen, sie wern
dastehn bei euch und wern arbeiten anstatt zu hetzen.
Sagt drauf der Kerl: Wir sind organisierte Arbeiter,
wir erfüllen unsere Pflicht gegenüber dem Staat,
aber wir suchen auch Schutz bei unserer Organisation.
Ich —
Der Fabrikant: Also da soll man keine
Hundspeitsche bei sich haben. Was haben Herr
Oberleutnant —
Der militärische Leiter: Was ich getan
hab? Hochverräter seids ihr, hab ich ihnen gsagt,
und damit euch die Lust vergeht, euch noch amal
zu beschweren, habts ihr dreißig Tage Kasernarrest,
punktum, Streusand drüber.
291
Der Fabrikant: Ich staune über diese Milde.
Bei Hochverrat!
Der militärische Leiter: No wissen S',
man darfs nicht überspannen. Das Traurige is, daß
die Zivilgerichte die Bagasch noch unterstützen.
Der Fabrikant: So ein Fall is mir bekannt.
Beim Lenz in Traisen, wo so ein Kerl ohnedem
25 Kronen pro Woche gehabt hat, klagen zwei auf
Auflösung, v^^eil sie zuerst 44 gehabt haben. Das
Bezirksgericht verurteilt den Lenz. Wie die beiden
seelenvergnügt das Gerichtsgebäude verlassen —
Der militärische Leiter: Der Fall is mir
bekannt — wern s' von zwei Schendarm in die Fabrik
gführt. Dort pelzt ihnen mein Kamerad zehn Tag
Arrest auf und weiterarbeiten. Ja, die Gerichte sind
eine saubere Staatseinrichtung, das muß ich schon
sagen ! Zum Glück is der Lenz Bürgermeister, da
kann er auch selber Arrest geben. So hat ers mit
die Arbeiterinnen gmacht, die hat er am zweiten
Weihnachtstag mit Patrouillen abholen lassen, in
die Arbeit und hernach in'n Arrest.
Der Fabrikant: Über mich haben sie sich
einmal wegen schlechter Behandlung und unzuläng-
licher Bezahlung bei der Gewerkschaft beschwert.
Ich bitte — bei 38 bis 60 Heller die Stunde! No ich
hab mir einen Rädelsführer kommen lassen und
sag ihm: Ihr habts euch beschwert, aber die Hunds-
peitsche ist noch da. Und zeig auf meinen Arm.
Sagt der Kerl: Wir sind keine Hunde. No zeig ich
halt auf meine Revolvertasche und sag ihm: Für Sie
hab ich auch noch einen Revolver! Hat er was —
von Menschenwürde hat er was gredt oder so.
Also der Kerl hat es richtig so weit gebracht, daß
die Beschwerdestelle gesagt hat, die Löhne sind
unzureichend !
Der militärischeLeiter:Dais doch jeden-
falls sofort —
19*
292
Der Fabrikant: Aber natürlich, er is ein-
rückend gemacht worn, Ihr Vorgänger war darin
sehr kulant. Einen, der sich auch einmal über zu
geringen Lohn beschwert hat, hab ich gepeitscht
und Ihr Vorgänger hat ihm dafür drei Wochen Arrest
gegeben.
Der militärische Leiter: Wern S' sehn,
über mich wern Sie sich auch nicht zu beklagen
haben. Ich sag nur so viel, die Kerle soU'n froh
sein, daß sie in keinem Bergwerk sind.
DerFabrikant: Ich weiß, das Militärkommando
Leitmeritz hat den Grubenbesitzern die Lage wesent-
lich erleichtert. Die Belegschaften sind einfach auf-
merksam gemacht worn, daß sie auf die Kriegs-
artikel vereidigt sind und daß das Vorbringen von
Beschwerden unter Umständen als Verbrechen der
Meuterei aufgefaßt werden kann, in welchem Fall
die Rädelsführer und Anstifter standrechtlich zum
Tod verurteilt werden können. Ja, die Gruben-
besitzer —
Der militärische Leiter: Bei der Eibiswalder
Glanzkohlengewerkschaft in Steiermark müssen s'
Sonntagsschichten machen, nach acht Uhr abends
gibts kein Gasthaus und Kaffeehaus. Dafür gibts bei
fünf Tag Arrest drei Fasttag. Unter Eskorte wern s'
von der Grube in den Gemeindearrest gführt,
ein' weiten Weg. In Ostrau hat mas gleich bei
Kriegsausbruch zu prügeln angfangt, aber systematisch !
Auf der Bank im Wachzimmer, von zwei Soldaten
ghalten. Der Kerl, der nacher ei'm Abgeordneten was
erzählt hat, den ham s' halt noch amal prügelt. Die
was eine Beschwerde vorbringen — einrückend
gemacht, auch wenn s' nie gedient hab'n. So is!
Der Fabrikant (seufzend): Ja, Grubenbesitzer
müßt' man sein! Die können durchhalten!
Der militärische Leiter: No ganz schutzlos
is heutzutag ein anderer Unternehmer auch nicht!
Die Werkmeister schaun auch schon von selbst dazu.
293
Sie ohrfeigen ganz tüchtig. Für'n Arrest hab ich
immer täglich sechs Stund Spangen vorgsehn ghabt. No
und wenn s' so von der Arbeit weg mit aufpflanzten
Bajonett durch die Straßen gführt wern, das is schon
ein Exempel! Ohne Reinigung vorher, im Arrest die
Haar gschorn, auch wann einer nur vierundzwanzig
Stund hat, die Menagekosten vom Lohn abzogn —
schon wcnns von Floridsdorf in die Josefstadt zum
Rapport müssen, verlieren s' doch 'n halben Taglohn,
no und gar der Verdienstentgang bei Arrest und
so Sacherln, und was die Hauptsach is, wenn auch
nur für die schwerern Fälle — Einrückendmachen!
Also da hat sich noch keiner von die Herrn zu
beklagen ghabt bitte!
Der Fabrikant: Aber bitte, ich will ja auch
nichts gesagt haben. Und ich bin bekannt dafür, daß
ich die militärische Autorität nur im äußersten Notfall
strapaziere. Ich verlasse mich lieber auf die Selbsthilfe.
Ich sag, solang es in Güte geht — (er zeigt auf die
Hundspeitsche.)
(Verwandlung.)
33. Szene
Zimmer im Hause des Hofrals Schwarz-Gelber. Spät am Abend.
Hofrat und Hofrätin Schwarz-Gelber treten ein.
Er (schwer atmend) : Gott seis getrommelt und
gepfiffen, da sind wir — puh —
Sie: Tut sich was, Märtyrer was du bist.
Er: Das letzte Mal — das letzte Mal — darauf
kannst du dich verlassen!
Sie: Ich mit dir auch! Darauf kannst du Gift
nehmen! (Sie beginnt sich zu entkleiden. Er läßt sich in einen
Stuhl fallen, stützt die Stirn in die Hand, springt wieder auf
und geht im Zimmer umher.)
Er: Warum — sag mir nur bittich warum —
warum, nur das eine sag mir hat Gott mich mit dir
gestraft — grad ich? — ausgerechnet — muß dieses
294
Leben führen — warum — hätt nicht können ein
anderer?! — Gerackert hab ich mich — bis in die
sinkende Nacht — für dich — du bringst mich um
mit deiner Kriegsfürsorg — Hilfskomitees und Zweig-
stellen und was weiß ich, Konzerte und Nähstuben
und Teestuben und Sitzungen, wo man herumsteht,
und jeden Tag Spitäler — Gott, is das ein Leben —
(auf sie losgehend) was — was willst du noch von
mir — hast du noch nicht genug — ich — ich —
bin nicht gesund — ich bin nicht — gesund —
Sie (schreiend): Was schreist du mit mir? Ich zwing
dich? Du zwingst mich! Ob ich einen Tag Ruh
gehabt hätt vor dir! — Ich — hab ich dir nicht helfen
müssen treppauf treppab — bis sie gesagt haben,
damit sie endlich Ruh haben vor dir und du bist
Vizepräsident geworn! Glaubst du, man steht nm dich?
Mir verdankst du — wenn ich nicht fort war hinter
ihm hergewesen, Exner — Gott, was hab ich treten
müssen — Ich wer dir sagen was du bist! Ein Idealist
bist du! Wenn du dir einredst, auf andere Art wärst
du geworn was du bist! Auf was herauf? Auf dein
Ponem herauf, was? Auf deinen Tam herauf, was?
Daß dus weißt, mir hast du zu verdanken deine
ganze Karrier, mir, mir, mir — Liharzik ist tot —
heut könntest du dort stehn, wo er war, überall
könntest du sein — ein Potsch bist du ! die gebratenen
Tauben werden dir ins Maul fliegen, ausgerechnet —
ich stoß und du kommst nicht vom Fleck — möchten
möchtest du viel und zu nix hast du die Gewure!
Er: Gotteswillen bittich — schweig — in meiner
Stellung — riskier ich genug —
Sie: Ich pfeif auf deine Stellung, wenn wir nicht
weiterkommen. Stellung! Auch wer! Weil ich gelaufen
bin, hast du e Stellung! Gerannt bin ich! Bin ich
für mich gerannt? Für mich hab ich Wege gemacht?
Darauf antwort mir!
Er: Nu na nicht.
295
Sie: Hör auf! Ich kann dich nicht sehn! Du weißt
am besten, wie du lügst. Gott, getrieben hast du,
wenn ich nicht heut da war und morgen dort —
gcstuppt hast du mich — wenn Grünfeld gespielt hat,
Hab ich reden müssen — ausgestanden hab ich —
ich hab schon nicht mehr gewußt, is Sitzung bei der
Berchtold oder is Tee bei der Bienerth, der Blumen-
tag hab ich p;eglaubt is für die Patenschaft statt für
die Flüchtlinge, da hats geheißen Korngoldpremier,
fortwährend Begräbnisse, Preisreiten, Wehrmann
und Wehrschild, wie sie den Kriegsbecher angeregt
haben, gleich warst du aufgeregt, ich kenn dich doch,
aber so hab ich dich noch nicht gesehn, schon
hast du dabei sein müssen, warum, ohne dich wär's
nicht gegangen, ich hab dir gesagt laß mich aus,
konträr, gejagt hast du mich, in die Tees und
Komitees hast du mich förmlich gestoßen, gequält
hast du mich wegen Lorbeer für unsere Helden, da
bin ich gerannt, dort bin ich gerannt, nix wie Hilfs-
aktionen; zu Gunsten da, zu Gunsten dort, zu wessen
Gunsten, frag ich, wenn nicht zu deinen? zu meinen
nicht! An den heutigen Tag wer' ich zurückdenken —
Gott — von einem Spital ins andere muß man sich
schleppen — und was hat man davon? Was hat man?
Undank!
Er: Um Gotteswillen, hör auf! Wenn dich einer
reden hört, möcht er sich schöne Begriffe machen von
deiner Nächstenliebe, die Gall geht einem heraus —
Sie: Vor dir! Kann ich dafür, daß sie dich heut
übersehn haben? Schwören kann ich, ich hab mit dem
Delegierten gesprochen, ich hab ihm gesagt, wenn sie
kommen, hab ich ihm gesagt, soll er trachten, daß wir
ganz vom slehn, weil wir das letzte Mal Pech gehabt
haben, im letzten Moment bab ich ihm noch einen Stupp
gegeben, er weiß, daß ich Einfluß hab auf Hirsch, er hat
ihn schon lang nicht genannt — ich hab getan was
möglich war, ich bin fast neben der Blanka
gestanden, wie sie dem Blinden gesagt hat es i«:
296
für das Vaterland — auf mich willst du deine Wut
auslassen? Kann ich dafür, daß sich im letzten
Moment Angelo Eisner vorgestellt hat mit seinem
Koloß, wo er alles verdeckt? Pech hast du, weil er
größer is, und ich muß büßen! Mir — mir — machst
du Vorwürfe — ich — ich — weißt du was du
bist, weißt du was du bist — ich — eine Bardach
(kreischend) bin viel ZU gut für einen Menschen wie
du (sie wirft das Mieder nach ihm) — du — du Nebbich!
Er (stürzt auf sie los und hält sie): Duuu! — mich
reg nicht auf — mich reg nicht auf, sag ich dir —
ich steh für nichts — ich vergreif mich an dir — was
— was — willst du von mir — Ausraum, der du
bist — von dir sprichst du nicht? — Dein Ehrgeiz
bringt mich ins Grab! — hältst du Kinder, wärest
du abgelenkt — schau mich — an — grau bin ich
geworn durch dich (schluchzend) — ich — war —
bei — Hochsinger — das Herz is — nicht mehr —
wie es sein soll — du bist schuld — (brüllend) jetzt
sag ich dir die Wahrheit — weil du nicht erreicht
hast — eine Flora Dub zu sein! — für Hüte hätt
ich müssen ein Vermögen — woher — nehm ich —
was will man von mir —
Sie (in Paroxysmus): Mit — Flora — Dub! —
Du wagst es! — mich in einem Atem — Flora —
— mit der Dub! — mich — eine geborene Bardach 1
Weißt du, was du bist — ein Streber bist du!
Aus der Hefe empor! Gelb bist du vor Ehrgeiz!
Schwarz wirst du, wenn du einmal nicht genannt
wirst! Wenn du an Eisner denkst, wälzst du dich im
Schlaf! Bin ich schuld, daß er ein Aristokrat is?
Geh hin zu Fürstenberg und laß dach adaptieren!
Er (weicher werdend): Ida — was hab ich dir
getan — schau — laß ein vernünftig Wörtl —
schau — Gotteswillen — was — was bin ich —
Hofrat — ich — lachhaft — ein Jud bin ich! —
(Er fällt schluchzend in den Stuhl) — Ausstehn! — Is
das — ein Leben — is das ein Leben — immer
297
hinter — ganz — hinter — die andern — auf
Hirsch angewiesen sein — beim letzten — letzten
— Preistreiben — reiten — man hat uns —
überhaupt nicht — bemerkt — (gefaßter) ich hab dich
noch gestoßen — die Wydenbruck hat es bemerkt
— sie hat Bemerkungen gemacht — und heut — der
Skandal! — die Leute reden — ich bin fertig —
Spitzy hat gelacht —
Sie: Laß mich aus mit Spitzy! Der hat zu
reden! Spitzy is erst durch den Weltkrieg herauf-
gekomrnen. Nie hat man früher den Namen gelesen.
Jetzt? Übel wird einem täglich auf jeder Seite von
Spitzy!
Er: von Spitzy!? Er ist doch noch nicht —
das fehlte noch!
Sie: Ich sag übel wird einem von Spitzy.
Er: Er drängt sich unter die Spitzen.
Sie: Auf ihm hat man gewartet! Mir scheint
stark, er bildet sich ein, er is Spitzer.
Er: Er spitzt auf die goldene.
Sie: Ich hab so mit dem Delegierten gesprochen.
Er hat gesagt, da kann man nichts machen, das is
wieder einmal echt wienerisch, hat er gesagt, bittsie der
Spitzy, er hat die Presse und außerdem leistet er
für die Prothesen.
Er: Auf den Delegierten soll ich sagen!
Sie: Ich gift mich genug über ihm.
Er: Den Unterschied zwischen der Gartenbau
heut und wie der Krieg angefangen hat, möcht ich
Klavier spielen. Wenn ich zurückdenk, damals bei der
Schlacht von Lemberg, du weißt doch, wie die Presse
das Jubiläum gefeiert hat, Weiskirchner hatihrgratuliert,
neulich erst sag ich zu Sieghart —
Sie: Du, zu Sieghart?
Er: Du — weißt — nicht mehr, wie ich mitSieghart
gesprochen hab? Das hat die Welt nicht gesehn! Alle
haben gesehn — Du weißt nicht? Wie er gekommen is,
wir sollen beitreten zum Subkomitee in die Hilfssektion
298
— du weißt doch, er hat doch die Idee gehabt zu
einer Sammlung »Kaviar fürs Volk«, es is eigentlich
eine Anregung von Kulka — sag ich also zu
Sieghart, Exzellenz, sag ich, der Delegierte gefällt
mir etwas nicht und der Primarius gefällt mir nicht
und die ganze Schmonzeswirtschaft gefällt mir nicht.
Er schweigt, aber ich hab gesehn, er denkt sich.
Sag ich zu ihm, Exzellenz, die Zeit ist viel zu ernst.
No ich kann dir nur soviel sagen, er hat nicht nein gesagt.
Wieso das kommt, frag ich. Er zuckt mit die Achseln
und sagt, Krieg is Krieg. No hab ich doch gewußt,
woran ich war. Jetzt brauch ich nur —
Sie: Wenn du damals, bei der konstituierenden
Versammlung für die Walhalla nicht wie ein Nebbich
dagestanden wärst, wäre die Sache schon erledigt.
Er: Erlaub du mir, grad bei solchen Gelegen-
heiten vermeid ich aufzufallen. Alle haben sie sich
den Hals ausgereckt, wie er von der Korrespondenz
Wilhelm gekommen is —
Sie: Und ich hab dir Zeichen gemacht, du
sollst auch!
Er: Nein sag ich dir! Da kennst du mich schlecht!
Auf geradem Wege gehts nicht, so hör zu meinen Plan.
Mit Eisner wirst du sehn, er is imstand und
geht eines schönen Tages hinauf und wird sichs
richten. Aber ich hab mir fest vorgenommen
— ich wart jetzt nur — das nächste Mal — no ich
könnt ihm gut schaden — er hat, aber sag's nicht, er
hat eine abfällige Bemerkung über Hirsch fallen lassen!
Sie: Bittich fang dir nichts an! Misch dich
in nichts! Ich könnt auch, ich halt mich genug zurück,
die Dub hat etwas über die Schalek gesagt — daß sie
sich patzig macht in der Schlacht und so — zur
Odelga könnt ich eine Anspielung machen, Sonntag
schätz ich kommt sie zum Invalidentee — Sigmund
— hör mich an — weißt du was — sei nicht nervees
— du bist überanstrengt — ich sag dir, wir setzen es
durch ! Komm zu dir — ich wett mit dir, Freitag is
299
eine Geiegtiiheit wie sie noch nicht da war — die
Jause, du weißt doch, für unsere Gefangenen in Ost-
sibirien. Oder hör zu, wart, noch vernünftiger, Samstag,
für die deutschen Krieger! Du wirst sehn, paß auf, du
kriegst ! Wenn nicht die erste, so die zweite. Ich garantier
dir. Bis zum Kabaree vom Flottenverein warten wir
nicht! Jetzt zeig, was du imstand bist. Nimm dir ein
Beispiel an Haas, an ihm, nicht an ihr — siehst
du, er is nur ein Goj, aber eine Gewure — dir gesagt!
Jetzt entscheidet sich alles. Daß du mir nicht wieder
wie ein Stummerl dastehst, hörst du? Sie warten bloß,
daß du den Mund aufmachst. So wahr ich da leb —
ich kann mir nicht helfen — aber ich hab das Gefühl,
wir sind sowieso vorgemerkt —
Er: Glaubst du wirklich — das war ja — lang
genug hätt man sich geplagt — aber woher glaubst du?
Sie: Was heißt ich glaub? Ich weiß! Du bist der
Meinung, es is schon alles verpatzt. Ich sag dir, nix
is verpatzt! Du warst von jeher ein Pessimist mit dem
Krieg. Ich kann dir nicht alles sagen, aber die Frankl-
Singer von der »Sonn und Mon« is wie du weißt
intim mit der Lubomirska, frag mich nicht. Du hättest
das Gesicht von der Dub sehn solln, wie sie gesehn
hat, ich Sprech mit ihr. Was soll ich dir sagen, sie
hat sich gejachtet. Sogar Siegfried Löwy hat mit dem
Kopf geschüttelt, no da hab ich alles gewußt. Es wird
vielleicht eines der größten Errungenschaften sein,
wenn mir das gelingt. Nur bei der Ausspeisung dürfen
sie nichts erfahren, sonst zerspringen die Patronessen,
behauptet Polacco. Selbst heut hab ich das Gefühl
gehabt, es kann nicht mehr lange dauern. Weißt du,
nämlich wie der Lärm war — wie sie alle hinüber
sind — zu dem sterbenden Soldaten — du weißl doch,
der getrieben hat, weil er geglaubt hat, unten steht
seine Mutter, sie haben sie nicht herauflassen wollen,
es is verboten wegen der Disziplin, Hirsch hat noch
gesagt, er wird in den Annalen fortleben, er gibt
ihn hinein — da hab ich das Gefühl gehabt —
300
nämlich, wie sie so gestanden sind — da hab ich
mir eigens achtgegeben, ich hab hingeschaut und
da hab ich deutlich bemerkt, wie die Palastdam.e
hergeschaut hat, alle sag ich dir haben sie auf uns
gezeigt — ich hab dich noch aufmerksam machen
wolln — aber da hab ich ihn beobachten müssen,
ob er nicht vorgeht, der lange — und dann haben
sie noch besprochen — grad wie Hirsch die Stimmung
notiert hat, haben sie besprochen wegen dem Konzert für
die Witwen und V/aisen — da hab ich wieder das Gefühl
gehabt — ich kann mir nicht helfen — (dicht bei ihm,
zischend) wenn du nur jetzt nicht wieder bescheiden
bist! — nur jetzt nicht! — meinetwegen immer,
aber um Gotteswillen nicht jetzt!
Er (eine Weile nachdenklicli, dann entschlossen): Was
haben wir morgen?
Sie (sucht hastig Einladungen hervor): Wien für
Ortelsburg — liegt mir stark auf, wir gehn, aber wir
müßten auch nicht. Verwundetenjause bei Thury, nicht
der Rede wert, aber kann nicht schaden. Konstituierende
Sitzung des Exekutivkomitees für den Blumenteufel-
Rekonvaleszenten-Würsleltag — da muß ich als
Patroneß. Aber da, wart, Kriegsfürsorgeamt, musi-
kalischer Tee, Fritz Werner singt, ich Sprech sicher
mit ihm, er liat auch immer größeren Einfluß —
Er: Sagst du!
Sie: Wenn ich dir sag!
Er: Einfluß, lächerlich —
Sie: So! Also kürzlich hat er ihm das Bild
schicken müssen. Er is ein großer Verehrer. Er hat
schon fufzigmal »Husarenblut« gesehen.
Er: Zufällig kennt er ihn nur flüchtig.
Sie: Wenn du also besser informiert bist! Gut,
nehmen wir schon an, Fritz Werner hat nicht Einfluß,
was is aber, jetzt paß auf, was is mit Spitzer? Wenn
ich auf keinen halt, auf Spitzer halt ich! Man
brauch nur sehn, was sich da tut jedesmal, was
sie angeben, wenn er kommt! Spitzer is heut
301
maßgebend, alles spricht nur von Spitzers Karrier.
Ich sag dir, man muß das Eisen schmieden, solang
man Gold dafür kriegt. Nur jetzt keineVersäumnisse! Du,
hör mich an — was nützt das alles — jetzt nimm dich
zusamm, sei ein Mann! Mach dich beliebt! Was denkst
du so nach? Du hasts ja bisher getroffen, warum
niciit weiter. Also! Jetzt heißt es durchhalten!
Er (die Stirn in der Hand): Das heut is ZU schnell
vorübergegangen. Man hat gar nicht können zu sich
kommen. Ich war heut nicht auf der Höhe. Ja, ich
hab gleich gespürt, etwas is nicht in der Ordnung. Von
allem Anfang hab ich bemerkt, sie bemerken uns
nicht, und zum Schluß, wie sie uns ja bemerkt hätten,
war ich zerstreut und hab es nicht bemerkt. Ich sag
dir, es is das Herz — — Hochsinger is unbedingt für
Schonen. Schonen sagt er und wiederum schonen.
Aber wie soll man — Gott — du sag mir bittich,
wie war das eigentlich, wie sie alle mit Spitzer
geredet haben, wie er —
Sie: Mit Spitzer? Das war doch nicht heut! Das
v/ar doch Sonntag!
Er: Gotteswillen — ein Kreuz is das — Sonntag —
alles geht einem durcheinander im Kopf — also gut —
ärger is wenn ich Gottbehüt vergessen hätt mit Sieghart
zu sprechen. Wie, also was, also sag mir — mit
Spitzer, das intressiert mich —
Sie: Sonntag? No ja, da war es doch schon auf
ein Haar so weit, daß der Delegierte — ich hab schon
geglaubt — hast du gezweifelt? No hörst du, das is
doch so klar, wie nur etwas ! ? Wenn nicht die Schwester
dazwischengekommen war, das Skelett, du weißt doch,
die den Schigan hat, den ganzen Tag pflegen, über-
haupt eine bekannt exzentrische Person, grad wie ich
zum Bett hingehen will, Pech, kommt sie daher,
einen Schritt war ich —
Er: Moment! Das — wart — wo sind sie da
gestanden? Das war doch, wo die Rede war, daß man
302
wieder sammeln gehn soll, etwas einen Gardenientag,
weiß ich! haben sie beschiossen für Wiener Mode
im Hause oder —
Sie: Freilich, Trebitsch hat noch erzählt, daß er
tausend Kronen anonym gegeben hat —
Er: Bekannter Wichtigmacher, gibt sich jetzt aus
für intim mit Reitzes — siehst du, jetzt hab ich,
also wart — ob ich weiß! unterbrich mich nicht,
da war, ich wer dir sagen, da war auch die Rede
von Aufnahmen im Spital, für den Sascha-Film,
wächst mir auch schon zum Hals heraus, siehst du,
daß ich weiß? Aber nur — wo sind sie gestanden?
Die Situation — wir sind nicht durchgekommen, so
viel weiß ich — wir sind zurückgegangen —
Sie: Du kannst dich nicht erinnern? Ich seh's
vor mir! Bei dem Bett von dem Soldaten —
Er: Bei dem Bett — mit der Mutter der?
Sie: Geh weg, das war doch heut!
Er: Wart — der Blinde!
Sie: Der Blinde von der Blanka? Das war
doch heut!
Er: Aber wie der Salvator —
Sie: Vom Salvator der Blinde — das war doch
Dienstag in der Poliklinik! Der Blinde, ich seh es vor
mir! Damals, du weißt doch — Hirsch hat sich notiert —
Er: Entschuldige, aber das war bei der Staats-
bahn beim Labedienst! Wo sich noch die Löbl-Speiser
vorgedrängt hat, die Geschiedene —
Sie: Konträr, grad damals is es sehr günstig
gestanden, wenn du mir nur gefolgt hättst, ich hab
dir noch geraten, mach dich an an Stiaßny.
E r : An Stiaßny? Das war doch beim Wehrmann !
Siehst du, jetzt verwechselst du!
Sie (lauter): Ich verwechsel? Du verwechselst!
Beim Wehrmann! Wer redt heut vom Wehrmann?
303
Er: Also wart — beim Bett — übrigens was
gibst du Rebussen auf, sag mir den Soldaten und fertig.
Sie: Grad nicht! Siehst du, wenn ich nicht war
mit meinem Gedächtnis —
Er (lauter): Laß mich aus mit deinem Gedächtnis!
Was nutzt mir dein Gedächtnis! Ä — es is alles
für die Katz!
Sie: Du marterst mich — ich lauf mir die Füße
wund — soll ich dir noch helfen erinnern!
Er: Schrei nicht — ich laß alles liegen und
stehn — ich geh morgen nicht — du kannst allein
gehn ausspeisen — ich hab es satt — der ganze Krieg
kann mir gestohlen wern! — das hat uns noch gefehlt
— als ob früher nicht genug Lauferei war — geh mir
aus den Augen! — jetzt reißt mir die Geduld! — von
mir aus soll —
Sie (schreiend): Du schreist mit mir, weil du
kein Gedächtnis hast! Du weißt nicht mehr, wem
du grüßt! Du grüßt Leute, wo es nicht nötig is, und
wo es ja nötig is, grüßt du nicht! Jedesmal am Graben
muß ich dich stuppen! Ich hab für dich gearbeitet —
du — du weißt du, was du ohne mich bist? Ohne
mich bist du ein Tineff für die Gesellschaft!
E r (sich die Ohren zuhaltend, mit einem Blick zum Plafond) :
Ordinär — ! (nach einer Pause, in der er herumgegangen ist)
Möchtest du jetzt also die Güte haben? — Bist du
jetzt vielleicht beruhigt? Also sag mir —
Sie: Grad sag ichs nicht — Sonntag — wie sie
alle um das Bett gestanden sind — ich bin vorgegangen
— alle sind sie —
Er: Moment! Laß mich ausreden — im ganzen
Belegraum —
Sie (schreiend): Du quälst mich aufs Blut — jetzt
tust du als ob du nicht bis drei zählen könntest —
ich lauf mir die Füße wund — von Pontius zu
Pilatus —
304
Er: Das weiß ich zu schätzen. Leicht is es nicht.
Sie: Also gib Ruh und bohr nicht in mich —
daß du's endlich weißt und frag mich nicht mehr — ich
hab Recht und nicht du — ich hab dir gesagt, Sonntag
hat man uns bemerkt, wie sie beim Bett gestanden sind —
Er: Noo-o! Also beim Bett — mir scheint, du
redst dir da was ein —
Sie: So wahr ich da leb! Beim Bett von dem
Soldaten, wo der Primarius alles gezeigt hat —
Er: Ah — jetzt weiß ich! Was sagst du nicht
gleich? Der mit den abgefrorenen Füßen!?
Sie: Ja — und mit der Tapferkeitsmedaille!
111. Akt
Die letzten Tage der Menschheit. 20
T. Szene
Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Larven und Lemuren. Es
bilden sich Gruppen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Venedig bombardiert! Schwere Niederlage der Italiena!
Ein Armeelieferant: Wenn Sie das Abendblatt
gelesen hätten, würden Sie keinen Moment zweifeln.
Zweiter Armeelieferant: War es als authen-
tische Nachricht?
Z we iter Ze itungsausruf er: Extraausgabee— !
100.000 tote Italiena bittee — !
Erster Armeelieferant: Wenn ich Ihnen sag,
wörtlich: Kramer gastiert ab 1. in Marienbad.
DritterZeitungsausrufer:Krakujefazeropaat!
Zweiter Armeelieferant: Gottseidank, da
bleibt meine Frau länger.
Erster: Die Göttergattin?
Vierter Zeitungsausrufer: Zweate Oflagee
vom Tagblaad! Teitscha Bericht!
Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny,
also du — du bist ja politisch gebildet, also was
sagst zu Rumänien?
Zweiter Offizier (mit Spazierstock) : Weißt, ich
sag, es is halt a Treubruch wie Italien.
Der dritte: Weißt — also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich mullattiert — ! Habts das Bild vom Schön-
pilug gsehn, Klassikaner!
E i n M ä d e r 1 : Achttausend Russen für zehn Heller !
EinMädchen (sich in den Hüften wiegend, vorsieh hin) :
Kroßa italienischa Ssick!
20»
308
Ein Weib (puterrot, im Laufschritt): Fenädig pom-
patiert !
Der dritte Offizier: Was ruft die? Venedig — ?
Der zweite: Bin auch erschrocken — bist
auch erschrocken — weißt es is nur das andere.
Der dritte: Ah so.
Der vierte: Geh hast denn glaubt, daß die
Eigenen —
Der zweite: Nein, ich hab glaubt italienische
Flieger, no warum —
Der erste: Bist halt a Hasenfuß. Denkts euch,
gestern hab ich a Feldpostkarten kriegt!
Der zweite: Gwiß vom Fallota!
Der dritte: Du was macht er, der Fallota, is er
noch immer so ein Denker? Oder erlebt er schon
was? No ich erleb jetzt auch viel im KM.
(Es treten auf zwei Verehrer der Reichspost.)
Der erste Verehrer der Reichspost: Wir
haben uns mit den Forderungen, die Mars uns stellt,
bereits abgefunden. Wir haben bisher seine Lasten
tragen können und sind fest entschlossen, sie willig
weiter zu tragen bis zum gedeihlichen Ende.
Der zweite Verehrer der Reichspost: Der
Krieg hat auch seinen Segen. Er ist ein gar strenger Lehr-
meister der Völker, über die er seine Zuchtrute schwingt.
Der erste: Der Krieg ist auch ein Spender
von Wohltaten, ein Erwecker edelster menschlicher
Tugenden, ein prometheischer Erringer von Licht und
Klarheit.
Der zweite: Der Krieg ist ein wahrer Lebens-
spender und Lichtbringer, ein machtvoller Mahner,
Wahrheitsverkündiger und Erzieher.
Der erste: Welch einen Schatz von Tugenden,
die wir schon im Sumpfe des Materialismus und
Egoismus unseres Zeitalters erstickt glaubten, hat
doch dieser Krieg schon gehoben.
Der zweite: Hast schon Kriegsanleihe zeichnet?
ouy
Der erste: Und du?
Beide: Wir haben uns mit den Forderungen,
die Mars uns stellt, bereits abgefunden. (Ab.)
Ein alter Abonnent der Neuen Freien
Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant Steht
heut in der Presse, die morgige Nummer des
ungarischen Amtsblattes wird die Verleihung des
Titels eines königlichen Rates an den Prokuristen
von Ignaz Deutsch & Sohn in Budapest Emil
Morgenstern verlautbaren.
Der älteste Abonnent: Was jetzt alles
vorgeht! (Ab.)
Ein Krüppel (zwei Stümpfe und ein offener Mund,
in der ein'^n Hand Schuhbänder, in der andern Zeitungsblätter, mit
dumpfem Trommelton): Extrrasgabee ! Halb Serrbien
ganz arrobat!
Dvir dritte Offizier: Ganz Serbien — ?
Poldi Fesch (zu einem Begleiter): Ich sollte heut
mit dem Sascha Kolowrat drahn, aber — (ab.)
Der vierte: Das is noch gar nix, habts
ghört, 100.000 tote Katzeimacher haben s' gfangen!
(Zwei Invalide humpeln vorbei.)
Der zweite: Nix wie Tachinierer wo ma hin-
schaut, unsereins schämt sich schon, in Wien zu sein.
Einrückende älteren Jahrgangs ziehen vorbei. Man hört den
Gesang : In der Heimat, in der Heimat da gibts ein Wiedersehen —
Der dritte: Wißts was, gehmr zum Hopfner!
Der vierte: Heut is stier. Immer dieselben
Menscher —
D e r e r s t e (indem sie abgehen) : Weißt, mit Rumänien
— das is dir also kein Gspaß — weißt, aber ich
glaub halt, die Deutschen wern uns schon — (ab.)
Fünfter Zeitungsausrufer: Extraausgabee— !
Ssick auf allen Linien! Der Vormarsch der Rumänen!
(Man hört die Fiakerstimme: Im Kriag kriag i's Zehnfache!)
(Verwandlung.)
310
2. Szene
Vor unseren Artilleriestellungen.
Die Schalek: Steht dort nicht ein einfacher
Mann, der namenlos ist? Der wird mir mit schlichten
Worten sagen können, was zur Psychologie des
Krieges gehört. Seine Aufgabe ist es, den Spagat am
Mörser anzuziehen — scheinbar nur eine einfache
Dienstleistung und doch, welche unabsehbaren Folgen,
für den übermütigen Feind sowohl wie für das Vater-
land, knüpfen sich nicht an diesen Moment! Ob er
sich dessen bewußt ist? Ob er auch seelisch auf der
Höhe dieser Aufgabe steht? Freilich, die im Hinter-
land sitzen und von Spagat nichts weiter wissen als
daß er auszugehen droht, sie ahnen auch nicht, zu
welchen heroischen Möglichkeiten gerade der einfache
Mann an der Front, der den Spagat am Mörser
anzieht — (Sie wendet sich an einen Kanonier) Also sagen
Sie, was für Empfindungen haben Sie, wenn Sie
den Spagat anziehn?
(Der Kanonier blickt verwundert.)
Also was für Erkenntnisse haben Sie? Schaun Sie, Sie
sind doch ein einfacher Mann, der namenlos ist,
Sie müssen doch —
(Der Kanonier schweigt betroffen.)
Ich meine, was Sie sich dabei denken, wenn Sie den
Mörser abfeuern, Sie müssen sich doch etwas dabei
denken, also was denken Sie sich dabei?
Der Kanonier (nach einer Pause, in der er die
Schalek von Kopf zu Fuß mustert): Gar nix!
Die Schalek (sich enttäuscht abwendend): Und
das nennt sich ein einfacher Mann! Ich werde den
Mann einfach nicht nennen! (Sie geht weiter die Front ab.)
(Verwandlung)
311
3. Szene
Isonzo-Front. Bei einem Kommando.
Die Oberleutnants Fallota und Beinsteller treten auf.
Fallota (essend): Weißt, ich iß a Mehlspeis,
magst a Stickl?
Beinsteller (nimmt): Ah, eine Spehlmeis, da
gratulier ich. Du Genußspecht.
Fallota: Weißt, also da können s' sagen was'
wolln, auf die Kunst geben s' obacht bei uns, daß einer
Sehenswürdigkeit nichts gschicht, an Denkmal und
so Raritäten. Da lies ich grad im Deutschen Volksblatt,
schau her, aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet:
In der italienischen und französischen Presse wird
die tendenziöse Unwahrheit verbreitet, daß unsere
und deutsche Truppen in den besetzten russischen
Gebieten griechisch-orthoxe — dodoxe Heiligtümer,
wie Kirchen und Klöster, zu Restaurants, Cafes und
Kinos umgestalten. Diese Behauptung ist eine frei
erfundene Verleumdung. Es ist allbekannt, daß
unsere Truppen — und dasselbe kann von unseren
Verbündeten festgestellt werden — die Kirchen und
Klöster im Feindesland immer mit der größten
Pietät schonen. In unserer Armee ist die Achtung
der religiösen Zwecken gewidmeten Stätten eine
unumstößliche Tatsache, gegen die auch in diesem
Kriege sich keiner unserer Soldaten vergangen hat.
— No also, schwarz auf weiß.
Beinsteller: Da sieht man, wie im Krieg
gelogen wird.
Fallota: Weißt, also da bin ich selbst Zeuge,
also in Rußland war ich selbst einmal in ein Kino,
was früher eine Kirchen war — also ich sag dir, nix
merkt man, keine Spur von einer Verwüstung, taarlos!
B e i n s t e 1 1 e r : No ja, paar jüdische Friedhof —
das hab ich gsehn — da war ein bißl ein Durch-
einander, da hams die Grabsteiner mitgehn lassen.
312
Aber wie's in Griechenland mit orthodoxe Heilig-
tümer is, da war ich nicht, das könnt ich nicht sagen.
Fallota: Weißt, wenns überall so haklich
warn auf die Kunstwerk, könntens sich gratulieren.
Da lies ich in der Zeitung, schau her, die Redaktion
des Journal de Geneve —
Beinsteller: Ganef. (Gelächter.)
Fallota: — sammelt also Unterschriften aller
Schweizer Bürger auf einer Petition an Seine Majestät,
worin an dessen Wohlwollen und Hochi^erzigkeit
appelliert wird, um den Schutz der Kunst verke —
Beinsteller: Schmutz der Kunstwerke.
(Gelächter.)
Fallota: — in den von den verbündeten
Truppen besetzten Gebieten Italiens zu erreichen. Dazu
is a Anmerkung der Redaktion — du großartig schau
her — : »Derartige Petitionen mögen berechtigt sein,
wenn die Entente Gebiete besetzt. Bei uns sind sie
überflüssig. Denn wir sind ein Kulturvolk.«
Beinsteller: Natürlich san mr a Kulturvolk,
aber was nutzt das — wenn mas ihnen auch
hundertmal sagt, deswegen plärren s' doch, mir
sein die Barbaren.
Fallota: Weißt, mir wern 's ihnen schon
einidippeln. Wenn mr nach Venedig einikommen
mitn Spazierstöckl!
Beinsteller (singt):
In Venedig ziehn wir als Sieger ein,
Wo die Gipsstatuen und Bilder sein.
Mit den schönen Bildern feuern wir dann an.
Und als Zeltblatt dient ein echter Tizian.
Tschin! Krach! Tschindadra! Handgranaten her!
Fallota: Was hast denn da für a Lied, das
is ja großartig —
313
Beinsteller: Das kennst nicht? Das is doch
das Offensivlied, was die Einjährigen Kaiserschützen
singen. Da sind noch viele Strophen, eine schöner
wie die andere, ich hab's wo, ich wer dirs abschreiben.
Fillota: Da revanchier ich mich. Kennst
schon den Kalzelniacher-Marsch?
Beinsteller: Hab davon ghört, in der
Kriegszeitung der k. u. k. 10. Armee, gleich mit
die Noten — aber die Nummer is leider vergriffen.
Fallota: Pomali, kann ich auswendig, hör
zu. Weißt, was »Tschiff und tscheff« is?
Beinstellei: Aber ja, das bedeutet das
Geräusch beim Repetieren —
Fallota: No und »tauch«?
Beinsteller: Das bedeutet die Schußdetonation
des Mannlicher-Gewehres.
Fallota: No wennst das eh weißt — also
hör zu:
Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch,
Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch.
Wir habn sie guat getroff'n
Die andern dö san gloff'n.
Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch.
Könnan nimma Katzl mach'n,
Es tuat halt gar zviel krach'n.
Tschiff —
Den Annunzio und Sonnino
Den machma a no hino.
Tschiff —
Den Vittorio Emanuele,
Dem gerb' ma jetzt das Felle.
Tschiff —
Nun werd'n sie fest gedroschen
Auf ihre freche Goschen.
Tschiff —
314
Und anstatt Trieste,
Da kriagns Hiebe feste.
Tschiff —
Und im Land Tirol,
Kriagns a den Hintern voll.
Tschiff —
Niente per Villaco
Du talkatar Macaco.
Tschiff —
Nun habn sie voll ihrn Hefn,
Weil wir sie alle treffn,
Tschiff —
Da liegn sie nun die Schurken,
Mit eingedroschner Gurken.
Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch.
Beinsteller (der jede Strophe mit Gesten und Inter-
jektionen begleitet hat, hingerissen): Tschiff, tscheff, tauch!
Du das is aber schon großartig! Ah — ah — du —
na hörst! Weißt, so ein Humor, das is nur auf deutsch
möglich, das ham s' nicht in ihnera dalkerten Sprach,
das bringen s' nicht heraus!
Fallota: No und der Humor im Felde — in
der Nummer — also das mußt lesen!
Beinsteller: Pomali — kennst das schon?
Ich bin nämlich Sammler. (Zieht ein Notizbuch hervor)
Du, das is aus der Kriegszeitung der Heeresgruppe
Linsingen: »Ein Glücklicher.« Feldgrauer (dessen
Angebetete seinen Heiratsantrag angenommen hat):
Glaub mir, Geliebte, so glücklich hab ich mich nicht
mehr gefühlt, seit ich entlaust worden bin.
Fallota (wälzt sich): No kennst schon das
neue Büchl »Das Lausoleum« ?
Beinsteller: Natürlich.
Fallota: Momenterl — kennst das schon? Ich
bin nämlich Sammler. (Zieht ein Notizbuch hervor) Du,
315
das is aus der Kriegszeitung der 2. Armee:
»Weitermachen!« Ein Rekrut, der erst seit wenigen
Wochen im Felde ist, muß eine Notdurft verrichten —
Beinsteller: Der hats aber eilig, hätt nicht
warten können, der Schweinkerl.
Fallota: Wart, der Witz kommt erst. Muß
also eine Notdurft verrichten und geht auf eine
Latrine, die sich unmittelbar an der Dorfstraße
befindet. Da gehn zwei Leutnants vorbei. Unser
Rekrut ist erst unschlüssig, was er machen soll.
Schließlich steht er auf und erweist stramm die
vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung. Lachend erwidert
da der eine Offizier: »Sitzenbleiben, weitermachen!«
Du, das war was für die Fannitant!
Beinsteller (wälzt sich): Momenterl — kennst
das schon? Du, das is aus der Kriegszeitung der
10. Armee, weißt, mehr ein feiner Witz, Kindermund,
aber gspassig, Alstern »Kindermund.« Ich trage
einen Vollbart. Ich gehe nun eines Tages etwas
spazieren und begegne dabei einem allerliebsten
Knirps von etwa drei bis vier Jahren. Ich sehe mir
den jungen Herrn an — er sieht mich an. Plötzlich
streckt er die Hand aus: »Du Mann«, sagt er,
»warum hast du so viel Haare im Gesicht?« Zois.
Fallota (wälzt sich): Ja der Zois, der hat halt
einen Humor!
Beinsteller: Der regidiert dir die Kriegs-
zeitung, daß' ein Vergnügen is. Schon sein Name
is so gspassig — Baron Michelangelo Zois —
Michelangelo —
Fallota: Weißt das is ein Maler, so a
italienischer, weißt der Zois is aber nicht verwandt.
Beinsteller: Woher denn, mJt an Katzei-
macher!
(Verwandlung.)
316
4. Szene
In Jena. Zwei Studenten der Philosophie begegnen einander.
Der erste "Student der Philosophie:
Ach Junge ich sage dir, das Leben ist doch schön,
der Sieger vom Skagerrak ist Ehrendoktor unserer
Fakultät!
Der zweite: Offenbar wegen seiner Stellung
zu Goethe.
Der erste: Nanu?
Der zweite: Ja Menschenskind weißt du denn
nicht, er hat sich doch über das U-Boot-Gedicht
von Goethe geäußert!
Der erste: Wie, Goethe hat prophetisch
erkannt — ?
Der zweite: Nee, nicht Goethe selbst, ich
meine das berühmte Gedicht:
Unter allen Wassern ist — »U«.
Von Englands Flotte spürest du
Kaum einen Hauch ...
Mein Schiff ward versenkt, daß es knallte.
Warte nur, balde
R— U— hst du auch!
Der erste: Gottvoll!
Der zweite: Also scheinbar sagt das 'n
englischer Kapitän, aber es ist doch eigentlich von
Goethe, nicht?
Der erste: Na und Scheer?
Der zweite: Scheer hat sich darüber begeistert
geäußert, er findet es famos und wünscht, daß die
Befürchtung des englischen Kapitäns bald in Erfüllung
gehen möge.
Der erste: Hurra! Ja nun verstehe ich, warum
gerade eine so klassische Falkultät wie unser Jena —
das hätte Schillern gewiß gefreut. Unser Rektor hatte
knapp vorher so 'nem faulen Friedensfatzke das Verbot
des Generalkommandos vorgelesen, worin dem Kunden
das Handwerk gelegt wird. Hast du die Rede gelesen.
317
die unser Rektor auf der Lautcrberger Weltanschauungs-
woche gehalten hat? Fein. Ich sage dir, es geht
vorwärts. Wie sagt doch Kluck? Das Haupt der
Feinde in das Herz zu treffen, ist unser Ziel! Ja, ja,
nun ist also Scheer Doktor in Jena.
Der zweite: Schiller war Feldscheer. Dafür hat
Hindenburg leider gar keine Beziehung zur Schön-
wissenschaft.
Der erste: Nee. Seitdem ihn damals Königsberg
zum Doktor der Philosophie honoris causa gemacht
hat, als er die Panjebrüder in die Tunke setzte —
na ja, das mußte man anstandshalber, aber sonst?
Nie hat man auch nur 'n Wort von ihm gehört — ■
Der zweite: Na hin und wieder doch 'ne
Sentenz wie »Immer feste druff!« oder »Vorwärts!«
Der erste: Ach, das wird vielleicht nicht von
ihm sein.
Der zweite: Aber eben jetzt hat er das Wort
geprägt: »Ich warne vor den Miesmachern.«
Der erste: Da hätte höchstens die Universität
Berlin — in dem. Wort ist so gar kein deutscher Zug.
Der zweite: Ja wie hätte er's denn sagen
sollen?
Der erste: Wie? Ganz einfach: Ein Hundsfott,
wer 'n Miesmacher ist!
Der zweite: Nun ja — es scheint tatsächlich
nur die Marine in der Philosophie verankert zu sein.
Der erste: Oder umgekehrt.
Der zweite: Wieso?
Der erste: Na — da sieh mal (er liest eine
Zeitungsnotiz vor:) In Kiel hat ZU Pfingsten die
Schopenhauer-Gesellschaft getagt, die es sich zur
Aufgabe gestellt hat, die Gedanken dieses großen,
ebenso populären wie verkannten Philosophen zu
verbreiten und im Bewußtsein der Menschen zu
vertiefen. Den Abschluß der Tagung bildete der
Besuch des Kriegshafens, wobei die kaiserliche
Marine, vertreten durch Korvettenkapitän Schaper,
318
die Teilnehmer durch Vortrag und unmittelbare
Anschauung, einschließlich wiederholter Tauchungen,
über die Geheimnisse eines U-Bootes größeren Typs
unterrichtete.
Der zweite: Ich wußte nicht, daß Schaper
Schopenhauerianer ist.
(Verwandlung.)
5. Szene
Hermannstadt. Vor einem versperrten deutschen Buchladen.
Ein preußischer Musketier (schlägt an die Tür):
Machen Se man uff, sonst schlagen mer Ihnen die
Bude ein — wir Deutsche haben Hunger nach Büchern !
Der deutsche Buchhändler (öffnet): Aus
Freude über diese Drohung, nicht aus Furcht
gehorche ich ihr. Mein Ehrgeiz als deutscher Buch-
händler ist es, recht viele deutsche Brüder mit
deutschen Büchern versorgen zu können. Denn für
uns Deutsche ist das Beste gerade gut genug. Was, da
staunt ihr deutschen Brüder, so fern vom deutschen
Vaterlande 'nen Laden voll guter deutscher Bücher zu
finden! Stillen Se immer mang ungeniert Ihren echt
deutschen Bildungshunger, während ich mich stracks
hinsetzen will, um dem Börsenblatt für den deutschen
Buchhandel dieses deutsche Erlebnis zu berichten.
(Verwandlung.)
6. Szene
In der Viktualienhandlung des Vinzenz Chramosta.
Chramosta (zu einer Frau): Der Schmierkas?
Zehn Deka vier Kronen! — Was, zu teuer? Auf
d' Wochen kost er sechse, wanns Ihna net recht
is, gehn S' um a Häusl weiter und kaufn S'
Ihna an Dreck, der wird nacher bulliger sein,
Schamsterdiener! — (Zu einem Mann) Wos wolln Sö?
319
Kosten wolln So? So Herr So, was glaubn denn So?
Jetzt is Kriag! Wann Ihna a Dreck besser schmeckt,
probiern S' 'n! — (Zu einer Frau) Was stessen S'
denn umanand, a jeder kummt dran! Wos wolln S'?
A Gurken? Nach'n Gwicht, aber dös sag i Ihna
glei, zwa Kronen die klanste! — (Zu einem Mann)
Wos? A Wurscht? Schaun S' daß weiter kummen
So Tepp, wo solln mir denn jetzt a Wurscht her-
nehmen — was sich die Leut einbilden, wirklich groß-
artig! — (Zu einer Frau) Wos Schaun S' denn? Dös
is guat gwogn, 's Papier wiegt aa! Jetzt is Krieg!
Wann's Ihna net recht is, lassen S' es stehn,
kummen S' mr aber net mehr unter die Augen, So
blade Urschl, dös sag i Ihna! — (Zu einem Mann) So,
räsonniern S' da net allaweil herum, glauben S' i hörs
net? So kriagn heut überhaupt nix — solche Kund-
schaften wia So aner san hob i scho gfressn, schaun S'
daß außi kummen! — (Zu einer Frau) Der Gmüs-
salat kost zwölf Kronen! — Wos? Angschriebn? ja
angschriebn san acht Kronen, dös kann scho sein,
aber kosten tuat er halt zwölfe. Dös san meine Höxtpreis,
da wird net a luckerter Heller abghandelt! Wann S' ihn
heut net wolln, kummen S' muring, da kost er
vierzehne, habdjehre. So Drahdiwaberl So — olstan,
firti, verstanden ? (Murren unter den Kunden.) Wos hör i
do? Aufbegehren? Wann i no an Muckser hör, loß
i olle wias do san einspirrn! War net schlecht!
Für heut könnts gehn olle mitananda. Gfreut mi
nimmer. So aner notigen Bagasch verkauf i über-
haupt nix! (Die Anwesenden entfernen sich murrend. Ein
Marktamtskommissär tritt ein.)
Der Marktamtskommissär: Revision!
Chramosta (verblüfft): Refision — ?
Der Marktamtskommissär: Ich bitte um
die Faktura vom Gemüsesalat.
Chramosta (sucht lange herum, überreicht sie zögernd) :
Ja — dös is — aber net — maßgebend. I hob extra
no zohln müassn, daß i 's überhaupt kriag!
320
Der Marktamtskommissär (notiert): Einkaufs-
preis 4 Kronen 50 Heller. Wie ist der Verkaufspreis?
Chramosta: No — achtl Können S' denn
net lesen? Ja glauben denn So, unserans kriagt die
Fiktualien gschenkt? Überhaupt — die Preise ham
mir zu bestimmen, mirken S' Ihna dös! Do
san mir kompatent! Wanns meinen Kunden recht
is, gehts die Behörde an Schaß an! Jetzt is Kriag!
Der Marktamtskommissär: Hüten Sie sich,
in diesem Ton fortzufahren! Ich mache die Anzeige
wegen Preistreiberei!
Chramosta: Wos? So Hund So elendiger!
So wolln mi umbringen? I bring Ihna um!
(Er schleudert eine auf dem Verkaufspult stehende Porzellan-
schüssel mit Streichkäse im Gewichte von zwölf Kilogramm auf
den Beamten, ohne ihn zu treffen.)
Der Marktamtskommissär: Die Folgen
dieser Handlungsweise werden Sie sich selbst zuzu-
schreiben haben!
Chramosta: Wos? i — ? So Herr — hab ich
Ihna vielleicht beleidigt? No olstan! Liaber Herr,
do müassen S' früher aufstehn! Wer san denn So?
I wir Ihna scho zagn, wer i bin und wer So san!
Mi wern S' net aufschreiben — mi net! I hob Kriags-
anleih zeachnet, wissen S' wos dös heißt? Überhaupt —
wos wolln denn So bei mir hier herin? I bin Steuer-
zahler, daß S' es wissen! I scheiß Ihna wos! Dös hab i
scho gfressen, wann aner do einakummt, in die Preis
umanandstierln — so a urtanärer Mensch, schämen
S' Ihna — wann S' net auf der Stöll mein Logal
verlassen, bin i imstand und vergreif mi an Ihna!
(Er ergreift zwei Messer.)
Der Marktamtskommissär (zur Tür retirierend):
Ich warne Sie!
Chramosta: Wos, warnen a no? So Amts-
person So! So Hungerleider! I bring Ihna um!
(Wirft ihm einen Korb mit Haselnüssen nach.) A SO a Beidll
(Verwandlung.)
321
7. Szene
Zwei Kommerzialräte aus dem Hotel Imperial tretend. Ein
Invalide humpelt vorbei.
Erster Kommerzialrat (sich umsehend) : Is kein
Wagen da? Schkandaal!
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberfahrendes
Automobil zielend): Auto — !
Der erste (einem Fiaker nachrufend): Sie — sind
Sie frei?
Der Fiaker (achselzuckend): Bin bstöllt!
Der zweite: Das einzige was ma noch hat,
daß ma überhaupt noch was zum essen kriegt
(sie werden von Bettlern aller Art umkreist) — Der junge
Rothschild wird auch alt. Er kann doch höchstens
— wie lang is das her, warten Sie —
Der erste: No is das eine Stimmung in dem
Wien? Wissen Sie, was die Leut sind? Ich wer Ihnen
sagen, was die Leut sind. Kriegsmüde I Das sieht
doch ein Blinder! (Ein blinder Soldat steht vor ihnen.)
Schaun Sie schnell, wer is die was jetzt hereinkommt?
Der zv.'^eite: Das wissen Sie nicht? —
warten Sie — das is doch die — vom Ballett, wie
heißt sie — die Speisinger! wissen Sie, die mit dem
roten Pollack I — Also richtig, was sagen Sie, der
alte Biach hat Kriegspsychose!
Der erste: Was Sie nicht sagen. Wieso zeigt
sich das?
Der zweite: Jedes zweite Wort von ihm is
aus dem Leitartikel — überspannt!
Der erste: Überspannt war er doch immer.
Zerreißt sach für die Nibelungentreue. Schigan I
Der zweite: Noja aber so wie jetzt? Er is
aufgeregt, wenn man sich nicht gleich erinnert. Er
redt sich ein, die Sticheleien der Entente sind auf
ihm. Außerdem hat man Zeichen von Größenwahn
konstatiert.
Die letzten Tage der Menschheit. 31
322
Der erste: Wieso zeigt sich das?
Der zweite: Er bildet sich ein, er is Er.
Der erste: Das is traurig.
Der zweite: No was is, no harn Sie Ihren
Buben in dem Dingsda — Kriegsarchiv untergebracht?
Der erste: Ja, aber er hat doch einen Bruch,
und da hoff ich, daß sie ihn bald wieder auslassen.
Er will höher hinaus, Sie wissen doch, Ben Tiber
will ihn als Dramaturg nehmen. Er hat einen Bruch,
Der zweite: Mein Jüngster hat Talent. Ich
hoff auch — Aber jetzt zitter ich nur, daß mir das
gelingt mit dem Lepold Salvator, morgen bin ich also
in Audienz — meine Frau kriegt einen Breitschwanz.
(Eine Bettlerin mit einem Holzbein und einem Armstumpf
steht vor ihnen.)
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberfahrendes
Automobil zielend) : Auto — !
(Verwandlung.)
8. Szene
Der alte Biach erscheint sinnend.
Der alte Biach: Die Nase der Kleopatra
war eine ihrer größten Schönheiten. Sibyl war die
Tochter einesArbeiters. (Sich vorsichtigumblickend)Tell sagt,
jeder geht an sein Geschäft und meines ist der Mord,
(Nach einer Pause, mit raschem Entschluß und heftiger Bewegung)
Das erste muß jetzt sein, daß der Reisende die
Fühlhörner ausstreckt und die Kundschaft abtastet.
(Mit Genugtuung) Iwangorod röchelt bereits. (Mit schlecht
verhohlener Schadenfreude) Poincare ist erschüttert und
Lloyd-George gedemütigt. (Mit Qewure) Engländer und
Deutsche werden sich in Stockholm begegnen, (ab.)
(Verwandlung.)
323
9. Szene
Kriegsarchiv.
Ein Hauptmann. Die Literaten,
Der Hauptmann: Sie da, Sie arbeiten mir also
die Belobungsanträge aus, als Theaterkritiker vom
Fremdenblatt wird Ihnen das ja nicht schwer fallen.
— No und Sie, also Ihr Föleton über die franzesische
Büldhauerin, Auguste, wie heißt sie nur, also so
ähnlich wie Rodaun, sehr fesch war das gschriebn,
also mit Ihrer Feder wird Ihnen das ja nicht
schwer fallen, das Vorwort für unsere grundlegende
Publikation »Unter Habsburgs Banner«, aber wissen S',
was Packendes muß das sein, was halt ins Gemüt geht
und daß S' mir also naturgemäß nicht auf Ihre kaiser-
liche Hoheit die durchlauchtigste Frau Erzherzogin
Maria Josef a vergessen! — Und Sie, Müller Robert, was
is denn mit Ihnen, mir entgeht nichts, Ihr Artikel damals
übern Roosevelt war sehr frisch gschrieben, bißl zu viel
Lob, schaun S' also daß Sie mir den Aufsatz »Was
erwarten wir von - unserem Kronprinzen?« bald
abliefern! Sie haben sich ein bißl zu stark für die
Ameriganer engagiert, aber das soll Ihnen weiter
nicht schaden. — Sie, was is denn mit dem Doppelaar,
is der noch nicht fertig? Lassen S' an frischen Wind
durch die stählernen Schwingen des Doppelaars
sausen! — Ja aber was is denn mit Ihnen mein Lieber?
Seit Sie aus dem Hauptquartier zurück sind, legen Sie
sich auf die faule Haut! Sie ham sich dort ein Leben
angewöhnt! Ich will Ihnen aber was sagen. Daß
Seine kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr
Erzherzog Friedrich von Ihren Kriegsgedichten
begeistert ist, kann Ihnen genügen, mir genügt
das noch lange nicht! Also schaun S' dazu, daß
der Weihegesang an die verbündeten Heere bald
abgliefert wird, sonst kommen S' mir zum Rapport! —
Na, Werfel, was is denn mit'n Aufruf für Görz?
Nur net zu gschwolln, hören S'? Alles mit Maß!
21*
324
Sie haben viel z'v^iel Gfühl, das is mehr fürs Zivül.
— Na ja Sie dort, selbstverständlich! Sie san ja ein
Expressionist oder was, Sie müssen immer eine
Extrawurscht haben. Aber das nutzt Ihnen nix, grad
von Ihnen erwart ich, daß die Skizze »Bis zum
letzten Hauch von Mann und Roß«, die ich Ihnen
aufgegeben habe, endlich in Angriff genommen
wird, fix Laudon! Der »Durchbruch bei Gorlice«
is Ihnen ja nicht übel gelungen. — (Zu einer Ordonnanz,
die eben eintritt) Was is denn scho wieder? Ah richtig.
(Er übernimmt Photographien) Sehr drastisch! Das sind
nämlich die Aufnahmen von der Hinrichtung vom
Battisti. Ah, ah, unser Scharfrichter Lang is aber zum
Sprechen ähnlich getroffen! Also das is für Sie dort
zum Einreihen! Beschreiben S' es und tun S' es zu
die andern, zu die tschechischen Legionäre und die
Ukrainer und so. — Und das? ja wie soll man denn
das rubrizieren? Das is nämlich das prächtige
Gedicht über den Mullatschak bei Seiner kaiserlichen
Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Max
am Monte Fae, das is ein Fressen für unsere Lyriker,
passen S' auf:
Am Fae der Kommandant
Hoheit freundlich und charmant.
Froh begrüßt er seine Gäste
Und bewirtet sie aufs beste.
Offen hält er Küch' und Keller.
Jeder sitzt vor seinem Teller.
Ujegerl aber nacher gehts schief. Da is dann die
gspaßige Stelle, wie's immer mehr aufladnen, bis einer
also naturgemäß nicht mehr weiter kann —
Knöpft sich auf und macht sich los
Das Krawattl und die Hos'.
Na und am End wird also naturgemäß gspieben.
Das is gspaßig! Und was da noch alles passiert!
325
Doch die Ordonnanz, schau, schau,
Hält er für 'ne Kammerfrau —
Kneift mit zärtlichem Verlangen
Ihr den Arm und die Wangen.
Doch darauf für alle Zeiten
Wollen wir den Mantel breiten.
Sehr gut! Am nächsten Tag wird dann also natur-
gemäß weitergsoffen. ^^
Aus dem Faß der letzte Tropfen.
Was, den Magen sie zu stopfen,
Jeder sich aufs Brot geschmiert
Und an Fetten konsumiert —
no das kann man sich ja denken, also darüber
versteht sich waren dann also naturgemäß die Köche
sehr ärgerlich, - aber die kaiserliche Hoheit hat a
Freud ghabt. Na und wie s' nacher in ihre Stellungen
zruckkommen, ujegerl —
Jeder hat mit seinem Affen
Eine schwere Last zu schaffen.
Ausgschaut hams! — Also, dieses Gedicht kommt
schon deswegen für das Kriegsarchiv in Betracht,
also naturgemäß nicht bloß wegen dem Humor im
Felde und weil darin die Gastfreundlichkeit Seiner
kaiserlichen Hoheit gefeiert wird, sondern auch
deshalb, weil es eine Raridät is! Es is nämlich in der
Frontdruckerei im schwersten Trommelfeuer gedruckt
vvorn, da kriegt man einen Reschpekt, no und man
muß zugeben, daß es ein sehr ein geschmackvoller
Druck is. — Sie Korpral Dörm.ann, da nehmen
S' sich ein Beispiel, geben S' Ihnerem Musenroß die
Sporen, seit damals wo Sie die Russen und die Serben
in Scherben ghaut ham, sind Sie schweigsam gworn.
Was is denn? Das war doch so kräftig:
Und einen festen Rippenstoß
Kriegt England und der Herr Franzos.
Da waren S' der reine Dörmann in Eisen!
326
Wir werden 's euch schon geben.
Jetzt sollt ihr was erleben.
Das große Maul habt ihr allein,
Wir aber, wir, wir pfeffern drein.
Alstern — pfeffern S' drein! Was san S' denn so
melankolisch? Na ja, ich kanns Ihnen nachfühlen,
daß Sie sich also naturgemäß lieber draußen
betätingern möchten als wie herint. Das is zwider.
,1 Dörmann:
Ich neid es jedem, der da draußen fiel.
Die Pflicht allein trennt mich vom letzten Ziel!
Der Hauptmann: Das is brav, wie Sie mit
gutem Beispiel vorangehn. — No und Sie Müller Hans,
bei Ihnen braucht man keine Aufmunterung, Sie
sind ja eh tüchtig. Haben S' wieder eine Fleißaufgabe
gmacht? Da schau her, »Drei Falken über dem Lovcen« !
Das is viel. Ich werde nicht verfehlen, über Sie mit
dem Herrn Generalmajor zu sprechen.
Hans Müller: Wir haben die größere Süßig-
keit der Pflicht erkannt, wir zerbrechen unter ansern
Taktschritten ein unnützes Leben, das dem bunten
Schein näher war als der Wirklichkeit.
Der Hauptmann: So is recht. Aber wissen S',
was mich intressieret? Jetzt möcht ich einmal aus
Ihrem eigenen Mund eine authentische Auskunft
darüber, wie Sie bei Kriegsausbruch Ihren Mann
gstellt hab'n. Also das wunderschöne Feuilleton vom
Cassian im Krieg, also wie S' da das Ohrwaschel
auf die russische Ebene legen, also das weiß man,
das ham S' also naturgemäß in Wien g'schrieben,
also da war' mr alle paff wie S' das troffen hab'n.
Aber beim Kriegsausbruch — da waren S' doch
persönlich zugegen, in Berlin? Da ham S' doch also
naturgemäß die Verbündeten abpusselt — wissens S'
da gibts aber Leut, die reden herum, daß Sie das
auch in Wien tan hab'n, auf der Ringstraßen, der
Fackelkraus und so, wissen S' die Leut ham halt
327
eine böse Goschen. Jetzt sagen S' mir also, wie sich
das verhaltet und ob Sie damals in Berlin oder nur
in Wien waren — das is doch etwas, was also
naturgemäß für das Kriegsarchiv wichtig is!
Hans Müller: Herr Hauptmann melde ge-
horsamst, männiglich weiß, daß ich den Kriegs-
ausbruch effektiv in Berlin mitgemacht habe und
daß es sich genau so verhält, wie ich es in meinem
Feuilleton »Deutschland steht auf« am 25. August 1914
geschildert habe. Wir standen keines Überfalls
gewärtig, an der Neustädtischen Kirchstraße, soeben
war, ich sehe es vor mir, ein russischer Spion vom
Rachen aer Menge verschlungen worden — da sehe ich,
wie sich ein Zug von einfachen Leuten, unsere gute
schwarzgelbe Fahne vorantragend, stracks gegen das
Brandenburger Tor bewegt. Sie singen unsere geliebte
Volkshymne. Ich, nicht faul, singe mit. »Gott erhalte,
Gott beschütze« singe ich laut zur nächsten Strophe.
Da schaut ein Marschiernachbar mich eine Sekunde
herzlich an, dann legt er seinen Arm unter den
meinen, preßt ihn kameradschaftlich an sich —
Der Hauptmann: Aha, Schulter an Schulter.
Hans Müller: — und singt nun von meinen
Lippen den gleichen Text ab, den ich selber singe.
Diesen Wackeren — er war ein schnauzbärtiger Gesell,
war nicht gerade schön und auch nicht das, was man
hochelegant nennt — habe ich vor der österreichisch-
ungarischen Botschaft auf den Mund geküßt.
Der Hauptmann: Hörn S' auf! Also wann
das der Szögyeny vom Fenster gsehn hat, wird er
a Freud ghabt hab'n.
Hans Müller: Wahrscheinlich klingt das in
der Nacherzählung pathetisch —
Der Hauptmann: Ah woher denn.
Hans Müller: — und der Beifall der Ultra-
ästheten dürfte mir dafür nicht beschieden sein —
(Murren unter den Literaten, Oho-Rufe.)
Der Hauptmann: Stad sein!
328
Hans Müller: Aber ich weiß, daß, wenn die
Gioconda dereinst selbst aus ihrem Rahmen stiege
und mir das einzige Lächeln ihrer Lippen darböte,
ihre Umarmung mich nicht so im Innersten beglücken
und erschüttern würde, wie der Bruderkuß auf die
Lippen dieses wunderbaren deutschen Mannes.
Der Hauptmann (gerührt): Das is brav von
Ihnen! No und was ham S' in dera großen Zeit
sonst noch erlebt?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehor-
samst, ewig unvergeßbar wird mir die Sommermittags-
stunde bleiben, da Männer und Frauen im königlichen
Dom zum Altar traten, den Gott der deutschen
Waffen anzurufen. Auf der Empore des Domes sitzt
der Kaiser, aufrecht, den Helm in der Hand. Zu
seinen Füßen, ein schwarzes Meer —
Der Hauptmann: Aha, da war er schon in
Konschtantinopel.
Hans Müller: — wogen die Gläubigen. Die
Orgel braust gewaltig von oben herab, durch die
Fenster bricht die Sonne i^'id wie ein heiliger Schrei
hebt sich —
Der Hauptmann: Is scho guat, wissen S' die
Stimmungsmalerei intressiert mich weniger als was
Sie damals persönlich geleistet hab'n.
Hans Müller: Frauen und Männer fassen
sich an den Händen, die Orgel braust —
Der Hauptmann: Zur Sache!
Hans Müller: Zu Befehl. Ein heißes Würgen
steigt mir in die Kehle, noch nehme ich mich fest
zusammen, denn ich stehe inmitten von lauter tapferen,
beherrschten Männern, und in diesen Tagen darf man
sich nicht als Schwächling zeigen. Aber jetzt sehe
ich auf den Kaiser Wilhelm, der wie in einem
unbeschreiblichen Übermaß von Erregung den
bleichen Kopf senkt, tief hinab, die erschütternden
Klänge läßt er über seine Stirn hinziehen —
Der Hauptmann: Ah ia schaurija!
329
Hans Müller: — mit einer inbrünstigen Gebärde
preßt er den Helm dicht vor seine Brust. Da kann
ich mich nicht mehr retten —
Der Hauptmann: Ja was is Ihnen denn
gschehn?
Hans Müller: — ich schluchze laut hinaus —
Der Hauptmann: Gehst denn net.
Hans Müller: — und siehe, die tapferen
Männer neben mir, grauhaarig und beherrscht, sie
alle schluchzen ohne Scham mit mir mit. Wissen
sie auch, was dem armen unmilitärischen Gast in
ihrer MÜte das Herz aufwühlt? Durch den Schleier
der jäh hervorstürzenden Tränen sehe ich neben
ihrem edlen Herrn einen anderen stehen, meinen
eigenen Kaiser, meinen ritterlichen, alten, gütigen
Herrn —
Der Hauptmann: Net plaazen Müller!
Hans Müller: — imd aus tiefster Seele
mische ich jetzt mein Gebet brüderlich mit dem
ihren: »O Gott, der du über den Sternen bist, segne
in dieser Stunde auch Franz Joseph den Ersten,
segne mein altes, teures Vaterland, daß es stark
bleibe und blühe — für und für — segne meine
Brüder, die jetzt für unsere Ehre hinausziehen zu
Not und Tod, segne uns alle, unsere Zukunft, unsere
Faust, unser Geschick — Herr und Gott, der du
die Lose der Menschen und Völker in deinen Händen
hältst, aus heißester, inbrünstigster Heimatliebe
rufen wir alle, alle zu dir . . .« — Herr Hauptmann,
melde gehorsamst, das ist der Schluß vom Feuilleton.
Der Hauptmann: Da steckt noch eine echte
Empfindung drin. Sag'n S', was zahlt jetzt die Presse
für ein Gebet — ah — für a Feuilleton wollt ich
sag'en.
Hans Müller: Herr Hauptmann melde
gehorsamst, 200 Kronen, aber wahrlich, ich hätte es
auch um Gottes Lohn getan! Hei.
330
Der Hauptmann: Nein, Sie hab'n ja mehr
dafür kriegt, Ilinen is die höchste Ehre zuteil geworden,
die einem Herrn von der Presse zuteil werden kann —
der deutsche Kaiser hat Sie in der Wiener Hofburg
empfangen, er is ein Verehrer Ihrer Muse, ich verrat
Ihnen da kein Geheimnis, man munkelt sogar, daß
Sie den Lauff ausgstochen haben. Ich benütze die
Gelegenheit, Ihnen dazu meine Gratulation auszu-
sprechen. Hörn S', wie waren die Begrüßungsworte
Seiner Majestät, Sie hab'n das ja so schön beschrieben —
Hans Müller: Der Kaiser kommt mir bis an
die Tür entgegen, er streckt mir die Hand hin,
er blickt mich aus seinen großen, strahlenden Augen
mit dem gütigsten Lächeln an und sagt: »Sie haben
uns im Kriege eine so schöne Dichtung geschenkt —
was dürfen wir im Frieden von Ihnen erwarten?«
Der Hauptmann: Einen schweinischen
Schwank — hätten S' sagen solln.
Hans Müller: Herr Hauptmann, melde
gehorsamst, vor dieser Stimme schwindet sogleich
jede Befangenheit — aber den Mut habe ich doch
nicht aufgebracht, Herr Hauptmann!
Der Hauptmann: No ja, 's is a hakliche
Situation. Sagen S' mir jetzt nur, was hat Ihnen denn
den stärksten Eindruck am deutschen Kaiser gmacht?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde
gehorsamst — alles!
Der Hauptmann: Und sonst nix?
Hans Müller: Ich bin noch so erschüttert,
daß ich nicht imstande wäre, die zaubervolle Macht
der Persönlichkeit, diese ganz selbstverständliche
Würde, die Leuchtkraft dieser Augen, die einen
nicht loslassen und wie der Spiegel einer klaren,
im tiefsten Sinne sittlichen Natur —
Der Hauptmann: Hörn S' auf! No also
wissen S' — daß der deutsche Kaiser auf einen
Brünner Juden hereinfallt, das is schließlich also natur-
gemäß kein Wunder. Aber daß ein Brünner Jud auf
1
331
den deutschen Kaiser hereinfallt — das is unglaublich!
(Eine Ordonnanz kommt und überbringt einen Brief.) Was is
denn scho wieder? (Er liest.) Also da legst di nieder. Das
betrifft S i e Müller. (Müller erschrickt.) Der Herr General-
major befiehlt, daß Sie sofort aus dem Kriegsarchiv
zu entlassen sind. (Müller erbleicht.) Es ist ein Hand-
schreiben Seiner Majestät des deutschen Kaisers ein-
gelangt, worin er ersucht, daß man den Dichter der
»Könige« nicht durch Verwendung im k. u. k. Kriegs-
archiv seinem eigenen Schaffen entziehen möge.
(Murren unter den Literaten.) Stad sein! — Leben S' wohl,
Müller! Aber wissen S', was? (Mit Rührung) Die drei
Falken über dem Lovcen — die schreiben S' uns
noch fertig! Und wenn Sie dann wieder für sich
arbeiten können, und sich also naturgemäß auf die
Friedensproduktion emsielln — dann wern S' doch
manchmal an die Stunden Ihrer Dienstzeit zurück-
denken, dann wern S' sagen können: schön wars
doch — und sich hoffentlich auch weiterhin mit dem
Kriegsarchiv verbunden fühlen.
Hans Müller: Auf Gedeih und Verdeib!
(Verwandlung.)
10. Szene
Ein chemisches Laboratorium in Berlin.
Der Geheime Regierungsrat Professor
Delbrück (sinnend): Die englischen Zeitungen ver-
breiten seit einiger Zeit wieder mal allerlei Mitteilungen
über den angeblich schlechten Ernährungszustand
der deutschen Bevölkerung. Es spricht nicht gerade
für die große Kriegsfreudigkeit unter dem englischen
Volke, wenn seine Stimmung immer wieder durch
die Verbreitung solcher Nachrichten gehoben werden
muß, die allesamt mit den Tatsachen in direktem
Widerspruch stehen. Ärztlicherseits wurde ausdrücklich
die Bekömmlichkeit der gegenwärtigen Kriegskost
332
festgestellt, der wir es zu verdanken haben, daß die
Erkrankungen, bei Männern wie bei Frauen, in
ständigem Rückgang begriffen sind. Von den
Säuglingen gar nicht zu reden, für die in völlig
ausreichender und vorbildlicher Weise gesorgt wird.
Sogar das Wolffbüro muß zugeben, daß unsere
Krankenhäuser im Kriege weit weniger belegt sind
als in Friedenszeiten und daß die vereinfachte
Lebensweise für viele Personen direkt gesundheits-
fördernde Vv'irkungen gehabt hat. Und nun gedenke
ich in der 66. Generalversammlung des Vereines der
Spiritusfabrikanten Deutschlands auseinanderzusetzen,
daß wir diesen Erfolg zuvörderst der Mineralnährhefe
zu verdanken haben. (Stellt sich in die Positur des Redners.)
Der Eiweißgehalt der Mineralnährhefe, der ihren
Nährwert bestimmt, wird vorzugsweise durch die
Verwendung von Harnstoff gewonnen. Meine Herrn!
Wir erleben hier einen Triumph des reinen Geistes
über die rohe Materie. Die Chemie hat das Wunder
bewirkt! Eine schon 19 15 begonnene Arbeitseinrichtung
wurde aufs neue mit großem Erfolge aufgenommen:
die Ersetzung des schwefelsauren Ammoniaks bei der
Erzeugung der Hefe durch Harnstoff. Meine Herrn!
Ist aber der Harnstoff so zu verwenden, so liegt
auch die Möglichkeit vor, in derselben Richtung den
Harn und die Jauche heranzuziehen. (Ab).
(Verwandlung.)
11. Szene
Vereinssitzung der Cherusker in Krems.
Pogatschnigg, genannt Teut: — Wodan
ist mein Schwurzeuge, nicht mehr fern sind die
Tage, wo wieder Speise und Trank reichlich
vorhanden sein werden, wo uns wieder vom
feisten, knusperigen Schwein ein artig Lenden-
stücklein erfreuen wird, mit zartgebräunten Erd-
äpfeln, in wirklicher und wahrhaftiger Butter duftig
333
gebraten, kleine zierliche Gurken, wie sie Znaims
Wonnegefilden holdselig entsprießen, dazu ein dunkler
Gerstensaft aus Kulmbachs bajuvvarischen Gauen (Heil-
Rufe. Es klingt wie »Hedl!<) — ein herzhaft Brot, aus Roggen
schmackhaft geknetet und gebacken, und ein leckerer
Salat! Stolze Vindobona am. alten Nibelungenstrom, bis
dahin heißt es durchhalten! (Rufe: Wacker!) Der herrliche
Angriff auf die Welschen, der diese Abruzzenschufte aus
Tirols ewigen Bergen hoffentlich für immerdar hinaus-
befördert, ist uns gelungen! (Rufe: Hedl!) Zuversichtlich
erwarten wir, daß auch der moskowitische Bär mit
blutenden Pranken weidwund heimschleicht! Und ihm
nach die Knoblauchduftenden, unsere Kohnnationalen!
Heil! (Rufe: Bravo! Hedl! Hoch Teut! Hoch Pogatschnigg!)
Eine Stirn. me: J idelach! (Heiterkeit.)
Frau Pogatschnigg (ergreift das Wort): Nicht
rasten und nicht rosten, lautet ein gutes deutsches Wort.
Wie sagt doch BarbaraWaschatko, dieDeutschesteunter
den Deutschen, in der Ostdeutschen Post: Strickend
haben wir das alte Jahr beendet, strickend fangen
wir das neue wieder an. Nie sind unsere Gedanken
mehr bei denen draußen im Felde als jetzt, wo
Schnee mit Regen und Glatteis abwechselt und wo
wir uns fragen, was für unsere tapferen Krieger das
Härteste ist: die rote Sonnenkugel, die Hornungs
an einem kalten Himmel hängt, oder das Wasser, das
unaufhörlich und trübselig in die Schützengräben rinnt
— tuk tuk tuk. (Rufe; Hedl! Wacker!) Aber bei uns Frauen
mischt sich nun einmal das Lächeln gern unter die
Tränen, und selbst im Schmerz zeigen wir noch das
Bedürfnis, schön zu sein. Schmückte sich nicht auch
Kleopatra zum Sterben? (Rufe: So ist es! Wacker! Hedl Resitant!)
Winfried Hromatka i. a. B.: Ehrenfeste
Bundesbrüder und Bundesschwestern! Als Vertreter
der Jungmannschaft ist es nicht nur meine Pflicht, den
Treuschwur zu erneuern, wonach wir den uns auf-
gezwungenen Kampf bis zum siegreichen Ende,
scilicet bis zum letzten Hauch von Mann und Roß
334
durchführen werden. (Rufe: Hedl!) Denn, Ehrenfeste,
ein deutscher Friede ist, wie unser Altmeister Hinden-
burg so treffend gesagt hat, kein weicher Friede.
(Rufe: Hurra!) Nein, es ist auch unsere Pflicht, unserer
Walküren zu gedenken, welche den Heide« trost-
reich beistehen und als deren vornehmste Vertreterin
ich meine ehrenfeste Vorrednerin begrüßen möchte.
(Hedl !) Dem Feinde Trutz, aber dem schönen Geschlechte
Schutz! Die Resitant lebe hoch! (Rufe: Hurra! Hedl
Resitant!)
Kasmader (erhebt sich): Meine ehrenfesten
Bundesbrüder und Bundesschwestern! Wir haben heute
wahrhaft zu Herzen gehende deutsche Worte ver-
nommen. Als Vertreter der deutschen Postler m.öchte
ich eine Anregung geben in den Belangen der
Selbstbeschränkung, indem daß wir, eingekreist von
britischem Neid, welschem Haß und slawischer
Arglist, mehr denn je auf Selbstbefriedigung im
deutschen Haushalt angewiesen sind. (Rufe: Wacker!)
Ich möchte diesbezüglich den Vorschlag machen,
durch Freigabe der weiblichen Bediensteten in
deutschen Haushaltungen deutsche Kämpfer für
das Heer frei zu bekommen und überdies noch
Mittel für padriotische Scherflein zu gewinnen.
Auch werden wohl alle deutschen Frauen
und Mädchen die in Kriegszeiten innegehabten
Stellen um so lieber den heimkehrenden Helden
wieder überlassen, als dieselben ihnen für die
Beschützung des deutschen Herdes diesbezüglich zu
größtem Danke verpliichtet sind. (Rufe: Wacker! Hedl!)
Erst wenn dieselben nicht ausreichen, ist in diesen
Belangen auf die weiblichen Kräfte zu greifen. Die-
selben aber würden den schönsten Lohn in dem
erhebenden Gefühle finden, im Hinterlande auch
ihr Scherflein zu der erreichten Errungenschaft beige-
tragen zu haben. Denn fürwahr, ein jedermann nimmt
mit der größten Opferwilligkeit hier im Hinterlande an
dem Kampfe teil. Und so schließe ich denn mit
335
der Aufforderung zum Durchhalten, die ich in einem
selbstverfaßten Gedichte niedergelegt habe. (Rufe:
Hört! Hört!)
Gut ist, wenig Seife brauchen, (Rufe: Wacker! Bravo
Kasmader!)
Besser noch ist, gar nicht rauchen. (Gelächter)
Aber weite Kleider tragen (Rufe: Pfui!)
Öfter gar mit vielen Kragen,
Hohe Lederschuh' am Bein (Rufe: Pfui! Welsche Sitten!)
Das muß wahrlich auch nicht sein! (Rufe: Sehr richtig!)
Statt darauf das Geld zu wenden,
Soll dem Vaterland man's spenden. (Rufe: Hedl! Hedl!
Redner wird beglückwünscht.)
Übel hör (erhebt sich und liest von einem Blatt):
Wenn ich mir etwas wünschen sollt.
Ich wüßt' schon lange, was ich wollt!
Ein Knödel müßt' es sein,
Aus Semmeln gut und fein!
(Heiterkeit. Rufe: Wir auch! Hedl! Hedl!)
Homolatsch (erhebt sich, blickt durch seine goldene
Brille starr vor sich hin und spricht mit erhobenem Zeigefinger):
Mein deitsches Weip — mein Heim — mein Kind —
Mir das Liebste — auf Erden — sind.
(Setzt sich schnell nieder. Rufe: Hedl! Bravo Homolatsch! Hedl!)
(Verwandlung.)
12. Szene
Tanzunterhaltung in Hasenpoth. Baltischer Herr und baltische
Dame im Gespräch.
Herr: Fräilen.
Dame: Was mäinen Se.
Herr: Se tanzen nich.
Dame: Näin.
Herr: Warum.
Dame: Tanz ich, so schwitz ich. Schwitz ich,
so stink ich. Tanz ich nicht, schwitz ich nicht, stink
(Verwandlung.)
336
13. Szene
Revisionsverhandlung des Landgerichtes Heilbronn.
DerStaatsanwalt: Im Juni dieses Jahres
hat die Angeklagte ein Kind geboren, dessen Vater
ein französischer Kriegsgefangener ist. Der Franzose,
von Beruf Kellner, ist schon seit 1914 in Gefangen-
schaft geraten. Er war vom Ende 1914 bis 1917 auf
dem Schloßgut. Hier wurde er mit den verschiedensten
Arbeiten, vor allem mit Feld- und Gartenbestellung
beschäftigt. An dieser Betätigung nahm die ange-
klagte Freiin selbst regelmäßig Anteil. In der Ver-
handlung vor der Strafkammer versuchte die Ange-
klagte, den französischen Vater ihres Kindes der
Vergewaltigung zu beschuldigen. Damit fand sie
beim Gericht allerdings keinen Glauben. Auffällig
war, daß die Angeklagte diese Verteidigung zum
erstenmal vorbrachte. Die Angabe war schon deshalb
hinfällig, weil der gefangene Franzose nach dem
Eintritt der Schwangerschaft noch volle sechs Monate
auf dem Schloßgut beschäftigt blieb. So kam das
Gericht zur Verurteilung der angeklagten Freiin. Sie
erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten. Wegen
Fluchtverdachts wurde die sofortige Verhaftung der
Angeklagten verfügt. In der Urteilsbegründung wurde
betont, daß die bei der Verhandlung beliebte Art der
Verteidigung (Beschuldigung des Gefangenen, er
habe ein Verbrechen begangen) sowie die soziale
Stellung und die Erziehung der Angeklagten er-
schwerend in Betracht komme, während ihre bis-
herige absolute Unbescholtenheit und ihre Unwissen-
heit in geschlechtlichen Dingen als Milderungsgrund
angeführt wurden. — Hoher Gerichtshof! Angesichts
der zum Himmel schreienden Milde dieses Urteils
kann ich es mir ersparen, viel Worte zu machen.
In materieller Beziehung ist der Tatbestand, der
naturwidrige Verkehr mit einem Kriegsgefangenen,
hinreichend klargestellt. Es erübrigt sich,
337
die unmoralische Wirkung, die von einem so empören-
den Beispiel ausgeht, zu kennzeichnen. Ich zweifle
nicht, daß der hohe Gerichtshof mit mir das Gefühl
teilen wird, vor einem Abgrund zu stehen, vor dem die
beleidigte Sittlichkeit sich durch nichts retten kann
als durch die Erkenntnis: Wo käme das Vaterland
hin, wenn jede deutsche Hausfrau so tief sänkel
(Bewegung.) In diesem Sinne bitte ich den hohen
Gerichtshof, die Nichtigkeitsbeschwerde der Verteidi-
gung zu verwerfen, dagegen die Strafe auf zwei
Jahre zu erhöhen.
(Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.)
Einer aus dem Auditorium (reicht einem
Nachbarn die Zeitung): Kolossale Erfolge unsererBomben-
flieger nordwestlich von Arras und hinter der Cham-
pagnefront. Insgesamt wurden während der letzten
drei Tage und Nächte 25.823 Kilogramm Bomben
abgeworfen.
Der Nachbar: Die moralische Wirkung war
gewiß nicht geringer als die materielle.
(Verwandhing.)
14. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Die Entwicklung der Waffe
bis zu Gas, Tank, Unterseeboot und 120 Kilometer-
Kanone hat es so weit gebracht —
Der Nörgler: — daß die Armee wegen
Feigheit vor dem Feind aus dem Armeeverband zu
entlassen wäre. Aus dem militärischen Ehrbegriff
heraus müßte die Welt für alle Zeit zum Frieden
gelangen. Denn was die Eingebung eines Chemikers,
die doch schon die Wissenschaft entehrt, mit der
Tapferkeit zu tun haben soll und wie der Schlachten-
ruhm sich einer chlorreichen Offensive verdanken
kann, ohne im eigenen Gas der Schande zu ersticken,
das ist das einzige, was noch unerfindlich ist.
Die letzten Tage der Menschheit. 22
338
Der Optimist: Aber ist es denn nicht gleich-
giltig, welche Waffe den Tod bringt? Bis wohin gehen
Sie in der technischen Entwicklung der Waffe noch mit?
Der Nörgler: Keinen Schritt weit, aber
wenn's denn sein muß, bis zur Armbrust. Natürlich ist es
für eine Menschheit, die es fürs Leben unerläßlich
findet, einander zu töten, gleichgiltig, wie sie's
besorgt, und der Massenmord praktischer. Aber ihr
romantisches Bedürfnis wird von der technischen Ent-
wicklung enttäuscht. Es sucht seine Befriedigung doch
nur in der Auseinandersetzung von Mann zu Mann.
Der Mut, der dem Mann mit der Waffe zuwächst, mag
auch der Quantität gewachsen sein; er entartet zur
Feigheit, wenn der Mann für die Quantität nicht mehr
sichtbar ist. Und er wird vollends zur Erbärmlichkeit,
wenn auch für den Mann die Quantität nicht mehr
sichtbar ist. So weit halten wir. Aber es wird, in jenem
Ratschluß des Teufels, der in Laboratorien erforschlich
ist, noch weiter kommen. Tanks und Gase werden,
nachdem sich die Gegner darin einander unauf-
hörlich übertroffen haben, den Bakterien das Feld
räumen und man wird dem erlösenden Gedanken nicht
mehr wehren, die Seuchen statt wie bisher nur als Folge-
erscheinungen des Kriegs gleich als Kriegsmittel zu
verwenden. Da aber die Menschen selbst dann der
romantischen Vorwände für ihre Schlechtigkeit nicht
werden entraten können, so wird der Befehlshaber,
dessen Pläne der Bakteriologe ins Werk setzt wie heute
der Chemiker, noch immer eine Uniform tragen.
Den Deutschen dürfte der Ruhm der Erfindung, den
andern die Schurkerei der Vervollkommnung zu-
zuschreiben sein, oder auch umgekehrt — wie es Ihnen
hoffnungsvoller scheint.
Der Optimist: Durch ihre hochentwickelte
Kriegstechnik haben die Deutschen schließlich
bewiesen —
Der Nörgler: — daß sich die Eroberungskriege
und Siegeszüge Hindenburgs von denen Josuas doch
339
vorteilhaft unterscheiden. Dem Zweck, die Feinde
zu vernichten und auszurotten, ist die neuere Methode
besser angepaßt und ein Durchbruch nach »Ver-
gasung« von drei italienischen ßrip^aden übertrifft
eine jener entscheidenden Wunderwafientaten Jehovas.
Der Optimist: Sie wollen also eine Ähnlich-
keit des neu-deutschen und des alt-hebräischen
Eroberungsdranges behaupten?
Der Nörgler: Bis auf die Gottähnlichkeit!
Es sind unter den Völkern, die eine welthistorische
Rolle gespielt haben, die beiden einzigen, die sich
der Ehre eines Nationalgoltes für würdig halten.
Während heute alle einander gegenüberstehenden
Völker dieser verrückten Erde nur die Ver-
blendung gemeinsam haben, im Namen desselben
Gottes siegen zu wollen, haben die Deutschen wie
einst die Hebräer sich auch noch ihren Separatgott
zugelegt, dem die furchtbarsten Schlachtopfer dar-
gebracht werden. Das Privileg der Auserwähltheit
scheint durchaus auf sie übergegangen und unter
allen Nationen, denen die Vorstellung, eine Nation
zu sein, das Hirn verbrannt hat, sind sie diejenige,
die sich am häufigsten agnosziert, indem sie sich unauf-
hörlich selbst als die deutsche anspricht, ja »deutsch«
für ein steigerungsfäiiiges Eigenschaftswort hält. Aber
der Zusammenhang zwischen der alldeutschen und
der hebräischen Lebensform und Expansionsrichtung
auf Kosten der fremden Existenz ließe sich noch
ausbauen und vertiefen. Nur daß die alten Hebräer
doch wenigstens ihr »Du sollst rieht töten!« im
Munde führten und zur höheren Ehre Gottes mit
dem Sittengesetz Mosis in einen so grauenhaften,
aber immer wieder gefühlten und bereuten Wider-
spruch gerieten, während die neuen Deutschen den
Kant'schen kategorischen Imperativ frisch von der
Leber weg als eine philosophische Rechtfertigung
von »Immer feste druff!« reklamiert haben. In der
preußischen Ideologie ist freilich auch der Herr der
22»
340
Heerscharen durch landesübliche Begriffsverknotung
zum Allerobersten Kriegsherrn und Vorgesetzten
Wilhelms II. ausgeartet.
Der Optimist: Er ist eigentlich nur sein
Verbündeter. Wer aber außer Ihnen geriete auf den
sonderbaren Einfall, einen geistigen Zusammenhang
zwischen Hindenburg und Josua zu entdecken?
Der Nörgler: Schopenhauer: der die Institution
des Separatgottes, welcher die Nachbarländer ver-
schenkt oder »verheißt'<, in deren Besitz man sich
dann durch Rauben und Morden zu setzen hat, des
Nationalgotts, dem die Lebensgüter anderer Völker
geopfert werden müssen, schon als gemeinsam
befunden hat. Kant: der die Anrufung des Herrn
der Heerscharen durch den Sieger als eine gut
israelitische Sitte getadelt hat und jenem Wilhelm,
der den Gedanken hatte, in emem Atemzuge Kant
und den Herrn der Heerscharen anzurufen, schon
antizipando übers Maul gefahren ist. Ich werde
eine Gegenüberstellung, wie dieser Kantianer
sich auf seinen Verbündeten dort oben bombenfest
verlassen will und wie Kant ihn ermahnt, von
solchem Treiben, das mit der moralischen Idee des
Vaters der Menschen so sehr in Widerspruch stehe,
abzulassen und den Himmel lieber um Gnade für
die große Versündigung durch die Barbarei des
Kriegs anzurufen — ich werde diese vernichtende
und geradezu ausrottende Kontrastwirkung demnächst
und zwar unter dem Titel »Ein Kantianer und Kant«
in einem Berliner Vortragssaal erproben.
Der Optimist: Da könnte es Ihnen passieren,
als lästiger Ausländer ausgewiesen zu werden.
Der Nörgler: Der bleibe ich auch im Inland.
Und bliebe bei der Überzeugung, daß nach allem,
was wir erlebt haben, »unser Herrgott entschieden
mit unserem deutschen Volke noch etwas vor hat«.
Und bliebe dabei, daß sich die Wesensverwandtschaft
der beiden »Völker Gottes« bis in die äußersten
341
Lebenstatsachen, in welche der den beiden Kulturen
eigentümliche Verbindungsgeist einer geldromanti-
schen Weltansicht ausstrahlt, noch verfolgen ließe.
Sozusagen bis ins dritte und vierte Glied. Denn hier
und dort wirken sie an dem Gesamtkunstwerk einer
Lebensanschauung, nach welcher das, was der Welt
ist, von dem, was des Geistes ist, betrieben wird,
so daß Kriege wie Geschäftsbücher geführt werden,
nämlich »mit Gott«. Und die alttestamentarische Regle-
mentsvorschritt des »Aug um Aug, Zahn um Zahn«
ließe sich bis in ihre buchstäbliche Anwendung als
das Leitmotiv neudeutscher Kriegführung nachweisen,
und es ist gewiß kein Zufall, daß kürzlich in einer
offiziellen Verlautbarung unseres Kriegspressequartiers,
das so gelehrig ist wie der dumme August hinter
dem Schulreiter, jene Formel zur Rechtfertigung
von Fliegerangriffen dienen konnte. Sie bringt in
Wahrheit den Begriff der »Repressalien« zur Geltung.
Und wer außer Ihnen spürte nicht die echt biblische
Monotonie, mit der dieser Vergeltungs- und Ver-
nichtungsdrang in den täglichen Berichten von der
Sinai-Front zum Ausdruck kommt?
Der Optimist: Sinai-Front? Von der liest
man doch selten genug.
Der Nörgler: Täglich!
(Verwandlung.)
15. Szene
Eine protestantische Kirche.
Superintendent Falke: Dieser Krieg
ist eine von Gott über die Sünden der Völker ver-
hängte Strafe, und wir Deutschen sind zusammen
mit unsern Verbündeten die Vollstrecker des göttlichen
Strafgerichts. Es ist zweifellos, daß das Reich Gottes
durch diesen Krieg gewaltig gefördert und vertieft
werden wird. Und man muß hier klar und bestim^mt
eingestehen : Jesus hat das Gebot »Liebet eure Feinde !«
342
nur tür den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen
gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker
zueinander. Im Streit der Nationen untereinander
hat die Feindesliebe ein Ende. Hierbei hat der
einzelne Soldat sich gar keine Gewissensbisse zu
machen! Solange die Schlacht tobt, ist das Liebes-
gebot Jesu völlig aufgehoben! Es gilt nicht für die
Stunde des Gefechtes. Das Gebot der Feindesliebe
hat für uns auf dem Schlachtfelde gar keine Be-
deutung mehr. Das Töten ist in diesem Falle keine
Sünde, sondern Dienst am Vaterlande, eine christliche
Pflicht, ja ein Gottesdienst! Es ist ein Gottesdienst
und eine heilige Pflicht, alle unsre Gegner mit
furchtbarer Gewalt zu strafen und wenn es sein
muß, zu vernichten! Und so wiederhole ich euch,
solange in diesem Weltkriege die Kanonen donnern,
hat das Gebot Jesu »Liebet eure Feinde!« keine
Geltung mehr! Fort mit allen Gewissensbedenken!
Aber saget mir: Warum wurden so viele tausend
Männer zu Krüppeln geschossen? Warum wurden
so viele hundert Soldaten blind? Weil Gott dadurch
ihre Seelen retten wollte! Schauet um euch und betet
im Angesicht der Wunder des Herrn: Bring uns,
Herr, ins Paradies!
(Verwandlung.)
16. Srene
Eine andere protestantische Kirche.
Konsisto rialrat Rabe: Darum mehr
Stahl ins Blut! Und den Zaghaften sei gesagt:
Es ist nicht nur das Recht, sondern unter
Umständen sogar die Pflicht gegen die Nation,
mit Kriegsbeginn Verträge und was es sonst
auch sein mag, als Fetzen Papier zu betrachten,
den man zerreißt und ins Feuer wirft, wenn man die
343
Nation dadurch retten kann. Krieg ist eben die
Ultima ratio, das letzte Mittel Gottes, die Völker
durch Gewalt zur Raison zu bringen, wenn sie sich
anders nicht mehr leiten und auf den gottgewollten
Weg führen lassen wollen. Kriege sind Gottesgerichte
und Gottesurteile in der Weltgeschichte. Darum ist
es aber auch der Wille Gottes, daß die Völker im
Kriege alle ihre Kräfte und Waffen, die er ihnen in
die Hand gegeben hat, Gericht zu halten unter den
Völkern, zur vollen Anwendung bringen sollen.
Darum mehr Stahl ins Blut! Auch deutsche Frauen
und Mütter gefallener Helden können eine sentimentale
Betrachtungsweise des Krieges nicht mehr ertragen.
Wo ihre Liebsten im Felde stehn oder gefallen sind,
wollen auch sie keine jammerseligen Klagen hören.
Gott will uns jetzt erziehen zu eiserner Willensenergie
und äußerster Kraftentfaltung. Darum noch einmal:
Mehr Stahl ins Blut!
(Verwandlung.)
17. Szene
Eine andere protestantische Kirche.
Pastor Geier: Und schauet um euch:
Glänzende Leistungen des deutschen Tatengeistes
reihten sich wie die Perlen einer schimmernden
Schmuckkette aneinander. Er schuf sich das Wunder-
werk des U-Bootes. Er stellte jenes märchenhafte
Geschütz her, dessen Geschoß bis in die Äther-
regionen des Luftmeeres aufsteigt und Verderben
über mehr als hundert Kilometer in die Reihen des
Feindes trägt! Aber nicht nur daß der deutsche
Geist uns mit Waffen versorgt, er wird nicht müde,
auch an der Schutz- und Trutzwehr des Gedankens
zu schaffen. Wie ich euch heute mitteilen kann, arbeitet
Schulze in Hamburg im Auftrage unseres Auswärtigen
344
Amtes an einer grundlegenden wissenschaftlichen
Arbeit über »Leichen- und Grabschändungen durch
Engländer und Franzosen«, eine Arbeit, die zu
internationalen Propagandazwecken verbreitet werden,
die uns die Sympathien des neutralen Auslandes erobern
soll und der wir nur vom Herzen einen Widerhall
bei den noch zweifelsüchtigen Nachbarn wünschen
müssen. Allüberall in deutschen Gauen erwachen
die Geister, bereit, für unsere gerechte Sache zu
werben, die Trägen zu ermuntern, die Abtrünnigen
zu bekehren und uns neue Freunde zu gev/innen.
Unsere Regierung hat in weiser Voraussicht erkannt,
daß die Schweiz nicht nur als Durchgangsstation für
unsere Bombentransporte in Betracht kommt, sondern
auch dankbar dafür sein mag, in Wort und Bild
der Erkenntnis der Methoden unserer Kriegführung
teilhaft zu werden. Die Versenkung ungezählter
Tonnen von Lebensmitteln durch unsere U-Boote,
in Filmdarstellungen vorgeführt, ist von einer derart
packenden Wirkung, daß das neutrale Publikum,
zumal die Frauen, die ja für den Verlust solcher
Schätze besonders empfänglich sind, ohnmächtig
werden, und allmählich bricht sich die Einsicht Bahn,
daß der Schaden, den wir unsern Feinden zufügen,
nachgerade unermeßlich ist! Das deutsche Wort bleibt
dabei keineswegs im Hintertreffen. »Champagne-
schlacht« ist der Titel einer vom Sekretariat sozialer
Studentenarbeit in Stuttgart herausgegebenen Bro-
schüre, die vornehmlich den Schweizer Intellektuellen
zugedacht ist. Nehmet euch die Worte zu Herzen
in dem herrlichen Gedicht, dem Soldatengebet, das
ich in dieser trefflichen Propagandaschrift gefunden
habe, welche unsre Regierung bereits nach dem
neutralen Auslande versandt hat, um dort Aufklärung
über deutsche Eigenart zu verbreiten, Verständnis
für deutsches Wesen zu erwecken und so allmählich
zum Abbau des Hasses, mit dem man uns verfolgt,
beizutragen:
345
Hört ihr die Soldaten beten?
Unser Gott ist unsre Pflicht!
Aus den Schlünden der Kanonen
Unsre stärkste Liebe spricht.
Schießen wir ihm die Patronen-
Vater-Unser durch den Lauf,
Und ein Kreuz soll darauf thronen:
»Bajonette pflanzet auf!«
Kameraden, laßt Schrapnelle-
Kugeln als Weihwasser streun,
Laßt Granaten Weihrauch qualmen,
Laßt die Sünden uns bereun:
Unverschoßner Minen Psalmen
Unterlassungssünden sind;
Wenn die erst den Feind zermalmen,
Löst die Sünde sich geschwind.
Hängt die Kugel-Handgranaien-
Rosenkränze um die Brust.
Wenn die Perlen jäh zerknallen.
Stirbt des Feindes Kampfeslust.
Laßt die Wacht am Rhein erschallen,
Unsres Zornes Stoßgebet,
Händefalten wird zum Krallen,
Wenn's um Gurkhagurgeln geht.
Wir sind einmal Henkersknechte,
Gott hat selbst uns ausgewählt!
Und so schauet denn um euch und betet im
Angesicht der Wunder des Herrn: Bring uns, Herr,
ins Paradies!
(Verwandlung.)
18. Szene
Wallfahrtskirche.
Der Mesner: Hier sehen Sie ein interessantes
Weihegeschenk für unsere Wallfahrtskirche, das zwei
Soldaten aus Lana verehrt haben: einen Rosenkranz,
346
dessen Korallen aus italienischen Schrapnellkugeln
bestehen. Das Material für die Kettelung stammt von
Drahtverhauen. Das Kreuz ist aus dem Führungsring
einer geplatzten italienischen Granate geschnitten
und hat drei italienische Gewehrkugeln als Anhängsel.
Der Christus ist aus einer Schrapnellkugel gebildet.
Auf der Rückseite des Kreuzes steht eingraviert:
Aus Dankbarkeit. Zur Eiinnerung an den italienischen
Krieg, Cima d' Oro, am 25. 7. 1917. A. St. und
K. P. aus Lana. Dieser Rosenkranz wiegt mehr als
ein Kilogramm, erfordert also für ein längeres Beten
eine starke Hand. Wollen die Herrschaften vielleicht
versuchen?
Der Fremde (versucht es): Uff! — Nee, nich
zu machen.
(Die Glocke läutet)
Der Mesner: Hören Sie! Zum letztenmal!
Gleich wird sie abgenommen. Man macht aus
Schrapnellkugeln Rosenkränze und dafür aus Kirchen-
glocken Kanonen. Wir geben Gott, was des Kaisers,
und dem Kaiser, was Gottes ist. Man hilft sich
gegenseitig, wie man kann,
(Verwandlung.)
19. Szene
Konstantinopel. Eine Moschee. Man hört jenseits des Moschee-
vorhanges lautes Lachen.
Eine der Stimmen: Wat, die jroßen Stroh-
schlappen solln wa überziehn? Nee Menschenskind,
das is doch jottvoll!
Zweite Stimme: Ach sieh dir mal den
Koranonkel an —
(Zwei junge Leute, Vertreter von Berliner Handelshäusern, treten
geräuschvoll ein. Sie behalten die Hüte auf dem Kopf. Hinter
ihnen, mj.t gesenktem Haupt, die Hände in seinen weiten
Ärmeln versteckt, lautlos gleitend, der Imam.)
D er er ste:Siehste, SO sieht 'ne Moschee aus — nu
benimm dir Fritze und achte auf die Jebräuche! (Lachen.)
347
Der zweite: Also, in 'ncr Moschee warn wa
und 'n richtich gehender Imam is ooch dabei —
jottvoll!
Der erste: Famose Chose!
Der zweite: Vadrehter Kram! (Die Hände in
den Taschen, füliren sie eine Art Schliuerpartie auf ihren
Strohsclilappen auf, sie verlieren diese beständig, worüber sie
jedesmal in lautes Lachen ausbrechen.)
Der erste: Weeßte, wenn wa hier mal erst
festen Fuß fassen, wird schon 'ne tüchtje Ordnung
in die schlappe Wirtschaft kommen — wir schaffen
es! (Er stößt den andern) Fritze, falle nich —
D e r z w e i t e : Na, stark besucht ist det Etablisse-
mang nu jrade nich, Metro is voller. Weit und
breit nur een Mensch und selbst der ist weiblichen
Jeschlechts — (er zeigt auf eine Dame und stößt den andern)
vorbeijelungen! — Aujust mit die langen Beene —
(Lachen.)
Der erste (trällert): Ja so 'ne Fahrt am
Bosporus is doch fürwahr 'n Hochjenuß —
Der zweite (will losplatzen) : Du ahnst es nicht —
Ach Jottejottejottedoch — Mensch benimm dir!
Der erste: Du, ist heutVollmondoder Halbmond?
(Beide platzen los.)
Der zweite: Jemütliches Völkchen das — nur
'n bisk'n schlapp, bisk'n schlapp — na wollen ihnan mal
unter die Arme greifen und etwas Zucht beibringen.
Verloren is da noch nischt. Wa wolln det Kind schon
schaukeln. (Lautes Lachen. Er grüßt den Imam, der in einiger
Entfernung steht, parodistisch) Tach !
Der erste: Morjen! (Der imam versucht öfter
durch Pantomime, sie auf ihre Kopfbedeckungen aufmerksam
zu machen.) Kick mal — was will denn der ulkje
Kunde?
Der zweite: Der Mann ist taubstumm —
(sie lachen und stoßen einander.)
Der Imam (zu der Dame): Sage ihnen, sie seien
im Hause des Gebets.
348
Die Dame (sich ihnen nähernd): Der Imam bittet
mich, Ihnen zu sagen, Sie seien im Hause des Gebets;
wollen Sie darum nicht Ihre Hüte abnehmen?
Der erste: Aber jewiß doch, wenn's ihm
Spaß macht — Morjen! (Sie grüßen und lachen.)
Die Dame: Ich würde Ihnen raten, etwas
leiser zu sein; in einer Kirche würden Sie doch
auch nicht so laut lachen.
Der zweite (laut lachend): Ja aber was hat denn
dieses hier mit 'ner Kirche zu tun?
Die Dame: Es ist eben ein Gotteshaus.
Der erste: Gottvoll — diese varückte Bude hier?
Die Dame: So verletzen Sie wenigstens nicht
die Gefühle derjenigen, denen es ihr Heiligstes ist!
Der zweite: Ach, den Kismetknöppen ist
ja doch alles wurscht. Na schön, Morjen! (Sie gehen
laut lachend und polternd ab.)
Der Imam (zu der Dame): Gräme dich nicht um
jener Kinder Torheit; so sicher, wie Gott über sie
lächelt, lasse es auch uns tun.
Die Dame: Sie meinen es nicht böse.
Der Imam: Gott gab dem Europäer die
Wissenschaft, dem Orientalen die Majestät. Jene
sind nicht das, was einer wird, der im Schatten des
Höchsten wandelt.
(Verwandlung.)
20. Szene
Redaktion in Berlin.
Alfred Kerr (an seinem Schreibtisch, ein Rumänen-
lied dichtend): Ich bin . . . fertig. Das heißt: mein
Rum . . . änenlied.
(Er liest laut)
In den klainsten Winkelescu
Fiel ein Russen-Trinkgeldescu,
Fraidig ibten wir Verratul —
Politescu schnappen Drahtul.
349
Alle Velker staunerul,
San me große Gaunerul.
Ungarn, Siebenbürginescu
Mechten wir erwürginescu.
Gebrüllescu voll Triumphal
Mitten im Korruptul- Sumpful
In der Hauptstadt Bukurescht,
Wo sich kainer Fiße wäscht.
Leider kriegen wir die Paitsche
Vun Bulgaren und vun Daitsche;
Zogen flink-flink in Dobrudschul,
Feste Tutrakan ist futschul!
Aigentlich sind wir, waiß Gottul,
Dann heraingefallne Trottul,
Halte noch auf stolzem Roßcu,
Murgens eiris auf dem Poposcu!
Ku . . . unst ist mir zugleich M . . . use und versorgt mich mit
Bu . . . utter. Zu diesem Behu . . . fe habe ich nie denVerdacht
u . . . ungewaschener Versfiße gescheut. Und so ist mein
Ru...hm und] auch mein Rumänenlied entstanden.
Denn es dichtet Alfred Kerrul
täglich was sich reimt für Scherul.
Doch er ist kein solches Rossul,
sondern kerrt zurück zu Mossul.
Ecco.
(Verwandlung.)
21. Szene
Ordinationszimmer in Berlin.
Professor Molenaar (zum Patienten): Ja, Sie sind
herzkrank. Da haben Sie kaum Aussicht, für tauglich
befunden zu werden, 'ne schöne Geschichte. Nu sehn
Sie, das kommt vom Rauchen! Trotz aller Verbote des
Oberkommandos in den Marken wird fortgeraucht.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir durch das
350
unmäßige Rauchen im Allgemeinen und das vorzeitige
Qualmen der Jugendlichen im Besonderen bis jetzt
mindestens zwei Armeekorpc in diesem Kriege ein-
gebüßt haben. Es ist erschreckend, wie viele Männer
in verhältnismäßig jungen Jahren herzkrank sind und
dadurch dem Heeresdienste, der Ehe und der Fort-
pflanzung entzogen werden. Im Interesse unseres
Heeresersatzes wäre ein Verbot des Rauchens bei
uns dringend erwünscht. Ob der Tabak im Kriege
selbst, etwa bei Sturmangriffen, mehr nützt als
schadet, bleibe dahingestellt, so viel ist aber sicher,
daß Hunderte, wenn nicht Tausende von Nichtrauchern
die Strapazen des Felddienstes ebenso gut ausgehalten
haben wie die Raucher, Hat man doch auch Jahrtausende
lang Krieg geführt, ohne den Tabak zu kennen.
Nu also, warum ist's denn damals gegangen? Was
jetzt auf den Schlachtfeldern für'n Rauch ist, das
ist nicht zu sagen! Muß das sein? Es ist bekannt,
daß hervorragende Heerführer, wie der Graf v. Haeseler,
Conrad v. Hoetzendorf und Mackensen ausgesprochene
Tabakgegner sind. Und haben sie die Strapazen
des Felddienstes nicht ebenso gut ausgehalten wie
die Raucher? Ich denke da an Falkenhayn, Boroevic
und Hindenburg. Durch den Tod fürs Vaterland
werden erfahrungsgemäß viele junge Leute dem
Heeresdienste entzogen, weshalb es gerade im Inter-
esse des Heeresersatzes wie der demselben dienenden
Fortpflanzung sehr zu beklagen ist, daß die Unsitte
des Rauchens ein Übriges tut. Sie junger Mann
haben sich ein Herzleiden zugezogen, weshalb Sie
kaum Aussicht haben dürften für tauglich befunden
zu werden. Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen.
Es kann sich ja bessern. Kriege wirds immer
geben. Freilich scheint auch Ihre Lunge nicht in
Ordnung zu sein. Atmen Sie auf! (Er horcht.) Nee,
nich zu machen. Höchstens für die Etappe, 20 Em
sind Sie schuldig.
(Verwandlung.)
351
22. Szene
Bureauzimmer bei einem Kommando.
Ein Generalstäbler (beim Telephon): — Servus,
also hast den Bericht über Przemysl fertig? — Noch
nicht? Ah, bist nicht ausgschlafen — Geh
schau dazu, sonst kommst wieder zu spät zum
Mullattieren — heut wird aber ja mullattiert — Also
hörst du — Was, hast wieder alles vergessen? — Paß
auf, Hauptgesichtspunkte: Während unsere Besatzung
bekanntlich durch Hunger — jetzt ganz was andreas —
der Feind unserer Gewalt gewichen — also keines-
wegs durch Hunger überwältigt, Feind hat nie
gehungert! verstehst? nur wir! Russen hatten immer
genug Proviant — konnten sich aber gegen den
Elan unserer braven Truppen nicht halten, selbst-
verständlich — Gewalt unseres Angriffs — Ferner:
Festung vollkommen intakt, unversehrt in unsern
Besitz gelangt — modernste Geschütze — Wie?
m.an kann nicht vergessen machen? altes Graffeiwerk?
Aber nein, jetzt nicht mehr natürlich! Alles kann man
vergessen machen, lieber Freund! Also hör zu und
mach kan Pallawatsch — modernste Festung —
Österreichs alter Stolz — unversehrt zurückerobert.
Nicht durch GewaH, sondern durch Hunger, ah was
red ich, nicht durch Hunger, sondern durch Gewalt!
No wirst scho machen — wenns nur den Leutein
einleuchtet — jetzt is ja eh leicht — also servus!
Schluß! (Ab.)
(Zwei alte Generale treten auf.)
Der erste: Ja, die Deutschen! Jetzt hams den
Falkenhayn zum Dokter gmacht! Sixt, unsereins
kommt zu so was nicht.
Der zweite: Erlaub du mir, der Borevitsch —
Der erste: No ja, no ja, aber unsereins kommt
zu so was nicht,
(Ein Journalist geht vorbei.)
Der erste: Hab die Ehre, Herr Doktor!
352
Der Journalist: Exellenz, gut daß ich Sie
treff, ich brauch Sie wie einen Bissen Brot — was
is mit Brody?
Der erste: Brody? Was soll denn mit
Brody sein?
Der Journalist: No wegen der Schlacht bei
Brody?
Der erste: Ah, a Schlacht is bei Brody?
Hörst auf!
Der zweite: Marandjosef!
Der erste: Also eine Schlacht. Ah so was!
No und da wollen S' halt wissen — (nach einigem
Nachdenlien) No wissen S' was? Wer' mr scho machen.
Der Journalist (liastig): Ich kann also melden,
noch ist Brody in unserem Besitze — ? Oder nein
wissen Sie was, ich weiß schon ich v/er' melden
Brody is so gut wie entsetzt! (Ab.)
(Verwandlung.)
23. Szene
Hauptquartier.
Erzherzog Friedrich (ablesend): Und so —
schließe ich mit den Worten: Seine Majestät unser
Oberster Kriegsherr lebe hoch hoch — (umblätternd)
hoch. (Hoch-Rufe. Nach einer Pause, in welcher er, feixend und
die Zähne bleckend, die vor ihm stehende Reihe junger Offiziere
mustert, an deren einem sein Blick haften bleibt) Ah — das is —
der Buquoy! Der — hat schon — eine Auszeichnung!
(Nach einer Pause, in der sein Blick weitergeht, um an einem
andern haften zu bleiben) Und — das da — is auch —
ein Buquoy! Der — hat auch eine Auszeichnung!
(Pause des Nachdenkens) Jetzt — ham — zwei Buquoys —
— eine Auszeichnung!
353
Der Adjutant (gelit auf den Armeeoberkomman-
danten zu und meldet): Kaiserliche Hoheit, der Rektor
der Wiener Universiiät mit dem Dekan und Prodekan
der philosophischen Fakultät warten untertänigst auf
die Erlaubnis, Euer kaiserlichen Hoheit das Ehren-
doktorat der philosophischen Fakultät verleihen zu
dürfen.
(Verwandlung.)
24. Szene
Zvpei Verehrer der Reichspost treten auf.
Der erste Verehrer der Reichspost:
Hast schon das Buch glesen »Unsere Dynastie im
Felde«? Da muß man tulli sagen! Es zeigt den
unmittelbaren Anteil, den die Mitglieder unseres
angestammten Herrscherhauses an diesem Kriege
nehmen, in einer Reihe anmutiger Bilder führt es
uns alle die fürstlichen Soldaten vor, die draußen im
Felde mit dem einfachen Manne Mühsal und Gefahr
kameradschaftlich teilen. Mit dem allerhöchsten Kriegs-
herrn fängt die Reihe an.
Der zweite Verehrer der Reichspost:
Hörst net auf, Seine Majestät unser erhabener — ?
Der erste: Weilst mich nicht ausreden lassen
tust. Wohl verbieten ihm Alter und gesundheitliche
Rücksichten, hoch zu Roß bei seinen Feldgrauen zu
weilen, wie er es in früheren Jahren so gern —
Der zweite: Hörst net auf — wann denn?
Der erste: Weilst mich nicht ausreden
lassen tust. Wie er es in früheren Jahren so gern
im Manöver tat. Aber inniger kann niemand
mit diesem Kriege verwoben sein als dieser
höchste und erste Soldat des Reiches, dessen
Liebe und Sorge bei Tag und Nacht draußen im
Feldlager weilt, bei seiner Armee, die in all ihrer
Herrlichkeit und Schlagkraft vornehmlich seine
Schöpfung ist. Von diesem Bewußtsein sind aber
auch alle seine Soldaten, seine Braven, durchdrungen.
Die letzten Tage der Menschheit. 23
354
mitten im Schlachtenbraus spüren sie die segnende
Nähe seiner väterlichen Fürsorge. Also verstehst, also
teilt er doch mit dem einfachen Manne draußen im
Felde kameradschaftlich Mühsal und Gefahr? No bist
vielleicht ein Tepp, daß d' das nicht verstehst?
Der zweite: No und w^as is nacher mit'm
Thronfolger? Was weiß der Verfasser von höchst-
demseiben zu berichten?
Der erste: Überaus anziehende Episoden.
Kaltblütig verweilte er auf einer vom Feuer der
feindlichen Artillerie bestrichenen Anhöhe, lächelnd
sprach er mit den Soldaten, studierte er die Karte.
Der zweite: Sein Humor und seine gute
Laune wirkt wie elektrisierend auf seine Umgebung.
Der erste: In der Kriegsstimmung der Feuer-
linie verzehnfacht sie sich. Ein Starkstrom, vor dem's
keine Stimulanten gibt.
Der zweite: Was is denn mit unserem
Generalissimus Erzherzog Friedrich?
Dererste: Der Schlachtendenker? der mit dem
Generalstabschef Baron Conrad lange Nächte über
die Karten gebückt sitzt? Unbegrenztes Vertrauen
haben die Truppen zu ihm. »Unser Feldmarschall
wird's schon machen!« sagen sie.
Der zweite: Natürlich, er wirds schon machen.
Der erste: Weißt wie sie ihn nennen?
Der zweite: Ihren Soldatenvater nennen s' ihn
halt, wie denn sonst?
Der erste: So is. Der Verfasser des Buches
»Unsere Dynastie im Felde« — du, der hat dir was
erlebt! Ich stand zufällig in der Nähe, sagt er, in
einer durch einen Hügel gedeckten kleinen Gruppe
in Gesellschaft eines alten Rauhbarts, sagt er, aus
der im Aussterben begriffenen Generation der in
mehreren Feldzügen wetterhart gewordenen Veteranen,
verstehst? Auch er beobachtete den Generalissimus in
der Ferne. Ich bemerkte auf seinen harten Zügen —
Der zweite: Du, das bitt ich mir aus —
355
Der erste: Aber er hats doch bemerkt, nicht
ich —
Derzweite: No aber wer hat denn harte Züge?
Der erste: No der ahe Rauhbart!
Der zweite: Ah so, der alte Rauhbart, das
is was andreas.
Der erste: Also der Verfasser des Buches
»Unsere Dynastie im Felde« hat auf den harten
Zügen des alten Rauhbarts eine Bewegung bemerkt,
die er augenscheinlich zu unterdrücken suchte. Dann
fuhr er mit seinem wetterfesten Kavalleristenhand-
schuh über die Augen, in welchen etwas Verdächtiges
blinkte —
Der zweite: 0ha, Lichtsignale oder was,
p. V. — !
Der erste: Weilst mich nicht ausreden lassen
tust — herstellt! Und sagte mit einer bei ihm
vorher nie wahrgenommenen Rührung: »Der Soldaten-
vater . . .« (Er schluchzt.)
Der zweite (gleichfalls bewegt): No was is mit'n
Josef Ferdinand?
Der erste: Jedem seiner Soldaten gehört sein
Herz und alle Soldatenherzen gehören ihm. Ein
Feldherr von unvergleichlichem Ruhme und ein
schlichter, treuer, abgöttisch geliebter Soldaten-
kamerad. So wird sein Bild weiterleben in der unver-
gänglichen Geschichte dieses Krieges.
Der zweite: Das is schön. Und der Peter
Ferdinand?
Der erste: No also — kolossal. Wie er den
Feind von den Höhen wirft, wie er im Schneesturm
eiserne Wacht hält — also das sind Episoden von
mitreißender Wucht und Größe.
Der zweite: No und der Erzherzog Josef
is nix?
Der erste: Der Heldenhafte! Die Soldaten
erzählen sich, er sei unverwundbar.
23*
356
Der zweite: Geh! — Noja, darum hat er glaubt,
daß auch seine Soldaten unverwundbar sind, und hat
sie halt bißl mit Maschingwehren von hinten —
Der erste: Halts Maul. Und alle beten ihn an,
der Ungar wie der Schwab, der Rumäne, der Serbe —
alle, wie's da sind.
Der zweite: Was, auch der Serbe?
Der erste: No und ob! Herzzerreißende Szenen
sollen sich abgspielt haben. Kaum angedeutet kann
dies werden.
Der zweite: No was is denn mit'n Eugen?
Der erste: Der edle Ritter!
Der zweite: No und der Max?
Der erste: No halt ein Feschak!
Der zweite: Und der Albrecht?
Der erste: So jung wie er is, er teilt schon
mit die Soldaten all die schweren Mühseligkeiten,
kotige Wege, durchnäßte Kleider, schlechte Unterkunft,
verdorbenes Brot, alles teilt er mit ihnen.
Der zweite: Das sind die Helden der Tat.
Was is mit den Helden der Barmherzigkeit?
Der erste: Hier wird der unvergängliche Ruhm
geschildert, den sich Erzherzog Franz Salvator durch
seine organisatorische Riesenleistung für das Rote
Kreuz errungen hat, hier wird das hehre Beispiel
geschildert, mit dem die Erzherzoginnen Zita, Marie
Valerie, Isabella, Blanka, Maria Josefa, Maria Theresia,
Maria Annunziata und viele andere Mitglieder
des angestammten Herrscheiiiauses der öffentlichen
Wohltätigkeit vorangingen. Worte glühender Be-
wunderung sind dem segensreichen, aufopfernden
und heldenhaften Walten der Erzherzogin Isabella
Maria gewidmet.
Der zweite: Was is denn mit'n Leopold
Salvator?
Der erste: Er hat sich verdient gemacht!
Der zweite: Ein paar hast noch vergessen.
357
Der erste: Erzherzog Karl Stephan entfaltet
eine rastlose Tätigkeit, Erzherzog Heinrich Ferdinand
verrichtet ermüdende Melderitte, ErzherzogMaximilian
ist eingrückt und gleich den Erzherzogen Leo und
Wilhelm, Franz Karl Salvator und Hubert Salvator
zum Leutnant ernannt worden und alle sind uner-
schrocken.
D e r z w c i t e : Fürwahr ein reicher Lorbeerstrauß.
Der erste: Das Buch, das keinen Anspruch
auf Vollständigkeit erheben kann, wird seinen Ehren-
platz in der Literatur dieses Krieges behaupten.
Der zweite (schluchzt)
Der erste: Was hast denn?
Der zweite: Ich denk an das Prothesenspital.
Der erste: No deshalb mußt doch nicht
weinen, Krieg is Krieg mei Liaber —
Der zweite: Das weiß ich doch — es is auch
nicht destwegen, es is wegen —
Der erste: No was denn? Was hast denn?
Der zweite (weinend): Weilst mich nicht aus-
reden lassen tust. Ich denk halt allaweil an die Erz-
herzogin Zita im Prothesenspital! Einen Freudentag,
der so manche Stunde des Schmerzes aufwiegt,
brachte den Verwundeten der 8. Mai. Oft klang es
an mein Ohr: »Wenn nur Erzherzegin Zita einmal
käme!« — »Könnte ich doch Erzherzogin Zita sehen!«
Endlich brach der ersehnte Tag an. Freudige Erregung
vibrierte durch das ganze große lichte Haus. Um
3/4 10 Uhr vormittags fuhr das kaiserliche Auto vor,
dem die Erzherzogin entstieg. Es war soeben ein
neuerTransport Verwundeter angekommen (er schluchzt).
Der erste: No aber deshalb mußt doch
nicht — Krieg is Krieg, mei Liaber —
Der zweite: Das weiß ich — es is doch nur
wegen der Zita — Also — Mit unvergleichlicher
Anmut richtete die junge Erzherzogin an jeden der
Neuankömmlinge das Wort. Es strahlte undleuchtete auf
358
in diesen wettergebräunten Gesichtern, in welchen
das Leid und der Schmerz so manche Furche gezogen.
Deutsche und Ungarn, Polen und Tschechen, Rumänen
und Ruthenen fühlten sich wieder inniger verkettet
durch ein neues Band.
Der erste: No ja schön is schon mit die
Prothesen —
Der zweite: Die gleiche Freude machte ihre
Herzen rascher schlagen. Jedem einzelnen brachte
die hohe Frau, in der sie die gemeinsame Landes-
mutter erkannten, warmes Interesse entgegen, und
wenn Patienten vorgeführt wurden, denen beide Füße
durch künstliche ersetzt waren, mit denen sie sich
flott vorwärts bewegten — (er weint.j
Der erste: Hör auf, Krieg is Krieg!
Der zweite: Aber das weiß ich doch — es is
ja wegen der Zita ! Also wie sie sich flott vorwärts-
bewegten, folgte der Erzherzogin Blick ihnen und
man sah Freude in ihren Augen schimmern. Und
alle vergaßen ihre Schmerzen, ihr Leid, es war
der Frühling, das Hoffen, die Freude eingezogen.
Als Erzherzogin Zita das Spital gegen 1 Uhr mittags
verließ, blieb das Leuchten und Strahlen noch auf
den Gesichtern, stolze Freude in den Herzen.
Der erste: Das kann ich ihnen nachfühlen.
So ein Krieg is doch eine Passion. Wann einer das
Glück hat und er kommt ins Prothesenspital und es
trifft sich grad, daß ihm die kaiserliche Hoheit —
Der zweite: Ja so einer kann von Glück
sagen — aber weißt, es is und bleibt doch eine halberte
Gschicht. Denn wanns einen nicht vergunnt is, für
das angestammte Herrscherhaus zu sterben — !
Der erste: Ja, mei Liaber, das wird nicht
jedermann zuteil! Man darf nicht unbescheiden sein.
Was soll denn unsereins sagen?
(Verwandlung.)
359
25. Szene
Vor dem Kriegsministerium.
Ein junger Mann: Servus! Wo gehst hin?
Zweiter: Hinauf.
Erster: Wozu?
Zweiter: Mirs richten. Und du?
Erster: Ich auch.
Zweiter: Gehn mr halt mitanander. (Ab.)
(Verwandlung.)
26. Szene
Ringstraße.
Fünfzig Drückeberger (treten auf, die alle
mit Fingern auf einander zeigen): Der sollte genommen
wern!
(Verwandlung.)
27. Szene
Vor dem Kriegsministerium.
Ein junger Mann: Servus! Wo gehst hin?
Zweiter: Hinauf.
Erster: Wozu?
Zweiter: Einfuhr. Und du?
Erster: Ausfuhr.
Zweiter: Gehn mr halt mitanander. (Ab.)
(Verwandlung.)
28. Szene
Landesverteidigungsministerium. Ein Hauptmann sitzt an einem
Schreibtisch. Vor ihm steht ein Zivilist.
Der Hauptmann: Alstern ob Sie enthoben
wern können oder nicht, das können S' am ein-
fachsten aus der Verordnung sehn, ich will Ihnen
da entgegenkommen, daß Sie sich selber überzeugen,
alstern hörn S' zu : »Das k. k. Ministerium für Landes-
verteidigung fand mit Erlaß vom 12. Juli 1915,
360
Nr. 863/XIV, im Einverständnis mit dem k. u. k.
Kriegsministerium zu verfügen, daß im Hinblick auf
den dermaligen Kriegszustand — in gleicher Weise,
wie bereits seinerzeit mit dem Erlaß des genannten
k. k. Ministeriums vom 13. Jänner 1915, Dep. XIV.
Nr. 1596 ex 1914, h. o. Erlaß vom 18. Jänner 1915,
ZI. 1068, hinsichtlich der Begünstigung nach § 31
und 32 W.-G. (als Familienerhalter) angeordnet —
auch der nach § 109 I, 1. Abs. § 118 I und § 121 I
W.-V. I., im Juni 1915 zu erbringende Nachweis
des Fortbestandes der die Begünstigungen nach
§ 30, § 32 (als Landwirt) und § 82 W.-G.
(§ 32 W.-G. von 1889) begründenden Verhältnisse
bis auf weiteres aufgehoben wird, wobei die
bezeichneten Begünstigungen einstweilen — die
Begünstigungen nach § 30 und nach § 32 mit der
gemäß § 108 I, zweiter Absatz W.-V. I, dem termin-
gemäß eibrachtenFortbestandsnach weiszukommenden
Wirkung — als fortbestehend anzusehen sind.« No
alstern — jetzt wem S' mich aber entschuldigen,
andere wollen auch drankommen, nicht wahr? Also
djehre, djehre — (Der Zivilist verbeugt sich und geht ab.)
(Verwandlung.)
29. Szene
Innsbruck. Ein Restaurant. An einem Tisch drei Damen, die
schwedisch sprechen. Von einem Nebentisch stürzt ein Oberst
mit zorngerötetem Kopf auf sie los.
Der Oberst: Ich verbiete Ihnen, hier englisch
zu sprechen! (Seine Gattin will ihn auf den Sessel zurückziehen.)
Erlaube mir — ich als Schwager des Generalstabs-
chefs —
Die Oberstensgattin: Aber sie sprechen ja
\iur schwedisch!
Der Oberst: Ah so — (er setzt sich.)
(Verwandlimg.)
361
30. Szene
Marktplatz in ürodno. Die Bevölkerung ist versammelt, voran
eine Schar von Mädchen.
Ein Beamter der Stadthauptmaiinschaft
(verkündet): Einem auf einen von dem Herrn Ober-
befehlshaber der XII. Armee ausgesprochenen Wunsch
unter Bezugnahme auf dessen Verfügung vom
29. April 1916, Zahl 6106 ergangenen Ersuchen des
Cheffs der deutschen Verwaltung zufolge erläßt der
Stadthauptmann den Befehl, daß die Mädchen
angeleitet werden, die deutschen Offiziere und
Beamten sou^ie auch die einheimischen Respekt-
personen durch Knicksen zu begrüßen. (Die Mädchen
knicksen. Respektpersonen gehen vorbei) Knicksen! (Die
Mädchen knicksen. Deutsche Beamte gehen vorbei) Tiefer
knicksen! (Die Mädchen knicksen tiefer. Deutsche Offiziere
kommen) Jetzt am tiefsten knicksen! (Die Mädchen
knicksen am tiefsten.)
(Verwandlung.)
31. Szene
Briefzensur bei einem deutschen Frontabschnitt.
Der Zensuroffizier: Nee, heute ist aber
mächtich viel zu tun! Ich habe seit neun Uhr
1286 Karten und 519 Briefe zensuriert und die
meisten waren an Otto Ernst. Wer noch heute
drankommen will, möge mirs ohne An- und Unter-
schrift vorlesen. Meine Sehkraft ist alle. (Sie lesen der
Reihe nach vor und erhalten den Zensursteinpel.)
Ein Hauptmann: Eine Gnade Gottes, ein
unschätzbarer Segen sind Ihre Werke für uns
Deutsche in dieser schweren Zeit! Sie sind für
mich die Bestätigung, die Verkörperung des
männlich-deutschen Glaubens der Gegenwart. Darum
kann ich nicht anders, ich muß Ihnen, gerade Ihnen
mein Herz ausschütten.
362
Ein Flieger: Ohne Phrasen dreschen zu
wollen: Ihr Buch war mit das Schönste, Tiefste und
Erhebendste, was ich seit Jahren gelesen habe.
Ein Vizeieldwebel: hmigeu Dank für den
»Gewittersegen«, der mich erfrischt und erquickt
hat. Der Teufel hole alle Flaumacher und Nörgler!
Wie hat das Buch mir und allen in Feldgrau aus
der Seele gesproclien!
Ein Unteroffizier: Heute haben wir Oster-
sonntag. Am Nachmittage wollen uns benachbarte
Unterstände besuchen, und zur Feier des Tages
wird Ihr »Sonntag eines Deutschen« vorgelesen. Das
soll uns die schönste Osterfeier ersetzen!
Ein Landsturmmann: In den Freistunden
findet ein richtiges Wettlesen statt. Jeder möchte
zuerst dieses oder jenes Ihrer Bücher lesen, und
da wir bisher drei Stück erhielten, muß hübsch
gewartet werden, bis ein Kamerad das Buch zu
Ende hat.
Bedienung der 9 cm-Geschütze, genannt
»Die Sturmkolonne« (unisono): Unser Dienst läßt
es nicht immer zu, daß alle daran teilnehmen, und
so lesen wir Ihren Roman doch lieber einzeln.
Sechzehn Kraftfahrer: Sechzehn Kraftfahrer
der 10. Armee haben mit Entzücken Ihren »Offenen
Brief an Annunzio« gelesen — er drückt in Worten
unsere Gefühle aus!
Ein Oberleutnant: Jede tapfere Zeile zündet
wie eine pünktlich krepierende Granate.
Ein Flieger-Beobachter: Gerade Sie, der
Sie sich als Lebensbejaher erwiesen, sind ein Erlöser
in diesem Stumpfsinn des täglichen Einerlei.
Ein Leutnant: Ich habe wieder mal herzliche
Freude über Ihren Humor und hoffe, daß die
Wirkung auch im Granatfeuer nicht nachläßt.
363
Ein Militär musiker: über die Zeit der
Trennung sollen meiner lieben, armen, unglücklichen
Braut Ihre so wunderbar heilkräftigen, tröstlichen
Werke hinweghelfen.
Ein Gefreiter: Sie können mit Ihrer
von Gott gesegneten Feder unserm Vaterlande mehr
nützen als mit dem Bajonett.
Ein Soldat: Ihre jedes brave Herz erhebenden
Gedichte werden bestehen, solange die Welt
deutsche Treue und englische Falschheit kennt.
Ein Stabsarzt: Ich las Ihren offenen Brief
an d' Annunzio. Mir aus dem Herzen gesprochen!
Ich kämpfe mit dem Messer, Sie mit der Feder,
jeder nach seinen Kräften. Die Hauptsache ist, daß
wir durchdringen. Gott strafe England!
Ein Kanonier: Ich habe mir den Kopf
zerbrochen, wie ich Ihnen durch Taten Dank
abstatten könnte.
Ein Kompagnieführer: Ihr ausgezeichneter
Humor half uns über m.anche trübe Stimmung
hinweg und förderte den Unternehmungsgeist.
Ein Offizier-Stellvertreter: Wir lagen
im Schützengraben, Ob noch ein Angriff zu
erwarten sei, konnte niemand sagen; doch übten
wir die größte Wachsamkeit. Um unsere Nerven,
die wieder einmal ihr Teil erhalten hatten, etwas zu
beruhigen, krochen wir in den Unterstand, wo ich,
um uns auf andere Gedanken zu bringen, etwas
vorlesen mußte. Ich wählte Ihre Plauderei »An die
Zeitknicker«, die auch viel Anerkennung fand.
Eben wollte ich die »Anna Menzel« beginnen, als
wir zu unsern Zügen gerufen wurden mit der
Meldung: am Waldrande habe man feindliche Schützen
erkannt. Der Tanz begann. Immer mehr Angreifer
kommen aus dem Walde hervor. Unser Maschinen-
gewehr, welches sich zwischen meinem und dem
ersten Zug befand, fängt nun auch an mitzuwirken.
364
Ebenso war unsere Artillerie auf der Hut gewesen
und sandte nun gruppenweise ihre Schrapnells
auf den Gegner. Mir fiel die Unruhe meiner
Leute auf; der Gegner hatte schon teilweise den
Drahtverhau erreicht. Unter meinen Leuten waren
sehr viel junge Krieger, die heute zum erstenmal
im Feuer standen. Was konnte ich als Zugsführer
anderes tun als ihnen zurufen, ruhig zu feuern?
In diesem AugenbHck dachte ich an die Worte aus
der Mahnung an die Zeitknicker: »Ruuuhig, nur
immm-mer ruuuhig!« Gebückt von Mann zu Mann,
von Gruppe zu Gruppe kriechend, rief ich ihnen zu.
Die Wirkung war bald zu merken. Die Feinde, die
schon im Begriff waren, unsern Drahtverhau zu
überwinden, wurden von den nun sichtbar ruhig
feuernden Schützen niedergeknallt. Der Angriff war
glatt abgewiesen; wir hatten nur v/enig Verluste.
So ist es uns geglückt, dem Gegner wieder mal eins
auf die Nase zu geben dank unserer Wachsamkeit
und dem ruhigen Feuern der Schützen, das ich
wiederum in erster Linie Ihrer Erzählung verdanke.
Sie hat eine ungeahnte Wirkung gehabt!
Ein Pionier: Von der Walstatt aus entbiete
ich Ihnen, großer Meister und Freund der Jugend,
meine herzlichsten Grüße! Möge es uns bald vergönnt
sein, den schon aus vielen Wunden blutenden Feind
röchelnd zu unseren Füßen zu sehen. Heil dem
Künstler, dessen Feuergeist für seines Volkes Ehre
ficht!
Ein Kriegsfreiwilliger: In der Telephonbude
liegt ein Buch von Otto Ernst. Die Sonnenflecke spielen
über die Seiten. Ich hab' so 'ne Freud' an Ihnen
gehabt, so 'ne Freud' überhaupt bekommen am Morgen,
daß ich ein Ventil haben muß für all den Frühlings-
übermut in mir. Fortlaufen, durch den Wald laufen,
in die Welt laufen möcht' ich! Verflucht, das möchte
ich, wenn ich nicht meinen Posten hätt'! Was denn
dann tun? Singen! Jawohl, das hilft immer!
365
Gleich will mir niclil einfallen, was nun am besten
zu schmettern war'. Husch — da ist der Gedanken-
blitz — schwupp, da liegt der Befehlsblock! Raus
mit dem Bleistift — Otto Ernst soll einen Gruß
haben! Guten Morgen, Otto Ernst! Wissen Sie auch,
daß Sie ein ganz alter Bekannter von mir sind?
Jawohl, Sempersjung, das sind Sie!
(Ein Generalmajor erscheint.)
Der Zensuroffizier: Ah, auch Herr General?
Der Generalmajor (liest): Gestern habe ich mich
an Ihrer »Weihnachtsfeier« erquickt. Leider habe ich
in Ihren Büchern nicht finden können, ob Sie —
wenn Sie sich mal zur Arbeit stärken müssen —
dies mit Rot- oder Weißwein tun. (Lachen.) Bei Ihren
prächtigen Charaktereigenschaften und Ihrem Humor
würde ich (als Mecklenburger ! !) auf Rotwein schließen I
Eins aber weiß ich: sollte es im Himmel Sofaplätze
geben, dann bekommen Sie einen solchen!
(Immer neue Offiziere und Soldaten aller Waffengattungen
erscheinen.)
Der Zensuroffizier: Nee Kinder, morjen
ist auch 'n Tach!
(Verwandlung.)
32. Szene
Eine stille Poetenklause im steirischen Wald.
Ein Kernstoc k-V e r e h r e r : Pst — leise —
da sitzt er, ganz versunken —
Ein zweiter Kernstock-Verehrer: Von
hier aus sendet er seine Lieder ins Land, Lieder
von kraftvoller, dabei doch sinniger und oft unbe-
schreiblich zarter Eigenart, Lieder —
Der erste: Ei, es sollte mich wundern, wenn
er nicht eben —
Der zweite: So scheint es. Still! Alle seine
Hörer werden, entflammt an seiner Flamme, das
366
Empfangene dereinst als Lehrer tausendfältig weiter-
geben und in die Herzen einer neuen Jugend wird
versenkt werden, was dieser eine Mann auf seiner
waldumrauschten, einsamen Burg in jahrzeiintelanger
Arbeit ergründete.
Der erste: Fürwahr, der Pfarrherr von der
Festenburg ist ein Mann, der mit feuriger, begnadeter
Zunge alle lebendigen Schönheiten der Gotteswelt
zu preisen versteht. Still!
D e r z w e i t e : Pst — es scheint über ihn gekommen
zu sein. Wird es ein Gedicht oder ein Gebet?
Kernstock (murmelt) :
Bedrängt und hart geängstigt ist
Dein Volk von fremden Horden,
Durch Übermut und Hinterlist
Mit Sengen und mit Morden.
Der erste: Ei das kenne ich schon. Das ist
ja das Gebet vor der Hunnenschlacht.
Kernstock (murmelt) :
O Herr, der uns am Kreuz erlöst,
Erlös' uns von der Hunnenpest!
Kyrie eleison!
Der zweite: Kein Wunder, daß er die Berufung
nach Wien angenommen hat. Geadelt durch seinen
Priesterberuf, muß er auch als Mensch die allertiefste
und nachhaltigste Wirkung auf seine jugendlichen
Zuhörer ausüben.
Kernstock (murmelt):
Mit uns sind die himmlischen Scharen all,
Sankt Michel ist unser Feldmarschall.
Der erste: Einen Augenblick lang wird ja
der Pfarrherr von der Festenburg gezögert haben,
seine verträumte, stille Poetenklause im steirischen
Wald mit dem Lärm der Großstadt zu vertauschen.
Einen Augenblick lang nur —
367
Kernstock (murmelt) :
Da winkte Gott — der Rächer kam,
Das Racheschwert zu zücken
Und, was dem Schwert entrann, im Schlamm
Der Sümpfe zu ersticken.
Der zweite: Dann aber wird wohl die
Erkenntnis in ihm gesiegt haben, welch hoher
Beruf sich ihm hier erschließt, welch neue Möglich-
keiten ethischer, künstlerischer, kulturfördernder
Betätigung sich ihm in Wien bieten. Und die
Stimme dieser Erkenntnis wird bald die Oberhand
gewonnen haben über das verlockende Rauschen
der Tanuenforste um die Festenburg.
Beide: Still!
Kernstock (wie überwältigt) :
Steirische Holzer, holzt mir gut
Mit Büchsenkolben die Serbenbrut!
Steirische Jäger, trefft mir glatt
Den russischen Zottelbären aufs Blatt!
Steirische Winzer, preßt mir fein
Aus Welschlandfrüchtchen blutroten Wein!
Der erste: Es ist nichts Neues, aber es reißt
immer von Neuem fort. Der Augenblick ist da. Wenn
wir ihn jetzt beim Wort nehmen und ihm als
schwärmerische Jünglinge unsere Stammbücher
hinhalten, so wär's eine Erinnerung fürs Leben.
Der zweite: Fürwahr, das wollen wir!
(Verwandlung.)
33. Szene
Bei einem Abschnittskommando.
Die Schalek: Als wir vom Kriegspressequartier
gestern in die Stellungen kamen, erlebte ich etwas
Seltsames. Allnächtlich marschieren die alten Arbeiter
mit ihren Tragtieren durch die Feuerlinie, um den
Proviant zu den Stellungen zu bringen. Ich war
gerade in diesen Anblick versunken. Da unterbrach
368
der Kommandant meine andächtige Bewunderung
durch den kräftigen Zuruf: »Ihr Hornviecher, ihr
gottverdammten! Werds auseinanderrücken! Müßt
ihr von einer Granate alle gleichzeitig hin werden?«
Das galt natürlich nicht uns vom Kriegspressequartier,
sondern den alten Arbeitern, und er entschuldigte
sich auch gleich darauf, denn er begrüßte uns
lachend mit den Worten: »Entschuldigen Sie den
temperamentvollen Empfang!« Ich kann nur bei
allem Mitleid mit jenen armen alten Helden
konstatieren, daß ich der Schneid und der Liebens-
würdigkeit der Offiziere meine Anerkennung nicht
versagen kann. Ein unvergeßliches Bild bot sich uns.
Alle Herren waren zu unserem Empfange versammelt.
Sonst hockt jeder wohlgedeckt oder er schläft, jedenfalls
hütet er sich sehr, hier offen spazieren zu gehen.
Aber weil der erste Kriegsberichterstatter angekündigt
worden ist, sitzen die Herren gemütlich wie im
Rathauskeller beisammen und erwarten uns. Mehr
als das. Man hatte mit der Beschießung gewartet,
bis wir oben angelangt waren, weil sonst das
Vergeltungsschießen uns den Weg recht unangenehm
hätte gestalten können. Dieses Verfahren hatte also
nicht nur für uns von der Presse, sondern auch für
die Offiziere die Annehmlichkeit, daß sie sich einmal
im Freien zeigen konnten, und es hätte schließlich auch
den armen alten Arbeitern einen gefahrlosen Marsch
gesichert, wenn sie gleichen Schritt mit dem Kriegs-
pressequartier gehalten hätten und mit dem Proviant
nicht später angekommen wären als wir. Ich kann
aber daraus den Schluß ziehen, daß es ihnen bei
einiger Einteilung ganz gut ginge, nämlich wenn
jeden Tag Pressebesuch bei den Stellungen wäre,
und daß dann die Gefahren der Kriegführung für
die Offiziere, für die Mitglieder des Kriegspresse-
quartiers und last not least für den einfachen Mann
wesentlich abgeschwächt wären.
(Verwandlung.)
369
34. Szene
Berlin, Tiergarten.
Ein Austauschprofessor und ein nalionalliberaler Abgeordneter
treten auf.
Der Austauschprofessor: Wir führen einen
Verteidigungskrieg. Molti^e hat zu 'nem amerikanischen
Aushorcher gesagt, daß unser Generalstab niemals
irgendwelche raubgierige militärische Eroberungs-
pläne gehegt hat, von denen unsere Feinde immerzu
schwatzen. Wie hätten wir einen Krieg gegen so
überlegene Kräfte, sagte er, wie diejenigen unserer
mächtigsten Militär- und Seenachbarn es sind, in
frivoler Weise herbeiwünschen können!
Der nationalliberale Abgeordnete: Sehr
richtig, und wir haben den festen Willen, heraus-
zuholen aus diesem Kriege, was unsere Heere und
was unsere blauen Jungens herausholen können,
und nicht zu ruhen, bis Englands Weltmachtsdünkel
vollständig niedergebeugt ist. Heute ist der Moment
gekommen, wo das Ergebnis des Krieges nur der
Friede sein kann, der uns eine Erweiterung unsrer
Grenzen in Ost und West und Übersee bringt,
wo deutsche Weltpolitik das Gebot der Stunde
sein muß.
Der Austauschprofessor: Sehr richtig, der
englische Weltm.achtsdünkel muß gebrochen werden
und wer an unserer Friedfertigkeit zweifelt, der soll
uns von einer andern Seite kennen lernen! Der
Deutsche hat keine andere Sehnsucht, als im Lande
zu bleiben und sich redlich von seinen Kolonien
zu nähren. Dafür geben wir doch der Welt unsre
Bildung!
Der nationalliberale Abgeordnete: Ja, für
unsere kulturelle Eigenart hat die Welt bisher zu
wenig Verständnis gehabt und das wollen wir ihr
jetzt mal gründlich einbläuen.
Die letzten Tage der Menschheit. 24
370
Der Austauschprofessor: Bis dahin wird's
leider noch lange Weile haben, und daran ist aus-
schließlich Amerika schuld. Moltke hat zu jenem
Amerikaner gesagt, der Krieg werde so lange dauern,
bis Amerika aufhören werde, Waffen und Munition für
unsere Feinde zu liefern. Moltke gibt ja zu, daß diese
Lieferungen das Werk eines Privatkonzerns seien,
aber er ist überrascht, daß so viele Amerikaner
wegen materieller Vorteile einen unneutralen Handel
zu treiben gewillt sind und daß die Regierung dem
kein Ende bereitet. Daß die deutschen Waffenfabriken
selbst, im Frieden, an unsre Feinde geliefert haben,
sei ja etwas ganz anderes. Das tut die Waffenindustrie
allerorten. Wir waren also in derselben Lage wie
unsere Gegner, der Unterschied liegt nur darin, daß
wir, sagt Moltke, gezwungen waren, uns selbst zu
helfen, während für unsre Feinde außer unseren
Waffenfabrikanten noch die amerikanische Industrie
einsprang.
Der nationalliberale Abgeordnete: Ja, das
habe ich gelesen. In der gleichen Zeitungsnummer
wird auch von der sogenannten »Enthüllung« des
,World' Notiz genommen, daß wir gleichfalls
Versuche gemacht hätten, aus Amerika Munition zu
bekommen. Und das nennen die naiven Leutchen
'ne Enthüllung! Gottvoll! Als ob das nicht selbst-
verständlich wäre.
Der Austauschprofessor: Jewiß doch, und
da wir nichts bekommen haben, haben wir wohl ein
heiliges Recht, uns wenigstens über Neutralitätsbruch
zu beklagen!
Der nationalliberale Abgeordnete: Jewiß
doch, und umsomehr, als keiner vorliegt. Denn sehen
Sie, die Vereinigten Staaten erklären ausdrücklich,
es liege im Wesen ihrer Neutralität, daß sie uns
ebenso gern Waffen und Munition verkaufen würden
wie unsern Feinden. Und warum sollten wir von
371
dieser Neutralität nicht Gebrauch machen, wenn uns
die Fabriken liefern wollten? Das ist auch der
Gedankengang der .Frankfurter Zeitung', die die
famose Enthüllung des ,World* bespricht. Bedauerlich
ist dabei eben nur, daß wir die Munition, die wir
aus Amerika haben wollen, nicht von den dortigen
deutschen Fabriken, weder von den deutsch-
amerikanischen noch von den reichsdeutschen
Fabriken beziehen können, die an unsre Feinde
liefern.
Der Austauschprofessor: Wie? Deutsche,
reichsdeutsche Unternehmungen sind das? Nicht
englische?
Der nationalliberale Abgeordnete: I wo,
von den englischen sollen es etliche verweigert haben.
Na, vermutlich würden die uns auch nichts liefern.
Das ist eben das Pech, die feindlichen liefern uns nichts
und die deutschen haben sich schon an unsre Feinde
vergeben. Nun ja, eine Fabrik als solche muß ja
nicht das Neutralitätsprinzip wahren. Die deutschen
Fabrikanten verletzen es doch gewiß nicht, wenn sie
Waffen an unsere Feinde liefern!
Der Austauschprofessor: Nee. Aber — ja —
doch — ach is das 'n Wirrwarr 1 Man vertauscht in
diesem Kriege alle Begriffe. Wenn nur schon Friede
wäre, da könnte man sich wenigstens selbst wieder
vertauschen lassen und alles wäre in Ordnung.
Der nationalliberale Abgeordnete: Na
beruhigen Sie sich. Es ist dafür gesorgt, daß die
Bäume nich in den Himmel wachsen. Die Debatte
dürfte bald überholt sein. Zum Glück wird ja
Amerika in den Krieg eintreten, und da werden
unsere Landsleute drüben wohl oder übel sich
besinnen müssen und werden statt an unsre Feinde
an Amerika Waffen liefern.
Der Au stau seh Professor: So muß es kommen!
(Verwandlung.)
24*
372
35. Szene
Berliner Vortragssaal.
Der Dichter:
— Und ob jeder Schritt über Fleischfetzen steigt,
Kartätschen und Stacheldraht:
Die befohlene Linie wird erreicht —
Schwatzt nicht von Heldentat!
Wir tun unsre Pflicht, das genügt.
(Rufe: JawoU!)
— Über Kampfbefehle, jäh belebende,
Schmettern die Geschütze ihre schwebende
Sphärenmusik.
(Rufe: So ist es!)
— Marsch marsch, ruft Gott, schützt euer Land,
Schützt eurer Kinder Vaterland!
(Lebhafter Beifall.)
— Unsre grauen Kähne
Haben weiße Zähne.
Die blitzen los auf jeden Schuft,
Der nach des Kaisers Flagge pufft,
Unterm deutschen Himmel.
(Stürmischer Beifall. Bravo-Rufe.)
ll Der Kaiser, der die Flotte schuf,
*' Der steht mit Gott im Bunde — (Rufe: So ist es?)
Denn das ist Deutschlands V/eltberuf :
Es duckt die Teufelshunde.
Unsre blauen Jungen
Haben rote Zungen;
Die zischen durchs Kanonenrohr,
Dann fliegt der Feind durchs Höllentor
Unterm deutschen Himmel.
(Stürmischer Beifall.)
373
Sprung! Vorwärts marsch! Herausausdem Bau!
Durch! Durch! Knirscht's, knattert 's im Draht-
verhau,
Und Lerchenjubel im Blauen.
Nur hurra, hurra! schweig, Wehgekreisch!
Marsch marsch, blankes Eisen, insFeindesfleisch!
Und Lerchenjubel im Blauen.
(Donnernder Beifall.)
— — Kriegsgenossen, laßt uns singen:
Sei geheiligt, Graus auf Erden!
(Nicht endenwoilender Beifall. Rufe: Hoch Dehmel!)
(Verwandlung.)
36. Szene
Wiener Vortragssaal.
Der Nörgler:
Mit der Uhr in der Hand.
»Eines unserer Unterseebote hat am 17. Sep-
tember im Mittelmeer einen vollbesetzten
feindlichen Truppentransportdampier versenkt.
Das Schiff sank innerhalb 43 Sekunden.«
Dies ist das Aug in Aug der Technik mit dem Tod.
Will Tapferkeit noch Anteil an der Macht?
Hier läuft die Uhr ab, aller Tag wird Nacht.
Du mutiger Schlachtengott, errett uns aus der Not!
Nicht dir, der du da dumpf aus der Maschine kamst,
ein Opfer war es, sondern der Maschine!
Hier stand mit unbewegter Siegermiene
ein stolzer Apparat, dem du die Seele nahmst.
Dort ist ein Mörser. Ihm entrinnt der arme Mann,
der ihn erfand. Er schützt sich in dem Graben.
Weil Zwerge Riesen überwältigt haben,
seht her, die Uhr die Zeit zum Stehen bringen kann!
374
Geht schlafen, überschlaft's. Gebt Gnade euch und Ruh.
Sonst sitzt euch einst ein Krüppel im Büro,
drückt auf den Taster, hebt das Agio,
denn grad flog London in die Luft, wie geht das zu !
Wie viel war's an der Zeit, als jenes jetzt geschah?
Schlecht sieht das Aug, das giftige Gase beizen.
Doch hört das Ohr, die Uhr schlug eben dreizehn.
Unsichtig Wetter kommt, der Untergang ist nah.
Entwickelt es sich so mit kunterbunten Scherzen —
behüte Gott den Gott, daß er es lese!
Der Fortschritt geht auf Zinsfuß und Prothese,
das Uhrwerk in der Hand, die Glorie im Herzen.
Ein Zuhörer (zu seiner Gattin): Man kann
sagen auf ihm was man will — eine Feder hat er!
(Verwandlung.)
37. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Patriot: Kein Badezimmer in Downing
Street! Also was sagen Sie!
Der Abonnent: Was soll ich sagen, es
rieselt im Gemäuer.
Der Patriot: Kein Badezimmer in Downing
Street !
Der Abonnent: No und wem haben wir
diese befremdliche Entdeckung zu verdanken? Ihm!
Der Patriot: Natürlich, aber eigentlich hat
Frau Lloyd George diese befremdliche Entdeckung
gemacht, das muß man zugeben.
Der Abonnent: Noja, aber er hat gebracht!
Der Patriot: No und wissen Sie, was daraus
mit zwingender Logik folgt?
Der Abonnent: Er schreibt ja ausdrücklich,
die britischen Premierminister, die seit hundert und
375
mehr Jahren in Downing Street residieren, haben
also auf den Luxus eines Bades entweder verzichtet
oder eine öffentliche Badeanstalt aufsuchen müssen.
Der Patriot: Recht geschiehts ihnen, denen
Schmutzianen, ich hab a Freid.
DerAbonnent: Und bitte, nicht wie bei uns,
wegen dem Krieg — nein, über hundert Jahr haben
sie dort die Schweinerei anstehn lassen!
Der Patriot: Asquith hat dort mit seiner
Familie neun Jahre lang verlebt.
DerAbonnent: So hat er also neun Jahr
nicht gebadet, er und die ganze Familie.
Der Patriot: No, das kann man nicht sagen.
Vielleicht ham sie eine öffentliche Badeanstalt t)esucht.
DerAbonnent: Bitte, das wurde nie gemeldet !
Oder ham Sie je gelesen —
Der Patriot: Nicht daß ich mich erinner.
Der Abonnent: No also!
Der Patriot: Aber wissen Sie was doch
möglich is? Gut, es is kein Badezimmer in Downing
Street. Gut, es is nachgewiesen, sie sind auch nie
in eine öffentliche Badeanstalt gegangen — aber
daraus folgt doch noch nicht, daß sie überhaupt
nicht gebadet haben seit hundert Jahr?
Der Abonnent: Wieso? Mir scheint Sie
sind etv/as e Skeptiker!
Der Patriot: Schaun Sie her, die Lloyd
George hat es entdeckt, schreibt er, wie sie ein-
gezogen sind. No wenn sie so etwas entdeckt —
was wird sie tun künftig?
Der Abonnent: Weiß ich? Mei Sorg!
Der Patriot: Sie wird tun, vermut ich, was
höchstwahrscheinlich auch die Asquith getan hat —
Der Abonnent: No was hat sie getan?
Der Patriot: Was sie getan hat? Sie hat
getan, vermut ich, was höchstwahrscheinlich alle getan
haben was dort gewohnt haben seit hundert Jahr.
DerAbonnent: No was ham sie getan ?
376
Der Patriot: Was sie getan harn? No is
in Schönbrunn ein Badezimmer?
Der Abonnent: Was denn is dort?!
Der Patriot: No — ich hab mir sagen
lassen — also ich will ja nichts gesagt haben —
aber nehmen wir an — also hat sich der Kaiser seit
hundert Jahr nicht gebadet oder glauben Sie, daß
er ins Zentralbad geht?
Der Abonnent: Schöner Patriot was Sie sind!
Aber wie kommt das zu dem, sagen Sie lieber was
sie in Downing Street getan haben.
Der Patriot: Was sie getan haben? Schon
der einfache Laie muß das erkennen — sie ham
der Schickse geschafft, daß sie ihnen Wasser holt
und ham sie geschickt um e Schaff und dadarin
ham sie sich gebadet!
Der Abonnent (hält sich die Ohren zu) : Ich
kann so etwas nicht hören! Sie nehmen einem die
letzte Illusion!
Der Patriot: Bitte, das is nur eine Vermutung.
Ich glaub ja auch eher, daß er recht hat — daß sie
also entweder überhaupt nicht gebadet haben oder
gezwungen waren, eine öffentliche Badeanstalt auf-
zusuchen.
Der Abonnent: Und ich sag Ihnen, sie ham
überhaupt nicht gebadet! Punktum. Poincare ist
erschüttert und Lloyd George gedemütigt. Engländer
und Deu-sche werden sich in Stockholm begegnen.
Der Patriot: Was heißt das? Wie kommt
das zu dem? Sie kommen mir schon vor wie Biach.
Der Abonnent: Sie, das sollten Sie aber
ja wissen, so schließt doch ein Leitartikel!
Der Patriot: Natürlich — ich weiß doch!
Wissen Sie was ich glaub? Es rieselt im Gemäuer.
Der Abonnent: Wem sagen Sie das! Aber
nicht von der Wasserleitung! In der ganzen Entente
hörich is kein Badezimmer.
377
Der Patriot: No das is übertrieben, haben
Sie nicht gelesen die Zarin in der Badewanne?
Der Abonnent: No ja, aber sie hat sie
bekanntlich mit Rasputin teilen müssen!
Der Patriot: Wissen Sie, worauf ich
gespannt bin?
Der Abonnent: Worauf? ich bin gespannt.
Der Patriot: Ob in Downing Street ein
Klosett is! Oder ob sie seit hundert Jahren
gezwungen waren, entweder auf den Luxus zu
verzichten oder eine öffentliche Bedürfnisanstalt
aufzusuchen. Gott strafe England.
Der Abonnent: Ma werd doch da sehn. (Ab.)
(Verwandlung.)
38. Szene
In einem Coupe.
Ein Geschäftsreisender: Köstlich ist die
neue Operette »Ich hatt einen Kameraden«.
Zweiter Geschäftsreisender: Kenne ich.
Vertrete den Honigfliegenfänger »Hindenburg«.
Marke: »Einen bessern findst du nicht«. Und Sie?
Der erste: Diana-Kriegs-Schokolade. Auf-
machung mit den Bildern unsrer Heerführer. Ver-
kosten Sie mal — (Öffnet den Musterkoffer.) Vordem war
ich Verkaufskanone bei verschiedenen Brancher:.
Der zweite: Ich bin so frei. (Er ißt.) Außer-
ordentlich wohlschmeckend. Nährmittelpräparate ver-
trete ich übrigens auch. Zum Beispiel Hygiama —
Der erste: Was, Sie vertreten Hygiama?
Allerlei Hochachtung!
378
Der zweite (öffnet den Musterkoffer): Verkosten
Sie mal —
Der erste: Ich greife zu. Ach, mit 'ner
Gebrauchsanweisung. (Er ißt und liest):
Verfolgst du kämpfend den Franzosen,
So gib ihm tüchtig auf die Hosen,
Begegnest du dem Söldner-Britten,
So reguliere ihn mit Tritten,
Siehst du von weitem schon den Ruß,
So vorbereite dich zum Schuß.
(Zu große Nähe mußt du meiden,
Weil Mitbewohner ihn begleiten).
Gelungen!
Doch ist zu diesen Heldentaten
Vorherige Kräftigung anzuraten.
Stockt einmal Zufuhr von Provifint,
Bewahr als eisernen Bestand
Hier diese Schachtel m.it Tabletten,
Die dich vor dem Verhungern retten.
Gebrauche sie nur in der Not,
Verzehre sie nicht wie das Brot,
Laß langsam sie im Mund zerfließen,
Du stärkst dich und kannst dabei schießen.
Sie stillen Hunger dir und Durst,
Ersetzen Fleisch und Brot und Wurst,
Genieße sparsam Stück für Stück,
Kehr siegreich und gesund zurück.
Wir wären dir zu Dank verpflichtet.
Schriebst du uns, was du ausgerichtet.
Dr. Theinhardts Nährmittel-Gesellschaft
Stuttgart-Cannstatt.
Die Verse sind nicht weniger bekömmlich als die
Ware. Famose Aufmachung! Wir Deutsche sind nu
mal das Volk der Dichter, nee da könn' se nischt
dawider.
379
Der zweite: Nich wahr? Ja, das solln se
uns nachmachen mit ihrem britischen Krämergeist!
Das ist made in Germany, auch wenns just nicht drauf
steht, 's ist alles da, in zugkräftiger Verbindung.
Fürs Vaterland und fürs Geschäft, und wenn es mal
uffs Janze jeht, auch die Kunst im Dienst des Kauf-
manns steht! Sehn Se, da mach ich fix selbst nen
Reim druff.
Der erste: Sollten die köstlichen Verse von
Ihnen sein?
Der zweite: Ach nee, meine Firma beschäftigt
nur erstklassige Dichter. Augenblicklich bin ich nicht
mal in der Lage, Ihnen Bescheid zu geben.
Der erste: Darf man auf Presber raten oder
etwa auf Bewer?
Der zweite: Ich kann's wahrhaftich nich
sagen. Jedenfalls freut es unsre Feldgrauen. Wenn
der Deutsche Ernst macht, dann darf auch der
Humor in seine Rechte treten. Schießt sich leichter
und erhält gesund. Ist von Ihrer Firma schon einer
gefallen?
Der erste: Gewiß, unser jüngerer Scheff hat
den Heldentod fürs Vaterland erlitten. Da haben Sie
die Anzeige.
Der zweite (liest): » — Sein weiter kaufmännischer
Blick ließ ihn früh die großen Kampfesziele erkennen
und freudig zog er hinaus pro gloria et patria. Nun
hat ihm die Norn die Wege verlegt, die treue Liebe
in rastloser Arbeit für ihn geebnete. Donnerwetter!
Aufmachung imposant!
(Verwandlung.)
39. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Worüber denken Sie nach?
Übe. ein Sprachproblem?
380
Der Nörgler: Jawohl. Ich habe heute gelesen,
daß die Deutschen die feindlichen Vorstellungen
genommen haben. Da fiel mir eben ein, daß sie
auch die eigenen genommen haben und vollständig
unbrauchbar gemacht. Es sind noch Trichter da.
Der Optimist: Wie meinen Sie das? Sachlich
oder wörtlich?
Der Nörgler: So und so, also wörtlich. Ich
glaube, Schopenhauer hätte über die Welt als Wille
zur Macht und deutsche Vorstellung nachgedacht.
Der Optimist: Na aber Nietzsche?
Der Nörgler: Hätte den Willen zur Macht
mit Bedauern als falsche Vorstellung zurückgezogen.
(Verwandlung.)
40. Szene
Das deutsche Bad Groß-Salze. Vorn ein Kinderspielplatz. Ausblick
in eine Allee, vor deren Eingang rechSs eine Tafel: »Macht
Soldaten frei!«, links eine Tafel: »Für Verwundete kein Zutritt.<
Links die Villa Wahnschaffe, ein mit Zacken, Zinnen und
Türmchen verziertes Gebäude, von dessen Giebel eine schwarz-
rotgoldene und eine schwarzweißrote Fahne flattern. Unterhalb
des Giebels in einer Nische die Büste Wilhelms II. Über dem
Eingang eine Inschrift mit den Worten: »Mit Herz und Hand
für Gott, Kaiser und Vaterland!« Ein karges Vorgärtchen, in
welchem Figuren von Rehen und Gnomen aufgestellt sind,
mitten unter ihnen eine alte Ritterrüstung. Vor dem Eingang,
rechts und links zwei Modelle von Mörsergeschossen, das
eine mit der Inschrift: »Immer feste druff!«, das andere mit:
»Durchhalten!*. Die Spitzbogenfenster an der Front haben
Butzenscheiben.
Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe tritt aus der Villa
und singt das folgende Couplet, dessen musikalisches Nachspiel
zu jeder Strophe von einem unsichtbaren Chor mitgesungen wird,
der das Gelächter des Auslands vorstellt.
381
- j I j J"'^"'4f^
..mm
XZE
f
ä
-#— n
y-^zg
♦—•*-
/^
/7\
i^f r ^ iJ J J J H i^f r^
/T^
r[;r'[;i^iXi^
g
Nachspiel
ufemuriJ l^i
Ob unter See, ob in der Luft,
wen Kampf nicht freut, der ist ein Schuft.
Doch weil das Schuften ich gewohnt,
so schuft' ich nicht bloß an der Front,
ich kämpf auch schneidig und gewandt
und halte durch im Hinterland,
ich schufte früh, ich schufte spat,
die Schufte das erbittert hat.
Nur feste druff! Ich bin ein Deutscher!
Im Frieden schon war ich ein Knecht,
drum bin ich es im Krieg erst recht.
Hab stets geschuftet, stets geschafft,
vom Krieg alleine krieg' ich Kraft.
Weil ich schon vor dem Krieg gefrohnt,
hat sich die Front mir auch gelohnt.
Leicht lebt es sich als Arbeitsvieh
im Dienst der schweren Industrie.
Heil Krupp und Krieg! Ich bin ein Deutscher!
382
Ich scheue keine Müh' und Plag',
zu wenig Stunden hat der Tag.
Daß fester steh am Rhein die Wacht,
hab' ich die Nacht zum Tag gemacht.
Weil vor dem Krieg ich nicht geruht,
drum gibt es Krieg und uns gehts gut.
Wir schlagen uns mit Vehemenz
und schlagen kühn die Konkurrenz.
In Not und Tod: Ich bin ein Deutscher!
Ich geb' mein deutsches Ehrenwort:
wir Deutsche brauchen mehr Export.
Um an der Sonne 'nen Platz zu haben,
gehn wir auch in den Schützengraben.
Zu bessrer Zukunft Expansionen
hilft uns so unbequemes Wohnen.
Einst fragt' ich nicht nach Gut und Geld,
der neue Deutsche ist ein Held.
Der neue Deutsche ist ein Deutscher!
Krieg dient uns, damit Waffen sind,
wir drehn den Spieß, wer wagt gewinnt.
Das Lebensmittel ist uns Zweck,
drum nehmen wir vorlieb mit Dreck.
Wir mischen Handel mit Gebet,
die Kunst im Dienst des Kaufmanns steht.
Es war einmal, doch jetzt ist's aus,
Walhalla ist ein Warenhaus.
Für Ideale lebt der Deutsche!
In solchem Leipziger Allerlei
lebt es sich fromm, jedoch nicht frei.
Fehlt es dann aber auf dem Tisch,
lebt es sich fröhlich, doch nicht frisch.
Lebt von der Hand sichs nur zum Mund,
so ist das Leben ungesund.
Denn mehr noch von dem Mund zur Hand
hält durch des Deutschen Vaterland.
Von Idealen lebt der Deutsche!
383
Für dies Prinzip, und es ist gut,
sciiwimml heute der Planet in Blut.
Für Fertigware und Valuten
muß heut' die ganze Menschheit bluten.
Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisen
und laßt den deutschen Gott uns preisen!
Gebt Blut — habt ihr das nicht gewußt? —
für Mark: das ist kein Kursverlust!
Darum erhofft Profit der Deutsche!
Steht unsre Sache mal so so,
gibt Wahrheit uns das Wolffbüro.
Doch geht die andre Wahrheit aus,
verköstigen wir uns doch im Haus.
Fehlt selbst das Fremdwort Surrogat,
wir Deutsche wissen dennoch Rat.
Wir setzen prompt an seinen Platz
das gute deutsche Wort Ersatz.
Auf deutsch gesagt: Ich bin ein Deutscher!
Der Hungerplan wird ausgelacht,
den Willen haben wir zur Macht.
Im U-Boot sitzend lachen wir
und sagen einfach: Machen wir;
um Zeit zu sparen, auch: m. w.
Die Schiffahrt lernt man auf der Spree.
Was nützt den Feinden alle List,
die Mahlzeit machen wir aus Mist.
Nicht unterkriegt der Krieg den Deutschen!
Und wenn die Welt voll Teufel war',
die Fibel sagt: Viel Feind, viel Ehr.
Drum: Deutschland über alles setzt
sich kühn hinweg zuguterletzt.
Weil bei uns alles schneidig ist,
die ganze Welt uns neidig ist.
Gott weiß allein, wir sind so brav,
wir wünschen, daß er England straf.
Beim deutschen Gott, ich bin ein Deutscher!
384
Wir preisen Gott auf unsre Weise
wie vor dem Krieg zum alten Preise.
Zur Ehre Gottes, des gerechten,
woll'n wir auch gern im Schatten fechten.
Gäb's alleweil nur Sonnenschein,
man könnt' des Lebens sich nicht freun.
Das wahre Glück bringt Schießen nur,
drum gaudeamus igitur.
Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!
Das eine aber weiß ich nur,
wir Deutsche haben mehr Kultur.
Kultur, bei allen andern Gaben,
ist mit das Beste, was wir haben.
Wir schwärmen für die Schlachtenlenker,
doch sind wir auch das Volk der Denker.
Gern woU'n für Schillern und selbst Goethen
wir ein »Denn er war unser« beten.
Mit Bildung schmückt sein Heim der Deutsche!
Deutsch ist das Herz, deutsch der Verstand,
mit Gott für Krupp und Vaterland!
Die Grenzen sichert Hindenburch,
im Innern halt ich selber durch.
Wir Deutsche haben zu viel Glück;
gehn wir bescheiden drum zurück,
nimmt man, des Sieges sich zu freun,
die eigne Siegfriedstellung ein.
Hurra! sagt in dem Fall der Deutsche!
Wir sagen stolz: Viel Feind, viel Ehr'l
Belegte Brötchen gibts nicht mehr.
Und mangels derer unentwegt
die Welt mit Bomben wird belegt.
Uns hilft die deutsche Wissenschaft
nebst Gott, der eben England straft
und der den Menschen nur erschuf,
zu dreschen immer feste druff.
Denn Gottes Ebenbild ist nur der Deutsche!
385
Noch lieber laßt uns als den Feind
die Phrase dreschen, die uns eint.
Am Ende wird die Wahrheit stehn:
Der Kampf wird bis zum Ende gehn!
Wir sorgen, daß uns nicht entgeh'
das erzne Becken von Briey.
Der Friede uns nicht intressiert,
eh wir die Welt nicht annektiert.
Die wenigstens gehört dem Deutschen!
Es geht uns doch nur um die Ehr'.
Nein, Belgien geben wir nicht her!
Wir halten rein das Ehrenkleid;
in Ehre wissen wir Bescheid.
Der Endsieg unser Recht beweist:
die Welt wird von uns eingekreist!
So muß und wird es uns gelingen,
die Pofelware anzubringen.
Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!
Nur weil man etwas Sonne braucht,
haben wir die Welt in Nacht getaucht.
Mit Gift und Gasen, Dunst und Dämpfen
woll'n bis zum jüngsten Tag wir kämpfen.
Denn bis wir Gottes Donner hören,
muß unsrer uns Ersatz gewähren.
Drum überall und auf jeden Fall
braust unser Ruf wie Donnerhall.
Ist das nicht praktisch von dem Deutschen?
Schon brennt die Erde lichterloh
dank unserm Fenriswolff-Büro.
Solang es andere Völker gibt,
ist leider unsres nicht beliebt.
Wo man nichts auf die Waffe setzt,
wird unsre Leistung unterschätzt.
Die Welt will weniger Krawall,
und unsrer braust wie Donnerhall.
So hört man überall den Deutschen!
Die letzten Tage der Menschheit. 25
386
Nach'm Krieg wird noch mehr Arbeet sein
und noch mehr Krieg und noch mehr Pein.
Wie freue ich mich heut' schon drauf,
die Liebe höret nimmer auf.
Ach, wenn nur schon der Friede war',
damit ich seiner müde war' !
Es gilt die Technik auszubaun.
Zum U-Boot haben wir Vertraun.
Den Fortschritt liebt nun 'mal der Deutsche!
Wir woll'n die Wehrpflicht dann verschärfen,
die Kleinen lehren Flammen werfen.
Wir woll'n indes auch für die Alten
die Kriegsdienstleistung beibehalten.
Was wir gelernt, nicht zu verlernen,
laßt uns vermehren die Kasernen.
Die Welt vom Frieden zu befrein,
steht fest und treu die Wacht am Rhein
Aus der Geschichte lernt der Deutsche!
Und wenn die Welt voll Teufel war',
und wenn sie endlich menschenleer,
wenn's endlich mal verrichtet ist
und jeder Feind vernichtet ist,
und wenn die Zukunft ungetrübt,
weil es dann nur noch Preußen gibt —
nee, darauf fall'n wir nicht herein!
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Und weiter kriegt und siegt der Deutsche! cAb.)
Nachdem er abgegangen ist, erscheint seine Gattin, Frau
Kommerzienrat Auguste Wahnschaffe mit ihren Kindern, die
sich sogleich auf dem Spielplatz verlieren, um sich mit einem
Kriegsspiel zu beschäftigen.
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Ich
habe nur zwei Kinder, die leider noch nicht miütär-
tauglich sind, umsoweniger als das eine zu unserem
Leidwesen ein Mädchen ist. So muß ich mir mit
'nein Ersatz behelfen. indem ich mich der Vorstellung:
387
hingebe, daß mein Junge schon an der Front war, aber
selbstverständHch bereits den Heldentod gefunden hat,
ich müßte mich ja in Grund und Boden schämen,
wenn's anders der Fall, wenn er mir etwa unver-
wundet heimgekehrt wäre. Keinesfalls dürfte er mir in
der Etappe sein, wiewohl sich ja auch dorthin eine Kugel
leicht verirrt. Diese Vorstellung, die mit der beste Trost
ist, den ich habe, und die ich gegen jeden Zweifel
behaupte, indem ich den Zweifel mühelos abweise,
diese Vorstellung befestige ich in der Zeit, die
Ottomarchen zu schaffen hat. Ich bin also eigentlich
immer beschäftigt, bis auf die halbe Stunde, die sich
Manne, der soeben schaffen gegangen ist, zum
Essen Zeit nimmt. Was nun dieses Essen anlangt, so
behelfe ich mir als tüchtige Hausfrau auch hier mit
Vorstellungen. Heut waren wir in diesem Punkte
gut versorgt. Es gab allerlei. Wir hatten da eine
bekömmliche Brühe aus Hindenburg-Kakao-Sahne-
Suppenwürfel »Exzelsior«, einen schmackhaften
Falschen Hasen-Ersatz mit Wrucken-Ersatz, Kartoffel-
puffer aus Paraffin und 'nen Musbrei nach Haus-
mannsart, versteht sich alles auf der Bratpfanne
»Obu« bereitet, und zum Schlüsse Schillerlockenersatz,
der uns trefflich gemundet hat. Eine deutsche Hausfrau
weiß, was sie ihrem Gatten in dieser ernsten, aber großen
Zeit schuldig ist. Zwar Manne machte Männchen,
weil er seine leckern Hausmacher-Eiernudeln nicht
bekam. Is nich; so mußte er sich dreinfinden. Was
uns anfangs sehr abging, war Margarineersatz, aber
da wir Obu haben, so fehlt es uns jetzt an nichts
mehr. In der Hausfrauenvereinigung haben wir
neulich einstimmig beschlossen, daß die Mineral-
nährhefe, deren Eiweißgehalt vorzugsweise durch
die Verwendung von Harnstoff gewonnen wird, in
Bezug auf Nährwert der Brauereihefe gleichkommt
und darum nicht mehr ausschließlich an die Volksküchen
verteilt werden dürfe. Es ist heute Mode, den breiten
Schichten der Bevölkerung entgegenzukommen. Diese
25*
388
einseitige Bevorzugung muß ein Ende iiaben. Die
bürgerliclien Kreise wollen auch leben. Die Mies-
macher, die selbst hier was dawider haben, wenden
ein, dafl das Ding einen Heringsgeruch und einen
Petroleumgeschmack habe und dadurch imstande sei,
Ekel zu erregen. Wir deutschen Hausfrauen wissen
aber Bescheid und wir hoffen, daß sich diese Eigen-
tümlichkeiten beim Kochen vollständig verlieren
werden, ja wir sind überzeugt, daß die Mineral-
nährhefe den Speisen einen feinen Wohlgeschmack
verleiht. Ist das Mittachbrot vorbei, so kommt
wieder die Sorge um's Amdbrot. Zum Amdbrot gibts
heut wie immer Eintopfgericht, zur Abwechslung
aber Leberwurst aus Stärkekleister und rotgefärbtem
Gemüse und als Käseersatz Berliner Quark mit
Paprikaersatz, auch erproben wirheutedas vielgerühmte
Alldarin mit Eiersatz Dottofix aus Schlemmkreide
mit Backpulver und etwas Salatfix, ein köstlicher
Zusatz, den ich dem Salatin wie dem Salatol beiweitem
vorziehe. Denn für den deutschen Familientisch ist
das Beste gerade gut genug und es ist alles da, nich
so wie bei arme Leute. Zur Vesper versuchten wir
gestern Deutschers Teefix mit Rumaroma und waren
recht angenehm überrascht. Zwar die Kinderchen
machten Radau, weil sie ihre Rumgranaten Marke
»Unsern Kriegern stets das Beste« nicht hatten.
Manne bekam sein Eichelwasser, das beinahe so
schmackhaft ist wieTutti-Gusti-Kaffe Marke Schützen-
graben, der ja nun alle ist. Leider aber mußten
wir uns ohne Süßstoffwasserersatz behelfen, so daß die
Spritze leer neben jestanden hat. Ich wollte, einer
raschen Eingebung folgend, sie mit Wasserstoffersatz
füllen, um Manne die Vorstellung zu erhalten; es hieße
aber den Gatten betrügen und wenn mal ein Schritt
vom Wege getan ist, so folgt bald der zweite nach.
So tat Jch's denn nicht. Die schönen Zeiten sind nu
mal vorbei, wo man's noch bequem hatte und einfach
zu spritzen brauchte, um den Kriegskaffee-Ersatz zu
389
versüßen. Da man aber sonst überhaupt nicht wüßte,
daß es jetzt durchzuhalten gilt, so nehmen wir
solch kleine Entbehrungen gern in Kauf. Umso
lieber, als man ja anderes jetzt gar nicht in Kauf
nehmen kann, so daß wir das viele Geld, das Manne
verdient, glatt zurücklegen können. Der faule Friede
kommt früh genug, wo man's wieder für Tand aus-
gibt. Hoffentlich aber wird der Krieg noch lange
genug dauern, daß auch darin ein Wandel zum
Bessern eintritt. In der letzten Tagung der Vater-
landspariei hat Manne beantracht, daß der Krieg, den
britischer Neid, französischer Revangschedurst und
russische Raubgier uns aufjezwungen haben, auch
nach Friedensschluß fortgesetzt werden soll, und
mit diesem Antrach 'ne erdrückende Mehrheit erzielt.
Nun heißt es durchhalten und je länger je lieber. Wir
schaffen es. Kein Tag, der nicht 'ne Nachricht brächte,
die das Herz lauter schlagen ließe. Wie sagt doch
Emmi Lewald? »Dreitausend tote Engländer vor der
Front! Keine Symphonie klänge mir jetzt schöner!
Wie das angenehm durch die Nerven rinnt, fröhlich,
hoffnungerweckend. Dreitausend tote Engländer vor
der Front! — bis in die Träume klingt es nach und
surrt wie eine schmeichelnde Melodie ums Haupt.«
Bei Velhagen & Klasing ruft sie es aus. Ich fühle
auch so. Lliid wie liebe ich die wundervolle
Anny Wothe, die ihre prächtige Soldatenfrau dem
Manne die Geburt eines gesunden Jungen mitteilen
läßt: »Jott sei Dank wieder een Soldat! Der Junge
soll Willem heißen, er soll einmal so fest werden
wie unser Kaiser und druffschlagen, dat de Stücken
man so fliegen. Die andern Jungen aber, sie beten
alle Dage, du solltest recht ville Franzosen dot-
schlagen. Ik bete ooch, aber nicht um dein Leben.
Det steht bei Gott. Ik beet, det du ordentlich deine
Pflicht tust, det du nicht zuckst, wenn die Kugel
kommt, un det du ruhig stirbst, wenn et sein muß,
vor unser Vaterland, un unsern Kaiser, un nich an
390
uns denkst. Und wenn du vor deinen Hauptmann
sterben kannst, so denke ooch nicht an uns. Die
fünfe grüßen dir mit mir. Bei der Taufe von Willem
wollen sie Heil dir im Siegerkranz singen, womit
ik verbleibe deine treue Jattin!« — Ach weiß Jott, der
einzige Grund, warum ich meinem Jatten nicht auch
so schreiben kann, ist, daß er leider nicht im Felde
ist, weil er zum Glück unabkömmlich ist, und ferner,
daß ich nur einen Sohn habe, denn das jüngste ist
wie gesagt leider 'n Mädchen. Für das Opfer, fürs
Vaterland kein Opfer bringen zu können, müssen
einen die geschäftlichen Erfolge entschädigen. Wahn-
schaffe hat soeben eine wirklich interessante Kriegs-
neuheit geschaffen, die schon in Deutschland und
in dem mit uns Schulter an Schulter kämpfenden
Östreich-Ungarn patentamtlich geschützt ist und
deren Vertrieb an tüchtige Herren gegen hohe Provision
vergeben wird. Es ist »Heldengrab im Hause«, zugleich
Reliquienkästchen und Photographieständer und bietet
somit nicht nur'n artiges Schmückedeinheim, sondern
auchreligiöseErhebung. Es berührt mich wehmütig, (laß
wir selbst leider füifo zeitgemäßen Totenkult im Zimmer
keine Verwendung haben. Meine Kinder, nicht
alt genug, um schon für den Kaiser sterben oder
sich sonst für das Vaterl^ind opfern zu können,
iiaben aber leider auch den Nachteil, daß sie nicht
erst nach Kriegsausbruch zur Welt gekommen sind.
Sonst sollte mir der Junge Warschau heißen und das
Mädchen Wilna oder er Hindenburg und sie Zeppeline!
Denn daß der Junge Willem heißt, hat sich auch
vor dem Krieg von selbst verstanden, ich sehe darin
keine besondere patriotische Huldigung. Ach, da
kommen sie ja gelaufen, die niedlichen Jöhren!
"Was is'n los? Spielt ihr denn nich Weltkrieg?
Willichen (veeinend): Muttelchen, Mariechen will
nich dot sein!
Mariechen: Wir haben Einkreisung jespielt,
denn Weltkrieg, und nu —
391
Willichen (weinend): Ich wollte doch nur 'nen
Platz an der Sonne, da —
Mariechen: Er lügt!
Willichen: Ich hab ihren Punkt erfolgreich
mit Bomben belegt und nu will se nich dot sein!
Mariechen (weinend): Nee, is nich, is ne
feindliche Lüge, echt Reuter! Zuerst hat er meine
Vorstellung genommen und nu kommt er von der
Flanke! Ich habe den Angriff mühelos abjewiesen
und nu sagt er —
Willichen: Mariechen lügt! Ihr Gegenangriff
ist in unserem Feuer zusammengebrochen. Jetzt sind
übahaupt die letzten Engländernester gesäubert.
Fünf der Unsrigen sind nicht zurückgekeiirt.
Mariechen: Bei Smorgon erhöhte Gefechts-
tätigkeit.
Willichen: Wir haben Gefangene gemacht.
Mariechen: Wir haben eine gewisse Anzahl
Gefangener eingebracht. Die in unserem Feuer
gebrochenen Angriffswogen mußten, viele Leichen
auf unserem Gelände zurücklassend, in Unordnung
zurückfluten.
V/il liehen: Das ist die schonungslose Methode
der Russen, die bei ihren Offensiven die Massen
vorwärtstreiben. Die Stellungen blieben in unseren
Händen. Wir haben Volltreffer erzielt.
Marieclien: Ich bin zur Offensive übergegangen.
Willichen: Ich bereite mich auf einen dritten
Winterfeldzug vor.
Mariechen: 's ist ja gottvoll! Fatzke!
Willichen: Na wart, ik kämpfe bis zum
Weißbluten!
Mariechen: Du farbiger Engländer und
Franzose du !
Willichen: Es gelang dem Russen, in unseren
Gräben erster Linie Fuß zu fassen, aber ein von uns
bei Tagesanbruch ausgeführter Gegenangriff —
Mariechen: — warf ihn wieder hinaus.
392
Wil liehen: Mehrere Gegenangriffe, die der
Feind im Laufe des Nachmittags versuchte —
Mariechen: — wurden durch einen kühnen
Handstreich vereitelt. (Sie schlägt ihn.)
Willichen: Sie lügt! Das sind übrigens die
typischen Anfangserfolge jeder Offensive. (Er schlägt sie.)
Mariechen: Man hüte sich, die optimistischen
Voraussichten über die Offensive zu übertreiben.
Willichen: Beim letzten Luftangriff auf die
Festung London —
Mariechen: — habe ich sogleich Repressalien
geübt! Karlsruhe —
Willichen: Ja, drei Zivilisten sind tot, darunter
ein Kind. Der militärische Schade ist unbedeutend.
Es ist immer dasselbe.
Mariechen: Na und du? Zwei Zivilisten und
eine Frau! Der militärische Schade ist unbedeutend.
Es ist immer dasselbe.
Willichen: Sie hat die Flagge des Roten
Kreuzes nicht respektiert! Es ist immer dasselbe.
Mariechen: Er auch nicht! Es ist immer dasselbe.
Willichen: Wer hat angefangen?
Mariechen: Ich auch nicht!
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe (die bis
jetzt leuchtenden Auges zugehört hat): Mariechen, sei du
man ganz stille, Vater sagte, ihr dürftet V/eltkrieg
spielen, aber die Grenzen der Humanität müßtet ihr
einhalten. Willichen kann keiner Fliege 'n Haar
krümmen, er schützt seinen Besitzstand so gut er
kann. Er führt einen heiligen Verteidigungskrieg.
Willichen (weinend): Ich habe es nicht gewollt.
Mariechen: Wer denn?
W i 1 1 i c h e n : Immer feste druff ! (Er schlägt sie.)
Icli habe einen Volltreffer erzielt.
Mariechen (schlägt ihn): Komm nur in meine
Riegelstellung !
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Laß
doch Puppe!
393
Willichen: Wart man, ik hol meinen Flammen-
werfer !
Frau Kom m erzien r at Wahnschaffe:
Kinderchen spielt, aber haltet die Grenzen ein! Wenn
Willichen weiter so brav ist, bringt ihm Papelchen
das Eiserne Kreuz aus dem Kontor mit.
Willichen: Hurra! Da haste mein belgisches
Faustpfand! (Er stürmt sich auf Mariechen und verprügelt sie,
Marieclien weint.)
Frau Kom m e r zienr at Wahnschaffe:
Willichen, immer human! Vergiß deine gute Erziehung
nicht! (Sie geht mit einem Taschentuch auf Mariechen zu.)
Nu, Kinder, nu geht in die Stellung zurück,
Doch zuvor putz ich dir noch die Nase.
Mariechen (weinend):
Der Bengel beschießt meine Zuckerfabrik
Und verwendet giftige Gase I
(Sie erhebt sich und schlägt Willichen in die Flucht.)
Willichen: Der Rückzug ist nur strategisch.
(Im Laufen) In Erwartung dieses Angriffes war die
Räumung des der beiderseitigen Umfassung aus-
gesetzten Bügens seit Jahren ins Auge gefaßt und
seit Tagen eingeleitet worden. Wir kämpften den
Kampf daher nicht bis zur Entscheidung durch und
führten die beabsichtigten Bewegungen aus. Der
Feind konnte sie nicht hindern. (Aus der Entfernung)
Hurra, ich nehme die Siegfriedstellung ein!
(Zwei Invaliden humpeln vorbei, in die Richtung zur Allee.)
Frau Kommerzienrat V/ ahnschaffe:
Nun muß ich aoer zum Rechten sehn. Wir scheuem
heute mit dem Seifenersatzpräparat »Kriegskind«.
(Sie erblickt die Invaliden.) Schon wieder! Das ist denn
doch zu lästich! Wenn die jetzt die Tafel nicht wahr-
nehmen, mache ich die Anzeige beim Ortsvorsteher.
(Die beiden bleiben vor der Tafel stehen und kehren um.)
Der eine: Also wohin?
Der andere: Zurück ins Feld. Dahin lassen
sie einen. (Sie humpeln ab.)
394
(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Knaben, der in
der Nase bohrt.)
Die Bonne: Fritze, sciiämst du dich nicht?
Na wart, das sag ich Hindenburch!
(Fritze zieht erschrocken den Finger zurück.)
(Manschen begegnet Trudehen.)
Hänschen: Gott strafe England!
Trudehen (ihn fest anschauend : Er Strafe es!
(Sie gehen Schulter an Schulter ab, indem sie Lissauers Haß-
gesang anstimmen.)
(Hans Adalbert, 3 Jahre, begegnet Annemariechen, 2'/2 Jahre.)
HansAdalbert: Ich höre, du hast Kriegs-
anleihe gezeichnet.
Annemariechen: Gewiß, ich hielt mich für
verpflichtet. Den Gesprächen der Erwachsenen entnahm
ich die ganze Größe der Bedeutung der Kriegsanleihe,
und nun bestand ich darauf (sie stampft und gestikuliert
heftig) Kriegsanleihezeichnung nicht etwa nur zu
spielen, sondern mit ihr auch Ernst zu machen. Auf
meinen dringenden Wunsch entnahmen die Eltern
meiner Sparbüchse den ganzen Inhalt, 657 M, und —
Hans Adalbert: Mit oder ohne Lombardierung?
Annemariechen: Natürlich mit!
Hans Adalbert: Donnerwetter!
Annemariechen: Es soll dir und jedermann
ein Beispiel sein.
Hans Adalbert: Ein Hundsfott, wer anders
denkt! (Ab.)
(August und Guste treten auf.)
Guste: In zwei Monaten ist England auf die
Knie gezwungen.
August: Glaubst du? Ich bin kein Flaumacher,
aber was sagst du zu Amerika?
Guste: Na die Kunden kenn' wa doch!
August: Unsre Stimmung ist ernst, aber —
Guste: — zuversichtlich! (Ab.)
395
(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Mädchen, da? in
der Nase bohrt.)
Die Bonne: Mieze — wart, wenn das der
jroße Jeneralstab sieht!
(Mieze zieht erschrocl<en den Finger zurück.)
(Klaus begegnet Dolly.)
Klaus: Wir waren einjekreist, das eri<ennt
doch heute schon jedes Kind.
Dolly:BritischerNeid,französischerRevangsche-
durst und russische Raubgier — da weiß man doch
Bescheid. Die Frage nach der Kriegsschuld beantwortet
sich von selbst. Deutschland wollte 'nen Platz an der
Sonne.
Klaus: Europa war ein Pulverfaß.
Dolly: Der belgische Vertrag war ein Fetzen
Papier. (Ab.)
(Walter begegnet Marga.)
Marga: Mein Vater hat den Protest der
93 Intellektuellen unterschrieben. Er sagte aber, er
habe ihn nicht gelesen, er wolle blind unterschreiben.
Und dein Vater?
Walter: Mein Vater hat ihn gelesen.
Marga: Und was sagte er?
Walter: Er unterschreibe doch. (Ab.)
(Paulchen begegnet Paulinchcn.)
Paulchen: Bethman Hollweg ist offenbar für
'nen Verzichtfrieden zu haben.
Paulinchen: Das kann Tirpjtz pipe sein.
Paulchen: Mir auch. Und du?
Paulinchen: Ausjeschlossen! Ist ja zum
Schießen! (Ab.)
(Jochen und Suse treten auf.)
Jochen: Was wir vor allem brauchen, ist
Übasee. Ich sage dir, wenn wir mit dem Welthandel
nicht vorwärtskommen, hat Deutschland in diesem
Krieg schlecht abjcschnitten.
396
Suse: Olle Kamellen, Wir müssen Festland
annektieren. Wir brauchen Belgien als Fliegerbasis
und etwa noch das Erzbecken von Briey, sonst —
Jochen: Du sprichst vom Minimum. (Ab.)
(Eine Mutter mit ihrem Töchterchen, neben ihr ein Herr.)
Die Mutter: Na Elsbeth, willst du nich spielen ?
Das Töchterchen: Nee.
Die Mutter: Na spiel doch Kind.
Das Töchterchen: Nee.
Die Mutter: Was das Kind für 'ne komische
Mentalität hat! Warum nur nicht?
Das Töchterchen: Das haben wir eben vor
den Engländern voraus und darum sind sie neidisch
auf uns.
Die Mutter: Ach hören Sie nur — was denn
Kinding? warum sind denn die Engländer neidisch
auf uns — na sag das mal dem Onkel, Elsbethchen!
Das Töchterchen: Die Engländer sind
neidisch auf uns, weil wir im Begriffe sind, aufwärts
zu steigen, sie aber abwärts. Das kommt daher, weil
die Deutschen nach der Arbeit noch weiter arbeiten,
die Engländer sich aber an Spiel und Sport erfreuen.
Die Mutter: Goldene Worte, Elsbeth. Nee, du
mußt wirklich nicht mehr spielen, Elsbeth. So 'n
Kind beschämt einen.
Der Herr: Kindermund.
Die Mutter: Das will ich der B. Z. mitteilen!
Der Herr; Nee, besser für die Sammlung
»Das Kind und der Krieg«, Kinderaussprüche, Auf-
sätze, Schilderungen und Zeichnungen. (Ab.)
(Ein Vater mit seinem Söhnchen.)
Sohn: Vata, im B. T. steht 'ne W.T.B.-Meldung,
daß durch den Krieg eine sehr erfreuliche Abnahme
der Säuglingssterblichkeit stattjehabt hat, wenigstens
in den deutschen Städten, für das offene Land
lägen entsprechende Statistiken noch nicht vor,
na und daß dort die Verhältnisse noch günstjer
397
liegen, kann man sich ja denken. Der Krieg sei über-
haupt 'ne Quelle der Verjüngung jeworden. Vala, ik
begreife, daß durch den Krieg die Säuglinge nich alle
jeworden sind, da sie ja noch nicht in dem Alter
sind, um sich dem Vaterlande nützlich zu machen,
aber erkläre mir Vata, wie es kommt, daß der Krieg
die Säuglingssterblichkeit geradezu herabsetzt?
Vater: Der durch den Krieg bedingte Ausfall
in den Geburtenziffern —
Sohn: Ach quatsche nich, da müßten ja eher
weniger Säuglinge als mehr —
Vater: Halte die Schnute. Der durch den Krieg
bedingte Ausfall in den Geburtenziffern wurde jeden-
falls durch die bessere Erhaltung des Aufwuchses
wenigstens teilweise ausgeglichen.
Sohn: Ach Unsinn, im Krieg herrscht doch
'ne Lausewirtschaft, wie sollte denn da der Aufwuchs
besser erhalten werden als im Frieden? Wo nehmt
ihr denn die Milch her?
Vater: Wülste man stille sein, du Dreikäsehoch I
Sohn: Is nich! So kannste mich nich mehr
nennen —
Vater: Wülste gleich — warum denn nich?
Sohn: Drei Käse! Ja Menschenskind, ik bin
alt genug, um schon vajessen zu haben, wie hoch
'n einziger ist!
(Der Vater gibt ihm eine Maulschelle. Ab.)
(Ein anderer Vater mit seinem Söhnchen.)
Vater: Jawoll mein Junge, immer feste — wie
sagt doch Schiller, ans Vaterland ans teure schließ
dir an !
Sohn: Vata —
Vater: Nanu?
Sohn: Vata, is denn det Vataland jetzt auch
teurer jeworden?
Vater :Unerschwinglich,Junge, unerschwinglich!
(Verwandlung.)
398
41. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Die Neue Freie Presse hebt
mit Recht hervor, wie vornehm es vom Grafen
Berchtold ist, daß er nun selbst an die Front abgeht,
um mit dem Säbel in der Hand jenem Erbfeind,
der seiner Politik die größten Schwierigkeiten bereitet
hat, Aug in Aug gegenüberzutreten.
Der Nörgler: Sie meinen den treulosen
Bundesgenossen, den der Conrad schon seit Jahren
überfallen wollte? Was aber den Berchtold anlangt,
so ist es wirklich fair von ihm und jetzt kann in
der Tat eine Wendung zu unsern Gunsten ein-
treten, wiewohl ich, wie Sie wissen, über die Mög-
lichkeit der Verwendung von Säbeln in diesem
Krieg sehr pessimistisch denke. Sollte aber der
Berchtold wider Erwarten keine Gelegenheit und
den Erbfeind nicht zu Gesicht bekomm.en, weil der-
selbe den Stabsfressereien der k. u. k. Armee nicht
zugezogen wird, so hat unser ehemaliger Minister
des Äußern jedenfalls seine Pflicht erfüllt; denn er
hat sich ja gestellt.
Der Optimist: Ich sehe, Sie bleiben Ihrer
Gewohnheit, alles niederzureißen, selbst vor den
heroischen Vorbildern unserer kriegerischen Epoche
treu. Hier haben Sie es in der , Woche', den
Grafen Berchtold in feldmäßiger Adjustierung.
Dieses Bild —
Der Nörgler: — ist der Kriegsgrund.
Der Optimist: Wieso? Die Photographie
wurde doch später als das Ultimatum —
Der Nörgler: Gewiß, ein andres öster-
reichisches Antlitz, eh sie geschehn, ein anderes zeigt
die vollbrachte Tat; und doch sind beide identisch.
Die Serben konnten das Uhimatum nicht annehmen,
weil ihnen die Photographie vorgeschwebt hat. Die
Furcht Österreichs, daß sie es vielleicht doch
399
anneliinen würden, war ganz fjrundlos. Auch an
eine ^ Lokalisierung« des Kriegs, die Österreich erhofft
hatte, weil es ungestört von der Welt Serbien
trischacken wollte, war nicht zu denken, denn die
Welt sah dieses Antlitz im Traum.
Der Optimist: Ich verstehe Sie wieder
einmal nicht.
Der Nörgler: Da tun Sie recht daran. Aber
das Plateau von Doberdo, wo hunderttausend Leben
verwelkt und verwestsind, ist trotzdem eine Freudenau!
Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Diese
Photographie sagt Ihnen also —
Der Nörgler: — daß ein Renngigerl die
Welt in den Tod geführt hat!
Der Optimist: Nun beginne ich Sie zu
verstehen, kber das hat er doch nicht mit vollem
Bewußtsein getan!
Der Nörgler: Nein, sonst wäre er keines
und sonst hätte er's nicht getan. Das Nieder-
schmetternde ist, daß er nicht bei vollem Bewußt-
sein war. Und daß dieses Argument ein Milderungs-
grund für Staatsmänner ist und für Staatsoberhäupter,
die doch schon von Gesetzeswegen für ihre Handlungen
nicht verantwortlich gemacht werden können. Sie
waren alle nicht bei vollem Bewußtsein. Österreich
kann nichts dafür! Es hat sich bloß von Deutsch-
land Mut machen lassen, dieses in den Krieg zu
zerren. Und Deutschland hat Österreich in jenen Krieg
getrieben, den es nicht gewollt hat. Die dort sind
die verfolgende Unschuld und mir san eh die reinen
Laniperln. Beide können nichts dafür.
Der Optimist: Dieses Gesicht spricht wirklich
für ein gutes Gewissen.
Der Nörgler: Das ein sanftes Ruhekissen
abgeben würde, wenn im Stabsquartier nicht ohnehin
ein solches vorhanden wäre. .Aber man ist vor dieser
schlichten Uniform überzeugt, daß der Mann auch im
Schützengiaben vorlieb nehmen würde. Ein schlichter,
400
wenngleich beherzter Zugsführer, ein Wiener Biz, der
mit den Händen an den Hüften, zwinkernd »Schau mir
insAugee!« zum Erbfeind sagt, der nur herkommen
soll, wann ersieh traut. Der einfache Staatsmann an der
Front, ohne Ohrringeln, aber mit Armbanduhr, statt des
Säbels eventuell ein Spazierstöckl, statt der Virginier
das goldene Vließ, das aber wie gesagt vom reinen
Lamperl bezogen ist. Er meint's nicht so, aber er
stellt, wenn's sein muß, seinen Mann, und dank
seiner eigenen Entschließung vom August 1914 muß
es bekanntlich sein. Alles in allem, weit entfernt
von Hochmut und von Schwäche, weiter als von
der Front; kein Tachinierer, aber ein Feschak.
Der Optimist: Diese Photographie —
Der Nörgler: — ist dem Verbrecheralbum
der Weltgeschichte entnommen und wird bei der
Verhandlung vor dem Weltgericht bei der Agno-
szierung der Kriegsurheber gute Dienste tun. Das
Original wird natürlich wegen Unverantwortlichkeit
oder verminderter Zurechnungsfähigkeit freigesprochen
werden.
Der Optimist: Wie wird sich die erweisen
lassen?
Der Nörgler: Es wird unter anderm fest-
gestellt werden, daß ein harmloser Rennstall-
besitzer das Grey'sche Angebot an die öster-
reichisch - ungarische Monarchie, zur Erlangung
der von ihr angeblich gewünschten Genugtuung
Belgrad und noch etliche serbische Orte zu
besetzen, zwischen seinen Rennprogrammen versteckt
hatte. Denn England wollte wirklich die »Lokali-
sierung«, die sich Österreich auf andere Weise
erhofft hat, weshalb es den einzigen Ehrenmann
dieses Kriegs den »Lügen-Grey« nennen ließ. Die
Photographie wird zur Entlastung des Täters bei-
tragen, aber zur Überführung seiner sämtlichen
Landsleute. Sie rechtfertigt in ihrer vollkommenen
Schamlosigkeit die aggressiven Absichten unserer
401
Feinde für den Fall, daß wir wirklich einen heiligen
Verteidigungskrieg geführt haben sollten. Denn wenn
es selbst bewiesen wäre, daß wir ein Recht hatten,
uns an Serbien zu vergreifen, weil die ungarischen
Schweine den serbischen den Markt gesperrt hatten,
so würde noch immer dieses Dokument aufstehn
und gegen uns zeugen!
Der Optimist: Ich bitte Sie — eine Photo-
graphie! Eine zufällige Aufnahme! Da haben wir
im Krieg noch ganz andere Bilder zu sehen
bekommen.
Der Nörgler: Sie meinen alle die andern,
die im Weltkrieg gelächelt haben. Die Heerführer,
die vor den Wunden ihrer Mannschaft verbindlich
gelächelt haben. Ach, dieses Lächeln im Krieg war
erschütternder als das Weinen ! Der Photograph mußte
sie nicht erst bitten, ein freundliches Gesicht zu
machen, sie fanden ohnehin die Welt in Ordnung.
Der Erzherzog Friedrich, harmlos, als ob er nicht
bis drei Galgen zählen könnte; Karl Franz Josef,
der Frontlächler, der dem Heldentod nicht gram
sein kann und dem die große Zeit wie ein Walzer-
traum vergeht; der deutsche Kronprinz, weit und
breit beliebt als das »lächelnde Mosquito«, und alle
die andern Lächler. Schreibtafel her, ich muß mirs
niederschreiben, daß einer lächeln kann, und immer
lächeln, und doch ein General sein! Und dann die
Damen dieser Feldredoute! Zum Beispiel die Erz-
herzogin Augusta, die Soldatenmutter, die, nach-
dem der Soldatenvater seine Söhne mit Maschinen-
gewehren vorgetrieben hat, den Menschen rasch noch
vor dem Heldentod antritt und ihm als ein Symbol
hingebender Vaterlandsliebe vorschwebt. Gegen
diese Verschärfung der Pflicht, für die ungarische
Sache zu sterben, gibt es keinen Schutz und es ist
ein Schauspiel, von dem sich der Genius der Mensch-
heit, wenn's noch einen solchen gibt, zwar abwendet,
aber die Ansichtskartenindustrie profitiert.
Die letzten Tage der Menschheit. 26
402
DerOptimist: Die aufopfernde Tätigkeit der
Rote Kreuz-Schwestern dient doch in erster Linie dem
Zweck, vor der Operation eines Schwerverwundeten —
Der Nörgler: — sich mit ihm photographieren
zu lassen.
Der Optimist: Solche Photographien sind
gestellt !
Der Nörgler: Dann ist die Verächtlichkeit
umso besser getroffen. Auch die Photographie
Berchtolds ist nur gestellt, um die abgründige
Leere dieser Visage sinnfällig zu machen — die
Leere, in die wir alle gestürzt sind und die uns ver-
schlungen hat.
Der Optimist: Sie übertreiben. Ich gebe zu,
daß diese Photographie uns zwar nicht schmeichelt —
Der Nörgler: Ausgestellt vor den Leichen-
feldern, deren Hintergrund das sympathische Modell
selbst beigestellt hat, trifft sie uns tödlich. Ich denke
sie mir als einziges Lichtbild in diesen unsäglichen
Finsternissen und habe die tröstende Gewißheit,
daß diese Züge des österreichischen Antlitzes seine
letzten sind. Wie wär's, wenn wir es mit dem Bilde
jener ungezählten Märtyrer konfrontierten, die in
Sibirien warten oder in französischen Munitions-
fabriken geschunden werden, die auf Asinara leben
oder die vom Todeszug aus der serbischen Gefangen-
schaft in die italienische am Straßenrand verwest
sind. Einer steht schon als Skelett da und öffnet
noch den Mund wie ein verhungerter Vogel. Dies
Bild hat ein Menschenange geschaut und ich schaue
es wieder. Wie wär's, wenn wir es diesem lächelnden
Berchtold verführten und alles Grausen einer Evakua-
tion und alle lebendig Begrabenen und lebendig
Verbrannten, die Schändungen halbmassakrierter
Frauen, die von mitleidigeren Mördern erschossen
werden! Ward nichts dergleichen für Welt und Haus
photographiert? Und Berchtold, lächelnd, ward auf-
genommen, als er's mit dem Feind aufnehmen wollte !
403
Der Optimist: Aber bedenken Sie, er ist
doch nicht verantwortlich —
Der Nörgler: Nein, nur wir sind es, die es
ermöglicht haben, daß solche Buben nicht verantwort-
lich sind für ihr Spiel. Wir sind es, daß wir in einer
Welt zu atmen ertragen haben, welche Kriege führt, für
die sie niemanden verantwortlich machen kann. Ver-
antwortlich für das einzige, was wirklich verantwortet
werden muß: die Verfügung über Leben, Gesund-
heit, Freiheit, Ehre, Besitz und Glück des Neben-
menschen. Größere Kretins als unsere Staatsmänner
sind doch —
Der Optimist: — die unserer Feinde?
Der Nörgler: Nein, wir selbst. Mit unseren
Feinden haben wir nur die Dummheit gemeinsam,
einen und denselben Gott für den Ausgang des
Kriegs verantwortlich zu machen, statt uns selbst
für den Entschluß, ihn zu führen. Was die Staats-
männer der Feinde betrifft, so können sie nicht
dümmer sein als die unseren, weil es das in der
Natur nicht gibt.
Der Optimist: An den unseren läßt sich
allerdings die Wahrnehmung machen —
Der Nörgler: — daß wir uns die Kriege
ersparen würden, wenn wir sie an die Front schickten,
also dorthin, wohin der Berchtold oder seinesgleichen
nie gelangen wird. Noch weiter aber als diese von
der Front sind wir von einer Einrichtung des Staats-
lebens, wie sie die Spartaner gekannt haben, die
bekanntlich auch solche Durch- und Durchhalter
waren wie wir. Sie setzten ihre Kretins auf dem
Taygetus aus, während wir sie an die Spitze des
Staats und auf die verantwortlichen diplomatischen
Posten stellen.
Der Optimist: Dort sind sie dann freilich
in manchen Fällen —
Der Nörgler: — nicht verantwortlich!
(Verwandlung.)
26*
404
42. Szene
Während der Somme-Schlacht. ParKtor vor einer Villa. Eine
Kompagnie, mit todesgefaßten Mienen, marschiert vorbei, in
die vordersten Oräben.
Der Kronprinz (am Parktor, Tennisanzug, winkt
ihnen mit dem Rakett zu): Machts bravl
(Verwandlung.)
43. Szene
Kriegsministerium. Ein Zimmer an der Ringstraßenfront,
Ein Hauptmann sitzt an einem Schreibtisch. Vor ihm steht ein
Zivilist in tiefer Trauer.
Der Hauptmann: Alstern was wolln S' denn
noch? Eine Evidenzhaltung is in solchen Fällen ein
Ding der Unmöglichkeit. Wir können doch net wissen,
ob einer tot is oder verwundet in Gefangenschaft
geraten? Da müssen S' ins italienische Kriegs-
ministerium gehn mein Lieber I Na alstern! Was
sollen wir denn noch alles tun? Es ist doch einfach
unglaublich, was die Leut von uns verlangen!
Der Zivilist: Ja — aber —
Der Hauptmann: Lieber Herr, ich kann
Ihnen nicht mehr sagen. Außerdem is gleich drei Uhr,
da muß doch ein Einsehn sein, die Amtsstunden
sind beendet. Das is doch wirklich großartig. —
No alstern, was is denn? — Alstern schaun S',
privat kann ich Ihnen das eine sagen : Sie ham jetzt
sechs Wochen von Ihrem Sohn nix ghört, nehmen
Sie also getrost an, daß er tot is.
Der Zivilist; Ja — aber —
Der Hauptmann: Da gibts kein Aber.
Wo kämen wir hin, wenn wir in solchen Fällen —
Sie können sich doch denken, daß so etwas
tausendmal vorkommt! Jetzt is Krieg, mein lieber
Herr! Da muß der Staatsbürger schon auch ein bißl
was dazu tun! Schaun S' uns an, die wir hier
sitzen! Wir stehen hier auf unserem Posten! Und
außerdem, lieber Herr — also Sie werden doch
405
wohl wissen — aber das sag ich Ihnen wieder
privat und ganz unverbindlich — , daß es für einen
Soldaten keinen höheren Ehrgeiz und keinen
schöneren Lohn geben kann als für das Vaterland
zu sterben. Also djehre djehre —
(Der Zivilist verbeugt sich und geht ab.)
(Verwandlung.)
44. Szene
Kastelruth. Nachts nach einem Abschiedsfest der Offiziere einer
Maschinengewehrabteilung. Einige liegen unter dem Tisch.
LeutnantHelwig: Noch — was — zum essen I
Wein herl
Die Kellnerin: Es geht schon auf zwei,
Herr Leutnant, die Küche —
Leutnant Helwig: Wein her — sag ich!
Die Kellnerin: Is schon Schluß, Herr Leut-
nant — nix mehr da !
Leutnant Helwig: Du — Fähnrich — ! (Er
entreißt dem diensthabenden Fähnrich die Dienstpistole und
erschießt die Kellnerin.)
Die Kellnerin: Jesus Maria! (Sie stürzt hin.)
Ein anderer Leutnant: Aber Helwig —
was machst denn? Is der Mensch unvorsichtig!
Dafür kannst Zimmerarrest kriegen!
(Verwandlung.)
45. Szene
Ein Wiener Nachtlokal. In der Nacht nach der zweiten Einnahme
von Czernowitz durch die Russen. Offiziere, Buffetdamen, Lebe-
männer, Herren vom Roten Kreuz, polnische Legionäre, Personal,
Mitwirkende. Die Salonkapelle Nechwatal und die Zigeunerkapelle
Miskolczy Jancsi.
Rolf Rolf, der Stegreifdichter (ist soeben,
halb singend, mit der Konzeption eines Gedichtes beschäftigt,
das sich auf hingeworfene klassische Zitate und Huldigungen
für anwesende Truppengattungen aufbaut):
406
Die Legionäre haben viel geleistet —
Das liegt schon so in der Natur.
Rufe: Bravo! Bravo!
Und sehn Sie — wenn ich das betrachte —
So fällt mir vom Herzen eine Last —
Wenn ich sage — zu der Dame dorten —
Du doch Diamanten und Perlen hast!
Und hier — zu diesem deutschen Soldaten
Sag ich: Es zogen nach Frankreich zwei Grenadier'.
Heut aber — das muß ich schon sagen —
Ist es — fürwahr — doch sehr — stier!
Gelächter. Rufe: Oho! Bravo! Bravo! Beim Eintreten zweier
Offiziere intoniert dieSalonkapelle: Wir sind vom k. u. k. Infanterie-
Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4. Alles singt mit.
Frieda MoreUi, die Sängerin (tritt auf
und singt, die Hände abwechselnd vom Busen in die Richtung
zum Publikum führend):
Ja, mein Herz gehört nur Wien!
Doch sehr schön ist auch Berlin!
Denn sehn Sie, so ein Leudenant —
(die Oberlippe streichend)
So indresant und auch charmant,
Ich geb ihm gern ein Rangdewu,
Doch noch lieber — hab ich Ruh.
Denn ach, denn ach, denn ach.
Man wird so leicht ja schwach.
Ja drum sag ich, mein Herz gehört Wien,
Doch sehr schön ist auch Berlin !
Rufe : Bravo ! Bravo !
Eine Stimme: Rosa, wir fahren nach Lodz!
(Die Musik intoniert diese Melodie, um nach einiger Zeit in
die Melodie: >Der guate alte Herr in Scliönbrunn« überzugehen.)
Ein ungarischer Viehhändler (zum
Besitzer des Nachtlokals) : Ober dos is jo glänzend WOS
hier olles geboten wird!
407
Der Besitzer des Nachtlokals: Ja, ich
schmeichle mir ein erstklassiges Ensemble zu haben.
Jeder Besucher meiner Lokalitäten wird zugeben
müssen, daß die Bezeichnung »42-Mörser-Programm«
auf dem Plakat nicht zu viel versprochen hat.
Der Viehhändler: Ober nain, 42 Mörser is
Kinderipiel gegen so ein Progromm!
Der Besitzer: Der Feind selbst müßte
zugeben, es is ein Bombenerfolg.
Der Viehhändler: Wos Bomben! Bomben
sind Krepierln gegen solche Schloger!
Der Besitzer: Herr Kommerzialrat, zum
Dank für die so schmeichelhafte Anerkennung
werde ich mir sogleich erlauben, eine separate
Huldigung darzubringen.
(Die Musik intoniert den Rakoczy-Marsch, um, nachdem der
Viehhändier eine Cnampagnerflasciie zerschlagen hat, in den
Radetzkymarsch überzugehen, während dessen einer der Offiziere
eine C ha npagnerf lasche zerschlägt, worauf der Prinz Eugen-Marsch
intoniert wird, um in die Volkshymne überzugehen. Sämtliche
Gäste und Animiermädchen erheben sich von ihren Plätzen und
bleiben auch während des sich anschließenden »Heil dir im
Siegerkranz« und der abschließenden >Wacht am Rhein« stehen.
Das Oarderobepersonal und die Toiiettefrau sind im Saal
erschienen und nehmen an der Huldigung teil )
Ein Getreidehändler (ruft in den Saal) :
Es lebe die Nibelungentreiei
Alle: Hurra! Hurra! Hurra!
Der Besitzer (zu einem Stammgast) : Ist Ihnen
der Herr bekannt, was jetzt gerufen hat?
Der Stammgast: Selbstredend, das is doch
der Kammerrat Knöpfelmacher!
(Der Besitzer stürzt auf die Zigeunerkapelle los, die nunmehr
»Ich hatt' einen Kameraden« intoniert.)
Ein betrunkener Funktionär des
Roten Kreuzes: Sie — bringen Sie noch einen
Whisky mit Soda und eine Tra — Trabucco mit
Spitz, Du — (Aufstoßen.)
Ein Kollege: Geh, was hast denn?
408
Der Funktionär: Dort siech ich einen
Verwundeten von uns — den Mann schick ich
morgen nach Neuhaus — den Mann schick ich
morgen zur Konschtatierung —
Der andere: Geh laß'n gehn!
Der Funktionär: Erlaube mir — das gibts
nicht — den schick ich an die — (Aufstoßen) Front!
Ein Offizier (zu einem zweiten): Was steht
heut im Bericht?
Der zweite: Nix Neues.
Der erste: No ja, aber Czernowitz!
Der zweite: No das is doch nix Neues.
Ein Regimentsarzt (zu einem andern) :
Oiweh, da schau her, der dort in der zweiten Loge.
Dem hab ich gestern einen C-Befund gegeben.
Heut draht er schon. Mieser Baldower, aber so viel
Zehner möcht ich haben, wie dem sein Alter
Tausender.
Der Kollege: Ich versteh dich nicht,
da bin ich ganz anders. Von mir kommt keiner
zur Konschtatierung. Ausnahmen kann man ja
machen. Aber im allgemeinen, das is doch einmal
ein Gefühl, das man hat, wenn man die Burschen
so vor sich zittern sieht. Wie einer anfängt zu
zittern, ruf ich schon »Tauglich!« Da kann er Gift
drauf nehmen. Umsomehr, wo wir doch jetzt nicht
unter 50 o/o gehn dürfen, da wird das eo ipso
erschwert mit den Ausnahmen. Besonders bei der
Neunerkommission von der K-Musterung.
Der Regimentsarzt: Du, was ich dir
erzählen wollte. Gestern war eine Hetz im Spital!
Die Schwester Adele hat nämlich noch immer eine
kolossale Angst vor mir und laßt dir die Leibschüssel
fallen von einem Bosniaken mit Beckenschuß. Hättest
die Freud sehn solin, was die andern ghabt haben.
Das war dir ein Gekicher! No, bis ich aber dazwischen
gefahren bin! Man muß den Weibern imponieren.
Gestern war überhaupt ein Tag bei uns —
409
Der Kollege: Bei uns is das auch so.
Der Ehrgeiz von so einer Aristokratin is mir
unverständlich. Die andern machen Wäschekammer,
Servieren und so. Die aber reißen sich förmlich um
die Leibschüsseln.
Der Regimentsarzt: Ich muß gestehn,
im Anfang hat mich das gereizt, so zu sehn, wie so
feine Mädeln — aber man wird auch gegen das
abgestumpft. Ich hab nachgedacht — warum tun
sie das? No ja, sie wolln sich betätigen —
Patriotismus und so. Wo hab ich nur gelesen, daß
gerade wir Ärzte dagegen sein müßten, wegen dem
Chok. den das weibliche Nervensystem bekommt,
und weil sie für die Ehe verdorben wern. Probleme!
Meschugge wird man sein und sich um Probleme
kümmern im Krieg. Wir Praktiker —
Der Kollege: Was ich sagen wollte, gestern
war ein Tag bei uns, wo man wirklich geglaubt hätt,
man is in kan Spital, sondern in an Narrenhaus.
Postarbeit! Fünf Fälle mit Zitterneurose hab ich an
die Front gschickt.
Der Regimentsarzt: No und ich fünf
Darmverwachsungen und drei Tabes. Ich sag jedem
ins Gesicht: Schwindel! Er kann doch keine Antwort
geben, also ist der Schwindel so gut wie bewiesen.
(Die Salonkapelle intoniert den Prinz Eugen-Marsch.)
Der Kollege: Jetzt fang ich mir noch andere,
da sind vor allem die typischen Schußverletzungen
der linken Hand — ich wüßt auch wirklich nicht,
wie man es anders machen sollt, wenn einem der
Oberstabsarzt fortwährend am Gnack sitzt und dem
der Teisinger auf dem Puckel.
Der Regi in en tsarzt: Ja, es is ein Kreuz.
Gestern hab ich einer wunderschönen Nephritis mit
akuter Herzschwäche einen A-Befund gegeben. No
also daß sie singend in den Krieg ziehn, davon hab
ich bisher wirklich nicht -'iel bemerkt. Sehr animiert
is 1 eut das Lokal —
410
Der Kollege: Es geht. Es is unglaublich,
wie man verroht. Man kommt faktisch gar nicht
mehr dazu, human zu sein.
Der Regimentsarzt: Ein guter Arzt, hat
es immer geheißen für den, der zu Füßen Nothnagels
gesessen is, hat vor allem ein guter Mensch zu sein.
Ja, das verlernt man gründlich, ich gesteh es offen,
und das ist das erste was man im Krieg verlernt.
Konträr, ein guter Militärarzt darf gar kein guter
Mensch sein, sonst kann er schaun, wie er vorwärts
kommt, das heißt in den Schützengraben. No über
mich wird sich der Teisinger in dem Monat nicht
beschweren können. Ich liefer ihm, ohne daß er
bestellt. Von mir aus!
Der Kollege: ßitt dich, wenn ma oben paar
hundert Ruthenen so an einem Vormittag hat baumeln
gsehn und unten paar hundert Serben wie ich, gwöhnt
sich der Mensch an alles. Was is das einzelne Menschen-
leben wert? Du kennst doch den Fall, einer schreibt
an seine Eltern, sie sollen unbesorgt sein, für den
Notfall hat er ein weißes Tuch immer bei sich —
der Brief kommt an mit dem Vermerk —
Der Regimentsarzt: Ich weiß: Absender
standrechtlich erschossen. Bei uns is Ärgeres
vorgekommen.
Der Kollege: Und bei uns ? Ich schau nicht
rechts, ich schau nicht links, ich schau vorwärts !
Man müßt sich umbringen. Man will aber leben.
(Alles ist aufgestanden. Die Salonkapelle spielt »O du mein
Österreich«, um sodann in die Melodie »Da habts mein letztes
KranU überzugehen.)
Der Regimentsarzt: Sehr animiert is heut
das Lokal.
Der Kollege: Ja, wahrscheinlich wegen
Czernowitz.
Der Regimentsarzt: Wieso? Weil die
Russen —
411
Der Kollege: Ja so — nein — oder doch.
Oder — ich versteh das nicht — Schau die Paula
an, bei dem Deutschmeisteroberleutnant. Die
assentieret ich sofort.
Der Regimentsarzt: Du fliegst auf die?
(Rufe: Tango! Gegenrufe: Pfui! Nieder mit Tango! Walzer!
Das is ein deutsclies Lokal ! Einerruft: Wonstep ! Antwort: Tepp!)
Ein Betrunkener: Gott — strafe — Spielts
Walzer, Scheißkerln, mir san in Wean!
Der Besitzer (auf den Stammgast einsprechend):
Wissen Sie, wer der Fähnrich is, der jetzt herein-
gekommen is? Sehn Sie, das wissen Sie nicht. Das
is der, von dem man doch gelesen hat, russische
Soldaten haben ihn mit Strickleitern aus einem Sumpf
gerettet. Jetzt kommt er jede Nacht zu uns!
(Verwandlung.)
46. Szene
Nacht. Der Graben. Es regnet. Menschenleer. Vor der Pestsäule.
Man kann in eine Seitengasse blicken.
Der Nörgler (tritt auf):
So merk' ich wieder, wie's von unten regnet.
Aus Schlaf und Schlamm die alte Schlamperei,
sie spricht den schlaff zerlassenen Dialekt
des letzten Wieners, der ein Pallawatsch
aus einem Wiener ist und einem Juden.
Hier ist das Herz von Wien und in dem Herzen
von Wien ist eine Pestsäule errichtet.
(Er bleibt vor der Pestsäule stehen.)
Dies Wiener Herz, es ist aus purem Gold,
drum möchte ich es gern für Eisen geben!
O ausgestorbene Welt, das ist d'e Nacht,
der nichts mehr als der jüngste Tag kann folgen.
412
Verschlungen ist der Mißton dieses Mordens
vom ewigen Gleichmaß sphärischer Musik.
Der letzte Wiener röchelt noch im Takt
und läßt die Seele irdischen Behagens
rauschend, den letzten Regen dieser Welt
durchdringend, auf das nasse Pflaster fließen.
(Er blickt in die Seitengasse und gewatirt dort einen Betrunkenen,
der mitten auf der Straße ein Bedürfnis verrichtet.)
Hier steht er, eine Säule seiner selbst,
in riesenhafter Unzerstörbarkeit!
Er kann nicht untergehn, es überlebt
dies Wahrzeichen der staubgebornen Lüge
das Ende aller Schöpfung und er weiß,
nur er allein ist von dem allen übrig,
das Sterben geht ihn einen Schmarren an,
sein innerstes Bedürfnis muß er stillen,
es bleibt die Spur von seinen Erdentagen,
und dieses ist der Weisheit letzter Schluß.
Und gierig lausch' ich seinem letzten Willen,
er hat dem Kosmos noch etwas zu sagen —
Der Betrunkene (steht unverändert da und spricht
in rhythmischer Begleitung, immer wiederholend):
Ein Genuß! — Ein Genuß! — Ein Genuß!
IV. Akt
415
1. Szene
Wien. Riiigstraßenkorso. Sirk-Ecke. Larven und Lemuien. Alles
erscheint Arm in Arm zu fünft. Grundlose Fröhlichkeit wechselt
mit dumpf brütendem Schweigen. Ein Knäuel von Böcken steht
da, je zwei Stirn an Stirn, einander anstarrend, wie durch ein
Geheimnis miteinander verbunden. Soweit die Masse in Bewegung
ist, zieht sie durch ein Spalier von Zivil, Krüppeln, Invaliden,
deren Köpfe und GliedniaÜen in unaufhörlichen Zuckungen
begriffen sind, von Fragmenten und Freaks aller Arten, Bettlern und
Bettlerinnen aller Lebensalter, von Blinden und von Sehenden, die
mit erloschenen Blicken die bunte Leere betrachten. Dazwischen
gebückte Gestalten, die das Trottoir nach Zigarrenresien absuchen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Varnichtete Niedalage der Italiena!
ZweiterZeitungsausrufer: Extraausgabee — !
Die ameril<:anisclie Note von Wülson!
Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grtiß dicli Powolny,
also du - du bist ja politisch gebildet, also was
sagst zu Amerika?
Zweiter Offizier: (mit Spazierstock) : Pluff!
Der dritte: Weißt — also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich mullattiert — ! Habts das Bild vom Schönpflug
gsehn, Klassikaner!
Der erste: Weißt, ich glaub, es is nur eine
amerikanische Reglam oder halt so w?.s.
Der vierte : AGschäft wollen s' machen einfach,
steht heut in der Zeitung. Für ihnern Pusiness!
Der dritte: Weißt, wann s' rüsten, rüsten s'
gegen China.
Der zweite: Woher denn, gegen Japan!
Der dritte: Oder gegen Japan natürlich,
das is doch dasselbe, weißt ich verwechsel die immer.
416
Der zweite: Pluff sag ich. Erstens können s'
niclit wegen die U-Boot —
Der vierte: Natürlich, jetzt wo's noch dazu
verschärft sein.
Der zweite: No weißt und wenn s' schon
herüberkommen — mit denen ihre Divisionen wird
ein Regiment von uns spielend fertig, aber spielend
mein Lieber — rrtsch obidraht.
Derdritte: Höchste Zeit, wann amal Frieden is.
Der zweite: Erlaub du mir!
Der dritte: No, daß man wieder in die
Gartenbau kann!
Der zweite: Ah so, das is was andreas.
Der erste: Also du, du bist doch politisch
gebildet, also ich lies da immer, sie machen eine
Blockade, du was is das?
Der zweite: Weißt das is so — also wir und
die Deutschen wir sind ein Block, den s' nicht
besiegen wern, no und dafür sperrn s' uns halt die
Lebensmitteln und so.
Der erste: Ah, so is das — du is das wahr,
daß die Sozi schuld sind an dem Hofverrat von die
Böhm? — Du — mir scheint — das Mensch kenn
ich, schau — du was is das eigentlich Belange?
Der dritte: Herstellt — das is die von
gestern — ein Gustomenscherl — warts, ich — (ab.)
Die andern (ihm nachrufend): Kommst also
nacher zum Hopfner!
Dritter Zeitungsausrufer: Tagblaad! Un-
widastehliches Vurdringen unsara Truppeen!
Eine Komtesse (einen der Offiziere bemerkend, zn
ihrer Begleiterin): Schau, die vielen Auszeichnungen,
der hat sich gewiß gut geschlagen! Ich hab's rasend
gern, wenn sich die Leut gut schlagen. (Ein blinder
Soldat in zerlumpter Uniform in einem Rollwagen erscheint.)
Wie ich noch im Palffy-Spital war —
417
Ein Intellektueller (zu seinem Begleiter): Ich
versicher Sie, solange die Feinde eine Mentalität
haben — (ab.)
Ein Automobil hält vor dem Hotel Bristol. Ein Riesenbaby
lehnt darin.
Poldi Fesch (erscheint am Wagenschlag): L'exacti-
tude la politesse des rois. Du, noch eine Minute, ich
hab meine Gründe.
Das Riesenbaby: Wie viel Gedecke?
Kommt sie?
Poldi Fesch: Qui vivra verra. Ich bin heut
kolossal montiert, wiewohl ich gestern verloren hab —
im Chapeau — zu blöd — also seitdem ich den
großen Verlust damals an der Südwestfront gehabt
hab, is mir das nicht passiert.
Das Riesenbaby: Ich versteh dich wirklich
nicht, warum du dich mit solche Leute — das ist
doch keine Klasse!
Poldi Fesch: Erlaub du mir — dafür wird
morgen wieder mit dem Sascha Kolowrat gedraht —
übrigens — da mußt du noch viel lernen, bevor
du mich — du wie alt bist du?
Das Riesenbaby: Zwauundzwanzig.
Poldi Fesch: Also da red nicht — ein erst-
klassiges Tripot, sag ich dir! Solang ich hier hocken
muß, bin ich angewiesen. Aber da kannst du Gift drauf
nehmen — ich wart nur auf denMoment, wo der Frieden
unterschrieben is, selbstredend wird es eine partie
remis — so oder so, wie immer die Entscheidung fällt,
so bin ich der erste, der mit'n Orient nach Paris
kommt! — Jetzt können wir schon herein Burscherl —
(er winkt. Der Hotelneger öffnet den Wagenschlag.)
Das Riesent)aby: Du ich flieg kolossal auf
die Lona, glaubst du, wird sich da was machen lassen?
Poldi Fesch: Qui vivra verra. (Ab.)
Aite Männer ziehen vorbei. Man hört den Gesang: In der
Heimat, in der Heimat, da gibts ein Wiedersehen —
Die letzten Tage der Menschheit. 27
418
Ein Berliner Exporteur (mit Importe im Mund,
zu seinem Begleiter): Ach, unsere Jungens Überwinden
diese Eindrücke spielend. Einer unserer hervor-
ragendsten Professoren hat festjestellt, die psychische
Ümschaltung tritt schon in der Etappe ein. Ihr hier
seid ja im Hinterland lausiger als wir an der Front!
Nee Kinderchens, bei euch siehts nich nach nem
Siegfrieden aus! Is det ne Stimmung in eurem lieben
Wien? Da staunt der Fachmann und der Laie wundert
sich. Nee, hätt ich mir doch anders vorjestellt. Ihr
faulen Brieder macht ja nen Klamauk um den Frieden,
als ob ihrs jaarnich erwarten könntet — ! (Ab.)
Ein Passant geht auf einen andern mit aufgehobenen Händen
zu und deutet auf den Zigarettenrest, den dieser im Mund hat.
Eine Offiziersgattin (zu ihrem Begleiter): Dort
stehn s' schon angestellt für morgen. Von mir aus
könnte der Krieg noch zehn Jahr dauern, mein
Mann schickt mir alles, was ich brauch — (ab.)
Ein Spaziergänger: Hält man sich nicht an
die Vorschriften, muß man zahlen. Hält man sich ja
an die Vorschriften, is man zum Tod verurteilt.
Ein zweiter: Wieso?
Der erste: No ham Sie nicht heut gelesen,
intressant, ein Professor verhungert?
Der zweite: Wieso ein Professor?
Der erste: Mittelstand. Er hat sich nicht
verschaffen können im Schleichhandel, er hat gelebt
nach der Rationierung.
Der zweite: Schigan. (Ab.)
Erster Verehrer der Reichspost: Wenn
jetzt die Offensive kommt, dann paß auf — rrtsch
obidraht !
Zweiter Verehrer der Reichspost: Und
nacher mit die Juden — ramatama! (Ab.)
Ein EigenbröHer: Sehn Sie, gestern hab
ich hier im Rostraura vorzüglich gegessen. Wann
419
aber wird endlich diese Bezeichnung »Bristol« ver-
schwinden? Unsere Sprache muß von diesen
welschen Bezeichnungen gesäubert werden! Früher,
ja, da hab ich 10 Prozent genommen, jetzt nehm ich
grundsätzlich nur 40 vom Hundert.
Sein Begleiter: Da haben Sie recht. Da —
schaun Sie sich die an —
Der Eigenbrötler: No wenn Sie einen
Gusto, pardon einen Geschmack haben — gehn Sie
ihr nach, vielleicht gibt sie Ihnen ihre Anschrift. (Ab.)
(Eine korpulente Dame in Rote Kreuz -Tracht mit Lorgnon
entsteigt einem Elektromobil.)
Lenzer v. Lenz brück (in Rittmeisteruniform):
Küß die Hände, gnädigste Kommerzialrätin — Wie,
noch nicht auf die Länder? Eine Sensation für Wien!
Kann Ihnen gar nicht sagen, wie famos Ihnen die
Tracht steht!
Frau Back v. Brünnerherz: No und Ihnen
doch auch! Gehn Sie herein frühstücken? Mein
Mann wartet.
Lenzer v. Lenzbruck: Der Göttergatte?
Rasend gemütlich! Also daß Sie sich entschlossen
haben zu pflegen, ist die größte Sensation von Wien!
Frau Back v. Brünnerherz: Ich bin sehr
zufrieden, wir können dadurch das Auto behalten,
zwei Jahre hat mein Mann darum gekämpft, so hab
ich micn schließlich entschlossen zum Roten Kreuz zu
gehn. Ihnen kann ich ja sagen, es is mehr pro forma
und wegen dem guten Ton. Nämlich ich pflege —
Lenzer v. Lenzbruck: Also doch!
Frau Back V. Brünnerherz: Wiesoo, ich pflege
nur hinzufahren, wenn ich grad Lust hab. Jetzt
wo der Krieg sich sowieso seinem Ende zuneigt,
stehts so nicht mehr dafür. Gestern hat mich die
Annunziata angesprochen —
Lenzer v, Lenzbruck (faltet die Hände): Bitti
bitti erzählen, Baronin — !
27*
420
Frau Back v. Brünnerherz: Ich protz nicht
gern, soll Ihnen mein Mann erzählen. Apropos, ich
hab gelesen, Sie sind doch Rittmeister geworn, ich
gratuliere. Wissen Sie, daß Sie viel fescher sind
wie in Zivil? Wahrscheinlich gehn Sie deshalb in
Uniform herum! No hab ich erraten? Die Männer!
Lenzer v.Lenzbruck (geschmeichelt): FindenSie?
Frau Back v. Brünnerherz: Und das
Verdienstkreuz! Sigilaudis! Da schauts her!
Lenzer v. Lenzbruck (abwehrend): Nicht der
Rede wert.
Frau Backv. Brünnerherz: Fehlt nur noch —
no Sie sind imstand und gehn noch an der Front!
Waren Sie schon einmal?
Lenzer v. Lenzbruck: No kann ich denn?
Frau Back v. Brünnerherz: Wieso?
Ein Blumenweib: Veigerl!
Lenzer v. Lenzbruck: Der Verwaltungsrat
laßt mich doch nicht! Ich hab aufgedraht — (beide ab.)
Ein Herr: Ja richtig, sagen Sie, was macht
denn eigentlich Ihr Freund, der Maler? Der hat
doch einen leichteren Dienst?
Zweiter Herr: No eigentlich ja. Zuerst hat er
Qrabkreuze gezeichnet —
Der erste: No also!
Der zweite: Aber da wars auf einmal aus mit
der Herrlichkeit und er hätte in ein Marschbataillon —
Der erste: Oivve, no und — ?
Der zweite: No und da ist eine glückliche
Wendung eingetreten. Es hat sich nämlich heraus-
gestellt, daß der Hauptmann kunstsinnig ist.
Der erste: No und?
Der zweite: No und jetzt zeichnet er nackte
Weiber für den Hauptmann.
Der erste: No also!
421
(Storm kommt.)
Fräulein Löwenstamm: Da kommt der
Storm !
Fräulein Körmendy: Und noch dazu in
Uniform !
Ein Herr steigt aus einem Wagen.
Der Fiaker (die Hand aufhaltend): Aber gnä Herr,
WOS gebn S' mr denn do? (Die Hand umdrehend)
Schaun S' iier — dö Narben!
(Verwandlung.)
2. Szene
Der Optimist ur.d der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Gehen Sie bald wieder in
die Schweiz?
Der Nörgler: Von Herzen gern, wiewohl
man sicher sein kann, das Publikum, dem man
hier entflieht, dort anzutreffen. Nun, wenigstens
verliere ich das Milieu nicht ganz aus den Augen,
wenn ich an dem Drama dieses Untergangs arbeite.
In Bern ist man wieder in Wean, ein verwesender
Staat exportiert seine Fäulnisprodukte, Falloten und
Diplomaten, Schieber und Schreiber, deren unge-
hindertes Reisen sich von selbst versteht und die
für die Hassenswürdigkeit dieses weltaufreizenden
Staatsgebildes noch die Schweizer Propaganda
besorgen. Aber unsereins hat's nicht so leicht
und die Formalitäten, die nötig sind, um weg-
zukommen, hindern mich daran.
Der Optimist: Ja, die Paßgeschichten. Ein
Amt weiß nicht, was das andere verlangt. Aber
schließlich, Krieg ist —
Der Nörgler: Krieg, das ist ja bekannt. Aber
noch lästiger als sich von diesem Staat etwas verbieten
zu lassen, ist, sich von ihm etwas erlauben zu lassen. Und
dann muß man ja einen »triftigen Grund« angeben.
422
Der Optimist: Nun, und Sie haben keinen?
Der Nörgler: Eine Fülle. Die Aussicht in der
Schweiz ein Butterbrot zu bekommen, möchte ich
nicht geltend machen. Eher schon die Summe aller
Gründe: das Bewußtsein, in Österreich zu leben. Die
Behörden würden sich Schreibereien ersparen, wenn
man vor der Ausreise einen triftigen Grund anführen
müßte, um hier zu bleiben. Aber ein triftiger Grund,
um auf und davon zu gehen, ist allein schon die
Frage, ob man einen hat. Sie ist allerdings nicht
bloß ein triftiger Grund zur Ausreise —
Der Optimist: Sondern?
Der Nörgler: Zur Auswanderung.
Der Optimist: Sie werden also leicht einen
finden. Wofür würden denn Sie mit Ihrer Dialektik
keinen triftigen Grund finden!
Der Nörgler: Zur Rückkehr.
(Verwandlung.)
3. Szene
Ein Bahnhof bei Wien.
Eine fünfhundertköpfige Herde steht vor dem herabgelassenen
Kassenschalter seit zwei Stunden.
Ein Wiener: In zehn Minuten kummt er.
Ein zweiterWiener (zum Portier; : Bitt schön
wann kummt er denn?
Der Portier: No so um a siebene kummt
er gern.
Ein dritter: No aber jetzt is eh scho drei-
viertel auf acht.
Der Portier: Richti, do schau. No heut hot
er eh zwarahalb Stund Verspätung. Is eh ongschrieben.
Der Nörgler: Kann man sich darauf verlassen?
Der Portier (gereizt): Ah wos, wos waß denn i,
die wissen an Dreck, und wonn s' wos wissen, wern s'
es do net dem Publikum auf d' Nosn binden!
Der Nörgler: Ja aber warum denn nicht?
423
Der Portier: Weil s' selber an Dreck wissen!
Der Nörgler: Aber es is doch angeschrieben.
Der Portier: Jo, ongschrieben, ongschrieben,
aber kummen tut er deßtwegen halt do später!
Der Nörgler: Is das die Regel?
Der Portier: Na, a Regel is grad net, aber
dös müßt rein a Ausnahm sein, daß er pünktlich
nach der Verspätung kummt.
Der Nörgler: Ja, aber warum wird denn dann
die Verspätung angeschrieben?
Der Portier: Weil dös eben ka Mensch net
wissen kann. Dö draußt mölden 's net herein und
dö herint sogen nix.
E i n V i e r t e r : Mir scheint gar, jetztn kummt er!
Der Portier: No olstan, sehn S', dös is rein
der reine Zufall.
Der Nörgler: Ja, aber wie kommt denn das?
Der Portier: Mei liaber Herr, do nutzt ka
Nürgeln, da müassn S' wem ondern frogen. Dös san
halt die Verspätungen! Wir herint kriagn kane
Möidung nicht und dö draußt sogen nix — ietzn bei
dem Verkehr kann ma halt nix machn, jetzt is Kriag!
Ein fünfter: Der Zug kommt!
Ein sechster: Der Kassier schloft!
Rufe: Was is denn?! — Aufmachen! — (Der
Nörgler schlägt mit dem Stock auf den Schalter.) So is recht!
(Der Schalter geht in die Höhe. Das österreichische Antlitz
erscheint. Es ist von außerordentlicher Unterernährtheit, jedoch
von teuflischem Behagen gesättigt. Ein dürrer Zeigefinger scheint
hin- und herfahrend alle Hoffnung zu nehmen.)
Das österreichische Antlitz: Wird kane
Koaten ausgeben! Wird kane Koaten ausgeben!
(Murren, das sich zum Tumult steigert. Es bilden sich Gruppen.)
Ein Eingeweihter: Kummts, i zeig enk ein
Hintertürl! Da brauch' mr überhaupt kane Koaten!
^AUe ab durch das Hintertürl.)
(Verwandlung.)
424
4. Szene
Kohlmarkt. Vor dem Schaufenster einer Büderhandhitig.
Margosches: Eines unserer gediegensten
Geschäfte für Künste und so.
Wolffsohn: PräChtich! (Er betrachtet die Auslage.)
Was mir in eurem lieben Wien sympathisch auffällt,
ist, daß ihr noch im vierten Kriegsjahr an den
Sinnbildern der Nibelungentreue festhaltet. Überall
sieht man doch euern guten alten Kaiser Schulter
an Schulter mit dem unsern; er will nicht loskommen,
denn er kann nicht, sie sind unzertrennlich. Ach
und da ist ja S. M. im Reichstach, die historische
Sitzung, in der er das Schwert zieht. Na wissen
Se, lieber Kommerzialrat, das war 'n Tach! — Wer
ist denn der olle Dicke da?
Margosches: Das is doch der Erzherzog
Friedrich !
Wolffsohn: Ttichtjer Mann!
Margosches: Sehn Sie sich an, das ganze
Erzhaus !
Wolffsohn: Sieh mal, lauter Charakterköpfe,
jeder 'ne Nummer. Ach, und da habt ihr sogar das
schöne Bild, wie unser Kaiser weint.
Margosches: No und das Bild, wo unser
Kaiser weint? Dorten!
Wolffsohn: Nicht doch, das is nur 'n
Schangerbild, er könnte auch beten. Aber der unsre
ist an der Front bei seinen Soldaten und da hat
denn der Maler richtje Tränentropfen rinjemalt.
Margosches: Das da is eines der greßten
Malereien, »Die große Zeit«. Da is auch unser
Kaiser mitten drin in der Schlacht!
Wolffsohn: Ja, so siehste aus. Mächtich
intressant. Da reiten se alle feste druff, euer alter
Kaiser und S. M., unser Hindenburch und euer
Hützendorf — da könnte sich manch ein Drücke-
berger 'n Beispiel nehmen.
425
Margosches: Kennen Sie das hier, Herr
Kommerzienrat? Das hab ich mir sagen lassen, soll
von Theodor Körner sein.
Wolffsohn: Doch. Ist ja berühmt! 'ii
stimmungsvolles Bild, 'n prächtjer Junge. (Er liest)
»Vater, ich rufe dich, 's ist ja kein Kampf um die
Güter der Erde!« (im Abgehn.) Ja, ich sage Ihnen,
siegen müssen wa, siegen! Denn geht die Valuta
von alleine in die Höhe.
(Verwandlung.)
5. Szene
Zwei Dichter im Gespräch.
Der Dichter Strobl: — Und all das Grün
mit Mondlicht durchwirkt, weit hinaus ergossen, bis
zu fernen, weißglänzenden Häusern und dunklen
Bergen, wie Eichendorffs allerholdseligstes Somm.er-
nachtsgedicht . . . (versinkt in Träumerei) Wie ich wieder
aus dem dunklen Saal auf die Terrasse trete, hat der
Fähnrich sein großes Taschenmesser in der Hand,
schneidet ein Stück Geselchtes herunter und sagt so
beiläufig und obenhin: »Mit diesem Messer hab ich
ein paar Katzeimachern den Hals abgeschnitten.«
(Nach einer Pause, versonnen) War ein braver Junge!
Der Dichter ErtI: Welch ein Erleben! Ich
beneide Sie. (Er sinnt.) Ich habe einen Plan fjefaßt.
Ich werde vorschlagen, die siebente Kriegsanleihe
»Wahrheilsanleihe« zu nennen.
Der Dichter Strobl: Fürwahr ein sinniger
Gedanke. Aber warum?
Der Dichter Ertl: Weil unser Sieg der
Wahrheit endlich doch zu ihrem Rechte verhelfen
muß und wird! Weil die Bedingung erfolgreicher
Friedensverhandlungen die Wahrheit sein muß,
nämlich : amtliche Richtigstellung aller Lügen und
426
Verleumdungen, mit denen unwürdige Machthaber
und Zeitungsschreiber der Ententeländer ihre eigenen
Völker und die Welt betrogen, vergiftet und mißleitet
haben. (Strobl drückt ihm stumm die Hand. Sie schreiten fürbaß.)
(Verwandlung.)
6. Szene
Kommers. Hindenburg-Feier.
Ein A. H.: Bierehrliche Seelen! So
beherziget denn, was euch die Deutsche Korpszeitung
ans Herz legt. (Liest vor.) Und die Möglichkeit des
Vieltrinkens und des Vieltrinkenlassens ist auch
notwendig. Verbieten wir das Resttrinkenlassen, so
kann jederzeit jeder trinkfeste Fuchs jeden weniger
vertragenden Korpsburschen in Grund und Boden
trinken, und die Autorität ist hin, oder aber wir
schaffen die Bieiehrlichkeit und damit die Grundlage
jeder Kneipgemütlichkeit ab. Verbieten wir das
Vollpumpen, so geben wir ein Erziehungsmittel aus
der Hand. (Rufe: »So ist es!« »Tempus für Platz und Stoff!«)
Ich bitte, diese Worte nicht aus dem Zusammenhang
gerissen zu zitieren. Unser Korpsleben soll doch
eine Kette von Erziehungsversuchen darstellen. Und
jeder Korpsstudent wird bestätigen, daß er nie mehr
im Leben so deutlich, so ungeschminkt, so unglaub-
lich grob manchmal die Wahrheit zu hören bekam
wie im Korps. Und wie kam's, daß er sich das
gefallen ließ? So lächerlich es klingt: infolge der
Kneipe! Die Kneipe ist für uns, was der vielgelästerte
Kasernenhofdrill, der Parademarsch für den Soldaten.
(Rufe: Hurra!) So wie dort das hundertmal wiederholte
»Knie beugt!« nacheinander Faulheit, Wurstigkeit,
Trotz, Wut, Schlappheit und Ermattung überwindet
und aus dem Gefühl hilfloser Ohnmacht und völliger
Willenlosigkeit vor dem Vorgesetzten die Disziplin
hervorgehen läßt (Rufe: Hurra!) — SO bietet bei uns das
»Rest weg!« dem Älteren vor dem Jüngeren immer
427
eine Gelegenheit, seine unbedingte Überlegenheit
zu zeigen, zu strafen, Abstand zu wahren, die Atmo-
sphäre zu erhalten, die für das ständige Erziehungs-
werk des Korps unbedingtes Erfordernis ist, wollen
wir nicht Klubs werden. (Rufe: Beileibe nich!) Das
»Rest weg« ist natürlich nicht immer, nicht bei
jedem angebracht, aber es muß über der Kneipe
schweben wie das »Knie beugt ! « über jedem
Kasernenhof!
Alle: Hurra! Hurra I Hurra! (Anstoßen) Rest weg!
Ein Fuchs (schwingt das Hindenburg-Heft der
(Jugend' und singt nach der Melodie >Als die Römer frech
geworden«):
Darauf hat er kurz besonnen,
Gleich den Feldzugsplan begonnen.
Schon im Eisenbahncoupe
Sprach er: »In den Narewsee!«
Und kaum daß er angekommen,
Sind die Russen schon geschwommen
In dem See bei Molch und Lurch.
Ja, so war der Hindenburch !
Dreimal so zu Frosch und Unke
Tauchte er sie in die Tunke.
Jeder Tümpel, Sumpf und Teich
War verrußt bis an das Aich !
Alle: Hindenburch Hurra! Hurra! Hurra I
Rest weg !
(Verwandlung)
7. Szene
Ärzteversammlung in Berlin.
Ein Psychiater: Meine Herrn! Der
Mann ist der eigenartigste Fall, der mir bis heute
untergekommen ist. Ein gütiges Geschick hat mir ihn
aus der Schutzhaft zugeführt. Da es offenbar so viele
Jahre Zuchthaus gar nicht gibt, als der Mann für
428
seine Verbrechen zu erwarten gehabt hätte, so mußte
man nolens volens an die Psychiatrie appellieren.
Hier ist mal ein Fall, wo nicht gefragt werden muß,
ob der Verbrecher für die Tat subjektiv verantwortlich
ist, vielmehr ist die Tat selbst der Beweis für die auf-
gehobene Verantwortlichkeit. Um Ihnen, meine Herrn,
gleich die volle Anschauung der Unzurechnungs-
fähigkeit des Patienten zu vermitteln, will ich nur
hervorheben, daß der Mann coram publico die Ansicht
ausgesprochen hat, daß die Ernährungslage Deutsch-
lands ungünstig sei! (Bewegung.) Mehr als das: Der
Mann zweifelt am Endsieg Deutschlands! (Unruhe.)
Aber nicht genug daran — der Mann behauptet
dieUnzweckmäßigkeit des verschärften U-Bootkrieges,
ja des U-Bootkrieges überhaupt — denn ich habe
mich sogleich überzeugt, daß er die Waffe als solche
ablehnt und zwar nicht nur weil er sie für unzweck-
mäßig, sondern weil er sie geradezu für unsittlich
hält! (Erregte Zurufe.) Meine Herrn, wir als Männer der
Wissenschaft haben die Pflicht, kaltes Blut zu bewahren
und dem Gegenstand unsrer Entrüstung nur als
einem Objekt unsrer Forschung gegenüberzustehn,
sine ira, jedoch cum studio. (Heiterkeit.) Meine Herrn,
ich erfülle hier die traurige Pflicht, Ihnen ein
volles Bild der Geistesverwirrung des Patienten zu
entwerfen und ich muß Sie bitten, weder diesen
Unglücklichen noch auch mich als den zufälligen
Demonstranten einer abscheuerregenden Form von
Irresein verantwortlich zu machen. Seine Verantwort-
lichkeit ist durch die Krankheit, meine durch die
Wissenschaft aufgehoben. (Rufe: >So ist es!«) Meine
Herrn, der Mann leidet an der fixen Idee, daß Deutsch-
land durch eine »verbrecherische Ideologie«, wie er
den hehren Idealismus unsrer Obrigkeiten nennt, dem
Untergang entgegengetrieben werde, er findet, daß
wir verloren sind, wenn wir uns nicht auf dem
Höhepunkte unsres Siegeslaufs für geschlagen erklären,
daß unsreRegierunfr,unsre militärischen Machthaber —
429
beileibe nicht die englischen (Oho!-Rufe) — Schulddaran
tragen, daß unsre Kinder sterben müssen! (Pfuü-Rufe.)
Schon durch die Behauptung, daß unsre Kinder sterben
müssen, daß also unsre Ernährungslage ungünstig sei,
wäre ja die SinnesverwirrungdesMannes glatt bewiesen.
(Rufe: »So ist es!«) Ich habe Ihnen nun, meine hochverehrten
Kollegen von derinterncnMedizin, denFall entwickelt,
damit Sie den Versuch machen mögen, auf den
Patienten durch Mitteilung Ihrer Erfahrungen über
den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung
im Kriege einzuwirken. Von der Art seiner Reaktion
erhoffe ich mir eine Vervollständigung des klinischen
Bildes, wenn nicht dessen Berichtigung nach jener
Richtung, in der sich vielleicht doch die kriminelle
Verantwortlichkeit nachweisen ließe, da man ja nichts
unversucht lassen darf — in der Hoffnung also, daß
der Patient unter der Einwirkung Ihrer maßgebenden
Darlegungen sich zu Äußerungen hinreißen lassen
werde, die uns die Entscheidung nach der einen
oder der andern Richtung leichter machen. (Ein Ruf:
»Wir wolln det Kind schon schaukeln!«)
Der Irrsinnige:Wenn unter Ihnen einervonden
93 Intellektuellen ist, verlasse ich den Saal! (Oho!-Rufe.)
Der Psychiater: Ich will hoffen, meine
Herrn, daß Sie diesen Ausbruch weniger als Insulte,
denn als Symptom werten werden. Ich selbst habe,
wie Sie alle wissen, jenen Protest, der als ein Mark-
stein aus großer Zeit in den Annalen fortleben wird,
unterzeichnet, und ich bin stolz darauf. Ich bitte
nunmehr den verehrten Kollegen Boas, einen Versuch
mit dem Patienten vorzunehmen.
Professor Boas (tritt vor): Ich habe schon
wiederholt die Erklärung abgegeben und ich bekräftige
aufs neue, daß eine Beeinträchtigung unsrer Volks-
gesundheit durch die Einschränkung der Lebens-
mittel nicht stattgefunden hat. (Rufe: »Hört! Hört!«) Als
Tatsache kann betrachtet werden, daß wir mit der
Hälfte der früher verbrauchten Eiweißration unsrer
430
Nahrung, ohne Beeinträchtigung von Kraft und
Arbeitsfähigkeit auskamen, ja sogar unser Gewicht
und körperliches Wohlbefinden noch steigern konnten.
Der Irrsinnige: Sie versorgen sich vermut-
lich im Schleichhandel! (Erregte Zurufe.)
Der Psychiater: Meine Herrn, bedenken
Sie den Geisteszustand — bitte Herr Kollege, wie
steht es mit der Säuglingssterblichkeit, ein Punkt,
der in der Phantasie unsres Patienten ständig
wiederkehrt.
Professor Boas: Es hat sich gezeigt, daß
von einer ungünstigen Einwirkung der Ernährungs-
verhältnisse auf die Säuglingssterblichkeit keine
Rede sein kann.
Der Irrsinnige: — sein darf, mein Herr!
(Rufe: >Maul halten!«)
Der Psychiater: Was erhoffen Sie sich,
Herr Kollege, von einer Fortsetzung des Krieges?
Professor Boas: Wir haben mit steigender
Wohlhabenheit und Zunahme der Luxusernährung
Raubbau an unsrer Gesundheit getrieben; jetzt
haben Millionen von Menschen unter dem Druck der
Entbehrungen den Weg zur Natur und Einfachheit
der Lebensführung zurückzufinden gelernt. Sorgen
wir dafür, daß die heutigen Kriegslehren unsrer
zukünftigen Generation nicht wieder verloren gehen.
(Rufe: Bravo!)
Der Irrsinnige: Der Mensch hat ganz recht —
die vom Kurfürstendamm haben vor dem Krieg
zu viel gefressen. Sie fressen aber auch jetzt noch zu viel.
Da hat sich die Ernährungslage tatsächlich gar nicht
verschlechtert. Was aber die zukünftige Generation
der übrigen Bevölkerung anlangt, jener Kreise, die
nicht Boas wegen Fettleibigkeit konsultieren — was
die zukünftige Bevölkerung Deutschlands anlangt,
so sehe ich sie rhachitisch zur Welt kommen!
Kinder als Invalide! Wohl denen, die im Krieg
gestorben sind — die im Krieg geboren sind, tragen
431
Prothesen! Ich prophezeie, daß der Wahnsinn des
Durchhaltens und der elende Stolz auf die Verluste
der Andern, der deutsche Männer ebenso auszeichnet,
wie deutsche Megären die Begeisterung für den Helden-
tod ihrer Söhne — daß dieser perverse Geistes-
zustand einer Gesellschaft, die in einer organisierten
Glorie atmet und sich von Selbstbetrug nährt,
ein verkrüppeltes Deutschland hinterlassen wird!
(Pfui-Rufe!) Was diesen Boas betrifft, so fordere ich
ihn auf, zu bestreiten, daß bisher rund 800.000 Personen
der Zivilbevölkerung Hungers gestorben sind, im
Jahre 1917 allein um 50.000 Kinder und 127.000 alte
Leute mehr als im Jahre 1913; daß im Haibjahr 1918
mehr Deutsche — um 70 Prozent mehr — an Tuber-
kulose starben als damals im ganzen Jahr! (Rufe:
»Schluß! Schluß!« »Jemeinheitl«)
Der Psychiater: Sie sehen meine Herrn,
wie es um den Mann steht. Ich danke dem verehrten
Kollegen Boas und ersuche nunmehr Herrn Kollegen
Zuntz, einen Versuch anzustellen. Ich bitte den ver-
ehrten Kollegen, sich dahin zu äußern, ob die deutsche
Lcistungsfähigkeit,dieses kostbarste Nationalgut,durch
die Ernährung auch nur im mindesten gelitten hat.
Professor Zuntz: Verminderte Leistungs-
fähigkeit kommt bei der jetzigen Ernährung nicht
in Furage. Allerdings wird in weiten Kreisen eine
Unterernährung dadurch herbeigeführt, daß die Leute
keine Lust haben zur Aufnahme ausreichender Mengen
der wenig konzentriert vegetabilischen Nahrungsmittel.
Der Psychiater: Wenn ich den verehrten
Kollegen recht verstehe, so hätte es sich die Be-
völkerung selbst zuzuschreiben. Denn zu einer
Unterernährung läge objektiv keine Ursache vor?
Professor Zuntz: Nein.
Der Psychiater: Aber die Unterernährung,
soweit sie herbeigeführt wird oder sagen wir: wenn
sie überhaupt herbeigeführt wird, hat keine nach-
teiligen Folgen?
432
Professor Zuntz: Nein.
Der Psychiater (zum irrsinnigen): Darauf wissen
Sie wohl nichts zu erwidern?
Der Irrsinnige: Nein.
Der Psychiater: Zu allem hat er seine
koddrige Schnauze, aber da schweigt er betroffen!
Ich danke dem verehrten Kollegen Zuntz und ersuche
nunmehr Rosenfeld-Breslau, den wir als Gast der
Berliner Falkuliät zu begrüßen die Ehre haben, einen
Versuch anzustellen.
Professor Rosenfeld, Breslau: Unsre
Bevölkerung ist bei aller Unterernährung gesünder
geworden und die große Angst um die Unter-
ernährung hat sich als müßig erwiesen. Im Gegenteil:
die Überernährung der Friedenszeit stellt eine
größere Gefährdung des Lebens dar als die
Kostknappheit der Kriegsjahrc. Die Statistik hat
gezeigt, daß in der weiblichen Bevölkerung fast alle
Krankheiten in den Kriegsjahren weniger Todesfälle
gezeitigt haben als im Frieden. Jedenfalls können
wir unsre Betrachtungen dahin zusammenfassen,
daß die Kriegskost die Widerstandsfähigkeit des
Volkes weder gegen die überwiegende Mehrzahl der
Krankheiten noch gegen Erkrankungen noch gegen
Anstrengungen in irgendeinem erkennbaren Maße
herabgesetzt hat.
Der Irrsinnige: Nur gegen die Verlogenheit
der Professoren! (Lebhafte Entrüstungsrufe.)
Eine Stimme: Machen Sie sich hier nicht
unnütz!
Zweite Stim.me: Rraus mit dem Kerl!
Dritte Stimme: Da müßt 'n Schutzmann ran!
Der Vorstand des Ärzteausschusses von
Groß-Berlin: Ich benütze die Gelegenheit dieses
Skandals, um meine Stimme zu einem nachdrücklichen
Appell zu erheben. Kollegen! Ihr seid die Beichtväter
eurer Kranken, ihr habt die vaterländische Pflicht,
mündlich und in jeder andern Form aufklärend und
433
belehrend zum Durchhalten zu ermutigen! Den Klein-
mütigen müßt ihr aufs schärfste entgegentreten!
Unbegründete und oft böswillig oder leichtfertig
verbreitete ungünstige Gerüchte weiset zurück! Wir
Heimgebliebenen können, sollen und werden durch-
halten! Kollegen! Die einfache Lebensweise und
Kost, das Maßhalten in der Aufnahme von Eiweiß-
körpern und Fett ist vielen gesundheitsdienlich
gewesen !
Der Irrsinnige: Den Wucherern und den
Ärzten! (Rufe: »Das ist Unjebühr!< »Rraus mit dem Kerllc)
Der Vorstand des Ärzteausschusses von
Groß- Berlin: Schulärzte haben einwandfrei fest-
gestellt —
Der irrsinnige: — daß Deutschland erfolgreich
mit Lügen belegt worden ist! (Pfui-Rufe!)
Der Vorstand des Ärzteausschusses von
Groß-Berlin : — daß die erste Jugend keine gesund-
heitliche Schädigung gegen früher erkennen läßt!
Der Irrsinnige: Die Zunahme der Sterblichkeit
beträgt nur 37 Prozent! (Rufe: >Maul halten!« •-. Vaterlands-
loser Jeselle!«)
Der Vorstand des Ärzteausschusses von
Groß-Berlin: Die Kindersterblichkeit ist zurück-
gegangen. Erst kürzlich hat ein erster Fachmann
nachgewiesen, daß es den Säuglingen noch nie so gut
gegangen ist wie jetzt. (Rufe: >So ist es!«) Die Kranken-
häuser sind weniger überfüllt als früher.
Der Irrsinnige: Weil alle tot sind! (Lärm.)
Eine Stimme: Das soll der Kerl beweisen!
Der Irrsinnige: Die Berichte mancher Anstalts-
ärzte klingen verzweifelt, wenn sie den Hunger der
Insassen schildern, die weggeworfene Kohlstrünke
und allerlei Unverdauliches zu verschlingen suchen,
um nur die Hungerqual zu stillen. Der von einem
Siechenhaus eingeforderte Bericht lautet lakonisch:
Die Insassen sind alle gestorben. — Die aber lebend
Die letzten Tage der Menschheit. 28
434
hier versammelt sind, sind zu Gutachten kommandiert
worden und werden erst nach dem unvermeidlichen
Zusammenbruch der Lüge und des Reichs den Mut
zur Wahrheit finden! Dann aber wird es zu spät sein
und kein Geständnis wird ihnen die Verachtung des
Auslands ersparen. Denn die deutsche Wissenschaft
ist eine Prostituierte, ihre Männer sind ihre Zuhälter!
Was hier versammelt ist, um im Dienste der großen
Lüge des Generalstabs das Kindersterben in Abrede
zu stellen und aus schwarz weiß zu machen, trägt
mehr Blutschuld als jene, die rot gemacht haben! Die
93 Intellektuellen, die da einst ausriefen »Es ist nicht
wahr!« und »Wir protestieren!«, die das Pathos der Lüge
mit ihrem Protest gegen die deutsche Ehre eröffnet
haben, und jene, die zu ihnen gestoßen sind, haben
die deutsche Kultur von Goethe und Kant und allen
guten Geistern Deutschlands weiter abgezogen als
selbst die romantischen Mordbrenner, unter deren
Zwang sie lügen! Unter der Hand solcher Ärzte wird
die Welt, die vom deutschen Wesen angesteckt zu
werden fürchtet, an ihm sicher nicht genesen — und
daß bei so viel Professoren das Vaterland verloren
ist, sagt ein deutscher Reim! (Es erhebt sich ein unge-
heurer Lärm. Man hört' die Rufe: »Es ist nicht wahr!« und >Wir
protestieren!« Einige Professoren wollen sich an dem Irrsinnigen
vergreifen und werden von anderen zurückgehalten.)
Der Psychiater: Meine Herrn! Wir waren
soeben Zeugen des wildesten Ausbruches eines Vater-
landshasses, der unmöglich auf deutschem Boden
gewachsen sein kann. Die Reaktion des Patienten
auf die Experimente der verehrten Kollegen Boas,
Zuntz und Rosenfeld-Breslau, und namentlich auf
die gehalt- und lichtvollen Darlegungen des verehrten
Vorstandes des Ärzteausschusses Groß-Berlin, für die
ich dem verehrten Kollegen noch wärmstens danken
muß, hat mir klar bewiesen, daß der Mann nicht
geistesgestört, sondern von der Entente bezahlt ist!
Wir haben es mit einem akuten Fall von Northcliffe-
435
Propaganda zu tun, deren chronische Ausbreitung
zu verhindern gerade die Ärzteschaft Groß-Berlins
verpflichtet ist. Schon hat das Gift des Pazifis-
mus auch in gesunde Hirne Eingang gefunden,
und der zu weit getriebene Idealismus der Kriegs-
gegner ermutigt Weichlinge und Drückeberger zu
einem Verhalten, das mit das schlimmste Übel ist,
an dem der deutsche Volkskörper krankt. Tritt dazu
noch eine verbrecherische Propaganda, so ist alsbald
ein Zustand geschaffen, der danach angetan ist, knapp
vor dem Endsieg unsern Unternehmungsgeist zu
lähmen. Es ist der Geist der Flaumacherei, der dem
Feind den Rücken stärkt und uns die Schwingen
lähmt in einem Verteidigungskrieg, den britischer Neid
(Ein Zwischenruf: >Britischer Krämergeist!«), französischer
Revanchedurst (Zwischenrufe: >Und russische Raubgier!«)
— und russische Raubgier uns aufgezwungen
haben. Hier haben wir einmal einen typischen Fall
vor uns. Ich kann nicht umhin zu betonen, daß
der Mann mir von vornherein bedenklich war,
und nunmehr habe ich die Überzeugung gewonnen,
daß wir es mit einem ganz schweren Jungen zu
tun haben. So spricht kein Geisteskranker, meine
Herrn, so spricht ein Vateriandsverbrecher! Ich
kann Ihnen, meine Herrn, des weiteren verraten,
daß der Mann durch sein reueloses Verhalten während
der Schutzhaft, wo er die empörenden Angriffe
gegen alles was dem Deutschen heilig ist fortsetzte,
ja sich sogar zu einer abfälligen Bemerkung über
das Wolffsche Büro hinreißen ließ (Bewegung) — die
Aufmerksamkeit der höchstenKreise erregt hat und daß
sogar eine Persönlichkeit, die uns allen ehrwürdig ist
(Die Versammelten erheben sich) — unser Kronprinz, die
Äußerung getan hat, man sollte dem Kerl eins in
die Fresse hauen. (Rufe: »Hurra!«) Es wird von der Ent-
schließung der betreffenden höchsten Stelle abhängen,
ob eine solche Remedur, die etwa als Strafverschärfung
in Aussicht zu nehmen wäre, zur Anwendung gelangen
28*
436
soll. Unsres Amtes, meine Herrn, ist es, uns glatt für
inkompetent zu erklären, da die medizinische Wissen-
schaft mit diesem Fall nichts zu schaffen hat, und ihn
der Obhut der maßgebenden kriminellen Faktoren
zu übergeben. (Öffnet die Tür und ruft) Schutzmann!
Schutzmann Buddicke (erscheint): Im Namen
des Gesetzes — na kommen Se man miti
(Ab mit dem Irrsinnigen. Die Versammelten erheben sich und
stimmen die Wacht am Rhein an.)
8. Szene
Weimar. Frauenklinik.
Professor Henkel: Ist nichts mehr zum
operieren da? Seine Hoheit wird gleich da sein
und ich habe ihm zugesagt — ich wollte ihm
Gelegenheit geben, mal einer Operation als Zuschauer
beizuwohnen. Also?
Professor Busse: Wir haben nichts.
Henkel: Wir müssen aber noch etwas operieren.
Busse: Es ist nichts da.
Henkel: Sie haben doch noch einen Fall.
Bringen Sie den mal rein.
Busse: Aber — die Patientin hat gerade
gefrühstückt.
Henkel: Das macht nichts. (Die Patientin wird
hereingebracht. Zu einem Assistenten) Bereiten Sie den
Fall vor und pumpen Sie ihr den Magen aus.
Die Patientin (wehrt sich in großer Erregung):
Nein — nein — ich — will nicht —
Henkel: Keine Faxen! Die blamiert einen noch
vor Seiner Hoheit! (Der Prinz zu Lippe erscheint mit Ge-
folge. Begrüßungszeremonie. Die Operation wird vorgenommen.)
Es geht sehr schön, Hoheit — da — so —
437
Eine Schwester (zupft den Assistenten am Rock):
Ach — Himmel —
Henkel: Was is'n los? (Der Assistent gibt eine
Kampferinjektion.)
Der Assistent: Herr Professor —
Henkel (abwinkend): Pst —
Der Prinz zu Lippe (zu Henkel): Da haben
Sie ganz ausgezeichnet operiert, ich werde das sofort
meiner Schwester mitteilen.
(Verwandlung.)
9. Szene
Bei einer deutschen Reserve-Division.
Ein Oberst (diktiert): Von einem französischen
Arbeitstrupp am Hindernis Planquadrat 4674 wurden
durch den (jrabenbeobachter Gefreiten Bitter, 7. Komp.,
R.- Inf.- Regt. 271, mit drei Schuß zwei Franzosen
niedergeschossen. Ich spreche dem Gefreiten Bitter
für die gute Leistung meine Anerkennung aus.
(Verwandlung.)
10. Szene
Isonzofront. Bei einem Brigadekommando. Nach Tisch.
Die Schalek (steht umgeben von Offizieren): Schritt
für Schritt bin ich jetzt die Front am Isonzo längs
des Görzer Abschnittes abgegangen. Alles haben sie
mir gezeigt! Also was ich da erlebt hab! Die im
Hinterland sitzen, können sich das gar nicht
438
vorstellen. Nach langem Bitten bekam ich also
die Erlaubnis mitzugehen. Ich fühlte, wie die Frei-
willigkeit die Last erschwert. Daß ich nicht mitgehen
muß, verursacht den Innern Hader. Zur angegebenen
Stunde, um 5 Uhr nachmittags, melde ich mich
beim General als abmarschbereit. Ich bitte darum,
mit einem Herrn gehen zu dürfen, der ohnedies
heute in Stellung muß. Durch mich soll keiner
gefährdet werden, von dem es der Dienst nicht
verlangt! Ein blutjunger Leutnant, der über die sich
eröffnende Abwechslung seelenvergnügt ist, biegt mit
mir am Fuße des Berges ab, den wir umgehen, um
ihn dann von der Flanke anzufassen. Vorher bekomme
ich den Befehl, punkt 9 Uhr wieder an der Aus-
gangsstelle zu sein. Tiu, tiu, tiuuu — geht es uns
von der Seite an. Und plaudernd bummelten wir
durch die Mondnacht wiederum heim. Abev dann!
Beim Artilleriebeobachter der Podgora bin ich
gesessen, atemlos harrend, was sich in seinem
Abschnitte begeben würde. Nun, eine Bejahung der
Instinkte, eine Betonung der Persönlichkeit hat Platz
gegriffen, wie sie nie vordem hätte gezeigt werden
dürfen. Oberhalb der Parkmauer des Schlosses bin
ich beschossen worden. Wir stehen da, ohne Regung.
Mag der Feind uns sehen! Kein Wort haben wir
noch gesprochen. Jetzt sehe ich ihn an. Dünn ist
er und blaß. Nicht viel über Zwanzig. Etwas Sonder-
bares geht in mir vor. Ich sehe den Leutnant an;
Volksschullehrer ist er in einem ungarischen Dorf.
Und wie ein blendendes Licht steigt in mir eine
Erkenntnis auf. Während des Trommelfeuers auf dem
San Michele erleuchtet ein neues Verstehen jede
Windung meines Gehirns. Der Leutnant ahnt nicht,
wie seine Haltung auf meine Erkenntnis wirkt. Er
sieht mich an und lächelt. Er fühlt, daß ich mit ihm
denke, unsere Nerven schwingen während des
Trommelfeuers im Takt. Es klingt wie eine Solo-
nummer im Orchester . . Tk, tk, tk — geht es los . .
439
Der erste Ton ists des Morgens, wenn ich um
halb vier aufstehe, um in die Stellung zu gehen . ,
Tiu, tiu, tiu — tk, tk, tk — kings! . . Aber auch
nicht der Gedanke daran, daß man ungehorsam sein,
den Befehl mißachten könnte, kommt einem von
uns beiden in den Sinn. Die ungeheure Triebkraft
eines Befehls verspüre ich jetzt am eigenen Leib.
Der Leutnant bleibt stehen. Eine Nachtigall lockt und
die Akazien duften betäubend. Jetzt freilich kommt es
von der andern Seite; nicht mehr so peitschend
und eilig, sondern langsam brüllend, fast hohnvoll
singend. Der Leutnant zerrt mich an die Wand.
Wu — wu — wu Ein Blindgänger war's . .
Kein Gedanke daran, stehen zu bleiben oder Deckung
zu suchen. Befehl: Um neun Uhr stellig zu sein.
Zum erstenmal kann ich ganz mit der Mannschaft
fühlen. Was für eine Erleichterung ist ein Befehl!
Wunderbar leicht kommt man durchs Feuer, wenn
der Befehl es heischt. V/ohl jenem Volk, das im
Befehl leben dürfte, vertrauend, gläubig, daß der
Befehl auch der richtige sei, von den Besten der
Besten ersonnen ; so wie es hier der vorwärtsdrängende
und jeden Rückfall abschneidende, das Eigentum
schützende Befehl vom Isonzo ist! Verwundete holen
uns ein . . Einer ist taubstumm geworden. Er winkt
und deutet, was ihm geschah . . Die Autos warten
und bald sind wir im Quartier. Der Tisch ist gedeckt
und in dampfenden Schüsseln wird das Mahl auf-
getragen. In jedem Auge steht noch der Abglanz
des Erlebnisses. Aber wir essen ganz tüchtig und
schlafen prächtig und nächsten Mittag spielt die
Militärmusik bei der Offiziersmesse auf. Wir haben
ja den benötigten Graben. Im Freien wird gespeist,
die Spargel schmecken gar köstlich und süße Walzer-
melodien wetteifern mit dem Kuckuck und mit dem
Specht . . In Rom erfährt Salandra wohl nichts, als daß
er heuie einen Graben verlor. Nun, das Trommel-
feuer auf dem Monte San Michele hatte ich
440
hinter mir. Am nächsten Tag aber gings nöch einmal
hinaus. Interessant sind die Verwundetenzüge. Die
Leichtverletzten nehmen noch Haltung an und
salutieren, andere heben matt den Blick und ver-
suchen, mit der Hand nach der Mütze zu fahren,
viele aber liegen unbeweglich, haben den Mantel
übers Gesicht gezogen und sehen und hören nichts . .
Das Gefecht ist zu Ende. Wir können also gehn.
Andern Tags dachte ich, ach was, den Monte
San Michele lä8t du heute rechts liegen. Heute führt
mich mein Weg zurNachbardivision,zu den ungarischen
Truppen des Heeres. Leichengeruch weht über die
Straße weg. Kein Korso einer Großstadt ist so
menschenbelebt wie diese granatenbestrichene Straße.
Hier liegen seit acht bis zehn Monaten zwischen
den Stellungen ganz mumifizierte, durchlöcherte
Leichen . . Die Gräben sind eng, fast nur manns-
breit und die Leute schlafen langausgestreckt auf
ihrem Grunde. Man steigt über sie weg, aber sie
wachen nicht auf . . Sechs Einschläge zählen wir
und eine rasche Aufnahme gelingt . . Ich darf durch
einen Panzerschild hinausschauen und den Trichter
bestaunen . . Beim Bataillonskommandaiiten bekomme
ich ein Glas Eierschnaps. Das tut wohl. Die Nerven
vibrieren doch von dem ewigen Krachen ringsum.
»Decken Sie frisches Zeitungspapier auf«, ruft der
gastfreie Offizier. (Offenbar eine Galanterie für mich.)
Sechs Schüsse — sechs Volltreffer . . Platte auf Platte
fülle ich mit Bildern für die Zukunft . . Und dann
zurück hieher. Beim Brigadier wartet ein Frühstück
auf uns; dankbar nehme ich's an. Das war aber ein
Frühstück — ! Weil mich Cadorna heute wiederum
verschonte, weil die Granate wiederum gerade um
ein Viertelstündchen zu spät kam, gab's eine Flasche
echten Champagners und als besonderen Lohn eine
Dose wirklichen Kaviars. Knusprige Kipfel und bunte
Blumen, Radieschen und ein Damastgedeck — solche
Kontraste gibt's nur an der Front!
441
Die Offiziere: Weil sie Cadorna heute
wiederum verschonte, weil die üranate wiederum
gerade um ein Viertelstündchen zu spät kam —
^fl
w^
r##— ^
^^
P>l.Jy Ip-^
^^ffl
r f
^ y 1
" " T ■ ■'-Tf f '
''—7
^ ui.
gab's Blumen, Kipfel, Kaviar,
so muß es sein, das ist doch klar.
Wir sind die bessern Herrn vom Stab,
in diesem Punkt geht uns nix ab.
Wir gehn nicht in den Schützengraben,
weil s' dorten keinen Schampus haben.
Statt Kaviar auf Butterbrot
gibt's nix als einen Heldentod.
Wir fressen, die dort müssen zahl'n.
Fürs Vaterland is's schön zu falTn.
442
Und das weiß heut doch jedes Kind:
Wir fall'n nur, wenn wir b'soffen sind.
Cadorna, der hat uns schon wieder verschont.
[: Sehn S', solche Kontraste gibt's nur an der Front!:]
(Verwandlung.)
11. Szene
Divisionskommando.
Ein Kommandant: Exzellenz, gerade dieses
Unternehmen war mangels entsprechender Artillerie
aussichtslos. Der Feind hat geradezu ein Scheiben-
schießen auf die abgelassenen Pontons und deren
Besatzungen veranstaltet. Hunderte von Leichen
sind an jenem Tag im San versunken und dann
mußten wir doch die Forcierung des Flusses auf-
geben. Wir stehen jetzt vor derselben Situation.
Der Kaiserjägertod: Sie müssen unbedingt
aushalten.
Der Kommandant: Exzellenz, die Truppen
erfrieren in den von Grundwasser erfüllten eisigen
Löchern.
Kaiserjägertod: Wie hoch schätzen Sie die
voraussichtlichen Verluste?
Der Kommandant: 4000.
Kaiserjägertod: Die Truppen sind befehls-
gemäß zu opfern.
Der Kommandant: Wenn sie herauskommen
werden, waten sie bis zu den Knieen im Schnee
und sollen dabei eine überhöhende Stellung des
Feindes angehen.
Kaiserjägertod: Haben Sie denn keinen
Feldkuralen, der die Leute aufpulvern könnte? Die
Offensive darf um keinen Preis verzögert werden!
443
Der Kommandant: Exzellenz, es liegt ja
so viel Schnee, daß ein ganzes Regiment auf-
gerieben wird.
Kaiserjägertod: Ein Regiment? Was macht
mir ein Regiment!
Der Kommandant: Die Leute stehen mit
hungrigem Magen im Wasser. Sie kämpfen verzweifelt
gegen die gewaltigen unausgesetzten Anstürme der
Russen.
(Der Kaiserjägertod wird zum Telephon gerufen.)
Kaiserjägertod: Was? Ablösung oder Ver-
stärkung? Herr Oberst, Sie haben auszuhalten bis
auf den letzten Mann, ich habe keine verfügbare
Mannschaft, und ein Zurück kenne ich nicht, koste
es was es will! Was? Einen Tag Ruhe wollen s'
zum Trocknen der Kleider? Was sagen Sie? Ihre
armen, braven Tiroler liegen erschossen draußen und
schwimmen im Wasser? (Brüllend.) Zum Erschießen sind
sie da ! Schluß ! — So und Ihnen habe ich nichts anderes
zu sagen. Die Truppen haben in ihren Stellungen
auszuharren, es geht um meine Existenz! (Ab.)
Ein Major (zum Kommandanten): Da ist nichts
zu machen, Exzellenz pflegt eben seine Kerntruppen
wegen ihrer vorzüglichen Eigenschaften gerade bei
den schwierigsten Aufgaben einzusetzen. Exzellenz
ist ein überaus energischer, zielbewußter, impulsiver
General, derstrengdienstfordernd, persönlich tapfer, von
seinen Untergebenen unbedingte Aufopferung verlangt.
(Verwandlung.)
12. Szene
Rückzug. Eine Ortschaft.
Kaiserjägertod (zu einem Obersten): Niemand
darf austreten und niemand darf sich etwas kaufen!
(Aus einem Geschäft tritt ein hungernder Soldat, der ein Stück
Brot in der Hand hält. Kaiserjägertod züchtigt ihn mit der
Reitpeitsche.) Herr Oberst, was führen Sie hier für
444
einen Sauhaufen, lassen Sie jeden Mann, der aus-
getreten ist, drei Stunden anbinden! Verlautbaren
Sie, daß auf Leute, die beim Vormarsch oder
Rückzug zu den Bauern Brot und Milch kaufen
gehn, geschossen werden soll! (Er reitet ab. Da und dort
verlassen Leute die Einteilung. Die Offiziere schießen der
Mannschaft nach. Panik. Schreckensrufe: >Die Russen kommen!«)
Oberleutnant Gerl (stellt sich in Positur): Ihr
könnts krepieren vor Hunger, ich werde aber noch
immer etwas zum essen haben!
(Verwandlung.)
13. Szene
Spital neben einem Divisionskommando. Man hört die Regiments-
musik lustige Weisen spielen.
Ein Schwerverwundeter (wimmert): Nicht
spieln — nicht spieln!
Ein Wärter: Stadsein! Das is die Tafelmusik
vom Exzellenzherrn Feldmarschalleutnant von Fabini!
Die wird er euretwegen net aufhören lassen, was
glaubts denn?!
(Die Tür geht auf. Man hört Gesang: Ja so ein Räuscherl is
mir lieber als wiara Krankheit, wiara Fieber.)
(Verwandlung.)
14. Szene
Bei einer deutschen Reserve-Division.
Ein Oberst (diktiert): — Jetzt den Schluß
vom Tagesbefehl. Notiz! Aus der Masurischen Wasch-
anstalt in Lötzen hat Herr General von Schmettwitz
drei weiße Stehkragen, Marke Maingau, Weite 42 Zenti-
meter, ohne Zeichnung zurückerhalten, die ihm nicht
gehören. Dagegen fehlen drei weiße Stehkragen,
Weite 43 Zentimeter, zwei davon gezeichnet v. Seh.,
und alle drei mit grauem Faden im hinteren Knopfloch
versehen. Um Austausch wird gebeten,
(Verwandlung.)
445
15. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Vor einem möchte ich Sie
warnen: zu generalisieren.
Der Nörgler: Sie meinen, ich solle mich
hüten, jeden Schurken für einen General zu halten?
Der Optimist: Nein, Sie sollten nicht die
Fülle der Beispiele von Pflichterfüllung und von
Opfermut übersehen — auch bei den Offizieren —
Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren.
Da doch jene Beispiele in ihrer Fülle offenbar gar
nicht zu übersehen sind, so bleibt nichts übrig, als
sein Augenmerk auf die Ausnahmen zu heften.
Wollte man statt dessen auf solche, die im Krieg ihre
Ehrenhaftigkeit nicht verloren haben, aufmerksam
machen, so würde man das Selbstverständliche hervor-
heben und der Institution vollends nahetreten, indem
man den Eindruck erweckte, als ob die Ehren-
haftigkeit eine Ausnahme sei. Gerade indem man
auf die Schurken hinweist, bleibt man frei von dem
Vorwurf, zu generalisieren, den nur die Geti offenen,
nicht die andern erheben können. Nahetreten möchte
ich keinem einzigen, nur der ganzen Institution, indem
ich weniger zu ihren Gunsten gelten lasse, daß sie einen
Ehrenmann nicht verdirbt als zu ihren Ungunsten, daß
sie einen Schwächling in einen Schurken verwandelt.
Glauben Sie ja nicht, daß ich diese feigen Philister,
die jetzt die Machtgelegenheit benützen, um sich
für ihr Minus an Mannheit an der Mannschaft zu
rächen, für bewußte Tyrannen halte. Sie vergießen
nur Blut, weil sie keines sehen können und es nie
gesehen haben, sie handeln im Rausch des Erlebnisses,
plötzlich ihre eigenen Vorgesetzten zu sein und
einmal Dinge tun zu dürfen, für die sie nicht
in ihrer Persönlichkeit, nur in der Gelegenheit die
unentbehrliche »Deckung« finden. Und die meisten
dieser Schubbjacks werden dereinst nicht einmal
446
zu fassen sein, weil sie bei ihrem Handeln von
jenem Kodex gedeckt waren, der ihnen alles
das erlaubt und gebietet, was ihnen bis dahin das
Strafgesetzbuch verboten hat : vom Reglement. Groß
war die Zeit, in der einer für Rauben, Morden und
Schänden mit dem Verdienstkreuz davonkam, und
für die Bestellung dieser Taten mit dem Maria-
theresienorden!
DerOptimist: Man darf nicht generalisieren.
Erst heute habe ich gelesen, daß sich die Mannschaft
mit den Offizieren, die ihr frisches Herzblut dem
Vaterlande opfern, durch eine oft bis zur Freund-
schaft gesteigerte Kameradschaft —
Der Nörgler: — angebunden fühlt.
(Verwandlung.)
16. Szene
Frachtenbahnhof in Debreczin. Ein Waggon, von Posten bewacht.
Mit Kreide angeschrieben: 40 Mann, 6 Pferde. Neugierige im
Umkreis.
Ein Posten (zur Bevölkerung) : Gehts weg da!
Oberleutnant Beinsteller: Wie lang hängen
die jetzt drin?
Leutnant Sekira: Erst anderthalb Stunden.
Beinsteller: Also noch eine halbe Stund!
Wie viel sinds?
Sekira: 20.
Beinsteller: Also noch Platz für 20! Den
Frontschweinen gehts zu gut.
Sekira: Ich hab s' eh schon trocken rasiern
lassen und nacher geohrfeigt. Wenn das Anbinden
verboten wird, weiß ich schon was ich mach. In ein
Schilderhäusl — und nacher drin mit Stacheldraht
so umatum, daß der Kerl nur habtacht stehn kann!
(Verwandlung.)
447
17. Szene
Wiener Magistrat.
Der Beamte (zu einer vor ihm stehenden Partei):
Also wann S' aufs Land gehn wolln — das wem mr
o^leich haben, da brauchen S' sich nur nach der folgenden
Vurschrift zu richten, passen S' auf (er liest, wobei er
ein bestimmtes Wort besonders lebendig hervorhebt, aber
unaufhörlich mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine
Bewegung vornimmt, die jede Hoffnung abzuweisen scheint):
»Personen, die im Jahre 1917 ihren Wohnort vor-
übergehend in ein Heilbad oder auf die Dauer von
mindestens vier Wochen in einen Kurort oder in
eine Sommerfrische verlegen, haben bis längstens
1. Juni bei der Bezirksbehörde ihres ständigen
Wohnortes mittelst des dort erhältlichen amtlichen
Formulars eine Abmeldung zu erstatten, in der der
Name, der ständige Wohnort, der Ort des Sommer-
aufenthalts, der Tag des voraussichtlichen Eintreffens,
die Anzahl der Begleitpersonen und die beabsichtigte
Dauer des Aufenthalts anzugeben sind; eine gleich-
lautende, zweite Ausfertigung dieser Abmeldung ist
der Bezirksbehörde des gewählten Sommeraufenthalts
zuzusenden. Die Personen haben noch vor der Abreise
bei ihrer Brotkartenausgabestelle den Lebensmittel-
kartenabmeldeschein zu beheben und sohin
den Bezug derjenigen Lebensmittel, deren Verkauf
rayoniert ist, gegen Bestätigung auf dem Lebens-
mittelkartenabmeldeschein bei der betreffenden
Verschleißstelle abzumelden. Der Verschleißer
rayonierter Lebensmittel hat eine Liste zu führen, in
welcher Name, Wohnort, Tag der Abreise und Zahl
der Begleitpersonen der sich Abmeldenden sowie die
Menge der in Abfall kommenden Lebensmittel ein-
zutragen sind; diese Liste ist derjenigen Stelle, von
der die Zuweisung rayonierter Lebensmittel erfolgt,
am Ende jeder Woche vorzulegen. In dem Heilbad, dem
Kurort oder der Sommerfrische haben sich die Personen
448
unter Vorweisung des Lebensmittelkarten-
abmeldescheines (Die Partei verschwindet) bei der
Brotkartenausgabestelle sowohl nach dem Eintreffen
als auch vor dem Verlassen dieser Orte zu melden.
Die Ausfolgung von Lebensmittelkarten darf
im Orte des Sommeraufenthalts sowie nach der
Rückkehr im ständigen Wohnort nur auf Grund des
mit den entsprechenden Amtsvermerken versehenen
Lebensmittelkartenabmeldescheines
erfolgen. Die politischen Bezirksbehörden sind
ermächtigt worden, den Einkauf von Lebensmitteln
durch die Fremden zu rayonieren und außerdem
die Verabfoigung von Speisen in den Speise-
wirtschaften der Heilbäder, Kurorte und Sommer-
frischen zu regeln. Gastwirtschaften haben auf die
Mehrzuweisung von Lebensmitteln für die Verpflegung
von Heilbäder- und Kurortebesuchern sowie Sommer-
frischlern im Allgemeinen nur dann Anspruch, wenn
sie den erhöhten Bedarf durch Abgabe der von den
Kostteilnehmern eingezogenen Kartenabjchnitte nach-
weisen. Für Ausflügler, die nur auf kurze Zeit
Heilbäder, Kurorte und Sommerfrischen besuchen,
können besondere Verpflegsvorsorgen nicht getroffen
werden. Weiters sind die politischen Bezirksbehörden
ermächtigt worden, den Besuchern von Heilbädern,
Kurorten und Sommerfrischen zur Verhinderung des
Hamsterns von Lebensmitteln den unmittelbaren
Einkauf gewisser Lebensmittel beim Produzenten
zu verbieten.« — Na alstern, jetzt wissen S' es, jetzt
können S' — (er blickt auf) Wo is denn der hin ver-
schwunden? (F.rsuchtauf dem Boden.) Sie Herr, warten S'
auf den Lebensmittelkartenabmeldeschein ! (Kopf-
schüttelnd) Mirkwirdiger Mensch das. Was sich die
Leut herausnehmen ! (Er sucht weiter. Dann erhebt er sich.)
Der hats net erwarten können. Am End is er gar
schon am Land!
(Verwandlung.)
449
18. Szene
>X''ohnimg der Familie Durchhalter.
Die Mutter: Ziagts z'haus die Sandalen aus,
man hört sein eigenes Wort nicht!
Ein Kind: Mutter, gibt's heut wieder nix
z' essen?
Die Mutter: Du frecher Bub, ich werd dir
lehren — (sie will auf ihn losgehen. Es läutet.) Das is der
Vater! Er hat sich angstellt um Wrucken, hoffentlich —
(Man hört das Klappern von Sandalen. Der Vater, in Papier-
anzug, erscheint in der Tür.)
Die Kinder: Vater, Brot!
Der Vater: Kinder, Rußland verhungert!
(Verwandlung.)
19. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Abonnent: No jetzt wern wir doch
schon bald Getreide aus der Ukraine haben.
Der Patriot: Der Czernin hat eine Gewure!
Jetzt ham wir den Brotfrieden! Und jetzt solln sie
probiern, uns auszuhungern.
(Verwandlung.)
20. Szene
Sofia. Ein Bankett deutscher und bulgarischer Schriftleiter.
Der deutsche Gesandte Graf Oberndorff
(erhebt sich): Meine verehrten Gäste! Ich freue mich
jedesmal, wenn mir vergönnt ist, hier im Hause, über
dem das schwarz-weiß-rote Banner weht, deutsche
und bulgarische Freunde zu gemütlichem (jedanken-
austausch zu vereinen. Heule aber freue ich mich
ganz besonders. Denn Sie, meine verehrten Herren
von der deutschen und bulgarischen Presse, darf ich
als — Kollegen willkommen heißen.
Die letzten Tage der Menschheit. 29
450
Rufe: Bravo! Prösterchen, Hv'^rr Kollege!
Der deutsche Gesandte: Ja, mögen wir
auch ein oder das andere Mal etwas an einander
auszusetzen haben, wie das zwischen Zunftgent sen
vorkommen kann, Diplomatie und Presse gehören
eng zusammen.
Rufe: Bravo! Bravo!
Der deutsche Gesandte: Kein guter Journalist
ohne diplomatisches Empfinden, und kein brauch-
barer Diplomat, der nicht mit einem vollen Tropfen
Druckerschwärze für seinen Beruf gesalbt wäre.
Rufe: Famos!
Der deutsche Gesandte: Ich sage Beruf,
das Wort ist zu gering. Es ist eine Kunst, eine hohe
Kunst, die wir ausüben, und das Instrument, auf
dem wir spielen, ist das edelste, das sich denken
läßt, es ist die Seele der Völker!
Rufe: So ist es!
Der deutsche Gesandte: Was Diplomatie
und Presse geeinigt vermögen, hat uns dieser Welt-
krieg gezeigt.
Rufe: Jawoll!
Der deutsche Gesandte: Vom Feinde soll
man lernen. Wenn wir die Reihe der diplomatischen
Größen der Anktankte an unserem Sinn vorüber-
ziehen lassen und dabei Namen wie Times und
Reuter, Matin, Havas, Nowoje Wremja hören, nicht
zu gedenken der kleinen Satelliten in Rom, Bukarest,
Belgrad, dann müssen wir gestehen, daß hier ein
Bund auftrat, der Erfolge aufweisen kann. Erfolge
an Lüge und Verblendung —
Rufe: So ist es!
Der deutsche Gesandte: — Wut und Haß,
wie sie die Welt nie zuvor gesehen. Ja, es ist ein
mächtiger Bund und schreckhaft anzuschauen, und
dennoch nur ein künstlich aufgetriebener Koloß, der
451
eines Tages bersten wird. Denn es fehlt ihm der
Leben spendende und erhaltende Geist, die Wahrheit.
Die ficht auf unserer Seite.
Rufe: Jawoll!
Der deutsche Gesandte: Mit ihr und für sie
streiten Sie, meine Herren von der bulgarischen und
deutschen Presse, in der stolzen Erkenntnis, daß
jeder Erfolg, den die Wahrheit erringt, auch einen
Erfolg für unsere gemeinsame Sache bedeutet. Ja,
an dem Tag, an dem den Völkern, die man gegen
uns in einen vergeblichen Kampf treibt, endlich die
Schuppen von den Augen fallen, am Tage, an dem
sie erkennen werden, wie wir wirklich dastehen —
Rufe: Hurra!
Der deutsche Gesandte: — wie unüber-
windlich gerüstet von innen und von außen, an dem
Tage endet der Weltkrieg! (Setzt sich. Allgemeines
Anstoßen.)
Rufe: Hurra! — Pröstchen Herr Kollege! —
Herr Graf, Pupille!
Kleinecke-Berlin: Mir scheint, Herr Kollege,
die Balkanonkels machen flau. Haben Se bemerkt,
keen Ton — !
Steinecke-Hannover: Ist mir nicht entgangen.
Na und wenn schon. Oberndorff war famos.
Kleinecke-Berlin: Eine Poenkte neben der
andern. Der Mann ist in der Tat mit 'nem vollen
Tropfen Druckerschwärze jesalbt.
Steinecke-Hannover: Der Mann ist mit
der beste Redner, den wa jetzt haben. Die Wahrheit,
die ficht auf unserer Seite — wie schlicht und wahr
zugleich!
Kleinecke-Berlin: Ja, seit dem Tage, da wir
melden konnten, französische Flieger hätten Bomben
auf Nürnberch jeworfen. Das war der Anfang.
Steinecke-Hannover: Ja, seit damals stehn
wa im Kampf gegen die Lügen unserer Feinde.
29*
452
Kleinecke-Berlin: Was Diplomatie und Presse
geeinigt vermögen, hat uns dieser Weltkrieg gezeigt,
den britischer Neid, französischer Revangschedurst
und russische Raubgier uns aufgezwungen haben.
Goldene Worte.
Steinecke-Hannover: Es erinnert an das
treffende Wort eines großen Kollegen. Wie sagt doch
Ernst Posse? Der Krieg hat offenbart, welche Macht
der moderne Zeitungsschreiber in der Hand hält.
Man denke sich, sagt Ernst Posse, wenn man kann, die
Zeitung weg in diesem internationalen Aufruhr der
Gemüter; wäre ohne sie der Krieg überhaupt möglich
geworden, möglich in seinen Entstehungsursachen,
möglich auch in seiner Durchführung?
Kleinecke-Berlin: Wie wahr! Ernst Posse
schaltet sogar die Diplomatie aus.
Steinecke-Hannover: Er spricht eben als
Journalist. Oberndorff ist Diplomat und gibt darum
der Presse, was der Presse ist.
Kleinecke-Berlin: Nu sagen Sie aber Kollege,
diese faulen Balkanfritzen —
Steinecke-Hannover: Ach, das wolln wa
uns nich anfechten lassen. Gucken Se mal, Oberndorff
trinkt uns zu —
Beide: Herr Graf, Pupille!
(Verwandlung.)
21. Szene
Ministerium des Äußern.
H a y m e r 1 e (zu einem Redakteur) : Wenn er das
erlebt hätt der Selige, daß ich über seinen Todestag
einen Artikel in die Neue Freie Presse schreib — die
Freud, was er ghabt hätt! Ich bin zur Zeit im Felde
und eigens hereingekommen — denn draußen
hab ich keine Ruh zum Schreiben. Aber da is
453
mir gleich lieber, ich diktier's Ihnen. Also — ich
denks wie heut. Also — ich war Ihnen also dankbar,
wenn Sie nachstehende Zeilen in Ihr geschätztes
Blatt aufnehmen wollten.
Ich hatte die Ehre, seit Ende Januar 1914 als
k. u. k. Botschaftsrat in Berlin unter dem Befehle
Sr. Exzellenz des Grafen Szögyeny-Marich zu stehen.
Näheres über die Zeit kurz vor Ausbruch des
Weltkrieges zu sagen, liegt nicht in meiner Absicht,
noch bin ich dazu berechtigt; ich möchte nur eine
für den großen Staatsmann charakteristische und
zugleich ehrende Episode erwähnen.
Es war am Abend der Kriegserklärung zwischen
Serbien und der k. u. k. Monarchie.
Ich war, mit der Bitte um eine Unterschrift,
noch um 1/2 9 Uhr abends zu Sr. Exzellenz aus der
Kanzlei hinuntergekommen.
Der Botschafter war eben im Begriffe, aus dem
Eßzimmer in sein Schlafzimmer zurückzukehren.
Als er mich sah, trug er mich, seiner Gewohnheit
gemäß, auch dann immer zuerst seine Besucher oder
Beamten zu fragen, ob etwas Neues los sei, selbst
dann, wenn er selbst Wichtiges mitteilen wollte:
»Was gibt's Neues?« Auf meine Antwort, mir sei
nichts Wichtiges bekannt, sah mich der alte Herr
mit einem ganz eigentümlichen, halb stolzen, halb
wehmütigen Blicke an — Wissen S', so kwieß —
und sagte, mir tief ergriffen die Hand reichend:
»Soeben haben wir Serbien den Krieg erklärt.«
Der Redakteur: Herr Botschaftsrat haben das
also um V29 Uhr abends noch nicht gewußt? Aber
die Bevölkerung scheint bereits informiert gewesen
zu sein?
Haymerle: Warten S'. Buchstäblich in dem
gleichen Augenblicke ertönte bereits in der Moltke-
straße (die zwischen dem Botschaftspalais und dem
preußischen Kriegsministerium hindurchführt), ein
donnerndes vielfaches Hoch und gleich darauf wurde
454
unsere geliebte Volkshymne von Hunderten von
Menschen aller Stände — Offiziere, Herren im
Zylinder, Damen in Abendtoilette —
Der Redakteur: Intressant, also sie haben
sich schon massiert.
Haymerle: Frauen aus dem Volke, Arbeiter,
Soldaten und Kinder —
Der Redakteur: Wie, auch Kinder?
Haymerle: Naturgemäß. Oh Kinderln sind oft
gscheit! Er speziell war immer ein großer Kinderfreund!
Also -wo sind wir — angestimmt, und alles rief wie
aus einem Munde nach dem Botschafter. »Ans
Fenster«, »ans Fenster«, »er soll sich zeigen«,
»wir wollen ihn sehen!«
Der Redakteur: Offenbar hat das Volk nicht
so sehr aus Information wie aus Instinkt gehandelt.
Haymerle: Versteht sich. Es fühlte eben
bereits damals mit dem der großen Menge eigenen
Spürsinn das deutsche Volk, wie innig die beiden
Reiche in Not und Tod mit einander verbunden sein
sollten.
Se. Exzellenz war so tief ergriffen, daß ich nur
mit Mühe ihn dazu bewegen konnte, ans Fenster
seines Schreibzimmers zu treten.
Graf Szögyeny war so erschüttert, daß er der
begeisterten Menge nur mit der Hand seinen Dank
zuwinken konnte. Doch Tränen rannen ihm über die
Wangen. Und ich schäme mich nicht, einzugestehen,
daß auch mir — (mit tränenerstickter Stimme) der im
Hintergrund stehend diesen erhebenden Moment
miterleben durfte, die schweren Tränen rannen.
Für den Botschafter war es aber wohl der größte
und schönste Moment seines schicksalsschweren
Lebens, als der bedeutende Staatsmann kurz vor dem
Scheiden aus seinem seit zweiundzwanzig Jahren
innegehabten Amte noch erleben konnte, welche für
unser geliebtes Vaterland unschätzbaren Früchte —
(kann vor Rührung nicht weitersprechen.)
455
Der Redakteur (ero:riffen) : Herr Botschaftsrat,
fassen Sie sich, wir von der Presse empfinden ganz mit
Ihnen! Das weitere mach ich in der Redaktion. Ich ersehe
aus Ihrer bewegten Schilderung, daß schon vor Beginn
des Weltkrieges Tränen vergossen wurden. Wenn es
auch glücklicherweise nur Freudentränen waren, so hct
die Diplomatie damit doch die Aufgabe, die weiterhin
den Völkern überlassen war, intuitiv vorgezeichnet.
Aber glauben Sie mir, Herr Botschaftsrat — die
Journalistik ist nicht unbeteiligt beiseite gestanden.
Ein von Natur liberaler Beruf, hat sie im Gegenteil
alles dazu beigetragen, den Tränen, die seit jenem
großen Moment geflossen sind, freien Lauf zu lassen.
Haymerle (ergriffen): Wir danken es Ihnen.
(\^erwandiung[.)
22. Szene
In der fönten Stube bei Wahnschaffes.
Frau Pogatschnigg: Also ich kann nur
sagen, daß »Heldengrab im Hause« bei uns die
weiteste Verbreitung gefunden hat und alles
begeistert ist.
Frau Wahnschaffe (bescheiden abwehrend): Ach,
das war ja nur für die Toten. Aber jetzt hat Manne
das Heldenkissen erfunden, das schönste Geschenk
für unsere heimkehrenden Krieger, um auszuruhn
von ihren Taten. Es enthält: 1. die sinnreiche Anrede:
Siegreiche Krieger. 2. Das eiserne Kreuz. 3. Den
Namen des Kriegers, von einem Eichenkranz umgeben
als Sinnbild deutscher Stärke. 4. Deutsche und öster-
reichische Fähnchen als Zeichen der Bundestreue —
Frau Pogatschnigg: Wacker!
Frau Wahnschaffe: 5. Willkommen in der
Heimat! M. 3,50.
Frau Pogatschnigg: Preiswert. Was gibt
es in Kinderbüchern und Kinderspielen Neues bei
euch im Reich?
456
Frau Wahnschaffe: Wir spielen Weltkrieg.
Frau Pogatschnigg: Wie?
Frau Wahnschaffe: Wir spielen Weltkrieg,
ein zeitgemäßes Bilderbuch für unsre Kleinen. Nun
und von richtich gehenden Spielen — na der
42 cm Brummer, aber der ist ja eigentlich von euch —
warten Sie — ach ja, kennt ihr »Verteilung der
Beute «?
Frau Pogatschnigg: Ja, aber da ist man
bei uns wenig befriedigt, ich weiß nicht, wie das
kommt.
Frau Wahnschaffe: Ach, 's ist doch 'n
entzückendes Spiel. Meine Jöhren sind ganz selig.
Ja, für uns Deutsche ist das Beste —
Frau Pogatschnigg: — gerade gut genug.
Wir haben dafür jetzt den »Russentod«, etwas
Erstklassiges.
Frau Wahnschaf fe: Das muß fein sein.
Frau Pogatschnigg: Der »Russentod«,
eine sinnreiche Erfindung der Gräfin Taaffe, ist ein für
Groß und Klein interessantes Geduldspiel, ein Erzeugnis
der Verwundeten des Roten Kreuz-Lazaretts auf der
Prager Kleinseite, wo die Gräfin als Oberschwester
Samariterdienste versieht. In einem sehr geschmackvoll
ausgeführten Osterei erscheint eine Miniaturfestung
mit Drahthindernissen und Sumpf dargestellt, nebst
kämpfenden verbündeten und russischen Soldaten.
Durch Schütteln des Eies müssen die Verbündeten
in die Festung hereingebracht und die Russen in
den Sumpf getrieben werden.
Frau Wahnschaffe: Etsch!
Frau Pogatschnigg: Der »Russentod« bildet
ein geeignetes Ostergeschenk nicht nur für die
Jugend, sondern auch für die Soldaten in den
Spitälern, denen es eine angenehme Zerstreuung
und spannende Unterhaltung bietet. Das »Russentod«-
Osterei, in sehr geschmackvoller schwarz-gelb-seidener
457
Ausführung, kostet K 3-60 und ist in der
Prager Zentralverkaufsstelle des Kriegsfürsorgeamtes
erhältlich.
Frau Wahnschaffe: Zu niedlich. Und wie
fein die hochgeborne Samariterin den Geschmack der
Verwundeten berücksichtigt hat! Ja der östreichische
Adel! Da ist denn doch noch bei aller Schlappheit
mehr Grazie als bei uns, das muß sogar ich zugeben.
Wie ist das also, liebe Pogätschnigg — man schüttelt
das Ei und denn müssen unsre Braven in die
Festung, die Russen aber in den Sumpf — etsch!
Das ist ja das Ei des Columbus!
Frau Pogätschnigg: Die Gräfin ist seit
dieser Erfindung der Gegenstand von Huldigungen
der Gesellschaft. Und Sie im Reich — haben Sie
nichts dergleichen an die Seite zu stellen?
Frau Wahnschaffe: Na, ich sollte eigentlich,
was Wahnschaffe schafft, nicht anpreisen — Sie wissen
ja, Eigenlob — aber ich kann nicht umhin, Ihnei
den neuen Kriegsspielkreisel wärmstens zu empfehlen.
Dieses neue Spiel darf in keinem deutschen Hause
fehlen und gewährt in jeder Familie, jeder Gesellschaft,
bei jeder Gelegenheit eine spannende Unterhaltung für
Jung und Alt. Zunächst wird von jedem Teilnehmer
ein Einsatz in die Kasse gemacht. Sodann wird der
Kreisel von jedem Teilnehmer der Reihe nach mit den
Fingern in kreisende Bewegung versetzt. Die Buch-
staben und Zahlen haben nachstehende Bedeutung:
R. g.O: Rußland — gewinnt nichts. E.v. Vi: England —
verliert den ganzen Einsatz. F. v. V2 : Frankreich —
verliert den halben Einsatz. T. g. V3 : Türkei —
gewinnt ein Drittel von der Kasse. Ö. g. V2 : Öster-
reich — gewinnt die Hälfte von der Kasse. D. g. a. :
Deutschland über alles — gewinnt die ganze Kasse.
Frau Pogätschnigg: Bravo! Wenn aber
Österreich die Hälfte der Kasse gewonnen hat, wie
kann dann Deutschland über alles verfügen? Nimmt
denn Deutschland auch —
458
Frau Wahnschaffe: Nanu ihr oberfaulen
Östreicher, das paßt euch wieder mal nicht — das
ist also der Dank, daß wir euch so oft aus dem
Dreck rausgezogen haben ! Die letzte Offensive
ist euch wieder rnal glücklich vorbeigelungen!
Frau Pogatschnigg (drückt ihr die Hand): Sie
haben mich überzeugt. Österreich gewinnt zwar nur
die Hälfte von der Kasse, aber — ich bin eine
deutsche Hausfraul (Sie gehen Schulter an Schulter,
»Deutschland, Deutschland über alles« singend, ab.)
(Verwandlung.)
23. Szene
Drei deutsche Modedamen bei Betrachtung eines deutschen
iModejournals.
Erste deutsche Modedame: Sieh mal,
4393, Kostüm »Glockenelfe« aus hellila Seidenstoff.
Bauschender, in Zacken geschnittener Rock; eine
Glocke als Kopfputz — das ist mein Fall für den
Karneval !
Zweite deutsche Modedame: Nicht doch,
4389, Kostüm »Mörsergeschütz« aus glattem Satin,
mit Mörserapplikationen; ein großes Mörsermotiv
als Kopfputz — das ist mein Fall. Und wir sind
doch mitten im Karneval!
Dritte deutsche Modedame: Man tut ein
Übriges. Man bringt ein Opfer. Man ,;iacht aus
einem Glockenkostüm ein Mörserkostüm.
(Verwandlung.)
24. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Patriot: Was sagen Sie zur Übertreibung,
mit der in den feindlichen Ländern die versuchte
Meuterei von drei, sage drei deutschen Matrosen
beurteilt worden ist?
459
Der Abonnent: Da gibt es nur eine Antwort:
Eine große Meuterei in der englisciien Flotte.
Der Patriot: Wo, wieso?
Der Abonnent: In Spithead in the Nore.
Der Patriot: Was Sie nicht sagen — da
war eine Meuterei ?
Der Abonnent: Und was für eine! Meuterei
is gar kein Ausdruck! Die Meuterei ergriff fast die
ganze Flotte des Admirals Duncan. Die Meuterer
blockierten die Themse mit sechsundzwanzig Kriegs-
schiffen.
Der Patriot: Hören Sie auf, wo steht das,
was war das für eine Meuterei?
Der Abonnent: Die Meuterei schien das
Vorspiel einer Revolution zu sein.
Der Patriot: Was Sie nicht sagen! Was für
eine Revolution, was für eine Meuterei?!
Der Abonnent: Was für eine Meuterei? Die
Meuterei, an die der geehrte Einsender erinnert!
Der Patriot: Ja richtig — aber wann war das?
Der Abonnent: In den letzten Jahren.
Der Patriot: Davon hat man doch gar nie
etwas gehört? Jetzt kommt das heraus? Sagen Sie
bittsie wann war das?
Der Abonnent: 1797.
Der Patriot: No — das is doch aber nicht
in den letzten Jahren!?
Der Abonnent: Bitte, des achtzehnten Jahr-
hunderts!
Der Patriot: No — aber was ham wir
davon?
Der Abonnent: No — es redt sich herum!
Der Patriot: No ja, wenn es noch dazu wahr
is! Wissen Sie, wenn es auf die Stimmungen der
Entente wirkt, möcht ich mich freun, besonders
wenn zum Beispiel in Frankreich —
460
Der Abonnent: No was wolln Sie haben —
in Frankreicli is die französische Revolution au«^-
gebrochen!
Der Patriot: Hören Sie auf — wo steht das?!
(Verwandlung.)
25. Szene
Mittagtisch bei Hindenburg und Ludendorff.
Hindenburg (drückt Paul Goldmann die Hand):
Ah, da sind Sie ja.
Paul Goldmann (beiseite): Eine Löwenpranke.
Er begrüßt mich mit der herzgewinnenden Güte, die
ihm eigen ist.
Ludendorff (drückt Paul Goldmann die Hand):
Ah, da sind Sie ja.
Paul Goldmann (beiseite): Sein Aussehen ist
unverändert das gleiche wie vor einem, vor zwei,
vor drei Jahren, nur daß sein Charakterkopf noch
durchgeistigter geworden ist.
Hindenburg und Ludendorff (beiseite): Er
hat sich nicht verändert.
|Sie nehmen Platz, Goldmann sitzt zwischen ihnen. Sie sprechen
von rechts und links abwechselnd auf ihn ein.)
Hindenburg (seufzend): Jetztheißtesdurchhalten.
Ludendorff (seufzend): Es ist schwer, aber
es muß gelingen.
Hindenburg: Es steht alles gut.
Ludendorff: Die Lage berechtigt zur größten
Zuversicht.
Hindenburg: Überwintern müssen wir freilich,
Ludendorff: Den Termin des Friedens
bestimmen können wir natürlich nicht.
^Goldmann nickt nach beiden Seiten und macht sich Notizen.)
Paul Goldmann (zu sich): Über das Wann
des Friedens bestimmte Angaben zu machen ist
natürlich unmöglich. Aber vielleicht über das Wie — ?
461
ich werde jetzt eine Frage stellen, die wohl jedem
daheim am Herzen liegen mag. (Laut.) Durch welche
Mittel wird der Friede am sichersten herbeigeftihrt?
Hindenburg: Der Friede wird umso eher
herbeigeführt werden
Ludendorff: je günstiger unsere Kriegslage
wird. Noch steht die Tat
Hindenburg: über dem Wort.
Ludendorff: De ;halb sollten wir jetzt nicht
Hindenburg: vom Frieden sprechen. Den
Anfang
ludendorff: scheinen die Russen machen
zu wollen.
(Es tritt eine Pause ein, während welcher sich Qoldmann
Notizen macht.)
Paul Goldmann (zu sich): Was im Anschluß
hieran über den Frieden gesprochen wurde, entzieht
sich in seinen Einzelheiten der Veröffentlichung.
Nur so viel darf vielleicht mitgeteilt werden, daß
Hindenburg und Ludendorff einen Frieden wünschen,
der möglichst sichere und stabile Verhältnisse schafft,
einen solchen Frieden, der uns gesicherte Grenz-
verhältnisse und eine freie wirtschaftliche Betätigung
in der Welt und auf dem Weltmeer bringt.
Ludendorff: Fahren Sie fort!
Paul Goldmann: Gestatten Sie noch —
Ludendorff: Ach so — Hindenburg, fahren
wir fort!
Hindenburg und Ludendorff: Ich bin
der Meinung, daß die Ansichten über den Frieden
nicht unveränderlich sein können, da sie von der
Kriegslage abhängen.
Hindenburg: Auch über die Lage an der
Westfront kann ich mich
Ludendorff: mitvollerBeruhigung aussprechen.
462
Paul Goldmann: V/as ist von dem Obersien
Kriegsrat zu erwarten, den die Entente jetzt einzu-
setzen im Begriffe ist? (Zu sich) Hindenburg lacht. (Er
notiert dies und legt dann den Finger auf die elsaß-lothringische
Frage.)
Ludendorff: Für die Franzosen mag es eine
elsaß-lothringische Frage geben
Hindenburg: für Deutschland gibt es keine.
Paul Goldmann: No und was ist mit Amerika?
Hindenburg: Die Reklame
Ludendorff: mit der Amerika seine Kriegs-
leistungen ankündigt
Hindenburg: ist imposant und des Landes
würdig, das einen Barnum
Ludendorff: hervorgebracht hat. Nun wollen
wir erst einmal abwarten
Hindenburg: ob die Leistungen selbst ebenso
imposant sein werden.
Ludendorff: Na und wenn schon — erstens
haben die Amerikaner ihr Heer gegen Japan auf-
gestellt —
Hindenburg: zweitens leiden sie an Tonnage-
mangel —
Ludendorff: drittens haben wir die U-Boote.
Hindenburg und Ludendorff: Kurzum, das
große amerikanische Heer steht noch in nebelhafter
Ferne.
PaulGoldmannrIch habe eine Frage auf dem
Herzen, die an das Problem des U-Bootkrieges streift.
Ludendorff: Na, Hindenburg, wolln Se mal
alleene antworten?
Hindenburg: Nee.
Ludendorff: Wir haben nie daran gedacht,
daß unsere U-Boote England in ein paar Monaten
aushungern würden. Unser Ziel war nicht, England
auszuhungern, sondern es zum Frieden geneigter
zu machen.
463
Paul Goldmann: Na schön, unterhalten wir
uns jetzt mal von den Operationen in Italien,
Hindenburg: Im Wetteifer mit unseren
Deutschen haben sich die österreichisch-ungarischen
Soldaten tapfer
Ludendorff: geschlagen.
Paul Goldmann: Von allen Kriegsschau-
plätzen war schon die Rede, ich vermisse jetzt nur
noch den Balkan.
Hindenburg (ihn beruhigend): Die Lage dort ist
Ludendorff: unverändert.
Paul Goldmann (zu sich): Ich bin beruhigt.
Das Mittagessen war von militärischer Einfachheit,
wenngleich der Kaffee aus echten Bohnen.
(Hindenburg und Ludendorff erheben sich. Paul Goldmann
bleibt sitzen.)
Hindenburg (sich von dem Gaste verabschiedend,
halb zu Ludendorff gewendet): Wenn wir noch eine
Zeitlang Kraft und Geduld haben, bringen wir's zum
guten Ende. (Sich zu Goldmann wendend) Das Sagen Sie
in Österreich-Ungarn mit einem schönen Gruß von mir!
(Goldmann ist aufgestanden und wartet zögernd.)
Ludendorff (auf ihn zutretend, jedes Wort betonend):
Sie sind heute vielleicht zum letztenmal bei uns
gewesen.
Paul Goldmann (beiseite): Die Abschiedsworte
des Generalquartiermeisters spielen darauf an, daß
ich bisher in jedem Kriegsherbst einmal an der Tafel
des Feldmarschalls habe sitzen dürfen.
(Verwandlung.)
26. Szene
Semmering. Auf dem Hochweg.
Der kaiserliche Rat: — Also was soll ich
Ihnen sagen die zehn Waggon sind mir nur so in die
Hand geflogen. In Marienbad also was soll ich Ihnen
464
sagen man kriegt alles, nur natürlich fufzn Mal so
teuer aber was schadt das? Gediegen — auf der
Südbahn, wie ich hinkomm, alles gesteckt voll, lauter
Soldaten und so, ein Geschrai und ein Gedränge,
Menschen sag ich Ihnen so etwas war noch nicht
da — no was heißt das, i c h wer nicht Platz kriegen,
also was soll ich Ihnen sagen bin ich einfach mitten
durchgegangen und von vorn herein und von hinten
herum, hat der Verkehrsbeamte gesagt ich soll mich
verlassen, er versorgt mich, hab ich das Gepäck einem
Soldaten gegeben, also was soll ich Ihnen sagen ein
Coup^ ganz allein bis herauf am Semmering, die Leute
sind am Korridor gestanden wie die Häringe — phü
die Hitze — (zieht eine Düte hervor) Billig — ! vom Zuckerl-
könig! das Stück zwei Kronen, ein Preis wo jeder
staunen muß. Was sagen Sie zum heutigen Bericht?
Der alte Biach: Das kann nicht ohne Rück-
schlag auf die Stimmungen der Entente bleiben.
Der kaiserliche Rat: Ich weiß nicht — ich
kann mir nicht helfen — der heutige Bericht —
also was sagen Sie zu Luzk?
Der alte Biach: Zunehmendes Schwäche-
gefühl in der Entente.
Der kaiserliche Rat: Wieso?
Der alte Biach: Die Entente verbirgt sich
noch hinter großen Worten, aber sie fühlt bereits
ihre Schwäche.
Der kaiserliche Rat: No und Luzk?
Der alte Biach: Der Friede sichert ein
Frühstück ohne Rußland.
Der kaiserliche Rat: Erklären Sie —
Der alte Biach: In Milliarden ausrechnen
können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden,
die sich nicht zahlen lassen.
Der kaiserliche Rat: Allesgeht, wenn man will.
Der alte Biach: Hundert Milliarden Mark im
Jahr sind ein Ungetüm von Leviathan, an dem nichts
klein ist.
465
Der kaiserliche Rat: Wo nehmen Sie die
Milliarden her? Heutzutag !
Der alte Biach: Die Zeiten sind hart.
Der kaiserliche Rat: No also was folgt
daraus?
DeralteBiach: Kerenski hat gesagt, Rußland
ist erschöpft.
Der kaiserliche Rat: So. Aber Luzk — ?
Der alte Biach: Die Schlacht am oberen
Isonzo hat erst heute früh begonnen und wir möchten
ihrem Verlauf nicht vorgreifen.
Der kaiserliche Rat: Ich mein aber Luzk — I
Der alte Biach: Wir wollen nicht in Zukunfts-
träumen schwelgen, doch ein solcher Beweis wäre
des Einsatzes wert.
Der kaiserliche Rat: Luzk — !
Der alte Biach: Wir spüren aus den Worten
des Kriegspressequartiers den Anhauch des Geschicht-
lichen. Nun werden sie schreien nach der amerika-
nischen Unterstützung, nach diesem Irrlicht der
Entente, dem sie nacheilt und das sie immer tiefer
hineinführt in den Sumpf, in Niederlage und Ver-
derbnis.
Der kaiserliche Rat: Selbstredend, aber —
Der alte Biach: Aber schon jetzt empfinden
wir den Geist des Sieges —
Der kaiserliche Rat: Nu na nicht. Das
heißt — unten! Aber oben??
Der alte Biach (ausbrechend): Das erste muß
jetzt sein, daß der Reisende die Fühlhörner aus-
streckt und die Kundschaft abtastet.
Der kaiserliche Rat: Das leuchtet mir ein,
aber —
Der alte Biach: Wenn wir die Bilanz ziehen,
so ergibt sich noch immer zu unseren Gunsten ein
Plus von zirka 40.000 Mann.
Der kaiserliche Rat: Unten! Aber oben—??
Die letzten Tage der Menschheit. 30
466
DeralteBiach: Man vernimmt den Kanonen-
donner und weiß, wie viele von den Toten, Ver-
wundeten und Gefangenen auf die Lastenseite zu
verrechnen sind.
Der kaiserliche Rat: Also nehmen Sie
schon an —
Der alte Biach: London und Paris dürften
heute recht verdrossen sein. Konsols sind auf dem
Tiefstand.
Der kaiserliche Rat: No ja, der Krieg —
Der alte Biach: Der Krieg schlägt die Völker
dreifach: Schlechtes Geld, Mangel und Höchstpreise.
Der kaiserliche Rat: In dem Punkt —
wer sich —
Der alte Biach: Wer sich in die Italiener
hineindenkt —
Der kaiserliche Rat: No und?
Der alte Biach: Schrecken dürfte sich bereits
unter den Bewohnern ausbreiten.
Der kaiserliche Rat: Ich fürchte stark.
Der alte Biach: Ohne die Möglichkeiten
schon jetzt, ehe das Werk vollendet ist, in den
Einzelheiten und in den Details zu erörtern —
Der kaiserliche Rat: Was halten Sie von
den Konferenzen in Rom?
Der alte Biach: Kühle Aufnahme in Paris.
Der kaiserliche Rat: Erinnern Siesich noch —
damals — bei der Affaire mit der Lusitania —
Der alte Biach (unwillig den Kopf hin und her
bewegend): Übertreibung der ganzen Angelegenheit.
Der kaiserliche Rat: Wissen Sie, was uns
gesund war? Wie damals wo es geheißen hat —
Gott das waren doch Zeiten — Umfassung der
russischen Truppen durch die deutsche Armee —
Der alte Biach (rabiat): — und Hereinwerfen
in die masurischen Sümpfe.
Der kaiserliche Rat: No und Rumänien?
467
Der alte Riach: Geputzte Frauen saßen an
den Tischen in öen hellerleuchteten Sälen der
Bukarester Hotels. Wir können uns vorstellen —
Der kaiserliche Rat: No und was war da?
Der alte Biach: Die bemalten Weiber in
Bukarest erbleichen.
Der kaiserliciic Rat: Das sind Schmonzes.
Der alte Biach: Schrecken breitet sich aus
über die Stadt. Die Fenster haben gezittert —
Der kaiserliche Rat: Nu na nicht. Aber
was ham wir zu erwarten?
Der alte Biach: Beginn einer großen Zeit.
Die Blicke der Völker nach dem Westen gerichtet.
Der kaiserliche Rat: Wenn Sie das sagen,
glaubt man e Titel von ihm zu hören mit Untertitel
im Abendblatt. Aber —
Der alte Biach: Die Frauen von Paris horchen
nach dem Osten.
Der kaiserliche Rat: Wieso?
Der alte Biach: Frauen mit verweinten Augen
sind in den Straßen von Paris zu sehen.
Der kaiserliche Rat: Bittsie, wir ham auch
nix zu lachen.
Der alte Biach (mit Elan): Hymnen tönen im
Herzen. Der Philosoph Fichte war zum Landsturm
eingerlickt.
Der kaiserliche Rat: Wie kommen Sie
dadarauf?
Der alte Biach (fabulierend): Er machte seine
Übungen gemeinsam mit Buttmann, Rühs und dem
Theologen Schleiermacher. Buttmann und Rühs
konnten nicht erlernen, rechts und links zu unter-
scheiden. Diese Zeit, die so viel Ähnlichkeit mit
unserer hat, reizt die Neugierde, und vielleicht kann
die Vergangenheit auf die Frage antworten: Wie ist
der Verlauf von wirtschaftlichen Krisen, die von
einem Kriege hervorgerufen werden? Der Vergleich
30*
468
führt zu auffallenden Übereinstimmungen bis in die
Einzelheiten. Erleben wir jetzt nicht das Schöpfungs-
wunder in der Stickstoffindustrie?
Der kaiserliche Rat: Ich versteh. Aber
wissen Sie, was wir braucheten?
Der alte Biach (stürmisch): Starke Männer,
die alles von sich werfen und sich den Trieben der
Gegenwart hingeben wie die Braut dem Bräutigam.
Der kaiserliche Rat: Je nachdem.
Der alte Biach: Der Krieg hat besondere
Absatzstockungen und der Friede auch, und so
schwingen die Einflüsse fort und der Wechsel
braucht eine Leitung des Staates, die in das Volk
hineinhorcht und aus ihm heraushört und in den
zittrigen Augenblicken dieser Veränderung in den
Bedürfnissen und in der Erzeugung auf der Höhe
ihrer Pflicht ist. Das Jahr der Erfüllung kommt.
Der kaiserliche Rat: Ob Sie da nicht bißl
übertreiben — ?
Der alte Biach (frohlockend): Herrlich ist alles
geworden, frei ist das Land, zurückgeworfen sind die
Feinde, ausgemerzt die serbischen Truppen, zerstört
die russischen Festungen.
Der kaiserliche Rat: No — no! Und Luzk?!
Der alte Biach (betroppezt, doch gefaßt): Trauer-
fahnen müssen herausgehängt werden. Aber wozu
solche Äußerlichkeiten?
Der kaiserliche Rat: Jetzt sprechen Sie
wieder, wie wenn ma scho ganz —
Der alte Biach (aufatmend): Rußland gebeugt,
Serbien zertreten, Italien beschämt! Die Menschheit ist
für Jahrzehnte entlastet, das Bohren in den Nerven
wird nicht mehr empfunden werden, und das muß
ein Wohlgefühl verbreiten und die Einleitung zu
Abschnitten sein, in denen das Staunen über die
wirtschaftliche Entfaltung uns wieder gefangennimmt.
Der kaiserliche Rat: Apropos gefangen-
nimmt. Bei Luzk —
469
Der alte Biach: Der Geschichtsforscher wird
nach Mitteilungen über die Aufnahme der Nachrichten
von dem Siege in Ostgalizien suchen, ob nicht
Freudenfeuer auf den Spitzen der Berge angezündet,
brennende Kerzen in die Fenster der Häuser gestellt
wurden —
Der kaiserliche Rat: Gestatten Sie eine
Laienfrage. Wo nehmen Sie die Kerzen her?
Der alte Biach: — ob nicht berauschende
Musik die Stimmungen ausgedrückt habe —
Der kaiserliche Rat: Das sind Schmonzes
über Tarnopol. Bleiben wir bei Tachles über Luzk!
Der alte Biach (nachdenklich): Der verstorbene
Generalsekretär der Österreichisch-ungarischen Bank,
Wilhelm v. Lucam, ist nahezu vergessen.
Der kaiserliche Rat: Traurig.
Der alte Biach: Der jetzige Gouverneur,
Herr v. Popovics, hat eine Vergangenheit, die zu
einer Zukunft berechtigt.
Der kaiserliche Rat: Schön. Aber warum
sagen Sie das?
Der alte Biach: Wir stellen uns den Offizier
und den Soldaten vor, der von Cattaro über Geröll
und Felsblöcken, in den höheren Lagen über Eis
und Schnee, beständig von den Geschossen des
Feindes bedroht, auf den Lovcen gestiegen ist. Er
muß ein anderer geworden sein.
Der kaiserliche Rat: Ich glaub auch. Aber
mir imponiert nur Ihre lebhafte Phantasie —
Der alte Biach: Die Einbildungskraft
schwelgt in der Vorstellung —
Der kaiserliche Rat: Moment. Sie springenauf
die Österreichisch-ungarische Bank und von da auf den
Lovcen. Mich intressieret aber Ihre Ansicht über Luzk —
Der alte B i a c h (scheu) : Wir möchten in den
Erinnerungen nicht zurückgreifen auf Tyrtäus.
Der kaiserliche Rat: Warum nicht, tun Sie
sich keinen Zwang an.
470
Der alte Biach (stichelnd): Clemenceau wird
verwundert sein.
Der kaiserliciie Rat: Das gönn ich ihm!
Der alte Biach (tändelnd): Der russische Dichter
Puschkin heiratete ein junges Mädchen aus einer
vornehmen Familie. Natalie Goncharow war gefall-
süchtig und der Dichter eifersüchtig. Der Sohn des
niederländischen Gesandten in Petersburg, Baron
George Heckeren, reizte durch seine Werbungen um
die Gunst der schönen Frau den Verdacht des
Mannes —
Der kaiserliche Rat: Ich erinner mich.
Puschkin is nebbich im Zweikampf gelötet worn.
Aber worauf wolln Sie hinaus?
Der alte Biach (sinnierend): Die Nachwelt hat
ihn nicht vergessen, und bei der Enthüllung seines
Denkmals wurde Dostojewski eingeladen, die Gedenk-
rede zu halten. Er sagte, der innerste Gedanke der
russischen Volksseele ist: Dulde! Der Bericht der
deutschen Obersten Heeresleitung erzählt, daß die
Verluste des Feindes bei Postawy —
Der kaiserliche Rat: No ja, aber bei Luzk
schätz ich —
Der alte Biach: Die Spaziergänger auf den
Straßen streifen sich gegenseitig mit den Blicken
und wollen in den Augen die Gedanken über
Durazzo, Verdun und die Champagne lesen.
Der kaiserliche Rat: No und über Stanislau
doch auch! Was sagen Sie zu Stanislau?
Der alte Biach (mit Überzeugung): Stanislau ist
ein Rufzeichen, das den Übermut des Generals Brussilo w
dämpfen und ihn erinnern muß, wie vergänglich an
dieser Stelle russische Eroberungen gewesen sind.
Der kaiserliche Rat: Und was sagen Sie zu
Brody?
Der alte Biach (kleinlaut): Brody ist ein Schmerz.
Der kaiserliche Rat: No und Görz?
Der alte Biach (obenhin): Görz ist ein Hautritz.
471
Der kaiserliche Rat: Glauben Sie mir, es
kommt immer anders wie man sich vorstellt.
Der alte Biach: Die Linien und die Flächen
sind in der Wirklichkeit vom Körper nicht zu trennen,
und dennoch arbeitet das Denkvermögen mit ihnen
und baut Sätze auf mit unbedingter Wahrheit, obgleich
die Breite und Tiefe vernachlässigt werden. Die
Schlachten an der Somme sind eine der schlimmsten
Enttäuschungen.
Der kaiserliche Rat: Aber schließlich —
die Leute müssen doch wissen, was sie wollen!?
Der alte Biach: Vielleicht wird sich die
Erkenntnis verstärken, daß es auch im Völkerdasein
nichts ganz Gradliniges gibt und daß tiberall die
Kreuzungsflächen sich schneiden.
Der kaiserliche Rat: Moment. Die
Diplomaten der Entente —
Der alte Biach (lebhaft): Die Diplomaten der
Entente sind wie die Söhne des Noah, welche die
Blöße ihres trunkenen Vaters zugedeckt haben.
Der kaiserliche Rat: Gelungen. Aber seit
Rumänien —
Der alte Biach (übersprudelnd): Als die Kriegs-
erklärung in Bukarest beschlossen worden ist, haben
sich die Führer der Entente benommen, als hätten
sie Dämpfe von indischem Hanf eingeatmet.
Der kaiserliche Rat: Meschugge. Aber was
wolln Sie heut von Bratianu?
Der alte Biach: Bratianu wird jetzt böse
Nächte haben.
Der kaiserliche Rat: Wieso glauben Sie?
Der alte Biach: Wenn eine Schraube auf
die Offensive gestellt ist und zur Defensive umgedreht
werden soll, kann sie leicht brechen.
Der kaiserliche Rat: Glaub ich auch. No
aber in Wien wird sich doch heut etwas tun — I
472
Der alteBiach: In den Straßen von Bukarest
werden jetzt manche herumgehen mit dem Zweifel
im Herzen.
Der kaiserliche Rat: Erlauben Sie, wir
können —
Der alte Biach: Wir können uns die Wirkung
auf das rumänische Volk vorstellen.
Der kaiserliche Rat: No aber das is doch
schon alles vorbei ~ jetzt hat ma doch wieder andere
Sorgen — !
Der alte Biach (gedeftet): Die Sorge beginnt
wieder.
Der ka iser liehe Rat: Sie, jetzt hören Sieschon— !
Der alte Biach: Jetzt hören sie schon
den Kanonendonner von Tutrakan und oilistria in den
Straßen von Bukarest.
Der kaiserliche Rat: Das is doch aber eine
erledigte Sache — !
Der alte Biach: So endet der erste Abschnitt
eines Krieges, für dessen Ausgelassenheit in den
Beweggründen und in den Formen jedes Maß fehlt.
Der kaiserliche Rat: Ich wer Ihnen sagen,
v/as Sie sich vorstellen, das —
Der alte Biach (bestimmt): Das kann in England
nicht ohne Eindruck bleiben.
Der kaiserliche Rat: Sagt Er 1 Heut hat ma
doch wirklich andere Sorgen wie Tutrakan!? Der
bulgarische Sieg hat damals Aufsehn gemacht —
Der alte Biach (vibrant) : — weil er mit solcher
Frische aus dem Handgelenk gekommen ist.
DerkaiserlicheRat: Was heut intressiert —
is Luzk!
Der alte Biach (schäkernd): Beim Melkender
Kuh denkt Vroni, ob es nicht schön wäre —
Der kaiserliche Rat: Lassen Sie mich aus!
473
Der alte Biach (versunken): Alix von Hessen
ist der Mädchenname der Kaiserin Maria Feodorowna.
Sie war noch in der Baumschule des Lebens und
bereits in der Rinde gekerbt.
Der kaiserliche Rat: Biach, was is Ihnen?
Der alte Biach (wehmütig): Was ist aus Alix,
die auch nicht beten darf, wie die verstorbene
Mutter sie es gelehrt hatte, geworden, nachdem sie
hinausgestoßen wurde in die düstere Verlassenheit
an der Seite eines Zarenthrones.
Der kaiserliche Rat: Meine Sorg! Was
intressieren Sie sich?
Der alte Biach: Der Anlaß zu dieser Frage
ist die eigentümliche Meldung, daß die Kaiserin bis
in die vordersten Linien der russischen Front, wo
die deutschen Stellungen bereits in Sicht waren,
gegangen sei.
Der kaiserliche Rat: No und?
Der alte Biach (sinnend): Vielleicht sind auch
jüngere und ältere Männer aus Hessen in den Schützen-
gräben gewesen, die Maria Feodorowna bei dem
Besuche auf dem Schlachtfelde gesehen hat; vielleicht
hat ein Zufall es gefügt, daß es Freunde aus der Jugend-
zeit waren, Söhne oder Gatten ihrer Gespielinnen,
Nachbarskinder —
Der kaiserliche Rat: Vielleicht. Das müßte
aber schon e besonderer Zufall sein!
DeralteBiach: — und jedenfalls Landsleute
und Deutsche.
Der kaiserliche Rat: Also Deutsche jedenfalls.
Aber ausgerechnet Söhne und Gatten ihrer Ge-
spielinnen? Also so müssen Sie sich das nicht vor-
stellen, daß sich die grad vorn in die Schützengräben
hereinlegen wern — und Nachbarskinder hat sie wahr-
scheinlich überhaupt keine gehabt und wenn ja und
wenn sie zufällig wirklich vorn waren in die Schützen-
gräben, sagen Sic mir bittsie wie soll sie sie erkennen
474
nach so viele Jahr und auf die Entfernung?! Aber —
warum lassen Sie sich das so nah gehn?
Der alte Biach (elegisch): Alix stand am
Rande des russischen Drahtverhaues und schaute
hinüber nach Wiesen und Feldern, die nur wenige
Meter von ihr entfernt gewesen sind —
Der kaiserliche Rat: Ausgerechnet! So nah
wird ma sie gehn lassen! Und wo sind da Wiesen
und Felder, wie stellen Sie sich das vor?! Wo —
Der alte Biach (träumerisch): — wo eiti Windstoß
manchen Laut zu ihr hinübertragen könnte, der ihr
trotz aller Wandlungen vertraut bleiben mußte.
Der kaiserliche Rat: Biach, Sie sind etwas
ein Phantast!
Der alte Biach (beharrend;: Alix lebt noch in
der Kaiserin Maria Feodorowna.
Der kaiserliche Rat: Sagen Sie bittsie Sie
sind doch ein vernünftiger Mensch — was geht Sie
Alix an?!
Der alte Biach (teilnehmend) : Sie ist eine
unglückliche, gebrochene Frau, beständig von einem
Kummer gequält, der sich in ihren Kopf hineinbohrt.
Der kaiserliche Rat: Sagen Sie mir nur
um Gottesv/illen — was geht das Sie an?!
Der alte Biach: Mit gerungenen Händen
hat sie zum Himmel aufgeschrien.
Der kaiserliche Rat: Wieso, was is ihr
passiert?
Der alte Biach (schmerzlich, doch mit verhaltener
Gewure): Den Namen konnten die Russen ihr ausziehen,
als wäre er nur ein Kleid. Ein Gebetbuch konnten sie
ihr aufzwingen, aber das deutsche Gemiet war nicht
aus ihr herauezureißen. Eine Spur von Alix muß
noch vorhanden sein.
Der kaiserliche Rat:No nehmen Sie schon
an! Aber woher wissen Sie, was in Alix vorgeht?
475
Der alte Biach (verloren): Und schaute hinüber
zu den Deutschen, wo auch kostbares Blut iließt,
und dachte vielleicht an ihre Großmutter.
Der kaiserliche Rat: Vielleicht. Warum sagt
sie aber dann nicht, sie solln aufhören mit dem Krieg?
Der alte Biach (bitter): Weil die Kaiserin
Maria Feodorowna der Alix nicht zu viel nachgeben
darf. Sie schaute hinüber und auf ihren verschlossenen
Lippen mochte das Wort vom Frieden schweben.
Der kaiserliche Rat: Aber glauben Sie
wirklich, daß man sie direkt in der Schlacht hinein-
geführt haben wird? Vielleicht —
Der alte Biach (versonnen): Vielleicht haben sie
den Ausschnitt eines Salonkrieges für sie hergerichtet.
Das langsame Abklingen der Krise mag in Petersburg
nach dem Aufschäumen des Erfolges noch nicht
erkannt werden. Der Zar hört auf sie, und Alix, die
weggetauft wurde, ist ihm mehr als Maria Feodorowna.
Der kaiserliche Rat: Warum hat sie sich
wegtaufen lassen? No also schön, wenn Sie das
glücklich macht, stelln Se sach vor.
Der alte Biach (entschlossen): Stellen wir uns
das Hauptquartier des Zaren vor, wenn die Nach-
richten kommen.
Der kaiserliche Rat: No was ham Sie schon
davon?! Aber wegen Alix will ich Sie aufmerksam
machen — sie heißt gar nicht Maria Feodorowna 1
Der alte Biach (pikiert): Das sind Sticheleien.
Der kaiserliche Rat: So wahr ich da leb, sie
heißt, v.äe heißt sie nur, sie heißt Alexandra Feodorowna!
Der alte Biach (mißmutig): E Druckfehler.
DerkaiserlicheRat: Apropos, was sagen Sie
zu Nikolajewitsch? Dem is auch schon mies.
Der alte Biach (schadenfroh): Da kommen die
Stiche in der Leber und es melden sich die
Erscheinungen einer verderbten Galle.
Der kaiserliche Rat: Das sind auch Sticheleien.
Aber was nutzt das alles — Brussilow is gesund!
476
Der alte Biach (verklärt): Die Einnahme von
Bukarest bringt uns einen jener seltenen Augenblicke,
in denen der Mensch glaubt, die Schwingen des
Talents über sich rauschen zu hören.
Der kaiserliche Rat: Was heißt Talent, das
war schon genial! No aber — Brussilow is e Hund?
Was möchten wir heute drum geben — I Also wenn
die Nachricht —
DeralteBiach (ekstatisch) : Wenn die Nachricht
kommt, daß die Siege in Rumänien die verbündeten
Truppen bis in die Palästestraßen von Bukarest
geführt haben, so beugen wir uns in Ehrfurcht vor
dem menschlichen Geiste.
Der kaiserliche Rat: Ja, die ham damals
gut abgewirtschaftet, der rumänische König und sie!
Der alte Biach (phantasierend): Wer spricht
von den Verschollenen und vielleicht ist ihre einzige
Spur ein Parfüm, der noch an der Wandverkleidung
der Zimmer haftet, irgend ein verstreutes Merkmal
des einstigen Luxus und des Übermutes.
Der kaiserliche Rat: Meine Sorg. Der Sieg —
Der alte Biach (entschieden): Der Sieg hat ein
Bedürfnis befriedigt.
Der kaiserliche Rat: Lassen Sie's gut sein,
was möchten wir heute —
Der alte Biach (bedächtig): Wir möchten heute
zu den mächtigen Herren vom Rat der Vier sprechen.
Der kaiserliche Rat: Von Ihnen wern sie
sich zureden lassen! Was Sie sich einbilden!
Der alte Biach (einschmeichelnd): Wir möchten
nicht —
Der kaiserliche Rat: Ob Sie möchten oder
nicht möchten, liegt dem Rat der Vier stagelgrün auf.
Der alte Biach (eifernd): Weil sie die Ein-
bildungen und die Stimmungen nicht geschont und
mit solchen Reizungen die Luft zum Atmen vergiftet
haben. Die Begehrlichkeit ist jedoch auch in den
Berechnungen —
477
Der kaiserliche Rat: No passen Sie auf, sie
kommen noch bis Konstantinopel.
Der alte Biach (leidenschaftlich): Die Hagia
Sophia ist die Fata Morgana für die russische
Vergrößerungspolitik. Das Versprechen der Beihilfe
zur Verwirklichung dieses Spiegelbildes ist der
Nasenring, an dem die englische Politik den
russischen Bären führte und noch führt.
Der kaiserliche Rat: Sie mir scheint
Sie ham etwas einen Pick auf England.
Der alte Biach (kategorisch): England ist nicht
bedroht. Teil sagt, jeder geht an sein Geschäft
und meines ist der Mord.
Der kaiserliche Rat: Ihres?
Der alte Biach: Seines!
Der kaiserliche Rat: Seines?
Der alte Biach: Teils!
Der kaiserliche Rat: Wieso Teils?
Der alte Biach: Englands!
Der kaiserliche Rat: Is denn England
Teil? England is doch konträr Geßler und Deutsch-
land is Teil! Teil sagt, ich lebte still und harmlos.
Der alte Biach: Sie?
Der kaiserliche Rat: Er!
Der alte Biach: Er?
Der kaiserliche Rat: Teil!
Der alte Biach: Wieso Teil?
Der kaiserliche Rat: No Deutschland! Man
hat ihm doch hörich in ein Drachengift verwandelt
die Milch!
Der alte Biach (bitter): Das ist Verderbtheit.
Der kaiserliche Rat: Da ham Sie recht.
Deralte Biach (dumpf): Wir können uns
vorstellen, wie er dort sitzt auf der Regierungsbank,
im Palaste des Monte Citorio, ein düsterer, schweig-
samer Mensch.
Der kaiserliche Rat: Wer? Gar ka Spur!
478
Der alte Biach: Spuren von Gedrücktheit
werden erkennbar. DieNeutralen werden nachdenklich.
Der kaiserliche Rat: Also gut. Aber vielleicht —
Der alte Biach: Vielleicht geht jetzt schon
ein Flüstern durch die englische Gesellschaft, daß
der Krieg sich nicht mehr bezahlt macht. Die Politik
der Einkreisung ist zahlungsunfähig.
Der kaiserliche Rat: Davon bin ich über-
zeugt. Aber Lloyd George —
Der alte Biach: Lloyd George hat jedoch
die Politik —
Der kaiserliche Rat: Geben Sie ihrn Elzes.
Was sagen Sie zu Rußland?
Der alte Biach (schwer): Im Flügel ist Blei.
DerkaiserlicheRat: Was kauf ich mr dafür.
Der alteBiach(mehrzu sich): Schreckliche Zeiten!
Der kaiserliche Rat: Wem sagen Sie das?
Der alte Biach: Man kann sich vorstellen,
wie die Bomben herunterdonnern.
Der kaiserliche Rat: Schön. Aber was
hani wir davon?
Der alte Biach (zufrieden): Verdrossenheit in
der Entente.
Der kaiserliche Rat: Sie spielen darauf an,
daß Lloyd George broiges wird mit Clemenceau.
Wenn das Deutschland gelingt — schön. Aber —
Der alteBiach (nicht ohne Tarn) : Lloyd George
können wir uns vorstellen, wie er von seinem Kirchen-
stuhle sich erhebt und als Prediger zu reden beginnt,
weil nach den Worten der Heiligen Schrift der Geist
des Herrn über ihn gekommen ist. Das ist bei
Clemenceau undenkbar.
Der kaiserliche Rat: Reden wir vonTachles —
Der alte Biach: Präsident Wilson hat einmal
gesagt, ich lege das Ohr auf den Boden und horche
auf die Wünsche des Landes.
Der kaiserliche Rat: Sie? Ja so Wilson!
No was hats ihm genützt?
479
Der alte Biach (achselzuckend): Wilson ist
vielleicht ein Reisender, der den Zug versäumt hat.
Der kaiserliche Rat: Das verdrießt die Firma.
Der alte Biach (eindringlich): Lloyd George
hat jedoch einen Beweggrund für seine Politik, der
nicht minder wichtig ist.
Der kaiserliche Rat: Man kann sich vorstellen.
Der alte Biach: Wir können uns vorstellen,
welchen Eindruck die Nachricht in Wien hervorrufen
würde, daß eine große Schlacht in Gloggnitz oder
Neunkirchen stattfinde.
Der kaiserliche Rat: Gott soll schützen.
Aber was halten Sie von —
Der alte Biach (geheimnisvoH': Es rieselt im
Gemäuer.
Der kaiserliche Rat: Habachaachgehört.
Ich mein aber, was halten Sie von Luzk?
Der alte Biach (betroppezt) : Wir müssen uns
in Rußland hineindenken.
Der kaiserliche Rat: No was kommt schon
dabei heraus? Schaun Sie, Luzk —
Der alte Biach (feurig): Die Psychologie der
Angriffsschlacht ist wichtig.
Der kaiserliche Rat: Wo steht das?
Der alte Biach (betamt): Ein Soldat steht in
den Bergen bei Asiago auf der Wache.
Der kaiserliche Rat: No und — ?
Der alte Biach (verdrossen): Das ist Entartung.
Der kaiserliche Rat: Wieso? Die Entente —
DeralteBiach (broiges) : Die Entente will kränken.
Der kaiserliche Rat: Wie versteh ich das?
Der alte Biach (ächzend) : Was hat die
Monarchie Wilson getan, daß er —
Der kaiserliche Rat: Moment —
Der alte Biach (stöhnend): Was hat die
Monarchie England getan, daß six. —
Der kaiserliche Rat: Jetzt handelt es sich
aber —
480
Der alte Biach (aufschreiend) : Was hat die
Monarchie Serbien getan, daß es —
Der kaiserliche Rat: No no beruhigen
Sie sich schon!
Der alte Biach: Die Entente weiß, daß sie
uns nicht mit den Waffen besiegen kann, aber
(zwinkernd) sie stichelt.
Der kaiserliche Rat: Das wird ihr einen Tineff
nützen. Wissen Sie was man heut schon sagen kann?
Der alte Biach (dezidiert): Voraussichtlicher
Heldentod der Besatzung von Kiautschau.
Der kaiserliche Rat: Das is passee! Intressant
steht heut in der Presse: Die Entscheidung der Krise
bevorstehend.
Der alte Biach: Wahrscheinlich morgen.
Der kaiserliche Rat: No ham Sie gelesen:
Die Abreise des Grafen Clzernin nach Bukarest?
Der alte Biach: Übermorgen Samstag.
Der kaiserliche Rat: Wissen Sie was das be-
deutet? Die Annäherung zum Frieden. No und wodurch?
Der alte Biach: Durch die heutemitgeteilteNote.
Der kaiserliche Rat: Ich konstatiere: Leichte
Entspannung der Krise.
Der alte Biach: In den gestrigen Londoner
Blättern.
Der kaiserliche Rat: Bewegte Zeiten.
Der alte Biach: Deren Merkmale in den
vorliegenden Nachrichten.
Der kaiserliche Rat: Grad les ich da den
Artikel: Die Räumung Asiagos. Wissen Sie, von wem?
Der alte Biach: Von der Zivilbevölkerung.
Der kaiserliche Rat: Der Untertitel is die
Hauptsache, weil man da ganz genau erfährt. Aber
manchmal genügt ein Satz —
Der alte Biach (tändelnd): Sibyl war die
Tochter eines Arbeiters.
Der kaiserliche Rat: Sie, wenn Sie wüßten,
wie mies mir is.
481
Der alte Biacli (gereizt): Das ist ein Henim-
bohren in der offenen Wunde.
DcrkaiserlicheRat: Passen Sie auf, ich sag
Ihnen, Sie wem sehn, die Situation —
Der alte Biach (herb) : Das ist ein Hissen
der Pestflagge, des Bankerotts.
Der kaiserliche Rat: No was sagen Sie dazu,
daß wir zurückgeworfen sind?
Der alte Biach: Sie tändeln mit dem Krieg.
Der kaiserliche Rat: Konträr, es scheint ihnen
blutiger Ernst zu sein — wenn man bedenkt, wo
wir stehn — wir sind doch heute weit entfernt —
Der alte Biach: Weit entfernt von Hochmut
und von Schwäche.
Der kaiserliche Rat: Das war doch ganz
am Anfang!? Gott waren das Zeiten, gar nicht denken
soll ma — !
Der alte Biach (fest): Ein Anzug kostet zwei-
tausend, eine Lokomotive sechzigtausend Rubel.
Der kaiserliche Rat: Bei uns — ? Das war
doch billig! Aber sagen Sie mir nur, wer brauch
jetzt eine Lokomotiv? Waggons brauch man !
Der alte Biach: LaienfragenundLaienantworten.
Der kaiserliche Rat: Bitt Sie, erinnern Sie
einen nicht!
Der alte Biach (unerbittlich): Wenn der Vertrag
über den Sonderfrieden unterzeichnet wird, ist Lloyd
George verloren und vielleicht auch Clemenceau.
Der kaiserliche Rat: No und wir?
Der alte Biach (einlenkend): W^ir müssen uns
in die Entente hineindenken.
Der kaiserliche Rat: Weit gebracht. Stellen
wir uns vor —
Der alte Biach (mit Genugtuung): Stellen wir
uns vor, daß die Gefangenen zurückkehren, eine
Million, vielleicht noch mehr —
Der kaiserliche Rat: Es können doch
höchstens schätz ich alles in allem fufzntauscnd sein !
Die letzten Tage der Menschheit. 31
482
Der alte Biach (bechowet): — darunter meistens
junge Leute, gehärtet im Klima von Sibirien.
Der kaiserliche Rat: No und wie! Aber
jetzt halten wir vorläufig bei Luzk — der heutige
Bericht — also lassen Sie ein vernünftig Wörtl
mit sich reden —
Der alte Biach (abtastend): Hier fällt uns
vor allem das Wörtchen »noch« auf und das Auge
bohrt sich förmlich hinein in den Bericht und man
kann sich vorstellen —
Der kaiserliche Rat: So wahr ich da leb
das war das erste was ich früh sie is noch gelegen
zu ihr gesagt hab sie hat noch gesagt Sprech mit
Biach! Sehn Sie, Sie sind auch ein Pessimist geworn.
Nach meiner Ansicht — was soll ich Ihnen sagen —
Luzk — schließlich — also was is Ihre Ansicht?
Der alte Biach (schlicht): Die Familie Brodsky
ist eine der reichsten in Kiew. (Ausbrechend) Dadaran
glaub ich und dadavon geh ich nicht ab!
Der kaiserliche Rat: Moment. Wie kommt
das zu dem?
Der alte Biach (erregt): Das wissen Sie nicht?
das wissen Sie nicht? also den Anfang vom heutigen
Leitartikel ham Sie —
Der kaiserliche Rat: Gott richtig, natürlich —
nur so aus dem Zusammenhang heraus war es mir bißl
fremd — ich kenn doch jeden Satz auswendig —
wie er in die Stimmungen hereinkommt — heut gibt
er es ihnen ordentlich, er stichelt gegen Wilson und
er tändelt mit Czernin. Aber offen gestanden — die
Geschichte mit Luzk gefällt mir etwas nicht.
Der alte Biach (schwärmend): Die Nase der
Kleopatra war eine ihrer größten Schönheiten.
Der kaiserliche Rat: Ihnen gesagt.
Der alte Biach (erregt): Das wissen Sie nicht?
das wissen Sie nicht? also den Anfang vom gestrigen
Leitartikel —
483
Der kaiserliche Rat: Gott richtig,natürlichdas
war doch so packend — aber — Luzk gefällt mir nicht!
Es is natürlich ein prima strategischer Rückzug —
aber —
Der alte B lach (bündig): Ein Volk muß essen.
DerkaiserlicheRat: Selbstredend, aber wie
kommt das zu —
Der alte Biach (erregt) : Das wissen Sie nicht?
das wissen Sie nicht? also den Schluß vom heutigen —
Der kaiserliche Rat: Gott richtig, natürlich —
Der alte Biach (bitter, jedoch mit edlem Anstand):
Das Schicksal des Blattes ist es schon wiederholt
gewesen, daß die Persönlichkeiten, die ihm angehören,
die Mitarbeiter und Korrespondenten, von den
Wirkungen der Weltbegebenheiten unmittelbar und
persönlich getroffen Ä^erden.
Der kaiserliche Rat: Selbstredend kommt aber
dabei immer ein großer Kowed für das Blatt heraus.
Aber wissen Sie, wenn man die heutige Situation be-
trachtet, welcher Gedanke sich auch dem einfachen
Laien aufdrängt? Einen Bismarck braucheten wir!
Der alte Biach (kategorisch): Ein Demosthenes
wäre nötig, um Einsicht und Klarheit zu schaffen.
Wir hoffen, daß unser Ministerium des Äußern die
Angehörigen der Monarchie mit allem Nachdruck
schützen werde.
Der kaiserliche Rat: Moment. Wenn noch —
Der alte Biach (resigniert): Wenn noch Raum
wäre für einen Gentz in der heutigen, so stark
veränderten Gesellschaft, würde er boshaft lächeln.
Der kaiserliche Rat: Intressant. Aber warum
soll nicht Raum se'n?
Der alte Biach (resolut): Ein Talent wird immer
Raum finden. Beethoven war auch ein Teilnehmer
des Kongresses durch eine Kantate, Wiens glor-
reichster Augenblick.
Der kaiserliche Rat: Was nutzt das alles,
man is doch schon sehr betroppezt!
31*
484
DeralteBiach (mit einem Bück gen Himmel; ; Wo
ist heute ein Fichte, der die gebeugten Seelen wieder
aufrichten, dem deutschen Volke ein Lehrer und
Wegweiser zugleich sein könnte!
Der kaiserliche Rat: Das is aber jo wehr!
(auf die Uhr sehend) Gott halber acht!
Der alte Biach (im Abgehn^dumpi): Iwangorod
röchelt bereits.
(Verwandlung.)
27. Szene
Berliner Tiergarten.
Padde: Die gefilmte Schlacht, die gefilmte
Majestät des Sterbens und des Todes! Daß die
Engländer eine unwissende und ungebildete Gesell-
schaft sind, wissen wir ja; der vorliegende Fall
zeigt aber auch, bis zu welcher Gefühlsroheit
Neid und Lüge führen.
Kladde: Wäre es nicht erwünscht, daß
man auch dem Deutschen hinter der Front solche
lebenswahre Bilder der jüngsten Ereignisse
vorführte? An Gelegenheiten, die geeignete Bilder
zur Aufnahme bieten, dürfte kein Mangel sein.
Die Taten unserer Soldaten, im Bilde vorgeführt,
gäben wahrhaftig Stoff genug für mehr als einen
Film, und das Volk, das am Bilde manchmal mehr
hängt, als am Worte, würde solchen Vorführungen
ein gewaltiges Interesse entgegenbringen, auch wenn
wir auf die Ausschmückungen im Interesse nationaler
Selbstverhimmelung, die Engländer und Franzosen
nötig haben mögen, gern verzichten.
Padde: Machen wir. Was sagen Sie zum
Hias? Unter dem Krachen aller Feuerwaffen
und mit Sturmgeschrei ging gestern abend »Der
Hias«, ein feldgraues Spiel in drei Akten, über die
Bretter des Berliner Theaters. Der Zettel verschwieg
485
den Namen des Verfassers; aber ein Feldgrauer
soll das Stück geschrieben haben, und Feldgraue
(Offiziere und Mannschaften Berliner und bayrischer
Ersatz-Truppenteile, unter denen gewiß einige von
schauspielerischer Herkunft waren) führten es auf.
Für die Frauenrollen stellten sich Frauen der
Aristokratie zur Verfügung.
Kladde: Wacker!
Padde: Das Stück gab Gelegenheit, Lager-
leben und blutige Kämpfe mit erstaunenswertem
Naturalismus vorzuführen. Die echten Soldaten auf
der Bühne spielten, als ob sie an der Front wären.
Dort, wo die kriegerischen Vorgänge der technischen
Mittel der Bühne spotteten —
Kladde: — sprang der Film ein.
Padde: Na sehn Sie, treffen wa ooch! Und der
Apparat rollte (im letzten Akte) eine Reihe von
geschickt in die Szene des Stückes eingelegten
Schlachtbildern ab. Erhöht wurde der Eindruck durch
den Lärm der Maschinengewehre und Handgranaten
und durch das Ächzen und Stöhnen der Gefallenen.
Kladde: Ein Kulturskandal erster Güte —
Padde: Wie?
Kladde: — ist die englische Denkmünze auf
die Seeschlacht im Skagerrak.
Padde: Ach so.
Kladde: Nachdem die Engländer ihre
schwere Niederlage vom Skagerrak auf dem
Piipier allmählich in einen Sieg umgemodelt haben,
setzen sie diesem Lügenverfahren dadurch die Krone
auf, daß sie eine Denkmünze auf die Seeschlacht
prägen. »Der ruhmreichen Erinnerung derer, die an
jenem Tage fielen«!
Padde: Ja, sie treiben's doli. Wir Deutsche
brauchen keene Denkmünzen !
Kladde: Im Vergleich mit neueren deutschen
Denkmünzen kann diese englische als gedankenarm und
486
unkünstlerisch bezeichnet werden. Der Text, der nichts
von Sieg enthält, ist für englische Verhältnisse ziemlich
bescheiden. Die Denkmünzen sollen käuflich sein —
die goldene zu 230 Mk., und der Gesamtertrag soll
den Hinterbliebenen der gefallenen Seeleute zukommen.
So verabscheuungswürdig diese englische Verlogenheit
auch ist, kann man es nicht in Abrede stellen, daß
sie System hat und sicher auch Erfolg haben wird,
denn es unterliegt keinem Zweifel, daß auch auf
diesen englischen Schwindel wieder eine ganze Menge
neutraler Untertanen hereinfallen wird.
Padde: Marke Lügen-Grey. Wir hätten jetzt
eine Gelegenheit zu 'ner Denkmünze! Kaiser
Wilhelm als Feldarbeiter. Bekanntlich reiste der
Kaiser an die Ostfront. Seine schlesischen Truppen
erfreute Seine Majestät durch persönliche Anerkennung
und durch seinen Dank für ihre Tapferkeit. Des freute
sich ganz Schlesien. Aber ganz Schlesien freute sich
noch über etwas anderes.
Kladde: Weiß schon. Das lassen Sie mich
erzählen. Was rennt das Volk, was läuft die
Schar hinaus auf die abgemähten Felder? Den
Kaiser zu sehen. Nachmittags zwischen 5 und 7 Uhr
ist es. Munteres Volk bringt die kostbaren Ährengarben
auf bereitstehende Wagen. Plötzlich ruhen alle Hände,
Stille tritt ein, alle Mützen fliegen vom Kopfe,
Staunen ergreift alle: Der Kaiser kommt!
Padde: Er ist schon da, zieht den Rock aus
und, hastenichgesehn, in Hemdärmeln beginnt des
Deutschen Reiches Oberhaupt mit Hand anzulegen an
die Feldarbeit. Auf dem mit goldenen Getreidegarben
besäten durchfurchten Boden unseres lieben Vater-
landes erheitert das durch die Sorgen der Kriegs-
jahre tief durchfurchte Antlitz Seiner Majestät munteres
Lächeln.
Kladde: Wie ist das? — Na, jedenfalls 'n
herzerquickendes Momentchen.
487
Padde: Er hilft selbst, mit höchsteigener
Person, den »von oben« gespendeten Segen für sein
Volk einzuheimsen.
Kladde: Wie der Herr, so der Knecht. Dem
Kaiser tun es seine Begleiter, hohe Herren und Offiziere,
nach. »Siehst du da nicht auch unsern Reichskanzler
bei der Feldarbeit?« — »Wahrhaftig, er ist's.«
Padde: Das lassen Sie mich mal fortsetzen.
Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß bei
solcher Arbeit. Überrascht schaut das zuschauende
Volk, wie Seine Majestät den von der Stirne perlenden
Schweiß mit dem Hemdärmel ein übers andre Mal
abwischt; denn in brennender Sonnenhitze mit der
Garbengabel Wagen vollzuladen, wenn auch mit auf-
gestreiften Hemdärmeln, macht schwitzen -undDurst!
Kladde: Weiß Gottchen.
Padde: Und so haben wir wieder das schöne
Bild: Seine Majestät sitzt mitten in seinem ihm treu
ergebenen oberschlesischen Volk auf —
Kladde: Wie?
Padde: — auf das er sich verlassen kann,
sitzt auf —
Kladde: Wie?
Padde: — auf einem Feldrain und trinkt aus
einem gewöhnlichen Kruge frisches Wasser. — Na?
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich.
Das war 'n Vorwurf für 'ne Denkmünze!
Kladde: — den uns die Engländer machen
könnten — nee, nachmachen könnten! Wenn sie
könnten!
Padde: Was Denkmünze! Das sollte jefilmt
werden !
Kladde: Ja richtig, hören Sie mal, in den
nächsten Tagen wird in den Kinos der höchst-
interessante Film: Die Sommeschlacht, das größte
Ereignis in diesem Kriege, dem Publikum vorgeführt.
488
Padde: Dieser Film kann in der Tat das
größte Ereignis in diesem Kriege genannt werden.
Es ist dies die erste und zugleich die letzte
Aufnahme, die das Archiv des Generalstabes für das
Publikum freigibt. Der Film ist im größten Kampf-
gewühl zustandegebracht worden. Vier Operateure
sind bei der Aufnahme des Films gefallen, aber
immer wieder traten neue an ihre Stelle, bis endlich
das ganze Werk vollendet war, das unseren Nach-
kommen den Ruhm der heldenmütigen Kämpfer
künden soll. iVlit atemloser Spannung machen wir
Sprengung und Erstürmung eines Blockhauses und
nach mächtigem Trommelfeuer einen Sturmangriff
von nervenerschütternder Eindruckskraft mit. Wir
sind mitten drin in den gewaltigen Erdfontänen von
Minensprengung und Einschlägen schwerster Kaliber
und in den weißen Rauchschwaden der Handgranaten
und bewundern fast noch mehr als den Todesmut
der Truppen — den Mann oder die Männer, die im
Geschoßhagel und Feuerregen die Ruhe gehabt
haben, in vorderster Linie, mit eisernem Pflichtgefühl
auch dem Befehl zu gehorchen, die Kurbel des
kinematographischen Apparates zu drehen. Auf allen
Seiten sieht man die höchste Anspannung aller Kräfte,
das Ausnützen, aber auch Abnützen der menschlichen
Energie — wir sehen den siegenden Tod !
Kladde: Dieser Film wird sicher in allen Kinos
Deutschlands großen Anklang finden. Wie hieß es
doch jüngst so schlagend in einem kiiegspresse-
amtlichen Bericht unsrer östreichischen Bundes-
brüder? Unsere Sturmtrupps rücken vor —
Padde: — unmittelbar gefolgt von unsern
Filmtrupps. So soll es sein. Der siegende Tod!
Das sollen uns die Vettern überm Kanal mal nach-
machen! Da staunt der Fachmann —
Kladde: — und der Laie wundert sich.
(Verwandlung.)
489
28. Srene
Kino.
Auf dem Progranmi: »Ach, Amalia, was hast du gemacht?«
und der Detcktivsclilager »Mir kommt keiner aus«. Die Musik
spielt > Puppchen, du mein Augenstern«.
Der Kinoregisseur (tritt vor): Nun folgt die
erste Vorführung des großen Sommefilms. Sie
werden in diesem Film die Sommehelden zu selien
bekommen, blühende Jugend und ergraute Männer
in gleicher Weise verwittert und kampfgestählt
stürzen und springen, stürmen und kämpfen zwischen
fliegenden Feuern und hagelnden Geschoßen, und
schwankem, von Minen zerstäubtem Erdreich, in der
zermalmenden Werkstatt des brüllenden, unsichtbaren
Krieges. In drei Teilen entrollen sich Szenen der furcht-
baren Herbstschlacht 1916, mit der die große Hoffnung
der Feinde ins Grab sank. Imponierend dröhnen die
Tritte unübersehbarer deutscher Reservisten. Im Feuer
der eigenen Landsleute bringen deutsche Krieger behut-
sam französische Frauen, Greise und Kinder in Sicher-
heit. Wo vordem blühende Dörfer sich hinzogen, wo alte
malerische Städte in ihrer historischen Schönheit das
Auge erfreuten — Bapaume und Peronne und wie sie alle
heißen — sind nunmehrTrümmerhaufen, zerschossen in
Schutt und Staub durch die Ententebatterien. Und dann
flimmert auf zuckenden Bildern, dank einzig da-
stehendem Mute tapferer Kinooperateure, deren vier
in treuer Pflichterfüllung bei den Aufnahmen den
Heldentod fanden, ein erhabenes Beispiel zielbewußter
Exaktheit: »Das Divisionskommando hat um 8 Uhr
30 Minuten die Sprengung und den Sturm befohlen!« —
Alles ist bereit gestellt. — Die Sturmtruppen fiebern.
— Die Ungeheuer moderner Kriegsmaschinen öffnen
ihre blitzenden Mäuler, die furchtbarsten Waffen
unseres technischen Zeitalters spielen auf — aber
dahinter stehen die Menschenleiber, die den toten
Maschinen Leben einhauchen. Über Minenfelder,
Hindernisse, durch sprengstoffsciiwangere Gassen des
490
Todes hinein zum heißen Nahkampfe! — Die Hand-
granate mäht! . . . Von Graben zu Graben in die
Hauptstellung hinein! Die eigene Artillerie schöpft
Luft und streut Entsetzen in die feindlichen Reserven,
Graben auf Graben wird erobert. Dieser Film reiht
sich zu den schönsten, zu den eindrucksvollsten aus
dem jetzigen Weltkriege.
Eine weibliche Stimme: Emil, benimm dir!
(Verwandlung.)
29. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Also die harmlosen Parodien
auf Goethes »Über allen Gipfeln«, die jetzt bei uns
und in Deutschland im Schwang sind, in Deutsch-
land wegen der U-Boote und bei uns wegen der
Kipfel — das bringt Sie auch schon aus Rand
und Band?
Der Nörgler: Das tut es. Mit der Kriegs-
dichtung wollen wir uns abfinden. Die Gegen-
wartsbestie, wie sie gemütlich zur todbringenden
Maschine greift, greift auch zum Vers, um sie zu
glorifizieren. Was in dieser entgeistigtesten Zeit
zusammengeschmiert wurde — es ergäbe täglich eine
Million Tonnen versenkten Geistes, die wir einmal
an den geschädigten Genius der Menschheit werden
zurückzahlen müssen; und hierin war nicht nur die
Schuld der vielen Schreiber enthalten, die auf die
Fahne der Bestialität spekuliert haben, sondern
auch der wenigen Dichter, die sich von ihr fortreißen
ließen. Aber sehen Sie: wenn zugunsten Deutsch-
lands nichts weiter geltend gemacht würde, als daß
auf seinem Boden das Gedicht Ȇber allen Gipfeln
ist Ruh'« gewachsen ist, so würde das wahre Prestige,
auf das es schließlich mehr ankommt als auf jene
zeitgebundenen Vorurteile, zu deren Befestigung
491
Kriege geführt werden, heil aus der Affäre hervor-
gehen. Was unsere Lage vor dem Wellgericht
gefährden könnte, wäre eine einzige vom Ankläger
enthüllte Tatsache. Daß nämlich dieses Zeitalter,
das als verstunkene Epoche preiszugeben und glatt
aus der Entwicklung zu streichen wäre, um die
deutsche Sprache wieder zu einer gottgefälligen zu
machen, sich nicht damit begnügt hat, unter der
Einwirkung einer todbringenden Technik literarisch
produktiv zu sein, sondern sich noch an den Heilig-
tümern seiner verblichenen Kultur vergriffen hat, um mit
der Parodie ihrer Weihe denTriumph seiner Unmensch-
lichkeit zu begrinsen. In welcher Zone einer Mensch-
heit, die sich doch überall mit dem Mund gegen
ein Barbarentum sträubt, dessen die Hand sich
beschuldigt, wäre ein Satanismus möglich, der das
heiligste Gedicht der Nation, ein Reichskleinod,
dessen sechs erhabene Zeilen vor jedem Windhauch
der Lebensgemeinheit bewahrt werden müßten, der
Kanaille preisgab! Wo in aller Welt ließe sich so
wenig Ehrfurcht aufbringen, den letzten, tiefsten
Atemzug eines Dichters zu diesem entsetz-
lichen Rasseln umzuhöhnen? Die Ruchlosigkeit des
Einfalls, der den Sieg jener Richtung bedeutet, die
mit dem Abdruck von Klassiker-Zitaten auf Klosett-
papier eingesetzt hat, übertrifft alles, was uns das
geistige Hinterland dieses Krieges an Entmenschung
vorgeführt hat. Bei Goethe! Es ist der Augenblick,
aus einer Parodie ein großes Gedicht des Abschieds
zu machen.
Der Optimist: Glauben Sie mir, zwei fleisch-
lose Tage in der Woche sind ein größeres Übel,
und dennoch muß auch dies ertragen werden.
Der Nörgler: Gewiß. Aber sieben geist-
lose — da halte ich nicht durch! Und ich sehe
aus dieser Unterernährung keinen rettenden Ausweg.
Die kriegerische Verblödung der Menschheit, der
Zwang, der die Erwachsenen in jene Kinderstube
492
zurückführt, in der sie noch das schaurige Erlebnis
haben, keine Kinder mehr vorzufinden — ja, uns hier,
die wir die Versuchsstation des Weltuntergangs
bewohnen, hat die Entwicklung dort, wo sie uns
haben wollte!
Der Optimist: Solange Krieg ist, muß alle
Geistigkeit auf ihn eingestellt sein.
Der Nörgler: Sie befähigt uns eben noch,
die Begriffe »Menschenmaterial«, »durchhalten«,
»Scherflein«, »Hamstern«, »Mustern«, »Nachmustern«,
»Tachinierer«, »einrückend gemacht«, kurz den ganzen
ABC-Befund unseres Zustandes in seiner abgründigen
Tiefe zu erfassen, ohne doch die völlige Aussichts-
losigkeit eines Tuns ermessen zu können, zu dem
wir uns innerhalb dieses Mechanismus verurteilen
ließen. Aber die feigen Büromörder, die unsere
Zukunft an ihr Fibelideal verraten haben —
Der Optimist: Sie glauben also wirklich,
daß der Weltkrieg von ein paar bösen Menschen
beschlossen worden ist?
Der Nörgler: Nein, sie waren nur die Werk-
zeuge des Dämons, der uns und durch uns die
christliche Zivilisation in den Ruin geführt hat. Wir
müssen uns aber an sie halten, da wir den Dämon,
von dem wir gezeichnet sind, nicht fassen können.
Der Optimist: Wie würden wir denn aus-
sehen, wenn wir von einem Dämon gezeichnet sind!
Der Nörgler: Wie vom Schönpflug.
Der Optimist: Sollten wir so talentlos
gezeichnet sein?
Der Nörgler: Eben. Doch diese Talentlosigkeit
hat tiefere Bedeutung. Wir hängen genau so in der
Luft, wenn wir zu stehen vermeinen, und stehen
genau so, wenn wir glauben, wir seien im Fort-
schreiten begriffen. Die grundlose Feschität, die
dieses neuwienerische Dasein so beliebt macht wie
die Figuren jenes teuflischen Antitalents, die tiefe
Unfähigkeit, im Raum zu stehen, die die niedrigste
493
Kunst und das niedrigste Leben zu vollkommener
Deckung bringt, diese Leichenstarre der Lebendig-
keit — das ist es, was nocii unscrn Untergang zum
stehenden Motiv des kolorierten Mißhumors macht.
Ich ziehe die Luftlinie von einem verknödellen
Leben, von einem Punkt der Entwicklung, wo Lehar-
töne und Schönpflugfarben uns bedrohen, zu einem
Ultimatum, mit dem ein bodenloser Kretinismus die
Welt aulfordert, den k. k. Misthaufen abzuräumen,
zu dessen Prestige er ausgerückt ist. Und ich lechze
der Stunde entgegen, da es geschehn sein wird —
mag nachher das herausgeforderte Weltgewissen als
die Machtfratze eben jenes Siegerwahns triumphieren,
der uns hier unser Leben vernichtet hat. Möglich,
daß das mitteleuropäische Verbrechen so groß war,
noch die Welt zu korrumpieren, die da auszog, es zu
züchtigen. Was immer geschehe — Österreicher
zu sein war unerträglich!
Der Optimist: Die österreichisch-ungarische
Monarchie ist eine historische Notwendigkeit.
L^er Nörgler: Vielleicht, weil dieser ganze
nationale Gemischtwarenkram, der uns in kulturelle
Schmach und materielles Elend gebracht hat, in
irgendeinem verfluchten Winkel der Erde verwahrt
sein muß. Aber diese Notwendigkeit wird sich durch
alle revolutionären und kriegerischen Versuche, ihn
los zu werden, abschwächen, und gelingt es diesmal
nicht, erweist sich der k. k. Gedanke zunächst als
unausrottbar, so wirds neue Kriege geben. Aus
Prestigerücksichten hätte diese Monarchie längst
Selbstmord begehen müssen.
Der Optimist: Wäre dem Kaiser Franz
Joseph ein längeres Leben beschieden gewesen, so
wäre der Zusammenhalt —
Der Nörgler: Ehrfürchtiger Schauder läßt
mich vor der Konsequenz dieses Gedankens zurück-
beben, ehe Sie ihn zu Ende gedacht haben. Aber
494
Sie übersehen dabei, daß jenem ja tatsächlich ein
längeres Leben beschieden war und daß trotzdem —
Der Optimist: Der Kaiser ist doch voriges
Jahr gestorben — ?
Der Nörgler: Woher wissen Sie das?
Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht — er
hat doch gelebt bis —
Der Nörgler: Woher wissen Sie das?
Der Optimist: Ja, spielen Sie vielleicht auf
die in der Entente beliebten Scherze an, daß in
Österreich-Ungarn eine Zucht von Kaisern bestehe
und daß immer ähnlich aussehende —
Der Nörgler: Da könnte schon etwas dran
sein. Wissen Sie, wenn ich mich auch entschließen
könnte, an den Tod Franz Josephs zu glauben,
keineswegs glaube ich, daß er je gelebt hat.
Der Optimist: Erlauben Sie einmal, diese
siebzig Jahre sind doch nicht in Abrede zu stellen?
Der Nörgler: Ganz und gar nicht, sie sind
ein Alpdruck von einer Trud, die dafür, daß sie
uns alle Lebenssäfte und dann noch Gut und Blut
abgezogen hat, uns das Glücksgeschenk zukommen
ließ, in der Anbetung eines Idols von einem Kaiser-
bart grundsätzlich zu verblöden. Nie zuvor hat in
der Weltgeschichte eine stärkere Unpersönlichkeit ihren
Stempel allen Dingen und Formen aufgedrückt, so daß
wir in allem was uns den Weg verstellte, in allen Miseren,
Verkehrshindernissen, im Querschnitt jedes Pechs
diesen Kaiserbart agnoszierten. Sie war die ange-
stammte Schlamperei, die das Justament zum funda-
mentum regnorum erkoren hatte, sie war das graue
Verhängnis, das sich durch die Zeiten frettet wie ein
chronischer Katarrh. Ein Dämon der Mittelmäßigkeit
hatte unser Schicksal beschlossen. Nur er vertrat
diesen Anspruch, die Welt mit unserer nationalen
Mordshelz zu belästigen, begründet in der Gott-
gewolltheii des Pallawatsch unter Habsburgs Szepter,
dessen Mission es schien, als Damoklesschwert über
495
dem Weltfrieden zu schweben. Er ermöglichte dieses
budgetprovisorische Gebilde, dessen ewiges Völker-
problem nur durch die innere Amtssprache des
Rotwelsch »tunlichst« zu lösen war und dessen Ver-
ständigung durch ein Kauderwelsch versucht werden
mußte, wie es die hohnlachende Epoche noch nicht
gehört hatte. Eine siebzigjährige Gehirn- und
Charaktererweichung der nur um solchen Preis und
selbst dann nicht zu verbindenden Völker ist der
Inhalt der so regierten Tage, eine Verflachung, Ver-
schlampung und Korrumpierung aller Edelwerte
eines Volkstums, die in der Weltgeschichte ohne
Beispiel ist und zumal ohne Beispiel durch die
Verlogenheit, mit der dank dem einzigen Fortschritt
dieser Zeit, nämlich der entwickelten journalistischen
Technik, ein Schein vor ein Unwesen gestellt und
die Legende der Gemütlichkeit über eine tödliche
Realität der Leere gebrehet werden konnte. Welch
unerbittliche Berichtigung und gleichwohl Bestätigung
eines zwischen Fibel und Presse orientierten Denkens,
daß ein blutiges Fanal am Aufgang wie am Abgang
dieser gemütlichen Majestät errichtet war!
Der Optimist: Wie? Der Friedenskaiser
katexochen, der in seiner sprichwörtlichen Leut-
seligkeit alles für's Kind getan hat, der ritterliche
Monarch, der gute alte Herr in Schönbrunn, dem
nichts erspart geblieben ist — so sprechen Sie über
ihn, und noch dazu, wo er tot ist?
Der Nörgler: Er ist tot? Nun, abgesehn
davon, daß ich es, selbst wenn ichs wüßte, nicht
glaubte, muß ich Ihnen schon sagen, daß es vor dem
Weltgericht wirklich keine Würschtel gibt; daß es
da einmal keine Protektion gibt, aber auch keine
Pietät; daß man es sich dort wirklich nicht richten
kann und vor allem, daß dort der Tod nicht so sehr
einen Strafausschließungsgrund als eine Voraus-
setzung für das Urteil bildet. Auch möchte ich
glauben,daß es gottgefälliger ist, der Majestät des Todes
496
an den Gräbern von zehn Millionen Jünglingen und
Männern Ehrfurcht zu bezeigen, von hunderttausenden
Müttern und Säuglingen, die Hungers sterben
mußten — als vor dem einen Grab in der Kapuziner-
gruft, das eben jenen Greis bedeckt, der das alles
reiflich erwogen und mit einem Federstrich herbei-
geführt hat; und daß vor jener Instanz auch das
Qualenantlitz der überlebenden Menschheit gegen
den einen Toten unerbittlich zeugen müßte. Denn
dieses blutgemütliche Etwas, dem nichts erspart
blieb und das eben darum der Welt nichts ersparen
wollte, justament, sollen s' sich giften — beschloß
eines Tages den Tod der Welt.
Der Optimist: Aber Sie glauben doch nicht,
daß der Kaiser den Krieg gewollt hat? Er soll ja
geäußert haben, daß man ihn drangekriegt hat!
Der Nörgler: So ist es. Das gibt es. Ich
meine nicht ihn, den man drankriegen konnte. Ich
meine die den Wahnsinn dieser monarchischen Weiten
erschöpfende Möglichkeit, daß man ihn und uns
drankriegen konnte. Ich meine jenen blutdürstigen
Dämon seines verfluchten Hauses, dessen Walten
sich justament in diesem Kaiserbart manifestierte und
in einer Gemütlichkeit, die eben das Blut, das sie
nicht sehen konnte, vergossen hat. Ich weiß nicht, wer,
ich weiß nur, was uns regiert hat; und daß dieser
Lemurenstaat durch sieben Dezennien der Welt das
Schaustück eines als Thron kachierten Leibstnhls bot,
worauf sich die legendäre Dauerhaftigkeit eines
Nichtvorhandenen breitmachte. Von ihm in persona
v/eiß ich nur, daß er mittelmäßig war und in Formen
erstarrt. Aber eben diese Gaben mußten im Verein mit
den tödlichen Giften der Zeit und dieses national
verwirrten Landes ein übermäßiges Unglück herauf-
beschwören. Der finstere Franz Ferdinand, dessen
Wille es gebannt hätte — denn nicht was einer
will, bloß daß er etwas will, vermöchte dieses
Chaos zu hemmen — , war nur bestimmt, über seinem
497
Ende die schadenfrohen Flammen aus dem monarchi-
schen Hexenkessel aufschlagen zu lassen. Wenn man
diesen Franz Joseph, dem nichts erspart geblieben ist
außer der Persönlichkeit — wenn man ihn nicht zum
Weltkrieg drangekriegt hätte, er wäre mit einer reinen
Freude an der wohlerhaltenen k. k. Jammerwelt ge-
storben. Dem Nachfolger war es zuzutrauen, daß er sie
unblutig zurechtgesetzt hätte. Das ist jenem — dank
den für Thronfolgerreisen vorgesehenen Sicherheits-
maßnahmen — denn doch erspart geblieben. Er hat
es vorgezogen, ihr durch den Weltkrieg und die
unausbleibliche Niederlage ein vollkommenes Ende
zu bereiten.
Der Optimist: Er hat sich nicht anders zu
helfen gewußt.
Der Nörgler: Gewiß nicht, man hat ihn
drangekriegt, während die mehr aktive Rolle des
Bundesgenossen diesen zu festem Draufgehn ver-
anlaßt hat.
Der Optimist: Worauf spielen Sie mit Ihrer
Bemerkung über die für Thronfolgerreisen vorge-
sehenen Sicherheitsmaßnahmen an?
Der Nörgler: Darauf, daß man bezüglich des
Ergebnisses der Sarajewoer Reise in Sicherheit war.
Der Optimist: Das sind Legenden. Gewiß
ist es erstaunlich, daß der mächtigste Mann der
Monarchie keinen vermehrten Schutz für diese Reise
durchsetzen konnte, aber —
Der Nörgler: — es ist begreiflich. Denn als
er sich darum bemühte, war's nicht mehr bei seinen
Lebzeiten. Ein Mächtiger, der dahin ist, hat keinen
Einfluß.
Der Optimist: Er wurde aber doch erst
ermordet, nachdem —
Der Nörgler: — seine Bemühungen erfolg-
los geblieben waren, ganz richtig. Also, wenn Sie
auf der Chronologie bestehen: ein Mächtiger kann
alles, nur nicht verhindern, daß er umgebracht wird.
Die letzten Tage der Menschheit. 32
498
Der Optimist: Sie wollen gewiß nicht
behaupten, daß Franz Joseph, dem nichts erspart
geblieben ist, seinen Neffen aus dem Weg räumen
ließ. Dagegen ließe sich wohl beweisen, daß er die
Nachricht von der Ermordung —
Der Nörgler: — mit einem nassen, einem
heitern Auge aufgenommen hat. Aus allerhöchstem
Ruhebedürfnis wurde die Trauerfeier eingeschränkt
und der Weltkrieg eröffnet. Die Menschheit hat ein
Begräbnis erster Klasse erhalten.
Der Optimist: Die Ermordung eines Thron-
folgers ist doch ein hinreichender Grund —
Der Nörgler: — das Angenehme mit dem
Nützlichen zu verbinden. Daß die Spekulation miß-
glückt ist und Österreich auf der Suche nach dem
verlorenen Prestige in Verlust geriet, ist ein anderes
Kapitel. Vor dem Weltgericht wird noch nach dem
dolus eventualis judiziert.
Der Optimist: Aber Sie werden doch
schließlich nicht die persönlichen Eigenschaften des
Monarchen —
Der Nörgler: Die interessieren mich wenig.
Er war wohl nur ein Pedant und kein Tyrann,
nur kalt und nicht grausam. Wäre ers gewesen,
so hätte er vielleicht noch in hohem Alter so
viel Geisteskraft gehabt, sich nicht drankriegen
zu lassen, sondern zu wissen, was er wagen konnte.
Er hat nur die Knöpfe auf der Uniform gezählt —
und eben darum mußte sie sich bewähren. Er war
ein unermüdlicher Arbeiter und hat unter den Hin-
richtungsakten einmal auch einen unterschrieben, der
die Menschheit fällte. Sie alle haben es nicht gewollt.
Aber da wir andern es ganz gewiß nicht gewollt
haben, müssen wir uns doch an sie halten. Der
imperatorische Beruf bringt es eben mit sich, daß
wir einem, der seine Ruh haben will und zu diesem
Behufe einen Weltkrieg anfängt, die volle welt-
gerichtliche Verantwortung aufpelzen, ja daß wir
499
einen pensionierten Landbriefträger, der sich per Zufall
als Vampir betätigt, für eine Maske ansehen. Ein
sterbender Christ darf die Gefahr, seiner Pfründe
verlustig zu gehen, für kein größeres Übel halten als die
Gefährdung seiner sämtlichen Nebenmenschen, und
sein Seelenheil nicht mit dem Unheil Aller belasten. So
glaube ich doch mindestens, daß der Genius seines
Hauses an dieser Entschließung beteiligt war und
gewiß an der Möglichkeit, daß ein paar phantasiearme
Schurken ihn jenes Manifest unterschreiben lassen
konnten, das mit vollendeter Stilkunst ein blutiges
Alterserlebnis einem friedliebenden Greis zuschiebt,
der sich nicht anders zu helfen weiß. Der, den
man drangekriegt hat, hat alles reiflich erwogen.
Es ist halt ein echt österreichisches Pech, daß das
Ungeheuer, das diese Katastrophe heraufführen sollte,
die Züge eines guten alten Herrn trägt. Er hat alles
reiflich erwogen, aber er kann nichts dafür: und das
eben ist die letzte, grausigste Tragödie, die ihm
nicht erspart geblieben ist. Daraus habe ich ein
Lied gemacht, das so lang ist wie sein Leben, eine
unendliche Melodie, die ich ihm in den Mund lege,
wenn er in meinem Weltkriegsdrama auftritt. Ich
habe dieses tragische Couplet wie einen großen Teil
des Dramas im Jahre 1915, also noch bei seinen
Lebzeiten, geschrieben — wenn Sie es denn wirklich
wahr haben wollen, Sie Phantast, daß jetzt ein Karl
und kein Franz Joseph mehr über uns waltet.
Der Optimist: Werden Sie ihm nicht
wenigstens als dern ritterlichen Monarchen und als
Kinderfreund Gerechtigkeit widerfahren lassen?
Der Nörgler: Nein, denn die Szene, wie er,
da er zum erstenmal die Nachbarschaft der Gemahlin
Franz Ferdinands an der Hoftafel dulden muß, ihr
den Rücken zukehrt und auf die Mahnung seiner
Tochter, sich doch schandenhalber auch einmal nach
links zu wenden, justament und mit jähem Ruck
es erst zu voller Anschauung bringt: diese Szene
32«
500
kommt im Drama nicht vor. Auch die Szene nicht,
wie er in Weißenbach sich von einem allerliebsten
vierjährigen Knirps ein Begrüßungssprüchlein anhört
und dann —
Der Optimist: — als ein vorbildlicher
Urgroßpapa, jedoch elastischen Schrittes auf das
Pauxerl zugeht und ihm ein Zwickerl gibt?
Der Nörgler: — nein, sich salutierend,
wirklich salutierend, abwendet: diese Szene kommt
auch nicht vor. Nur das Couplet kommt vor. Aber seien
Sie ganz beruhigt. Wäre er ein Privatmann, dem
die häßlichsten Eigenschaften nachgewiesen werden
könnten, und etwa einer, dessen Gemeinschaft eine in
Hysterie verirrte Gattin als Kreuz durchs Leben
schleppen mußte — der Tod gliche alle Rechnung aus
und der Rest wäre Schweigen. In der Weltgeschichte
macht kein Zeitpunkt die Verantwortlichkeit erlöschen
und da muß auch der beste alte Herr noch nach seinem
Tod in der Gestalt auftreten, zu der ihn einmal der
Fluch seines Hauses verdammt hat. Ich lasse nicht
Franz Joseph, sondern den leibhaftigen habsburgischen
Dämon auftreten. Ein Lemur erscheint uns und
sich selbst im Schlafe. Siebzig Jahre singen ihr Miserere,
und da sind schließlich auch alle Vorgänger mit
inbegriffen, die Kanaille die Franz heißt — der
Spielbergprofos — , und so weiter die ganze Ahnen-
galerie zurück bis ins Stammschloß, aus dem man
der Sippe nie die Einreise nach Österreich hätte
bewilligen sollen.
Der Optimist: Wann wird Ihr Drama erscheinen?
Der Nörgler: Wenn der Feind besiegt ist.
DerOptimist: Wie ? Sie glauben also doch —
Der Nörgler: — daß Österreich in einem Jahr
nicht mehr besteht! Ich hatte das Manuskript in das
Stammland der Habsburger, in die Schweiz gebracht —
Der Optimist: Um es in Sicherheit zu
bringen?
501
Der Nörgler: Nein, um es auszuarbeiten.
Ich habe es wieder zurückgebracht; denn ich fürchte
mich nicht vor dem Feind. Er hat in seiner Blut-
wirtschaft eine solche Schlamperei einreißen lassen,
daß ich dieses Manuskript schon zweimal über die
Grenze und wieder zurückbringen konnte. Immer-
hin kann es jetzt nicht erscheinen. Das würde dem
Autor doch wohl die Freiheit kosten und wenn die
Generaille vor Schluß der Vorstellung noch Appetit
auf eine Diktatur bekäme, sogar jenen Kopf, den er
sich trotz den Offensiven des Schwachsinns durch
einen vierjährigen Krieg hindurch bewahrt hat. Es
wird erscheinen, wenn dieses technoromantische
Abenteuer, die Menschheit durch die Quantität heraus-
zufordern, von der größeren Quantität erstickt ist.
Wenn der glorreiche Unfug, der in der Stunde, da
wir hier sprechen, für nichts und wieder nichts
tausende Menschen in Leichname oder Krüppel ver-
wandelt, beendet und nicht mehr vom verblöden-
den Basiliskenblick eines Kriegsüberwachungsamtes
behütet sein wird. Kurzum, wenn die Schalek ihr
letztes Wort gesprochen hat.
Der Optimist: Was haben Sie gegen die
Schalek?
Der Nörgler: Nichts als daß der Weltkrieg
sie gezwungen hat, von mir überschätzt zu werden.
So muß ich sie für die eigenartigste Erscheinung dieser
Apokalypse halten. Wenn aber der tragische Karneval
verrauscht ist und ich ihr beim Katzenjammer unsres
Tages irgendwo im Hinterland begegne, werde ich
sie für eine Frau halten.
Der Optimist: Sie haben nun einmal die
heillose FähigKeit, das Kleinste —
Der Nörgler: Ja, die habe ich nun einmal.
Der Optimist: Und daraus wird wohl das
ganze Drama entstanden sein. Aus diesem unseligen
Hang, die kleinen Erscheinungen und die großer
Tatsachen zu verbinden.
502
Der Nörgler: Ganz gemäß dem satanischen
Verhängnis, das uns von den kleinen Tatsachen zu den
großen Erscheinungen der realen Tragödie geführt hat.
Die meine läßt uns an den Formen und fönen einer
Welt mit ihr selbst zugrundegehen. Sie werden mir
die Frage, was ich gegen den Benedikt habe, nicht
schuldig bleiben.
Der Optimist: Und Sie mir nicht die Antwort.
Der Nörgler: Er ist nur ein verantwortlicher
Redakteur des Weltkriegs, Er ist nur ein Zeitungs-
herausgeber und triumphiert dennoch über unsere
geistige und sittliche Ehre. Seine Melodie allein hat
mehr Opfer gefordert als der Krieg, den sie erregt
und befeuert hat. Der gellende Ton des Schlacht-
bankiers, der der Welt an die Tasche und an die
Gurgel fuhr, ist die elementare Begleitung dieser
blutigen Aktion, Auch der orts- und zeitferne Leser
wird fühlen, daß wir hier Besonderes durchlitten
haben. Ich lasse an dieser Sprache, in der der alt-
jüdische Sinn der neudeutschen Handlung sich rabiat
zur Geltung bringt, einen alten Abonnenten sterben.
Sie überwältigt das Leben, und da tritt denn der
erlösende Gehirnschlag ein.
Der Optimist: Um das zu verstehen, muß
ich schon auf Ihre Tragödie warten. Sie kommt also
heraus —
Der Nörgler: — wenn die andere zu Ende
ist. Eher ist es nicht möglich. Auch sie ist nicht fertig,
und ich brauche eben meinen Kopf, um sie fertig
zu bringen.
Der Optimist: Da wäre wohl nur Ihre
Freiheit bedroht.
Der Nörgler: Solange Wien im Hinterland
liegt. Hochverrat, Verbrechen gegen die Kriegsmacht,
Majestätsbeleidigung, Beleidigung von Dörrgemüse-
spekulanten und sonstigen Persönlichkeiten, die nur
das Objekt und nie das Subjekt einer strafbaren
Handlung sein können und bei Abwicklung ihrer
503
Wachergeschäfte vom Ehrfurchtsparagraphen ge-
schützt sind — nun, die allerhöchste Majestät, die
Österreich hat, ist ja doch der Galgen! Er ist
aber nicht nur ein Inventarstück des spanischen
Zeremoniells, sondern auch ein wichtiges Requisit
meiner szenischen Handlung. Bedenken Sie, daß
unter dem Arn>eeoberkommando des Erzherzogs
Friedrich allein — den ich für ein noch ausgiebigeres
Phantom halte als die Schalek — 11.400, nach einer
andern Version 36.000 Galgen errichtet worden
sind. Einer, der nicht bis drei zählen konnte!
Und eine kriegerische Erscheinung, vor deren
Tatenruhm Napoleon als der erste Defaitist
erscheint — im Martialischen wie im Erotischen
wahlverwandt und verbündet jenem Scheusal von
einem Barbarenkaiser, dem Imperator der geistigen
Knödelzeit, der kerne Quantität von Fleisch und
Blut unberührt lassen konnte und dazu seinen eigenen
Schenkel klatschend schlug und sein gröhlendes
Wolfslachen ertönen ließ : so lachte der Fenris-
wolf, als die Welt in Flammen aufschlug. Zwischen
assyrischen Backsteinen und Generalstabskarten,
zwischen aller Halbwissenschaft, die das stundenlang
stehende Gefolge peinigte, immer wieder mit obszönen
Scherzen um Körperformen kreisend. Sich weidend
an der Verlegenheit, wenn er auf der Jagd oder bei
offiziellstem Anlaß, durch einen Hieb auf den Hintern,
durch einen Tritt aufs Bein, durch eine Frage nach
seinem Sexualgeschmack den Partner überraschte.
Das waren die Blutgebieter. Der eine im Format
dem öden Sinn dieses Weltmords gewachsen, verant-
wortlich für die Tat; der andere mit ahnungslosem
Behagen in der Wanne eines Blutmeers plätschernd.
Dieser Heros, der »Bumsti!« rief, als er im Kino
Soldaten fallen sah, dieser Ehrendoktor der Philosophie,
dieser Kretin war der Marschall unseres Verhängnisses.
So verschieden beide, dennoch Busenfreunde, sich
begegnend in einer Kennerschaft, im Austausch
504
feinschmeckerischer Wahrnehmungen, und wenn's die
Formen der Germania und der Austria betraf, in
einem Seufzer über den Wandel der Zeiten. Das tritt,
wie es leibt und lebt, aus der Kriegsgarderobe gleich
in die kulturhistorische Erscheinung, weist auf die
Quantität der Zeit, in Freuden und Leiden; und zur
stündlich empfundenen Qual wird. das Bewußtsein,
von solchem Minus regiert zu sein, und das Wissen um
die niedrigste Lebensart, die an höchster Stelle sich
auslebend der leidenden Menschheit spottet, zur
Mitschuld. Maitressen und Hausmeisterinnen konnten
sich über den intimen Einfluß unterhalten, wenn die
wehrlose Mannheit sich ans Ende aller Lebenslust
zerren ließ, geweihte Bündnisse reiner Herzen blutig
zerrissen wurden und Unschuldige in der letzten
Stunde vor dem Galgen nach einem Gnadenblick
bangten. Wissen Sie, wofür wir jetzt büßen? Für
die Ehrfurcht, zu der uns solche Gestalten heraus-
gefordert haben!
DerOptimist: Aber das österreichische Antlitz
ist doch noch ein anderes als das preußische.
Der Nörgler: Das österreichische Antlitz ist
jederlei Antlitz. Es lauert hinter dem Schalter der
Lebensbahn. Es lächelt und greint je nach Wetter.
Doch dieser Gorgonenblick hatte die Kraft, was
er ansah, in Blut oder in Dreck zu verwandeln.
Wo hätten wir es nicht geschaut? Stand es
nicht vor dem, der ratsuchend in ein Amt kam
und Unrat fand? Muß ich es in den Aborten der
Wiener Kriminalität aufspüren, in den Wanzen- und
Bazillenräumen der Wiener Garnisonsarreste, an den
verv/ahrlosten Spiialsbetten, wo graduierte Profosen
und akademische Henkersknechte nervenkranken
Soldaten mit Starkstrom zusetzten, um den Verdacht,
sich von der Front zu drücken, auf sie abzuwälzen?
War es nicht in jeder Schmach und Unappetit-
lichkeit jeder Amtshandlung und vor allem in der
Gerechtsame jener Feldgerichte, deren eines die noch
505
über den Justizmord unsittliche Forderung aufgestellt
hat, daß der österreichische Staatsbürger seinen
Behörden, diesen Behörden, »mit Ehrfurcht und
Liebe zu begegnen habe«? Und solche Härte noch
verschärft durch die Gewißheit, daß hier nicht
Naivität, sondern ein Justament der Schurkerei
am Werke war und die diabolische Lust einer
letzten Belastungsprobe auf unsere Geduld. Das
von der italienischen Regierung längst verbotene
Experiment der Hundsgrotte ist von der österreichi-
schen tagtäglich Millionen Menschen zugemutet
worden, und das Antlitz zwinkerte bei dem gelungenen
Gspaß, um nach eingetretener Erstickung in voller
Heiligkeit zu erglänzen. Das österreichische Antlitz,
mit dem zugekniffenen linken Auge, hat man in
diesen vier Jahren Schulter an Schulter neben dem
mehr martialischen Gesicht so oft in den Schau-
fenstern gesehn, daß es wohl vierzig Friedensjahre
brauchen wird, um die Erinnerung loszuwerden.
Nein, es ist nicht wie das preußische, wenngleich es
jedem gleicht und alles ist, nur eben nicht das, was
die Feuilletonisten singen und sagen. Zumal aber
ist es das des Henkers, Des Wiener Henkers, der
auf einer Ansichtskarte, die den toten Baitisti zeigt,
seine Tatzen über dem Haupt des Hingerichteten
hält, ein triumphierender Ölgötze der befriedigten
Gemütlichkeit, der »Mir-san-mir« heißt. Grinsende
Gesichter von Zivilisten und solchen, deren letzter
Besitz die Ehre ist, drängen sich dicht um den
Leichnam, damit sie nur ja alle auf die Ansichts-
karte kommen.
Der Optimist: Wie? So eine Ansichtskarte
gibt es?
Der Nörgler: Sie wurde von amtswegen her-
gestellt, am Tatort wurde sie verbreitet, im Hinter-
land zeigten sie »Vertraute« Intimen, und heute ist
sie als ein Gruppenbild des k. k. Menschentums in
den Schsafeiibtern aller feindlichen Städte ausgestellt,
506
ein Denkmal des Galgenhumors unserer Henker,
umgewertet zum Skalp der österreichischen Kultur.
Es war vielleicht seit Erschaffung der Welt zum
erstenmal der Fall, daß der Teufel Pfui Teufel! rief.
Der Optimist: Aber die Zeugen der Hin-
richtung haben sich doch nicht absichtlich mitphoto-
graphieren lassen?!
Der Nörgler: Es bildeten sich Gruppen.
Und zwar, um nicht nur bei einer der viehischesten
Hinrichtungen dabei zu sein, sondern auch dabei
zu bleiben; und alle machten ein freundliches
Gesicht. Dieses, das österreichische, ist auch auf
einer andern Ansichtskarte, der unter vielen ähn-
lichen eine nicht geringere kulturhistorische Bedeutung
zukommt, in zahlreichen Soldatentypen, die zwischen
zwei hängenden Rutheninnen Schulter an Schulter
die Hälse recken, um nur ja ins Dokument
zu kommen. Gott weiß, an welcher satanischen
Blähung eines Generals, den vielleicht ein
Zwischenfall beim »Sautanz« zu einer furiosen
Aufarbeitung von »Wird vollzogen« gestimmt hatte,
die beiden unglücklichen Frauen gestorben sein
mögen.
Der Optimist: Ja, ja, von Ihnen wird es
einmal heißen, daß ein Vogel, der sein eigenes
Nest —
DerNörgler: — niederreißt anstatt ein fremdes
aufzubauen, ich weiß schon. Mit dieser Ansicht würde
man gewiß den Vogel auf den Kopf treffen. Aber
mit Unrecht, da er eben in Erfüllung der sittlichen
Aufgabe gehandelt hat, vor der eigenen Tür zu kehren.
Diese schmutzige Welt behauptet von dem, der ihr
den Schmutz wegräumt, er hätte ihr ihn gebracht.
Mein Patriotismus — eben ein anderer als der der
Patrioten — vertrüge es nicht, einem feindlichen
Satiriker die Arbeit zu überlassen. Das hat meine
Haltung während des Krieges bestimmt. Ich würde
507
einem englischen Satiriker, der uns mit Recht unmög-
lich fände, raten, sich um die Angelegenheiten seines
eigenen Landes satirisch zu bemühen. Allerdings
gibt es keinen englischen Satiriker.
Der Optimist: Shaw.
Der Nörgler: Nun eben. Aber selbst der
betätigt jenen echten Patriotismus, der es vorzieht,
seine Landsleute zu tadeln statt sie zu betrügen.
Doch wem die allgemeinen Dinge über die staat-
lichen gehen, der muß die Gemeinheit der Dinge,
die Abscheulichkeit dieser Kriegswelt an den
nächstliegenden Beispielen darstellen und die
Aussage eines, der in ihrer Atemnähe lebte, wird
unverdächtig sein.
Der Optimist: Sie sind aber ein unerbitt-
licher Staatsanwalt.
Der Nörgler: Gegen solche Staaten.
Der Optimist: Wenns nach Ihnen ginge,
wäre Österreich längst zum Tod verurteilt.
Der Nörgler: Leider wird es das erst sein,
nachdem es die Österreicher zum Tod verurteilt
hat, und nicht schon vorher. Hier denke ich an
die überlebenden Österreicher, die dank der Zu-
ständigkeit zur Monarchie einem Schicksal entgegen-
gehen, das sie als Volk nicht verdient haben. An
den andern, die sich gegen solche Zuständigkeit
gewehrt, oder zumeist nicht einmal das getan haben,
hat Österreich selbst ja die Todesstrafe noch bei
seinen Lebzeiten vollzogen.
Der Optimist: Und glauben Sie, daß der-
gleichen bei den Feinden nicht vorgekommen ist?
Die Engländer haben auch ihre Hochverräter hin-
gerichtet. Denken Sie an Casement.
Der Nörgler: Ich besitze von diesem Fall
keine Ansichtskarte. Abgesehen davon, daß Casement
von einem Gerichtshof zum Tode verurteilt und hierauf
508
erschossen worden ist, während mit Battisti der
kürzere Prozeß gemacht wurde, indem man ihn
gefangen und aufgehängt hat, nachdem man ihn
allerdings noch zur Verschärfung der Todesstrafe
gezwungen hatte, das Gotterhalte stehend anzu-
hören — dürften bei der Hinrichtung Casements, die
England ja nicht als Kirmes gefeiert hat, kaum amtliche
Photographien hergestellt worden sein. Bilder, die
nicht nur eine Galgenprozedur, sondern auch die
bestialische Assistenz als Triumph verewigen, Bilder,
die einen strahlenden Henker im Kreise animierter
oder verklärt blickender Offiziere zeigen, dürften
selbst in der Heimat der farbigen Engländer schwerlich
aufgetrieben werden. Ich aber möchte speziell einen
Preis aussetzen auf die Agnoszierung des gräßlichen
Klotzes von einem k. u. k. Oberleutnant, der sich
direkt vor einen hängenden Leichnam gestellt und
seine aussichtslose Visage dem Photographen dar-
geboten hat, und auch jener dreckigen Feschaks,
die heiter wie an der Sirk-Ecke versammelt sind
oder mit Kodaks herbeieilen, um nicht nur in
betrachtender, nein in photographierender Stellung
auf das Bild zu kommen, in dem der sogenannte
Seelsorger in der Runde von hundert erwartungsvollen
Teilnehmern nicht fehlen darf. Denn es wurde nicht
nur gehängt, es wurde auch gestellt; und photo-
graphiert wurden nicht bloß die Hinrichtungen,
sondern auch die Betrachter, ja sogar noch die
Photographen. Und der besondere Effekt unserer
Scheußlichkeit ist nun, daß jene feindliche Propa-
ganda, die statt zu lügen einfach unsere Wahrheiten
reproduziert hat, unsere Taten gar nicht erst photo-
graphieren mußte, weil sie zu ihrer Überraschung
unsere eigenen Photographien von unsern Taten
schon am Tatorte vorgefunden hat, also uns »als Ganze«,
all in unserer Ahnungslosigkeit — die wir nicht spürten,
daß kein Verbrechen uns so vor der Umwelt entblößen
könnte wie unser triumphierendes Geständnis, wie
509
der Stolz des Verbrechers, der sich dabei noch
»aufnehmen« läßt und ein freundliches Gesicht macht,
weil er ja eine Mordsfreud hat, sich selbst auf
frischer Tat erwischen zu können. Denn nicht daß
er getötet, auch nicht daß er's photographiert hat,
sondern daß er sich mitphotographiert hat; und daß
er sich photographierend mitphotographiert hat —
das macht seinen Typus zum unvergänglichen Licht-
bild unserer Kultur. Als ob, was wir getan haben,
nicht für sich selbst sprechen würde! Die Auditoren
der Hölle, die sich durch ihre Leistungen vom Zwang
zum Heldentod befreit haben wie nu-r die Dichter
des Kriegs, haben wahrlich ganze Arbeit geleistet. Aber
nach dem Henker mußte noch der Photograph heran.
Nein, die für ein k. u. k, Kriegsarchiv gestellten
Gruppen behaften die Erinnerung an Österreich mit
einem Schandfleck, der in Äonen nicht untergehn wird !
Der Optimist: Von all dem hat sicher der
Kaiser Franz Joseph nichts gewußt.
Der Nörgler: Er hat seit jeher nur gewußt,
daß sein Henker den letzten, einzigen und wahren Hort
der Zentralgewalt bedeute. Als ihr leuchtendes,
lachendes Symbol, in voller Kaffeesiederwürde und
Weltrichiergemütlichkeit steht jener da, weit entfernt
von Hochmut und von Schwäche, denn mir wcrn
kan Richter brauchen, wohl aber einen Scharfrichter.
Der Optimist: Er als ritterlicher Monarch —
Der Nörgler: — hat schon in seiner Jugend
die Abordnung der Mütter, Gattinnen und Töchter
von Mantua, die in Trauerkleidern für ihre Söhne,
Gatten und Väter um Abwendung der Galgenstrafe
herangewallt kamen, abgewiesen. Doch haben sie
nachher die Henkerrechnung bezahlen müssen.
Das Andenken Österreichs ist bis heute in jenen
Gegenden unverwischt und das weltgeschichtliche
Motiv der '^Treulosigkeit« mag seine Erklärung in
dem nachzilternden Grausen finden, mit dem man
510
dort noch jetzt von jenen Taten spricht, und in der
diplomatischen Überlieferung: »la corde savonnee«,
diese Spezialität, sei der einzige österreichische Export-
artikel gewesen. In hoc sigrip wollte es siegen! Seine
letzte Henkerrechnung wirdÖsterreich selbst bezahlen.
Der Optimist: Wie das? Wann?
Der Nörgler: Nach seiner Hinrichtung!
(Verwandlung.)
30. Szene
Standgericht.
Hauptmann-Auditor Dr. Stanislaus
V. Zagorski (verkündet das Urteil. Man hört die folgenden
Sätze, die er besonders betont) :
Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte
Hryb 26 Jahre alt und des Lesens und Schreibens
unkundig ist, somit keine Bildung hat, sowie ange-
sichts dessen, daß die Schuld des Angeklagten Hryb
dem Standgericht die kleinste mit Rücksicht auf die
Sciiuld der anderen Mitangeklagten zu sein schien,
hat das Standgericht beschlossen, daß die gegen den
Angeklagten Hryb gemäß §444 M.-St.-P.-O. ausge-
sprochene Todesstrafe dieser Angeklagte als erster
abzubüßen hat.
Die über den Angeklagten Struk ver-
hängte Todesstrafe soll derselbe als zweiter abbüßen,
weil seine Schuld im Verhältnis zur Schuld des Erst-
angeklagten krasser ist.
Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte
Maeyjiczyn durch längere Zeit mit den Russen in
Verbindung gestanden ist, wurde beschlossen, daß
er als dritter die Todesstrafe abzubüßen hat.
— — Unter einem wurde beschlossen, daß
dieser Angeklagte in Würdigung der ihm zur Last
gelegten Tat die Todesstrafe als vierter in der Reihe
abzubüßen hat.
511
Die über ihn gemäß § 444 M.-St.-P.-O.
verhängte Strafe soll Angeklagter Dzus als fünfter
verbüßen, weil seine lügnerische Verteidigung darauf
hinwies, daß er den Russen vollauf ergeben war.
— — und hat diese Strafe in Würdigung
seiner Handlungsweise als sechster abzubüßen.
— — Die Todesstrafe hat der Angeklagte
Kowal als der siebente abzubüßen.
— — Nachdem dem Fedynyczyn zwei straf-
bare Handlungen zur Last fallen, soll er die Todes-
strafe als achter verbüßen.
— ~ Mit Rücksicht auf die Schwere der dem
Fedor budz zur Last gelegten Tat soll derselbe die
Strafe als neunter abbüßen.
Die auferlegte Strafe hat Petro Dzus
als zehnter abzubüßen, mit Rücksicht auf die Schwere
seines Verschuldens.
hat das Standgericht angenommen, daß
seine Schuld die größte ist und daß er eben die
gegen ihn verhängte Todesstrafe als letzter abzu-
büßen hat. Die Verhandlung ist geschlossen.
(Die Delinquenten werden abgeführt.)
Ein Offizier: Gratuliere. Das war saftig.
Spürt ma halt gleich, daß du ein Advokat bist. Du,
wieviel Todesurteil' hast eigentlich schon hinter dir?
Zagorski: Das is akkurat das hunderste —
also das heißt das hundertzehnte.
Die Offiziere: Gratulieren! Jubiläum! Ja
warum sagst das nicht?
Zagorski: Danke, danke ! Und jeder Exekution
hab ich persönlich beigewohnt, das kann ich mit
Stolz sagen. Und wie oft hab ich noch bei den
Exekutionen fremder Todesurteile assistiert!
Zweiter Offizier: Geh. Da überanstrengst
dich aber! Nimmst es zu gewissenhaft.
Zagorski: Ja das is ein aufreibender Dienst !
512
Erster: Weißt, er is halt ein gelernter Jurist
das is nicht aso —
Zagorski: No ja, da muß man so ein Todes-
urteil sorgfältig begründen — ein Vergnügen ist
das nicht.
Zweiter: Ujegerl, da ham wir schon Schererein
ghabt, früher mit dem Obersten! Der war dir ein
geschworener Feind vom Standrecht. Er hat immer
gsagt, das is eine verbohrte juristische Klügelei.
Einfach niederm.achen! hat er gsagt.
Erster: No das is nix gegen den Ljubicic,
weißt, elftes Korps wo ich war. Der hat doch den
Wild, da erinner ich mich, der Wild hat doch zwischen
Weihnachten und Silvester 1914 zwölf p. v. hängen
lassen, an einem Tag sechs. Der sagt, er braucht
überhaupt kein gerichtliches Urteil als K- Offizier.
Er hat auch viel abstechen lassen.
Zweiter: No und der Lüttgendorff! Der hat
auch immer gsagt, er braucht kein Gericht, dafür hat
ers abgekürzte Verfahren, hat er gsagt. Einmal hat
er drei Kerle, weil s' bsoffen warn, durch'n Korprai
abstechen lassen. Das war in Schabatz, zum aller-
höchsten Geburtstag, ich denk's wie heut. Und fesche
Bastonnaden hats geben und schöne Evakuierungen!
No und Brandlegungen, da muß man schon tulli sagen!
V/eißt damals in Syrmien, wie's jedes zweite Haus
niederbraniit habn! Also da hat er amal ein Exempel
schtatuiernv/olln.da habn s' ein ganzes Dorf ausghoben
zum Niedermachen, weißt mit hochschwangere Frauen
und so, alle habn s' zu Fuß bis nach Peterwardein
müssen. Ob s' nacher alle niedergmacht habn, weiß ich
nicht. Jedenfalls habn s' bei der Nacht bei die
Niedergmachten bleiben müssen, die Angehörigen
und so, die was frei kommen sind. Weißt, die
ungarischen Gendarmeriewachtmeister, die Komman-
danten der Streifabteilungen, habn die Strafsachen
513
gern im ab'kürzten Verfahren erledigt, die Leichen
sind alle liegen blieben, von die Lehrer, Geistlichen,
Crtsnotäre, Förster und so.
Erster: No bei die Internierungen hat mehr
herausgschaut!
Zweiter: Das war später, wo sie 's dann
plangemäß ausgerottet habn. Dafür waren aber auch
die ungarischen Lager erstklassig eingerichtet.
Hunger, Stockhieb und Flecktyphus — das gibt
scho was aus bei die Serben!
Dritter Offizier: No ja, aber alles was recht is,
ein Justizverfahren is das halt doch nicht mehr.
Zweiter: No ja natürlich, das is mehr admini-
strativ. Daß du aber nicht glaubst — weißt beim
Lüttgendorff war jeder Fall mit einem Dienstzettel
belegt: Justifizierung verfügt! No für eine Ver-
handlung wie bei uns hier, war dir der Lüttgen-
dorff halt zu nervös. Mit die Richter hat er gschimpft,
ujegerl! Da hats immer gheißen: Hofrat! Bandler!
Patzer! Weißt, gleich aufhängen war ihm das Liebste,
natürlich nur bei mildernde Umstand, sonst hat er
hauptsächlich mit 'n Bajonett arbeiten lassen.
Erster: Habts ihr schon amal an Nazarener
ghabt?
Zweiter: Was is das? So was gibts doch
nicht mehr!
Erster: Aber ja, Nazarener, weißt, das sind
so Kerle, die sich aus Religion weigern, ein G'wehr
zu nehmen, eh scho wissen. Da hab ich einmal einen
solchen Kerl ghabt, der war a Landwirt und is als
Fuhrmann verwendet worn. Seine bisherige Aufführung
war eine gute, also nach der Konduite war er unbe-
scholten und bis auf das, daß er beim Formieren
ka G'wehr nicht hat nehmen wolln, is eigentlich nix
gegen ihn vorglegen. Aber wie er so vor uns
Die letzten Tage der Menschheit. 33
514
gstanden is, hat er mir halt einen höchst ungünstigen
Eindruck gmacht. NämHch wie er schon gewußt
hat, daß er zum Tod verurteilt wird, hat er, aber
weißt ohne die geringste Reue zu zeigen, also hat
er dir einfach erklärt, er nimmt 's Gwehr auch
dann nicht, wann er dafür erschossen wird. Also da
hats naturgemäß auch keine Gnadengründe gegeben
bei solcher Verstocktheit! No der Stöger-Steiner hat's
naturgemäß bestätigt, wegen dem höchst ungünstigen
Eindruck, den der Mann gmacht hat. Aber jetzt —
das war dir a hakliche Gschicht. Später hat nämlich
der Oberst-Auditor, weißt der Barta, gsagt, im
Bericht an den Obersten Militärgerichtshof — daß das
Urteil auf einen unliebsamen Versehn beruht hat. Weil
angeblich nur auf gewalttätige Widersetzung Todes-
straf is und das KM hat halt schon 1914 für die
Nazarener vorgsorgt, daß sie ohne Waffen in die
Front einzuteilen sind und erst nach 'm Krieg
militärgerichtlich abgeurteilt wern. Aber der Erlaß is
halt bei uns erst nach der Hinrichtung, 1916, einglangt,
kann man halt nix machen. Der Barta hat drei Wochen
Profosenarrest kriegt.
Zweiter: Das war ihm unterm Lüttgendorff
nicht passiert. Da war so a Nazarener — (Geste)
rrtsch obidraht, mei Lieber!
Zagorski: Ja, unsereins hat nicht so freie
Hand als Jurist, verstehst du. Ich laß mir Zeit —
no und ich hab doch schon mehr geleistet wie sogar
der Wild!
Zweiter: No ja du!
Zagorski: Mein intressantester Fall war in
Munkacs, das war im Herbst 1914 — da war man
noch mit Leib und Seele dabei. Da waren drei
galizischeFlüchtlinge, einPfarrer Roman Beresowszkyi,
ein gewisser Leo Koblanskyi und der Ssemen Zhabjak,
die hab ich natürlich zum Tod verurteilt, no und in
Vollzug gesetzt —
515
Zweit er: Hast dabei auch so schön arranschiert —
nach der Reih — ?
Zagorski: Woher denn, die haben ja alle
drei lesen und schreiben können und außerdem
waren s' alle gleich schuldig — das heißt, wenn
mans genau nimmt, waren s' alle unschuldig.
Erster: Unschuldig — waren s', wieso?
Zagorski: Ja, das is eben das Intressante.
Die Sache ist nämlich vom Militärgericht in Stryi
wieder aufgenommen worden, und da stellt sich
heraus, daß sie unschuldig sind.
Die Offiziere: Das is a Pech.
Zagorski (lachend): Wieso? Der ukrainische
Nationalrat hat sich doch über mich beim AOK
beschwert! No da könnts euch denken —
Erster: Ah so! No was warst damals?
Zagorski: Oberleutnant.
Erster: Und wann bist du Hauptmann gworn?
Zagorski: No v/ie sich herausgestellt hat,
daß sie unschuldig waren!
Zweiter: Glaubst, daß da also ein direkter
Zusammenhang is — daß man dir aiser quasi
hat eine Genugtuung geben woUn?
Zagorski: Das will ich nicht grad behaupten,
so feinfühlig sind sie beim AOK nicht — aber
durch die Beschwerde is man auf mich aufmerksam
geworden, da hat man gesehn, was ich für eine
Arbeitskraft bin, no und dann — wenn sich eine
p. u.- Nation über unsereinen beschwert! Verstehst,
wenn ein Ruthene uns schaden kann, so schadet
er uns nicht durch eine Beschwerde, sondern
höchstens dadurch, daß er noch am Leben is.
33»
516
Dritter: No glaubst am End — daß die elf,
was wir heut verurteilt ham, auch unschuldig sind?
Also wenn mas genau nimmt, bewiesen is eigent-
lich nur —
Zagorski: — daß sie Ruthenen sind. No das
wird doch genügen! Ein Uhr — gehmr in die Menage.
(Verw:indlung.)
31. Szene
Schönbrunn. Arbeitszimmer. Der Kaiser sitzt vor dem Schreib-
tisch und schläft. Ihm zur Seite steht je ein Kammerdiener.
Der rechte Kammerdiener: Arbeit' scho
wieder unermüdlich.
Der linke Kammerdiener: Jetzt is drei-
viertel auf neun, sieben Minuten vor halber zehn fangen
die Audienzen an, das is ein rechtes Kreuz is das.
Der rechte: Pst — hör zu — der Weiland
sagt was —
Der Kaiser (spricht aus dem Schlaf) : Justament
nicht — grad nicht — ich mach keinen Frieden mit
die Katzeimacher — mei Ruh will i haben — man hat
mich drangekriegt — es war sehr schön — gehts
weg — 's zweite Knopfloch is um ein Millimeter zu
hoch — was? Der Franz is wieder da? — schmeiß'n
außi — es hat mich sehr gefreut — der Rudolf soll
net alleweil mit die Fiaker — ghört sich denn das?
— mir bleibt doch nichts erspart — warten solln s',
ich fang erst dreizehn Minuten vor dreiviertel an —
was sagst Kathi? Bist gscheit, daß d' die Preißn
nicht schmecken kannst — das is ein Elend —
man hat mich drangekriegt — no ja, kann man halt
nix machen — (er erwacht) Was — was wollts denn —
ich — unterschreib eh schon. (Der linke Kammerdiener
reicht die Feder. Der Kaiser unterschreibt mehrere Aktenstücke.)
Du, wer kommt denn heut?
517
Der rechte: Majestät, der Emanuel Edier
von Singer für die Erhebung in den Adelsstand —
Der Kaiser: Ah der Mendl, das is gscheit.
Der linke: Und dann der Riedl fürn Franz
Josefs-Orden.
Der Kaiser: Ah der Riedl, das gfreut mich,
wie gehts ihm denn dem Riedl?
Der rechte: Er is nicht mehr der Alte. Letzte
Wochn soll er g'legen sein. Es is unsicher, ob er
heut kommt.
Der Kaiser: Was, war net schlecht, so ein
junger Mensch !
Der linke: Ja, Majestät, um dreißig Jahr
jünger wie Majestät, aber was Rüstigkeit anbelangt —
Der Kaiser: Ja, da hast recht — du Ketterl,
wie gehts denn dem Beck?
Der rechte: Ujegerl Majestät ! (Er kopiert die
Haltung eines zitterigen Greises).
Der Kaiser: Was, mit seine 84 Jahr, der
Bua soll sich schämen — (er lacht und bekommt einen
Hustenanfall, die Kammerdiener halten ihn.) Is SCho guat.
(Der linke Kammerdiener verläßt das Zimmer.) Wohin
gehst denn?
Der rechte: Er holt nur 's Pulver.
Der Kaiser: Ich brauch kein Pulver, justament
nicht —
Der linke (kommt mit dem Pulver und gibt es ihm ein):
Grad hör ich —
Der Kaiser (nimmt das Pulver): Man hat mich
drangekriegt.
Der linke: Grad hör ich Majestät, daß der
Riedl krankheitshalber verhindert is.
Der Kaiser: Horts auf. M4r bleibt doch
nichts erspart.
Der rechte (zum linken): Uje, jetzt kommt das
lebenslängliche Couplet, das kennen mr eh.
(Der Kaiser schläft wieder ein. Die beiden Kammerdiener
entfernen sich auf Zehenspitzen. Schlafend singt er das folgende)
fe^i j j Ij h^
^W
^J y . .H^^l !J r j .^
i!; • j^j ' •
L. ■ "r 1 "^
'P p r
#^^ 1 ■ « « rtfe i
-^ -^
■»■■
1
5^ ^ r ' i 1'-^ — ■ — '
U^
^^!i ^ 1 f^
^^
Ij f J M
Wie ich zur Welt bin 'kommen,
da war a Schlamperei.
Ich hab mir vorgenommen,
mir is alles einerlei.
An Pallawatsch hats 'geben
von einer eigenen Art.
Was? Ich soll in das Leben?
Mir bleibt doch nichts erspart.
Als Bub spiel ich Theater:
von Barrikaden schauen s' zu.
Ich spiel, hilf Himmelvater,
»Wirrwarr« von Kotzebue.
Das Volk, es schreit sich heiser,
noch fehlt des Kaisers Bart —
da bin ich schon der Kaiser.
Mir bleibt doch nichts erspart.
Diyi
Nach Ruh nur allweil lechz' ich,
daß ich von nix nix weiß,
denn spiel ich Sechsundsechzig,
den Preis gewinnt der Preiß'.
Ja, das muß ich doch sagen,
das Glück war mit mir hart.
Mein Reich lag mir im Magen
und mir blieb nichts erspart.
Ich kann mich nicht erinnern,
daß ich erlebt nicht hätt'
im Äußern und im Innern
ein Kreuz und halt ein Gfrett.
Der Sohn, die Frau, der Otto
bis in die Gegenwart
bleibt meines Lebens Motto:
Mir bleibt doch nichts erspart.
Nur Pech in der Verwandtschaft —
längst hätte ich es satt,
hätt' ich nicht die Bekanntschaft
mit ihr, der Kathi Schratt.
Mit ihr allein ich's aushalt,
obschon sie schon bejahrt
und kostspielig der Haushalt —
auch ihr bleibt nix erspart.
Doch find ich, sie und alles
in Österreich war sehr schön.
Das Reich hat zwar den Dalles,
doch hoff ich, 's wird schon gehn.
Die Ehre ist oft bitter,
von Gold die Schande starrt.
Ich mach den Jud zum Ritter —
er hat sich was erspart.
520
Nur Ärger, nix als Kummer,
oft krieg ich eine Wut.
In Ischi nur, im Summer,
da g'freut mich mancher Jud.
Der denkt, wie er nur Geld krieg'
was der zusammenscharrt
in diesem säubern Weltkrieg!
Hätt' ich mir den erspart!
Nur einem Freudenfeste
hab ich einst beigewohnt:
das war der Fall des Este —
der hat sich doch gelohnt! (Er erwacht.)
Wie man es hinterbracht hat
ganz schonend mir und zart,
mein linkes Aug' gelacht hat:
Schaut's, der bleibt uns erspart!
Es war sehr schön, so meint' ich
und grüßte alle Leut,
leutselig lacht' und weint' ich,
es hat mich sehr gefreut.
Recht g'schichts ihm, schmecks, nun büß' er,
weil auf mein' Tod er g'wart'.
Der Geizhals war kein Grüßer
hat am Gemüt gespart.
Ein freudiges Erlebnis
für mich und für das Land
war das spanische Begräbnis
des Neffen Ferdinand.
Wir folgten unsrem Hasse
auf lustiger Leichenfahrt.
Begräbnis dritter Klasse —
da blieb mir was erspart.
521
Die G'schichte war erledigt,
erlöst hat uns der Tod.
Für den Verlust entschädigt
hab ich das Reich durch Not.
War' das Malheur nicht gschehen
durch Geistesgegenwart,
war' ein Malheur geschehen!
So blieb es uns erspart.
Laßt Gott uns dafür preisen!
Mein Kreuz ist endlich rot.
Gold geben sie für Eisen,
Gift nehmen sie für Brot. (Er schläft ein.)
Nachdem ich so viel Leid trug,
mein Reich liegt aufgebahrt.
Das Volk sein Scherflein beitrug,
auch ihm bleibt nichts erspart!
Doch spür ich keine Reue,
doch geb ich keine Ruh.
Durch Nibelungentreue
drückt mich nicht mehr der Schuh.
Der Wilhelm, hätt' Geduld er!
Der Treubund ist sehr hart.
Jetzt drückt mich nur die Schulter.
Da wird mir nix erspart!
Die Schulter statt zu stützen,
sie drückt mich noch zu Tod,
und zu den faulsten Witzen
gehört der Nibelungen Not.
Das Schicksal hat, man weiß es,
mich oft und oft genarrt —
sein Essen, ach der Preiß' es
von meinem Munde spart!
522
Was hab ich von dem Bund doch!
Es geht mir glorreich schlecht.
Beim deutschen Gott, kein Hund doch
so länger leben möcht'!
Ach ums Panier der Treue
haben wir uns schön geschart —
der Freund frißt meine Säue,
mir bleibt ein Dreck erspart.
Es ist ein Bund des Pferdes
mit einem Reiter toll
und für den Schutz des Herdes
verlangt er hohen Zoll.
Das Volk, es preist das Deutsche.
Es war sehr schön beim Start.
Mich aber peitscht die Peitsche —
das Ziel bleibt mir erspart.
In dem Kalkül ein Loch ist:
der Preiß', er macht mir heiß.
Hoch ruft das Volk, doch hoch ist
von allem nur der Preis.
Ein Roß nicht ahnen kunnte,
wohin es ging' der Fahrt.
Der Preiß', man wanen kunnte,
der bleibt mir nie erspart!
Wie immer ich mich wende,
ich sitz dem Reiter auf
und kehr mit blutiger Lende
von seinem Siegeslauf.
Der Preiß' sitzt mir im Nacken,
die Treu er mir bewahrt.
Mein Thron ist seine Tacken,
kein Tritt bleibt mir erspart.
523
Nicht endet meine Klage,
nicht endet mein Verdruß,
auf meine alten Tage
ich holienzollern muß!
Wozu, das möcht' ich fragen,
hab so ich mich gepaart —
nur um wiederamal zu sagen:
mir bleibt doch nichts erspart?
Was sind denn das für Sachen?
Bin ich nicht Herr im Haus?
Da kann man halt nix machen.
Sonst schmeißt er mich hinaus.
War' ich im Sommer sieben
gefolgt dem Eduard,
so wäre mir geblieben
so mancherlei erspart.
Mit Hurra gehts herunter
bis auf den Kladderadatsch.
Jetzt geht der Wiener unter!
Wir heißen 's Pallawatsch.
In diesem Weltenkriege
krieg ich den schoflen Part
und wie ich immer siege,
der Sieg bleibt mir erspart.
In der Geschichte steht es,
was immer mir geschah.
Seit siebzig Jahren geht es
in einem Pfui k. k. !
Mit Justament regier ich
auf eine eigene Art,
und meine Völker führ ich,
daß uns ka Hetz erspart.
524
Ihr dürft noch lang nicht hoffen
aufs End von mein' Couplet.
Es hat noch Katastrophen —
Euer Gnaden wissen eh.
Mir wem kan Richter brauchen
nach dieser Praterfahrt!
Wenn erst die Trümmer rauchen,
wird am Tabak gespart.
In der Geschichte steht es,
was immer mir geschieht,
und wie man immer dreht es,
sie bleibt das Weltgericht.
Den Narren gab ich Titel
dem Volk des Kaisers Bart.
Die blutigsten Kapitel
hab ich mir aufgespart.
Mir war seit Kindesbeinen
schon alles einerlei.
Doch g'freut mich heut wie keinen
die blutige Schlamperei!
Heut bin ich ja noch rüstich,
noch rüst ich nicht zur Fahrt,
noch nicht für alles büßt ich,
noch viel bleibt euch erspart!
Noch bisserl Blut sehn will ich,
man nimmt an Weisheit zu,
und justament erst spiel ich
Wirrwarr von Kotzebue!
Noch bin ich ja der Alte,
Lorbeer den Kopf behaart.
Dem Volk mich Gott erhalte!
Ihm, dem ja nichts erspart.
525
Erhalt' er mich in Plagen!
Noch ists nicht an der Zeit,
»Es war sehr schön« zu sagen,
»es hat mich sehr gefreut*.
Die Welt muß erst verzweifeln,
worauf ich gnädig wart.
Dann fragen s' mich bei den Teufeln,
ob mir noch was erspart!
Und der nur Ruh wollt haben,
geht endlich selbst zur Ruh.
Doch eh' sie mich begraben
und eh' der Sarg fallt zu —
»So jung noch, soll ich«, frag ich,
»schon auf die letzte Fahrt?«
Und noch einmal g'schwind sag ich:
Mir bleibt doch nichts erspart!
(Die beiden Kammerdiener nähern sich auf Zehenspitzer.)
(Verwandlung.)
32. Szene
Kragujevac, Militärgericht.
Der Oberleutnant-Auditor (hinausrufend):
Solln sich aufhängen! (zum Schriftführer) Sind die drei
Todesurteile ins Reine geschrieben? Die über die
drei Burschen aus Karlova mein ich, die Gewehre
gehabt haben.
Der Schriftführer: Jawohl, aber (zögernd)
da — möchte ich auf einen Umstand aufmerksam
machen, da — hab ich die Entdeckung gemacht —
daß sie erst achtzehn Jahre alt sind —
Der Oberleutnant- Auditor: Nun und?
Was woHen Sie damit sagen?
Der Schriftführer; Ja — da dürfen sie
aber — nach dem Militärstrafgesetz nicht hingerichtet
werden — da muß das Urteil — auf schweren Kerker
abgeändert werden —
526
Der Oberleutnant-Auditor: Geben S' her!
(Er liest.) Hm. Da wem wir nicht das Urteil, sondern
das Alter abändern. Es sind sowieso stattliche
Burschen. (Er taucht die Feder ein.) Da schreiben wir
halt statt achtzehn einundzwanzig. (Er schreibt.) So,
jetzt kann man sie ruhig aufhängen.
(Verwandlung.)
33. Szene
Ischler Esplanade. Eine teilnehmende Gruppe umgibt den alten
Korngold.
Der alteKorngold (händeringend): Er is doch
nicht gesund! Er is doch nicht gesund! (Wird von der
Gruppe abgeführt.)
Ein Kurgast (spricht einen andern an): No Sie
wern mir doch sagen können, Sie sind doch intim
in Theaterkreise, also is es wahr was man hört
oder is es bloß ein Gerücht?
Der andere: Der alte Biach?
Der erste: Konträr, der junge Korngold!
Der andere (ernst): Es is wahr.
Dererste: Hören Sie auf — also den jungen —
Korngold — ham sie genommen?
Der zweite: Wenn ich Ihnen sag! Was sagen
Sie z.u Biach? (Beide ab.)
Dritter Kurgast (kopfschüttelnd zu seinem
Begleiter): Einen Mozart! Und wo er doch bei der
Presse is!
Vierter (sich umsehend): Ein Racheakt. (Beide ab.)
(Fräulein Löwenstamm und Fräulein Körmendy treten im Dirndl-
kostüm auf.)
Fräulein Löwenstamm: Es hat aufgehört
zu regnen!
Fräulein Körmendy: Also was is? Gehts
ihr nactimittag am Nussensee?
527
Fräulein Löwen stamm: Wenn es so bleibt, ja,
sonst selbstredend zu Zauner! Was is abends?
Gehts ihr? Wir ham Sitze, der Schalk dirigiert von der
Oper. (Ein anderes Dirndl geht vorbei.) Du — SChaU
dir sie jetzt an — !
FräuleinKörmendy: Möcht wissen, worauf
herauf sie so herumgeht.
Fräulein Löwenstamm: Ihr Bruder verehrt
doch die Wohlgemuth!
Fräulein Körmendy: Dort kommt der
Bauer mit dem Lehar. (Ab.)
Bob Schlesinger (Janker, nackte Knie) : Was da
hergemacht wird! Wetten, nächste Woche is er ent-
hoben! Ein Wort wenn ich dem Hans Müller sag!
Baby Fanto (Tenniskostüm): Aber! Ein Wort
vom Papa! In unserem Haus in Baden verkehrt
doch bekanntlich das ganze Aokah! Der Arz
wälzt sich, wenn der Tury einen Witz macht, und ich
kopier ihm die Konstantin.
(Ein Hofwagen fährt vorbei. Sie grüßen.)
Bob Schlesinger: Ich glaub, er war leer.
Baby Fanto: Ich glaub, der Salvator, (Ab.)
Ein alter Abonnent: Was sagen Sie zum
jungen Korngold?
Der älteste Abonnent: Das kann in
England nicht ohne Eindruck bleiben. (Ab.)
(,Man hört von ganz fern die Rufe des alten Korngold.)
(Verwandlung.)
34. Szene
Wachstube.
Der Inspektor: Aha, da is sehe wieder so a
syphilitischer Schlampen! Und verlaust is'!
Ein Wachmann: Die kenn i eh. Die is wegen
Diebstahl abgstraft und wegen Vagabundasch war's
aa eingliefert. Im Spital war s' eh scho.
528
Der Inspektor: Wie alt bist denn? Wem
ghörst denn?
Die Siebzehnjährige: Der Vater is eingrückt,
die Mutter is gstorben.
Der Inspektor: Seit wann bist denn bei
dem Leben?
Die Siebzehnjährige: Seit 1914.
(Verwandlung.)
35. Szene
Ei« Berliner Nachtlokal.
Eine gröhlende Stimme (aus dem Hintergrund):
Das Dünnbier ist ein scheußliches Geschlampe
Und als Getränk mau mau!
Gießt du davon zuviel in deine Wampe,
Dann wird dir tlau !
Bringt Burgeff-Grün, ihr Hundejungen! Friedelchen
bleib man da, süße Toppsau — bewahre Sitzfleisch —
ihr Vatalanusverräter — wat? — nu mal rin in die
Sommeschlacht —
Frieda Gutzke (spuckt ihm auf die Glatze) : Hopla,
Vata siehts ja nich — (geht nach vorn.)
(Sally Katzenellenbogen, Export, Frankfurt a./O. tippt seinem
Nachbarn, dem Rechtsanwalt Krotoschiner II an die Schulter.)
Katzenellenbogen: Wie sagt doch Nietzsche?
Jehst du zum Weibe, vajiß de Peitsche nich!
Krotoschiner II: Na hörn Se mal, lassen Se
mich man bloß mit dem Mann zufrieden, der
Mann is mir nich maßgebend, der hat doch
bekanntlich 'n böses Ende jenommen. Oberfauler
Kunde, sage ich Ihnen. Kenn Se Dolorosa?
Katzenellenbogen: Nee. Sitzt dort nich
Hertha Lücke vom Palais de danx, Kantstraße fünfzehn
Belletahsche, Kurfürst achthundertvierundfunfzigtau-
sendsiebenhundertsiebenundfunfzig?
529
Krotoschiiier II: Acli Unsinn, Jejenteil, das ist
Gerda Mücke vom Lindenkasino, Leibnizstraße neun-
undfunfzig zwei Treppen, Lützoo neunhundertsieben-
undfunfzigtausendachtliundertdreiundfunfzig.Teelefonn
mit Warmwasser, Luftschiff im Hause, zu jedem
Appartemang 'n Kuiturbatt, tipptopp I Kann famos
pieken!
Katzenellenbogen: Jewiß doch, mit das
schickste Mädchen, das wa jetzt in Berlin haben —
un wissen Se, wer neben sitzt? Motte Mannheimer,
Kunststück — wickelt se alle in blaue Lappen.
(Die Musik spielt das Lied »Ach Puppe sei nicht so neutral !«)
Frieda Gutzke (geht vorbei und sagt zu Katzenellen-
bogen): Na horste, sollst nich so neutral sein — was
sitzt ihr beiden denn so miesepetrich da, halli hallo
hopsaßa — (zu Krotoschincr II; na Puppe? Oller mit'n
Kneifer !
Krotoschiner II: Totschick ! Na komm mal ran.
Frieda Gutzke: Nich zu machen, schließt
von selbst — weeßte, der Rittergutsfritze, der
Pommernhengst, immer mit'n roten Kopp, guckt
rüber — andermal — du schenk mr'n braunen Lappen,
ik will Hindenburch benageln. (Sie geht nach hinten.)
Die gröhlende Stimme:
Und was das Schönste ist bei dieser Schose:
Das Reichsbekleidungsamt
(Frieda Guizke singt mit) Gibt uns pro Jahr bloß
eine Unterhose —
Verdammt! Verdammt!
(Verwandlung.)
36. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Nörgler: Dasnenne ich einmal Propaganda
für eine gute und gerechte Sache!
Der Optimist: Was ist es denn?
Die letzten Tage der Menschheit. 34
530
Der Nörgler: Ein Aufruf, der lautet
»Schluß der Kriegsanleihezeichnung!« Ein gutes Wort
zu rechter Zeit.
Der Optimist: Es freut mich, daß Sie so
einsichtsvoll denken. Alles Gerede von einem Ver-
ständigungsfrieden hat sich eben als müßig erwiesen.
Der Nörgler: Es ist, wie Sie sagen. Und
immer klarer stellt sich heraus, daß Deutschland
recht behalten wird: Der Krieg wird militärisch
entschieden werden.
Der Optimist: Daß Sie das sagen! Darin
stimmen wir einmal —
Der Nörgler: - vollkommen überein.
Der Optimist: Ich hoffe Sie auch zu meiner
Ansicht über patriotische Jugenderziehungzu bekehren.
In diesem Punkte kann, da es sich eben darum handelt,
alle Gedanken auf den Endsieg einzustellen, gewiß
nicht genug geschehen. Ich habe Ihnen aber den
Jahresbericht der Kaiser Karls-Realschule mitgebracht,
damit Sie sich überzeugen, daß die Mittelschüler
durchaus nicht zur Beschäftigung mit kriegerischen
Themen gezwungen werden. Es wird ihnen vielmehr,
in den meisten Fällen jedenfalls, die Alternative
gelassen. Zum Beispiel in der V. b Klasse: »Eine
Ferienwanderung« oder »Kriegsmittel neuester Zeit«.
In der VI. a: »Warum ist Lessings Minna von
Barnhelm ein echt deutsches Lustspiel?« oder
»Durchhalten!« Was würden Sie wählen?
Der Nörgler: Durchhalten!
Der Optimist: Da haben wir zum Beispiel:
»Gedanken nach der achten Isonzoschlacht« oder
»Herbstwanderung«. Dann »Inwiefern vermag das
Klima die geistige Entwicklung der Menschheit zu
beeinflussen?« oder »Unser Kampf gegen Rumänien«.
Der Nörgler: Hier wählte ich, um mir's leichter
zu machen, beide Themen auf einmal.
Der Optimist: »Die Hauptgestalten in Goethes
Egmont« oder »Der verschärfte U-Bootkrieg«.
531
Der Nörgler: Ich würde sagen, daß wenn der
verscliärite U-Bootkrieg nicht hinzugetreten wäre,
die Deutschen mit Goethes Egmont England auf
die Knie gezwungen hatten.
Der Optimist: Sie sind ein Optimist. Dann
hätten wir noch: »Schicksal des Menschen, wie
gleichst du dem Wind! (Goethe)« oder >,Wir und die
Türken — einst und jetzt«.
Der Nörgler: Hier wählte ich ganz bestimmt
beide Themen; denn mir scheint, als ob mir just
aus der Verknüpfung ein artiges Stück von einem
Aufsatz gelingen sollte.
Der Optimist: Wie stellen Sie sich zu der
Alternative: »Meine Gedanken vor Radetzkys Stand-
bild« oder »Seine Handelsflotte streckt der Brite
gierig wie Polypenarme aus und das Reich der freien
Amphitrite will er schließen wie sein eignes Haus
(Schiller)«.
Der Nörgler: Was das zweite Thema anlangt,
so würfe ich es dem Deutschprofessor an den Kopf,
würde ihm raten, für seinen pädagogischen Zweck
lieber Lissauer zu zitieren, und ihm beweisen, daß
ich auch die Anfangsstrophe des Schillerschen
Gedichtes kenne: »Edler Freund! Wo Öffnet sich
dem Frieden, wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?
Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, und das
neue öffnet sich mit Mord.«
Der Optimist: Und das erste Thema, »Meine
Gedanken vor Radetzkys Standbild«?
Der Nörgler: Würde ich ohneweiters und mit
Erfolg bearbeiten, denn ich habe vor Radetzkys
Standbild meine eigenen Gedanken. Zum Beispiel,
daß dort schon mehr Schieber vorbeigekommen sind,
als für den Nachruhm Conrads von Hötzendorf
unbedingt erforderlich war.
Der Optimist: Da bemerke ich eben — der
Jahresbericht verzeichnet: »An die Schülerbibliothek
wurden 2 Exemplare Schalek, ,Tirol in Waffen'
34*
532
geschenkt von ürätinBienerth-Schmerling, 1 Exemplar
von der Verfasserin an die Lehrerbibliothek.« Na, das
ist gewiß gut gemeint, aber —
Der Nörgler: Sie sind ein Nörgler. Die heran-
wachsende Generation kann nicht früh genug erfahren,
wie man Schützengräben ausputzt. Ist denn kein
Aufsatz da, der solche Anregungen schon unmittel-
bar verwertet?
Der Optimist (blättert): Etwa der da, fü^ die
Vl.b: »Welcher von unseren Feinden scheint mir
der hassenswerteste?« ^ •
Der Nörgler: Das Thema ist so anziehend,
daß es keiner Alternative bedurft hat. Aber es läßt
ja selbst eine zu, die allerdings schwierig genug ist.
Der Optimist: Und wie hätten Sie gewählt?
Der Nörgler (nachdenkend): Warten Sie — nein,
ich wäre nicht imstande, zu einer endgültigen Ent-
scheidung zu kommen.
Der Optimist: Wenn Sie sich streng an das
Aufsatzthema halten, das da den Sextanern der
Kaiser Karls-Realschule gestellt wird —
Der Nörgler: — so sage ich: Östei reich!
Wenn ich aber wieder auf diese Annonce hier blicke,
so erscheint mir der Militarismus unserer Jugend-
erziehung als ein Kinderspiel gegen das ausge-
wachsene Vorbild.
Der Optimist (liest): »Verkaufs-Kanone,
Christ, militärfrei, repräsentabel und doch dezent,
bisher Reklame-Akquisiteur für Ost- und West-
deutschland und Berlin mit effektiven Erfolgen
und nur prima Referenzen, sucht Generalvertretung
eines ausdehnungsfähigen kapitalskräftigen Unter-
nehmens — — « Nun und?
Der Nörgler: Da weiß ich als Patriot, welcher
von unseren Feinden mir der hassenswerteste scheint!
(Verwandlung^.)
b'66
37. S^ene
Deutsches Hauptquartier.
Wilhelm II. (zu seinem Gefolge): Morjen, meine
Herrn!
Die Generale: Morjen Majestät!
Wilhelm II. (in Positur, mit Autblick zum Himmel):
Es hat unser Herrgott entschieden mit unserem
deutschen Volke noch etwas vor. Wir Deutsche,
die wir noch Ideale haben, sollen für die Herbei-
führung besserer Zeiten wirken. Wir sollen
kämpfen für Recht, Treue und Sittlichkeit. Mit den
Nachbarvölkern wollen wir in Freundschaft leben,
abv.r vorher muß der Sieg der deutschen Waffen
anerkannt werden. Es hat das Jahr 1917 mit seinen
großen Schlachten gezeigt, daß das deutsche Volk
einen unbedingt sicheren Verbündeten in dem Herrn
der Heerscharen dort oben hat. Auf den kann es
sich bombenfest verlassen, ohne ihn wäre es nicht
gegangen. Was noch vor uns steht, wissen wir nicht.
Wie aber in diesen letzten vier Jahren Gottes Hand
sichtbar regiert hat, Verrat bestraft und tapferes
Ausharren belohnt, das habt ihr alle gesehen, und
daraus können wir die feste Zuversicht schöpfen,
daß auch fernerhin der Herr der Hee; scharen mit
uns ist. Will der Feind den Frieden nicht, dann
müssen wir der Welt den Frieden bringen dadurch,
daß wir mit eiserner Faust und mit blitzendem
Schwerte die Pforten einschlagen bei denen, die
den Frieden nicht wollen. Ein Gottesgericht ist über
die Feinde hereingebrochen. Der völlige Sieg im
Osten erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Er läßt
uns wieder einen der großen Momente erleben, in
denen wir ehrfürchtig Gottes Walten in der Geschiente
bewundern können. (Mit erhobener Stimme) Welch eine
Wendung durch Gottes Fügung! Die Heldentaten
unsrer Tr^ippen, die Erfolge unsrer großen Feld-
herren, die bewunderungswürdigen Leistungen der
0Ö4
Heimat wurzeln letzten Endes in den sittlichen
Kräften, die unserm Volk in harter Schule anerzogen
sind, im kategorischen Imperativ! Glauben sie noch
immer nicht genug zu haben, dann weiß ich, werdet
ihr — (Der Kaiser macht eine soldatische Bewegung, die ein
grimmiges Lächeln auf den Gesichtern seiner Mannen hervorruft.)
Der sichtbare Zusammenbruch des Gegners war ein
Gottesgericht. Unsern Sieg verdanken wir nicht zum
mindesten den sittlichen und geistigen Gütern, die
der große Weise von Königsberg unserm Volke
geschenkt hat. Gott helfe weiter bis zum endgültigen
Siege !
(Der Kaiser streckt die rechte Hand vor, die Generale und Offiziere
küssen sie der Reihe nach. Er stößt während des Folgenden,
in der Erregung wie in der Belustigung, einen Ton aus, der
wie das Bellen eines Wolfes klingt. Im Moment der Erregung
bekommt er einen roten Kopf, der Ausdruck wird der eines
Ebers, die Backen sind aufgeblasen, wodurch die Schnurrbart-
enden völlig senkrecht aufstehen.)
Erster General: Majestät sind nicht mehr
das Instrument Gottes —
Wilhelm II, (prustend und pfuchzend): Ha —
Der General: — sondern Gott ist das Instru-
ment Eurer Majestät!
Wilhelm II. (strahlend): Na 's is gut. Ha — I
Zweiter General: Wenn wa jetzt mit Gott
und Gas durchbrechen, so haben wir das ausschließlich
Eurer Majestät genialer strategischer Umsicht zu
danken.
Wilhelm II. (tritt an die Generalstabskarte heran) :
Ha — Von hier bis hier sind fünfzehn Kilometer,
da werfe ich fünfzig Divisionen hinein ! Kolossal — was?
(Er blickt um sich. Beifälliges Murmeln.)
Dritter General: Majestät sind ein Welt-
wunder strategischen Weitblicks!
Vierter General: Majestät sind nicht nur
der größte Redner, Maler, Komponist, Jäger, Staats-
mann, Bildhauer, Admiral, Dichter, Sportsmann,
535
Assyriologe, Kaufmann, Astronom und Theaterdirektor
aller Zeiten, sondern auch — sondern auch (er beginnt
zu stottern) —
Wilhelm II.: Nanu?
Der General: Majestät, ich fühle mich außer-
stande, die Liste der Meisterschaften zu erschöpfen,
die Majestät auszeichnen.
Wilhelm II. (nickt befriedigt) : Na Und ihr andern?
(Sie lächeln verlegen.) Was, ihr verfluchten Kerls, wollt
ihr euern Obersten Kriegsherrn — ha — auslachen?
Ich werde euch — Seckendorff!
(Er gellt auf einen Adjutanten zu und tritt ihm öfter auf den
Rist des Fußes.)
Der Adjutant (hüpft verlegen) : Majestät —
Majestät —
Wilhelm II: Ha — Hacken zusammen-
schlagen! — Na 's is gut, Seckendorff, habe Sie
bloß 'n bisken pisacken wollen. Sekt!
Ein Offizier: Zu Befehl! (Ab.)
Wilhelm IL: Kaviar! (Ein Offizier will abgehen.)
Ha halt! Es ist des Deutschen unwürdig, reichlich
zu leben! — Kaviar! (Der Offizier ab.)
Vierter General: Majestät —
Wilhelm 11: Na was is'n los?
Der General: Majestät — sind auch der
feinste Gourmand aller Zeiten!
Wilhelm II. (strahlend): Na 's is gut. (Sekt und
geröstete Kaviarschnitten werden gebracht. Er trinkt.) Das ist
ja französischer Sekt! Pfui Deibel!
Ein Offizier (klebt eine Eükette >Burgeff-Qrün« auf):
Nein Majestät, es ist deutscher Sekt!
Wilhelm II.: Das ist ja ein famoser deutscher
Sekt! — Ha — Hahnke, möchten wohl auch Sekt — ?
Hurra — (er schwippt den Rest auf das Gefolge und lacht
dröhnend.)
Die Generale (sich tief verbeugend): Zu gnädig.
Euer Majestät!
536
Wilhelm II. (schmiert mit dem Zeigefinger der
rechten Hand den Kaviar und die Butter von einer Schnitte
herunter und streicht sie sich in den Mund): Ha — Hahnke»
möchten wohl auch Kaviar haben — ? (Er wirft das
leere Stück Brot unter die Generale und lacht dröhnend, wobei
er sich mit der rechten Hand auf den Schenkel schlägt.)
Die Generale (sich tief verbeugend): Zu gnädig,
Euer Majestät!
Wilhelm II. (sich an einen Adjutanten wendend) :
Ha — Duncker, nu sagen Se mal, was ist Ihr
Geschmack in der Liebe? Sind Sie mehr für Dicke
oder für Dünne? (Duncker lächelt verlegen. Wilhelm II. zur
Umgebung.) Er schwärmt für Dicke. Er liegt gern weich.
Die Generale: Köstlich, Euer Majestät!
(Der Kaiser lacht wie ein Wolf.)
Wilhelm II. Ha — Krickwilz! (indem er ihn in
den Bauch pufft) Wie macht der Hahn?
Krickwitz (kräht): Kikeriki — Kikeriki —
Vierter General (zu seinem Nachbar): S. M. ist
ein Gott.
Wilhelm II: Ha — Flottwitz — gucken Se
mal dorthin, was dort los ist — (Der Admiral dreht sich
um. Der Kaiser pirscht sich an ihn heran und schlägt ihm mit aller
Wucht auf den Hintern. Der Admiral krümmt sich vor Schmerzen.)
Wilhelm II: Sind Sie verrückt geworden?
Pissen Se mir doch nicht immer auf die Stiebein!
(Zum Generalarzt Martius) Ha — Martius, gucken Se
mal dorthin, was dort los ist. (Der Generalarzt dreht sich
um. Der Kaiser pirscht sich an ihn heran, springt dann auf
ihn los und greift ihm mit der Rechten zwischen die Beine.
Der Generalarzt taumelt vor wahnsinnigem Schmerz und hält
sich an einem Stuhl fest. Er ist kreidebleich. Der Kaiser bricht
in ein tolles Gelächter aus und wendet sich dann, wie er die
Wirkung seines Zugriffs bemerkt, erzürnt ab. Mit rotem Kopf und
aufgeblasenen Backen, prustend und pfuchzend): Kerls sind
ZU dösig — ha — keen Humor bei die Kerls!
I
537
Die Generale: Köstlich, Euer Majestät,
köstlich!
Der erste General (zu den andern): Amor et
deliciae huniani generis.
(Verwandlung.)
38. Srene
Winter in den Karpathen. Ein Mann an einen Baum gebunden.
Kompagnie führer Hiller: Wie viel Grad
hats woll?
Ein Soldat: An die 30.
Hill er: Na, denn könnt ihr'n losbinden.
(Die Soldaten tun es. Der Mann — Füsilier Helnihake — bricht
ohnmächtig zusammen. Hiiler schlägt ihm mit der Faust mehrmals
ins Gesicht.) Nu mal ins Erdloch neben! (Es geschieht.)
Aber ist es denn auch feucht und stinkend genug?
Der Soldat: Jawohl.
Hiller: Fiebert woll schon tüchtich?
Der Soldat: Jawohl.
Hill er: Doppelposten — nu mal ran — das
Schwein bekommt nichts zu fressen und zu saufen.
Darf auch weder tags noch nachts austreten. (Lachend)
Hat er denn freilich auch nich nötich! Also wie gestern.
V.^er was dawider hat, den zerschmettere ich! (Er geht
mit den Leuten ab. Zwei Soldaten bleiben vor dem Erdloch
zurück. Man hört Wimmern.)
Der zweite Soldat: Meinst du nicht auch,
daß wir gottgefälliger handelten, wenn wir statt
seiner — ihn — ?
Der erste: Jawohl.
Der zweite: Zwei sind schon tot. Thomas,
den er bei ebensolcher Kälte gezwungen hat, sich
nackt auszuziehen, und Müller, der krank auf Wache
mußte. Noch fünf andere hat er — (Man hört Stöhnen.
538
Es klingt wie »Durst!«) Ach was — das halte ein anderer
aus! Ich will ihm einen Schneeball an den Mund
halten. (Er kriecht in das Erdloch und kehrt weinend zurück.)
Noch nicht zwanzig Jahre alt — freiwillig ins Feld
gegangen — ! (Hiller erscheint mit Leuten.)
Hiller: Ich habe mir die Sache überlegt. Ich
will mal sehn — der Kerl soll rauskommen ! —
Na wirds?
Der zweite Soldat: Er — kann wohl nicht
mehr, Herr Leutnant.
Hiller: Was is'n los? 'raus mit dem Mistvieh!
(Einige Soldaten zerren Helmhake heraus und schleifen den Reglosen
wie ein Stück Vieh.) So siehste aus. Ach die Drecksau
verstellt sich ja bloß, trampelt ihn doch in den
Hintern! (Er tritt ihn mit dem Stiefelabsatz.) Willst du
laufen, du Schwein!? Ist denn das Aas noch nicht
verreckt?!
Der zweite Soldat (beugt sich zu dem Miß-
handelten nieder, den er berührt, streckt seine Hände wie
abwehrend zu Hiller empor und sagt) : Soeben.
(Verwandlung.)
39. Szene
Ebenda im Unterstand Hillers.
Unterarzt Müller: Tod durch Erfrieren.
Wiederbelebungsversuche vergebens. Das Bedenk-
lichste ist, daß er keine Verpflegung bekommen hat.
Hill er: Wir müssen die Sache so deichseln,
daß uns keiner an den Wagen fahren kann.
Müller: Kein Zweifel, das Menschenmaterial
ist erschöpft und krank. Nichts als Konservensuppe
und die ist gesundheitsgefährlich. Es zeigt sich
ein direkter Erschöpfungswahnsinn. Die Leute buddeln
im Schnee und springen wie die Besessenen herum.
Hiller: Ich gebe ja selbst zu, daß Hunger,
Schläge und Anbinden nicht mehr zureichen, um
den Kampfesmut zu beleben. Was soll man tun?
539
Was Helmhake betrifft, so kann ich sagen, daß ich
alles Erdenkliche getan habe. Dem Vater schreibe
ich so:
Werter Herr Helmhake!
Hierdurch erfülle ich die traurige Pflicht, Sie
von dem plötzlichen Ableben Ihres Sohnes, des
Gardefüsiliers Carl Helmhake, in Kenntnis zu setzen.
Der Arzt stellte blutigen Dünndarmkatarrh fest.
Während seiner kurzen Krankheit ist Ihrem
Sohne die bestmöglichste körperliche und ärztliche
Pflege zuteil geworden.
Wir verlieren in dem Dahingeschiedenen einen
tüchtigen Soldaten und guten Kameraden, dessen
Verlust wir schmerzlich betrauern. Seine Überreste
ruhen auf dem Friedhofe in Dolzki.
(Verwandlung.)
40. Szene.
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Lesen Sie, mit welch
erhebenden Worten die Waffenbrüderliche Ärzte-
tagung eröffnet wurde: Ein wohltuendes Gefühl, ein
erhebendes, echt bundesbrüderliches Bewußtsein soll
es für uns alle sein, daß wir in dem Momente, wo
draußen an unseren Fronten noch der Kampf wütet,
hier mit kaiserlicher Erlaubnis darüber beraten dürfen,
wie am besten und erfolgreichsten für unsere sieg-
reichen Krieger vorgesorgt werde, um die Schäden
an ihrer Gesundheit durch sachgemäße Pflege wieder
zu tilgen und zu beraten, wie den siech gewordenen
Helden frische Arbeitskraft, neuer Lebensmut —
Der Nörgler: Todesmut!
(Verwandlung.)
540
41. Szene
Ein Militärspital. Rekonvaleszente, Verwundete aller Grade,
Sterbende.
Ein Generalstabsarzt (öffnet die Tür): Aha, da
sind s' ja alle schön beisamm, die Herrn Tachinierer.
(Einige Kranke bekommen schwere Nervenzustände.) Aber
gehts, nur kein Aufsehn. Das wem wir gleich
haben — Momenterl! (Zu einem Arzt.) No wird's?
Wo bleibt denn heut der Starkstrom? Gschwind,
daß mr die Simulierer und Tachinierer heraus-
kriegen. (Die Ärzte nähern sich einigen Betten mit den
Apparaten. Die Kranken bekommen Zuckungen.) Der dort,
das is ein besonders verdächtiger Fall, der Fünfer!
(Der Kranke beginnt zu schreien.) Da hilft nur ein Mittel,
das verordnen wir im äußersten Fall. Ins Trommel-
feuer! Jawohl, das Beste wäre, alle Nervenkranken
in einen gemeinsamen Caisson stecken und dann
einem schönen Trommelfeuer aussetzen. Dadurch
würden s' ihre Leiden vergessen und wieder frcnt-
diensttaugliche Soldaten wern! Da wern euch schon
die Zitterneurosen vergehn! (Er schläft die Tür zu.
Ein Kranker stirbt. E: erscheint der Kommandant Oberstleutnant
Vinzenz Demmer Edler von Drahtverhau.)
Demmer von Drahtverhau: Ah, heut wird
zur Abwechslung wieder einmal schlampert salutiert!
Ja die Herrschaften machen sichs halt im Hinterland
kommod in die Betten. Aber grad diesbezüglich
bin ich heut unter euch erschienen. Sie Regimentsarzt
pulvern S' die Leut auf, daß s' jetzt zuhören, ich habe
eine wichtige beispielgebende Mitteilung zu machen.
Es handelt sich um die neuen Vurschriften wegen
dem Salutieren, aber nicht wegen dem Salutieren hier
in der Anstalt, sondern wenn die Leut wieder aufstehn,
daß s' sich in der Zwischenzeit gewöhnen, bevor s'
wieder einrückend gemacht wern. Also aufpassen !
(liest vor) Direktive, Ehrenbezeigungen betreffend:
Die Ehrenbezeigung muß stets mit voller
Strammheit bei Annahme der vorgeschriebenen
541
Haltung geleistet werden; jedem Vorgesetzten und
Höheren ist die vorgesciiriebene Ehrenbezeigung zu
leisten, wenn sich dieser nicht mehr als 30 Schritt
vom Untergebenen oder Niederen befindet. Dieselbe
ist durch ungezwungene Erhebung des rechten Armes
gegen den Kopt, die Hand mit der inneren Fläche
derai-t seitwärts des rechten Auges gegen das Gesicht
gewendet, daß die Spitzen der geschlossenen Finger
den Schirm der Kopfbedeckung (bei Kappen oiine
Schirm den Rand der Kappe) berühren, zu leisten.
Bei Begegnung des zu Begrüßenden, oder geht der
zu Begrüßende an dem Grüßenden vorüber, ist die
Ehrenbezeigung so zu leisten, daß diese drei Schritt
vor dem zu Begrüßenden vollzogen ist, sie endet,
sobald sich der Begrüßte drei Schritte entfernt hat.
Trägt der Soldat etwas in der rechten Hand,
so salutiert er mit der linken, hat ei in beiden
Händen etwas, so leistet er die Ehrenbezeigung
durch eine stramme Kopfwendung. Letzteres gilt auch
bei allen Gelegenheiten des Grußes. Beim Begegnen
einesVorgesetzten oder Höheren hat der Soldat es zu ver-
meiden, näher als einen Schritt an demselben voriiberzu-
kommen. Andere eingerissene Arten derSalutierungen,
wie zum Beispiel Erheben der rechten Hand mit der
Fläche nach rechts auswärts, die Finger gespreizt und
Antippen des Kappenschirmes mit dem Zeigefinger
womöglich vor der Nase, Leistung der Ehrenbezeigung
mit der Zigarette oder Zigarre (kurzer Pfeife, soge-
nannter Nasenwärmer) in der zum Gruß erhobenen
Hand oder gar im Munde, dann Leistung der Ehren-
bezeigung im Freien mit unbedecktem Kopfe, die
Kappe in der Hand durch eine Verbeugung, sind
streng untersagt und werden solche Militärpersonen,
welche die Ehrenbezeigung nicht nach der Vorschrift
leisten oder diese — sei es aus was immer für einem
Grunde — unterlassen, einer strengen Ahndung unter-
zogen; Urlauber nebst Anzeige an ihr vorgesetztes
Kommando einrückend gemacht. —
542
Alstern, merkts euch das, wer nicht, die Hand
mit der inneren Fläche derart seitwärts des rechten
Auges gegen das Gesicht gewendet, daß die Spitzen der
geschlossenen Finger den Schirm der Kopfbedeckung
(bei Kappen ohne Schirm den Rand der Kappe)
berühren, den rechten Arm ungezwungen gegen den
Kopf erhebt, kann dazu gezwungen wern! Merkts
euch das! Das is beispielgebend! Was die andern
Salutiervurschriften betrifft, nämlich die was noch für
die Anstalt gelten, solang ihr hier herumliegts, so müßts
ihr auch mit gutem Beispiel vorangehn und ich brauch
euch nicht erst einschärfen, daß ihr unbeschadet eurer
p. t. Krankheiten jeder vurschriftsmäßig zu salutieren
habts, wenn einVurgesetzter hereinkommt. Jetzt habts
ihr keine Kappen, aber a Stirn hat a jeder und so
wirds ihm auch net schwer fallen die Hand, wann
er a Hand hat, an die Stirn z' führen, verstanden?
Also — rechts schaut! Sie, was is denn dort —
der dort von Bett 5 — mir scheint, der kanns net
erwarten, daß er wieder zum Marschbaon — (der
Regimentsarzt macht ihm eine Mitteilung) Ah SO — no ja
— also von mir aus — aber im allgemeinen —
also daß mir das nächste Mal alles in Ordnung is!
Sie überhaupt Regimentsarzt schaun S' mir daß
die Leut hinauskommen! Sie sind ohnedem
schlecht angschriebn oben — machen S' mr keine
Spomponadeln und treiben S' nicht die Humanität
auf die Spitze! Was ein patriotischer Arzt ist, hat
ein Frontlieferant zu sein! Nehmen S' sich ein
Beispiel am Dr. Zwangler, der hat einem Zitterer
einen Fetzen in den Mund gsteckt und ihn mit
zwei elektrischen Behandlungen B - Befundtauglich
gemacht. Oder der Dr. Z Wickler! Der hat einen
Ehrgeiz, von dem stammt bekanntlich die Idee, die
Geschlechtsteile zu faradisieren, er will halt möglichst
viele und rasche Erfolge erzielen, und es gelingt ihm!
Nehmen S' sich ein Beispiel! Jetzt muß man halt
bißl anfauchen! Bei die Deutschen hams den
543
Sinusstrom — mir san ja eh die reinen Lamperlnl
Humanität hin, Humanität her, das is ja alles
recht schön, aber wie reimt sich das mit dem
Patriotismus? Jetzt is Krieg und da ist es die
oberste Pflicht des Ärztestandes, mit gutem Beispiel
voranzugchn und das Menschenmaterial aufzufüllen.
Der Oberstr.bsarzt beklagt sich, daß Sie den medizi-
nischen Standpunkt hervorkehren. Er hat Ihnen
kollegial begreiflich zu machen gesucht, daß ein
C-Befund in den Schützengraben ghört, er sagt, daß
das immer ein Gwirks mit Ihnen is. Da möcht ich
Sie nur fragen — haben Sie vielleicht Lust, in ein
Fleckspital nach Albanien abzugehn? Na alstern! Vom
medizinischen Standpunkt können S' ja von mir aus
recht haben — wie neulich wo Sie sich kapriziert
haben, weil also der Mann Lungenbluter is und
Familienvater und so — aber hier ist ausschließ-
lich der militärische Standpunkt maßgebend! Die
Verantwortung übernehmen wir! Oder der Nieren-
kranke — hammcr ein Gspaß ghabt — tun S' Ihnen
nix an ! Der Mann hat seine fünfzig Schuß zu
machen, nacher kann er hin sein I Der Aller-
höchste Dienst erfordert, daß jeder, der gehn kann,
nicht länger hier herumliegt, als wie unbedingt
nötig ist — die Schkrupeln heben Sie sich für
den Frieden auf ! Solange das Vaterland in Gefahr
ist, hat jeder auf seinem Posten zu stehn, wie ich
selbst, da kenn ich keinen Unterschied, krutzitürken I
— Jetzt wem die Feldwebeln die Salutierübungen
mit euch vornehmen, und daß ich von kein'
Anstand hör also — über mich hat sich noch keiner
zu beklagen ghabt — ja wenn statt meiner der
Medinger von Minenfeld hier regieren tat oder
der Gruber von Grünkreuz, ujegerl ! Was wollts
haben? Zu essen habts, Suppen, feins Dörrgemüse
und a Schalerl Tee a no, da hat sich noch
keiner beschwert. No ja die Zeit wird euch lang,
bis ihr wieder hinauskommts, um euch gut zu
544
schlagen. Aber eben dafür sind die Salutierübungen!
Und die, denen es nicht vergönnt ist, die was also
nicht mehr hinauskönnen, um sich gut zu schlagen,
für das Vaterland, für die hat das Vaterland
vorbildlich gesorgt. 6 Heller per Tag, ohne was
arbeiten zu müssen, no is das vielleicht nix? No
und wenn einer brav is, kriegt er sogar eine Prothesen
und nachher wenn er mit gutem Beispiel vorangeht,
wird er zu seinem Ersatzkörper zurückinstradiert.
Mir San ja eh die reinen Lamperln — könnts eh
noch froh sein, daß mr nicht bei die Deutschen
sein, sonst müßt ich euch habtacht liegen lassen!
Das bißl Salutieren, bevor einer wieder hinaus-
kommt, hat noch keinen umbracht. So — gut is
für heut! (Ab.)
(An einem Bett nimmt der Feldwebel Salutie''r;bunpen vor. An
einem andern ist der Feldl<iirat besciiäftigt.)
(Verwandlung.)
42. Srene.
Der Optimist und der Nörgler im Gespräcli.
Der Optimist: Die bekannte Frage »Was
suchen wir in Albanien ?« —
DerNörgler: — kann ich Ihnen beantworten.
Die Malaria.
Der Optimist: Glauben Sie, daß in Albanien
nichts anderes zu holen ist?
Der Nörgler: O ja, auch Fleckt^'phus.
Der Optimist: Dort unten aber —
Der Nörgler: — ist's fürchterlich.
Der Optimist: Albanien diente uns doch
vorwiegend als —
DerNörgler: — Strafkolonie. »Nach Albanien
mit ihnen!« war eine Verschärfung dei Ehre, fürs
Vaterland zu sterben.
545
Der Optimist: Wenn wir nach Albanien
gehn, so ist eines sicher —
Der Nörgler: Der Tod.
Der Optimist: Unter unsern Truppen in
Albanien herrschte, und dafür bürgt schon der Name
Pflanzer-Baltin —
Der Nörgler: —Ein Massensterben.
Der Optimist: Wir hatten bekanntlich große
politische Interessen in Albanien und außerdem —
Der Nörgler: Verwanzte Baracken.
Der Optimist: Aber unsere Offiziere in
Skutari sollen sehr gut untergebracht gewesen sein
und waren bekannt durch —
Der Nörgler: Hurentreiben.
Der Optimist: Was die Sanitätsverhältnisse
in Albanien betrifft, die Sie in so düsteren Farben
schildern, so habe ich mir im Gegenteil sagen
lassen, daß die Feldspitäler leer standen.
Der Nörgler: Weil man die Malariakranken
ohne Behandlung sterben ließ.
Der Optimist: Der Armeesanitätschef der
Armeegruppe Albanien hat sich im Gegenteil da-
gegen gesträubt —
Der Nörgler: — daß die Kranken im
Sommer abgeschoben werden.
Der Optimist: Er war aber dafür bekannt,
daß er gesunde Soldaten —
Der Nörgler: — ohne Aburteilung erschießen
ließ, wenn sie Konserven stahlen.
Der Optimist: Es wurde immerhin dafür
gesorgt —
Der Nörgler: — daß für die Offiziere ein
Feldkino errichtet werde.
Die letzten Tage der Menschheit. 35
546
Der Optimist: Der Krankenabschub, von
dem Sie sprechen, ist tatsächlich durchgeführt
worden, allerdings erst —
Der Nörgler: — bei der Flucht.
Der Optimist: Sie mein.en den strategischen
Rückzug. Was die Transportmittel anlangt, die
dabei in Verwendung kamen, so war es freilich
schwer, die ungeheuren Massen Kranker —
Der Nörgler: — die es bis dahin nicht
gegeben hat, zu übersehen.
DerOptimist: Man half sich aber, indem man,
da die paar Spitalschiffe zum Abtransport nicht
ausreichten, in Automobilen —
Der Nörgler: — die Offiziersbagage des
Armeekommandos beförderte.
Der Optimist: Was meinen Sie?
Der Nörgler: Ich meine die gestohlenen
Möbel.
Der Optimist: Ach so. Die kranken Mann-
schaften freilich —
Der Nörgler: — hatten durch Dreck und
Kot zu marschieren.
Der Optimist: Es war ihnen aber gestattet —
Der Nörgler: — am Straßenrand liegen zu
bleiben, um eine längere Ruhe zu finden.
Der Optimist: Dies geschah ausnahms-
weise, ohne daß —
Der Nörgler: — ohne daß Kaisers Geburts-
tag oder ein Jubiläum des Regierungsantrittes voran-
gegangen war. Denn sonst pflegt der Rückzug einer
österreichischen Armee, speziell ein albanisches
Schrecknis tausendfältigen Qualentods in Hunger
und Dreck, mit einem dynastischen Datum verknüpft
zu sein ; als ob es nicht selbst eines wäre.
Der Optimist: Wie das?
547
Der Nörgler: Seit Belgrad hat das Bedürfnis
österreichischer Generale, nebst ihrer eigenen ver-
brecherischen Dummheit Seiner Majestät auch noch
eine Stadt zu Füßen zu legen, aus der sie am
nächsten Tag wieder heraus müssen, dort unten
Feste gefeiert.
Der Optimist: Sie scheinen nicht zu wissen,
daß derartige Gelegenheiten dem Opfermut des
Frontkämpfers zugleich ein Ansporn und eine
Entschädigung sind. Wenn es auch in der weiteren
Entwicklung eines solchen Ereignisses, das im
Kalender des Vaterlands rot angestrichen ist, an
Transportmitteln, Labestationen, Verpflegung und
Unterkunft gemangelt haben mag — Krieg ist
Krieg — , so ist doch nicht zu leugnen —
Der Nörgler: — daß der persönliche Train
des Armeekommandanten fünfundzwanzig Fuhrwerke
betrug, für die ein Hauptmann zu sorgen hatte.
Der Optimist: Woher weiß man das?
Der Nörgler: Aus dem Tagebuch eines
Arztes, der in Albanien, wo es keine Gesunden gab,
keine Kranken für sein Spital bekommen konnte.
Der Optimist: Es muß nicht so arg gewesen
sein, wenn er selbst davongekommen ist. Wie ist
er denn zurückgelangt?
Der Nörgler: Fieberkrank, in einem Last-
automobil, hoch oben auf der Kiste, die das Klavier
der Korpsmesse enthielt, gestohlen bei —
Der Optimist: Nun, wenn ich auch leider
zugeben muß, daß die Frage, was wir in Albanien
suchen, durch die Ereignisse in ziemlich ungünstigem
Sinne beantwortet worden ist, wiewohl wir doch
unstreitig in Albanien große politische Interessen
haben, so sollten Sie doch nie vergessen, das Letzte,
was dem Stabsoffizier geblieben ist, ist —
Der Nörgler: Sein Klavier!
(Verwandlung.)
35*
548
43. Szene
Kriegspressequartier.
Ein Hauptmann (zu einem von den Journalisten):
Dokterl, heut gibts keine Wurschteln, heut müssn S'
einen Artikel schreiben, was sich gewaschen hat,
und zwar Hygienische Betrachtungen. Alstern
notiern S' Ihnen die Richtlinien. (Er liest ab)
Der Siegeszug in Galizien, die Eroberung von
Lemberg waren mitbestimmend für die weitere
Entwicklung der Hygiene bei unserer Armee. Was,
da schaun S'I
Der Journalist: Is denn Lemberg schon
wieder noch in unserem Besitz?
Der Hauptmann: Wie Sie das ausführen, is
Ihre Sache. Solange in den Karpathen das heiße
Ringen währte, gab es also naturgemäß weniger
Möglichkeit für die Organisation hygienischer Detaü-
arbeit. Unter dem schweren Drucke der allgemeinen
Situation konnte die Sorge um den einzelnen Mann
nicht in dem gewünschten Maße zur Geltung kommen.
Die Parole war: Durchhalten um jeden Preis, ohne
Rücksicht auf den einzelnen Mann, welcher in der
Front nur so lange von Bedeutung war, als er kämpfte.
Es war in jener schweren Zeit nicht anders möglich.
Da waren s' halt alle verlaust. Jetzt, wo wir aus'n
Wasser sind, kann die Hygiene beispielgebend ein-
setzen. In jenen schweren Tagen wurde die Saat
gelegt für ein großzügiges Wirken zur Erhaltung
des Mannes, welcher so schwer zu kämpfen und
zu leiden hatte. In den Sonnentagen der Wieder-
eroberung Lembergs kam der Keim zur ungehemmten
Entfaltung. Das Gefühl unendlicher Dankbarkeit für
die heldenmütigen Kämpfer, das Bewußtsein, nach
schweren Verlusten unbedingt mit jedem Mann haus-
halten zu müssen, gaben Veranlassung, mit allen Kräften
und allen Mitteln zur Erhaltung der Gesundheit und
Leistungsfähigkeit des einzelnen Mannes zu wirken.
549
Jetzt erzählen S', wie wir mit der Cholera fertig gworn
sind. So wurde hygienisches Denken und Schaffen
innig und überall mit der ärztlichen Tätigkeit verwoben.
Aber jetzt! Jetzt kommt der Entlausungsdienst! Jeder
Mann bekam etwa alle vier Wochen ein Bad oder
wissen S' was, jede zweite Woche. Die Arbeit war
überall eine systematische. Die Desinfektion war
eine Prophylaxe gegen die durch Kontakt übertrag-
baren Infektionskrankheiten. Großartig, was? Das is
von einem Oberstabsarzt! Der verstehts! Das regel-
mäßige Bad, oft gewürzt durch Kinovorstellungen, hatte
einen hohen seelischen Einfluß auf die Mannschaften,
hob ihre Leistungsfähigkeit und Dienstfreude. Ein
wichtiger Schritt nach vorwärts zur Erhaltung des
Mannes. Ich gib Ihnen nur die Richtlinien, das
Weitere is Ihre Sache. Doch es gab kein Stillstehen.
Die Front is mit der Zeit zu einem Erholungsheim
ausgebaut worn. Oft waren s' in sonniger Wald-
gegend, Freibad hätten s' g'habt und Sonnenbad
und es war gedacht, diese Einrichtung auch durch
Unterricht und Musik, Bibliothek, Sport und Theater
auszugestalten, wo Gelegenheit gewesen wäre,
manches wichtige volkshygienische Problem der
jetzt so empfindlichen und aufnahmsfähigen Soldaten-
seele näherzubringen, als elementare soziale Vorarbeit
für die Zukunft. Das Projekt harrt noch der Ver-
wirklichung! Wenn ruhigere Zeiten kommen, wird
es unsere erste Arbeit sein. Das müssen S' sehr
schön herausarbeiten. Wir sehen, daß ein Teil der
Maßnahmen darauf hinzielt, dem Mann in der Front
eine Heimat zu schaffen. Der stete fürsorgliche,
kameradschaftliche Kontakt zwischen Offizier, Arzt
und Mann schafft den Boden für ein günstiges
Gedeihen.
Der Journalist: Der Infektionskrankheiten,
Herr Hauptmann?
Der Hauptmann: Machen S' keine Gspaß.
Die enge Zusammengehörigkeit zwischen Offizier,
550
Arzt und Mann ist nicht vielleicht ein Problem, das
erst der Realisierung harrt. Der Arzt ist nicht mehr
allein »Doktor«, sondern er ist bestimmt, über seine
rein ärztliche Tätigkeit hinaus, den Mann in jenem
körperlichen und seelischen Gleichgewicht zu erhalten,
welches für Siegerringen und Leidertragen dauernden
Rückhalt bietet. Die Zugänge an Infektionskrankheiten
sind seit Monaten nur mehr vereinzelt. Einzig und
allein die Geschlechtskrankheiten sind es, die uns
noch Sorge bereiten. (Kichern.) Ihre erfolgreiche
Bekämpfung ist jedenfalls das allerv/ichtigste Problem,
das uns bisher entgegengetreten. Und doch dürfen
wir wegen der scheinbaren Aussichtslosigkeit des
Kampfes gegen die Geschlechtskrankheiten die
Hände nicht in den Schoß legen. (Heiterkeit.)
Bedenken wir, daß sich während dieses Feldzuges
wohl schon eine namhafte Anzahl Soldaten venerisch
infiziert haben, bedenken wir, daß die Volkszahl
ohnehin unmittelbar durch den Krieg einen Verlust
an vielen im kräftigsten Mannesalter stehenden
Soldaten eingebüßt hat, so ist es klar, daß wir mit
allen Mitteln den durch die Geschlechtskrankheiten
bedingten Schäden entgegentreten müssen. Wenn
auch die zur Erhaltung des Mannes geleistete Arbeit
schon dem Volke zugutekommt, so ist die Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten ein wichtiges Postulat
zur Erhaltung des Volkes. Der große Ernst der
Sachlage erfordert, überall tunlichst gleichsinnig
und rücksichtslos energisch einzugreifen. Von den
Maßnahmen zur Erhaltung des Mannes und im
weiteren Sinne zur Erhaltung des Volkes, die unter der
Ägide unseres Armeekommandanteii Sr. Exzellenz des
Generalobersten von Böhm-Ermolli ergriffen wurden
und auch den Stempel der Persönlichkeiten unseres
Arm.eesanitätschefs sowie des Chefs der Quartier-
meisterabteilung tragen, gehört nebst den prophylak-
tischen Stationen und dem Zentralspital mit erst-
klassigem Personal und therapeutischem Rüstzeug
551
eine Einrichtung, durch die wir speziell unentwegt
werden wirken können für die Erhaltung des Mannes
und für die Wiedererstarkung des Volkes, eine
Einrichtung, in der die Sonnentage der Wieder-
eroberung Lembergs reichliche Früchte getragen:
Wir haben — und das können S' grad so schreiben,
wie ichs sag und wie ichs vom Oberstabsarzt hab —
wir haben Bordelle mit einwandfreiem Material unter
strengster militärischer Kontrolle etabliert.
(Verwandlung.)
44. Szene
Armee-Ausbildungsgruppe Wladimir- Wolinsky.
Ein Hauptmann (diktiert einer Schreibkraft) :
Es ist der gesamten Mannschaft an drei auf-
einanderfolgenden Tagen zu verlautbaren, daß
venerische Erkrankungen als Selbstbeschädigungen
kriegsgerichtlich belangt werden, und um dieser
Verfügung Nachdruck zu verleihen, sind in jedem
einzelnen Falle die erkrankten Leute beim A. A.Grp.
Kmdo. vorzustellen.
Für die in letzter Zeit vorgekommenen Erkran-
kungen, welche nachgewiesener Maßen künstlich
erzeugt oder absichtlich herbeigeführt wurden, wird
angeordnet, daß die Betreffenden körperlich zu
züchtigen sind, und wird die Prügelstrafe, mit fünf
Stockstreichen beginnend, täglich um einen Streich
erhöht und so lange verabreicht, bis die Krankheits-
symptome erlöschen.
Die erste Züchtigung ist heute um 2*^ nachm.
an nachfolgenden Leuten durchzuführen. — Da
haben S' den Zettel, schreiben S' es ab.
Vollzugsorgan ist der Profoß, dem zwei kräftige
Leute der technischen Kompagnie zur Verfügung
zu stellen sind. *
(Verwandlung.)
552
45. Szene
Bei Graf Dohna-SchJodien. Um ihn zwölf Verlreter der Presse.
Ein Vertreter der Presse: Wir schätzen
uns glücklich, Herr Graf, aus dem Munde eines
unserer unsterblichsten Helden eine authentische
Schilderung der glorreichen Fahrt mit der »Möwe«
zu empfangen, von der noch die Kinder und Kindes-
kinder den Enkeln in den fortlebenden Annalen
erzählen werden. (Sie setzen die Bleistifte an.)
Dohna: Meine Herrn, ich bin ein Mann
der Tat und nicht der vielen Worte. Als wesentlich
mögen Sie das Folgende festhalten. Auf Grund der
eingegangenen Aufklärungsnachrichten hatte ich mir
für meine Fahrt einen ziemlich genauen Plan gemacht.
Ich hatte denn auch gleich am ersten Tage das
Glück, einen großen Dampfer zu sichten. Es war
dies, wie bereits bekannt, der Dampfer Voltaire.
Ich ließ die Nacht vergehen, ehe ich mich an den
Voltaire heranmachte.
Eine Stimme aus der Gruppe: Bravo!
Dohna: Später konnte ich dann den Voltaire
unschädlich machen. Ich kreuzte dann etwa zehn Tage
im Nordatlantischen Ozean, konnte aber in den
ersten drei Tagen kein weiteres Schiff sichten; später
jedoch habe ich jeden Tag etwa einen Dampfer
abtun können. Die Schiffe hatten sämtlich wertvolle
Ladung, zum Teil Kriegsmaterial; eines von ihnen
hatte eine Ladung von 1200 Pferden.
Ein Vertreter der Presse: Richtich gehende
Pferde? 1200 Pferde, Herr Graf?
Dohna: 1200 — ! (Gebärde des Unterlauchens.)
Die Vertreter der Presse (durcheinander):
Donnerwetter noch mal ! — Richtich gehende Pferde I —
Hurra! — Schneidiger Rekord! — Elegant!
V. Akt
1. Szene
Abend. Sirk-Ecke. Naßkalt. Es regnet von unten. Tonloses Starren
des Rudels Böcke. Spalier der Verwundeten und Toten.
Stimme eines Zeitungsausrufers: Der
Aabeend, Aachtuhrblaad!
Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich
Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny,
also du — du bist ja pohtisch gebildet, also was
sagst zu Bulgarien?
Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich
sag, gar net ignorieren !
Der dritte: Weißt — also natürlich.
Der vierte: Ganz meine Ansicht — gestern
hab ich mullattiert — ! Habts das Bild vom Schönpflug
gsehn, Klassikaner!
Stimme eines Zeitungsausrufers: Friedens-
versuche der Eenteentee !
Dtr dritte: Stier is heut.
Der erste: Weißt, im KM hat heut der
Schlepitschka von Schlachtentreu gesagt, wir nähern
uns dem Riesen mit Friedensschritten — oder nein,
wir nähern uns dem Frieden mit Riesenschritten, du
is das wahr? Das is doch optimistisch?
Der zweite: Pessimistisch ist das.
Der erste: Pessimistisch. Weißt, er hat gesagt,
in der Türkei is ein kranker Mann, dann kommen
wir dran, du also wieso?
Der zweite: Er meint halt die Lage und so.
Der erste: Ah so.
556
Der dritte: Heut sind keine Menscher.
Der zweite: Der Fallota kommt heut.
Qreise ziehen vorbei. Man hört den Gesang: !n der Heimat,
in der Heimat, da gibts ein Wiedersehen —
Poldi Fesch (zu seinem Begleiter) : Morgen wird
mit dem Sascha Kolowrat gedraht — (ab.)
(Man hört die Fiakerstimme: Im Kriag kriag i's Fuchzichfache!)
Der vierte: Wißts ihr, wie s' ihn drin nennen
im KM den Fallota? Held nennen s' ihn.
Der erste: Wieso?
Der vierte: No verstehst nicht, er war doch
an der Front! Er sagt, dort war ihm lieber.
Der erste: No solln s' ihn nicht zrückhalten.
Leben und leben lassen! No is doch wahr?
(Turi und Ludi erscheinen.)
Turi: Du Ludi, spielt der Rudi Nyäri nur im
Lurion? (Ab.)
Fallota (tritt auf): Grüß euch!
Der erste: Grüß dich Held!
Alle: Grüß dich Held!
Fallota: Wieso Held? Pflanzts wem andern!
Ein Blumen weib: Veigerl !
Der vierte: No du wie is gegangen? Bist
froh? Erzähl beim Hopfner!
Der erste: Aber ja, kommst mit, bist a
Fesch ak —
Der zweite: No wie wars draußen?
Fallota: Fesch wars.
Der dritte (versunken): Der Strich is wie aus-
gestorben.
Der erste: No du, wie gehts also?
Fallota: Man lebt.
Zwei Beinstümpfe in einer abgerissenen Uniform treten in den Weg.
Der zweite: Kommts weg da, nix wie
Tachinierer! (Ab.)
i
557
Stimme eines Zeitungsausrufers: Extra-
ausgabee — ! Die Millionenverluste der Eenteentee !
Eine flüsternde Stimme: Komm her, ich
sag dir was.
Stille. Plötzlich ein brausender Ruf, donnerhallartig : Hoooch !
Hierauf : Schleeschaak — ! Der Ruf scheint von der Gegend des
Operngebäudeszudringen. Ein Wagenschlag fällt. DannScIi VC eigen.
(Verwandlung.)
2. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Nörgler:
»Gott, wer darf sagen: schlimmer kanns nicht werden?
's ist schlimmer nun, als je.
Und kann noch schlimmer gehn; 's ist nicht das
Schlimmste,
Solang man sagen kann: dies ist das Schlimmste.«
Kinder, die Gesichter haben, als hungerten sie
schon ein Menschenalter — und noch kein Ende!
Aber das Schlimmste ist in diesem Bericht über eine
Nervenheilanstalt enthalten. Einer sitzt da im blau-
gestreiften Kittel und büßt die Glorie von Asiago,
wo er von einer Granate verschüttet wurde, mit
unheilbarer Schwermut. Einem steckt die Kugel im
Kopf; um den wahnsinnigen Schmerzen zu entgehen,
mußte er Morphinist werden. Abends brüllt er ver-
zweifelt nach der Pflegerin und alle beginnen vor
Aufregung zu weinen. Ein hirnkrankes Kind schreit,
zwei Monate nach dem Heldentod geboren, den die
schwangere Mutter erwartet hat. Eine, deren Söhne
heil zurückgekehrt sind, hat's nicht abgewartet und
ist vorher wahnsinnig geworden. Doch wer darf sagen:
schlimmer kanns nicht werden?
Der Optimist: Ja, es ist nicht zu leugnen,
der Krieg greift in die Lebensverhältnisse eines jeden
ein. Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern?
558
Der Nörgler: Wir werden jedenfalls bis zum
letzten Hauch von Mann und Roß lügen. Ob auch
kämpfen, ist eine andere Frage. Es scheint, daß wir
dem deutschen Druck durch etwas Nibelungenuntreue
entweichen wollen. Wir werden uns an Deutschland
dafür, daß es uns nicht verhindert hat, es in den
Krieg zu treiben, durch ein bisserl Verrat rächen.
Wer würde aber nicht jede Schmach des Vaterlands
jener der Menschheit vorziehen, mit der sie sich
durch jede Minute eines fortgesetzten Krieges belädt!
Zum Glück verlängern ihn nicht mehr unsere Siege,
sondern verkürzen ihn schon unsere Niederlagen.
Sagte ich Ihnen nicht einst, daß der Durchbruch bei
Gorlice, die ihm verdankte Fristerstreckung des
Zusammenbruchs, mit Millionen Menschenleben
bezahlt würde? Dies war ehedem paradox, aber nun
bestätigt es die große Zeit.
Der Optimist: Nun, was die Größe dieser Zeit
betrifft, so muß selbst ich zugeben, daß sie seit
dem Ultimatum an Serbien nicht erheblich gewachsen
ist. Darin behalten Sie wohl recht, daß alles an ihr so
klein ist, wie Sie es immer gesehen haben. Oder
man könnte vielmehr sagen, daß eine große Zeit ein
kleines Geschlecht gefunden hat.
Der Nörgler: Das ist ein Pech. Aber auf
welche Wahrnehmungen stützen Sie Ihre Ansicht?
Der Optimist: Ich wollte es Ihnen nicht
sagen, aber ich habe heute eine Annonce entdeckt,
die in den Tagen, wo die Zeitung vorne Generalstabs-
berichte von so gewichtigem Inhalt bietet, immerhin
zu denken gibt.
Der Nörgler: Wie kann man nur in den Tagen,
wo die Zeitung vorne Generalstabsberichte von so
gewichtigem Inhalt bietet, Augen für eine Annonce
haben?
Der Optimist: Urteilen Sie selbst.
559
Der Nörgler (liest):
Mein Pipihendi !
Flast Du mich lieb? Sehr lieb? Wie sehr lieb?
Werde warten, bis Du schreibst oder kommst.
Mitzi.
Sehen Sie, die Zeit hat noch Liebe. Und
ich hatte geglaubt, nur ihr Haß sei gewachsen
und mit ihm ihr Hunger. Was aber die Dumm-
heit anlangt, so tritt sie nur klarer in den
Dimensionen hervor, die ich ihr längst zuerkannt
habe. Wollen Sie das österreichische Antlitz sehen?
Es ist zwar durch eigene Schuld unterernährt, aber
es spiegelt sich geistig in dem Knödel, den diese
Ansichtskarte als ein Idealbild der Wiener Phantasie
darbietet. Ich revanchiere mich, der Text dürfte von
jenem Pipihendi sein.
Der Optimist (h'est):
Wenn ich mir etwas wünschen sollt,
Ich wüßt' schon lange, was ich wollt!
Ein Knödel müßt' es sein,
Aus Semmeln gut und fein!
Der Nörgler: Treuland- Verlag! Es spricht zum
Herzen und sagt den Leuten mehr als »Nur wer die
Sehnsucht kennt«. Im Jahr 1914 hat sich diese Bevöl-
kerung zu einer Romantik des Knödelideals verurteilt
und ich könnte es weltgerichtsordnungsmäßig be-
weisen, daß die Epoche, die eine solche Ansichtskarte
ermöglicht hat, identisch sein muß mit der Epoche,
deren letzter realer Besitz die Fliegerbombe war.
Wären die Machthaber, die ja so gottverlassen sind,
nichts zu haben als die Macht, wären sie fähig,
solche Zusammenhänge zu erfassen, so wäre der
Krieg nie begonnen worden oder längst beendet.
Der Optimist: Dazu besteht vorläufig keine
Aussicht, jetzt kommt die fünfte Musterung.
560
Der Nörgler: Denn der Mensch könnte sonst
vergessen, wozu ihn Gott erschaffen hat.
Der Optimist: Das wäre?
Der Nörgler: Damit er vor der Assent-
kommission erscheine. Sie waren nackt, und sie
schämten sich nicht.
(Verwandlung.)
3. Szene
Vor dem Parlament.
Einige Herrenhausmitglieder haben soeben das Haus verlassen
und sind unterhalb der Pallas Athene in einer Debatte begriffen.
Eine Elektrische ist stehen geblieben, aus der von beiden Seiten
Gliedmaßen heraushängen. In einem unbeschreiblichen Tumult
gellender Beschimpfungen, Flüche und unartikulierter Laute
wird aus dem Beiwagen durch den Knäuel von Tornistern,
Rucksäcken und zusammengequetschten Leibern, durch den
Pferch einer unterernährten, ungewaschenen und abgerissenen
Menschheit eine Frau gezerrt, die soeben vor Hunger zusammen-
gebrochen ist.
Pattai: Was ich ihm erwidert habe, davon
nehme ich kein Jota zurück — das kann er sich ein-
rahmen lassen, der Lammasch! Wir sind die Sieger,
und wir verlangen auch die Palme!
(Verwandlung.)
4. Szene
Ministerium des Äußern.
Graf Leopold Franz Rudolf Ernest
Vinzenz Innoeenz Maria (siehtin den Taschenspiegel):
Gut schaun mr aus. Wenn ich das geahnt hätt,
hätt ich mich gegen das Ultimatum ausgesprochen!
Baron Eduard Alois Josef Ottokar
Ignazius Eusebius Maria: Was hast denn?
Der Graf: Gut schaun mr aus. Wenn man
Krieg führen will, hätt man das voraussehn müssen!
I
;61
Der Baron: Ich versteh dich nicht. Was willst
denn noch? Grad les ich, die Piffkes haben wieder
viertausend Tonnen versenkt und wir waren auch
nicht faul. Fünf.
Der Graf: Tausend?
Der Baron: Tonnen !
Der Graf: Pflanz wem andern. Wenn uns
nicht die Schweiz herausreißt —
Der Baron: Was? Du hoffst jetzt noch auf
die Neutralen?
Der Graf: Noch nie hab ich den Kurier mit
solcher Spannung erwartet. Ich bin rasend neugierig.
Der Baron: Ja was is denn?
Der Graf: Aber da sitzt man und wartet und
wartet — auf unsere Leut in Bern is eben kein Verlaß!
Meiner Seel, wenn ich hier nicht unentbehrlich war,
ich setzet mich auf und geholfen war uns. Ich hab
mir das entetiert. Auf Schritt und Tritt is man
gehandicapt. Charmante Einrichtung dieser Krieg.
Aber ich garantier dir, das wird jetzt anders wern 1
Der Baron: Du warst immer ein rasender
Optimist. Was stellst dir denn vor, daß die in Bern
machen können?
Der Graf: No ich habs ihnen doch genau
aufgsch rieben! Aber nein, die müssen Bridge spielen
den ganzen Tag — und bei der Nacht, da weiß man
eh was sie tun. Übrigens haben s' dazu auch am
Tag Zeit.
D e r B a r 0 n : No no, bist du aber auf einmal —
Schau, schickt man wieder Leut hinaus, was nicht
von der Gesellschaft sind, können s' nicht einmal
repräsentieren.
Der Graf: Laß mich aus — jede Woche beim KM
für ein' Juden um ein' kontumazfreien Grenzüberlritt
penzen, damit s' in Bern ihre Bridgewurzen haben,
Die letzten Tage der Menschheit. 36
562
dazu is man ihnen gut! Und die Hitscherln, die
ich hinausprotegieren muß! Ich sag dir, seit der Bubi
Legationsrat is, is er rein zu gar nix mehr zu
brauchen. Paß auf, wenn der Bubi und der Affi
nach Wien kommen, wer' ich ihnen zeigen, wie viels
gschlagen hat. Ich sag ihnen ins Gsicht, Burscherln,
wer' ich ihnen sagen, ihr seids ja furchtbar charmant,
aber im Ernstfall is eben kein Verlaß auf euch.
Lächerlich. Der Krieg hat uns noch gfehlt! Weißt,
jetzt wär's rasend tentant, die ganze Geschichte
einfach hinzuschmeißen.
Der Baron: Aber du hoffst doch auf die
Neutralen !
Der Graf: Ich sag dir, die Neutralen sind
die schwerste Enttäuschung. Holland laßt uns über-
haupt im Stich —
Der Baron: Ich weiß nicht wie du mir auf
einmal vorkommst. Rasend komisch is das. Von uns
allen warst du der Zuversichtlichste. Vom ersten Tag
an. Wie der Berchtold damals zu uns gsagt hat:
Jetzt hat die Armee ihren Willen! — da haben deine
Augen noch mehr geleuchtet wie die seinigen, um
den Hals wärst ihm gfallen. Das Ultimatum is prima,
das war dein zweites Wort — rasend vernünftig —
Geh, erinnerst dich nicht?
Der Graf: Geh, erinner mich nicht! Das
Ultimatum war saublöd. So können wir nicht weiter
existieren. Wenn die Schweiz diesesmal versagt, dann
weiß ich schon nicht — ich bin deschperat ! No aber
morgen — also ich erwart den Kurier mit einer
Spannung wie noch nie! (Sieht in den Taschenspiegel.)
Gut schaun mr aus.
Der Baron: Ja, Fixlaudon, was erwartest
denn diesesmal eigentlich so bsonderes?
Der Graf: Tepp — eine Colgate — !!
(Verwandlung.)
563
5. Szene
Bei Udine.
Zwei Generale, jeder in einem über und über bepackten Automobil,
von verschiedenen Seiten.
Der erste General: Jetzt fahr i 's letzte Mal.
Mehr is nicht zu holen.
Der zweite General: Mehr is nicht zu holen.
Der erste: Schad, so ein reiches Land!
Der zweite: Ja, die Deutschen!
Der erste: Mir san wieder amol zu spät kommen.
Der zweite: Ja, die Deutschen!
Der erste: Praktisch san s', das muß ihnen
der Neid lassen. Beuteoffizier' ham s', da is alles
urganisiert. Mit Sammeltranspurte. Unsereins muß
sich alles kleinweis zsammklauben.
Der zweite: Sie ham halt a Urganisation.
Wie s' nach Udine kommen sein, ham sie 's gleich
einteilt in Udine S und Udine N. In Udine S war
Seide, das hat also den Deutschen ghört.
Der erste: In Udine N war nix. Das hat also
uns ghört.
Der zweite: Und über die Demarkationslini
derf naturgemäß unsereins nicht hinüber.
Der erste: Traurig.
Der zweite: Traurig.
Der erste: Die deutschen Seidenhändler waren
früher da als wie unsere Vorhut.
Der zweite: Und die deutschen Beuteoffizier
san gschwinder wie bei uns die galoppierende
Schwindsucht. Da kriegt man an Reschpekt!
Der erste: No, aber an Wein ham die Eigenen
doch kriegt. Der is noch heut nicht verschwunden.
Der zweite: Aber dafür die Eigenen im Wein.
Das war der reine Russentod!
Der erste: Hast was? Bißl a herrenloses Gut?
Der zweite: Haßt net vül, halt so paar kleine
Erinnerungen an die Front, no was halt net niet- und
nagelfest war.
36*
564
Der erste: I hab heut drei Teppiche, 30 Kilo
Reis, bißl a Fleisch, zwa Sack Kaffee, drei Tür-
füllungen und vier Heiligenbilder requiriert, schön
gmalen, nach der Natur!
Der zweite: I hab heut ein Grammophon,
20 Kilo Makkaroni, bißl a Kupfer, 5 Kilo Käs, zwa
Dutzend Sardinenbüchsen und paar Bildein, in Öl !
Servus. (Er fährt ab.)
Der erste: Servus. — Dort siech ich einen
Infanteristen von uns im Feld, der nimmt einen
Kolben Kukuruz! Wart Kerl, stehlen! (Er steigt ab
und gibt ihm eine Ohrfeige.)
(Verwandlung.)
6. Szene
Etappe Fourmies.
Landwehrmann Lüdecke: Na, wenn auch
die Miesmacher von beiden Seiten kommen, von
der Front und vom Hinterland, wir in der Etappe
werden uns den Krieg doch nicht verekeln lassen.
Bei uns sauft und hurt man ganz tüchtig, da deutet
nichts auf 'nen Verzichtfrieden. DerKronprinz hat einen
richtiggehenden Harem, er hat neulich einen famosen
Zuwachs bekommen und die Eltern, die was dawider
hatten, egal abschieben lassen. Die Sache im Westen
wird gemacht. Und schließlich, was will denn das Hinter-
land? Wir schicken ihm ja, was wir können. Ich höre,
daß bei Wertheim schon die Kriegsbeute von Lille
verkauft wird. Da muß ich nachhause schreiben,
wie fein wir hier jetzt raus sind. (Er schreibt) 8. Mai.
Lieber Freund! Ich bin dem Requisitionsdienst der
Etappe Fourmies zugeteilt. Wir nehmen der
französischen Bevölkerung alles Blei, Messing,
Kupfer, Kork, Öl u. s. w., Kronleuchter, Kochherde
fort, und alles, was von fern und nah zusammen-
kommt, wandert nach Deutschland. Oft ist es sehr
565
unangenehm, den jungen Frauen ihre Hochzeits-
geschenke wegzunehmen, aber die Kriegsnotwendig-
keit zwingt uns dazu. Zusammen mit einem meiner
Kameraden habe ich neulich einen hübschen Fang
gemacht. In einem vermauerten Zimmer fanden wir
fünfzehn Musikinstrumente aus Kupfer, ein ganzes
Orchester, ein ganz neues Fahrrad, 150 Bettlaken
und Handtücher und sechs kupferne Kronleuchter,
die allein ein Gewicht von 25 Kilogramm ausmachen;
außerdem noch ein Menge anderer Gegenstände.
Du kannst dir die Wut der alten Hexe vorstellen,
der die Sachen gehörten; ich habe sehr gelacht.
Alles zusammen hatte einen Wert von mehr als
10.000 Mark. Einige Ballen Schafwolle und viele
andere Gegenstände. Der Kommandant war sehr
zufrieden, und wir sollten sogar eine Belohnung
bekommen. Vielleicht auch noch dazu das Eiserne
Kreuz. Und dann gibt es hier junge Mädchen, die
hübsch zu entjungfern sind. Es grüßt Dich —
(Verwandlung.)
7. Szene
Zirkus Busch, Monstrevcrsammlung für einen deutschen
Frieden.
Pastor Brüstlein (mit ausgestrecktem Arm):
— Im Westen: Longwy und Briey! Und die vlämische
Küste wird nicht wieder herausgegeben! (Dröhnender
Beifall.) Im Osten die bekannte Festungslinie, die
Ostpreußen nie mehr bedrohen darf, muß in irgend-
einer Form in unsrer Hand bleiben! (Lebhafter Beifall.)
Kurland und ein Stück von Litauen wird nicht wieder
herausgegeben! (Donnernder Beifall.) Verbunden sind
mit Kurland: Livland und Esthland. (Die rechte Hand
vorgestreckt.) Dort flattert die Notflagge! Da müssen
wir helfen.
(Rufe: Hurra! Hurra! Hurra! Redner tritt ab. Die Versammlung
stimmt das Lied an: >Ein' feste Burg ist unser Gott«.)
566
Hauptschriftleiter Maschke: Verehrte
Volksgenossen 1 Ich werde mich kurz fassen. Ich
habe nur eine Forderung, die uns alle beseelt,
vorzubringen: Fort mit dem Weltgewissen! (Hurra-Rufe.)
Hinweg mit dem Weltbrüdergeist! Das deutsche
Machtgewissen allein sei unser Gebieter und Führer!
Sein Losungswort lautet: Mehr Macht! Mehr deutsche
Macht! Wen sein Weltgewissen oder sein Verant-
wortlichkeitsgefühl gegenüber der Menschheit etwas
anderes reden oder schreiben läßt, als was des
deutschen Schwertes Machtsprache gebietet — der ist
und bleibt ein armseliger politischer Träumer, ein
trüber Wolkenwandler! (Dröhnender Beifall.)
Ein Mißvergnügter: Ich will der geehrten
Versammlung nur eines zu bedenken geben. Die
Schädigung der Volksmoral durch den Krieg hat
kürzlich der Finanzminister durch den Hinweis auf
die glänzenden Siegestaten unseres Heeres zu
beschönigen gesucht. In der Bibel aber heißt es:
Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewänne,
und nähme doch Schaden an seiner Seele! Mit
dieser Auffassung der Bibel deckt sich die Auffassung
der modernen Kultur, nämlich, daß die moralische
Zersetzung des Volkskörpers durch Betrug, Diebstahl
und Schwindel von dem Ruhm der Waffen nimmer-
mehr vergoldet werden kann. Große Staatsinstitute
wie die Post sind zu Diebeshöhlen geworden,
ganze Klassen der Bevölkerung in den bodenlosen
Abgrund geschleudert, alles aus der unersättlichen
Gier nach Gewinn — (Rufe: Rraus mit dem Kerl! Redner
wird hinausgeworfen.)
Professorpuppe: Meine verehrten Anwesen-
den! Ich werde mich kurz fassen, denn die Richt-
linien für einen deutschen Frieden stehen so klar
vor unser aller Augen, daß wir sie mit Händen greifen
können. (Tut es.) Eine Versöhnung Frankreichs durch
Güte ist unmöglich. (Rufe: Unmöglich!) Wir müssen
567
Frankreich so ohnmächtig machen, daß es niemals
wieder angreifen kann! (Dröhnender Beifall.) Dazu ist
notwendig, daß unsre Westgrenze weiter vorge-
schoben wird, die nordfranzösischen Erzlager müssen
uns zufallen! (Lebhafter Beifall.) Das ehemalige Belgien
darf militärisch, politisch und wirtschaftlich nicht mehr
aus der Hand gelassen werden! Wir brauchen ferner
ein großes afrikanisches Kolonialreich! (Dröhnender
Beifall.) Um dieses sicherzustellen, benötigen wir
Flottenstützpunkte! Eine unerläßliche Bedingung ist
die Vertreibung Englands aus den: Mittelmeer, aus
Gibraltar, Malta, Cypern, Ägypten und seinen neuen
Eroberungen im Mittelmeer! (Rufe: Gott strafe England!)
Dazu käme natürlich eine Kriegsentschädigung
(Orkanartiger Beifall) — namentlich in der Weise, daß die
Feinde gezwungen würden, einen erheblichen Teil
ihrer Handelsflotte uns zur Verfügung zu stellen,
uns Gold, Nahrungsmittel und Rohstoffe zu liefern.
(Rufe: Hurra!) Ferner — —
(Verwandlung.)
8. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch,
Der Optimist: Was lesen Sie da?
Der Nörgler: Hören Sie. Ein Irrsinniger
auf dem Einspännergaul. Eine aufregende Straßen-
szene hat gestern abend an der Kreuzung der Alser-
und Landesgerichtsstraße eine geraume Zeit lang unter
den vielen Vorübergehenden großes Aufsehen erregt.
Gegen halb 8 Uhr fuhr ein Einspännerwagen mit
zwei Damen als Fahrgästen und Gepäck, das auf
dem Bocke verstaut war, in der Universitätsstraße
gegen die Alserstraße. Als der Wagen im langsamen
Tempo zur Kreuzung der Aiser- und Landesgerichts-
straße fuhr, kam ein junger Mann in Infanteristen-
uniform plötzlich im Laufschritt auf die Straße und
568
stürzte sich dem Einspännerrosse entgegen; er faßte
es an dem Zügel und wollte das Pferd anhalten.
Der Kutscher war überrascht, die beiden Insassen
waren erschrocken. Der Kutscher schlug mit der
Peitsche auf das Pferd ein, um es zu schnellerem
Trabe zu veranlassen und dem jungen Menschen
zu entkommen; das Pferd lief auch schneller, da
sprang der junge Mensch wieder an den Gaul heran
und schwang sich auf ihn. Mit der bloßen Hand
trieb er das arme Tier zu noch schnellerem Laufe
an, indem er dabei wiederholt »Hurra!« schrie. Nun
hatte der Kutscher die Lenkung über das Pferd ganz
verloren und der sonderbare Reiter ließ den Gaul
ganz umkehren. Im Galopp kam das Tier mit dem
schleudernden Wagen gegen die Kreuzung. Das
Abenteuer hätte noch schlimm enden können, wenn
nicht an der Kreuzung ein Sicherheitswachmann das
Pferd am Zügel gefaßt und zum Stehen gebracht
hätte. Der Wachmann zog den Reiter wieder auf
den Boden herab. Kutscher und Fahrgäste atmeten
auf. Um den Wagen sammelte sich gleich eine große
Menge an. Der junge Mann, der offenbar geistes-
gestört ist, wurde der irrenärztlichen Behandlung
übergeben.
Der Optimist: Nun? Eine Winzigkeit aus
der lokalen Chronik. Warum befassen Sie sich mit
so etwas? Jetzt gibt es doch gewiß größere Themen.
Harden —
Der Nörgler: Das dringendste ist aber doch
die Frage, wann endlich der Wachmann kommt. Wenn
man einmal einen braucht, ist natüdich keiner da!
Der Optimist: Ja, aber warum regt Sie
das auf? Dieser alltägliche Übelstand!
Der Nörgler: Ich sage Ihnen, bei solchen
lokalen Unfällen gibts keine Rettung. Der sonderbare
Reiter sitzt nicht ab. Außer — wenn der Policeman
kommt!
569
Der Optimist: Icii verstehe Sie nicht. Sie
sind der richtige Wiener Raunzer. Weltpolitik ist
doch wichtiger.
Der Nörgler: Aber ein Umweg, um den
Dingen auf den Grund zu kommen. Derlei liegt mir
zu fern. Höchstens, daß m.ich Japan interessiert.
D e r O p t i m i s t : Es ist bezeichnend, was Ihnen
am nächsten liegt. Und warum Japan?
Der Nörgler: Da — hören Sie — Die
chinesisch -japanische Militärkonvention.
Volle Herrschaft Japans in China. Der »Shanghai
Gazette« zufolge haben die geheimen Abmachungen
der eben zustandegekommenen Militärkonvention
zwischen Japan und China folgenden Inhalt: Die
chinesische Polizei wird von Japan neu organisiert.
Japan übernimmt die Leitung sämtlicher chinesischer
Arsenale und Werften. Japan erhält das Recht, in
allen Teilen Chinas Eisen und Kohle zu fördern.
Japan erhält alle Privilegien in der äußeren und in
der inneren Mongolei, ferner in der Mandschurei.
Schließlich sind eine Anzahl von Maßnahmen
getroffen, die das Finanz- und Ernährungswesen
Chinas japanischem Einfluß unterwerfen. — O ich
interessiere mich für Weltpolitik!
Der Optimist: Ja was geht uns denn aber
Japan an? Das Verhältnis zwischen Japan und China
scheint Ihnen —
Der Nörgler: — ausgebaut und vertieft!
(Verwandlung.)
9. Szene
Ischler Esplanade. Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Patriot: Es wurde im vollen Einvernehmen
der Entschluß gefaßt, das bestehende Bündnis-
verhältnis auszubauen und zu vertiefen.
Der Abonnent: Also mit einem Wort:
Ausbau und Vertiefung des Bündnisses.
570
Der Patriot: Hiebei ergab sich volles Ein-
vernehmen in allen diesen Fragen und der Entschluß,
das bestehende Bündnisverhältnis auszubauen und
zu vertiefen.
Der Abonnent: Also mit einem Wort:
Ausbau und Vertiefung des bestehenden Bündnis-
verhältnisses.
Der Patriot: In welcher Form der Ausbau
und die Vertiefung des Bündnisses geschehen sollen,
wird heute noch nicht mitgeteilt.
Der Abonnent: Der Krieg hat jedoch den
Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses zur
Notwendigkeit gemacht.
Der Patriot: In welcher Richtung der
Ausbau und die Vertiefung sich vollziehen sollen,
wird in der amtlichen Mitteilung nicht angedeutet.
Der Abonnent: Gewi (3 wird es der Wunsch der
beiderseitigen Generalstäbe sein, den Vorteil, den die
Monarchie und Deutschland durch den Grundsatz
hatten, der im Kriege Schulter an Schulter genannt
wurde, auszubauen und zu vertiefen.
Der Patriot: Haben Sie Mitteilungen von
unterrichteter Seite?
Der Abonnent: Ich kann Ihnen nur soviel
sagen., wir müssen an dem Defensivbündnis festhalten
und fiir einen Ausbau und eine Vertiefung dieses
Bündnisses nur andere Vorbedingungen schaffen.
Der Patriot (nach einer Pause): Was sagen Sie
zu Ausbau und Vertiefung des Bündnisses mit
Deutschland?
Der Abonnent: Die von den Mittelmächten
geschaffenen Tatsachen sollen durch Ausbau und
Vertiefung zu: Regel für die Zukunft erhoben werden.
Der Patriot: Wir brauchen nur den Ereig-
nissen des Krieges zu folgen, um zu verstehen,
warum der Ausbau und die Vertiefung des Bünd-
nisses unvermeidlich geworden sind.
571
Der Abonnent: Die Einheit der Front für die
Mittelmächte ist eine zureichende Ursache für die
militärische Vertiefung des Bündnisses.
Der Patriot: No und der Ausbau?
Der Abonnent: Der Plan, den Mittelmächten
die Rohstoffe auch nach dem Kriege zu entziehen,
wird mit der Nachricht vom wirtschaftlichen Ausbau
des Bündnisses beantwortet. Der Ausbau des Bünd-
nisses mit Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht —
Der Patriot: Der Ausbau und die Vertiefung
des Bündnisses zwischen der Manarchie und Deutsch-
land haben einen Zusammenhang mit der polnischen
Frage. Da liest man aber Nachrichten über gefälschte
deutsche Friedensangebote. Was ist wahr?
Der Abonnent: Wahr ist der Ausbau und
die Vertiefung des Bündnisses zwischen der Monarchie
und Deutschland. Sag ich Ihnen!
Der Patriot: Ihnen gesagt! Sie scheinen auf
die amtliche Mitteilung anzuspielen, daß bei der
Kaiserzusammenkunft im deutschen großen Haupt-
quartier der Ausbau und die Vertiefung des zwischen
Deutschland und Österreich-Ungarn bestehenden
Bündnisses abgeschlossen worden ist.
Der Abonnent: Wissen Sie was die Folge
sein wird? Die Welt wird damit rechnen müssen,
daß England mit seinen vierhundert Millionen
Einwohnern die Beziehungen zu den Vereinigten
Staaten ausbaut und vertieft, um seine Überlegenheit
in der Versorgung mit Rohstoffen noch zu vermehren.
Alles machen sie uns nach.
Der Patriot: Selbstredend. Welchen Einfluß
könnten die Nachrichten über den Ausbau und die
Vertiefung des Bündnisses auf die Politik der Entente
haben? Die Wirkung dürfte nachhaltig sein.
Der Abonnent: Der Schluß ist gerechtfertigt,
daß der wesentliche Zweck des Ausbaues und der
Vertiefung in der Öffentlichkeit richtig erkannt
worden ist.
572
Der Patriot: Was Sie nicht sagen! Ich hab
stark den Eindruck, in dieser letzten Stunde der
Monarchenbegegnung fühlten alle Zeugen dieses
historischen Ereignisses, daß das Bündnis zwischen
beiden Mittelmächten in des Wortes wahrster
Bedeutung vertieft worden ist. Nämlich die Grund-
lagen einer wesentlichen Vertiefung —
Der Abonnent: Apropos, der Ausbau der
Technischen Hochschule —
Der Patriot: Der Ausbau des Bündnisses
dürfte die polnische Frage —
Der Abonnent: Der Ausbau des Bündnisses
wird die Entente —
Der Patriot: Der Ausbau und die Vertiefung
des Bündnisses mußten unter solchen Umständen
die Entente überraschen.
Der Abonnent: Kunststück, auf der Börse
wurde die große Bedeutung des politischen und
militärischen Ausbaues des Bündnisses eingehend
besprochen. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß
die Vertiefung —
Der Patriot: Es ist anzunehmen, daß jetzt auch
die Besprechungen über die zur Vertiefung und zum
Ausbau des Bündnisses zu treffenden Vereinbarungen
beginnen werden. Was speziell den Ausbau des
wirtschaftlichen Bündnisses mit Deutschland anlangt,
so hat doch soeben —
Der Abonnent: Deshalb ist es von besonderem
Interesse, zu hören, was dieses hervorragende Mitglied
des Kabinetts Wekerle über die Beschlüsse betreffend
den Ausbau des wirtschaftlichen Bündnisses mit
Deutschland sagt.
Der Patriot: Der? No der hat doch schon
immer eine Vertiefung des Wirtschaftsverhältnisses
angestrebt!
Der Abonnent: Die Welt hörte die Verkün-
digung, daß der Entschluß gefaßt worden sei, das
Bündnis auszubauen und zu vertiefen.
573
Der Patriot: Die Vertiefung des Bündnisses
werden die Monarcliie und Deutschland nach dem
Kriege als Bedürfnis empfinden.
Der Abonnent: Nutzt nix, Sicherheit kann nur
werden durch Ausbau und Vertiefung des Bündnisses.
Der Patriot: No aber — Budget, Anleihen
und Steuern können nicht warten, bis das Bündnis mit
Deutschland politisch, militärisch und wirtschaftlich
ausgebaut ist.
Der Abonnent: In Besprechung der Vertiefung
des Bündnisses der Mittelmächte hat er ja erklärt —
Der Patriot: Sie meinen Friedjung. Aber
Friedjung konträr schloß doch mit einem dreifachen
Hoch und Eljen auf den Ausbau des Bündnisses
der beiden Mittelmächte mit der Türkei !
Der Abonnent: No und was is mit der
Vertiefung? Die erste Frage galt der Vertiefung des
Bündnisses der Mittelmächte,
Der Patriot: Aber das is doch ganz etwas
anderes! Da war vom Ausbau des österreichisch-
ungarisch - deutschen Bündnisses in militärischer
Beziehung die Rede.
Der Abonnent: No ja, aber die Vertiefung
des Bündnisses auch in militärischer Hinsicht ist
darum eine unbedingte Notwendigkeit.
Der Patriot: Ich weiß nur, wie sich Wekerle
und Tisza über die Vertiefung des Bündnisses —
Der Abonnent: Es sind nämlich Äußerungen
von einer Seite gefallen, die gegen eine Vertiefung
des Bündnisses Bedenken hegte.
Der Patriot: Apropos, da fällt mir ein, was
sagen Sie zum Ausbau des Sieges von Noyon?
Der Abonnent: No haben Sie gelesen Burian
über die Vertiefung des Bündnisses?
Der Patriot: No haben Sie gelesen über die
Beratungen in Salzburg über den Ausbau des
Bündnisses?
574
Der Abonnent: Bitte, da war nur von den
leitenden Auffassungen bei der wirtschaftlichen
Vertiefung des Bündnisses die Rede!
Der Patriot: Der deutsche Kaiser hat aber dem
Hetman nachgerühmt, daß er schon begonnen hat.
die Ukraine zu einem neuen geordneten Staatswesen
auszubauen.
Der Abonnent: Bitte, drauf hat aber der
Hetman sofort der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß
die Beziehungen zwischen dem mächtigen deutschen
Reiche und der Ukraine sich immer mehr vertiefen
werden!
Der Patriot: Sagt er! Wissen Sie, vertiefen is
riskant. Haben Sie nicht gelesen aus Berlin, wie aus
dem Haag gemeldet wird, daß aus London gemeldet
wird, sie melden aus Turin, daß die italienische Börse
seit der deutsch-österreichischen Kaiserzusammenkunft
flau ist und man glaubt, daß die Italiener durch die
Tiefe des Bündnisses sehr enttäuscht sind?
Der Abonnent: No wie tief is es schon!
Trotzdem bin ich überzeugt, weil Sie von Haag
sprechen, die Einrichtung der Schiedsgerichte wird
nach dem Kriege stark ausgebaut werden müssen.
Der Patriot: Meglich, Vorläufig sind erst
Verhandlungen, die von dem Grundgedanken aus-
gehen, das Bundesverhältnis zu vertiefen, und die
sind zurzeit noch im Flusse.
Der Abonnent: Dafür sind die Abwehr-
maßregeln in unablässigem Ausbau begriffen.
Der Patriot: Die Abwehrmaßregeln gegen
die Diebstähle an Postgütern? weiß ich! Was nutzt
das aber? Grad jetzt, in den Zeiten des Ausbaues
und der Vertiefung, haben die Eisenbahndiebstähle
so überhand genommen.
Der Abonnent: Ein Ausbau der Bestimmungen
über die Versicherung des Reisegepäcks ist heute
umso dringlicher, als —
575
(Der alte Biach kommt atemlos.)
Der alte Biach: Wissen Sie was passiert is?
Ausgebaut und vertieft!
Der Abonnent: No das is doch nix Neues?
Der alte Biach: Wenn ich Ihnen sag, das
Bündnis is ausgebaut und vertieft! Aber —
Der Patriot: No wasis? Kommen Sie zu sich^
Der alte Biach: Das hat noch gefehlt —
Der Abonnent: Was ham Sie?
Der alte Biach: Gotteswillen — das is nicht
so einfach — passen Sie auf — es is nämlich auch
ausgelegt worn! Wissen Sie schon den Unterschied
zwischen der Fassung in Wien und der Fassung in
Berlin? (Außer Fassung) Eine genaue Prüfung des Textes
der in Wien und Beilin veröffentlichten Mitteilung
zeigt einen Unterschied, der in die Augen springt.
Der Patriot: Wieso?
Der alte Biach: Bitte, die beiden Communiques
sind in den Sätzen, in den Ausdrücken und in den
spärlichen Mitteilungen gleichlautend —
Der Abonnent: No also!
Der alte Biach: — mit einer einzigen Aus-
nahme. Gappend) In Wien und Berlin wird gesagt —
In Wien und Berlin wird erzählt — In Wien und
Berlin wird mitgeteilt — Da ist volle Gleichheit im
Inhalte und in der Form wird mit Genugtuung
aufgenommen werden. Denn nichts kann wichtiger
sein als der Felsblock — nichts kann das Gefühl
der Sicherheit mehr befestigen —
Der Patriot: No also, was wolln Sie, mehr?
Der Abonnent: No sehn Sie, wo is also der
Unterschied — Sie machen sich Gedanken —
Der alte Biach (mit wachsendem Paroxysmus):
Was nutzt das alles — das in Wien veröffentlichte
Communique sagt, die Zusammenkunft der beiden
576
Kaiser habe auch festgesteüt, "»daß die erlauchten
Monarchen an ihren im Mai gefaßten bündnis-
vertiefenden Beschlüssen festhalten«. Das in
Berlin veröffentlichte Communique sagt, die Zu-
sammenkunft habe »auch die gleiche und
treueste Auslegung des Bündnisses fest-
gestellt«. Wenn der Satz über das Festhalten an
den Maibeschlüssen, betreffend die Vertiefung des
Bündnisses, im Wiener Communique in ein Verhältnis
gebracht wird zu dem Satze über die gleiche und
treueste Auslegung des Bündnisses im Berliner
Communique, so ergibt sich kein Widerspruch,
sondern nur die Tatsache, daß in jeder der beiden
Mitteilungen von etwas anderem gesprochen wird.
Der Abonnent: No also!
Der alte Biach: Die gleiche und treueste
Auslegung des Bündnisses kann nicht im Gegen-
satze zu den Maibeschlüssen über die Vertiefung
des Bündnisses sein und diese wäre undenkbar
ohne die gleiche und treueste Auslegung des
jetzigen Bündnisses.
Der Patriot: Natürlich.
Der alte Biach: Aber dem deutschen Publikum
wird etwas mitgeteilt, was das Wiener Communique
nicht sagt, und umgekehrt. Es handelt sich um
Erklärungen, die, nebeneinandergestellt und in einem
und demselben Communique veröffentlicht, nichts
Auffallendes hätten. Sie fallen nur auf, weil in
einem Communique vom Festhalten an der Bündnis-
vertiefung nichts zu lesen ist und in dem anderen
wieder nichts von der gleichen und treuesten
Auslegung des jetzigen Bündnisses. Mitteilungen
über die Zusammenkunft der Kaiser pflegen im
Einvernehmen verfaßt und dem Publikum zugänglich
gemacht zu werden. Graf Burian war somit einver-
standen mit dem Hinweise auf die gleiche und
577
Ireueste Auslegung des Bündnisses und Graf
Herlling hat der Feststellung zugestimmt, daß die
beiden Kaiser an ihren im Mai gefaßten bündnis-
vertiefenden Beschlüssen festhalten. Beide Staats-
männer sprechen aus beiden Communiques und
keiner von ihnen kann über die Zusammenkunft
sagen, was der andere nicht billigt.
Der Abonnent: Selbstredend.
Der alte Biach: Aber die Ungleichheit der
Fassung dürfte trotzdem nicht grundlos sein. Die
Andeutung ist zu erkennen, daß die Monarchie bei
der Vertiefung des Bündnisses nach den im Mai
gefaßten Beschlüssen die polnische Frage zur Lösung
bringen will. Graf Burian hat sie schon im Juni
damit in Zusammenhang gebracht. Deshalb wird die
Vertiefung des Bündnisses im Wiener Communiqu^
unterstrichen. Das Berliner Communiquö spricht von
der gleichen und treuesten Auslegung des
jetzigen Bündnisses. Es will dessen Bestand und
Wirkung in keine Abhängigkeit von den schwebenden
Fragen des Ausbaues sowie von der austro-
polnischen Lösung bringen.
Der Abonnent: Das is doch klar, die Vertiefung
kann ausgelegt, aber der Ausbau kann nicht vertieft
werden. Also ich versteh nicht, warum Sie sich
Sorgen machen —
Der alte Biach: Auch die treueste Aus-
legung des Bündnisses ist, wie das Berliner
Communique sagt, in der Monarchie und in
Deutschland gleich. Graf Burian will die Vertiefung
des Bündnisses und Graf Hcrtling auch. (Er beginnt
zu stampfen.) Der deutsche Reichskanzler will aber
das jetzige Bündnis^ selbst wenn es nicht vertieft
werden könnte. Die Monarchie teilt diese Ansicht.
Die Grundauffassungen über das Zusammenstehen
kommen aus Notwendigkeiten. (Schon mit ermattender
üewure) Die treueste Auslegung des Bündnisses ist
Die letzten Tage der Menschheit. 37
578
wechselseitige Unterstützung an den Fronten gegen
den Feind. Das tut die Entente; das sollten die
Mittelmächte tun. (Erschöpft beginnt er zu taumeln. Der
Abonnent und der Patriot stützen ihn.)
Der Patriot: Aber sie tun es doch — kommen
Sie zu sich — es wird sich schon alles aufklären —
beruhigen Sie sich — man wird doch da sehn —
Der aite Biach: Es is ein Unterschied — es is
ein Unterschied — Sie glauben vielleicht es is kein
Unterschied, aber ich sag Ihnen es is j a ein Unter-
schied — (er weint.)
Der Patriot: Natürlich is ein Unterschied —
regen Sie sich um Gotteswillen nicht auf — man
sieht doch, es is ein Unterschied!
Der Abonnent: Zu was regen Sie ihn noch
mehr auf? Es is kein Unterschied!
Der Patriot: Es is kein Unterschied?
Der alte Biach (stöhnend): Es — is — kein —
Unterschied — ?
Der Abonnent: Also das wissen Sie noch nicht?
Also hören Sie zu! Aus Berlin wird gemeldet,
gegenüber gewissen Auffassungen in der Presse wird
in hiesigen informierten Kreisen betont, daß bis heute
eine amtliche Erklärung über Einzelheiten der
Besprechungen im Großen Hauptquartier nicht
veröffentlicht wurde. Von einem Unterschied zwischen
dem deutschen und österreichischen amtlichen Bericht
über die Zusammenkunft könne keine Rede sein.
(Der alte Biach sinkt um.)
Der Abonnent: Gotteswilien — ihm is etwas
nicht wie ihm sein sollte —
Die Kurgäste (massieren sich): Was is geschehn?
— Biach is unwohl —
Der Patriot: Niix — er hat sich aufgeregt —
579
Der alte Biach (stöhnend): Alles — umsonst — .
Es is — kein — Unterschied. Die — ganze — Müh —
Der Abonnent: Gotteswillen — wenn ich
geahnt hätte — schrecklich!
Der Patriot: Daß ihm das so nah geht!
Der Abonnent: No ja, ich bitt Sie, es is
keine Kleinigkeit.
(Es bilden sich Gruppen.)
Die Kurgäste: Biach gefällt mir etwas
nicht — man sollte um den Dokter schicken —
man sollte um die Frau laufen — gestern war
er doch noch — ich hab ihn noch gekannt, wie
er —
Der Patriot: Wissen Sie, was ich glaub?
(sich vorsichtig umsehend) Er hat ihn am Gewissen!
Der Abonnent: Versündigen Sie sich nicht! —
Hören Sie, er sagt etwas —
Der alte Biach (stöhnend): Ausgebaut — und —
vertieft —
Der Abonnent: Hören Sie nur —
Der alte Biach (verklärt): Die Nase der
Kleopatra — war eine ihrer größten Schönheiten.
Der Abonnent: Er phantasiert.
Der alte Biach (sich groß aufrichtend): Es —
rieselt — im — Gemäuer.
Der Patriot: Er prophezeit.
Der alte Biach (sinkt zusammen): Das — is —
der Schluß — vom — Leitartikel.
Der Abonnent (aufschluchzend): Biach — !
(Er stirbt. Die Beiden verharren erschüttert. Schweigende Gruppe
der Kurgäste.)
Der Abonnent: Schad um ihm.
Der Patriot: Er hat es überstanden.
(Verwandlung.)
37*
580
10. Szene
Berlin, Weinrestaurant in der Passage. Man hört ein Orchestrion,
welches abwechselnd die Lieder spielt: >Eniil du bist eene Pflanze«
und »Sie sind doch bekannt mein Lieber als Schieber, als Schieber«.
Das passierende Publikum besteht aus zumeist älteren Strichjungen
mit großen Pranken. Ein Zeitungshändler ruft den »Heiratsonkel«
aus. Ein Ausrufer ladet in Kastans Panoptikum.
(Zwei freisinnige Politiker, Zulauf und Ablaß, sitzen an einem
Tisch. Beide haben niedrigen Stehkragen mit übereinander-
Ijegenden Enden, Fertigmasche und Hornkneifer.)
Ablaß (erhebt sein Olas) : Auf die VerfassungS-
reform! Pupille!
Zulauf (erhebt sein Glas): Pupille!
Ablaß: Hörn Se mal Zulauf, dieses Wort
»Neuorientierung« behagt mir nu ganz und gar nich.
Zulauf: Nanu?
Ablaß: Ich würde »Neuaufmachung« vor-
schlagen.
Zulauf: Famos! Pupille!
Ablaß: Pupille!
Zulauf: Hörn Se mal Ablaß, haben Se heut
schon den roten Tach jelesen?
Ablaß: Doch.
Zulauf: Hörn Se mal Ablaß, haben Se
heut schon das B. T. gelesen? Da, 'n WTB —
(zieht die Zeitung hervor.)
Ablaß: Nee.
Zulauf: Ist aber mächtich intressant, hörn Se
mal: Brüssel 23. Juli (Wolff). Dem alten auch in
der Geschichte Flanderns von Fürsten und ihren
Vertretern geübten Brauche folgend, nahm der
Generalgouverneur am 11. Juli, dem vaterländischen
Gedenktage des flämischen Volkes, um ihn der
Erinnerung der Mit- und Nachwelt einzuprägen,
Anlaß zu einem besonderen Gnadenakte und entsprach
der Bitte von 3000 zur Feier des Gülden-Sporen-
Festes in Antwerpen versammelten Flamen.
Ablaß: Sieh mal an!
581
Zulauf: Der Generalgouverneur wollte im Hin-
blick darauf, daß der Erinnerungstach des flämischen
Freiheitekampfes sich zum erstenmal seit seinem
Amtsantritt jährt, ihm in diesem Jahre durch Maß-
nahmen zur Durchführung der flämischen Volksrechte
besondere Bedeutung verleihen.
Ablaß: Fein!
Zulauf: Demgemäß wandelte der General-
gouverneur die vom Feldgericht des Gouvernemangs
Antwerpen über fünf Flamen verhängte Todesstrafe
in lebenslängliche Zuchthausstrafe um. — Na wat
sagen Se nu?
Ablaß: Doli!
Zulauf: Wat? Ja 's weht ne andere Luft jetzt.
3000 Flamen auf die Bitte von ftinfen begnadicht!
Ablaß: Ach, Unsinn!
Zulauf: Doch. Nee — ach so — na ejal.
Jedenfalls, Begnadijung is Begnadijung. Die Kerls
haben doch nu wenigstens lebenslänglich. Tja, die
Volksrechte werden eben jetzt mal gründlich durch-
jeführt.
Ablaß: Kein Zweifel, daß es sich der Mit-
und Nachwelt einprägen wird.
Zulauf: 'ne schöne Handlung. Und zur
Erinnerung, daß es der erste Erinnerungstach des
flämischen Freiheitskampfes unter deutscher Herr-
schaft ist!
Ablaß: Kalassal !
Zulauf: Wat? Na — Pupille! Auf die
deutsche Freiheit!
Ablaß: Ich tue Ihnen Bescheid. Die deutsche
Freiheit! Pupille!
Zulauf (nach einer Pause) : Na, morjen sind wa
bei Hindenburch und Ludendorff.
Ablaß: Morjen? Morjen sind wa doch bei
Schneider-Duncker !
Zulauf: Vormittach sind \va bei Schneider-
Duncker?
582
Ablaß: Nee, abends! Vormittach sind wa doch
bei Hindenburch und Ludendorff.
Zulauf: Richtich. Na und fünfzehn Minuten
sind jedem von uns zujemessen. Schlag 11 müssen
wa antreten.
Ablaß: Nackt?
Zulauf: Nee, Frack!
(Verwandlung.)
11. Szene
Kriegsgeneral Versammlung des sozialdemokratischen Wah'.vereins
des Großberliner Riesenwahlkreises Teltow- Beskow- Storkow-
Charlottenburg.
Genosse Schliefke (Teltow): — — Als
Generalredner der Kriegsgeneralversanimlung des
sozialdemokratischen Wahlvereins des Groß-
berliner Riesenwahlkreises Teltow-Beskovv-Storkow-
Charlottenburg fasse ich mithin zusammen: Wenn
preußische Sozialdemokraten der Einladung in das
Reichsamt des Innern folgen und der Kaiser an dieser
Besprechung teilnimmt, so ist dies keine Verletzung
sozialdemokratischer Grundsätze. Auch der Genosse
David handelte korrekt, wenn er der Einladung des
Kronprinzen folgte. Die Sozialdemokratie ist eine
revolutionäre Partei (Oho!-Rufe) — sie muß deshalb
auch, wenn es die veränderten Verhältnisse erfordern,
mit alten Traditionen brechen —
Ein Zwischenrufer: Bei Hof?
Schliefke: — ich meine mit ihren eigenen
Traditionen! Sie muß in ihren eigenen Reihen
revolutionieren. Sie ist eben eine durch und durch
revolutionäre Partei! (Lebhafte Zustimmung.)
(Verwandlung.)
583
12. Szene
Bad Gastein. Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Ab onnent: Ich bin Überzeugt, daß durch den
Ausbau des Bündnisses —
Der Patriot: Ich zweifle nicht, daß dann der
Abbau des Hasses —
Der Abonnent: Vermuthch würde durch die
Vertiefung des Bündnisses —
Der Patriot: Ich glaube, daß dadurch eine
Erhöhung der Preise —
Der Abonnent: Ohne Zweifel könnte der
Abbau der Preise —
Der Patriot: Mir scheint, daß dafür eine
Erhöhung des Hasses —
Der Abonnent: Ich glaube aber, daß ein
Ausbau der Preise —
Der Patriot: Ich meine, daß dadurch eine
Vertiefung des Hasses —
Der Abonnent: Vermutlich würde durch eine
Erhöhung des Bündnisses —
Der Patriot: Mir scheint, daß dadurch ein
Ausbau des Hasses —
Der Abonnent: Anderere- eits bin ich überzeugt,
daß sich durch einen Abbau des Bündnisses —
Der Patriot: — unschwer eine Vertiefung
der Preise herbeiführen ließe.
(Verwandlung.)
13. Szene
Bureauziminer bei einem Kommando.
Ein Generalstäbler (beim Telephon): — servus
— aber nein — ich bins, der Kobatsch — der Peham
is auf Urlaub — Also hörst — natürlich, a Massa
Tote — danke, man lebt — Weißt wegen der phan-
tastischen Gefangenenziffern, was die Russen angeben
— no mußt halt schreiben, woher können s' denn das
584
so genau wissen, das laßt sich doch gar nicht
zählen! — Was? — Noja, das is wirklich schwer
den Leuten plausibel z'machen. Weißt, mußt halt
sagen, solange sich die Angaben in bescheidenen
Grenzen bewegt haben, also täglich 10.000, da hat
mas hingehn lassen, aber wo's amal hundert-
tausend übersteigt, also das geht nicht! — Was? —
Noja, mußt halt schreiben, daß man das doch gar
nicht zählen kann und so, wo also so viel sein! —
Was? Wir zählen selber immer? Noja, wir, wir, aber
der Feind, das is doch was andreas! — Was? Was
wern s' sagen? Der Feind kann, wann s' so zuströmen,
nicht so schnell zählen, aber wir können leichter unsere
Verluste zählen — ? Herstellt pomali, wir harn ja
gezählt und wir sind eben nach genauer Berechnung
auf eine weit geringere Ziffer gekommen, verstehst!
Die Hauptsach is, du sagst immer: phantastische
Gefangenenziffern — du, das is sehr wichtig, daß d'
das sagst. No wirst scho machen — wann drauf steht
»amtlich«, so is's eh scho die halberte Wahrheit und
die andere Halbscheid machst halt dazu, bist ja ein
gscheiter Bursch, also servus servus — Schluß!
(Verwandlung.)
14. Szene
Schlachtfeld bei Saarburg.
Hauptmann Niedermacher: Immer wieder
zögern unsre Jungens. Jeder von ihnen weiß längst,
daß General Ruhmleben bei einer Besprechung der
Kampflage den prägnanten Befehl gegeben hat,
Kriegsgefangene, ob verwundet oder unverwundet,
mit Gewehrkolben oder Revolver niederzumachen
und Verwundete auf dem Feld zu erschießen, wie
die Lügenpropaganda unsrer Feinde behauptet.
Major Metzler: Ruhmleben handelt getreu
der alten Devise unsres obersten Kriegsherrn: Pardon
585
wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht!
S.M. hat überdies befohlen, Spitalschilfe zu versenken,
und da werden wir uns zu Lande nicht beschämen
lassen !
Niedermacher: Ich habe den Brigadebefehl
über die Erledigung der Kriegsgefangenen von
Mund zu Mund an die Kompagnie weiter gegeben.
Aber immer wieder zögern die Kerls,
Metzler: Das wollen wir doch mal sehn, da
gibts ja Gelegenheit. (Er stößt einen anscheinend toten
französischen Unteroffizier mit dem Fuß an.) Na also, der Öffnet
noch die Augen. (Er winkt zwei Soldaten heran. Sie zögern.)
Ist euch der Brigadebefehl nicht bekannt? (Die Soldaten
schießen.) Da hockt einer — mir scheint gar, der
trinkt Kaffee! (Er winkt einen Soldaten heran.) Hör mal
Niedermacher, du magst die Angelegenheit indessen
erledigen, ich muß bei mir zum Rechten sehn.
(Ab. Der Verwundete fällt vor Niedermacher auf die Knie und
hält die Hände flehend empor.)
Niedermacher (zu dem Soldaten, der zögert):
Gefangene werden nicht gemacht!
Der Soldat: Eben noch habe ich ihn verbunden
und gelabt, Herr Hauptmann — !
Niedermacher: Er wird dir dafür die Augen
ausstechen und die Kehle durchschneiden. (Der Soldat
zögert. In Rage:) Sie schießen heimtückisch von hinten
und von oben. Schießt sie von den Bäumen wie die
Spatzen, hat der General gesagt. Alles muß zusammen-
geschossen werden, hat der General gesagt. Soll
ich es dir befehlen, Kerl? Zwanzig sind heute erlegt
worden, und du Kerl hast Bedenken? Bist du ein
deutscher Mann? Das wirst du zu verantworten haben!
Muß man denn für euch Hosenscheißer immer selbst
zugreifen? Da — sieh her, wie mans macht!
(Er erschießt den knieenden Verwundeten.)
(Verwandlung.)
586
15. Szene
Bei Verdun. Deutsche Gefangene sind aufgestellt. Französische
Uateroftiziere erteilen Faustschläge, Reitpeitschenhiebe und
Kolbenstöße. Jene werden weiter getrieben. Verwundete sinken
ermattet nieder. Einem quillt Blut aus Mund und Nase. Nachdem
der Zug vorbei ist, erscheint der General Gloirefaisant. Er winkt
und gefangene Offiziere werden vor ihm im Parademarsch vorbei-
geführt. Einem schlägt ein französischer Offizier mit der Reit-
peitsche auf die Schenkel.
General Gloirefaisant (zu einem Hauptmann):
Zu viel Gefangene! Meine Nettoyeurs liegen auf der
faulen Haut. Uns fehlt ein Roland Campbell, dieser
vorbildliche Lehrer für Bajonettübungen. Er macht
das Blut der Jugend gerinnen durch seine Bered-
samkeit über die Methoden des Angriffs, um die
Leber, die Augen und die Nieren des Feindes zu
durchstoßen. Wie sagte er doch? »Ihr könnt einem
Deutschen begegnen, der sagt: , Mitleid, ich habe
zehn Kinder!' . . . Tötet ihn, er könnte noch zehn
bekommen.« Verlaß ist nur auf unsere Schwarzen.
Ihre Rucksäcke mit abgeschnittenen Ohren und
Köpfen, von denen die Lügenberichte der Boches
erzählen, sind unwiderlegliche Trophäen. Wir sollten
uns von unsern Hilfstruppen nicht beschämen
lassen. (Ab.)
Hauptmann de Massacre: Man kann es
ihm nicht recht machen.
Oberst Meurtrier: Wie? So wenig Gefangene?
Zv/anzig? Ich glaubte, daß Sie eine ganze Kompagnie
haben !
de Massacre: Ich hatte sie. Aber die
übrigen sind da unten im Schützengraben verreckt.
Ich habe meinen Leuten den Befehl erteilt, 180 mit
dem Bajonett niederzumachen. Die braven Jungen
zögerten wohl, aber ich stellte ihnen kurzen Prozeß
in Aussicht und da gings mit Halsabschneiden und
Bauchaufschlitzen.
Meurtrier (ungehalten): 180? Das ist zu viel!
Das wäre selbst dem General zu viel! Ich rate Ihnen,
587
über diese Sache nicht zu sprechen, wenn Sie nicht
riskieren wollen, aus der Liste der Ehrenlegion
gestrichen zu werden.
de Massacre (selbstbewußt): Ich glaube im
Gegenteil, Herr Oberst, daß ich in einigen Tagen
das Kreuz der Ehrenlegion tragen werde! Und dann
bekomme ich das Regiment von Korsika. Meine
Taten eröffnen mir die Bahn und mein Ziel soll
der Ausgangspunkt der gloire sein.
(Vei Wandlung.)
16. Szene
Kriegspressequartier in Rodaun.
D i e S C h a 1 e k (zu einem Kameraden): Die 208 Leiclien-
photographien legitimieren mich wohl zur Genüge vor
der Nachwelt; sie wird nicht zweifeln, daß ich mitten
drin war im heroischen Erleben. Damit Sie sich aber
ein Beispiel nehmen, damit Sie sehn, was wirkliche
Schlachtcnschilderung ist, will ich Ihnen nur die
Kernsätze aus meinem nächsten Feuilleton vorlesen.
Ich gehe davon aus, wie aus 70 Batterien in vier
Gruppen geschossen wird, eine beledert die Infanterie,
die zweite die Artillerie, die dritte die Reserve-
Stellungen und die vierte sperrt die Anmarschwege,
verstehn Sie, also hören Sie zu:
Die Hauptfrage ist: \Vie und wo und wann
kann abgeriegelt werden.
Beinahe wie ein eingelerntes Theaterstück rollt
sich das ab.
Waldkämpfe sind das Schauerlichste im
Schauerlichen.
Man hält sich für umzingelt und inzwischen
hat anderswo die emgetroifene Verstärkung bereits
»ausgeputzt«.
Der Kamerad: Ausgeputzt?
588
Die Schalek: Hören Sie zu — Der Tote ist tot.
Nur der lebend Gebliebene gewinnt den Ruhm.
Der Kamerad: Glänzend!
Die Schalek: In einen sechsspännigen Muni
tionswagen geht ein Volltreffer.
Der Kamerad: Ssss !
Die Schalek: Viele von den Leuten fliegen
in Stücken in die Wipfel hinauf.
Die Feinde werfen Handgranaten und es
entspinnt sich ein rasendes Handgemenge; mit
Dolchen, Kolben, Messern, Zähnen wird gerauft.
Fliegen die Granaten zu weit, so werden die
Kappen geschwenkt und den Geschossen Ver-
beugungen gemacht.
Der Kamerad: Ein Genrebild.
Die Schalek: »Habe die Ehre« rufen sie ihnen
nach. Und zwischendurch wird darüber geschimpft, daß
die Russen ausgerechnet am Gagetag losgegangen sind.
Der Kamerad: Ausgerechnet.
Die Schalek: »Wollen die unserem Ärar die
Löhnungen ersparen? Gerade hätte die Auszahlung
beginnen sollen!«
Der Kamerad: Humor im Felde.
Die Schalek: Warum soll er nicht in seine
Rechte treten? Hören Sie zu.
Der Oberleutnant Radoschewitz ist jetzt ganz
ruhig. Seine innere Krisis ist vorbei.
Der Kamerad: Sic nennen ihn?
Die Schalek: Warum nicht, wenn er geleistet
hat? Hören Sie zu.
Welche Freude! Eine Kiste deutscher Eier —
Der Kamerad: Das glaub ich!
Die Schalek: Lassen Sie mich ausreden.
Welche Freude! Eine Kiste deutscher Eier-
granaten ist dort, das sind kleine Wurfgeschosse, die
man wie Steine schleudern kann.
Der Kamerad: Ah, so is das!
589
Die Schalek: Einer hat einen Armschuö
bekommen, einem ist das Trommelfell geplatzt. Der
Oberleutnant ist wie taub. Er taumelt. Einer neben
ihm hat einen Nervenchok.
Feldwebel Janoszi brlillt eine Rede.
Der Kamerad: Sie nennen ihn?
Die Schalek: Warum nicht, das stille Helden-
tum des einfachen Mannes — ? Hören Sie zu.
Singend gehen sie los. »Stochere ihn aus dem
Graben — « so beginnt das muntere Lied, das so
wehmütig endet.
Der Kamerad: Fesch!
Die Schalek: Die Leute stürzen sich nun
über die dritte Linie her und jetzt gehen die
Sturmtruppen nach beiden Seiten vor und sie wird
ausgeputzt.
Die Methoden wechseln beständig, und die
neueste unter den neuen ist die der »Sturmtruppen«
und der »Grabenputzerei«.
(Mit leuchtenden Augen.) Wer je eine Sturmtruppe
nachts beim Ausmarsch gesehen hat, wird nie wieder
ein Erlebnis romantisch, abenteuerlich, verwegen
finden. Und wer je zu ihnen gehört hat, möchte
um keinen Preis der Welt wieder fort.
Der Kamerad: Das kann ich Ihnen nachfühlen!
Die Schalek: Lauter ganz junge, unverheiratete
Leute unter vierundzwanzig müssen sie sein. Schlank,
beweglich, kühn und zu tollen Streichen geneigt.
Der Kamerad: Ja die Jugend — !
Die Schalek: Genau nach dem Muster der
wirklichen Front wird hinten ein Übungsplatz angelegt
und das Ausputzen im wirklichen Feuer gelernt.
Ist eine besondere Aufgabe im Feindesgebiet
zu leisten, so wird sie mit allen Einzelheiten wie
ein Theaterstück geprobt. Das Leichteste ist
natürlich das gewöhnliche Putzen.
Der Kamerad: Natürlich.
590
Die Schalek: Zwei Handgranatenwerfer gehen
voran.
Ist die Handgranate geworfen, so rennt die
Gruppe um die Traverse herum. Die Infanterie,
die folgt, besetzt dann die geputzten, das heißt,
die eroberten Gräben,
Die Sturmtruppen auf der Lysonia unter
Führung des Oberleutnants Taiika, des Leutnants
Kovacs und des Fähnrichs Sipos arbeiten wie in
der Schule. Sie glühen vor Eifer und Wichtigkeits-
gefühl.
Die Exaktheit ihrer Bewegungen, das Ineinander-
greifen ihrer Wirkungen ist erstaunlich, erschütternd,
gewaltig.
Bis zehn Uhr abends wird geputzt.
Der Kamerad: No aber es muß doch schon
endlich rein sein?!
Die Schalek: Was fällt Ihnen ein, noch
lang nicht!
Da sind es insbesondere der Leutnant Pinter
und die Gefreiten Juhasz und Baranyi, die ihre
Sache so ganz besonders bedächtig und vorschrifts-
mäßig durchführen.
Die erste Linie aber wird noch drei Tage lang
geputzt. Dort findet man am dritten Tage einen
Verwundeten, dessen Heil es bedeutet, daß die
»Putzerei« so lange gedauert hat. Er bekam einen
Bauchschuß und ist nur durch das fürchterliche
dreitägige Liegen und Fasten gerettet.
Der Kamerad: Da sieht man erst wie gesund
das Putzen is.
Die Schalek: Selbstredend.
Nun da die Sturmtruppen mit Handgranaten
ihre Fuchslöcher ausräuchern, schreien sie um Gnade.
Der Kamerad: Sagen Sie bittsie, das haben Sie
alles mit eigenen Augen —
591
Die Schalek: Da könnte ich Ihnen noch ganz
andere Dinge erzählen! Unterbrechen Sie mich nicht
immer.
Während der drei Tage, in denen vorne geputzt
wird, säubert der Kommandant Oberst Sold von
Dreihundertundacht mit seinen übriggebliebenen
Truppen den Wald.
Der Kamerad: Wo waren die andern?
Die Schalek: So viel Leichen hat er noch
nie gesehen. Tag und Nacht arbeitet man, alle zu
verscharren.
Ein paar Gänse retten sich aus dem zertrümmerten
Käfig und spazieren nun wohlgemut im Trommel-
feuer umher. —
Also was sagen Sie?
Der Kamerad: Ich bin begeistert. Wenn nicht
das mit dem Putzen war — kein Mensch möcht
merken, daß es eine Frau geschrieben hat!
Die Schalek: Wie meinen Sie das?
Der Kamerad: Ich meine, wie Sie das
Ausputzen schildern — daß Sie so viel Wert auf
Reinlichkeit im Schützengraben —
Die Schalek: Wie?
Der Kamerad: No — die Putzerei — wie Sie
sich das loben I
DieSchalek (ihm einen veräcH tlichen Bück zuwerfend) :
Sie blutiger Laie! Putzen heißt Massakrieren!
Der Kamerad (zurücktaumelnd und sie anstarrend):
Wissen Sie — 1
Die Schalek: Das haben Sie nicht gewußt?
Die Herrn Kollegen!
Der Kamerad: Aber —
Die Schalek: Fassen Sie sich, ä la guerre
comme ä la guerre.
Der Kamerad: Da muß ich schon sagen —
unsereins —
Die Schalek: Nun?
592
Der Kamerad: Koschamadiener! (Nach einer
Pause, in der er sie stumm betrachtet, ekstatisch.) So etwas
ist nur in Rußland möglich ! Oder in Frankreich, bei der
Jungfrau von Orleans! Wie sagt doch Sajten, wenn
dann den Männern jegliches Hoffen entsinken wollte,
stand solch ein Mädchen auf, geweckt und begeistert,
von der Gewalt des Unglücks aus seiner eingebornen
Natur gerissen, und trat hervor, um die Männer an-
zufeuern. An diese einzelnen Gestalten geben wir
unser Bewundern hin; sie sind vom Strahl des Ruhmes
umleuchtet, sind vom Reiz großer Tapferkeit und
poetischer Abenteuer umwittert, und gerade weil sie
als seltene Ausnahmen gelten dürfen, fühlen wir
uns so sehr bereit, sie durchaus zu idealisieren, daß
der nüchterne Verstand gar nicht dazu gelangt, sich
all der vielen furchtbaren, häßlichen und rohen Dinge
zu besinnen, die sie doch zweifellos selbst getan
oder mitangesehen haben müssen.
Die Schalek: Es muß sein!
Der Kamerad: Nein, das war nicht im
Feuilleton »Es muß sein«, sondern im Feuilleton
über das russische Todesbataillon. Da werden Weiber
zu Hyänen.
Die Schalek: Wie meinen Sie das — ?
Der Kamerad: Unterbrechen Sie mich nicht.
An solchen Ausartungen der weiblichen Natur können
wir nicht schweigend vorübergehen, weil sie manches
erklären, was zu den Erlebnissen des Krieges gehört.
Diese abstoßende Unweiblichkeit, diese auf der Gasse
zur Schau getragene Gemütlosigkeit sind Merkmale
ernster Verwilderung —
Die Schalek: Sie, erlauben Sie mir — Sie
haben doch gerade — das ist sehr unkollegial von
Ihnen — woraus ist das?
Der Kamerad: Aus dem Leitartikel, von
Ihm selbst, lassen Sie mich ausreden — Wie das
immer zu sein pflegt, daß die Frau, wenn sie aus
der Eigenart des Geschlechtes heraustritt, ihre Zartheit
593
abstreift und sich zum Mannweib verunstaltet, zu
einer seltsamen Grausamkeit neigt, hat sich diese
Erfahrung auch in England wiederholt.
Die Seh alek: Ah so!
Der Kamerad: Da werden Weiber zu Hyänen!
Die Spinster —
Die Schalek: Sie, wer gibt Ihnen eine Spinster
ab? Ich beschwer mich beim Eisner von Bubna!
Der Kamerad: Hören Sie zu — die Spinster
darf nicht mit ihrer festländischen Schwester verglichen
werden. Diese ist gewöhnlich ein liebes, gutmütiges
und bescheidenes Wesen.
Die Schalek (geschmeichelt): No SO einen Leit-
artikel schreibt ihm heut doch keiner nach!
Der Kamerad: Dem Himmel sei Dank, daß
eine österreichische Frau im Kriege dort ihren Platz
gewählt hat, wo Kranke zu pflegen, Müde zu erfrischen
und Bedrückte zu trösten sind.
Die Schalek: Was heißt das? Das steht so?
Wissen Sie — er läßt sich manchmal doch von seinem
Temperament fortreißen. Man darf nicht generalisieren.
Alles zu seiner Zeit. Man kann nicht immer im
Hinterland hocken. Bekanntlich hab ich das Schwarz-
gelbe Kreuz angeregt zusammen mit der Anka Bienerth I
Der Kamerad: Das weiß man, regen Sie sich
nicht auf —
Die Schalek (mit Tränen kämpfend, entschlossen) :
Grad schick ich ihm das Feuilleton!
Der Kamerad: Nu na nicht. Aber den Schluß-
satz rat ich Ihnen streichen Sie.
Die Schalek: Den Schlußsatz? (Sie blickt in das
Manuskript) Ein paar Gänse retten sich aus dem
zertrümmerten Käfig und spazieren nun wohlgemut
im Trommelfeuer herum — Das soll ich streichen?
Der Kamerad: Ja.
Die Schalek: Warum?
Der Kamerad: So.
Die letzten Tage der Menschheit. 38
594
Die Schalek: Also sagen Sie —
Der Kamerad (zögernd): Ja wissen Sie denn
niclit —
Die Schalek: Was denn?
Der Kamerad: — daß das Kriegspressequartier
beschlossen hat —
Die Schalek: Ja was denn?
Der Kamerad: — von jetzt an außer Ihnen
noch ein paar Kriegsberichterstatterinnen zuzulassen !
Die Schalek (betroffen, dann bitter lachend): Dank
vom Haus Österreich ! (Sif^ will gehen, vermag es aber nicht.)
(Verwandlung.)
17. Szene
Der Abonnent und der Patiiot im Gespräch.
Der Abonnent: Was sagen Sie zu den
Gerüchten ?
Der Patriot: Ich bin besorgt.
Der Abonnent: In V/ien sind Gerüchte ver-
breitet, daß in Österreich Gerüchte verbreitet sind.
Sie gehen sogar von Mund zu Mund, aber niemand
kann einem sagen —
Der Patriot: Man weiß nichts Bestimmtes,
es sind nur Gerüchte, aber es muß etwas dran sein,
wenn sogar die Regierung verlautbart hat, daß
Gerüchte verbreitet sind.
Der Abonnent: Die Regierung warnt aus-
drücklich, die Gerüchte zu glauben oder zu ver-
breiten, und fordert jeden auf, sich an der Unter-
drückung der Gerüchte tunlichst auf das energischeste
zu beteiligen. No ich tu was ich kann, wo ich hin-
komm sag ich, wer gibt auf Gerüchte?
Der Patriot: No die ungarische Regierung sagt
auch, daß in Budapest Gerüchte verbreitet sind, daß
nämlich in Ungarn Gerüchte verbreitet sind, und
warnt auch.
595
Der Abonnent: Mit einem Wort, es hat
stark den Anschein, daß die Gerüchte in der ganzen
Monarchie verbreilct sind.
Der Patriot: Ich glaub auch. Wissen Sie,
wenn mans nur gerüchtweise gehört hätte, aber die
österreichische Regierung sagt es doch ausdrücklich
und die ungarische auch.
Der Abonnent : Es muß etwas dran sein. Aber
wer gibt auf Gerüchte?
Der Patriot: Selbstredend. Wenn ich wen von
Bekannte treff, frag ich zuerst, ob er schon von den
Gerüchten gehört hat, und wenn er sagt nein, sag
ich ihm, er soll sie nicht glauben, sondern ihnen
erfordeilichenfalls sofort tunlichst auf das energischeste
entgegentreten. Das is das mindeste, was man ver-
langen kann — die erste Pflicht der Loyalität!
Der Abonnent: Es muß etwas dran sein, denn
sonst v/ären doch nicht die drei Abgeordneten, wissen
Sie, die immer zusamm ausgehn, beim Minister-
präsidenten Seidler erschienen und hätten ihn auf die im
Umlauf befindlichen Gerüchte aufmerksam gemacht.
Der Patriot: No sehn Sie? Aber der Minister-
präsident hat gesagt, daß ihm die in Frage stehenden
und im Umlauf befindlichen Gerüchte wohl bekannt
seien.
Der Abonnent: No sehn Sie? Wissen Sie,
was ich glaub? Ich sag Ihnen im Vertraun —
die Gerüchte betreffen das angestammte — (er nimmt
sich das Blatt vor den Mund.)
Der Patriot: Was Sie nicht sagen! Ich weiß
sogar mehr. Die Verbreiter der Gerüchte wollen
den Glauben der Bevölkerung an dasselbe vergiften!
Der Abonnent: Was Sie sagen! Und es heißt
sogar, daß die Gerüchte zur Ursprungszeit jedesmal
an ganz verschiedenen Stellen gleichzeitig zu ver-
nehmen seien, weshalb —
38*
596
Der Patriot: — die Annahme gerechtfertigt
ist, daß man es mit einer Organisation der Gerüchte
zu tun habe.
Der Abonnent: Sagt man! Aber das sind
doch schließlich nur Gerüchte, wer kann das so genau
festgestellt haben — bittsie gleichzeitig an verschie-
dene Stellen!
Der Patriot: Sagen Sie das nicht. Die
Regierung kann das. Wissen Sie was man sagt?
Man sagt, die Verbreitung der Gerüchte sei ein
neues Zeichen der aus den Reihen unserer Feinde
kommenden Versuche, bei uns Verwirrung zu stiften.
Aber da strengen sie sich vergebens an!
Der Abonnent: Hab ich auch gehört. Man
sagt sogar, die Gerüchte gehören in das Arsenal
unserer Gegner, die kein Mittel scheuen, um das
Gefüge der Monarchie zu erschüttern sowie die Bande
der Liebe und Verehrung zu lockern, nämlich zum
angestammten — (er nimmt sich das Blatt vor den Mund.)
Der Patriot: Was Sie nicht sagen! No —
da wern sie auf Granit beißen!
Der Abonnent: Wissen Sie was?
Der Patriot: No — ?
Der Abonnent: Wissen möcht ich, was an
den Gerüchten dran is!
Der Patriot: Das kann ich Ihnen sagen:
gar nix is dran und der beste Beweis is, daß
man nicht einmal weiß, was es für Gerüchte sind.
Wissen Sie was?
Der Abonnent: No — ?
Der Patriot: Wissen möcht ich, was es für
Gerüchte sind!
Der Abonnent: No was wern es schon für
Gerüchte sein I Schöne Gerüchte das, von Mund zu Mund
gehn sie, aber kein Mensch kann einem sagen —
Der Patriot: Man is rein auf Gerüchte
angewiesen!
(Verwandlung.)
597
18. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Was sagen Sie zu den
Gerüchten?
Der Nörgler: Ich kenne sie nicht, aber ich
glaube sie.
Der Optimist: Ich bitt Sie, die Lügen der
Entente —
Der Nörgler: — sind bei weitem nicht so
bedenklich wie unsere Wahrheiten.
Der Optimist: Das einzige, was allenfalls
den Gerüchten Nahrung geben könnte, wäre —
Der Nörgler: — daß wir keine haben.
(Verwandlung.)
19. Szene
Michaelerplatz. Die Burgmusik zieht vorbei. Hinter ihr die
Pülcher. Trommelwirbel.
Chor der Pülcher:
KabrrottkamöU — karauchtabak —
Kabrrottkamöll — karauchtabak —
Stier — stier — stier.
O — du mein — Österreich — Österreich —
(Die Musik entternt sich.)
20. Szene
Militärkommando.
Ein Hauptmann (diktiert ablesend): Reservat! —
Kriegsgefangene, die von ihrer Arbeitsstelle nichtiger
Ursachen wegen entflohen sind und wieder einge-
bracht wurden, sind mit dem mindestens einmaligen
zweistündigen Anbinden zu bestrafen — (es klingelt)
598
Was is denn? — Ah so — ja natürlich — 20 Kilo
Nullermehi — na ja, wer' schaun — grüß dich! —
Also wo sind wir?
Die Schreibkraft: — mindestens einmaligen
zweistündigen Anbinden zu bestrafen —
Der Hauptmann: — und nach der Ver-
büßung der Strafe — wenn dies bei Berücksichtigung
der speziellen Fälle opportun erscheint — grund-
sätzlich und ehestens auf ihre frühere Arbeitsstelle
zurückzusenden. Die Kommandos der Kriegs-
gefangenenlager haben zu trachten, durch Anwendung
aller zulässigen Strafmittel, sodann durch Heran-
ziehung zu den beschwerlichsten Arbeiten im
Kriegsgefangenenlager den geflüchteten, wieder
eingebrachten und dem Kriegsgefangenenlager
zugeschobenen Kriegsgefangenen den Aufenthalt
nach Möghchkeit zu verleiden, — (Es klingelt.) Was
is denn scho wieder? — Ah so — ja natürlich —
C-Befund — fünf Kilo Filz — sag ihm, wer' schaun
was sich machen laßt — Schreib alles auf —
Ja du, Momenterl, vergiß nicht, erinner den Dokter
von der Zeitung wegen die Karten zu »Husarenblut«,
telephonier ihm, hörst — Ich komm also bißl später,
servus Alte! — Also wo sind wir?
Die Schreibkraft: — den Aufenthalt —
Der Hauptmann: — nach Tunlichkeit —
Die Schreibkraft: — nein, nach Möglichkeit
zu verleiden.
Der Hauptmann: Bemerkt wird, daß Freiheits-
strafen im allgemeinen wenig geeignet erscheinen,
um die Fluchtfälle zu verringern, es sei denn,
daß sie an Tagen, die vorschriftsmäßig der Ruhe
gewidmet sind oder die als große Feiertage gelten,
bei Anwendung der erlaubten Verschärfungen in
Vollzug gesetzt werden. — So — vier is gleich!
Servus die Herrn, gute Nächte!
(Verwandlung.)
599
21. Szene
Kriegsministerium.
Ein Hauptmann (diktiert ablesend) : Reservat ! —
Mit Rücksicht darauf, daß im Laufe der näclisten Monate
fast eine Million russischer Kriegsgefangener die
österreichisch-ungarische Monarchie verlassen und
in ihre Heimat zurückkehren werden, ist es von
wesentlicher Bedeutung, mit welchen Gefühlen diese
Kgf. an die in unserem Vaterlande verbrachte Zeit
zurückdenken. Es erscheint daher eine im richtigen
Augenblick einsetzende Einwirkung unsererseits im
höchsten Maße wünschenswert, um von den zahllosen,
in der Gefangenschaft gewonnenen Eindrücken und
Erfahrungen die ungünstigen abzuschwächen, die
erfreulichen und angenehmen jedoch zu beleben und
zu befestigen. Die in ihre Heimat zurückkehrenden
Russen werden dann nicht mit stumpfer Gleichgiltig-
keit oder gar feindseligem Hasse an uns zurück-
denken, sondern wissentlich aus voller Überzeugung
als Sendboten öst.-ung. Kultur in ihrem eigenen
Vaterlande tätig sein. Die Wege, eine solche günstige
Einwirkung zu erzielen, liegen in der Entfaltung
einer der russischen Volksseele angepaßten, groß-
zügigen, von ehrlicher Absicht getragenen politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Propaganda. Es wird
beabsichtigt, kurz vor Abschub —
Die Schreibkraft: Wie bitte?
Der Hauptmann: Abschub der russischen
Kgf. durch abzuhaltende Propagandavorträge über
politische, soziale und wirtschaftliche Gebiete einen
Österreich freundlichen Geist unter den russischen Kgf.
wachzurufen. Abgesehen von allen für unser Wirt-
schaftsleben etwa bedeutsamen Folgen kann durch
eine solche Umstimmung der russischen Volksseele
ein mächtiger Abbau der von unseren Feinden über
die ganze Welt verbreiteten Lügenpropaganda herbei-
geführt werden. Um einen nachhaltigen Eindruck
auf die russischen Kgf. zu erzielen, darf sich die
600
Propaganda bei den russischen Kgf. naturgemäß nicht
bloß auf die Abhaltung von Vorträgen beschränken,
es ist vielmehr bis zur Zeit des endgiltigen
Abtransportes notwendig, auf die russischen Kgf.
anderv/eitig in jeder Hinsicht nach Tunlichkeit günstig
einzuwirken. — Machen S' ein' Absatz.
Der ganzen Sachlage nach liegt es auf der
Hand, daß jedoch eine solche Propaganda, wenn
sie bloß durch Organe der Heeresverwaltung erfolgen
würde, zweifellos viel von ihrem ursprünglichen Wert
einbüßen müßte — no jo, is eh wahr — und erscheint
es in Ansehung des Zweckes vorteilhaft, durch
tunlichste Heranziehung für diese Aufgabe geeigneter
und auch ideal und praktisch interessierter Personen
diese Beeinflussung auf ein den militärischen Formen
möglichst entrücktes Niveau zu heben. — No das is
bißl stark! — Dieser wesentliche Umstand bedingt
hinwieder, daß aus militärisch-disziplinären Gründen
eine solche Propaganda erst knapp vor Abfahrt der
kriegsgefangenen Russen einsetzen darf — selbstver-
ständlich! — wobei auch zu hoffen ist, daß dieselben
mit dem frischen unvermittelten Eindruck, den sie
hiebei empfangen, in ihre Heimat zurückgelangen.
— Absatz! Politisch: Mit einer aus tiefster Wahr-
haftigkeit entspringenden Überzeugung kann gerade
in Österreich-Ungarn den heimkehrenden Russen die
offenherzige Versicherung mitgegeben werden, wie
wenig unser Vaterland den Krieg gewollt, wie sehr
es den Frieden gewünscht — also das is gut, daß er
das betont, mir san ja eh die reinen Lamperln —
Die Schreibkraft: Wie bitte? Mir san —
Der Hauptmann: Aber nein, das schreiben S'
nicht! — also den Frieden gewünscht, wie nach-
drücklich man die mit dem Lose der Gefangenschaft
für die Kgf. unzweifelhaft verbundenen Härten auf-
richtig bedauert und wie alle etwa seitens der Kgf.
erlittenen Unbilden — no no! — keineswegs in
einer Abneigung, Geringschätzung oder gar einem
601
Haß gegen das russische Volk ihren Ursprung
gehabt hätten, sondern einzig und allein in den durch
die lange Kriegsdauer sich häufenden Schwierigkeiten
begründet seien. — Absatz! Sozial: Ohne auch nur
mit einem Wort die derzeitigen russischen sozialen
Verhältnisse zu berühren, können die heimkehrenden
Russen über die Vorteile und Eigentümlichkeiten
unserer gesellschaftlichen und sozialen Struktur
zweckentsprechend aufgeklärt werden, wobei ins-
besondere darauf das Augenmerk zu lenken wäre,
wie bei dieser gesellschaftlichen Ordnung Wohlstand
und Fortschritt stetig steigen und die Allgemeinheit
sowohl wie der einzelne daraus bleibenden Vorteil
zieht. — Noja, is eh wahr — Absatz! Jetzt kommen
wir zum puncto puncti. Wirtschaftlich: Indem
man an der Hand der Tatsachen den Beweis führt,
daß die großen Schwierigkeiten, die der lange Kriegs-
und Unruhezustand allseits geschaffen, nur durch die
höchste Entfaltung aller verfügbaren Arbeitskräfte
und eine damit parallel gehende schleunige Aufnahme
eines großzügig organisierten, die Staaten über-
greifenden Güteraustausches überwunden werden
können, wird den heimkehrenden Russen die un-
bedingte Notwendigkeit einer raschen und rückhalt-
losen Anknüpfung von Handelsbeziehungen mit der
Monarchie vollends verständlich werden. Es wird ein
Leichtes sein, den Leuten von diesem Gesichtspunkte
aus in überzeugender Weise vor Augen zu führen, wie
sehr der Bauer, der seine Vorräte verbirgt und dadurch
der Auswertung durch den freien Handel entzieht,
sich selbst schädigt, indem er gerade infolge dieses
Umstandes nicht oder sehr verspätet in den Besitz
der von ihm begehrten Gebrauchsartikel kommen
wird, da eben unsere eigene Bevölkerung, welche
mit der Herstellung solcher Waren beschäftigt ist,
infolge des Mangels einer zureichenden Nahrung
nicht in der Lage ist, jene höchsten wirtschaftlichen
Energien zu entwickeln, wie sie im Frieden bei
602
guter Ernährung für einen großzügigen Export
erforderlich sind. — No das muß ihnen doch ein-
leuchten. — Absatz!
Bei den landwirtschaftlichen Partien, insbe-
sondere bei den Kgf. in Bauerngemeinden, ist eine
Propaganda zumindest nicht nötig, es wäre denn eine
Orientierung und Beeinflussung der auf dem Lande
lebenden kgf. Russen, daß die Ernährungsverhältnisse
der in Städten wohnenden Bevölkerung viel zu
wünschen übrig lassen und Abhilfe durch Einfuhr von
außen sehr geboten sei. — No das müssen s' einsehn. —
Absatz !
Anders steht es jedoch mit den russischen Kgf.
in Fabriken, bei Bauten aller Art und bei ärarischen
Arbeitsstellen. Es wäre hier sehr zweckdienlich, wenn
die Arbeitgeber in solchen Fällen die patriotische
Pflicht übernehmen würden, den russischen Kgf.
die letzten Tage ihrer Arbeit bei uns tunlichst zu
erleichtern. — Absatz!
Alle militärischen Leiter der Firmen unter KLG.
und der Mil. Bergbaue und Kommandanten werden
daher angewiesen, unverzüglich alle Arbeitsstellen,
wo russische Kgf. beschäftigt sind, zu bereisen,
beziehungsweise aufzusuchen und in ähnlichem Sinne
auf die Kgf. einzuwirken, wie es im Nachfolgenden
(unter hst. Vdg. Präs. Nr. 14169/18) bereits von den
Lagerkommandanten verlangt wurde. — Absatz!
Der Lagerkommandant muß abwechselnd die
Wohngruppen, Offz.-Abteilungen oder Lagerspitäler
besuchen und mit den russischen Kgf. in persönlichen
Verkehr treten. (Mit warmer Stimme.) Bald fragt er sie
nach ihrem Befinden, bald nach ihren Eltern, nach
der Verpflegung, Post, Bekleidung. Bei Klagen muß er
bis ins Detail die Untersuchung an Ort und Stelle
pflegen, öffentlich, vor allen Kriegsgefangenen. Er
muß sie hiebei überzeugen, daß er keine persönliche
Mühe scheut, um auf die Wahrheit und durch diese
zur Gerechtigkeit zu gelangen. Klagen über Ver-
603
pflegung und Bekleidung benützt er, um den Russen
zu beweisen, daß nicht wir, sondern unsere Feinde
im Westen schuld daran sind und daß wir mit
Freuden speziell den russischen Kgf. mehr geben
würden, wenn wir es hätten. Sie, die Russen sind ja jetzt
nicht mehr unsere Feinde. (Erwird wärmer.) Wir haben sie
überhaupt niemals für unsere Feinde gehalten, das
beweisen die vielen früheren Kriege, wo Russen und
Österreich-Ungarn tapfer zusarnmengekämpft haben.
Der Lagerkommandant muß hie und da in die Küche,
wenn das Fleisch oder Fische bereits zur Verteilung
gelangen. Einen, zwei oder vier Kgf. fängt er in
dem Momente ab —
Die Schreibkraft: Wie bitte?
Der Hauptmann: — fängt er in dem Momente
^ab, als sie mit der ausgegebenen Menage von der
f' Verteilungsstelle zu ihren Pritschen gehen. (Mit Eifer)
■ Niederstellen, Wage herbei, Fleisch oder Fisch abwägen.
Je mehr er Zuseher hat, desto besser. Sodann Fleisch-
büchel herbei, wie viel wurde im ganzen heute ein-
gekauft? 25 Prozent an Knochen, 20 Prozent an
Kochschwund ab, Rest dividieren durch Anzahl
der Menageportionen und (drohend) wenn nur
ein Deka an der Portion fehlt — so sind z. B. bei
200 Menageportionen 2 kg Fleisch oder Fisch
gestohlen worden. (Streng: Wer hat das getan? iVlenage-
kommission. Köche, Inspektionschargen herbei!
Strenges Gericht vor allen Kgf. der ganzen Wohn-
gruppe. Schluß: Absetzung der Köche, der Menage-
kommission und aller in der Küche Beschäftigten,
falls der Schuldtragende nicht gefunden wird. —
Absetzen — ah Absatz!
Findet der Lagerkommandant Tabak, Zigaretten,
gekauftes Brot, Wurst etc. bei den Russen, so
erkundigt er sich um den Preis, welchen der be-
treffende Kgf. hiefür gezahlt hat. Bald wird sich
herausstellen, daß unter den Kgf. es viele Schleich-
händler gibt. Diese Winkelkaufleute sind nicht immer
604
Juden. Sie haben außerhalb des Lagers Quellen, wo
sie bei passender Gelegenheit einkaufen und die
gekauften Artikel im Lager an ihre Kameraden, die
Kgf., um drei- bis vierfachen Preis verkaufen. Wenn
es dem Lagerkommandanten gelingt, einen solchen
Winkelhändler zu ertappen — (in Rage) ausziehen,
Leibes- und Koffervisite. Oft wird er 500 Kronen
und mehr bei ihm finden. Wegnehmen und jenen
Betrag davon, über dessen gerechte Herkunft er sich
nicht ausweisen kann, an die übrigen Kgf. verteilen. —
Absatz !
Derzeit werden dem Lagerkommandanten die
kgf. Russen stundenlang zuhören, wenn er ihnen
etwas über den Austausch erzählen kann. Wann
kommen wir daran, wie lange noch? Wenn er in
der Lage ist, ihnen lapidar nachzuweisen, daß nicht
wir daran schuld sind, daß der Austausch so
schleppend vor sich geht, so wird auch die Arbeits-
freudigkeit der Kgf. sich wieder einstellen, nur darf
er dabei Rußland nicht herabsetzen. Das wäre ein
grober Fehler. — Absatz!
(Mit Gefühl) Immer weiter werden die russischen
Herzen, wenn er, der Oberst, ihnen hie und da die
neuesten Nachrichten aus Rußland mitteilt, die er soeben
im Morgenblatt gelesen hat. (Stellt sich in Positur) Stramm
und gehorsam werden sie ihn salutierend begrüßen,
keine Furcht vor Disziplinlosigkeit, wenn er mit
ihnen spricht. Wie überall, muß er auch hier ein
gutes Beispiel geben und selbst so stramm, als
es sein Alter und Gebrechen erlaubt, salutieren.
(Er salutiert). Ein Besuch des Lagerkommandanten
im Lagerspitale —
Ein Fähnrich (tritt ein): Herr Hauptmann
melde gehorsamst, der Herr Oberst verlangt den
Bericht über die russischen Kriegsgefangenen.
Der Hauptmann: Den Erlaß wegen der
Propaganda? Da bin ich grad dabei.
605
Der Fähnrich: Nicht wegen der Propaganda,
sondern über die Verhungerten.
Der Hauptmann: Die Verhungerten? Wo
Sans denn scho wieder verhungert? Harn mr denn
den Akt?
Der Fähnrich: Es handelt sich um den Fall,
wo ein Russe, der mit zwei andern zusammen auf
einer Pritschen geschlafen hat, an Hunger gestorben
ist. Er war schon verwest, wie der Inspektor in den
Raum kommt, und die zwei andern waren so
entkräftet, daß sie nicht mehr haben aufstehen können
und auch nicht rufen.
Der Hauptmann: Momenterl — also sag dem
Herrn Oberst, ich wer' gleich im Einlauf nachschaun,
ich bin grad mit der Propaganda beschäftigt, weißt
damit sich die ungünstigen Eindrücke bei den Kgf.
abschwächen, daß mr wieder Handelsbeziehungen
anknüpfen können und daß s' uns nacher Lebensmittel
schicken, die Russen, wann s' z'haus kommen und so.
(Verwandlung.)
22. Szene
Statthalterei in Brunn.
Der Landeshauptmann: Ich hab eine Idee!
(Zur Schreibkraft) Schreib'n S': Zu den wichtigsten Lehren,
die wir dem mörderischen Weltkriege und seinen opfer-
vollen Anforderungen an die gesamte Bevölkerung
entnehmen können und müssen, gehört unzweifelhaft
auch jene von der Wichtigkeit, unsere Jugend schon
in der Schule im patriotischen Geiste zu erziehen,
ihr Kenntnis und Liebe ihres engeren und weiteren
Vaterlandes einzuimpfen und schon in die Kindesseele
alle jene Keime zu pflanzen, aus denen sich jene
herrlichen Manneseigenschaften entwickeln, welche
den jungen Mann befähigen sollen, als glühender
Patriot, beseelt von Liebe und Pflichttreue gegenüber
dem angestammten Herrscherhause und dem Vater-
606
lande, seine staatsbürgerlichen Pflichten gerne und
gewissenhaft zu erfüllen und gegebenenfalls auch
Leben und Gesundheit für diese Ideale zu opfern.
Wenig wurde leider diesbezüglich in Österreich
vorgearbeitet und Pflicht aller leitenden Persönlich-
keiten des Reiches scheint es mir zu sein, dieses
Versäumnis einzuholen und für die weitere Fort-
entwicklung der ja gottlob im Keime allenthalben
vorhandenen patriotischen und dynastischen Gefühle
in der kommenden Generation Sorge zu tragen.
Ein populär geschriebenes, dem Geiste unserer
Schuljugend angepaßtes Monatsschriftchen, betitelt
»Mlade Rakousko«, soll an unseren Volks- und
Bürgerschulen sowie an den Fortbildungsschulen
verbreitet werden und halte ich es für eine heilige
Pfhcht unserer Gesinnungs- und Standesgenossen,
für eine erhabene Aufgabe des Großgrundbesitzes,
die Verbreitung dieses Blattes an den Schulen seines
wirtschaftlichen Wirkungskreises dadurch zu fördern,
daß er für jede dieser Schulen eine Anzahl Exem-
plare abonniert, um so die unentgeltliche Verteilung
des Blattes an vermögenslose Schüler zu ermöglichen,
wobei ja noch außer der Einwirkung auf die Schüler
selbst, auch der Einfluß auf die älteren Familien-
mitglieder mit Recht zu erwarten steht.
Die Zeitschrift, deren jährlicher Abonnement-
betrag K 2.40 macht, kann in Brunn, Kaiser Franz
Josef-Platz Nr. 18, bestellt werden.
Möge dieser Appell
(Verwandlung.)
23. Szene
In einer Volksschule.
Einige Bänke sind leer Die überlebenden Kinder sind unterernährt.
Alle in Papieranziigen.
DerLehrerZehetbauer: Hütet euch
vor den Gerüchten, die in Umlauf sind, und tretet den-
selben tunlichst entgegen. Es ist der tückische Plan
607
der Feinde, Verwirrung in eure Reihen zu bringen,
aber es wird ihnen nicht gelingen. Verschließet euer
Ohr den Ausstreuungen, als ob wir nicht bis zum
gedeihlichen Ende durchhalten könnten und daß bei
uns Hungersnot herrsche. Wer ist denn schuld an
derselben als die Feinde? Und jetzt entfalten sie gar
noch eine brunnenvergiftende Tätigkeit, indem sie —
(Eine Knabe zeigt auf.) Was willst du, Gasselseder?
Der Knabe Gasselseder: Bitt Herr Lehrer,
derf man da auch nichts trinken?
Der Lehrer: Setz dich, du bist töricht, ich
meine ja das nicht bildlich, sondern wörtlich. Der
Feind will, da er uns im Felde nicht besiegen kann,
unsere Kraft im Minierlande zermürben. Darum seid
auf der Hut vor den Gerüchten! Beteiliget euch auf das
energischeste an deren Unterdrückung. Sie gehören in
das Arsenal unserer Feinde — (Ein Knabe zeigt auf.)
Was willst du, Anderle?
Der Knabe Anderle: Bitt Herr Lehrer,
haben denn unsere Feinde auch ein Arsenal?
Der Lehrer: Wohl haben sie ein solches,
jedoch es sind nur Gerüchte darin, und sie scheuen
ebendaselbst kein Mittel, um das Gefüge der
JVlonarchie zu untergraben, ja sogar die Bande der
Liebe sowie der Verehrung zum angestammten
Herrscherhause zu lockern. Kotzlik, du störst, wieder-
hole das Gesagte.
Der Knabe Kotzlik: Die Feinde — die
Feinde haben — das Arsenal untergraben — und —
und wir scheuen nicht die Liebe — zur angestammten
Bande —
Der Lehrer: Du bist ein Element! Du bleibst
hier und wirst den Satz, den ich dir diktieren werde,
zehnmal abschreiben. Setz dich, Tunichtgut! Ihr
andern aber, bleibet standhaft. Nehmet euch
diesbezüglich ein Beispiel an dem Wehrmann in
Eisen. Wie für die Ev/igkeit gebaut steht er da,
solange Habsburgs Doppelaar über unsern Häupten
608
kreisen wird, ein Wahrzeichen für und für. Überzeuget
euch, gehet hin und benagelt dasselbe tunlichst,
wofern noch Platz für einen Nagel ist, mit Erlaubnis
eurer Herren Eltern oder Vormünder. Auf dem Wege
dahin verschließet euer Ohr den Einflüsterungen, denn
sie verbreiten sogar, daß die Tage des Wehrmannes
gezählt seien und daß an seine Stelle ein Wtirstelmann
treten werde. So weit halten wir Gottseidank noch
nicht und gerne tragen wir die Entbehrungen, die
uns das Vaterland auferlegt, solange der Kampf
noch nicht entschieden ist für und für, sondern
hin und herwogt. Und doch ! Wenn wir — (Ein Knabe
zeigt auf.) Was willst du. Zitterer?
Der Knabe Zitterer: Bitt Herr Lehrer, den
Frieden!
Der Lehrer: Setz dich, du Element! Dir
prophezeie ich, daß du noch am Galgen endest,
wenn du dereinst ins Leben hinaustreten wirst.
Schäme dich! Und was ist denn das dort in der
dritten Bank? Ei Merores, du schwätzest ja!
Der Knabe Merores: Der Papa hat gesagt,
er versteht nicht das Geriß um den Frieden, er kann
es erwarten, konträr, ich glaub es war ihm eher
unangenehm, er hat hübsch verdient, no und wenn
der Frieden kommt, hört sich das doch auf.
Der Lehrer: Merores, es ist schön, daß dein
Vater so wacker durchhält und mit gutem Beispiel
vorangeht, aber du sprichst, ohne daß du gefragt
wurdest, und das ist ein Zeichen, daß dank den
Wühlereien der Feinde die Disziplin schon sehr
gelockert ist. Ich will nicht geradezu annehmen,
daß ihr im Dienste der feindlichen Propaganda
stehet, die überall ihre Fühlhörner im Spiele hat,
aber ich muß sagen, daß mir ein derartiges Verhalten,
jetzt wo wir unmittelbar vor der Entscheidung stehen,
doch sehr bedenklich ist. Ich kann euch immer wieder
nur einprägen: Bleibet standhaft immerdar! Was
sollte geschehen, wenn auch ihr ins Wanken geratet?
609
Die Feinde würden ins Land kommen, und dann wehe
euch, wehe euren Schwestern und Bräuten, wehe euren
Herren Eltern oder Vormündern! (Ein Knab'^ zeigt auf.)
Was willst du, SukfüH?
Der Knabe Sukfüll: Bitt Herr Lehrer, die
Fremden! Der Vatter hat gsagt, er will nicht mehr
durchhalten, er haltet es nicht mehr aus, es war
sclion höchste Zeit, daß einmal die Fremden kommen!
Die Klasse: Ja, pfleget den Fremdenverkehr!
Der Lehrer: Nicht doch! Das war anders
gemeint! Der Fremdenverkehr ist ein gar zartes
Pflänzlein, das wohl behütet sein will. Verlangt es euch
nach den Katzeimachern?
Die Klasse: Ja! Wir möchten was zu essen
haben!
Der Lehrer: Pfui! Ihr seid Elemente! Schämet
euch! Was soll sich der verewigte erhabene Monarch,
dessen Bild weiland auf euch herniederschaut, von euch
denken? Das hätte er sich schier nicht gedacht, daß
eine derartige Verlotterung die Folge sein wird, als er
sich genötigt sah, einen mutwillig heraufbeschworenen
Verteidigungskrieg zu beginnen und gegen eine
Übermacht das Schwert zu ziehen. Wehe euch,
wenn die Feinde ins Land kommen! Sie würden in
den erstklassigsten Hotels absteigen, ihr hättet nichts
zu lachen und unsere Frauen, die Hüterinnen des
häuslichen Herdes, hätten das Nachsehen. Habt ihr
denn alles vergessen, was ich euch je gesagt habe?
Ich will schier nicht hoffen!
Die Klasse: Wiewohl der rauhe Kriegessturm
über unsere Lande hinwegfegt, indem unser erhabener
Monarch Tausende und Abertausende unserer Söhne
und Brüder zu den Waffen rief, so zeigen sich schon
jetzt die ersten Ansä+ze zu einer Hebung des Fremden-
verkehrs. Darum lasset uns dieses Ideal nie aus dem
Auge verlieren, sondern lasset uns heute das alte
Lied anstimmen, das wir einst in Friedenszeiten
gelernt haben: Pfleget den Fremdenverkehr! (Sie singen:)
Die letzten Tage der Menschheit. 39
610
A a a, der Fremde der ist da.
Die stieren Zeiten sind vergangen,
Der Fremdenverkehr hat angefangen,
A a a, der Fremde der ist da.
(Verwandlung.)
24. Szene
Im Landesverband für Fremdenverkehr.
Der Redakteur: um einige Äußerungen
zu bitten, wie sich der Fremdenverkehr nach dem
Kriege gestalten wird, das heißt ob diesbezüglich
überhaupt schon etwas ins Auge gefaßt ist.
Der Funktionär: Selbstverständlich. Be-
kanntlich fand dieser Tage im Anschluß an die
Tagung der ärztlichen Abteilungen der waffen-
brüderlichen Vereinigungen ein Gedankenaustausch
unter Vertretern der Fachgruppen für Fremdenverkehr
der waffenbrüderlichen Vereinigung Deutschlands,
Ungarns und Österreichs statt.
Der Redakteur: Es ist wohl zu erwarten,
daß das Problem des Fremdenverkehrs nach dem
Krieg von ganz neuen Seiten zu betrachten sein wird?
Der Funktionär: Zweifellos.
Der Redakteur: Vielleicht hätten Sie die
Freundlichkeit, mir zunächst einen Fingerzeig nach
der Richtung zu geben, in der sich die Situation
unserer Waffenbrüder hinsichtlich des Fremden-
verkehrs nach dem Kriege gestalten wird. Daß die
Feinde auch in diesem Punkt einen Verlust erleiden
werden, steht wohl außer Frage?
Der Funktionär: Selbstverständlich werden
die französischen und belgischen Fremdenverkehrs-
plätze aller Voraussicht nach von den Reichsdeutschen
nicht aufgesucht werden.
Der Redakteur: Sie meinen, die Deutschen
werden diese Plätze nicht aufsuchen können oder
nicht wollen?
611
Der Funktionär: Ich meine, die Deutschen
werden diese Plätze nicht aufsuchen wollen können.
Der Redakteur: Da werden die Deutschen
wohl Ersatz suchen? Ich meine, Ersatz im eigenen
Lande?
Der Funktionär: Für die Nordseebäder
bietet die deutsche Küste ausreichenden Ersatz,
Der Redakteur: Wo aber werden die
Deutschen Ersatz für die französische Riviera suchen?
Doch offenbar bei uns?
Der Funktionär: Ersatz für die französische
Riviera mit ihren klimatischen Vorzügen als Frühlings-
und Herbstaufenthalt zu bieten, dazu ist sicherlich
die österreichische Küste der Adria vorzüglich
geeignet, die demnach auch einen großen Fremden-
zufluß zu erwarten haben wird.
Der Redakteur: Sie sprechen von der öster-
reichischen Küste der Adria wohl im Gegensatz zu
der italienischen und wollen damit jedenfalls sagen,
die Adria bleibt —
Der Funktionär: — unser. Gewiß, denn
sonst wären ja die Deutschen genötigt, auch für die
Adria Ersatz zu suchen.
Der Redakteur: Sie sind also, wenn ich Sie
richtig verstanden habe, der Ansicht, daß haupt-
sächlich das reichsdeutsche Publikum für unsern
Fremdenverkehr in Betracht kommen wird?
Der Funktionär: Allerdings.
Der Redakteur: Nun aber die Hauptsache,
Welche Attraktionen werden wir unsern Fremden
nach dem Kriege bieten können, oder vielmehr
welchen Ersatz werden wir für jene Sehenswürdig-
keiten, die etwa durch den Krieg zerstört worden
sind, durch andere Attraktionen bieten können? Sie
haben mit Recht der Adria ein günstiges Prognostiken
gestellt. Aber was werden wir außerdem zu bieten
haben?
39*
612
Der Funktionär: Außerdem werden die
Alpenländer mit ihren hervorragenden Kriegs-
erinnerungen einen Anziehungspunkt des mittel-
europäischen Reisepublikums bilden.
DerRedakteur: Welche Art Kriegserinnerungen
wäre diesbezüglich ins Auge gefaßt?
Der Funktionär: Wir geben uns der Hoffnung
hin, daß der pietätvolle Besuch der Heldengräber und
Soldatenfriedhöfe eine lebhafte Verkehrsbewegung
zur Folge haben wird. Es handelt sich ja darum,
unser Haus wiederum zu bestellen. Und v/ir appellieren
gerade in diesem Punkte an die verständnisvolle
Mitarbeit der Presse, da es unsere Aufgabe ist, jeder
Epoche die Attraktionen abzugewinnen, die sie
in sich selbst bietet, und die Gräber der Gefallenen
wie geschaffen erscheinen, die Hebung des Fremden-
verkehrs erhoffen zu lassen.
(Verwandlung.)
25. Szene
Ringstraßencafe. Nachmittag. Sitzend und stehend, eine Fauna
von Gestalten, die in heftigen Debatten begriffen sind. Die
Kon;rersation bewegt sich um die verschiedensten Gegenstände,.
wie Reis, Zucker, Lcder, und auch Wetjen, die für ein Trabfahren
abgeschlossen werden; einer packt ein Ölgemälde aus, ein anderer
zeigt einen Brillantring, der von einer erregten Gruppe geschätzt
wird. Unter den Händlern sind auch Leute in Uniform, ein
kleiner Oberleutnant, der einem Agenten von riesenhaften Körper-
formen >Tips« gibt. Dazwischen, auf den Seitenbänken da und
dort verstreut, Mädchen in insektenhafter Tracht. Kellner und
Kellnerinnen, die Getränke bringen. Rennprogrammverkaufer.
Gürteltiere schreiten durch. Die Luft ist voll von Ziffern und
Miasmen.
Dem Eintretenden tönt ein großes Geschrei entgegen,
aus dem er zunächst nur unartikulierte Laute hört, dann in
allen Tonarten hervorgestoßene, gebrüllte, gepfiffene, geröchelte
Rufe, die zumeist eine Bekräftigung bedeuten. Näher hinhorchend,
vermag man erst genauer zu unterscheiden.
DasGeschrei: — Mirgesagt! — Ihmgesagtl —
Unter uns gesagt ! — Sag i c h Ihnen ! — Sagen Siel —
613
No wenn ich Ihnen sag! — Also ich sag Ihnen — I —
Was sagen Sie! — Sagt er! — Auf ihm soll
ich sagen! — Ich wer' Ihnen etwas sagen — No
was soll ich Ihnen sagen? — Ihnen gesagt! —
Mammut: Sie — pst — ham Sie Scheidl?
Ein Kellner: Seit vorige Wochen verboten.
Mammut: Nix kriegt man! Nix — nix, gut. Aber
gor nix? (Zu seinem Nachbar) Also wie ich Ihnen sag,
a konto dessen bin ich heute enthoben 1
Zieselmaus: Danken Sie Gott jeden Früh.
Walroß: — Lassen Sie mich aus, ich tipp
nicht auf Hindenburg, ich tipp nicht auf Prima-
donna, ich wer Ihnen sagen, auf was ich tipp, ich
tipp auf Doberdo! —
Hamster: — Er hat ausgesorgt, er is Selbst-
versorger. Ich bin doch intim mit Kornfeld von der
Oezeg, bin ich also heraufgegangen zu der Miag,
sag ich dort, ich bin da, Salo Hamster —
Nashorn: — Wer gebt auf Gerüchte, für Gerüchte
wer' ich mr nicht den Kopp abreißen! Warum, weil
in der Presse stehn soll von etwas e Friedensfühler?
Idee! Ich sag Ihnen, e Bombengeschäft! —
Tapir: — Was wolln Sie von mir haben, bin
ich Hindenburg? —
Schakal: — Was wolln Sie von Siegfried Hirschl,
auf einen Menschen, was e B-Befund hat, geb ich
keinen Kreizer! Sie hätten sehn solin, wie sie mich
empfangen ham im KM, was sich da getan hat!
Nu na nicht! —
Leg u an: — Lire so viel Sie wollen! —
Kaiman: — Ohne Ausfuhrbewilligung nicht
zu m.achen — sag ich Ihnen, Julius Kaiman! —
Pavian: — Albanien? Nicht der Rede wert,
e Goriüakrieg! —
Kondor: — Auf Ihnen hat ma gewartet!
Ich hab scho verdient, v/ie Sie noch nicht auf der
Welt waren! Vor fünf Minuten, wenn Sie zugehört
hätten beim Telephon — achtzig Zentner mit fufzig
614
Mille auf Ehre! Ab Wien sofort greifbar! Werfen Sie
sich auf Zucker, mit Verbandzeug wem Sie kein
Glück mehr haben ! —
Low: — No kann man exestieren? —
Hirsch: — Täglich schrei ich zu meiner Frau —
Wolf: — Das wird ein Geriß sein um das
Abendblatt! Aber sicher is es nicht wahr! —
Posamentier: — Weiß ich? Burian hat
etwas e Friedensfühler ausgestreckt! —
Spitzbauch: Pst — Sie eine Tschoklad —
oder nein, wissen Sie was, bringen Sie mir —
Schlechtigkeit: — Der Brillant ist unter
Brüdern —
Stimmen hastig Eintretender: Aber ich
sag Ihnen, es is nicht wahr! — So wahr ich da leb
aus kompetentester Quelle, es is wahr! — Also wenn
ich Ihnen sag, es is nicht wahr!? — Und ich sag
Ihnen, es is ja wahr, fertig sind wir! — Also wetten,
es is nicht wahr?!
(Ein Pelz wird gestohlen. Es entsteht große Aufregung.)
Gollerstepper: Aber ich kenn ihm doch,
jeden Tag hat er drin herumgekiebitzt, der Schlieierl !
Tugendhat: Wer brauch jetzt einen Pelz?
Gollerstepper: Frag — ! Mundi Rosenberg!
Mammut (röchelnd) : Ich hätt noch zwei
Waggon —
Mastodon: — Fetten? Woher nehm ich Fetten?
Ich soll riskieren? —
Raubitschek: — Meschugge sind sie mit
Hextpreise. Ich wer' Ihnen etwas sagen — er soll in
Uniform hinaufgehn, kriegt er! —
Vortrefflich: — Wissen Sie was? Mit Seife
erziel ich einen Durchbruch! Zwirn setz ich auf die
Verlustliste. —
Gutwillig: — Großer Mann geworn ! Teenovin
und Punschnovin, Kleinigkeit! Der Mann hat heute
615
seine zwa Millionen auf Ehre! Was vvolln Sie haben,
ein Artikel Nommer eins! —
Aufrichtig: — So wahr ich da leb, mein heiliges
Ehrenwort, er hat auf die Unterschrift von Tizian am
Bild hingezeigt und hat gesagt, eine Mezzie! Wie
ich ihm aber später beweis, es is kein echter
Tizian, sagt er einfach: No dabei war ich nicht»
wie es der Tizian gemalt hat! No is das ein Geschäft?
Beständig: Also wenn er keine Haftung
übernommen hat, daß es kein echter Tizian is — ?!
Brauchbar: Man greift sich an den Kopf,
jetzt erklärt er auf amol er hat ihm den Tizian um
vier Rennpferd gegeben, also wieso?
Die Toilettefrau (ruft herein): Herr Pollatschek
zum Telephon! (Pollatschek stürzt hinaus.)
Lustig: Sehn Sie — ? Laufen Sie ihm nach —
Ein Invalide, Zitterer, erscheint. Er schüttelt unaufhörlich den
Kopf. Er wird entfernt.
Im Hintergrund, ganz in sich zusammengekauert, wie ge-
brochen, sitzt ein alter Schieber. Freunde bemühen sich um ilin.
Eine Frau hält die Hand auf seiner Schulter. Ein Mädchen
spricht ihm zu. Neugierige und Teilnahmsvolle gesellen sich.
Ein Freund: Aber — ! Es brauch ja nicht
wahr sein?!
Ein zweiter: Du — ich weiß nicht, wie du mir
vorkommst — wer wird denn gleich — du bist
komisch — !
Der alte Schieber (stöhnend): Laßts mich —
laßts mich — ich weiß doch — ich bin e Pech-
vogel — Gotteswillen — Gotteswillen — einmal im
Leben hat man — wo bleibt da — ich hab Schkoda —
ich hab Schkoda —
Die Frau: Bernaad — komm zu dir — ^ wer sagt
dir, daß es wahr is — du bist etwas in einen
überreizten Zustand durch dem Krieg —
Die Tochter: No regts ihn nur noch mehr
auf — alle kommen sie da herein — I
Die Frau: Gotteswillen — sein Herz!
616
Der alte Schieber: Laßts mich — laßts
mich — das Herz — das Abendblatt — achab
Schkoda —
Die Tochter: Wie er sich freut dort, Weitzner —
der möcht es ihm gönnen — ! Onkel, sag doch
er soll weggehn — der Papa is schon aufgeregt wenn
er nur sein Gesicht sieht!
Der Onkel: Entschuldige — man kann keinem
Gast verbieten — in einem öffentlichen Lokal —
Die Frau: Du hast uns noch gefehlt!
Der Freund: Moldauer — duu — ich hab
geglaubt — schau, du bist doch ein verninftiger
Mensch — ich kenn mich nicht aus in dir —
Der alte Schieber: Wenn es aber — wahr
is — ich weiß doch — Gottes — willen — achab
Schkoda —
Der zweite Freund: Wetten, es is nicht wahr —
also was wetten wir? — ich mach ein gutes
Geschäft — oi wie du gern zahlen wirst — !
(Der alte Schieber bricht in ein konvulsivisches Schluchzen
aus. Alles ist mit angstverzerrten Mienen um ihn beschäftigt.)
Ein jüngerer Wucherer (drängt sich vor):
Hat er Waggons — ? Wie viel Waggons hat er?? Also
ich erkläre feierlich, daß ich bereit bin —
Der Onkel: Gehn Sie weg, Sie Asisponem!
Der alte Schieber (nur noch wimmernd) : —
Schkoda
Der Geschäftsführer (erscheint) : Was is
denn gschehn — ? Ja, was is denn mit'n Herrn von
Moldauer — ?
Der Freund: Niix — Rappaport kommt sich
hereingestürzt und erzählt ihm — er weiß —
ausgerechnet — Rappaport weiß!
DerGeschäftsführer:Ja — was denn ? Mein
Gott, er liegt ja ganz gefühllos dal Was is denn
gschehn — ?
617
Der Freund: Niix — geredt wird — und das
hat er sich so zu Herzen genommen.
Der Geschäftsführer: Ja — was wird denn gredt?
Der Freund: No — ! Vom Frieden!
(Verwandlung.)
26. Szene
Friedrich-Straße. Ein geordneter Zug von Rowdies, Maklern,
Operettensängern, Bohemiengs, Gesundbetern, Luden, Pupen,
Nutten, Neppern, Schleppern, Schiebern und Schneppen.
Chor der Rufer: — Die Vorbereitungen
am Piave! — Der Heiratsonkel ! — Neieste Numma des
Semplecessemas! — B. Z. am Mittach! Die Neutralen
gehn nicht mit — Wachsstreichhelza.Wachsstreichhelza!
— Tageblatt Amdausgabe, deutsche Schiffe werden
nich beschlachnahmt! — Lakalanzaija! — Die jroße
Glocke! Sensationelle Enthüllungen, Schweinerei bei
Wertheim — Deutsche Schiffe werden nich
beschlachnahmt! — Die Welt am Montach! Der
Männervenustempel in der Kochstraße polezeilich
jesperrt ! — Für unsre Kinder ! Täuschende Nachahmung
des Getöses unsrer jrößten Kanonen! — Die ersten
duftenden Frühlingsboten! Fünfzehn Fennje! —
Der Heiratsonkel! — Pikantes aus Moabit! —
B. Z. am Mittach, B. Z.! — Die Woche, Lustjefliejende
Blätta! — Wachsstreichhelza, Wachsstreichhelza ! —
Weinstube Rosenkavalier, lauschigstes Eckchen der
Welt! — Täuschende Nachahmung des Getöses
unsrer jrößten Kanonen ! — Voss Amdausgabe,
Kühlmann wird Elsaß niemals rausjeben! — 42cm
Brummer! Hochaktueller 10 Pfennich-Schlager ! Beim
Herumschleudern des Brummers entsteht ein Knattern
und Brummen, als wenn wirkliche Granaten durch
die Luft saasen! — B. Z. am Mittach i Die Neutralen
gehn nicht mit — Tageblatt Amdausgabe, deutsche
Schiffe werden nich beschlachnahmt! — Neieste
Numma der Wahrheit! Die Jeheimnisse vom Kurfürsten-
damm! Sensationelle Enthüllungen! — Kühlmann
618
wird Elsaß niemals rausjeben! — Heftje Sprache
des Vorwärts! — Lakalanzaija! Die Vorbereitungen am
Piave ! — Als wenn wirkliche Granaten durch die Luft
sausen! — Der Heiratsonkel! — Semplecessemas! —
Die jroße Glocke! Schweinerei bei Wertheim —
Die ersten duftenden Frühlingsboten — B. Z. am
Mittach, B. Z.! — Die Schlafzimmerjeheimnisse der
Frau von Knesebeck, einfach süß ! — Für unsre
Kinder! Täuschende Nachahmung des Getöses unsrer
jrößten Kanonen ! — Die Vorbereitungen am Piave! —
Ein Jüngling (zu einem vorübergehenden Mädchen):
Nuttenzeuch !
Das Mädchen: Pupenjung!
Der Jüngling: Wat? Schneppe! (Die Passanten
sammeln sich.)
Das Mädchen: Wat? Lude!
Ein Schutzmann: Na geht man eurer Wege !
(Der Zug ordnet sich wieder.)
(Ein Berliner Schieber und ein Wiener Schieber treten Schulter an
Schulter auf.)
Der Berliner Schieber: Na wat is'n los?
Wann jeht ihr 'n los?
Der Wiener Schieber: Ich hätt noch drei
Waggon, aber ich wart noch.
Der Berliner Schieber: Ach Menschenskind,
ik meene doch mit da Offensive! Na man los!
Der Wiener Schieber: Weiß ich — ?
Der Berliner Schieber: Na, ihr oberfaulen
Östreicher, ihr müßt doch endlich mal losjehn!
Werdet ihr denn übahaupt nich mehr losjehn?
(Der Wiener Schieber schweigt verlegen.) Nanu?
Der Wiener Schieber (sichermannend): Nunal
(Beide ab.)
Ein Zeitungsausrufer: 8 Uhr Amdblatt, das
Friedensanjebot des Grafen Burian — 22.000 Kilo-
gramm Bomben auf die Festung Paris jeworfen !
(Verwandlung.)
619
27. Szene
Standort des Armeeoberkommandos. Vergniigung-^lokal. General-
stäbler, Kriegsgewinner, Animierdamen. Die Musik spielt »Prinz
Eugen der edle Ritter«, >\Venn die letzte Blaue geht, dann in
die Bar der üent, der schlaue, geht< und die »Wacht am Rhein«.
An einem Tisch rechts Kohn, ein Wiener Schieber, auf dessen
Schoß ein Mädchen, dahinter eine Gruppe von Kellnern, die
seine Wünsche entgegennehmen. An einem Tisch links Fettköter,
ein Berliner Schieber, auf dessen Schoß ein Mädchen, dahinter
eine Gruppe von Kellnern, die seine Wünsche entgegennehmen. In
der Mitte ein Tisch, an dem Generalstäbler und Mädchen sitzen.
Die Szene ist ungefähr auf den foli^enden Ton gestimmt:
^
._, 4 I J J J)i J^j^
szs:
±u.s.
#-*
*VV
Ein betrunkener Generalstäbler (den seine
Kameraden halten, schlägt auf den Tisch):
Da sagen s', die Front is regiert worn!
Wenn ich das hör, krieg ich an Zorn.
Als eingefleischter Patriot
spürt mr nix von einer Hungersnot.
Uns hier heraußt kann nix geschehn,
denn Österreich wird ewig stehn.
Weißt, ewig bleibt mit Habsburgs Thron —
Chor der Kellner:
An Heidsieck gschwind fürn Herrn von Kohn!
Das Mädchen rechts:
Was schaust denn heut so grantig drein?
Kohn:
Du lachst — und morgen kann Frieden sein!
Der betrunkene Generalstäbler:
Gehts machts doch nicht so an Pahöll!
Fritzi - Spritzi (einem der Generalstäbler auf die
Hand schlagend):
Schmecks — nur für zwanzig Kilo Moll !
620
Der Besitzer (zu den Kellnern rechts) ;
Gschwind einkassiern beim Militär!
Das is für jedermann a Ehr.
(zu den Kellnern links)
War so ein Gast auch noch so stier,
er ist und bleibt doch Offizier.
Die Würzen lauft euch nicht davon!
Der betrunkene Generalstäbler:
Wir stehn und falln mit Habsburgs Thron —
(Er fällt unter den Tisch.)
DieToilettefrauunddasGarderobepersonal:
Wir stehn und falln mit Habsburgs Thron.
Fettköter (zu dem Mädchen auf seinem Schoß):
Nanu — das sag ich Hindenburch!
Ihr Wiener seid ja unten durch.
Nee so'n Skandal! Nee so etwas!
Das Mädchen links:
Geh hörst, verstehst denn du kein' Spaß?
Die Generalstäbler:
Steh auf — jetzt spüln s' den Prinz Euschen!
Der betrunkene Generalstäbler (unterm
Tisch) :
Weißt, Österreich wird ewig stehn —
DieToilettefrauunddasGarde robepersonal:
Ja, Österreich wird ewig stehn.
Fettköter:
Nee Kinder, 's geht mit euch bergab.
Euer liebes Ostreich ist zu schlapp.
Euch Bundesbrüdern fehlt schon lang
ein richtichgehendes Reglemang.
Das Mädchen links:
Schau Putzi, nimm's nicht so genau!
621
Fettköter:
Erlaube mal, du machst ja flau!
Bei uns muß heute Groß und Klein
zwar ernst, doch zuversichtlich sein!
Sie Oba, zahln — na flink mal ran!
Das Mädchen links:
Hör auf, du bist ein Fadian.
Das Mädchen rechts:
Du meiner Seel, das ganze Jahr
wünsch ich mir einen Kaviar.
Ich geh doch nicht mit jedem Herrn —
Kühn:
E Neuigkeit, das hört ma gern.
Fettköter (will aufbrechen):
Jetzt bin ich schon seit gestern da,
und war noch nicht im Aoka !
Nu fix und mit ein wenig Schwung —
ich habe eine Lieferung!
Wenn ich da weiter Zeit verlor,
so kommt der Endsieg mir zuvor.
(Er knutscht sie.)
Doch heute liegt mir noch im Sinn
so'ne richtje schicke Wienerin.
Das Mädchen links (indem sie den Kellnern
ein Zeichen macht) :
Gelt Putzi, nicht wahr, du bist reich?
Chor der Kellner:
Noch einen Heidsieck, bitte gleich!
(Nachfüllen.)
Der Besitzer und die Kellner:
Das Beste ist — er ist hier fremd —
wir ziehn ihn aus bis auf das Hemd.
Kohn:
Du, was ich nicht vertragen kann,
ich zahl, und du schaust jennen an!
622
Das Mädchen rechts:
Kann ich dafür, die Offizier
sie schaun halt alle her zu mir —
Kohn:
Hör auf, ich möchte mich genieren,
mit Offiziere kokettieren!
Ein Generalstäbler:
Wenn wir verliern, is's kein Malheur,
dem Militär bleibt doch die Ehr,
weißt, Krieg is Krieg — wenn s' uns besiegen,
ich tu halt auf die Fritzi fliegen!
Chor der Generalstäbler: ,
Uns hier heraußt kann nix geschehn, I
denn Österreich wird ewig stehn.
Sind wir in der Schlamastik drin,
wern uns die Deutschen außiziehn.
Sie Kellner, schenken S' gschwind noch ein!
Fettköter:
Fest steht und treu die Wacht am Rhein I
(Verwandlung.)
28. Szene
Wiener Vorlragssaal.
Der Nörgler (spricht das »Gebet«):
Du großer Gott laß mich nicht Zeuge sein!
Hilf mir hinab ins Unbewußte.
Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein
zur Not ersetzen ihre Blutverluste.
Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!
Hilf mir zurück in meine Kindheit.
Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,
und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.
623
Du großer Gott, so mach den Mund mir stumm!
Nicht sprechen will ich ihre Sprache.
Erst machen sie sich tot und dann noch dumm,
es lügt ihr Haß, nimmt an der Wahrheit Rache.
Du großer Gott, der den Gedanken gab,
ihr Wort hat ihm den Rest gegeben.
Ihr Wort ist allem Werte nur ein Grab,
selbst Tat und Tod kam durch das Wort ums Leben.
Du großer Gott, verschließ dem Graus mein Ohr,
die Weltmusik ist ungeheuer!
Dem armen Teufel in der Hölle fror,
er fühlt sich wohl in diesem Trommelfeuer.
Du großer Gott, der die Erfinder schuf
und Odem haucht' in ihre Nasen,
schufst du die Kreatur zu dem Beruf,
daß sie dir dankt mit ihren giftigen Gasen?
Du großer Gott, warum beriefst du mich
in diese gottverlassene Qualzeit?
Strafst du mit Hunger, straflos setzte sich
der Wucher zu der fetten Totenmahlzeit.
Du großer Gott, warum in dieser Frist,
wozu ward ich im blutigen Hause,
wo jeder, der noch nicht getötet ist,
sich fröhlich setzt zu seinem Leichenschmause?
Du großer Gott, dies Land ist ein Plakat,
auf dem sie ihre Feste malen
mit Blut, Ihr Lied übt an dem Leid Verrat,
der Mord muß für die Hetz' die Zeche zahlen.
Du großer Gott, hast du denn aus Gemüt
Vampire dieser Welt erschaffen?
Befrei mich aus der Zeit, aus dem Geblüt,
unseligem Volk von Henkern und Schlaraffen!
624
Du großer Gott, erobere mir ein Land,
wo Menschen nicht am Gelde sterben,
und wo im ewig irdischen Bestand,
sie lachend nicht die reiche Schande erben!
Du großer Gott, kennst du die Mittel nicht,
die diese Automaten trennten,
wenn sie sich trotz dem letzten Kriegsgericht
bedrohen mit Granaten und Prozenten?
Du großer Gott, raff mich aus dem Gewühl!
Führ mich durch diese blutigen Räume!
Verwandle mir die Nacht zu dem Gefühl,
daß ich von deinem jüngsten Tage träume!
(Beifall, an dem sich auch die vorderen Reihen beteiligen.)
Ein Zuhörer (zu seiner Gattin): — Also du
mußt nämlich wissen, er hat einmal in die Presse
kommen wollen —
(Verwandlung.)
29. Szene
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Abonnent: Der alte Biach hat in Kolberg
gesagt —
Der Patriot: Wieso?
Der Abonnent: Ich wollte sagen der alte
Hindenburg — heut sagt er doch, er hat in Kolberg
gesagt, mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft
für das deutsche Volk steige ich ins Grab.
Der Patriot: Sie?
Der Abonnent: Wieso ich? er!
Der Patriot: Also Er?
D er Abonnent:Abernein — bloß er! Hindenburg!
Der Patriot: WenndasderalteBiacherlebthätte!
(Lange Pause, in der sie einander anblicken.)
Der Abonnent: Seit Biach tot ist, sind die
Stimmungen nicht mehr so wie sie sein sollten.
625
Der Patriot: Statt den Stimmungen sind jetzt
die Gerüchte, und das is immer ein beeses Zeichen.
Der Abonnent: Mir scheint stark — es
geht schwach.
Der Patriot (blickt schmerzvoll zum Himmel >: Man
wird doch da sehn.
(Verwandlung.)
30. Szene
Zwei Kommerzialräte aus dem Hotel Imperial tretend. Eine
Bettlerin mit einem Holzbein und einem Armstumpf steht vor
ihnen.
Erster Kommerzialrat (sich umsehend): Is kein
Wagen da? Schkandaal!
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberiahrcndes
Automobil zielend) : Auto — !
Der erste (einem Fiaker nachrufend): Sie — sind
Sie frei?
Der Fiaker (achselzuckend): Bin bstöllt!
Der zweite (indem sie von Bettlern aller Arten
umkreist werden) : Das einzige was ma noch hat, daß
man überhaupt noch was zum essen kriegt. (Eine
Frau bricht vor Hunger zusammen und wird fortgetragen) —
Schkandaal, auf der Ringstraße! — Rothschild v/ird
auch grau —
Der erste: Kein Wunder bei die Zeiten.
Der zweite: Er kann doch höchstens — wie
lang is das her, warten Sie —
Der erste: Was nutzt das alles, eine Stimmung
is in dem Wien — Wissen Sie, seit der alte Biach
tot is —
Der zweite: Die Krone fällt rapid —
Der erste: Vorige Woche, wenn man noch
hinübergebracht hätte —
Der zweite: Morgen wollt ich hinauf in
die Devisenzentrale — aber was braucht man sich
richten, es geht so leichter.
Die letzten Tage der Menschheit. 40
626
Der erste (wirft seinen Zigarrenrest und einen
Zwanzighellerschein vor einen Bettler hin): Das is auch
schon teurer geworn. Silvester — dieLoosch im Tabarin
kostet mich geschlagene sechshundert — meine Frau
laßt doch nicht locker — wenn das so weiter geht,
nächsten Silvester tausend 1
Der zweite: Warum nicht?
(Der Nörgler geht vorbei.)
Der erste (spuckt aus): Meine Sorgen auf ihm!
Der zweite: No Sie, wenn ich das meinem
Jüngsten erzähl —
Der erste: Wieso?
Der zweite: Er schwärmt für ihm. In alle
Vorlesungen rennt er. Er is nämlich einer seiner
glühendsten Verehrer.
Der erste: Ich an Ihrer Stelle würde nur hauen
Der zweite: Was fallt Ihnen ein, heutzutag —
der Bub is imstand und gebt mich hinein in das
rote Büchl.
Der erste: Wissen Sie, daß das die Zensur
durchlaßt, man greift sich an den Kopf, anderswo
war er längst gehängt! Fortwährend dieses Auf-
wiegeln — gegen den Krieg und sogar gegen die
Presse! Er schreit, es soll kein Krieg sein — no is
deswegen kein Krieg? No also müßt er doch Ruh geben.
Der zweite: Das hab ich gern im Krieg,
hetzen, zum Frieden!
Der erste: Neulich hörich soll er förmlich
in den Saal hereingerufen haben, sie solln nicht
mehr in den Krieg ziehn und solln aufhören die
Presse abonnieren! Also wenn der nicht von der
Antaant bezahlt is, will ich Veitl heißen. Dorten
kommt der Wassilko mit der Gerda Walde. Zu Fuß !
Der zweite: Wo?
Der erste (mit dem Finger zeigend) : Dorten.
Der zweite: Meinem Buben hat er den Kopf
verdreht. Bis mir kürzlich die Geduld gerissen is,
627
no hab ich mir ihn doch hergenommen und hab
ihm gesagt, das Geschimpfe auf dem Krieg hat gar
keinen Zweck, wenn kein Krieg war, gebets auch
keinen Kriegsgewinn, fertig. No das hat er eingesehn.
Aber was nutzt das, dann rennt er doch wieder in
die Vorlesungen. Was is mit Ihrem Jüngsten?
Macht er Fortschritte?
Der erste (stolz): Was wolln Sie haben? Er
draht schon mit dem Sascha Kolowrat!
Der zweite: Sss! Recht hat er, solang man
jung is, soll man sich unterhalten. Komisch, ich
muß immer lachen — was sagen Sie zum heutigen
Hirschfeld?
Der erste: Glänzend. No und die Schalek?
Sogar die greift er an!
Der zweite: Nutzt nix, tapfer is sie. Soll er
sich traun, mitten in der Schlacht sich hinstelln und
schreiben ! Wir ham Sitze zu Piccaver —
Der erste: Ich hab kürzlich auch meiner Frau
auseinandergesetzt, weil sie immer treibt, wenn nur
der Krieg schon zu End war, die Soldaten im
Schützengraben tun ihr leid. Ich sag immer, dafür
ham sie das Bene, der Nachruhm in den Annalen!
Was ham wir? Die Kriegsgewinnsteuer! Das ver-
gessen die Leute immer.
Der zweite: No und das Friedensrisiko — ?!
Der erste: Man soll gar nicht daran denken.
Wissen Sie — wenn einer zurückkommt und er
fängt an zu erzählen — es is doch immer dasselbe —
gut, sie ham ausgestanden, aber das weiß man doch
schon! Ich kann gar nicht mehr zuhörn, es is doch
schon fad.
Der zweite: Man hat scho genug von die Graiel.
(Ein Invalide humpelt vorbei.)
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberfahrendes
Automobil zielend) : Auto — !
(Verwandlung.)
40*
628
31. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Nörgler: Das Pferdespital bot keine
Rettung mehr. Dieser Märtyrer mußte getötet werden.
Er hatte die Zeichen der großen Zeit auf seinem
Rücken; eine förmliche Zeichnung. Auf beiden Seiten
ziemlich regelmäßig die gleiche Form. Vom Rückgrat
sah man das Gelbe des Knochens; ebenso an den
Hüften. Der Schweif durch Streifschuß weggeschossen.
Der Gurt hatte sich ganz herum wund eingegraben.
Die Wunde war grün vereitert und sah aus wie eine
Verbrennung höchsten Grades. Diagnose: Tragbares
Geschütz, wochenlang nie abgeschnallt. Weder nachts
noch untertags kam die Last von diesem Rücken
herunter.
Der Optimist: Ja, da hilft nichts, die Tiere
müssen eben auch an den Krieg glauben.
.Der Nörgler: Und ihre Blutzeugenschaft
wird die Schinder und Schänder der Kreatur lauter
anklagen als das Martertuni der Menschen ; denn sie
waren stumm. Das wunde Pferd, auf dessen Rücken
die Form der Geschützlast eingezeichnet war, die Last
des Menschentods, ist ein Traumbild, an dessen
Schrecknis jene sterben werden, die sich auf Lorbeern
schlafen gelegt haben.
Der Optimist: Weil wir von Tieren sprechen —
da habe ich eine empörende Annonce für Sie aufge-
hoben: »Hunde zum Schlachten werden zu hohen
Preisen gekauft«. So etwas sollte doch nicht annonciert
werden! Welche Schlüsse sollen die Feinde auf unsern
Ernährungszustand ziehen, wenn sie hören —
Der Nörgler: Die Schlüsse auf unsern Kultur-
zustand scheinen mir noch gefährlicher.
Der Optimist: Wieso? Wenn der Mensch
Nahrung braucht, verschmäht er selbst das Fleisch des
Hundes nicht und tötet ihn eben.
629
Der Nörgler: Zam Unterschied vom Hund,
der die Nahrung verschmäht, wenn ihm ein Mensch
gestorben ist.
Der Optimist: Ich habe noch nie von einem
solchen Hund gehört.
Der Nörgler: Hier können Sie von einem
lesen — in der Zeitschrift ,Der Tierfreund' : »Hunde-
treue. Wie uns ein Mitglied schreibt, ist die von
unserem Vereine mehrmals mit einer ermäßigten
Hundemarke bedachte Hilfsarbeiterin Hermine Pfeiffer
vor einigen Wochen gestorben. Ihre Pudelhündin
verschmähte seit dem Todestage der Frau jede
Nahrung und ging einige Tage nachher zugrunde.
Man fand das treue Tier, welches seinen Kopf auf
einem von seiner Herrin früher benützten Polster
liegen hatte, des morgens tot auf. Merkwürdig ist,
daß die Verstorbene sich einmal geäußert hatte, daß
sie froh wäre, wenn ihr Hund auch enden würde,
wenn ihr einmal etwas zustoßen sollte, damit das
Tier nicht in schlechte, rohe Hände käme. Und
wirklich ist die Hündin, welche ihrer Wohltäterin so
innig zugetan war, sehr rasch nach dieser vor Gram
zugrundegegangen«. Das ist gut so.
Der Optimist: Warum?
DerNörgler: Sie wäre sonst gefressen worden.
Vorausgesetzt, daß sie nicht vor Hunger schon zu
mager war. Wenn Hunde nicht den Menschen liebten,
würden sie, eh sie sich seitwärts in die Büsche
schlagen, bekennen, daß sie doch bessere Menschen
sind!
Der Optimist: Es muß aber wohl tiefere
Gründe haben, daß »Hund« ein Schimpfwort ist und
»hündisch« die übelste Gesinnung bezeichnet.
Der Nörgler: Das ist leider wahr. Es be-
zeichnet etv.'a die jener Menschen, welche Hunde zum
Schlachten zu hohen Preisen kaufen wollen. Oder
jener, von denen es hier in dieser Theaterkritik heißt:
>Das Deutsche Volkstheater hat gezeigt, daß es auch
630
Autoren zu Wort kommen läßt, die nicht hündisch
den Geschmack des gutzahlenden Publikums abzu-
lauschen suchen«.
Der Optimist: Wollen Sie den Geschmack
des gutzahlenden Volkslheaterpublikums mit dem
Geschmack der Leute, die zu hohen Preisen Hunde
zum. Schlachten —
Der Nörgler: Warum, nicht, die sitzen auch
schon in Logen. Aber was immer den Hunden nach-
gesagt werden mag, nie konnte doch einemi von ihnen
bis heute vorgeworfen werden, daß er den Geschmack
des Volkstheaterpublikums abzulauschen gesucht hat.
Ich glaube aber auch nicht, daß ein Hund aus Gram
über den Tod eines Volkstheaterhabitues sterben
würde. Hier spürt die liebende Kreatur die Grenze. Wo
nichts Menschliches ist, hat auch das Hündische
nichts zu suchen.
Der Optimist: Sie scheinen ja überhaupt
den Hunden ein besseres Zeugnis als den Menschen
ausstellen zu wollen.
Der Nörgler: In jedem Falle. Ob schön,
ob Regen, bei Tag und bei Nacht, in Krieg und
Frieden. In diesem Krieg haben auch sie durch-
gehalten— und waren doch wehrloser. Und jeder von
jenen, die eingerückt waren, jeder Kriegshund könnte
dem besternten Gelichter, das Soldaten »Fronthunde«
genannt hat, zeigen, daß an dem Vergleich Ehre ist
und nur an den Unmenschen keine. Man reiße ihnen
die Orden von der Brust und weihe sie, indem man
sie den Hunden verleiht, den in Armut und Würde
beispielgebenden Antipoden des Generalstabs!
(Verwandlung.)
32. Szene
Beim Bataillonsrapport.
Der Major: Was warst du?
Der Soldat: Herr Major, melde gehorsamst,
Sattler.
631
Der Major: Hast du da nicht gelernt, mir
in die Augen zu sehn? Du Hund! Ihr Hunde! Sohn
einer Hündin du! (Zu einem andern) Du hast einen
Brief an deine Frau geschrieben, wo du dich über
die Behandlung beklagst.
Der Soldat (erschrocken): Herr Major —
melde — bitte — gehorsamst —
Der Major (den Brief schwenkend): Da is der
Brief! Was, da schaust, hast nicht gewußt, daß ich
der Zensor bin? Du Hund! Ihr Hunde! Sohn einer
Hündin du! Das ist das größte Schwein vom ganzen
Barackenlager! 21 Tag Einzel mit drei Fasttagen in
der Woche, hernach in die vorderste Lini einrückend
gemacht! Wirst schon sehn, du Schweinehund!
Wirst dich verflucht umschaun! (Zu einem andern Soldaten)
Ah das is der mit die Bauchschmerzen! Hat dir deine
Mutter was zum fressen geschickt? Wenn du mir
nur verrecken möchtest! (Er versetzt ihm drei Hiebe mit
dem Stock über Kopf und Rücken. Der Soldat wankt weinend
fort.) Daß ihrs nur wißt, die vier Infanteristen, die
sich geweigert haben, ein Achtel Brot anzunehmen,
kommen vors Divisionsgericht und wern erschossen.
Natürlich Tschechen! Wenn ein Soldat seinen Pflichten
als Vaterlandsverteidiger nicht nachkommt, so is es
immer ein Tscheche! Lauter Überläufer! Ein deutscher
Soldat kommt immer seinen Pflichten nach. Ich
bin ja selbst Tscheche, aber ich schäme mich,
dieser Nation anzugehören. (Zu einem Gefreiten) Sie
wern mir morgen den Einkauf besorgen, um mir
Gelegenheit zu geben, Sie einzusperrn. Zum Höchst-
preis kriegen Sie nix, über den Höchstpreis dürfen
Sie nix bringen. Bringen Sie nix, wandern Sie
unnachsichtlich ins Loch! Also — was wolln S' noch?
Der Gefreite: Herr Major, melde gehorsamst,
der Herr Leutnant Ederl hat auf eigene Faust im
Zillertal Schnittkäse für 10 Kronen das Kilogramm
gekauft und hat ihn wollen an die Oifiziersmesse
für 24 Kronen weiterverkaufen.
632
Der Major: Was sagen Sie da? — Das is ja
unerhört!
Der Gefreite: Der Menageverwalter hat das
Anbot wegen schlechter Qualität abgelehnt. Damit
der Herr Leutnant nicht zu kurz kommt, ist ihm der
Käse für die Mannschaft abgenommen worn, dafür
hat man sie am Fleischrelutum verkürzt. Ich glaube,
Herr Major, daß ich im Interesse der Mannschaft
gegen das Unstatthafte einer solchen —
Der Major: Das is ja unerhört! Sie haben
an dem Tun und Lassen der Herrn Offiziere keine
Kritik zu üben! Sechs Stund Spangen! (Zu einem andern)
Du hast dich über die schlechte und unzulängliche
Kost beschwert?
Der Soldat: Herr Major, bitte gehorsamst,
jawohl!
Der Major (gibt ihm eine Ohrfeige) : Nicht an
der Menage fehlts, sondern ihr habts zu wenig
Appetit! Seids froh, daß Krieg is! Ihr habts in
Friedenszeiten nicht einmal das zu fressen! Ich wer'
euch exerzieren lassen, bis euch die Zunge bis zum
Magen heraushängt — dann wern die Klagen über
die schlechte Verpflegung schon vor selber aufhörn!
Du Hund! Ihr Hunde! Sohn einei Hündin du!
(Verwandlung.)
33. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Um in das Gefühlslebendes
Kriegsteilnehmers Einblick zu gewinnen, brauchte
man bloß —
Der Nörgler: — einen Feldpostbrief zu lesen.
Zumal einen von jenen, deren Schreiber irgendwie die
Möglichkeit hatten, sie zensurfrei an ihre Adresse
gelangen zu lassen.
Der Optimist: Troizdem würde man daraus
entnehmen, daß es eines jeden höchster Ehrgeiz ist,
633
sich gut zu schlagen, und daß ihm Pflichttreue
selbst vor der Sehnsucht nach Weib und Kind steht.
Der Nörgler: Oder es faßte einen das
Grausen vor dem unermeßlichen Verbrechen dieser
kriegsurhebenden, beziehungsweise kriegsverlängern-
den Schurken, das der Eingriff in ein einziges der
Millionen Schicksale bedeutet, die Zerreißung und
Zertrampelung jedes einzelnen Lebensglücks, die
Zubereitung dieser Martern einer jahrelangen
Unheilserwartung zwischen Haus und Graben, einer
Spannung, die vor dem Schweigen zittert und jedes
Lebenszeichen von da und dort als Todesbotschaft
fürchtet. Eine Gattin wird Mutter, eine Mutter stirbt —
und der, den's am nächsten angeht, liegt irgendwo
im Dreck fürs Vaterland. Nun haben ja die Schurken
die sinnreiche Einrichtung getroffen, daß die Feldpost,
diese verfluchte und doch wie ersehnte Erfindung
des Satans, zeitweise überhaupt suspendiert wird.
Da wissen dann die Unglücklichen mehr als genug;
denn die Stille bedeutet die vor dem Sturm. Und
mit wie unausdenkbarer Mechanik fügen sich die
elementaren Tatsachen des Lebens, Geburt und Tod,
dem unerforschlichen Ratschluß des Generalstabs!
Nur die Liebe pariert ihm nicht. Was ist ihm die
Liebe! (Er liest vor :)
» — der allgemeine Grund der Verlangsamung
der Post von hier ins Hinterland soll der sein, daß
jetzt nicht mehr zensuriert wird, sondern die
Post einfach zurückgehalten wird, um von den
Ereignissen überholt zu werden.
Ich versuche die verschiedensten Methoden, um
mir diese schwere, schreckliche Zeit leichter zu
machen — alles ohne Erfolg. Wenn ich viel an
dich denke, so werde ich nur noch trauriger, und
wenn ich mich zu zerstreuen suche, bin ich dai,n
nachher nur noch trauriger. Das Richtigste ist
so in den Tag hinein zu leben, damit die Zeii
634
schneller vergeht. Denn jeder Tag, der vorüber ist,
bringt uns ja näher, das dürfen wir nicht vergessen!
Ich bin noch ganz unter dem Eindruck des
Sorgengefühles, das ich heute um dich habe, ich
will es aber abschütteln und mich ganz nur der
Hoffnung auf gute Nachrichten morgen von dir
hingeben. Wenn ich so daran denke, daß ich jetzt
bei dir sein könnte, dein geliebtes Gesichtl sehen,
mit dir sprechen über die kommenden Tage, die
ja unser Glück noch mehr besiegeln sollen —
und ich bin hier, weit weg, und du allein! Wirklich,
er ist so grausam, dieser Krieg, so unnatürlich,
es sind ja nicht nur wir, die darunter zu leiden
haben, so viele, so unzählige werden unglücklich
gemacht durch diese Willkür einiger gewissenloser
Menschen. Aber was scheren mich die anderen,
mir bricht das Herz, wenn ich an das denke, was
wir zwei jetzt durchzumachen haben! Es ist zu
schrecklich, kaum zu überwinden. Und dabei muß
man noch Dienst machen, schweren, verantwortungs-
vollen, gefährlichen, soll als Beispiel der Leute an
Tapferkeit, Pflichttreue und wie alle diese mir
verhaßten Tugenden heißen, auftreten und tut
ja jeden Schritt, den man in dieser Sache macht,
mit Ekel und Widerwillen, gegen alle innerste
Überzeugung. Es wird von einem verlangt, daß
man alle seine besseren Gefühle verleugnet, und
wer zu gut ist um das zu tun, der leidet unsäglich,
und macht mit Ekel alles, was man von ihm
verlangt. Wo wir so glücklich waren, uns so in-
einander gelebt haben, so eins sind, daß eins ohne
das andere ganz verloren ist. Ich bin so arm und
klein ohne dich, du würdest mich manchmal gar
nicht wiedererkennen. So oft, wenn ich meinen
Gedanken nachgehe, auch wenn sie nicht gerade
zu dir fliegen, möchte ich dich oft was fragen,
was wissen von dir, deine Meinung hören, und
bin allein! Ich brauche die Meinung eines andern
635
nicht, dich will ich hören, für dich denke und
fühle ich, was immer es auch ist, und ohne dich
bin ich nicht ich, bin ich halb und arm. Deine
Liebe, die ja auch aus der Ferne zu mir herüber-
strahlt, ist das Einzige, was mir noch Lebensfreude
erhält. Zu was noch reden, zu was die Wunden
noch aufwühlen, die ja so schon so brennen! Du
weißt, daß du mir alles bist — oder eigentlich
bist du der Grund von meinem Elend, denn ohne
dich wäre mir das alles gar nicht arg! Und
manciimal denke ich auch voraus. Bis zur völligen
Erschöpfung, halb tot werden wir uns in den Armen
liegen und nicht mehr können vor Liebe, Liebe!
Ach, daß ich nicht da sein kann! Nicht
gerührt hätte ich mich von deiner Seite während
der schweren Stunden, die dich erwarten, und es
wäre dir alles so viel leichter geworden.
Über m.ich mach dir keine Sorgen. Wenn ich
dich herzaubern könnte, würde ich dich ganz ruhig
in die Gräben mitnehmen.
Oh, daß ich nicht bei dir sein kann! Ich gehöre
ja dazu, und kann nicht da sein! Oh gebe Gott,
daß du nicht zu arg gelitten hast, daß dir nichts
geschehen ist, daß du mir gesund geblieben bist
und dich jetzt von Tag zu Tag erholen und stärken
wirst. Oh gebe Gott, daß ich heute eine von dir
selbst geschriebene Karte bekomme. Bis du diese
Zeilen erhältst, wird es dir — gebe Gott — schon
gut gehen. Hast du gefühlt, daß ich bei dir war
und daß ich alles mitgelitten habe mit dir? Oh,
es wird, es muß die Zeit kommen, wo wir uns
entschädigen werden für alles überstandene Leid.
So weit, so weit von dir in diesen Tagen!
Oh warum, warum kann ich jetzt nicht bei dir
sitzen, dich wärmen und stärken mit meiner end-
losen Liebe! Ich kann mich nicht erwehren, habe
fort ganz nasse Augen, so daß ich kaum sehe,
was ich schreibe.
636
Ach Gott, daß ich nicht bei dir sein kann!
Und Iceine Hoffnung! Man wird jetzt nicht nach
Haus oder zum Kader, sondern in irgend ein
Spital geschickt.
Habe so viel graue Haare bekommen, daß ich
sie gar nicht mehr zählen kann. Aber lieb hab ich
dich, ob weit oder nah, lieb, lieb, lieb, unaus-
sprechlich, wahnsinnig. — «
Der Optimist: Was weiter? Er kehrt heim,
und findet Gattin und Kind, die sich wohl befinden.
Der Nörgler: Das Vaterland wills anders.
Hier kommt ein Mensch zur Welt, dort fällt einer.
Nie habe ich Traurigeres gelesen, nie Wahreres als
diesen letzten Brief eines, der Vater wurde, als er
starb. Das ganze Vaterland mit Sack und Generals-
pack für einen einzigen dieser Millionen Märtyrer
der Liebe!
(Vervpandlung.)
34. Szene
Im Dorfe Postabi tz.
Eine Frau (sitzt an einem Tisch und schreibt) :
Inigsgelibter Gatte!
Ich theile Dir mit, daß Ich mich verfeit habe.
Ich kan nichs Dafür, lieber Gatte. Du verzeist mir
schon alles, was ich Dir mittheile. Ich bin in
Hoffnung gerathen, von einem andern. Ich weis ja,
das Du gut bist und mir alles verzeist. Er hat mich
überredet und sagte, Du komst so nicht mehr zurück
vom Felde und hatte dazu meine schwache Stunde.
Du kennst ja die weibliche Schwäche und kanst
nichts Besseres als verzeihen, es ist schon passiert.
Ich dachte mir schon, Dir muß auch schon was
passiert sein, weil Du schon 3 Monat nichts mehr
geschrieben hast. Ich bin ganz verschrocken, als ich
Deinen Brief erhalten habe und Du noch am Leben
warst. Ich wünsche es dir aber verzeihe es mir,
637
lieber Franz, vileicht stirbt das Kind und dan ist
alles wieder gut. Ich mag diesen Kerl nicht mehr,
weil ich weis, das Du noch am Leben bist. Bei uns
ist alles sehr teuer, es ist gut, daß Du fort bist,
im Feld kostet Dich wenigstens das Essen nichts.
Das Geld, was Du mir geschickt hast, kan ich sehr
notwendig gebrauchen. Es grüßt Dich nochmals
Deine Dir unvergeßliche Frau Anna.
(Verwandlung.)
35. Szene
Spital in Leitmeritz,
Ein Austauschinvalide (zu seinem Bettnachbar,
schwer atmend): Man darf nicht — die Geduld —
verlieren. Es is ja doch schon — unsere vorletzte —
Station. Dann wem s' uns — nach Prag — oder
Wien — aber bald — komm ich — nach Postabitz.
(Es wird eine Briefverteilung vorgenommen.) Vielleicht —
von meiner Anna — (Er streckt die linke Hand nach
einem Brief aus.) Gott — ja! (Er versucht sich aufzurichten.
Er hält den Brief mit den Zähnen fest, öffnet ihn mit der
Linken und liest. Er sinkt zurück, vom Schlage gerührt.)
(Verwandlung.)
36. Szene
Heimkehrerlager in Galizien.
DerFreund (schreibt einen Brief) : Besonders
seit jene gefallen sind, wollte es mir nicht mehr
passend scheinen, über mein verhältnismäßig doch
erträgliches Los auch nur ein Wort der Klage zu
verlieren. Aber ich bin nun nahe den Vierzig, habe
Frau und Kinder und sonst noch einige Sorgen,
die mir über den Kopf zu wachsen drohen, und
muß nun schon das vierte Jahr (und wer weiß, wie
lange noch!) im lächerlichen Glanz einer Wehr-
fähigkeit, die einen zum wehrlosesten Geschöpf auf
638
Gottes Erdboden macht, vor der Willkür dieses
hoffnungslosesten aller Kriege sozusagen ohnmächtig
habtacht stehen. Das zehrt an den Nerven und
zermürbt den Geist. Das bitte ich Sie in Nachsicht
zu bedenken und mir zu verzeihen, wenn ich mich
auch jetzt noch, da sich zweifellos manches zu
meinen Gunsten gewendet hat, nicht wortlos über
all das, was mein persönliches leidliches Ungemach
betrifft, hinwegzusetzen vermag, obwohl meine
Ehrfurcht vor dem Schweigen jener, denen Ihre
ergreifende Totenklage gilt, groß und meine
Erkenntlichkeit für alles, was Sie für mich — für
mich, der ich noch am Leben bin! — getan haben,
tief und unauslöschlich ist.
Gewiß, ich habe allen Grund, einem gütigen
Geschick dankbar zu sein, das mich nun schon die
längste Zeit der Front ferne hält. Aber ich weiß
nicht — vielleicht bin ich schon zu benommen, um
mir dessen als einer Wohltat auch recht bewußt zu
werden; und manchmal — denken Sie! — ist mir
sogar, als hätte ich draußen in der Gefahr mitunter
freier geatmet, freier als hier in der Geborgenheit. Das
mag eine Selbsttäuschung sein oder, wenn nicht,
darin begründet sein, daß draußen der Lebenswille
das Blut doch seltsam erregt, während ich hier von
Angst gelähmt bin, es könnte der Lebensüberdruß
mir schließlich zum Lebensinhalt werden. Was das
betrifft, kann ich nur sagen, daß mir die Schrecken
der Kriegsmaschine — im übertragenen Sinne
wenigstens — nie so nahe gegangen sind wie die
Qual, die mir gegenwärtig die Verbannung in ein
Offiziersmilieu bereitet, das — zumeist aus ungarischen
Juden bestehend — sich bei näherem Zusehen als
ein Konsortium uniformierter Schleichhändler enthüllt.
Dazu die Trostlosigkeit des äußeren Aspekts dieses
Lagers, das — ein rechtes Sinnbild unseres Elends —
die eigenen heimgekehrten Soldaten wie wilde
Völkerschaften hinter einer rostigen Stacheldraht-
639
Umfriedung zur Schau stellt, während Jammergestalten
mit aufgepilanzlem Bajonett die Eingänge und ins-
besondere ein Haupttor bewachen, das im flatternden
Schmuck von Fähnchen und Girlanden die gemüt-
volle Aufschrift »In der Heimat willkommen!« trägt.
Gott, man begreift ja diese wie manche andere
peinliche, fast rührende V rlegenheit, in die die
Staaten Europas, und vollends der unsere, durch
diese Riesenkriegsblamage gestürzt wurden; und
stünde man draußen — außerhalb des Gitters — ,
ließe sich das Ganze allenfalls mit Humor betrachten
(zumal jetzt, wo die Heimkehrer vorziehen, an der
Grenze Kehrt zu machen und in das russische Chaos
zurückzuilüchten). Aber wenn man sozusagen Zwangs-
angestellter dieses ärarischen Jahrmarktbetriebes ist,
und wenn man, in die Seele dieses Unternehmens
vordringend, auf einen Konzern von Geschäftemachern
stößt, der Lebensmittel, die im Handeinkauf beschafft
dem Hunger jener armen Teufel zu Leibe rücken
sollten, im Dunkel eines Hinterlands verschwinden
läßt, das keinen Hunger — nur den nach Geld —
kennt; wenn einem ein Exportkommis zu Defehlen
hat, dem, als er mich jüngst bei der Lektüre der
Fackel überraschte, der verdutzte Ausruf entfuhr:
»I du meine Güte — fackelt der noch immer
herum?!« — dann dringt einem kalter Schweiß aus
den Poren und man möchte nicht nur aus dem da,
sondern überhaupt aus dem Affenzwinger dieser Zeit
und dieser Welt bisweilen ausbrechen!
Und nun stellen Sie sich vor, daß ein Ausruf
wie der eben zitierte sich so aufs Geratewohl vor
einen hinspuckt, während man »Zum ewigen Frieden«
und andere Gedichte liest! In einem Augenblick
vielleicht, da ich mir denken mochte, was ich hier
nur im Bilde anzudeuten wage: Nie noch war Ihr
Herz so hellig bloß gelegen! Wie doch sein Sturm
verebbt im Rauschen der Tiefe, im Gesang der
Höhen! Wie ein leuchtendes Gestade taucht es auf
640
im Schleier Ihrer Verse: Morgenland der Kindheit —
Morgenland der Menschheit! Und alles von heut scheint
plötzlich wie von gestern. Die junge alte Gotteswelt!
So ungefähr sah ich das Antlitz Ihrer Schöpfung,
als mir das Untier sie besudelte. Indem ich an Sie
schreibe, fühle ich erst, wie ich doch wieder ganz
voll Lebensmut bin. Unj, denen die Verewigung im
eigenen Geist versagt geblieben ist, muß genügen,
was uns an irdischem Wunsch, an irdischer Be-
stimmung erfüllt wurde; auch wenn der Zufall des
geborenen Sohns nur die Bestimmung unserer
Sterblichkeit verewigt. Vielleicht ist die Liebe zu
meinem Sohn (der mir die rührendsten Zeichnungen
und Briefe schiciit — »uns geht es bis jetzt noch
gut« hat er mir neulich geschrieben) — vielleicht ist
sie nur deshalb so schmerzlich und tief. Denn, wie
in Ihrem »Halbschlaf«, irgendwo wartet doch überall
der ungeborne Sohn.
Nun aber leben Sie wohl! Doch, noch eins:
Ihr Zitat von Goethe an die Frau v. Stein! Wie
habe ich die Wahrheit dessen empfunden hier im
Verkehr mit unseren Heimkehrern! Da habe ich
z. B. in dem Ort, an dem ich zuletzt war, eine
Kompagnie gehabt, die aus Leuten der verschiedensten
Nationalitäten bestand. Ich habe kein anderes
Verdienst umi sie gehabt, als daß ich mir die Auf-
besserung ihrer Menage angelegen sein ließ und sie,
anstatt mit ihnen zu exerzieren, auf die Wiese führte,
mir ihre Schicksale in der Gefangenschaft erzählen
ließ und ihnen, wo es nötig war, ein bißchen in
der Korrespondenz mit ihren Angehörigen nachhalf.
Wie rührend haben mir dies die Leute vergolten! Als
die Kompagnie abmarschbereit stand, traten von jeder
Nationalität — Deutsche, Ruthenen, Polen, Czechen,
Italiener, Bosniaken — zwei Mann vor und sprachen
mir im Namen ihrer Landsleute den Dank aus.
Nach ein paar kurzen Abschiedsworten meinerseits
brachten sie ein dreifaches Hoch auf mich aus, ein
641
Schriftsetzer aus Wien sprang noch schnell aus der
Einteilung mit der Frage, ob er mir von Wien eine
Karte schreiben dürfe, und mit Mützenschwenken
marschierte dann die Kompagnie in den schönen
Frühlingsabend hinein zur Bahn. Unser Oberstleutnant,
der von ferne zugesehen, fragte mich dann: »Sie
haben wohl ein Hoch auf den Kaiser ausgebracht?«,
was ich selbstverständlich bejahte. —
(Verwandlung.)
37. Szene
Nach der Winteroffensive auf den Sieben Gemeinden. Exerzier-
platz in der Etappe. Die Überreste eines Regiments, jeder Mann
zu einem Skelett abgemagjrt. Mit den zerfetzten Monturen, dem
zerrissenen Schuhwerk und der verdreckten Unterwäsche ist es
auf den ersten Anschein ein Haufe kranker und zerlumpter
Bettler. Sie erheben sich müde, üben Gewehrgriffe und machen
Salutierübungen.
Erster Kriegsberichterstatter: Wie sie auf-
leuchten wem, wenn sie hören wem, der oberste
Kriegsherr, der soeben bei seinen tapferen Truppen
an der Front weilt, geruhe, das siegreiche
Regiment zu besichtigen.
Zweiter Kriegsberichterstatter: Er weilt
noch an der Front, in Gries bei Bozen, aber gleich
wird er da sein, Mir scheint, sie wissen es schon.
Ein Soldat (zu einem andern): Jetzt kommt er
her, der Lackl!
Zweiter Soldat: Draußen laßt er sich eh net
anschaun!
Erster Kriegsberichterstatter: Der Kaiser
genießt unter den Soldaten ein blindes Vertrauen.
Zv/eiter Kriegsberichterstatter: Sie sind
schon glücklich, wenn er sie nur anlächelt, die
Braven.
Ein Hauptmann: Fixlaudon, bißl fescher,
gleich kommt Seine Majestät! Natürlich, Urlaub —
das schmeckert euch. Habts glaubt, weil ihr in die
Die letzten Tage der Menschheit. 41
642
Retablierung kommts, wird's an Urlaub geben.
An Dreck. Seine Majestät kommt zur Besichtigung
seines glorreichen Regiments und da darf kein Mann
fehlen, Bagasch überanand!
Erster Kriegsberichterstatter: Schaun Sie
her, das is interessant, was jetzt geschieht. Sie ziehn
sich um. Neu ausstaffiert wem sie, vom Scheitel bis
zur Sohle.
Zweiter Kriegsberichterstatter: Was ge-
schieht mit den alten Fetzen?
Der erste: Die kriegen sie wieder, wenn der
Kaiser weg is.
Der zweite: Die Kompagnien sind auf einen
Stand von 15 bis 60 Mann gesunken, die wird man
doch natürlich auffüllen — ?
Der erste: Was heißt man wird? Sie sind doch
grad dabei — dorten — schaun Sie her, v/le sie
auffüllen. Man wird doch dem Kaiser nicht Verluste
von 2500 Mann zeigen, was glauben Sie!
Der zweite: Mit was für Material wird aufgefüllt?
Der erste: No mit Schuster, Schneider,
Oifiziersdiener, Köche, Tragtierführer, Pferdewärter,
Marode und so — alle haben sie doch schon Gewehre
und exerzieren schon. Wenn er nur schon da war!
Die Kälten soll ein anderer aushalten.
Der zweite: Schaun Sie, was sie jetzt machen —
was is das?
Der erste: No das is doch klar, die dekorierte
und besser aussehende Mannschaft wird ins erste
Glied geschoben, sie wechseln aus.
Der zweite: Das seh ich, aber was machen
sie am Gesicht?
Der erste: Was sie am Gesicht machen?
Das wissen Sie nicht, Sie blutiger Laie? Sie reiben
sich das Gesicht mit Schnee ein, damit jeder Mann
eine gesunde Gesichtsfarbe kriegt, auch die Kranken.
643
Der zweite: Das is eine glänzende Idee!
Schaun Sie her, wie sie schon blühend aussehn 1
Was oreschieht aber jetzt? Etwas wird verteilt.
Der erste: Karten mit dem Bildnis des Kaisers.
Dafür kriegen sie um die Hälfte weniger Brot.
Der zweite: Da wern manche sein, was mit dem
Tausch zufrieden sind, die Tapfern! — Gotteswillen,
die Autos — hören Sie nicht?
Automobile kommen. Dickleibige Gestalten entsteigen ihnen,
darunter eineschmächtigere, in dichtes Pelzwerk gehüllt, mit großen
Ohrenwärmern. Man sieht kaum mehr als zwei Wülste von Lippen.
Der erste: Sehn Sie, da können Sie es einmal
erleben: der oberste Kriegsherr inspiziert an der
Front die Truppen, die soeben aus der siegreichen
Schlacht kommen, und läßt sich mit dem einfachsten
Mann in ein Gespräch ein.
Der zweite: Sein Wesen ist gewinnend. Sehn
Sie sich an, wie ihm die Herzen zufliegen.
Der erste: Jetzt elektrisiert er.
Der zweite: Wenn man nur hören könnte,
was er sagt, was sagt er?
Der erste: Nichts. Aber er lächelt.
Man hört nun, von Mann zu Mann, von Zug zu Zug, in einem
regelmäßigen Abstand von je fünf Sekunden entweder >Aha!
Sehr schön!< oder >Aha! Sehr gutl< oder »Aha! Sehr brav!«
oder >Aha! Nur so weiter!« Es dauert zwei Stunden. Ver-
abschiedung von den Offizieren. Die Automobile fahren ab.
Der Oberst (zum Major): Folgender Abendbefehl
ist zu verlautbaren: »Seine Majestät hat sich über
das Regiment besonders lobend ausgesprochen. Der
Geist und das Aussehen der Truppen ist hervorragend,
der Mut, der jedem einzelnen aus den Augen blickt,
ein unvergleichlicher. Besonders freute sich Seine
Majestät über die geringen Verluste, die das Regiment
erlitten. Seine Majestät schloß: , Nicht wahr, Herr
Oberst, das Regiment wird auch wie bisher zu den
treuesten Truppen seines Kaisers, seines Vaterlandes
zählen und in den bevorstehenden Kämpfen, die
644
wohl hart, dafür aber siegreich sein werden, voll
und ganz seinen Mann stellen und so Lorbeer an
Lorbeer an seine Fahne heften.' Ich erwiderte:
,Jawohl, Majestät, ich verspreche es.'«
Der Hauptmann (zu den Soldaten) : Was ihr
heute erlebt habts, davon könnts ihr noch euern
Kindern und Kindeskindern erzählen, wanns wollts!
Jetzt aber heißt es: Auf zu neuen Schlachten und
Siegen! Und vor allem — ziagts gschwind die
neuchen Uniformen aus!
Der erste Kriegsberichterstatter: No steht
das dafür? Sie, das is wirklich kein Vergnügen, bei
28 Grad!
Der zweite Kriegsberichterstatter: No
was hab ich Ihnen gesagt? Mir paßt der Dienst schon
lang nicht! Mein Ressort is Theater — der Hoehn weiß
doch! Ich wer einfach mit dem Divisionär sprechen,
was mitdeniFrontthealer is. Die Idee hat ihm imponiert.
Der erste: Fronttheater? Sie schminken sich
doch schon ab!
^Verwandlung.)
38. Szene
Hofburg. Pressedienst.
Hauptmann Werkmann (diktierend): Ver-
ehrliche Redaktion! Sie würden mir einen großen
Gefallen erweisen, wenn Sie die heute erscheinenden,
gewiß nicht zu langen Berichte über die Truppen-
besichtigungen durch Seine Majestät und den Besuch
Ihrer Majestät in der Ottakringer Kriegsküche
tunlichst ungekürzt bringen wollten. Ich möchte
besonderen Wert auf die Schilderung der Seiner
und Ihrer Majestät dargebrachten Huldigungen legen.
Ich selbst war Zeuge dieser wirklich überwältigenden
Begrüßungen und habe in meinem Bericht gewiß
nicht zu viel gesagt. Nehmen Sie im voraus meinen
verbindlichsten Dank entgegen. Ihr ganz ergebener —
645
So und jetzt das :
V'erehrliche Redaktion! Es liegt mir sehr viel
daran, daß der Bericht über ein von Seiner
kaiserlichen Hoheit Herrn Erzherzog Max geleitetes
Sturmunternehmen, welcher in der Österreichisch-
ungarischen Kriegskorrespondenz vom 27. d. veröffent-
licht werden wird, möglichst allgemein veröffentlicht
werde. Ich bitte Sie daher um zuverlässige Über-
nahnie dieses Berichtes in Ihr sehr geschätztes Blatt.
Nehmen Sie im voraus meinen verbindlichsten Dank
entgegen. Ihr ganz ergebener —
(Verwandhing.)
39. Szene
Kärntnerstraße. Passanten umringen einen Opereltentenor. Ein
Hof wagen hält. Die Passanten grüßen. Ein Lakai öffnet den
Wagenschlag.
ErzherzogMax (aus dem Wagen rufend): Serwas
Fritzl! Kummst mit zum Sacher?
Der Operettentenor: I kann net, kaiserliche
Hoheit — { wart auf ein Madl! (Hochrufe für beide.)
Erzherzog Max: Ah so. Alstern serwas!
(Der Lakai schließt. Der Hofwagen fährt davon.)
Ein Zeitungsausrufer: — — Erfolge am
Piavee!
(Verwandlung.)
40. Szene
Eine Seitengasse. Unter einem Ha'!Stor ein Soldat mit zwei
Medaillen auf der Brust. Die Kappe hängt ihm tief über das
Gesicht. Ihm zur Seite seine kleine Tochter, die ihn geführt hat
und sich nun bückt, um einen Zigarettenrest vom Trottoir
aufzuheben, den sie ihm in die Tasche steckt. Im Hofe des
Hauses ein Invalide mit einem Leierkasten.
Der Soldat: Jetzt sind's schon genug.
(Er zieht eine Holzpfeife hervor, in die das Mädchen den Tabak
der Zigarettenreste hineinstopft.)
646
Ein Leutnant (der vorbeigekommen isi, dreht
sich um, barsch): Können Sie niclit sehn?
Der Soldat: Nein.
Der Leutnant: Was? — Ah so —
(Er entfernt sich. Der Soldat, geführt von dem Kind, in die
andere Richtung. Der Leierkasten spieltden Hoch Habsburg-Marsch.)
(Verwandlung.)
41. Szene
Armeeoberkommando.
Ein Major (zu einem andern) : Von denen Fronten
hat ma wirklich nix wie Verdrießlichkeiten. Schon
wieder so Teuxelsberichte, wo ma rein nicht weiß, was
ma machen soll. Gib ichs dem Waldstätten, wird
er wüld, gib ichs ihm nicht, wird er aa wüld. Alstern
was soll ma machen? Schau her:
»Bei manchen Regimentern ist eine Aufbesserung
der Verpflegung dringend geboten, um die Leute
in physischer Hinsicht in Schwung zu erhalten. Bei
einer Division beträgt das Durchschnittsgewicht des
Mannes 50 Kilogramm.« No also! — Und das:
»Jeder Deserteur im Hinterland, selbst wenn
er in den Wäldern versteckt leben muß, kann sich
besser ernähren als der Soldat an der Front«. Deserteur!
Wie man nur so was hinschreiben kann! »Was
die Bekleidung betrifft, so ist oft keine volle Garnitur
mehr vorhanden, da Hemd oder Unterhose oder
beides fehlt. Der eine hat keinen Ärmel mehr am
Hemd, dem andern fehlt der Rückenteil, der dritte
besitzt nur halbe Unterhosen oder Fragmente von
Fußfetzen. Malariafiebernde müssen nackt warten,
bis ihre Fetzen gewaschen und getrocknet sind.«
Fetzen! Der Ton, den sich die Front gegen unser-
einen erlaubt! Das is ja rein, als ob wir verant-
wortlich wären, war net schlecht! »Bei einem
Regiment fehlt jedem dritten Mann der Mantel.
647
Feldwachen mit Helm und Mantel ohne Hosen
kommen vor.« Noja, muß gspaßig zum Anschaun sein.
»Von soldatischem Ehrgefühl kann da nicht mehr
gesprochen werden, die einfache Menschenwürde
ist da verletzt.« No no, soll sich nix antun.
Ein Ton is das! Diese Leute an der Front begreifen
weder die eisernen Kriegsnotwendigkeiten noch wie
man mit dem AO K zu verkehren hat. Das is ja rein,
als ob wir den Krieg angfangen hätten! Und auf
was für Ideen die Leut kommen. Schau her:
»Um die Stimmung zu heben, würde es sich
empfehlen, die jüngeren Mitglieder des Allerhöchsten
Kaiserhauses bei Kampftruppen und an schwierigeren
Frontabschnitten einzuteilen.« Also da muß ich
bitten — das is schon Beleidigung von Mitgliedern
des kaiserlichen Hauses! Nein lieber Herr, um den
Preis wem wir die Stimmung nicht heben — die
wern wir denen Herrschaften schon anders heben!
Das is schon der reine Defaitismus — Mitglieder
des angestammten Herrscherhauses an die Front
schicken! War net schlecht!
Der andere Major: Was regst dich auf?
Gingerten s' denn?
(Verwandlung.)
42. Szene.
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Glauben Sie mir, der junge
Kaiser macht den Eindruck eines Mannes, der sich
auf seinen Herrscherberuf gründlich vorbereitet hat.
Der Nörgler: Das glaube ich ohneweiters,
als Thronfolger hatte er ja ein mit »Muskete«-Bildern
austapeziertes Arbeitszimmer.
Der Optimist: Sie glauben gar nicht, wie
ernst er geworden ist.
648
Der Nörgler: Kein Wunder bei einem, der
in keine Operette mehr geht, seitdem der >Walzer-
traum« nicht mehr gegeben wird.
Der Optimist: Erlauben Sie mir, wenn man
den »Walzertraum« schon fünfzigmal gesehn hat —
Der Nörgler: — dann muß der Mensch
ernst werden, das ist wahr.
Der Optimist: Es hat sich auch sonst viel
um ihn verändert. Die Schwärmerei der Jugend —
DerNörgler: — für das Papageienkabarett —
Der Optimist: — die schöne wilde Garni-
sonszeit in Brandeis —
Der Nörgler: — das Kino in Reichenau —
Der Optimist: Da geht er auch nicht mehr hin.
Der Nörgler: Nach seinem hundertsten
Besuch soll er erklärt haben, daß es ihm schon zu
fad ist.
Der Optimist: Nein, glauben Sie mir, Sie
unterschätzen seine geistigen Qualitäten.
Der Nörgler: Ich bin überzeugt, daß sein
Gesicht eine übertriebene Vorstellung von ihnen
gibt. Erst neulich hat mir jemand, der ihn kennt,
versichert, daß er gut auffaßt. Das ist das höchste
Lob, das Monarchisten für den Gegenstand ihrer
Ehrfurcht aufbringen, wenn sie einen Zweifler
bekehren wollen. Eigentlich sollte aber die Vor-
bedingung für den Herrscherberuf sein, daß ein
Monarch besser auffaßt als seine Untertanen.
Der Optimist: Ist es ihm nicht hoch anzu-
rechnen, daß er den Frieden will?
Der Nörgler: Auch diese Eigenschaft erhebt
ihn nicht über die meisten Angehörigen seiner
Monarchie. Ich zum Beispiel will den Frieden noch
mehr und habe sogar noch keine Lüge ausgesprochen,
um ihn zu vereiteln, wo ich durch die Wahrheit
ihn hätte herbeiführen können. Und unsereins hat
649
nicht einmal die Möglichkeit, auf einen Thron zu
verziciiten, wenn man einen Krieg nicht zu führen
oder nicht fortzusetzen wünscht.
Der Optimist: Das ist das einzige, was an
ihm ausgesetzt wird: er ist wankelmütig, wer zuletzt
mit ihm spricht, behält recht.
Der Nörgler: Die Vielfältigkeit seiner An-
sichten ist verblüffend. Denn er sieht aus, als ob er
nur einfältig wäre.
Der Optimist: Aber alles in allem muß
man doch zugeben, daß seine Entwicklung über-
raschend ist. Man hat Gutes von ihm erwartet und
er hält, was er versprochen hat.
Der Nörgler: Das schon. Aber nicht, was er
verspricht.
Der Optimist: Seine Zwiespältigkeit — daß
er heute so und morgen anders redet —
Der Nörgler: — kommt offenbar von dem
Naturspiel einer sächsischen Habsburgerlippe.
Der Optimist: Aber alles in allem ist er
doch ein gemütliches Haus. Man kann sagen, was
man will —
Der Nörgler: Ja wissen Sie, leider kann man
aber nicht sagen, was man will.
Der Optimist: Was würden Sie sonst sagen?
Der Nörgler: Daß ich nicht der Untertan
eines Operettenlieblings sein möchte. Daß es mir
unmöglich ist, mir den Herrn Marischka oder den
Herrn Fritz Werner auf einem Thron vorzustellen.
Daß es noch weit gräßlicher ist, für einen Feschak
Ehrfurcht empfinden zu sollen als für einen Lemur.
Daß ich es unerträglich finde, von einem Schönpflug-
Modell regiert zu werden. Von einem, der lächeln
kann und immer lächeln — und den Mund nie
zukriegen wird. Von einem Grüßer, der in der
dazugehörigen Stellung verharrt.
650
Der Optimist: Und den lustigen Text zu
dem Bild machl er auch. Er soll kürzlich bei der
Hoftafel das köstliche Mot geprägt haben: »Was
ist das Gegenteil von Apponyi? — A Pferd!«
D e r N c r g 1 e r : Ich höre das wiehernde Gelächter
derer, die uns in den Tod schicken können. Nein,
es geht nicht. Den Winterfeldzug mache ich nicht
mehr mit.
Der Optimist: Aber schauen Sie, Sie können
ihm doch seinen Humor nicht ernstlich zum
Vorwurf machen. Er hat eben die sprichv/örtliche
Leutseligkeit der Habsburger geerbt, von der nur
Franz Ferdinand eine Ausnahme gemacht hat,
und sogar Harden, der doch gewiß einen Kronzeugen
abgibt, hat große Hoffnungen auf ihn gesetzt.
Nämlich damals, als er nach der Sarajevoer Mordtat
sich lächelnd am Arm seines Großonkels —
Der Nörgler: — Grußonkels dem Volke
zeigte, der sogar durch seine Aufgeräumtheit das
Bulletin Lügen gestraft hat, er habe zum Zeichen
seiner tiefen Trauer das Dejeuner allein eingenommen.
Vorgänger und Nachfolger empfahlen sich grüßend
dem p. t. Publikum. Der Nachfolger rechtfertigte
sogleich die an ihn geknüpften Hoffnungen durch
den historischen Ausspruch: i>Also — fahr' mr!«
Der Optimist: Übersehen Sie nicht die
symbolische Bedeutung, die solchen Aussprüchen
innewohnt.
Der Nörgler: Wie sollte ich? Der Vorgänger
hat durch das Wort: »Die Linienwälle müssen fallen«
in das Bollwerk der alten Zeit Bresche geschlagen.
Der Optimist: Und der Kronprinz Rudolf
hat bekanntlich die Hoffnung ausgesprochen, daß ein
»Meer von Licht« erstrahlen werde —
Der Nörgler: — als die Elektrizitäts-
ausstellung eröffnet wurde. Aber wenn der sterbende
Goethe nicht, wie die Legende behauptet, »Mehr
Licht!« gerufen hat, sondern nur: »Macht doch den
651
zweiten Fensterladen auf, damit mehr Licht herein-
komme«, so dürfte mehr Licht darin gewesen sein
als in sämtlichen Habsburgerworten, die freilich
nach dem allerhöchsten Tarif von den ausstellenden
Firmen geschätzt wurden und deren gehirnlähmende
Wucht den von den Habsburgertaten heimgesuchten
Völkern den Rest gegeben hat. Imm.erhin hat der
Kronprinz Rudolf, dessen Gestalt zwischen den
Fiakern Bratfisch und Mistviecherl kommenden
Drahrergeschlechtern vorleuchten wird, seinen
Kulturdurst bei Szeps und Frischauer befriedigt.
Jedennoch, trostlos sind diese Habs- und Kalksburger
als Wegbahner des Fortschritts, unter deren Ägide den
Wissenschaften und Künsten nichts anderes übrig blieb
als zu blühen. Ich meine, daß man sich nur wenige
von ihnen mit einem Buch in der Hand vorzustellen
vermöchte, nicht einmal mit einem von Smolle über
die Vorzüge des Doppelaars. Ihrer aller geistiges
Adelszeichen war, »gut aufzufassen«, was sie schlecht
behalten haben. Aber von allen Aussprüchen Franz
Josephs erscheint mir doch der im Anblick des
Aquariums einer Kochkunstausstellung gesprochen-e
als der authentischeste. Er sprach: »Ah Goldfische, die
schwimmen ja wie natürlich!« Die geistig regsamsten
und zugleich verläßlichsten unter den Habsburgern
dürften noch die homosexuellen gewesen sein, und
wenn von einem eine menschliche Regung überliefert
wird, so liegt er gewiß auf Mailorca begraben
und nicht in der Kapuzinergruft. Die andern,
die ihre welthistorische Bestimmung, die Haus-
macht durch Heirat zu mehren, ausleben konnten,
und jene, die ihr zuwider das glückliche Österreich
durch Kriegführung verkleinert haben, sie alle haben
mehr Kaiserwetter gehabt, als ihre Völker Verstand.
Sonst wäre das angestammte Pech, von Individuen
regiert zu sein, denen man günstigsten Falls nichts
anderes nachsagen konnte, als daß sie nicht beleidigt
werden durften, längst unerträglich gewesen und
652
der Übelstand, daß es im zwanzigsten Jahrhundert nicht
nur Erzherzoge gab, sondern auch Hurentreiber von
Beruf, die sich solche Würde zusprachen, noch
vor einem verlorenen Kriege behoben worden. Der
Gehirndruck, der von diesen Existenzen ausging,
wird erst in seiner ganzen vernichtenden Schwere
gefühlt werden, wenn er gewichen sein wird, was
demnächst geschehen dürfte. Das walte Gott, der
lange genug von einer opferfreudigen Bevölkerung
angerufen wurde, sie zu erhalten und zu beschützen.
Ich hoffe, den nächsten 18. beziehungsweise
17. August schon ohne die illuminierte Bereitschaft
der Arschlecker zu feiern, die sich zu diesem
Behufe in die Kurorte begeben hatten, und ohne
die nachhallenden »Auch hier«-Schreie einer ehr-
losen Presse, die es noch im Weltkrieg gewagt
hat, diese Hinterlandsgemeinde vor der Front
unseres blutigen Leides aufzubieten und die Flüche
von Millionen Müttern in den Hochrufen der
kaiserlichen Räte zu ersticken. Österreich, das ewige
Weiland seiner kaiserlichen Hoheit, wird erst dann
zu sich kommen, wenn es eines Tages erkennt, daß
dort kein Gras wächst, wo ein elastischer Schritt
hintrat; wenn es sich besinnt, Republiken zu bilden
statt Spaliere, und mit jähem Entschluß den Salvators
und Annunziatas das Hofwagentürl vor der Nase
zuschlägt.
Der Optimist: Das scheint aber noch in
weiter Ferne zu liegen. Denn der Wagen der Blanka
schien mir neulich erst respektvollste Beachtung
zu finden, und wenn am Graben eine Verkehrsstockung
entsteht, so ist sicher die anziehende Erscheinung
des stattlichen Erzherzogs Eugen die Ursache.
Der Nörgler: Unleugbar ist insbesondere
die Popularität des Erzherzogs Max, der vom Vater
die Frohnatur geerbt hat, unter Umständen sogar
über Särge zu galoppieren, wozu ja der Weltkrieg
reiche Gelegenheit bieten würde.
653
Der Optimist: Nur ein Nörgler kann es
ihm übelnehmen, daß er —
Der Nörgler: — während der siebenten
Isonzoschlacht eine Würstelsoiree im Polo-Klub
veranstaltet hat, von der Gäste und Musikanten
in Hofautomobilen transportiert wurden. Daß man
gezwungen war, aufzustehen oder sein Haupt
zu entblößen, wenn es dem blödgemachteii Volke
gefiel, einem seiner Gut- und Blutegel zu huldigen,
einen dieser parasitischen Dummköpfe hochleben
zu lassen, die auch während einer Offensive ihren
Orgien und Bubenstreichen nicht entsagen konnten,
erfüllt einen mit tiefer Scham, wie uns die
Erinnerung an die offenbar zeiigebotenen Zusammen-
hänge von Kapuzinergruft und Nachtcafe mit Ekel
überwältigt. Wer hätte sich nicht dieses lebendigste
dynastische Gefühl für die spezifische Kaisertreue
bewahrt, die unlösbar mit der dunstigen Vorstellung
eines Animierlokals verknüpft bleibt, wo es plötzlich
allerhöchst hergeht, zwischen den Gassenhauern
der Liebe das Vaterland in seine Rechte tritt und,
da die geweihten Melodien einer verblichenen Glorie
schon durch die kriegerische Gegenwart entehrt sind,
die nur hier denkbare Schmach ehrfürchtig gesinnter
Schieber, Büffetdamen, Diebe und Würzen aller
Grade sich von den Sitzen erhebt unter Assistenz
flaschenfertiger Kellner, des Garderobepersonals und
last not least der Toilettefrau. Es war das Milieu,
in dem die Liebe zum angestammten Herrscherhaus
am tiefsten verwurzelt war. Monarchisten, die nicht
alle werden, die in einem Krieg nicht aussterben
und die es selbst nach diesem noch geben wird,
halten die majestätsbeleidigenden Eigenschaften einer
regierenden Familie für nebensächlich und für ein
Erbteil aller Dynastien. Aber sie werden nicht
leugnen können, daß die Evidenz und Aufdringlich-
keit dieser Eigenschaften, die Entaitung in den
Erlaubnissen einer gelockerten Zeit, die Si<andal-
654
ja Kriminalreife höchster Vorbilder in einer durch
sie ausgebluteten Welt der monarchischen Idee
nicht eben förderlich ist und daß diese einiger-
maßen von der Reue beeinträchtigt werden dürfte,
einen Weltkrieg für eine Familie unternommen zu
haben, die keinen Schuß Pulver wert ist. Wenn eine
kaiserliche Hoheit nicht nur Generalinspektor der
Artillerie, sondern auch Armeelieferant ist und im
Treubund mit einem Schieber ein Millionengeschäft
entriert, das zur Aushungerung der Front wesentlich
beiträgt, dann muß die Volkshymne ehestens einen
neuen Text bekommen, weil sonst die Verwechslung
von Lorbeerreisern und Dörrgemüse unvermeidlich
wäre. Lemuren, die a Ruh haben wollten und
darum Krieg geführt haben, und Feschaks, die in
ihm gedraht und gewuchert haben, werden uns
nicht mehr regieren!
Der Optimist: Das, was uns alle in Wahr-
heit regiert, ist —
Der Nörgler: — das Gesicht des Wolf in
Gersthof! Da sehen Sie ihn! Erinnern Sie sich an
meine Prophezeiung? Vier Jahre — und wie ist er
gewachsen ! Der blutige Blick ist da und doch waltet
Milde über diesem österreichischen Antlitz.
Der Optimist: Sie übertreiben. Danach wäre
er ein Symbol unseres Wesens geworden wie der
Kopf Hindenburgs für das preußische?
Der Nörgler: Da können wir nicht ran.
Gut schaun mr aus — aber nicht so ernst und zuver-
sichtlich! Wie einst Vater Radetzky auf uns oba-
schaute, so blickt jetzt das Haupt dieses abgeklärten
Fiakerkutschers auf unser Wirrsal hernieder.
Der Optimist: Mein Gott, so ein Plakat —
das besagt nichts weiter als —
Der Nörgler: — daß Millionen dahingehen
mußten; er aber überlebt, ist überlebensgroß! Wenn
aufs Jahr die Feinde kommen, die wern schaun!
655
Der Optimist: Ganz vermöchten Sie diese
Verbindung zwisciien einem Piakat und dem Welt-
krieg doch nicht auszudenken.
Der Nörgler: Usque ad finem! Wenn man
die Plakate erschossen hätte, wären die Menschen
erhalten geblieben.
Der Optimist: Ich vermag Ihnen auf diesem
Gedankengang nicht zu folgen.
Der Nörgler: Bleiben Sie getrost zurück. Der
Monolog, den ich mit Ihnen führe, hat Sie erschöpft.
Die Realitäten, die Sie nicht sehen, sind meine
Visionen, und wo sich für Sie nichts verändert
hat, erfüllt sich mir eine Prophezeiung. Zwischen
meiner Voraussage, daß der Weltkrieg die Welt in
ein großes Hinterland des Betrugs, der Hinfälligkeit
und des unmenschlichsten Gottverrats verwandeln
wird, und meiner Behauptung, daß es geschehen sei,
liegt nichts als der Weltkrieg. Um dieser Behauptung
dieselben Zweifel entgegenzustellen wie jener,
brauchen Sie nichts zu tun, als den Zustand der
Welt auszuschalten. Sind Sie nicht ein Nörgler am
Ideal, dessen Entehrung durch die Welt Sie gewähren
lassen? Ich Optimist muß, da sich meine Prophezei-
ungen erfüllen, es erleben, daß mein frömmster
Wunsch unerfüllt blieb. Am Ursprung dieses Unheils
hatte ich Gott gebeten, es in Stadt und Staat die
Mißgebornen fühlen zu lassen, daß es vollbracht ist.
Aber er hat nicht ihr Blut genommen zur Sühne für
die Tat, die am Anfang war, das Blut der Betrüger,
der Hinfälligen und der Gottesverräter. Er ließ sie
dafür das Blut der andern opfern und unversehrt
den Mord der Welt überleben. Wahrlich, wenn Gottes
Wege nicht unerforschlich wären, so wären sie unbe-
greiflich ! Warum doch hat er uns kriegsblind gemacht!
Hier tappen sie durchs Leben, Krüppel und Gelähmte,
zitternde Bettler, altersgraue Kinder, irrsinnige Mütter,
die von Offensiven geträumt hatten, Heldensöhne
mit den Flackeraugen der Todesangst, und alle, die
656
keinen Tag mehr haben und keinen Schlaf und
nichts mehr sind als die Trümmer einer zerbrochenen
Schöpfung. Und dort lachen jene, die sich des
Eingriffs vermessen haben, des Richters über den
Sternen, der zu hoch thront, als daß sein Arm sie
erreiche. Ist's nicht erfüllt? Keine Narbe blieb ihrer
Seele, die nie verwundet ward von dem, was sie
getan, gewußt, geduldet. Der Menschheit ist die
Kugel bei einem Ohr hinein und beim andern hinaus-
gegangen. Weg von diesem lachenden Grauen! Weg
von diesem österreichischen Antlitz, von dem unend-
lichen Behagen dieser Blutlache!
(Verwandlung.)
43. Szene.
Stadtpark. Mittag. Eine unübersehbare Menschenmenge umsteht
die Terrasse des Kursalons.
Ein Zeitungsausrufer: Mittagszeitung !
Die Piaveschlacht! Der österreichische Sturmangriff!
Eine Dame: Gott ich bin so aufgeregt —
Eine zweite: No zeichnest du denn Kriegs-
anleihe?
Die erste: Ich? Wasfalltdirein,begierigbinich —
(Das Publikum wird ungeduldig.)
Ein Herr: Meine Herrschaften bitte nicht
drängen — !
Ein Göttergatte: Du wirst sehn, es is ein
Aufsitzer !
Die Göttergattin: Also wenn ich dir sag
wenn in der Zeitung früh gestanden is —
Der Gatte: Hier hast du die ,Zeit' — wo
steht das bittich?
Die Gattin: No bist du blind? Hieran der
Spitze, noch vor dem Leitartikel —
Der Gatte: Auf Ehre. An der Stelle hab
ich es nicht vermutet — (er liest) Heute Donnerstag
den 23. Mai, mittags V2 1 Uhr wird auf der Terrasse
657
des Kursalons im Stadtpark Herr Hubert Marischka
vom Theater an der Wien jener Dame, welche das
o:rößte Opfer für die VIII. Kriegsanleihe bringt, einen
Kuß verabreichen. — Also das sag ich dir im Voraus,
d u wirst mir kein Opfer für die Vlll. Kriegsanleihe
bringen, hörst du?!
Die Gattin: No no, reg dich nicht auf, ich
will mir doch nur ansehn 1 Glaubst du, daß alle
was gekommen sind, gleich Kriegsanleihe zeichnen
wem? Man will doch bloß sehn!
Der Gatte: Man wird doch da sehn — du
wirst sehn, es is ein Aufsitzer. Komm weg aus dem
Gedräng! Weißt du was es sein wird — ich wer'
dir sagen, ein Film wird es sein!
Die Gattin: Du möchtest einem alles ver-
miesen ! No und wenn es schon ein Film is — sieht
man doch auch den Marischka, wie er einen Kuß gibt.
Der Gatte: Auch ein Vergnügen, wenn es
gestellt ist!
Ein dicker Schieber (am Arm eines Mädchens,
trällernd): Kissen is keine Sind — a scheenes Kind —
DasMädchen: Geh hör auf, das is doch vom
Girardi, den hab ich nie leiden können!
Ein Begleiter: Nicht ausstehn hab ich ihn
können. Mein Mann is der Thaller.
Stimme eines Skeptikers: No und der
Treumann is e Hund — ?
Fräulein Körmendy: Gott der Marischka,
ich bin so aufgeregt !
Fräulein Löwenstamm: Ich zeichne nur
Kriegsanleihe, wenn der Storm einen Kuß gibt!
Fräulein Körmendy: Gott dort kommt —
Fräulein Löwenstamm: — der Nästelberger!
Ein Feschak (zu einer Funzen): Kstiand meine
Gnädigste — Ohne den Göttergatten — ? Oh. ich hab für
Gnädigste ein Protektionsplatzerl — Momenterl! —
Die letzten Tage der Menschheit. 42
658
(Murren im Publikum.)
Rufe: Es is ja nur ein Film! — Schwindel! —
Wo bleibt der Marischka? — Hoch Marischka! —
Es is doch ein Saschafilm! — Schwindel! — Die
solin wem a idern pflanzen !
Ein Zeitungsausrufer: Mittagsjournal! Die
Vorbereitungen am Piave !
Ein Redner: Meine Herrschaften ! Harren wir
noch aus und Sie werden sehn —
Ein anderer: Wenn es nur ein Saschafilm is,
hätt man das gleich sagen sollen! Da sind viele
Damen, die ein Opfer für die Kriegsanleihe gebracht
haben, und jetzt stehn sie da!
Rufe: Pfui! — Schkandal ! — Wo bleibt der
Marischka !
Ein dritter: Der Marischka soll abgesagt haben!
Eine Gruppe: Wie kommen wir dazu? —
Jetzt stehn wir eine geschlagene Stunde da — ! wir
derstessn uns — ! Unsere Frauen — !
Eine andere Gruppe: Bravo ! So ist es! —
Wo ist das Komitee? — Pfui!
Einer (kommt atemlos «relaufen) : Ich weiß ein
Gerücht — Marischka hat abgesagt!
Ein anderer: No natürlich — hab ich mir
gleich gedacht — er wird doch nicht selbst küssen!
Ein älterer Herr (vor sich hinsummend): Geh —
sag — Schnucki zu mir —
Ein junger Mann mit Gürtelrock und
weißen Gamaschen (trällert, indem er dabei tanzartige
Bewegungen ausführt): Sterngucker — Sterngucker —
nimm dich in Acht —
Sein Freund: Du, wirklich wahr, du wirst
ihm immer ähnlicher.
Die Steffi: Aber der ganze Marischka I
Dezsö laß dich küssen !
Der junge Mann: Ich bin imstand und tritt
für ihn auf.
Die Steffi: Untersteh dich.
659
Der junge Mann:No glaubst du, ich tausch
mit dem Marischka — ? (Obige Melodie:) Vierzehn
Wa — gon hab ich — angebracht. (Gelächter.)
(Wachsende Unruhe im Publikum.)
Rufe: Was heißt das? — Komitee I — Wofür
hat man uns hergelockt? — Pfui!
Ein Aufwiegler: So etwas is nur in Wien
möglich ! Die Leut glauben rein, daß man seine Zeit
gestohlen hat!
Der Vertreter der Film -Gesellschaft
(erscheint) : Hochverehrtes Publikum ! Beruhigen Sie sich !
Man hat Sie nicht betrogen! Es handelt sich um einen
im Auftrag des k. u. k. Kriegspressequartiers aufzu-
nehmenden Werbefilm für die Kriegsanleihe. Die
Publikation, der die Saschafilmgesellschaft vollständig
fernsteht, ist offenbar einem patriotischen Beweg-
grund entsprungen. Wir selbst hatten ein Interesse
daran, daß die Filmprobe unter größtmöglichstem
Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet, aber da Sie
nun einmal erschienen sind —
Rufe: Bravo! — Schwindel! — f-Ioch
Marischka! — Wo is der Marischka? — Wir wollen
den Marischka sehn!!
Das Publikum drängt unter lebhaften Hoch- und Pfui-Rufen
vorwärts und stürmt die Terrasse, zahlreiche Stühle und Tische
werden umgeworfen, das Geländer der Terrasse zerstört und auch
am übrigen Inventar beträchtlicher Schaden angerichtet.
Der Restaurateur (ringt verzweifelt die Hände,
ermannt sich aber und ruft dem Filmregisseur zu) : So —
dös müassen S' zahln!
Die Menge: Marischka ! Marischka I !
Marischka ! ! !
Der Vertreter der Film-Gesellschaft
(in größter Erregung): Unter solchen Umständen — ist
die Probe abgesagt!
42»
660
Rufe: Eine Frechheit! — Was sich die Leut
mit einem erlauben! — Pfui!! — Wo bleibt die
Polizei? — So ein Skandal im Krieg! — Alles is
zusammengebrochen !
(Es bilden sich Gruppen, die das Ereignis in größter Erregung
besprechen.)
Die Göttergattin: Also er kommt nicht!
Die ganze Kriegsanleihe kann mir —
Der Göttergatte: Gotteswillen — !
Die Gattin: Also gib wenigstens das
Abonnoma auf die ,Zeit* auf!
Der Gatte: Beruhige dich. No siehst du —
also was hab ich gesagt?!
Die Gattin: Natürlich — ! das freut dich — ! so
bist du — ! geh weg, ich kann dich nicht mehr sehn!
alles vermiesen —
Der Gatte (trällernd): Weibi, Weibi, sei doch
nicht so hart —
(Die Menge zerstreut sich.)
Der dicke Schieber: Gehma zahaus und
sagma es war nix.
Ein Zeitungsausrufer: Mittagszeitung! Die
PJaveschlacht! Der österreichische Sturmangriff!
(Verwandlung.)
44. Szene
Der Nörgler und der Optimist im Gespräch.
Der Optimist: Und was wäre dann der
Heldenruhm?
Der Nörgler: Das ersehen Sie aus dieser
Theaterkritik. Ich möchte sie mit Ihrer Stimme
gelesen hören. Gibts ein Fronttheater, gibts auch
eine Theaterfront. Oder auch umgekehrt. Der Wechsel
ist schaurig.
Der Optimist (liest, zuweilen die Stimme erhebend):
Btirgertheater. Den Witwen und Waisen der
Helden von Uszieczko galt der heutige Abend
661
im Bürgertheater. Die Ersatzeskadron des k. u. k.
Dragonerregiments Kaiser Nr. 11 (Oberstleutnant
Baron Rohn) hat für die Witwen und Waisen
der bei Uszieczko gefallenen Kameraden eine
Festvorstellung veranstaltet. In aller Erinnerung ist
das ruhmvolle Heldenstück der Kaiserdragoner vor der
Brückenschduze am Dnjestr. Gegen zahllose Stürme
haben sie den vorgeschobenen Posten gehalten, der
vielfachen Übermacht getrotzt, bis nach monatelangem
heißen Streiten die Massen der Feinde die zu einem
Trümmerhaufen gewordene Schanze endlich bezwingen
konnten. Mitten durch die feindlichen Reihen
bahnte sich das übriggebliebene Häuflein der
Kaiserdragoner, von seinem Kommandanten Oberst
Planckh geführt, dennoch den Weg zu den
Unsrigen. Die Tapferen von Uszieczko grüßte
heute das Wiener Publikum auf der Bühne
des Bürgertheaters und brachte ihnen eine
stürmische Huldigung dar. Dieser schöne
Gedanke, die Helden von Uszieczko zu feiern, lag
dem szenischen Vorspiel zugrunde, das die fein-
sinnige heimische Dichterin Irma y. Höfer für
diesen Anlaß verfaßt hat. Sie hat die Örtlichkeit der
heißen Kämpfe zum Schauplatz der Szene gemacht,
und Maler Ferdinand Moser hat die Landschaft am
Dnjestr mit glücklicher Hand auf die Bühne
gezaubert. Vor der Schanze, hinter der sich im
Dämmerlichte des Mondes der Dnjestr wie ein
Silberfaden hinzieht, sind die Kaiserdragoner
gelagert, und die heute die Bühne belebten,
standen noch vor kurzem im fürchterlichen
Ringen am Dnjestr. Die meisten von ihnen
trugen die wohlverdienten Auszeichnungen.
Hofburgschauspieler Skoda interpretierte in der
Uniform eines Dragoneroffiziers den gehaltvollen
und fesselnden Prolog von Irma v. Höfer. Er erzählt
von dem Ruhme der Kaiserdragoner, von den Helden-
taten der ^>Elfer«, von dem Ausharren in allen
662
Angriffen, ist von zündender Begeisterung und
tiefem Empfinden erfüllt. Während der Kaiser-
dragoner im Morgengrauen den Überfall
des Feindes erwartet, denkt er an sein Heim,
an Mutter, Gattin und Kinder, streicfielt
und küßt die letzte Postkarte von den
Lieben und geht darauf vor den Feind. Das
Vorspiel von Irma v. Höfer ist eine poetische, form-
schöne Darstellung der letzten Heldentat der Kaiser-
dragoner und gibt in großen Umrissen die Geschichte
des ruhmvollen Regiments. Nach der glutvollen
Ansprache des Offiziers, die Herr Skoda mit
rhetorischem Schwung und pathetischer Steigerung
hinreißend vortrug, wurde das neue Regim.ents-
lied von Rittmeister Zamorsky, einem Helden
von Uszieczko, mit dem anfeuernden Text
von Frau Rittmeister Perovic gesungen.
Dann zogen die Gestalten der Fülirer und
Inhaber des berühmten Regiments vorüber, des
Obersten Heißler, Prinz Eugen, Radetzky und
schließlich unseres Kaisers. Der Regiments-
trompeter blies »Zum Gebet!« Die Soldaten
auf der Bühne knieten nieder und stimmten
die Volkshymne an, in deren Töne das
Publikum, in dem man außer den höchsten
militärischen Kreisen auch die Spitzen
der Zivilbehörden und die Vertreter der
vornehmsten Gesellschaft bemerkte, einfiel.
Rauschender Beifall folgte diesem Vorspiel der Frau
v. Höfer, welche die Ereignisse der jüngsten Tage
mit lebender Kraft und greifbarer Plastik auf
die Bühne gebracht hat. Dann mußte der Vorhang
des öftern in die Höhe gehen und das übervolle
Haus jubelte den Helden begeistert zu,
die stramm salutierend dankten. Irma v. Höfer
war Gegenstand rauschender Ovationen und
es wurde von vielen Seiten der Wunsch laut,
daß die Dichtung durch weitere Aufführungen
I
663
breiteren Schichten zugänglich gemacht werde.
Dem szenischen Prolog folgte die Aufführung
von Eyslers »Der Frauenfresser« mit Fritz
Werner und Betty Myra in ihren bekannten
Glanzrollen Nein! Das kann nicht wahr seini
Der Nörgler: Wie denn also?
Der Optimist (sieht noch einmal in die Zeitung und
sagt): Das Publikum jubelte den Helden begeistert zu —
die stramm salutierend dankten. (Pause. Er sieht den
Nörgler an.) Das kann nicht wahr sein! Was — wäre
dann der Heldenruhm?
Der Nörgler: Ein Theaterstück. Oder: Ein
morscher Hügel, auf dem das Unkraut rot wie
Feuer steht — wie ein chinesischer Kriegsdichter
sagt. Ein deutscher Hausierer denkt weit weniger
defaitistisch.
Der Optimist: Wie meinen Sie das? So
sollten Sie von diesen Dingen nicht sprechen. Der
Heldenruhm ist keine Hausiererware.
Der Nörgler: Doch. Lesen Sie nur diesen
Ausschnitt aus einem Fachblatt, den mir jemand
zugesandt hat.
Der Optimist (liest): Wichtige Mitteilung
für Hausierer! Falls Sie Interesse für einen
glänzenden 1 Mk. -Verkaufs-Artikel haben, empfehlen
wir Ihnen unser patriotisches Gedenkblatt: »Er
starb den Heldentod fürs Vaterland«.
Größe des Bildes: 44X60 cm. Dasselbe ist in hoch-
künstlerischer Kupferstich -Imitation ausgeführt und
eine Zierde als Wandschmuck für jede Familie, die
einen ihrer Angehörigen auf dem Felde der Ehre
verloren hat. Es zeigt neben ergreifenden Schlachten-
bildern aller Waffengattungen ein stilles Soldaten-
grab, darunter Name und Ort des Gefallenen
eingetragen wird. Seine Photographie, von einem
Eichenkranz umrahmt, wird inmitten des Bildes
befestigt und von den Strahlen des darüber befind-
lichen Eisernen Kreuzes glorifiziert, während ihm
664
die Friedensgöttin den Sieges -Lorbeer reicht.
Se. Majestät der Kaiser ist sichtbar, den Volks-
vertretern die denkwürdigen Worte : »Ich kenne
keine Parteien mehr!« zurufend, und aus den Wolken
leuchten verklärt die Antlitze der Gründer des
Deutschen Reiches: Kaiser Wilhelm I., Bismarck
und Moltke, hervor. — Ein Gedenkblatt, so vornehm
und ergreifend, daß es von Arm und Reich begehrt
sein wird. Übertrifft bei weitem alles, was bisher
in diesem Genre erschienen ist! Preise für Wieder-
verkäufer — — Das kann nicht wahr sein! —
Sagen Sie, daß es — von Ihnen ist — daß das alles
von Ihnen ist!
Der Nörgler (drückt ihm die Hand): Ich danke
Ihnen. Es ist von mir.
(Verwandlung.)
45. Szene
Innsbruck. Maria TheresienstraRe. Mitternacht. Menschenleer. Ein
Mädchen tritt auf, in ihrer Rechten hält sie einen Säbel, mit dem
sie herumfuchtelt. Von der andern Seite ein Metzgergenilfe.
Der Metzgergehilfe: Ja was war nacher dös?
(Er erkennt sie) Ja — (er packt den Säbel.)
Das Mädchen mit dem Säbel: Auslassen —
Auslassen sag ich — !
Der Metzgergehilfe: Sie sein eine Protestierte!
Sie ham mich vorige Woch'n zu Ihnen gewunken!
Sie derfen keinen Säbel nicht tragen! (Er entreißt ihr
den Säbel.) Wie kam denn so eine Person zu ein'
Säbel, jetzt im Krieg —
Drei Offiziere erscheinen im Laufschritt; einer ohne Säbel.
Der Offizier ohne Säbel (wankend): Oho! Wer
hat denn da meinen Sabul? Hergeben auf der Stelle!
(Er will dem Metzgergehilfen den Säbel entreißen.)
Der Metzgergehilfe: Tschuldigen schon Herr
Oberleutnant, aber diese Dame ist mir wohlbekannt —
es ist eine Person — diese Person ist eine Protestierte —
665
da bin ich verpflichtet — da muß ich den Säbel
doch auf die Wachstuben bringen — oder niclü?
Wie kam denn so eine Person zu ein' Säbel?
Der Offizier ohne Säbel (energischer werdend) :
Kerl, hergeben oder — (er greift an die Stelle, wo
sonst der Säbel ist.)
Der Metzgergehilfe: Das gibts nicht, daß so
eine Person einen Säbel hati Das muß angezeigt wem!
Der zweite Offizier (zieht seinen Säbel): Kein
Aufsehn! Willst du Fallot auf der Stelle —
Der dritte Offizier (ihn zurückhaltend): Kein
Aufsehn, Waber, gscheidt sein! Das is eine bsoffene
Gesellschaft!
Der Metzgergehilfe (fuchtelt mit dem Säbel):
Was? Bsoffene Gesellschaft? Herr Oberleutnant,
schaun S', ich hab auch einen Säbel!
Der Offizier ohne Säbel (packt ihn beim Arm):
Fallot I
Das Mädchen ohne Säbel: Geh Pipsi,
stell dich nicht her — mit so Zivilisten!
Der Met zger gehilf e: Wachmann! Wachmann!
Das wern wir sehn!
Zwei Wachleute kommen. Alle sprechen auf sie ein.
Der erste Wachmann: Aber bitte, bitte, Herr
Oberleutnant, nur kein Blutvergießen — jetzt im Krieg!
Der dritte Offizier: Hörst, kein Blutvergießen,
gscheidt seinl
Der zweite Wachmann: Kommen die Herr-
schaften alle mit aufs Hauptwachzimmer im Rathaus,
dort wern wir schon ins Reine kommen.
Ein Inspektionsoffizier erscheint. Alle sprechen auf ihn ein.
Der Inspektionsoffizier: Was is denn? Jede
Nacht gibts was. Du, die kenn ich schon. Du bist
nicht der erste, dem s' mit'n Säbel durchgeht. Also da
hast ihn! (Er nimmt dem Metzgergeh ifen den Säbel ab und
überreicht ihn dem Oberleutnant, der ihn fallen läßt. Die
Kameraden sind ihm behilflich.) No was is mit der Person?
666
DerMetzgergehilfe: Vorige Woch'n hat s'mich
zu ihr gewunken! Das ist eine Protestierte — ist das!
Beide Wachmänner (zum Mädchen ohne Säbel) :
Sie mir scheint, Sie ham kan Schein!
Der Inspektionsoffizier (zum Oberleutnant):
Du Pöffl, warst mit ihr?
Beide Wachmänner (zum Mädchen ohne Säbel) :
Sie, Sie führn einen unbefugten Lebenswandel!
Der erste: Wegen Verdachtes von Geschlechts-
krankheiten —
Der zweite: — und gewerbsmäßiger Unzucht
ohne Erlaubnisschein —
Beide: — gehn S' mit auf die Wachstuben!
Der Inspektionsoffizier: Solche Witz mit'n
Säbel mitten im Krieg meine Liebe wern Ihnen
teuer zu stehn kommen! Das is schon der dritte
Fall, von dem ich weiß.
Das Mädchen ohne Säbel (auf den Oberleutnant
zeigend): Bitte, der is mein Freund! Gelt Pipsi, du
bist mein Freund?
Der Offizier mit Säbel (auf den Metzgergehilfen
zeigend): Der soll auch mit! Der hat meinen Säbel
angerührt!
Der Metzgergehilfe: Bitt, ich bin un-
schuldig — !
Der Inspektionsoffizier: Du Pöffl, hast ihr
den Schandlohn gegeben?
Das Mädchen ohne Säbel (indem sie abgeführt
wird, zurückrufend) : Ich bin keine SO eine — ! Ich bin nur
vazierend — ! Zwanzig Kronen krieg ich von ihm — 1
Zwanzig Kronen — ! Blitzen, pfui Teufel! —
Der Metzgergehilfe: So ein Schlampen!
Herr Oberleutnant wern sich doch nicht mit so
ein' Schlampen abgeben!
667
Der Offizier mit Säbel: Der hat meinen
Säbel angerührt! (Er will den Säbel ziehen.) Frontschwein!
Muienpack! Wer mir in die Näh kommt — !
Warts — Sabul — Rock des Kaisers — uah —
(Er übergibt sich. Die andern ziehen ihn tort. Die Straße ist
menschenleer.)
(Verwandlung.)
46. Szene
Zwei Verehrer der Reichspost, schlafend.
Erster Verehrer der Rcichspost (aus dem
Schlaf sprechend) : — und bat, die Huldigung der
kaisertreuen Bevölkerung an den Stufen des aller-
höchsten Thrones niederzulegen, Bürgermeister
Weiskirchner antwortete, meine lieben Wiener, ihr
lebt eine große Zeit mit, in unentwegter Treue
huldigen wir unserem geliebten alten Kaiser, brausende
Hochrufe, wir gedenken auch des Bundesgenossen
in schimmernder Wehr, donnernde Heilrufe, und
heute —
Zweiter Verehrer der Reichspost (aus dem
Schlaf sprechend) : — und heute war der italienische
Botschafter bei unserem Minister, um die feierliche
Erklärung abzugeben, daß Italien in Treue Österreich
zur Seite stehe, stürmische Evvivarufe — Katzel —
Der erste: In Prag, Brunn und Budweis, überall
jubeln s' den kaiserlichen Entschließungen zu.
Der zweite: Allerhöchstes Hoflager in Ischll
Der erste: In Serajevo haben s' Gott erhalte
gsungen.
Der zweite: Fürst Alfred Windischgrätz hat
sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet.
Der erste: Der Kaiser hat während des ganzen
Tages in angestrengtester Weise gearbeitet.
Der zweite: Soldatenvater.
668
Der erste: Am 27. zwischen 12 und 1 Uhr
wurde im Postsparkassenanit die finanzielle Vorsorge
für den Krieg getroffen.
Der zweite: Die Approvisionierung Wiens für
die Kriegsdauer wurde vom Bürgermeister gemeinsam
mit dem Ministerpräsidenten und dem Ackerbau-
minister gesichert.
Der erste: Keine Teuerung durch den Krieg.
Der zweite: Nur Tugenden.
Der erste: Welch einen Schatz von Tugenden
hat doch dieser Krieg schon gehoben.
Der zweite: Ein gar strenger Lehrmeister der
Völker.
Der erste: Prometheischer Erringer von Licht
und Klarheit.
Der zweite: Lichtbringer — Lebensspender —
Katzeimacher —
Der erste: Kriege sind Prozesse der Läuterung
und Reinigung, sind Saatfelder der Tugend und
Erwecker von Helden.
Der zweite: Renaissance österreichischen
Denkens und Handelns.
Der erste: Ramatama!
Der zweite: Rrtsch — obidraht!
Der erste: Wir sind für den Frieden, wenn
auch nicht für den Frieden —
Der zweite: Um jeden Preis!
Der erste: Noch ist Lemberg —
Der zweite: — in unserem Besitze.
Der erste: Belgrad und Deschenee im intimsten
Familienzirkel eingenommen — dinatoor — begaben
sich —
669
Der zweite: Elastischen Schrittes.
Der erste: Kurz und gut —
Der zweite: Gut und Blut —
Beide: Allerhöchstes Hoflager!
(Verwandlung.)
47. Szene
Separatcoupe erster Klasse. Im finstern Gang ein Haufen von
Koffern und Körpern.
Der Oberstleutnant des Generalstabs
MaderervonMullatschak (liegt betrunken im Coupe,
lallend) : Ich und du — blinde Kuh — der größere Gauner
das bist du! — Huupp — Hupf mein Mäderl —
umarme dich im Geiste, mein Lumperl — hast die
600 Kilo Dörrgemüse? — Was? Was? Aber na, aber na!
— ah daschaurija — 100.000 Kronen per Waggon
hast gmacht — ich noch nicht — du Schlankl!
du Schlankl ! — Ich — hab ein — kolo — sales Gschäft —
mit Speck in petto — nein, kein Veto! — Kajestät der
Maiser — kann mich gern haben — Was? Der dalkerte
Ehrenpunkt — Le — Leleopold — schmeiß ihm
'n Lleopoldsorden — heut trommel ich auf dein" Kakadu
den Radetzkymarsch — Ehrenpunkt — Gfraßt —
das soll er seiner Schwiegermutter erzähln — die
macht noch bessere Gschäften — oder seiner Tant —
recht hams — wann ich eine Herz — erzogin war —
ich räubert die Schatzkammer aus — und der
Sal — Salvator! — ujegerl, hammer an Gspaß ghabt
— was Schatzi — is ja eh alles Wurscht — bin
gedeckt — was — Mutzigam — haha! hoho!
huhu! — ich — bin riesig stolz — ich hab jetzt
ein Sparkassabuch — das is mein Reglement! —
huupp — mein Lumpi — ich kann nur sagen — ich
bin sehr zufrieden mit dem Krieg! — jeder Waggon
fünftausend Kronen Pro — Provision — lauft als
Müli — Mülidärfrachtgut — der Jud — zahlt gut —
aber daß du nicht glaubst — daß du nicht glaubst,
670
ich arbeit nicht selber auch — oh der Speck — der
Speck — wirst schon sehn — was schauts denn?
standeswidrige — ZiviHstenbagasch — huupp —
alle hab ich außischmeißn lassen — ausn Coupe — das
andere wissen S' eh — mein Lumpi — sollns sich
derstessn — hängts euch alle auf — ah woos, häng
mrs alle auf — sollns krepiern — fürs Vaterland,
wanns — auf der Maschikseiten — Herstellt! — den
bsoffenen Kerl hab ich — huupp — erschießen lassen —
bin gedeckt — Mausi — ich bring dir — raten, raten!
— schmecks — hundertzv/anzig Pfund Schweinernes!
(Fährt auf, sieht auf die Uhr.) Was — elf is SChon? Gleich
— sama do — in Steinbrück — huupp — oha —
jetzt — jetzt — wann s' jetzt nicht parieren — ich hab
telephonisch — Befehl geben, daß der Dings — den
Schnellzug warten Ir-ßt — er weiß ja nicht, der
Trottel — daß es — für dich, mein Arscherl —
Sakra heut bin ich aber geil auf dich — warum
kommt er nicht — der Saukerl von an Burschen —
gleich is Steiermark — Steinbrück — er — er ließ
schlagen — eine Brücken — brr — was schauts denn? —
Stein — Steinbrück — wann er nur kan Pallawatsch
— einen Schlof (Gähnen) — haab ich — uäh — es is —
alles — Wurscht —
(Verwandlung.)
48. Szene
3000 Meter hoch.
Der Fähnrich (im Halbschlaf) : Vier Jahre —
Gott, Gott, wozu — das — alles — Helene — ach —
wo — bist du —
Die Schalek erscheint.
Die Schalek: Also was empfinden Sie jetzt,
was denken Sie sich, Sie müssen sich doch
etwas — (Batteriesalve.)
(Verwandlung.)
671
49. Szene
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Wenns nur schon zu Ende wärel
Was sagen Sie zu den Grab- und Leichenschändungen
bei den Engländern und Franzosen? Die deutsche
Propaganda behauptet, daß die Knochen der Gefallenen
verwertet werden und aus Soldatenleichen Fett ge-
wonnen wird.
Der Nörgler: Ich kann es nicht nachprüfen,
aber als Metapher scheint es mir eine weitere Realität
zu beglaubigen, dem weltüblichen Sachverhalt zu
entsprechen und ganz und gar den Gebrauch zu
bezeichnen, den die überlebende Menschheit in allen
ihren Bestrebungen und Interessen vom Heldentod
und von der Glorie macht.
Der Optimist: Wenn man Sie sprechen hört,
möchte man allerdings glauben, daß der allgemein
erwartete Seelenaufschwung tatsächlich nicht ein-
getreten ist.
Der Nörgler: Fast glaube ich es selbst.
Aber ich glaube auch, daß das Blutgeschäft, das die
Agenten mit dieser Chance verlockend machen wollten,
als der größte Bankrott, den je der Planet erlebt hat,
enden wird. Und vor allem in den Reichen dieser
mißgebornen Mittelwelt. Denn wir haben den Mord
mit der Bibel und den Raub mit der Fibel in der
Hand betrieben. Wir wollten den Weltmarkt in der
Ritterrüstung erobern — wir werden mit dem
schlechteren Geschäft vorlieb nehmen müssen, sie am
Tandelmarkt zu verkaufen.
Der Optimist (will eine Zigarette anzünden):
Sonderbar, kein Zündholz fängt.
Der Nörgler: Das kommt vom Ultimatum
an Serbien.
Der Optimist: Ich sage, kein Zündholz fängt!
Der Nörgler: Ich sage, weil es gelungen ist,
die Welt in Brand zu stecken !
672
Der Optimist: Besteht auch hier ein Zu-
sammenhang?
Der Nörgler: Gerade hier! Nichts von allem
was wir stündlich berühren, ist unverändert ge-
blieben, innen und außen, in Wert und Preis. Hätte
1914 ein Staatsmann gelebt, der so viel Phantrsie
hatte, zu wissen, daß 1918 kein Zündholz zünden
werde, er hätt's mit der Welt nicht getan! Er
hätte den Krieg, den er erklären sollte, auch gesehn
und dazu den Frieden, in den aller Jammer noch
wachsend hineinreichen wird.
Der Optimist: Aber v/enn einmal der
Friede kommt —
Der Nörgler: — so wird der Krieg beginnen I
Der Optimist: Jeder Krieg wurde doch noch
durch einen Frieden beendigt.
Der Nörgler: Dieser nicht. Er hat sich
nicht an der Oberfläche des Lebens abgespielt,
sondern im Leben selbst gewütet. Die Front ist ins
Hinlerland hineingewachsen. Sie wird dort bleiben.
Und dem veränderten Leben, wenns dann noch
eines gibt, gesellt sich der alte Geisteszustand. Die
Welt geht unter, und man wird es nicht wissen.
Alles was gestern war, wird man vergessen haben;
was heute ist, nicht sehen; was morgen kommt, nicht
fürchten. Man wird vergessen haben, daß man den Krieg
verloren, vergessen haben, daß man ihn begonnen,
vergessen, daß man ihn geführt hat. Darum wird
er nicht aufhören.
— Der Optimist: Aber wenn nur erst der Friede
da ist —
Der Nörgler: — so wird man vom Krieg
nicht genug kriegen können!
Der Optimist: Sie nörgeln selbst an der
Zukunft. Ich bin und bleibe Optimist. Die Völker
werden durch Schaden —
Der Nörgler: — dumm. Dumdum!
(Verwandlung.)
673
50. Szene
Schweizer liochbahn.
Zwei riesenhafte Fettkugeln, deren unbeschreibliche Formen mit
menschlichen Maßen nicht bestimmbar sind, nehmen die
i;anze Sitzbank ein. Die eine läßt in Wintersporthosen und
Wadenstrümpfen zwei von einander unterscheidbare Fleisch-
massen erkennen; die ungeheuren Wangenflächen sind bku
beschattet, der gestutzte Schnurrbart glänzt unter Mondaugen
wie ein schwarzes Boskett und läßt zwei rote Wülste frei. Das
andere Wesen ist von einem abgetragenen Winterrock überzogen;
es ist der Kompagnon, der eben zu Besuch gekommen ist.
K'ein Hals, nur ein vierfaches Kinn vermittelt den Übergang der
Körperkugel zur Kopfkugel, das Ganze ist völlig ungegliedert
und hat das Aussehen eines Igelfisches. Beide haben Bergstöcke;
der eine eine Gattin, die eine Brosche mit der Inschrift >Gott strafe
England« trägt und gegenübersitzt. Es sind die Riesen Gog&M.agog.
Eine strahlende Schneelandschaft mit tiefblauem Himmel bildet
den Hintergrund.
G 0 g : Was ich mir jetzt noch wünsche, sind
schöne Bilder. Es muß ja nich jrade 'n Rembrandt
oder 'n Böckün sein —
Magog: Ich habe schon hundert.
Gog: So 'n schönes Bild ist doch wat
Schönes. Na, 's nich wah' Elschcn? Jib 'n Schmatz.
(Er küßt sie.)
Magog (nach einer Pause): Wer in diesem Kriege
nicht reich wird, verdient nicht, ihn zu erleben.
Gog: Jewiß doch.
Magog: Ich verlege mich jetzt auf Miniaturen,
am liebsten 16. Jahrhundert, auch Gobelengs,
Dosen, Wappenbücher und so Krimskram macht mir
Spaaß. Übahaupt trachte ich mir möglichst alte
Kultur zuzulegen.
Gog: Na und was ists denn mit Ihren Büchern ?
Ihr Bengel ist doch mit einer der feinsten Bibliophilen,
die wa jetzt im Reich haben —
Magog: Ja, da koof'n wa alles zusammen,
was es jetzt an numerierten Ausjaben auf Bütten
jibt. Wird bald nischt mehr da sein. Eh ich
von Berlin abreiste, habe ich um 60.000 Emmchen
Die letzten Tage der Menschheit. 43
674
Bücher jekauft, Aufmachung in Leder — Leder
is Bedingung. Ich bevorzuge Enschede en Zonen-
Drucke auf handjeschöpftem van Geldern-Bütten.
Bütten muß handjeschöpft sein. Denn Kaiserlich Japan
mit Perjamentrücken, zur Not auch Old Stratford.
Gog (blickt in die Zeitung): Na wat sagen Se,
WTB — »In 24 Stunden 60.000 Kilogramm
Bomben! — Ganz Dünkirchen steht in Flammen!
Unsre Bombengeschwader haben Außerordentliches
geleistet. Auch über der Festung London wurde
die Wirkung einwandfrei festjestellt.«
Magog: Die Sache im Westen wird jemacht.
Gog: 's muß doch 'n Hochjefühl sein, so'n
Kampfflieja! Vasteht man erst, wenn man das
Ullsteinbuch von unserm Richthofen jelesen hat!
Wie er den Rußkis die Bahnhöfe einjetöppert hat
— da kann man ihm den Jenuß des Bomben-
fluges so recht nachfühlen. Ist doch köstlich, die
Schilderung, wie er sich aus 'nem bessern Etappen-
schwein zum unbestrittenen Kampfflieja emporje-
arbeitet hat! 's muß 'n Hochjefühl sein, so alles
unter sich haben und man kann kaputt machen
— wie 'n König, mit Bomben beladen, wie
'n Gott!
Magog: U-Böot is ooch nich von Pappe.
Gog: Jewiß doch. (Blickt in die Zeitung.) Na wat
sagen Se, W T B — »Die wenigsten Leute können
sich vorstellen, welche prachtvolle U-Boot-Leistung
die gestern und heute als versenkt gemeldeten
sechzehn Dampfer wieder bilden. Auch der ange-
schossene, leider entkommene Dampfer dürfte
wenigstens für mehrere Monate seiner Bestimmung
entzogen sein.«
Magog: Unsre blauen Jungen schaffen es.
Gog: Na passen Se man uff, die jroße Kanone
allein wird die Kerls mores lehren! Der Schuß in die
Kirche neulich, so mitten rin ins Verjnüjen, Menschens-
kind da müssen se doch dran glauben lernen!
675
M a g 0 g : In spätstens zwei Monaten ist
England auf die Knie gezwungen. Eeventuell in drei.
Machen wa. Die Pleitestimmung ist da. Das sieht
man doch an den Humanitätszicken, wat se jetzt
wieda aufmachen.
Gog: Kokolores. Wat sagen Se zum Aufruf
gegen den Gaskampf?
Magog: Sollte das nicht ein Zeichen für die
überlegene Wirkung unsrer Gase sein?
Gog: Nu eben. Wir Deutsche begrüßen alle
Versuche, dem Völkerrecht und der Menschlichkeit
zum Siege zu vahelfen, mit Freude, lehnen es aber
ab, uns übertölpeln zu lassen.
Magog: Der Entwicklung der Angelegenheit
sehn wa mit Ruhe und gutem Gewissen entgegen.
Gog: Da sehn Se mal — immer dieselbe
Schose! Immer die olle Vaständjungskiste! Reuter
wirft uns vor, daß wir einer klaren und ernsthaften
Einigung mit den Prinzipien einer kommenden
Rechtsordnung ausweichen. Haben Se schon so 'nen
Quatsch jehört?
Magog: Rechtsordnung? Wir haben GasI
E 1 S ch e n (zum Fenster hinausdeutend): Ach Manne
sieh dir bloß — I
Gog: Jewiß doch. Solange der Vanichtungs-
wiile unsrer Feinde unjebrochen ist —
Magog: Ach lassen Se m.ich man bloß mit
den lausigen Lügen der Angtangte unjeschoren.
Immer das Jequasel mit ihrem Vaständjungsfrieden!
Gog: Fisimatenten. Die Brüder kenn wa
doch. Wa brauchen 'nen deutschen Frieden, und
'n deutscher Friede is keen weicher Friede,
vaschtehste lieber Lloyd George, Herzensjunge?
Magog: Jaawoll, wir wern det Kind schon
schaukeln, da is mir nich bcng vor. Machen wa.
Faule Jesellschaft, sage ich Ihnen. Da wolln se uns
43*
676
damit komm', daß Amerika nich einjetreten wäre,
wenn wa den vaschärften U-Bootkrieg nicli anje-
fangen hätten. U-Boot kann jar nich scharf jenuch
sein! Dieser Erzpharisäer Wilson is doch 'n janz
fauler Kopp, meinen Se nich auch?
Gog: Na von dem hab ich die Neese pleng!
Magog: Nich in die Lameng!
Gog: Alles Blöff! Mogelt bis in die Puppen.
Die Sache liegt doch janz eenfach so, daß wa durch
den pyramidalen Coup mit Brest-Litowsk unjeheure
Truppenmassen frei bekomm' haben. Na und wenn
Rußland erledicht ist, denn vasteht sich alles weitre
von selbst. Denn wird die Chose für die Brieder
mulmich. Denn mögen die Onkels übers jroße
Wasser rüber komm' !
Magog: Unter allen Umständen haben wa
doch Belgien als Faustpfand. Wa brauchen 'ne
jesunde Flottenbasis, wa brauchen 'ne tüchtje
Fliejabasis, wa brauchen Übasee und wa brauchen
doch det Erzbecken. Es erübricht sich, von allem
übrijen zu sprechen, was wa noch brauchen. Und
daß unsre Schwerindustrie beschäfticht werden muß,
leuchtet jedem ein, nur nich den dämlichen Feinden,
Wenn da übahaupt von Frieden die Rede sein
kann, könn' wa uns doch unter keinen Umständen
in 'ne Auseinandersetzung über Elsaß-Lothringen
einlassen !
Gog: Selbstvaständlich. Die zweideutje Haltung
der Gegner zeigt deutlich, daß sie keenen Frieden
wollen.
Magog: Die Leute sind eben in 'ner
Mentalität vastrickt und da könn' se nu mal
nich raus.
Gog: Na wenichstens weiß man jetzt, wo die
Kriegsvalängerer sind. Wo die Kriegsschuldjen sind,
weiß man ja längst.
I
677
Magog: Uns Deutschen bleibt niclits übrich
als durchzuhalten.
Gog: Wenn die Völkerbundsfritzen behaupten,
daß sie für 'ne moralische Idee kämpfen, bleibt
einem nichts übrich als der Appell an die Jewalt.
Der olle Humanitätsfatzke übern jroßen Teich soll
es vorerst mal probieren!
Magog: Ach, ik sage immer — Jeduld und
warme Füße. Die Jungens wern jroße Augen
machen, wenn wir Berliner schwuppdich in Bachdad
stehn. Mit'm D-Zuch!
Gog (zum Fenster hinausblickend): Na? sind wa
nich bald da? — Nu? jeht de Dampfpuste aus?
— Nee! — Wat sagen Se zu unsern Internierten —
stramme Kerls, wat?
Magog: Ach Se meinen well die Hindenburch-
Feier auf der Rütli-Wiese?
Gog: Na ja, und den Rütli-Schwur haben se
doch mit dem Fahneneide vajlichen !
Magog: Fein, da hätt ich mit bei sein mögen!
Ja wenn unsre Eidjenossen aufmarschieren, kommt
gleicn 'n andrer Zuch in den Betrieb! Wat sagen
Se zu unsern schneidjen Landsleuten in Luganooh,
die haben somit richtich die feindlichen Konsuln aus
dem Hotel rausjejrault, der Hotelier hat nachjeben
müssen,
Gog: Da jeschieht noch lange nich jenuch.
Wir müssen die Schweiz säubern! Auf der Zürcher
Straßenbahn hat einer neulich französisch jesprochen!
Da habe ich denn jleich Krach jemacht und dem
Mann auf den Kopf zujesagt, daß Neutralitätsbruch
vorliege. Hätten Se ooch bei sein mögen. Der Bengel
schwieg betroffen. Na und Eischen hat in Bern in
'ner Konditorei darauf bestanden, daß die Vakäuferin
stal* Creme Sahne sage. Die Sahne war zwar alle,
aber Eischen ließ doch nicht locker. Nich wah'
Eischen? Na, jib 'n Schmatz. (Er küßt sie.)
Eischen: Ja, Schnuckepiezelchen.
678
Magog: Das sind leider nur va einzelte Fälle.
Unsre Jesandtschaft müßte viel energischer zujreifen.
Wir tun entschieden zu wenich, um die neutralen
Sympathien zu jewinnen.
G o g : Unsre Propaganda versacht. Nu ja, da
und dort werden wohl Bomben deponiert — aber
mit der Aufklärung ists Essig.
Magog: Das dicke Ende kommt nach —
das wird sich mal bitter rächen. Nach dem Krieg
wer'n wa zwar als Sieger jefürchtet sein, nber man
müßte doch schon jetzt das Terräng sondieren und
um jeden Preis für Beliebtheit sorjen.
Gog: Ach, 's wird sich nich allzuviel ändern,
so und so. Daheim — ja; aber —
Magog: Na wat jlooben Se woll wird da
der Unterschied sein, vastehn Se, zwischen der
Zeit vor dem Kriege und der Zeit nach dem Kriege
— so im Alljemeinen ?
Gog; Sehr einfach, vor dem Kriege habn wa
von achte bis siebene jearbeetet, nach dem Kriege
wern wa von siebene bis achte arbeeten.
Magog: Jewiß doch. Britische Habgier —
Gog: französischer Revangschedurst und —
Magog: — russischer Haß —
Gog: — haben uns diesen Krieg aufjezwungen.
Magog: Alaum Se mal, aber das Ausland is 'n
nich zu unterschätzender Faktor! Wenn se auch besiegt
sind, wir müssen uns in Ansehn setzen und beliebt
machen! Darauf kommt es an, könn' Se ma jlooben.
Der Abbau des Hasses — das müßte 'ne richtichgehende
Propaganda besorjen. Und wenn se bis zum Weiß-
bluten kommen — die Kunden dürften nie vajessen,
daß wir das Volk Goethes sind!
M
679
(Aus dem Nebenconpe dringt der Gesang eines fianzösischen
1-iedes.)
Gog: Unvaschämtheit! In 'nein neutralen
Lande! Na die Jungen soll'n uns kennen lernen!
(Er singt »Deutschland, Deutschland über alles«. Magng stimmt
ein, die Gattin gleichfalls. Der Gesang nebenan verstummt.)
Magog: So — da wär'n wa! (Sie wälzen sich
aus dem Coupe.)
Gog (ausgestiegen): Na wat sagen Se zu der
Sonne und zu dem Himmel?
Magog: Tüchtjer Betrieb! Nu, und der Schnee
is ooch sein Geld wert!
Gog: Nee, und der Gletscha is ooch nich von
Pappe !
Magog: Na, und die Luft — !
Gog: Nee, da braucht man keene Jassmaske!
Mach — Jesundbrunn — ! Da hat doch Deutschland
mal seinen Platz an der Sonne! 's is jut! 's is jut!
(halb singend) Sie sollen ihn nicht ha — a — ben — !
Na Eischen? Biste froh, daß Männchen nich
vatalandvateidchen muß, wat?
Eischen: Ja, Siegfriedchen.
Nun, da die Gruppe sich bewegt, ist es für einen Augenblick,
als ob die Riesensilhouette eines schwarzen Flecks das in Weiß
und Blau strahlende Weltall verdeckte.
(Verwandlung.)
51. Szene
Baracke in Sibirien. Ergraute Männer, ganz unterernährt, barfüßig,
in zerfetzten Uniformen, kauern auf der Erde, starren aus hohlen
Augen ins Weite. Einige schlafen, einige schreiben.
Ein österreichischer Hauptmann (tritt ein
und ruft): Ihr Schweine!
Sie erheben sich und leisten die Ehrenbezeigung. Während ein
Teil Habtacht steht, exerzieren die andern mit Schaufeln und
machen Gewehrgriffe.
(Verwandlung.)
680
52. Szene
Nordbahnhof. Der Perron im fahlen Morgenlicht. Labedienst.
Funktionäre. Honoratioren. Ein Zug mit Austauschinvaliden ist
soeben eingetroffen. Auf Tragbahren werden Leiber, die sich in
Zuckungen winden, aus den Waggons geladen. Die Tragbahren
werden aufgestellt.
Eine Stimme: Aufpassen, daß sich die
Angehörigen nicht vordrängen.
(Vor der vordersten Reihe des Publikums postieren sich die
Mitglieder des Vereins >Lorbeer für unsere Helden« und
Funktionäre in Frack. Eine Regimentsmusik bezieht ihre Plätze.)
Eine zweite Stimme: Zwa Stund Verspätung
hat er g'habt, jetzt is er da, jetzt stehn mr
zwa Stund da und die Leut, die was da sein solin,
San net da.
Eine dritte Stimme: Gengan S' — acht Tag
von Schweden her, da wird's drauf ankommen.
(Es erscheinen zehn Herren in Gehröcken, die sich so aufstellen,
daß sie zwar selbst die Vorgänge beobachten können, aber diese den
Blicken der Außenstehenden fast ganz entziehen. Die Tragbahren
sind seit dem Moment ihres Auftretens nicht mehr sichtbar.
Während jeder der zehn ein Notizblatt hervorzieht, treten zwei
Funktionäre an die Gruppe heran und stellen sich gegenseitig
wie folgt vor.)
Zawadil: Spielvogel.
Spielvogel: Zawadil.
Beide (zugleich sprechend): Ein trüber Morgen.
Schon um 6 Uhr waren wir zur Stelle, um die
Anordnungen zu treffen.
Angelo Eisner v. Eisenhof (tritt hinzu und
spricht angelegentlich mit einem der zehn, die zu schreiben
beginnen. Er deutet auf verschiedene Gestalten, die alle die Hälse
recken und den Versuch machen, aus dem Spalier zu treten.
Er beruhigt durch Winken jeden einzelnen, indem er, gleichzeitig
auf die zehn Männer weisend, die Pantomime des Schreibens
macht, so als ob er ihm bedeuten wollte, daß bereits von ihm
Notiz genommen sei. Inzwischen ist es dem Hofrat Schwarz-
Gelber und dessen Gemahlin gelungen, in unmittelbaren Kontakt
mit den Schreibenden zu kommen und einem von diesen auf
die Schulter zu uppen.;
681
Hofrat Schwarz-Gelber und Hofrätin
Schwarz-Gelber: Wir haben es uns nicht nehmen
lassen wollen, persönlich zu erscheinen.
Sektionscher Wilhelm Exner: Ich stehe hier
als Vorkämpfer der Prothesen-Aktion.
Dobner v. Dobenau: Als Truchseß hätte ich
eigentlich das Recht, hineinzugehen, wodieSpitzen sind.
Riedl: In der Adriaausstellung habe ich mit
ihm verkehrt, als Obmann um damit auf dem ein-
mal betretenen Wege unerschrocken fortzufahren.
Stukart: Meine Anwesenheit versteht sich
von selbst.
Sieghart: Ich bin heute Gouverneur.
Präsident Landesberger von derAngio-
bank: Sie sagen von mir, ich sei ein Bankmagnat.
Eine Stimme: Da stell di her, da siehst sie
besser, die heimgekehrten Manen.
Eine andereStimme: Durch Sibirien solin s'
acht Wochen gebraucht haben. No jetztn, bei die
Verspätungen —
Eine Mutter: Geh nicht zu nah, man weiß
nicht, was sie für Krankheiten mitbringen. Schau
dort, wie der dort sich windet.
Die Tochter: Bittich Bauchschuß.
Dr. Charas: Mit mir an der Spitze ist auch
die Rettungsgesellschaft erschienen, hat aber noch
keinen Anlaß gefunden, in zahlreichen Fällen zu
intervenieren.
(Inzwischen ist eine Dame in tiefster Trauer eingetreten. Alles
weicht zurück.)
Hofrätin Schwarz-Gelber (wie vom Blitz
getroffen, gibt ihrem Gatten einen Stoß und spricht): Was
hab ich dir gesagt! Die is überall, wo sie nicht
hineingehört. Ob man einmal unter sich sein könnte!
Flora Dub: Wie ruhig sie daliegen!
Ein Redakteur (zu seinem Nachbar): Schreiben Sie,
die Augen der heimgekehrten Krieger leuchten.
682
Zwei Konsuln (stellen sich gleichzeitig vor):
Stiaßny. Wir sind herbeigeeilt.
Drei kaiserliche Räte (treten in einer Reihe auf):
Als Vertreter der Aktion »Lorbeer für unsere Helden«
sind wir erschienen, den heimgekehrten Vertretern
unserer glorreichen Armee den Zoll zu spenden.
Sukfüll: Vom Gremium entsendet, nehme
ich die Gelegenheit wahr, hocherhobenen Herzens
der Freude Ausdruck geben zu können, mit der
unsere tapferen Krieger, die auch in der Ferne
unseren Bestrebungen ihr Interesse unverändert
bewahrt haben, sich nunmehr von deren Erfolgen
tiberzeugt haben zu können. Wenngleich keineswegs
zu leugnen ist, daß das Hoteliergewerbe durch den
Krieg gelitten hat und wofern dem Fremdenverkehr
auch durch die Schwierigkeit der Beschaffung von
Lebensmitteln Hindernisse in den Weg gelegt
waren, so werden sich die glorreichen Kämpfer,
die für Habsburgs Ehre geblutet haben, keineswegs
verschließen können.
Birinski und Glücksmann: Als Vertreter
der Kunst hat uns die Kunst entsendet.
Hans Müller: Wohlan! Wer diese Bresthaften
betrachtet, die nun am Ziele der Heimfahrt das Spittel
empfängt, den wird es in sein Inneres hinein schauern,
als blickte er jäh durch einen Spalt in die letzte Glut
des Erlebens.
(Es erscheinen Leute, Männer und Frauen, die eine Anregung
gegeben haben, geführt vom kaiserlichen Rat Moriz Putzker.)
Putzker: Meiner Anregung zufolge haben zum
Zwecke der genauen Berechnung der Dauer ihrer
Gefangenschaft unsere sibirischen Kriegsgefangenen
die Stunden bis zu ihrer Ankunft gezählt.
(Der Prinz Eugen-Mai seh wird intoniert. Einige der Invaliden
werden ohnmächtig.)
Die Mutter: Geh nicht zu nah, ich hab
meine Gründe.
683
Die Tochter: Gott wie viel solche hab ich
schon gelabt!
(Es entsteht eineBcMtegung. Einer der Ohnmächtigen ist gestorben.)
Eine Stimme: Schaun Siesich den Blick an.
Wie er selig is, daß er am Ziel is.
Eine andere Stimme: Wo bleibt Heller?
Eine dritte Stimme: Er wird in den Annalen
fortleben. „ , ,. • u
Dobner v. Dobp-au: Als Truchseß hätte ich
eigentlich das Recht —
Der Buchhändler Hugo Heller (hat sich Bahn
gebrochen): Durch meine weitverzweigten kulturellen
Verbindungen wäre es mir offenbar ein Leichtes
gewesen, die Verbindung mit den dem Kulturkreis
Entrückten herzustellen, wenn nicht wie gesagt der
Tod dazwischen gekommen war.
Hans Müller: Wohlan!
(Wälirend Funktionäre an die Invaliden Kriegsabzeichen verteilen,
wird der Radetzkymarsch intoniert.)
Der Redakteur (zu seinem Nachbarn): Schreiben
Sie, wie sie lauschen!
(Verwandlung.)
53. Szene
Eine menschenleere Gasse. Es dunkelt. Plötzlich stürzen von allcH
Seiten Gestalten herbei, jede mit einem Stoß bedruckten Papiers,
atemlos, Korybanten und Mänaden, rasen die Gasse auf und ab,
toben scheinen einen Mord auszurufen. Die Schreie sind
unversländiich. Manche scheinen die Meldung förmlich hervor-
zustöhnen. Es klingt, als würde das Weh der Menschheit aus emem
tiefen Ziehbrunnen geschöpft.
— asgabee — ! strasgabää — ! xtrasgawee — !
Peidee Perichtee — ! Brichiee ~! strausgabee — !
Extraskawee — ! richtee — ! eestrabee — ! abee — !
bee — ! . , .
(Sie verscl'.windcn. Die Gasse ist leer.)s
(Verwandlung.)
684
54. Szene
Der Nörgler am Schreibtisch.
(Er liest.)
»Der Wunsch, die genaue Zeit festzustellen,
die ein im Walde stehender Baum braucht,
um sich in eine Zeitung zu verwandeln, hat
dem Besitzer einer Harzer Papierfabrik den Anlaß
zur Ausführung eines interessanten Experiments
gegeben. Um 7 Uhr 35 Minuten ließ er in dem der
Fabrik benachbarten Walde drei Bäume fällen, die
nach Abschälung der Rinde in die Holzstoffabrik
transportiert wurden. Die Umwandlung der drei
Holzstämme in flüssige Holzmasse ging so schnell
vor sich, daß bereits um 9,39 Uhr die erste Rolle
Druckpapier die Maschine verließ. Diese Rolle
wurde mittels Automobil unverzüglich nach der vier
Kilometer entfernten Druckerei einer Tageszeitung
geschafft, und bereits um 11 Uhr vormittags wurde
die Zeitung auf der Straße verkauft. Demnach hatte
es nur eines Zeitraumes von 3 Stunden 25 Minuten
bedurft, damit das Publikum die neuesten Nach-
richten auf dem Material lesen konnte, das von den
Bäumen stammte, auf deren Zweigen die Vögel
noch am Morgen ihre Lieder gesungen hatten.«
Von draußen, ganz von weitem her, der Ruf: — — bee!
Also ist es fünf. Die Antwort ist da. Das Echo
meines blutigen Wahnsinnes, und nichts mehr tönt
mir aus der zerschlagenen Schöpfung als dieser Laut,
aus dem zehn Millionen Sterbende mich anklagen,
daß ich noch lebe, der Augen hatte, die Welt so zu
sehen und dessen Blick sie so getroffen hat, daß sie
wurde wie ich sie sah. Wars gerecht vom Himmel, daß
es geschah, so wars doch ungerecht, mich nicht eher
zu vernichten! Habe ich diese Erfüllung meiner
Todesangst vor dem Leben verdient? Was wächst
mir da in meine Nächte? Warum ward ich
nur ausersehen, den Thersites zu rehabilitieren, und
685
nicht auch, den Achilles zu entehren? Warum
wurde mir nicht die Körperkraft, die Sünde dieses
Planeten mit einem Axthieb umzulegen? Warum
wurde mir nicht die Gedankenkraft, die geschändete
Menschheit zu einem Aufschrei zu zwingen? Warum
ist mein Gegenruf nicht stärker als dieses blecherne
Kommando, das Macht hatte über die Seelen
eines Erdenrunds? Ich bewahre Dokumente für eine
Zeit, die sie nicht mehr fassen wird oder so weit
vom Heute lebt, daß sie sagen wird, ich sei
ein Fälscher gewesen. Doch nein, die Zeit wird
nicht kommen, das zu sagen. Denn sie wird
nicht sein. Ich habe eine Tragödie geschrieben,
deren untergehender Held die Menschheit ist;
deren tragischer Konflikt als der der Welt mit
der Natur tödlich endet. Ach, weil dieses Drama
keinen anderen Helden hat nls die Menschheit, so
hat es auch keinen Hörer! Woran aber geht mein
tragischer Held zugrunde? War die Ordnung der
Welt stärker als seine Persönlichkeit? Nein, die
Ordnung der Natur war stärker als die Ordnung
der Welt. Er zerbricht an der Lüge: die Wesen-
losigkeit, an die er den alten Inhalt seines
Menschentums verloren hat, in den alten Lebens-
formen zu bewähren. Händler und Held zu sein
und dieses sein zu müssen, um jenes zu bleiben.
Er vergeht an einem Zustand, der als Rausch und
Zwang zugleich auf ihn gewirkt hat. Gibt es
Schuldige? Nein, sonst gäbe es Rächer, sonst hätte
der Held Menschheit sich gegen den Fluch gewehrt,
der Knecht seiner Mittel zu sein und der Märtyrer
seiner Notwendigkeit. Und zehrt das Lebensmittel
vom Lebenszweck, so verlangt es den Dienst am Todes-
mittel, um noch die Überlebenden zu vergiften. Gäbe
es Schuldige, die Menschheit hätte sich gegen den
Zwang gewehrt, Held zu sein zu solchem Zwecke !
Den einzelnen, die es befahlen, hätte die Einheit
geantwortet. Jene aber sind nicht Tyrannen. Ihr
686
Geist ist aus dem Geist der Masse geschnitten.
Wir alle sind einzeln. Wir haben jeder unsern
Schmerz und der andere entbrennt nicht daran.
Und wir entbrennen nicht an dem Kontrast, den
unser Opfer zum Gewinn des andern täglich stellt,
zum grausamen Gewinn des andern. Tyrannen wichen
dem Schrecken. Wir aber hätten uns unsere Tyrannen
immer wieder aus uns selbst ersetzt. Denn uns alle
treibt ein hohles Wort, doch nicht des Herrschers,
sondern der Maschine. Was frommte der Revolver gegen
die Maschine? Der Revolver gibt kein Beispiel gegen
sie, wie die Armbrust gegen den Tyrannen. Wir
haben das Ding erfunden und was uns im Rücken
bedroht, ist nicht das Maschinengewehr, sondern das
öde Wunder, daß es dieses gibt. Nicht seine Drohung,
sein Dasein lähmt den Entschluß. V/ie könnte da das
Gegenkommando erstehen, das uns unsere Waffen
zerbrechen hieße! Kann ich im Sprechsaal Europas
sprechen? So müßt ihr weiter sterben für etwas,
was ihr die Ehre nennt oder die Bukowina, und wovon
ihr nicht wißt, was es ist, was aber wieder nur die
Waffe selbst ist. Wofür seid ihr gestorben? Hättet
ihr alle zusammen Geist genug, um die Kontraste
zu spüren, ihr hättet den Leib gewahrt. Was Todes-
verachtung! Warum solltet ihr verachten, was ihr nicht
kennt? Wohl verachtet man das Leben, das man nicht
kennt. Ihr lernt es erst kennen, wenn der Zufall des
Schrapnells euch nicht ganz getötet hat oder wenn
die kommandierte Bestie, Schaum vor dem Mund,
ehedem ein Mensch wie ihr, euch anfällt und ihr die
Minute Bewußtsein habt, nun an der Schwelle zu stehn.
Und da wagt die kommandierende Bestie euch nach-
zusagen, ihr hättet den Tod verachtet? Und ihr habt
jene Minute nicht genützt, eurem Vorgesetzten zu-
ruschreien, daß er nicht der Vorgesetzte Gottes sei,
der ihm schaffen könne. Geschaffenes ungeschaffen
zu machen? Nein, ihr habt euch von ihm, mit Gott,
über die Schwelle jagen lassen, wo das Geheimnis
I
687
beginnt, dessen Verrat kein irdischer Staat erlangen
könnte! Nacii dem jeder seine Helden und keiner
seine Spione sendet! Hättet ihr doch in dem Augen-
blick des Opfers um den Gewinn gewußt, der trotz,
nein, mit dem Opfer wächst, sich an ihm mästend!
Denn nie, bis zu dem unentschiedenen Krieg der
Maschinen, hat es so gottlosen Kriegsgewinn gegeben
und ihr, siegend oder besiegt, verlöret den Krieg, der
ein Gewinn eurer Mörder ist. Eurer feigen, technisch
avancierten Mörder, die nur in der Entfernung vom
Schauplatz ihrer Tat töten und leben können. Wie,
du treuer Begleiter meines Worts, mit reinem Glauben
zum H'mmel der Kunst emporgewandt, mit stiller
Wissenschaft das Ohr an ihr Herz legend, du mußtest
hinüber? Ich sah dich an dem.Tag, da du auszogst. Regen
und der Schmutz dieses Vaterlands und seine ruchlose
Musik waren der Abschied, als man euch in den
Viehwagen pferchte! Ich sehe dein blasses Gesicht
in dieser Orgie von Kot und Lüge, in diesem furcht-
baren Lebewohl eines Frachtenbahnhois, von wo
das Menschenmaterial versandt wird durch jenes
Machtwort, das die Leiber entfesselt und die Geister
gebunden hat und das verurteilte Leben in eine
Kinderstube verwandelt, in der Viehknechte spielen I
Du sähest nicht aus wie solche. Wie konntest du
nicht schon daran sterben, daß du diesen Start erleben
mußtest, vor dem wahrlich Wallensteins Lager als die
Halle eines Palasthotels erschien! Denn schmutzig
wird der Maschinenmensch, ehe er blutig wird.
So fing deine Italienreise an, du Kunstforscher.
Und du, edles Dichterherz, das zwischen den Stimmen
der Mörser und Mörder dem Geheimnis eines Vokals
oblag — vier Jahre deines Frühlings hast du unter der
Erde verbracht, die künftige Wohnstatt zu erproben?
Was hattest du dort zu suchen? Läuse fürsVaterland? Zu
warten, bis der Granatsplitter kam.? Zu beweisen, daß
dein Leib gegen die Leistungsfähigkeit der Schneider-
Creuzot-Werke widerstandsfähiger sei, als der eines
688
Turiners gegen den Skoda? Wie, wir sind die Comniis
voyageurs von Waffenfabriken, die nicht mit ihrem
Mund die Tüchtigkeit ihrer Firma, sondern mit
ihrem Körper die Minderwertigkeit der Konkurrenz
bezeugen sollen? Wo viel Reisende waren, wird es
viel Hinkende geben! Mögen sie sich die Absatz-
gebiete in Schlachtfelder verwandeln. Aber daß sie
auch Macht hatten, die höher Gearteten in den Dienst
der Schufterei zu zwingen — nie hätte der
Teufel gewagt, eine solche Befestigung seiner Herr-
schaft für denkbar zu halten. Und wenn man ihm
nun zugeraunt hätte, im ersten Jahre des Kriegs,
in den er die Völker mit der Fibel in der Hand gejagt
hat, damit sie sein Geschäft mit mehr Seele betreiben,
im ersten Jahr schon werde eine Petroleumraffinerie
137 Prozent Reingewinn vom gesamten Aktienkapital
erzielen und der David Fanto 73 Prozent, die Kredit-
anstalt 19'9 Millionen Reingewinn und die Wucherer
an Fleisch und Zucker und Spiritus und Obst und
i\artoffeln und Butter und Leder und Gumrni und
Kohle und Eisen und Wolle und Seife und Öl und
Tinte und Waffen würden hundertfach entschädigt
sein für die Entwertung fremden Bluts — der
Teufel hätte einem Verzichtfrieden das Wort
geredet! Und dafür läget ihr vier Jahre in Dreck
und Nässe, dafür war der Gruß erschwert, der
euch erreichen, das Buch aufgehalten, das euch
trösten wollte. Sie wünschten, daß ihr am Leben
bliebet, denn sie hatten auf ihren Börsen noch
nicht genug gestohlen, in ihren Pressen noch
nicht genug gelogen, in ihren Ämtern noch nicht
genug drangsaliert, die Menschheit noch nicht genug
durcheinandergepeitscht, in allen ihren Gelegenheiten
und Tätigkeiten sich noch nicht genug für ihr
Unvermögen und ihre böse Lust auf den Krieg
berufen, damit ihr Verbrechen sie entschuldige —
sie hatten diesen ganzen tragischen Karneval, in
dem Männer vor den Augen des weiblichen
689
Kriegsberichterstatters starben und Metzger Piiilo-
sophen honoris causa wurden, noch nicht bis zu Kehraus
und Fasten durchgetanztl Wie, ihr habt wochenlang
unter Minen Wurf engelegen; wart von Lawinen bedroht;
hinget 3000 Meter hoch an einem Seil zwischen dem
Trommelfeuer des Feindes und dem Maschinen-
gewehrfeuer der »Eigenen<^ — ein Wort, des Landes-
verrats wert — ; wäret hundertfach verlängerter
Delinquentenqual, und oft genug ohne Henkermahl,
ausgesetzt; mußtet die ganze Varietät des Todes
im Zusammenprall von Organismus und Maschine
durchleben, durch Sprengminen, Drahtverhaue,
spanische Reiter, Dumdumgeschosse, Bomben,
Flammen und Gase und alle Höllen des Sperrfeuers —
weil Wahn und Wucher ihr feiges Mütchen an euch
noch nicht gekühlt hatten? Und ihr solltet in solcher
Preisgegebenheit »wehrfähig« bleiben, weil der
Menschheit für die ihr geraubte Phantasie noch nicht
genug Syphilis eingeimpft war? Und ihr draußen und
wir drinnen, wir sollen noch länger in das Grab starren,
das wir uns auf höheren Befehl schaufeln mußten —
wie den serbischen Greisen geboten war, und auskeinera
andern Grunde geboten, als weil sie Serben waren und
noch am Leben, also verdächtig! Oh daß man doch,
wenn man mit heiler Haut, obschon verhärmt,
verarmt, gealtert, aus diesem Abenteuer entkam, durch
den Zauber einer allerhöchsten Vergeltung die Kraft
empfinge, sie, die stets überlebenden Rädelsführer
des Weltverbrechens, einzelweis zur Verantwortung
zu ziehen, in ihre Kirchen zu sperren und dort,
ganz wie sie es den serbischen Greisen getan haben,
jeden zehnten sein Todeslos ziehen zu lassen! Dann
aber nicht zu töten — nein, zu ohrfeigen! Und
also anzureden: V/as, ihr wußtet nicht, ihr Buben,
ahntet nicht, daß die Folgen einer Kriegserklärung
unter Millionen Möglichkeiten des Schauders und
der Schmach auch die wären, daß die Kinder keine
Milch, die Pferde keinen Hafer haben und daß man
Die letzten Tage der Menschheil. 44
690
noch fern vom Schuß an Metliylalkohol erblinden kann,
wenn es denn im Kriegsplan des Wuchers beschlossen
wäre? Wie, ihr ermaßet nicht das Unglück einer
Stunde vieljährigen Gefangenenleids? Eines Seufzers
der Sehnsucht und der beschmutzten, zerrissenen,
hingemordeten Liebe? Wart nicht einmal fähig
der Vorstellung, welche Höllen aufgetan sind einer
Qualenminute mütterlichen Hinaushorchens durch
Nächte und Tage, dieses jahrelangen Wartens auf den
Heldentod? Und spürtet nicht, wie die Tragödie
eine Posse wurde, durch die Gleichzeitigkeit neuen
Unwesens und alten Formenwahns eine Operette, eine
jener ekelhaften neuzeitlichen Operetten, deren
Text eine Insulte ist und deren Musik eine Tortur?
Und ihr spürtet nicht, daß der geringste
eurer Befehle, ja nur die letzte Folge eures
geringsten Befehls, und wäre es bloß die Stupidität,
die die Flucht aus eurem Bezirk erschwerte, die
eure Kriegsüberwachungsämter, Paßämter, Paßan-
weisungsämter, Paßklauselämter, Grenzübertritts-
bewilligungsämter, Platzkommanden und Grenz-
schutzkommanden gegen einander losgelassen hat,
damit sie einander verwirrten — spürtet nicht,
daß die geringste Maßnahme eurer Besessenheit
der Menschenwürde ein unauslöschliches Schandmal
aufprägen würde? Und ihr hattet übersebn, daß, wenn
ihr sämtliche Menschen in die Uniform stecktet,
sie nun alle unaufhörlich einander salutieren müßten?
Und merktet nicht, daß diese Gebärde eines Tags,
plötzlich, nur mehr der Griff au die Stirn war,
der den Zweifel an dem wechselseitigen Verstand
betraf? Und daß das Kopfschütteln zuckender Invalider
euch, nur euch galt? Und ließet nicht ab von dem
Zeitvertreib eurer zum Niederbruch verurteilten und
dennoch die Welt fortschröpfenden Glorie? Wie, und
ihr dort, ihr Gemordeten, standet nicht auf gegen
diese Ordnung? Gegen dieses System von Mord und
einer Ökonomie, die das Leben für alle Zukunft
691
zum Durchfialten verurteilen mußte, alle Aussicht
verliängt und das kleinste Glücksbedürfnis dem Haß
der Nationen preisgegeben hat? Sinnlos im Krieg
gewütet und grundlos gewütet gegen jeden, weil
Krieg war! Armut, Hunger und Schmach gehäuft
über Flüchtigen und Seßhaften und alle Menschheit
innen und außen konfiniert. Und Staatsmänner, in ab-
schüssiger Zeit einzig berufen, den bestialischen Drang
der Menschheit zu hemmen, sie haben ihn entfesselt!
Im Frieden zu Tiermord und Kindermord bereit, griff
feiger Lebenshaß zur Maschine, um alles Wachstum zu
verheeren. Hysterie im Schutze der Technik überwältigt
die Natur, Papier befehligt die Wafie. Invalide waren
wir durch die Rotationsmaschinen, ehe es Opfer
durch Kanonen gab. Waren nicht alle Reiche der
Phantasie evakuiert, als jenes Manifest der bewohnten
Erde den Krieg erklärte? Am Ende war das Wort.
Jenem, welches den Geist getötet, blieb nichts übrig,
als die Tat zu gebären. Schwächlinge wurden stark,
uns unter das Rad des Fortschritts zu bringen. Und
das hat sie vermocht, sie allein, die mit ihrer Hurerei
die Welt verdarb! Nicht daß die Presse die Maschinen
des Todes in Bewegung setzte — aber daß sie unser
Herz ausgehöhlt hat, uns nicht mehr vorstellen zu
können, wie das wäre: das ist ihre Kriegsschuld!
Und von dem Wollustwein ihrer Unzucht haben alle
Völker getrunken, und die Könige der Erde buhlten
mit ihr. Und er sprach ihr zu, der apokalyptische
Reiter, den ich einstens, lange eh ers tat, durch
das deutsche Reich rasen sah. Ein Jahrzehnt ist
um, seit ich sein Werk erfüllt wußte. »Er ist
Volldampf voraus in allen Gassen. Sein Schnurrbart
reicht von Aufgang bis Niedergang und von Süden
gen Norden. ,Und dem Reiter ward Macht gegeben,
den Frieden von der Erde zu nehmen, und daß sie
sich einander erwürgten.'« Und ich sah ihn als das
Tier mit den zehn Hörnern und den sieben Köpfen
und einem Maul gleich dem Rachen eines Löwen.
44*
692
»Man betete das Tier an und sprach: Wer ist dem
Tiere gleich? Und wer vermag mit ihm zu streiten?
Ein Maul ward ihm gegeben, große Dinge zu reden.«
Und wir fielen durch ihn und durch die Hure von
Babylon, die in allen Zungen der Welt uns über-
redete, wir wären einander feind und es solle Krieg
sein ! Und ihrGeopferten standet nicht auf gegen diesen
Plan? Wehrtet euch nicht gegen den Zwang, zu sterben,
und gegen die letzte Freiheit: Mordbrenner zu sein?
Gegen die Teufelei, die die Aufopferung für den
Wollmarkt gar unter den Fahnen des sittlichen Pathos
vollziehen hieß! Die sich an Gott vergreift, um seine
Zeugenschaft für den blutigen Wechsel zu erlangen!
Alle Hoheitsrechte und Lebenswerte an die Idee der
Materie verschachert. Das Kind im Mutterleib dem
Imperativ des Hasses verpflichtet und das Bild dieser
kämpfenden Mannheit, ja selbst dieser pflegenden
Frauenschaft, gepanzerte Leiber mit Gasmasken,
als das einer Horde von Fabeltieren dem Grausen
der Nachwelt überliefert hat. Mit Kirchenglocken
auf Gläubige geschossen und vor Altären aus
Schrapnells nicht bereut! Und in all dem Glorie
und Vaterland? Ja, ihr habt das Vaterland erlebt,
ehe ihr dafür starbet! Das Vaterland von dem
Augenblick an, wo ihr in der Schweiß- und Bierluft
des Vorsaals zum Heldentod entkleidet warten mußtet,
als sie Menschenfleisch musterten und Menschen-
seelen zum gottlosesten Schwüre zwangen. Nackt
wäret ihr, wie nur vor Gott und der Geliebten, vor
einer Kommission von Schindern und Schweinen!
Scham, Scham für Leib und Seele hätte euch dem
Vaterland weigern sollen! Wir alle haben dieses
Vaterland gesehn und die Glücklichern unter uns,
die ihm entfliehen konnten, sahen es noch in der
Gestalt des frechen Grenzwächters. Wir sahen es
in allen Formen der Machtgier des losgelassenen
Sklaven und der Umgänglichkeit des trinkgeldgierigen
Erpressers. Nur daß wir andern es nicht in der
693
Gestalt des Feindes, des wahren Feindes, erleben
mußten, der mit dem Maschinengewehr euch vor das
Maschinengewehr trieb. Aber wenn wir es nur in den
Konterfeis dieser scheußlichen Generale gesehen
hätten, die sich die große Zeit hindurch, statt der
Luxusdamen, in Theaterrevolverblättern inserierten,
zum Zeichen, daß nicht immer nur gehurt, sondern
auch gemordet werde in der Welt — wahrlich, wir
ersehnten diesem Blutbordell seine Sperrstunde! Wie,
ihr dort, ihr Gemordeten, ihr Geprellten, standet nicht
auf gegen den Betrieb? Ertrüget die Freiheit und das
Wohlleben der Preßstrategen, Parasiten und Possen-
reißer, wie euer Unglück und euern Zwang? Und wußtet,
daß sie für eure Martern Ehrenzeichen bekamen?
Spieet ihnen nicht die Glorie ins Gesicht? Läget in
Verwundetenzügen,diedasGesindel abschildern durfte?
Brächet nicht aus, desertiertet nicht in den heiligen
Krieg, uns hinten von dem Todfeind zu befreien,
der uns täglich mit Lügenbomben das Gehirn
belegte? Und starbet für dies Geschäft? Lebtet das
Grauen durch, um unser Grauen zu verlängern, die
wir hier zwischen Wucher und Not hindurchkeuchten
und zwischen den marternden Gegensätzen gemästeter
Frechheit und lautloser Schwindsucht. Oh, ihr hattet
weniger Gefühl für uns als wir für euch, die wir jede
Stunde dieser Jahre, welche sie euch aus dem Leben
rissen, von ihnen hundertfach zurückfordern wollten
und die an euch immer nur die Frage hatten: Wie
werdet ihr aussehen, wenn ihr das überlebtet! Wenn
ihr dem letzten Ziel der Glorie entronnen seid, daß
die Hyänen zu Fremdenführern werden, um euere
Gräber als Sehenswürdigkeit auszubieten! Erkrankt,
verarmt, verludert, verlaust, verhungert, verendet,
gefallen zur Hebung des Fremdenverkehrs — dies
unser aller LosI Sie haben eure Haut zu Markte
getragen — doch auch aus der unsern schnitt sich ihr
Lebenssinn seine Geldtasche. Ihr aber hattet Waffen —
und zogt nicht in dieses Hinterland? Und kehrtet
694
nicht um, von jenem Feld der Schande in den
ehrlichsten Krieg, uns und euch zu erretten? Und
steht nicht als Tote aus euein Erdlöchern auf, das
Gezücht zur Verantwortung zu ziehen, ihnen im
Schlaf zu erscheinen mit dem verzerrten Antlitz, das
ihr in der Stunde des Ablebens trugt, mit den glanz-
losen Augen eurer heldischen Wartezeit, mit der
unvergeßlichen Maske, zu der eure Jugend von dieser
Regie des Wahnsinns verdammt ward! So stehet
doch auf und tretet ihnen als Heldentod entgegen —
damit die gebietende Feigheit des Lebens endlich
seine Züge kennen lerne, ihm ins Auge schaue ein
Leben lang! Weckt ihren Schlaf durch euern Todes-
schrei I Stört ihre Wollust durch die Erscheinung
eurer Leiden! Sie konnten Weiber umarmen in der
Nacht nach dem Tage, an dem sie euch erwürgt hatten!
Rettet uns vor ihnen, vor einem Frieden, der uns
die Pest ihrer Nähe bringt! Rettet uns vor dem Unglück,
heimgekehrten Auditoren die Hand zu reichen und
Henkern im Zivilberuf zu begegnen. Denn das Gewissen
dieser niedrigen Grausamkeit, der die Hemmung
der Phantasie nicht durch Leidenschaft, nur durch
Mechanik genommen war, wird sich so rasch zum
Tagwerk erholen, wie es sich aus der Banalität der
Vergangenheit ins Morden geschickt halte. Zu Hilfe,
ihr Ermordeten! Steht mir bei, daß ich nicht zwischen
Menschen leben muß, die aus Ehrsucht oder Selbst-
erhahungstrieb Befehl gaben, daß Herzen zu schlagen
aufhören und Mütter weiße Haare bekommen! So
wahr ein Gott lebt — dies Schicksal wird nur durch
ein Wunder heil! Kehret zurück! Fragt sie, was sie
mit euch getan haben! Was sie getan haben, als ihr
durch sie littet, bevor ihr durch sie starbt! Was sie
in euren galizischen Wintern getan haben! Was
sie in jener Nacht getan haben, da telepbonierende
Kommanden keine Antwort von eurem Platz bekamen.
Denn vorn war alles ruhig. Und nur später sahen sie,
wie ihr brav dastandet, Mann neben Mann, das Gewehr
695
im Anschlag. Denn ihr gehörtet nicht zu jenen, die
übergingen, nichl zu jenen, die zurückgingen und
denen, weil sie fror, ein Soldaten vater mit
Maschinengewehrfeuer einheizen mußte. Ihr habt
eure Stellungen gehalten und fielet nicht bei einem
Schritt nach hinten in die Mördergrube eures Vater-
lands. Vor euch der Feind, hinter euch das Vaterland
und über euch die ewigen Sterne! Und ihr habt
nicht Reißaus genommen in den Selbstmord. Ihr
starbt nicht fürs, ihr starbt nicht durchs Vaterland;
nicht durch die Munition des Feinds, nicht durch
die eigene — ihr standet und starbt durch die Natur.
Welch ein Bild des Ausharrens! Welch eine Kapuziner-
gruft! Wehrhafte Leichname, Protagonisten Habs-
burgischen Todlebens, schließt eure Reihen und
erscheint ihnen imSchlaf! Erwacht aus dieserErstarrung!
Tretet vor! Tritt hervor, du lieber Bekenner des
Geistes und verlange deinen teuren Kopf von ihnen!
Du — wo bist du, der im Spitale starb? Sie schickten
mir von dort meinen letzten Gruß mit dem Bescheid
zurück: »Abgeschoben. Aufenthalt unbekannt«. Tritt
vor, ihnen zu sagen, wo du bist und wie es dor! ist, und
daß du dich nie mehr dazu gebrauchen lassen wolltest!
Und du dort, mit dem Gesicht, zu dem du in deiner
letzten Minute verurteilt warst, als die kommandierte
Bestie, Schaum vor dem Mund, ehedem vielleicht
ein Mensch wie du, in deinen Graben stürzte — tritt
hervor! Nicht daß du sterben — nein, daß du das
erleben mußtest, macht künftig allen Schlaf und
allen Tod im Bett zur Sünde. Nicht euern Tod —
euer Erlebnis will ich rächen an jenen, die es
euch autgebunden haben! Ich habe sie zu Schatten
geformt, die sie sind und die sie in Schein umlügen
wollten! Ich habe ihnen das Fleisch abgezogen! Aber
den Gedanken ihrer Dummheit, den Gefühlen ihrer
Bosheit, dem furchtbaren Rhythmus ihrer Nichtigkeit
gab ich die Körper und lasse sie sich bewegen.
Hätte man die Stimme dieses Zeitalters in einem
696
Phonographen aufbewahrt, so hätte die äußere
Wahrheit die innere Lügen gestraft und das Ohr
diese und jene nicht wiedererkannt. So macht die
Zeit das Wesen unkenntlich, und würde dem größten
Verbrecheil, das je unter der Sonne, unter den Sternen
begangen war, Amnestie gewähren. Ich habe das Wesen
gerettet und mein Ohr hat den Schall der Taten,
mein Auge die Gebärde der Reden entdeckt und
meine Stimme hat, wo sie nur wiederholte, so zitiert,
daß der Grundton festgehalten blieb für alle Zeiten.
Und laßt der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen.
Wie alles dies geschah; so sollt ihr hören
Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich,
Zufälligen Gerichten, blindem Mord;
Von Toden, durch Gewalt und List bewirkt,
Und Planen, die verfehlt, zurückgefallen
Auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich
Mit Wahrheit melden.
Und hörten die Zeiten nicht mehr, so hörte doch
ein Wesen über ihnen! Ich habe nichts getan, als
diese tödliche Quantität verkürzt, die sich in ihrer
Unermeßlichkeit auf den Unbestand von Zeit und
Zeitung beriefe. All ihr Blut war doch nur Tinte —
nun wird mit Blut geschrieben sein! Dieses ist der
Weltkrieg. Dies ist mein Manifest. Ich habe alles
reiflich erwogen. Ich habe die Tragödie, die in die
Szenen der zerfallenden Menschheit zerfällt, auf mich
genommen, damit sie der Geist höre, der sich der
Opfer erbarmt, und hätte er selbst für alle Zukunft
der Verbindung mit einem Menschenohr entsagt.
Er empfange den Grundton dieser Zeit, das Echo
meines blutigen Wahnsinns, durch den ich mit-
schuldig bin an diesen Geräuschen. Er lasse es als
Erlösung gelten!
(Von draußen, ganz von weitem her, der Ruf: bee!)
(Verwandlung.)
697
55. Szene
Liebesmahl bei einem Korpskommando. Die dem Zuschauer
zugekehrte Wand des Saales ist von dem Koiossalgemälde
»Die große Zeit« ausgefüllt. Es wird ein Sautanz serviert. Die Musik
spielt >Der alte Noah hats doch gewußt, die schönste Boa wärmt
nicht die Brust«. Das Gelage neigt sich dem Ende zu. Offiziere der
verbündeten Armeen stoßen miteinander an. Ansder Ferne Geschütz-
donner. Ein Husarenoberleutnant wirft ein Sektglas an die Wand.
Der preußische Oberst (neben dem General,
summend und nickend): Der olle Noah, ja der hats
jewußt — Na Prösterchen!
Der General (erhebt sich unter Hoch-Rufen, schlägt
an das Glas): Meine Herrn — also — nachdem unser
Offizierskorps ein vierjähriges beispielloses Ringen —
also gegen die Übermacht einer Welt — überstanden
hat — also setze ich das Vertrauen auf meinen
Stab — indem ich überzeugt bin — wir werden auch
fernerhin — unerschrocken — tunlichst — die Spitze zu
bieten. Kampfgestählt gehen unsere heldenmütigen
Soldaten — diese Braven — gehen sie neuen Siegen
entgegen — wir wanken nicht — wir werden den bis ins
Mark getroffenen Feind — zu treffen wissen, wo
immer es sei — und der heutige Tag — der heutige Tag,
meine Herrn — wird einen Markstein bilden — in der
Geschichte unserer glorreichen Wehrmacht immerdar!
(Hoch-Rufe.) — Drauf und dran! Von Ihnen aber, denen
die schwerste Aufgabe in diesem beispiellosen Kampfe
obliegt — wie von unserer in Not und Tod getreuen
Mannschaft, der die unermüdlichste Pflicht aufge-
zwungen ist — also ich erwarte von euch allen — daß
ihr bis auf den letzten Hauch von Mann und Roß
mit Hintansetzung eure Pflicht erfüllen werdets! Es
gilt einen letzten, aber heißen Strauß und wir wissen,
daß es — um nichts Geringes geht. Fürwahr! Stehen
wir doch alle hier, jedermann — und ein jeglicher
stellt seinen Mann — auf seinen Posten, um auszu-
harren — daselbst — wohin den Soldaten unsere
Pflicht hingestellt hat — und der Allerhöchste Dienst
698
uns hingesetzt hat (Hoch-Rufe) — wie es dem Gagisten
geziemt ! In dieser Stunde gedenken wir der Lieben
in der Heimat — die fern sind und unserer in
Treuen gedenken. Und speziell die Mütter, die
vorangegangen sind — indem sie also naturgemäß
mit Freuden ihre Söhne geopfert haben auf dem
Altare des Vaterlands ! Und wahrlich — es ist nicht
leicht, in diesem Augenblicke alle Gedanken zusammen-
zufassen — weil sie immer auf das eine Ziel
gerichtet sein müssen. Es gilt — ich spreche das
Wort im vollen Bewußtsein meiner Tragweite aus —
es gilt, zu siegen! Siegen, meine Herrn — wissen Sie,
was das heißt? Das ist die Wahl, die dem Soldaten
bleibt — sonst muß er ruhmbedeckt sterben! Zu diesem
Behufe — will ich mich der Erwartung verschließen
— daß Sie meine Herrn — im Hinblicke und mit
Rücksicht darauf die Pflege eines innigeren, herz-
licheren Kontaktes mit derselben — also mit der
Mannschaft — für die tunlichste Herabminderung
der persönlichen Gefahr — also — sich aufgeopfert
haben. (Hoch-Rufe.) Denn meine Herrn — wir alle
wissen — das Letzte, wrs der Offizier, vornehmlich
der Stabsoffizier, besitzt — ist (Rufe: Seine Ehre!) — Sie
haben es erraten meine Herrn — seine Ehre ! Und
die werden wir sich nicht — also ich weiß schon — es
gibt solche subv^ersive Elemente — die bis ganz vorn
in die vorderste Lini hineinreichen — aber — meine
Herrn — uns können sie nicht das Wasser reichen!
Oho! Unser Menschenmaterial haltet noch was aus!
(Bravo-Ruie.) — Und wir, die wir Blut von ihrem Blute,
Geist von ihrem Geiste sind — nein und tausendmal
nein! — der Offizier fühlt mit dem gemeinen Mann,
mit dem einfachen Mann, der am heutigen Tage das
Bollwerk ist, an dem sich der Feind blutige Köpfe holen
wird — wenn sie auf Granit beißen ! Und da können s*
sagen, was sie wollen, diese Schkribler — man
derf nicht generalisieren ! (Er schlägt auf den Tisch) —
derf man denn das? (Rufe: Nein!) Diese Schkribler —
699
ich meine natürlic!i nicht die beiden Herren Kriegs-
berichterstauer, die uns heuie hier die Ehre erwiesen
haben — wir wissen nur zu gut, was die Wehrmacht
einer wohluniformierien Kriegsberichterstattung zu
verdanken hat — die Presse — die in Erfüllung ihrer
hochpadriotischen Pflicht den Mut des Hinteriands
behebt — belebt — kann bei uns immer auf Anklang
rechnen! ;Bravo-Rufe.) Ich meine nicht diese Herrn
und ich hoffe, daß die Herrn das also nicht auf
die Herrn bezogen haben — indem wir ihre gemein-
nützige Tätigkeit tunlichst vollaui würdigen (Bravo-
Rufe. Die Kriegsberichtersiatter verneigen sich.) Ich meine —
diese Anarchisten und Def aitisten — die ihre Zwietracht
hineintragen und durch Ausstreuung von Gerüchten
zur Verbreitung derselben beitragen! Das sind die
Elemente! Das sind die Leute, die zuerst v.'ühlen und
nacher dann noch Umtriebe machen. Und ich frage
Sie meine Herrn — haben wir das notwendig?
(Rufe: Nein!) In meinem Korps — wo alle Nationen
friedlich miteinander vertreten sind — wir haben in
unserem Stab deutsche Herrn und w'r haben
böhmische Herrn, wir haben Polen und Kroaiten
haben wir und rumänische Herrn haben wir und
solche mosaischer Konfession sind auch da. Und haben
wir nicht auch Vertreter unserer prächtigen Honved?
(Eljen-Rufe) — Also da hat sich noch niemand beschwert !
Da heißts immer — Nationalioäten hin und her. Ich
frage Sie meine Herrn — merkt man da etwas? Also
— darum sage ich — es wird nicht so heiß gegessen,
wie es gekocht wird. Wenigstens bei uns! Da zeigen
Sie den Herrn Bundesgenossen, die wir mit Stolz
heute an dieser Tafel hier herin erblicken dürfen —
(Hoch-Rufe) — wie bei uns volle Einigkeit herrscht!
Jeder füllt seinen Platz aus — mit Hintansetzung —
denn wir wissen alle, daß und wofür wir durchhalten
müssen, alle Nationalidäten ohne Ausnahme, wie wir
da sind, in diesem uns aufgezwungenen Verteidi-
gungskriege der germanischen gegen die slawische
700
Rasse ! (Hurra- und Hoch-Rufe.) Unsere Waffen in diesem
beispiellosen Kampfe heißen Zuversicht und Disziplin!
(Bravo-Rufe.) Oh, ich halte etwas auf Disziplin — aber
eisern muß sie sein ! Und wir alle — können wahrlich ein
Lied davon singen. Beider letzten Inspizierung habe ich
diesbezüglich also Übelstände bemerken müssen und
ich habe auch leider bemängeln müssen, daßmirdraußen
zu wenig Herrn gefallen sind. Ich will niemandem nahe-
treten, aber es gilt doch, mit gutem Beispiel voran-
zugehen. Statt den eigenen werten Kadaver in Sicherheit
bringen! (Bravo bravo!) Mein hohes Vorbild, Seine Exlenz
Pflanzer-Baltin (Hoch-Rufe) hat das Wort geprägt: »Ich
werde schon meinen Leuten das Sterben lehren!«
Dadrauf halte ich! Und was wolln denn die Lent
eigentlich? Wolln s' denn ewig leben? Zu solchen
Passionen meine Herrn ist jetzt nicht die Verfassung —
wo das Vaterland in Gefahr ist, das aber so Gott will —
hervorgehn wird — wie ein Phönix aus dem Stahlbad
des Weltkriegs! Was uns nottut — ist Selbstsucht! Ver-
wöhnung kann ich nicht hingehn lassen. Wie sie
das Glück gehabt haben, damals wie Seine kaiserliche
Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Friedrich —
(mit Rührung) der Soidatenvater (Hoch-Rufe) — bis in die
vorderstenSchützengräbenvordrang,umderMannschaft
die huldreichen Grüße Seiner Majestät des obersten
Kriegsherrn zu überbringen (Hoch-Rufe) — da haben s'
also naturgemäß eine Freud ghabt! Ja was wolln denn
die Leut noch haben? Damals wars noch ganz ruhig
draußen und kein so bewegter Tag wie heute, wo sie den
Stürmen trotzen. Aber nein, da wird herumgestierlt
und es gibt Elemente, welche es glücklich so weit
gebracht haben, daß sich die Mannschaft beklagt und
aufbegehrt — wegen dem Dörrgemüse und so — sie
möchten womöglich wie im Frieden ein Soupetscherl
vom Sacher haben (Heiterkeit) — und dreimal täglich
Schaumrollen! Jetzt heißt es durchhalten! (Bravo bravo!)
Meine Herrn — ich perhorresziere das und wo ich
Anzeichen bemerke, da bin ich scharf hinterher!
701
Disziplin — wissen Sie meine Herrn, was das heißt?
Disziplin heißt Mannszucht! Das ist die Autorität —
die das tägliche Brot für den Soldaten ist! Wenn s' das
untergraben, hört sich die Gemütlichkeit auf! Diese
Schkribler — Bismarck — er war zwar — also unser
großer Bundesgenosse — hat das Kernwort geprägt:
Was das Schwert uns vernichtet hat — geht durch
die Feder wieder verlorn! — Meine Herrn, lassen wir
das nicht aus dem Auge fallen! Erinnern wir uns! —
Aber ich staune über die Langmut unseres hohen K M.
Wenns nach mir ginge, müßte die Zensur ein Exempei
schtatuiern und diese Leute alle aufhängen! (Bravo-Rufe.)
Auditor et altera parte ! Ich habe schon gege n die Katzel-
macher gekämpft, wo diese Elemente noch nicht auf der
Welt waren ! (Bravo-Rufe) — das kann ich mit Stolz sagen !
Aber meine Herrn — wenn das am grünen Tische ge-
schieht, da freilich — können wir nicht die Ver-
antwortungübernehmen! Mandarf nicht alle feindlichen
Lügen über uns glauben. Opferfreudigkeit hätten wir
genug in unserem lieben Vaterlande, aber was uns fehlt,
ist Hingabe und grad auf die kommt es an ! Also — man
darf derartige subversive Strömungen gar nicht auf-
kommen lassen — weil sie sonst unterminierend wirken
könnten! Wenn wir hier jeder unentwegt bleiben, so
werden wir auch die letzte Entscheidung, die uns der
Feind aufzwingt — planmäßig und in Ehren an uns
herankommen lassen! Wer von uns gedenkt nicht der
geradezu beispiellosen Taten, mit denen unsere
allzeit bewährte, todesmutige Truppe uns voran-
gegangen ist — nachdem sie getreu unserem Befehl
gefolgt ist in Sturm und Gefahren ! Und fürwahr —
die sich vielfach aufgeopferten Stäbe haben jederzeit
die Verantwortung planmäßig übernommen und auch
beispiellos durchgeführt! Und haben wir denn
nicht auch schöne Erfolge erzielt? Erfolge, die in
den Annalen unserer Wehrmacht fortleben werden,
während wir selbst dereinst ruhmbedeckt gefallen sind.
Haben wir nicht Erfolge erzielt, die den Neid
702
unserer Bundesgenossen — unserer Feinde — erwecken
— so daß sie sie uns sciimälern wollen? Leicht,
meine Herrn, hat man es uns wahrlich nicht
gemacht. Sind wir doch umgerungen von lauter
Feinden und bieten einer numerischen Übermacht
die Stirne immerdar! Sieg über Sieg, meine Herrn 1
Wer hätte das vor vier Jahren gedacht, damals als
wir auszogen in das Ungewisse, um Serbien zu
zertreten — planmäßig und unter den Klängen des
Prinz Eugen! (Hoch-Rufe.) — Und ist es uns denn nicht
gelungen? Haben wir nicht Serbien zertreten meine
Herrn? Wir haben es zertreten! (Hoch-Rufe.) — Da hats
geheißen : Bis hieher und nicht weiter! Also — auskehrn
mit eiserner Faust ! Meine Herrn, noch ein Schritt und der
Sieg ist unser! Rußland stellt sich immer klarer heraus —
das ist ein Koloß auf tönernen Füßen ! Das ist so gut
wie ein erledigter Standpunkt! Und was die Katzei-
macher anbetrifft — nun also, wer von uns zweifelt
heute noch am schließüchen Endsieg? Pflicht des
Soldaten, meine Herrn, ist es sich gut zu schlagen,
und wir haben sich gut geschlagen, fürwahr! Diese
Tapferen — die vorangegangen sind und alles in die
Schanzegeschlagen haben! Wir gedenken ihrer — denn
sie haben die Fahne ihres Regiments hochgehalten
und tunlichst mit ihrem Blute besiegelt ! Meine Herrn —
wir leben in einer großen Zeit und die für unser Vater-
land unschätzbaren Früchte sind noch im Wachsen —
sein Ansehn in der Welt — und vor allem verdanken
wir diesem Stahlbad den horrenden Seelenaufschwung,
den wir mitgemacht haben. Is das vielleicht nix?
Nun trennt uns nur noch ein Schritt und wir haben
den Lorbeer unüberwindlich erreicht! Darum sage
ich — und das gilt für den Gagisten wie für den
gemeinen Mann — kalten Mut, kaltes Blut meine
Herrn! Auf Sie kommt es in letzter Linie an — seien
Sie sich dessen bewußt! Sie wissen, wofür wir hier
stehen! Für den .allerhöchsten Dienst (Hoch-Rufe) — für
unsern allergnädigsten Kaiser (Hoch-Rufe) — dem jeder
703
sein Bestes geben soll, trotz Not und Tod in Stürmen
Gefahren und UnternehmiingeTi aller Art, wie es
einem braven Kriegsmanne geziemt! (Hoch-Rufe.)
Gott helfe weiter! Ich trinke auf das Wohl unserer
allmächtigen Verbündeten — die wir hier erblicken
im Zeichen bewährter sturm.erprobter Nibelungentreue
Schulter an Schulter mit uns verbunden auf Gedeih
und Verderb! (Hoch- und Hurr-i-Rufe.) Seine Majestät
der deutsche Kaiser und Seine Majestät unser oberster
Kriegsherr, unser allergnädigster Kaiser und König
mitsamt dem angestammten Herrscherhause —
sie leben hoch I hoch ! hoch ! (Brausende Hoch- und
Hurra-Rufe. Allgemeines Anstoßen. Er setzt sich.) — Was
servierst denn da?
Der Bursche: Exzellenz bitte gehorsamst,
Handgranaten.
DerGeneral (lacht aus vollem Halse): Das sein ja
Eisbomben — die heißen s' bei uns Handgranaten!
Also in Gottes Namen — Handgranaten her!
Der preulii sehe Oberst: Haridgranaten her!
— Donnerwetter noch mal, seid ihr Östreicher aber
schneidjeKerlchens! Na wir haben kürzlichMetzelsuppe,
denn Schlachtpastetchen mit Blutwurst jehabt (Heiterkeit)
und zum guten Ende ga^^s Torpedos mit Schlagsahne.
(Er singt:)
Wer sorgt für solche Gäste
So, wie's bei uns geschieht!
Gesprengt, versenkt wird fesie —
Doch immer mit Jemütl
(Hurra- und Hoch-Rufe. Heiterkeit.)
Der General: Auf das deutsche U-Boot!
(Hoch- und Hurra-Rufe. Anstoßen.)
Der preußischeOberst: Exzellenz, ich binkein
Wortemacher und 'nen Toast zu leisten, dazu — reichts
nicht mehr. Dazu — ist euer Ungarwein zu gm.
(Heiterkeit.) Aber soviel kann ich noch sagen — Ihre
Worte haben auch zu meinem deutschen Herzen
704
gesprochen! Wo Disziplin fehlt, kommt das dicke Ende
nach. Der schlappe Geist, der bei euch Östreichern
in eurem Hinterlande herrscht, würde unfehlbar auch
die Front zum Wanken bringen — (ein Hauptmann ist
unter den Tisch gefallen. Es entsteht Bewegung.)
Der General: Die Schkribler sind schuld!
Was wollen s' denn haben — mir san ja eh die
reinen Lamperln!
Der preußische Oberst: Nich doch. Euer
Friedensgewinsel war Unjebühr. Da habt ihr an euch
selbst jesündicht. Nu droht dieser Geist auch eure Front
zu verseuchen.
Der General: Horts es? Disziplin muß sein,
da gibts nix!
Der preußische Oberst: Ludendorff hat
volles Vertrauen zu Ihnen, Exzellenz.
Der General: Zu schmeichelhaft. O ja, ich
schau auf das Menschenmaterial — ich schau aber
auch auf die Herrn! Jetzt wern mrs wieder a biß!
auffüUn — speziell bei der Kag fehlt's — mit 'n
Flak war ich eher zufrieden — unsere Herrn Ärzte
sind im allgemeinen recht brav, sie tun was sie
können — bei der Konschtatierung und halt so. Alles
is scho inschtradiert Wissen S', mit die Ersatzkörper —
Der preußische Ober st: Prothesen?— Ach so!
Der General: Zum Inschtradieren!
Der preußische Oberst: Na — heut dürfte
ja 'n heißer Tach sein.
Der General (sich die Stirn wischend): Damisch
heiß is herint.
Ein Telephonoffizier kommt, tritt an den diensthabenden
Qeneralstabsoffizier heran und überreicht eine Depesche. Der
Qeneralstabsoffizier öffnet, erhebt sich, torkelt auf den General
zu und flüstert ihm etwas ins Ohr.
Der General: Trotteln!
Der preußische Oberst: Was is 'n los?
Der General: Vorstellung genommen. Auf
zweite Linie zurück. Da is der Wottawa schuld!
705
Der preußische Oberst: Fatal? Schose! Na
da habt ihr wieder mal auf dem falschen Fuß Hurra
jeschrien? (Die Musik spielt ein Wiener Lied.) Ach köstlich!
(Er singt mit) Trink ma noch a Flaschal — trink ma noch a
Flaschal — ich — haab — Geld im Taschal (Um sich
blickend) Aber ich kenne ja eigentlich einige der Herren
noch nich — (er zeigt auf eine Gruppe von Offizieren.)
Der General (winkt): Tu! tu! tu! (Die Offiziere
erheben sich.)
Ein Husarenoberleutnant: Geza von
Lakkati de Nemesfalva et Kutjafelegfaluszeg.
Der preußische Oberst: Komischer Name.
Fideles Haus.
Der General: Das is a roter Teufel.
Der preußische Oberst: Roter Teufel —
schneidich 1 Ja die prächtje Honved!
Ein Hauptmann: Romuald Kurzbaner.
Der preußische Oberst: Wiener?
Der General: Na, ä Salzburger is er.
Ein Oberleutnant: Stanislausv.ZakrychiewMcz.
Der preußische Oberst: Kroate?
Der General: Pole, Pole.
DerpreußischeOberst:Ah, ein edler Pole !
Ein Leutnant: Petricic.
Der preußische Oberst: Rumäne?
Der General: Nein, Kroatt.
Ein Oberleutnant: Iwaschko.
Der preußische Oberst: Böhme?
Der General: Rumäner.
Ein Hauptmann: Koudjela.
Der preußische Oberst: Italiener?
Der General: Behm!
Ein Trainrittmeister: Trainreferent Felix
Bellak.
Der preußische Oberst: Aha. (Die Vorgestellten
setzen sich. Der Oberstabsarzt stößt mit dem Oberauditor an.
Der Feldrabbiner mit dem Feldkuraten.) Mal munter, Heiligen-
scheinwerfer ! Immer stramm, immer stramm ! Recht so !
Die letzten Tage der Menschheit. 45
706
Ein Hauptmann: Das is unsere wackere
Sündenabwehrkanone! (Schallende Heiterkeit, in die
der Feldkurat eirstimmt.)
Der Feldkurat: Jawoohl, jawoohl — ich tu
ihnen schon das Wülde abiramen!
Der preußische Oberst: Abi — ramen?
Köstliches Wort! Bedeutet vermutlich abräumen?
Der Mann ist woll vom Lande?
Der Feldkurat: Nein Herr Oberst, aus Linz.
Der preußische Oberst: Ah, das schöne
Linz in der grünen Steiermark!
DerGeneral: Jetzt soll einer meiner begabten
jüngeren Herrn was zum besten geben!
Der Oberintendant: Der Wowesl
Der General: Wowes! Zum Klavier antreten!
Gschwind!
Wowes (setzt sich ans Klavier, spielt und singt dazu) :
Wenn ich dich — an deinem Fenster seh —
So tut mir — das Herz so weh.
Ich sehn mich — nach dir zurück.
Denn du bist — das Glück.
(Rufe: Bravo Wowes!)
Wowes: Is noch nicht aus!
Der preußische Oberst (summend und nickend):
Du bist — das Glück. Hat er fein jemacht!
Wowes (fortfahrend):
Wenn ich — bei dir im Bette bin —
So ist mir — gar wohl im Sinn.
Ich will — von dort nicht fort.
Denn dort ist — mein Ort.
(Heiterkeit. Rufe: Bravo Wowes!)
DerpreußischeOberst (summend und nickend) :
Denn dort ist — mein Ort. Famoser Bengell
(Trinkt ihm zu.)
Der General: Er komponiert selbst! Oh, er
is sogar auch ein Zauberkünstler. Prestischatehr! Der
unterhaltet eine ganze Gesellschaft!
707
Der preußische Oberst: Ach was!
Der General: Ja, das is ein gefinkelter Kampll
Aber ich laß ihn auch nicht hinaus. Jetzt hab ich
ihn eingegeben für die große Silberne. (Geschützdonner.)
Ein deutscher Generalstabsoffizier: Es
lebe die österreichische Gemütlichkeit! (Hurra- und
Hoch-Rufe. Anstoßen.)
Der Oberstabsarzt: Es lebe die deutsche
Organisation ! (Hoch- und Hurra-Rufe. Anstoßen.)
Der General: Oho I Auch wir — meine Herrn !
Auch wir! — Oho! Da gibts nix — Wir folgen —
unserer Fahne — (Die Musik spielt »Heut hab i schon
mein FannI«. Gelächter und Singen am Tafelende.) Was —
habts denn?
Ein Rittmeister (singend): Heut hab i —
schon mein —
Der Oberintendant: Ja wer tommerlt denn
da — ? (Heiterkeit.)
Der Telephonoffizier kommt eih'gherein, tritt an den diensthabenden
Generalstabsoffizier heran und überreicht eine Depesche. Der
Generalstabsoffizier erhebt sich, torkelt auf den General zu
und flüstert ihm etwas ins Ohr.
Der General: Solche Hornviecher!
Der preußische Oberst: Was is 'n los?
Der General (liest): Stellung — zusammen-
getrommelt. Annäherungsräume liegen — unter —
unter schwerem Vernichtungsfeuer — Diese Kineser — I
verderben emem die schönsten Erfolge — ! (Läßt
die Depesche fallen.) Ah WOOS — gar net ignorieren.
Der preußische Oberst(sieaufhebend):Reserven
eingesetzt. Abschnittsreserven vollkommen aufge-
braucht. Batterien müssen in Aufnahmsstellung
zurückgenommen werden — Donnerwetter noch mall
(Verstärkter Geschützdonner.)
Der diensthabende Generalstabsoffizier
(zu einem Burschen): Net all weil einschenken. Heut brauch
ich — einen klaren — Kopf. Wieviel Stiefel und Kappen
verloren, sagt er natürlich wieder nicht. Trottel das!
45*
708
Der deutsche Generalstabsoifizier:
Nanu? Stiefel und Kappen?
Der diensthabende Generalstabsoffizier:
Weißt — Leut und Herrn.
DerpreußischeOberst:Es scheint, daß euch
lieben Östreichern die Friedensoffensiven denn doch
besser gelingen sollen. Na hoffen wir, daß Hindenburch
da mal zum Rechten sehn wird. Schließlich ist es ja
doch wieder an uns, euch aus dem Dreck zu ziehnl
DerGeneral: Meine Herrn — wir sind stolz —
daß wir — Schulter an Schulter mit unseren kampf-
gestählten Bundesgenossen — in schimmernder Wehr
— meine Herrn, ich trinke auf die Nibelungentreue —
in diesem Bündnis — das s* jetzt ausgebaut hab'n —
(Bravo-Rufe) und — und —
Der preußische Oberst: Vertieft! (Hoch- und
Hurra-Rufe. Die Musik spielt die >Wacht am Rliein« und hierauf
»Heil dir im Siegeskranz«.) Ich danke Ihnen meine Herrn —
ich danke Ihnen! Aber nu mal wieder ohne feierlichen
Klimbim wenn ich bitten darf. Die Wonnejans heben
wir uns für den Tach des Endsiechs auf. Jetzt mal
wieder eins eurer köstlichen Östreicherlieder —
von euerm prächtigen Lehaar, der uns an der West-
front so viel Freude jebracht hat. (Bravo-Rufe.)
DerGeneral: Spielts » Sag Schnucki zu mir« I
Der preußische Oberst: Schnuckii — was
ist denn das? Also Schnuckii, famos 1 (Die Kapelle
intoniert dieses Lied.)
Der General: Aber was is denn mit unsere
Feldmatratzen? Die san ja heut ganz stad? Was
singts denn nicht mit?
Der Rittmeister (über den Tisch rufend): Die
Schwester Paula — die hat dir eine Krupp! Taarlos — !
Da kann sich die Schwester Ludmilla verstecken!
Schwester Paula (kreischt): Au! — Aufhörn
— grauslicher Mensch das!
709
Der Rittmeister: Was is denn, was is denn,
Komplimenten inachen darf man aucii nicht mehr?
Schwester Ludmilla: Immer der mit seine
Anzüglichkeiten!
EinOberleutnant: No und die Gspaßlaberln !
Der preußische Oberst: Gespaßlabnl — ?
Nee, hört mal, was ihr für ulkje Namen — was ist denn
das fürn Ding? (Der General gibt eine Erklärung.)
Dar Oberintendant: Die Madin solin a Duett
singen! (Rufe: A Duett!)
Der Oberleutnant: Der Feldkurat und der
Feldrabbiner solln aa a Duett singen 1
Ein zweiter: Der Feldrabbiner kann jodeln —
und der Feldkurat— na — verkehrt — (Schallende Heiterkeit.)
Ein preußischer Hauptmann: Doli!
Ein dritter Oberleutnant: Bist halt a
Klassikaner. (Heftiger Geschützdonner.)
Der Artilleriereferent: Die arbeiten heut
aber fest — meine Herrn — 1 das geht ja wie im Takt!
Der Feldkurat (singend): Können nimma Katzl
mach'n, es tuat halt gar zviel krach'n! Tschiff, tscheff,
tauch — der V/allisch liegt am Bauch! (Gelächter
und Mitsingen.)
Mehrere: Prost Hochwürden! (Anstoßen.)
Der preußische Oberst: Ich fürchte, daß es
'n heißer Tach ist!
Der General (sich die Stirn wischend): Wiar in
die Hundstäg. (Die Musik spielt »Am Manzanares«.)
Der Tc'ephonoffizier stürzt herein, tritt direkt an den General heran,
flüstert ihm etwas ins Ohr.
Der General: Was? Die elendigen — die
elendigen — diese Frontschweine — !
Der preußische Oberst: Was is 'n los?
Der General: Ich — versteh — das nicht.
Ich — habe doch ausdrücklich —
710
Der preußische Oberst: Nanu Kinder —
macht mir man bloß jetzt nich flau, wo wir den
Sieg in der Tasche haben!
Der General: Herrschaften — da sind wir
in der rue de Kack!
Der preußische Oberst (zum Telephonoffizier):
Was is 'n los?
Der Telephonoffizier (in größter Erregung,
stammelnd): Die Spitzen der rtickflutenden Divisionen
erreichen bereits den Stand des Korpskommandos —
die gesamte Artillerie wurde im Stich gelassen — die
Straßen sind von gepfropftem Train gesperrt — die
Truppen demoralisiert — feindliche Kavallerie im
schärfsten Nachdrängen. (Ab. Der Oberst spricht auf den
General ein. Die andern in zwangloser Konversation.)
Ein Hauptmann: Du — Koudjela —
Koudjela: Jaa —
Der Hauptmann: Spehlmeis war guut!
Aber schon sehr gut!
Koudjela: Jaa —
Der Hauptmann: Du — Koudjela —
Koudjela: Jaa —
Der Hauptmann: Wein is guut! Aber
schon sehr gut!
Koudjela: Jaa —
EinOberstleutnant(zueinemschlafendenObersten):
Du Herr Oberst!
Der österreichische Oberst (erwacht): Was
is denn —
Der Oberstleutnant: Nix! (Heiterkeit.)
Ein Leutnant (über den Tisch rufend): Du
Windischgraetz — hast heut mit dem Schlesinger
gebritscht oder gebackt?
Der Rittmeister: — Horts mr auf, die
Glanzzeit der Presse war im Anfang, wie s' noch 'n
Roda Roda ghabt ham — jetzt is gar nix.
Ein Oberleutnant (gibt ihm einen Stoß): Pst —
die zwei Judenbuben! (Laut) Weißt, großartig find ich
711
die Sachen von der Schaick — sehr instruktiv ! — nächste
Wochen kommt sie zu uns heraus — no vor allem
is sie tapfer, das muß ihr auch der Feind lassen!
Der Rittmeister (gibt ihm einen Stoß): Pst —
das gift'die doch noch mehr ! (Laut) Weißt, der Roda Roda,
der hat das verstanden, so mit einem Satz eine
militärische Situation — also zum Beispiel, das is
mir noch genau in Erinnerung — wie er gschrieben
hat: »Sie werden Ihren Mantel kaum mehr brauchen«,
sagte der Oberleutnant, als er den Popen an den
Steigbügel eines Uhlanen binden ließ. Nix weiter.
Der Oberleutnant: Gelungen, aber wieso
hast dir das so gemerkt?
Der Rittmeister: No Tepp — ratest denn
nicht, wer der Oberleutnant war? Ich!
Der Oberleutnant: Kehl — V/as hat der
angstellt ghabt?
Der Rittmeister: No Umtriebe und so. A rote
Nasen hat er ghabt — also du das reine Lichtsignal!
Das war schon einer!
Ein Oberleutnant (zu einem andern, der versunken
dnsitzt): Du — was denkst du so? Du Denker du.
Der andere: Weißt, ich denk halt — jetzt,
auf der Sirk-Ecken. Hier sitzt man herum —
Der erste: Du — ich auch.
Ein preußischer Oberleutnant: — Nee
Kinderchens laßt mich man bloß unjeschoren, den
Siegfrieden erringt ihr fein ohne mich — ich muß
ja doch nächste Woche nach Berlin. Da haben wir
unser Heldengedächtnisrennen.
Ein zweiter: Ach wer wird an morgen
denken! Die Hauptsache ist 'ne tüchtje Pulle, daß
man die nötje Bettschwere bekommt. Die faulen
Hinterlandonkels —
Der Rittmeister: No ich verlang mir auch
keinen Urlaub. Ujegerl — ins Land, wo Wrucken und
Maisbrot fließt! (Heiterkeit) — könnt mich haben!
712
Ein Hauptmann: Was Reischl, aber auf
die Front hast halt auch kan Gusto? (Heiterkeit.)
Der Rittmeister: Du hast was zu reden,
Obertachinierer!
Der zweite preußische Oberleutnant:
Mit das Schlimmste an der Front ist alle Tage
Marmelade.
Der erste: Ach Keldenbutter ist auch schon
alle. In Rußland sind sie jetzt eklich dran. Da haben
sie in einem Abschnitt ne richtichgehende Cholera.
Wißt ihr, weil die Kerls Wasser aus 'nem Teich
getrunken haben, wo Rußenleichen waren.
Der Rittmeister: Das war nix für mich, ich
brauch einen Schampus! (Schallende Heiterkeit.)
Der zweite: — Ja, kochen könnt ihr
Östreicher, aber die Speisenfolge, die wir mal an
der Nachmittachstafel in Homburg jehabt haben —
da (er zeigt die Menükarte): Kraftbrühe mit Ochsenfleisch
— Königinpastetchen — Gebackene Rheinfische mit
Remouladentunke — Fasane im Topf — Osterlamm-
rücken auf Hausmannsart mit Halberstädter Würst-
chen — Hammelkeule mit Weißbohnen und
Artischockenböden — Spargel mit Sahnentunke —
Niersteiner Auflanger vom Kasino Duisburg —
Kupferberg-Gold — Eisbombe — Geschmortes Obst
— Käsestangen! Jawoll! Da könnt ihr nich ran!
(Oho-Rufe.)
Der preußische Oberst: — Nee Kinder,
euer berühmtes Hofftheaterballett war bei euch?
Der General: Ja — und auf d' Wochen
krieg mr ein Kabarett was sich gewaschen hat!
Der erste Kriegsberichterstatter: Herr
Oberst, mein Werk!
Der zweit eKriegsber ich terstatt er: Wiesoo?
Angeregt hab ich!
Ein Oberleutnant: — Aber nein, das war
doch bei der siebenten Isonzoschlacht, weißt, wie der
Sascha bei uns heraußt war —
713
Ein anderer Oberleutnant: — Noja, der
Oberst haltet sich übern Kanonendonner auf. Er kann
bei der Nacht iiet schlaf'n. Da warn die frühern
Quartier besser. Ich hab's immer gsagt, die Situation
is ungünstig. Das wird wieder a Nacht wern heuti
Passieren kann nix, aber der Lärm bei der Nacht
is zwider. (Heftige Detonation. ">
Der Artilleriereferent: Das war a seh warer
Pumperer!
Ein Leutnant: — Der Scharinger von die
Elfer? No der hat dir eine Sau! Jetzt is er eingegeben —
Der Rittmeister: — Du, weißt, also ein
Busen — (Geste) erstklassig!
Ein Oberleutnant: Du, aber was ich jetzt
in petto hab — ! also tulli — !
Der Rittmeister: Obersteiger! In der letzten
Muskete —
Ein Major: Unsern Menageoffizier lass mr
leben! (Hoch-Rufe. Anstoßen.)
Ein Generalmajor: Ja der Pschierer! Der
stellt seinen Mann! Zwölf Gänge — da muß man
schon Habedjehre sagen. (Trinkt ihm zu.)
Der Oberauditor: Also ich habe mich schon
Euf manchen schweren Gang vorbereitet (Heiterkeit) —
aber ich muß schon sagen — Pschierer Prost!
Der Major: Du, hörst nix vom Haschka?
Der Oberauditor: Der Haschka is noch
immer der Alte. Fleißig — !
Der Major: Aber jetzt kann er doch nicht
mehr für'n Stöger-Steiner arbeiten? Also gar so
viel kanns doch nicht mehr zu tun geben!
Der Oberauditor: Ja die Zeiten sind vorbei.
Aber der Haschka is dir ein Hauptbursch. Sein
Steckenpferd hat er halt noch immer. Da hebt er sich
das Todesurteil auf, pünktlich bis die Suppen aufgessen
is. Schaut auf die Uhr, springt auf, mit'n Braten solln
s' warten sagt er — bumsti san scho drin im Billard-
zimmer zum Verkündigen. Sein schönster Fall war
714
bei den Ma-Formatioiien vom Fünfzehner-Korps, weißt
Wocheiner-Feistritz. Da warn a paar Humanitätspimpf,
die ham sich aufghalten — paßt ihnen altl^urat nicht,
weils der Stöger-Steiner gewunschen hat — no ja, es
hat halt solln ein Exempel schtaiuiert wern.
Der Major: p. u.?
Der Oberauditor: Aber nein — der Fall is
doch berühmt. Ein Kerl hat a Brieftaschl gstohln
ghabt, no und vom Arrestgitter ham s'n hineingheanzt,
daß er dafür erschossen wird. Der Kerl geht durch —
aus Furcht. No hat der Haschka gsagt, wanns auch
keine ausgesprochene Desertion is, weils bloß aus
Furcht war — es is wegn 'n Exempel. Weil also natur-
gemäß der Stöger-Steiner Wert drauf legt. — Wern dir
die Pimpf hopatatschig! Daraufhin verurteilen s' nicht!
Was sagst! Ein Skandal so was! Aktive!
Der Major (perplex): Aktive — ?!
Der Oberauditor: Ja das gibts auch! Aber
ich bitt dich — ich hab ja selbst Fälle ghabt, wo s'
selbst bei Selbstverstümmlung einen Kerl ham heraus-
haun woUn. Bitte — Aktive! Tragen des Kaisers Rock!
Die sollt man schtampern! Diese umstürzlerischen
Ideen sind eben sogar schon in unsern engern Stand
eingedrungen.
Der Major: Was willst haben, in der Lini
machen s' auch scho manchmal Gschichten wegen
der Mannschaft! No — ich will nix sagen, man darf
nicht generalisieren, zum Glück ist der Geist unver-
sehrt. — Also du, was war da?
Der Oberauditor: No hat er ihnen versprechen
müssen der Haschka im Protokoll, der Kerl wird
begnadigt, wann s'n nur verurteilen. Aber der Haschka,
schlau wie er is, hat oben kan Ton von kan Protokoll
nicht gsagt — no is also naturgemäß schtantepeh
vollzogen worn. Weißt, bei uns sind auch schon
viel Exempel schtatuiert worn — aber so eine
Exekution, da muß man schon tulli sagen! Ja, der
Haschka is halt was bsonderes.
715
Der Major: Weißt, mit die Humanen — das
hab ich scho gfressen. Wann ich einen Humanen
nur von weitem siech, wer' ich scho fuchtig. Sich
auflehnen gegen 'n Stöger-Steiner! Da hat dir der
Tersztszyansky amal kurzen Prozeß gmacht. Das
heißt — er hat gar kan Prozeß gmacht.
Der Oberauditor: Wieso?
Der Major: Weißt, da war dir auch so ein
Humaner — also ein engerer Standesgenosse von dir —
Der Oberauditor: No mich brauchst nicht
verdächtigen, du !
Der Major: Aber geh, ich tu dich ja nur bißl
pflanzen. Also hör zu — der weigert sich, einen Kerl
standrechtlich zu behandeln. Es is nur eine Disziplinar-
sache, sagt er und so Spomponadeln. No in der
Meß — kommt dir der Tersztszyansky herein, setzt
sich zur Suppen — du aber so ruhig hab ich dir den
Tersztszyansky noch nie gsehn! — sagt er, Herr
Hauptmann-Auditor sagt er, mit Ihrem Delinquenten
brauchen wir überhaupt keine Verhandlung mehr.
Wieso, fragt er. No schaun S' sich ihn draußen im
Garten an — schaun S' sich ihn nur an — draußen
liegt er. Hat dir der Tersztszyansky einfach dem
Zugsführer gsagt ghabt, er soll den Kerl niedermachen,
mit 'n Bajonett — bumstinazi! Weißt, weil er dir eine
Wut ghabt hat auf den widerspenstigen Menschen.
Der Oberauditor: Auf den Kerl?
Der Major: Aber nein, auf 'n Auditor!
Der Oberauditor: Ah so, natürlich! Du gelt
ja, neulich hab ich mich gstritten, der Tersztszyansky
is doch Ehrendokter der Philosophie — oder nicht?
DerMajor: No ich möcht glauben! — Du richtig,
was macht denn der StanzI von der Na-Stelle? Is der
noch in Albanien? Ich hab ghört, daß s' ihn nach
Feldkirch hin tun wolln für 'n feinern Dienst?
Der Oberauditor: Woher denn, der hat dir
in Albanien Hals über Kopf zu tun! Du, aber der
Balogh — weißt in Kossovo-Mitrovica —
716
Der Major: Ja richtig, da hab ich so eine
Gschicht ghört von einer Hinrichtung mit Zahnziehn
oder was.
Der Oberauditor: Das is ein Tratsch. Es is
unglaublich wie der Mensch verleumdet wird — das
wollt ich dir grad erzähl'n. Das is die harmloseste
Gschichte von der Welt. Das Ganze beruht einfach
darauf, daß er einen Sechzehnjährigen zum Auf-
hängen ghabt hat, weil er ein Komitatschi war.
No hat er dem Dokter gsagt, er soll halt nachschaun,
ob der Bursch nicht am End schon an Weisheits-
zahn hat. No sagt der Dokter, ja. No hat er
hineingschrieben 20 — ham s'n halt aufghängt. Also er
hat sich noch die Mühe gnommen mitn Nachschaun-
lassen. Das war der Fehler — so is 's herauskommen.
No und nacher, weil er dafür vom AOK eine Rüge
bekommen hat, is halt der ganze Tratsch entstanden.
No, das AOK hat früher bei solche Fälle, wo es
sich um verdiente Offiziere handelt, mit die Rügen
nicht so geuraßt — unter uns! Sonst setzt ma's Alter
einfach hinauf, sagt ka Mensch was.
D e r M a j 0 r : Is mir auch ein Schleier. Bei unserer
Truppendivision — Herrgott waren das Zeiten —
wie noch der Peter Ferdinand mehr freie Hand ghabt
hat — da hams einmal gewettet, weißt die kaiserliche
Hoheit und der Parma, der Generalstabschef — also
ob bei der Hinrichtung von Vierzehnjährigen eine —
Dingsda stattfinden werde — wie hat er's nur
gheißen, der Dokter — so a gspaßigs Wort —
Ein Regimentsarzt: Aha, eine ejaculatio
scminis! (Gelächter.)
Der Major: Ja richtig, natürlich! Oh das war
intressant. No überhaupt — damals!
Der Oberintendant: Vierzehnjährige hin-
richten — derfen s' denn das? (Gelächter.)
Der Major: Ja mein lieber Oberintendant,
wir ham ja schließlich Krieg, verstandewu? Da wird
man schon keine Spomponadeln machen! Was? Bei
717
die 92 er hams Kerln weils eine Konserven 'gessen
hab'n vom eisernen Vorrat, draußen vorm Drahtverhau
anbinden lassen, damit s' von die Russen abgschossen
wem —
Der Oberintendant: Noja, wann s' vom
eisernen Vurrat —
Der Major: Meine Devise: Krieg — das is nicht
nur gegen den Feind, da müssen die Eigenen schon
auch was gspürn ! Ujeh ! Damals ham sie s' bei uns zum
Hinrichten anstell'n lassen! No und a Butterweib, was
die Buttern für'n Stab bracht hat, wie s' hat warten
müssen — no hams ihr halt gsagt, sie soll sich dazu
stell'n — no und da hat mas halt auch aufghängt!
(Schallende Heiterkeit) — Aber — bitte — da gibts nix ZU
lachen — irren is menschlich — so was kann ja
vorkommen — bei untergeordnete Organe! Siels hall
auf die Maschikseiten zu stehn kommen. Noja. Aber
schöne Zeiten waren 's doch I Wie der Weiskirchner
zu uns bei die Edelknaben auf Besuch kommen is, also
da hams ihm zu Ehren lebhafteren Kanonendonner
anbefohlen — ja! Und mit dem 30*5 Mörser hams nach
pflügenden Bauern schießen lassen — ja! Und —
Der Oberintendant: Ja warumperl denn — ?
Der Major: No — ein Erzherzog v/ar zu Besuch!
— also du Oberauditor, wannst mich derschlagst, weiß
ich nicht mehr, welcher — also damit er sich halt
von der Treffsicherheit der Geschosse überzeugen
tut. No er hat aber auch seine Bewunderung aus-
gesprochen! Also in der leutseligsten Weise —
richtig, der Josef Ferdinand wars! — Aber du — weißt,
ich hab dich immer fragen woll'n — du hast doch
den Fall in Kragujevac ghabt mit die vierundvierzig.
Hast da keine Unannehmlichkeiten — (Die Musik spielt
»Jetzt trink mr noch a Flascherl Wein, hollodrioh!« Die Offiziere
singen: >Es niuaß ja nicht das letzte sein, hollodrioh!« Der
Husarenoberleutnant Lakkati wirft ein Sektglas an die Wand.)
Der Oberauditor: Aber! Das war a Sauferei.
Es is wirklich unglaublich, wie die Leut saufen.
718
Weißt, ich hätt auch dreihundert hinrichten lassen 1
Trunkenheitsexzesse können nicht geduldet werden!
Ich habe den Leuten den ehrenvollen Tod durch
Erschießen ausnahmsweise bewilligt!
Ein K -Offizier (mischt sich in die Konversation) :
Die Bagasch is ja immer besoffen. Aber da verraten
s' einem wenigstens die Gesinnung. Na so viel wie
im vierzehner Jahr is nicht mehr zu tun. Also du
Herr Oberauditor, da hab ich dir einmal einen Transport
von die Achtundzwanzigeraus Prag, ehschowissen, nach
Serbien begleitet. Ich hab gleich einen Schpurius
ghabt! No — hinter Marchegg gehts los. Die Leut sind
renident und fangen an mit die Unteroffizier zu
schimpfen, weil s' gegen die Serben gehn solin —
diese Horde! Die sind aber auf die Maschikseiten
zu liegen kommen! Pomali — da ham wir s' schön
ausv/aggoniert, 25 packt und in einen bsondern Waggon
einigschupft. Da is für 40 Platz — ham s' es eh noch
kommod ghabt. Dann — so alle Stund ham mr dann
auf offener Strecken schön ghalten. Nacher — also eine
Unteroffizierspatrouille hat nacher jedesmal drei Mann
schön außagholtund in den letzten Wagen einigschupft.
Also — fahr' mr! Nach zwei Minuten — rrtsch
obidralit! Hältst die Gsichter sehn solin von die
nächsten drei — wann alstern wieder drei neuche eini-
kommen sind. Immer drei — nachanand. Der letzte
seprat. Die Beschtie! No bis am Westbahnhof in
Budapest waren alle fünfundzwanzig schön erledigt.
Der Waggon, wie s* ihn abkoppeln — der hat aus-
gschaut! Meine Herrn! Ein Ramatama! Förmlich
durchgesiebt — also taarlos! — und 's Blut is nur so —
Der Oberauditor: Hätt ma photographiern
solln. Da hast dich verdient gemacht!
Der K- Offizier: Ich habe nur meine Pflicht
erfüllt. Der Oberst hat gsagt, schtatuirn mr ein
Exempel. Das is nix gegen den Wild.
Der Zvlajor: Ja der Wild!
719
Der K-Offizier: Er geht halt am liebsten
auf Ruthener. Gestern hat er mir seine Ansichtskarten
gschickt — er zwischen vier Ghängte. Feschak das!
Der Oberauditcr: Ja der Wild!
Der K-Offizier: No und der Wild is wieder
nix gegen den Prasch ! Das is einmal ein Frontoffizier,
wie er sein soll. Was der schon eigenhändig —
Der preußische Oberst: — Wie hieß doch
das Gericht? Sautanz? Köstliches Wort! Ich könnte
mich halbdot lachen über eure ulkjen Bezeichnungen.
Ach — ihr Östreicher — ! Aber leider muß man auch
sagen, es fehlt euch doch an der nötjen ernsten
Lebensauffassung. Krieg is 'n Stahlbatt! Seit euer
alter ritterlicher Kaiser dot ist, jeht die Sache man
bisken etepetete. Nich mehr so stramm, nich mehr
so stramm, Gott seis jeklagt. Na was schwatzt denn
der rote Teufel dort?
Geza von Lakkati de Nemesfalva et
Kutjafelegfaluszeg (zu einer Gruppe): — Tescheek
— hob ich gleich bemerkt, wor Dreck am Huf.
Sogt der Kerl, Huf wor rein, muß am Weg von
Stall passiert sein ! Nohät, nehm ich Säbel — nehm
ich Dreck von Huf — schmier ich Schwain in Maul.
(Heiterkeit. Bravo Rufe.) Igen, ise SO ein ise — SO ein
Reservepintsch dobeigestonden — hot sich eingemischt
— hob ich verflixtem Hund gesogt, kommt vor Kriegs-
gericht! Na ssärwus, konn sich frain! (Bravo-Rufc.)
Der Rittmeister: No und der Kerl, der
Bursch? Hat der was gsagt?
Geza von Lakkati de Nemesfalva et
Kutjafelegfaluszeg: Obbär — hot nicht können
— hot Dreck in Maul gehobt, bittä — ! (Schallende
Heiterkeit. Starke Detonation.)
Der Artilleriereferent: Nono! a wengerl
pomali — die beledern uns am End a no!
Der preußische Oberst: — Nee, da könn'
Se nischt dawider sagen — euer galizischer Rückzuch
war nich berühmt. Euer Erzherzog —
720
Der General: Tschuldigen — man hat nix
machen können. Seine kaiserliche Hoheit hat das
Menschenmöglichste getan — aber der geringe
Kampfwert der Truppe — und dann — also das is mir
zufällig bekannt — Exlenz Borewitsch hat das aus-
drticklich anerkannt — also daß es Seiner kaiserlichen
Hoheit durchaus nicht an Energie gemangelt hat
— bitte, die Leut ham Selbstmord begangen! Kann
man halt nix machen. Mit'n Maschingwehr allein oder
Dezimiern also naturgemäß — wissen S', es war halt
gar so ein schwächliches Korps. Manchmal is scho
so mit die Eigenen. Die Leut warn nicht aus-
gschlafen und so.
Der preußische Oberst: Nanu?
DerGeneralrJa — bitte — Exlenz Borewitsch
hat selber zugeben müssen, die vorgekommenen
Erfrierungen Schlafender, hat er hinaufgschrieben,
erzeugen Furcht vor dem Einschlafen.
Der preußische Oberst: Ach so. Na denn
freilich trifft euern Erzherzog Josef keine Schuld,
Na ejal. Seht mal nur jetzt zum Rechten. Ihr habt
gut getan, die diesmalige Offensive der Jahreszeit
anzupassen. Die Jahreszeit ist nich ungünstich.
Die Schlappe in Ihrem Frontabschnitt —
Der General: Na bei die andern wirds a
net vül besser —
Der preußische Oberst: Wir wollen das
beste hoffen. Es ist freilich fatal, daß der Feind
auf diesem Teil der Front zur Offensive übergegangen
zu sein scheint. Aber umso mehr Aussicht besteht,
ihn zu umzingeln. Das haben wir im Westen schon
an die dutzend Mal erprobt. Ich bin in diesem Punkte
guter Dinge. Wir Deutsche konzentrieren alle unsre
Gedanken auf den schließlichen Endsiech — und
da kann ich nur sagen: Machen wir.
Der General: Aber ja, wer' mr scho machen.
(Lakkati wirft ein Sektglas an die Wand.)
721
Ein Oberleutnant: — Horts — heut hab ich
Schluß gmacht mit der Schreibmaschinflitschen —
frech war's — na, der hab i's eingfadelt!
Ein Leutnant: No was hast gmacht mit ihr?
Der Oberleutnant: Petschiert! Fertig!
(Gelächter) — Na — bled seids — ! Gehts ins
Lausoleum!
Der Rittmeister: — Mei Lieber, da kannst
sagen, was d' willst — die Honved stellen ihren
Mann '
Ein deuischer Hauptmann: Ja, aber die
Bayern beißen die Gurgel entzwei! Also das möcht ich
dir wünschen, so einem — !
Der Rittmeister: Erlaub du mir —! (Heiterkeit.
Der Geschützlärm nimmt ab.)
Der Artilleriereferent: — Horts mr auf —
da hab ich schon ganz andere Mullatschaks mh-
gemacht, mei Lieber — in der siebenten und achten
Isonzoschlacht!
Der Rittmeister: No was is das für a
Mullatschak, wo die Mädeln fad sein! (Ruft) Kapelle!
Ein Oberleutnant: In Rußland hab ich
euch mullattiert — !
Ein zweiter: Weißt, bei Rawaruska — wie
noch der Fallota —
Ein preußischer Leutnant: Nanu — der
Musikfritze schläft ja!
Ein preußischer Hauptmann: Spielt mal
»Auf dem Friedhof La Bass^e« !
Der Major: Nein — herstellt — spielts
»Mizzerl, Mizzerl, sei doch netter«!
Der preußische Hauptmann: Also — Mizzal!
Ach, 's ist ja doli!
Der diensthabende Generalstabsoffizier:
Das hams immer in der Gartenbau — der Varady
und die Rolle —
Die letzten Tage der Menschheit. 46
722
Der Oberintendant: Ja die Gartenbau!
V/ie noch der Schenk v/ar — ! (singt) Wir brauchen —
keine — Schwiegermamama — Schwiegermamama —
Spülts »Ein Tampus vom Schampus«! (Rufe. Ein
Tampus vom Schampus! Bravo!)
Der Rittmeister: Spielts »Nobel geht die
Welt zugrund«!
Der Oberauditor: Spielts »Schön war der
Tanz, aber spieln tan s' 'n net«! (Rufe: Bravo! Die
Musik spielt. Die Offiziere singen mit.)
Der Oberintendant (wiederholend): — aber
spüln tan s' 'n net!
Der Telephonoffizier stürzt Icreidebleich herein und direkt auf
den General los, sagt ihm etwas ins Ohr.
Der General: Was — ?! Meutern tan s'?!
Dezimiern die Bagasch überanandü Solin s' a paar
frische Regimenter einsetzen! ! Antreiben, antreiben!!
Gschwind !
Der preußische Oberst: Was is 'n los?
(Der Telephonoffizier flüstert dem General abermals etwas zu.)
Der General: Was?! Die Gasgranaten gehn
auch nicht?! Sauwirtschaft überanandü
Der preußische Oberst: Na hört mal, das
sollte denn doch nich — ! das könnte bei uns
denn doch — !
D e r G e n e r a 1 : So ein — Pallawatsch ! — So ein
Pech! — Kann man halt nix machen —
Derpreußische Ob e r s t : Na vor beijelungen!
Bißk 'n schlapp, die lieben Östreicher, bißk 'n schlapp!
Der erste Kriegsberichterstatter: Sehn
Sie sich den General an, also was hab ich gesagt — !?
Der zweite Kriegsberichterstatter: Herr
Major, können Sie mir vielleicht sagen, wie die
Schlacht steht — ?
Der Major: Es hat eine feindliche Oliensive
eingesetzt.
Der erste Kriegsberichterstatter: Ojwe.
723
Der Major: Der Feind hat die eigenen
Stellungen der ersten Linie etwas eingedrückt —
Der zweite Kriegsberichterstatter: Die
eigenen? wozu — ?
Der Major: Wir hoffen, daß es uns gehngen
wird, diesen tückischen Plan zuschanden zu machen.
Bitte aber meinen Namen nicht zu nennen.
Dererste:UnsereartilleristischeÜberlegenheit —
Der zweite: Alles, nur keinen Flankenangriff!
Schwester Paula: — Au! — frecher Mensch I
Der Rittmeister: No no — man wird doch
noch angreifen dürfen oder nicht?
Schwester Ludmilla: Aufhörn! Immer der
mit seine —
Ein Hauptmann: Schakerl, trau di net!
Der preußische Hauptmann: Ach ja,
Schakal Schakal trau dich nich!
Ein Oberleutnant: — Meinst 'n Madler oder
'n Madie, der was in Schabatz beim Hausenblas war?
Der Madler sag ich dir, is der größte Tachinierer in
der ganzen Armee. Der Pimpf is wütend, weil ich
eingegeben bin.
Ein anderer: Wo is er jetzt?
Der Oberleutnant: No wo wird er sein,
beim Kader! Wir plagen uns hier — Du, was macht
dein Pupperl?
(Die Musik spielt einen Csardas. Lakkati und eine weibliche
Hilfskraft tanzen. Lebhafte Bravo-Rufe.)
Der preußische Oberst: Ach einzich!
Famos! 'n richtichgehender roter Teufel!
Der deutsche Generalstabsoffizier:
— Ach laßt mich man bloß mit euerm Gas zufrieden!
Unser Gelbkreuz, unser Grünkreuz, unser Blaukreuz —
v;enn wir in Frankreich Bunte Woche hatten!
Der diensthabende Generalstabsoffizier:
Bitte wir haben bei Tolmein a ganz a scheene Wirkung
erzielt. Die sind nur so umgfalln, bitte —
46*
724
Der Oberintendant: Spülts »Braunes Isonzo-
mädel!« (Rufe: Braunes Isonzomädel ! Bravo! Die Musik spielt.)
Die Offiziere (singen mit):
Brau — nes Isonzomädel —
Heiß glüht — dein Auge — mir zu,
Brau— nes Isonzomädel —
Die Schönste — von allen — bist du.
Laß mich — noch einmal — dich küsseen,
Schling dei — ne Arme — um mich,
Süßestes braunes Isonzomädel,
Ich lieb ja — alleine — nur dich.
Der preußische Oberst (summend und nickend):
Ich lieb ja — alleine — nur dich. Einfach süß!
Der Oberintendant (singend):
Doch auch sie — scheute nicht das Kriegs-
gebraus —
Aber das is noch gar nix gegen die dritte Strophen,
wie dann aufs Jahr der Pamperletsch kommt mit
die Guckerln so schwarz wie Mama und mit ein'
Lockenschäderl genau so wie einstens Papa. So a
ganz a glanwunzigs Wuzerl.
Der preußische Oberst: Wuzal? Köstlich!
Na wer war denn der Vater?
Der Oberintendant: Ein gar ein schmucker
Kaiserjägerleutenant! Ein Feschak! Auf die Art wie
der Wowes. Der Wowes solls singen!
Der preußische Oberst: Na sagt mal —
von wem ist doch dies wundervolle Lied?
DerOberintendant: Das is von Egon Schubert!
Der preußische Oberst: Ach natürlich — na
das sollte man eigentlich wissen. Ja, euer Schubert!
Ja, den habt ihr Wiener doch vor uns voraus, da
725
is nischt zu wollen. Ach überhaupt — euer herrliches
Wien! Ja ja! So 'n richtjer Wiener Fiagaa mit seiner
Jummidroschke und mit seinem Heurigen im Prater —
nee, da is nich dran zu tippen. Und die Weana
Waschermadal — ja — kennimus! Auch mal da-
jewesen. Da sangen se immerzu — (er singt und pascht)
Weil ich 'n oller Dreher bin — oder so ähnlich. Da war
noch Vater Strauß in Blüte mit seinen Schwammal —
nee, wie hieß doch gleich das Ding — Schrammal!
Der gute Johann. Na da mag sich auch manches
verändert haben. (Der Qeschützlärm immer schwächer.)
Der diensthabende Generalstabsoffizier:
— Bitte bei Tolmein —
Der deutsche Generalstabsoffizier: Ach,
das war einmal. Da haben wir doch an einem Tach
weit mehr vergast als ihr in 'nem ganzen Jahr! Bei
Ausräuchern von letzten Franzosennestern, weißen und
farbigen Engländern und so. Jawoll — unsre deutsche
Handgasbombe B! Da verspritzt sich die Giftmasse
und erzeugt eiternde Wunden, mit 'ner Absonderung
wie 'n richlichgehender Tripper. (Heiterkeit.) Nanu?
das ist wissenschaftlich einwandfrei festjestellt! Der
Mann ist erst am andern Tach kaputt.
Die Kapelle (spielt und singt zugleich) :
Jessas na —
Uns gehts guat —
Ja, das liegt schon
So im Bluat!
(Die Offiziere repetieren.)
Der General (lallend): Ja — das liegt schon —
(,Der Qeschütziärm ist verstummt.)
Verschiedene Stimmen: Ohai Was is denn?
Was is denn?
Die Kriegsberichterstatter: Was heißt
das — ?
726
DerGeneral (mit brandrotem Kopf, springt auf, schlägt
auf den Tisch): KruzÜ! Ich habe doch ausdrücklich — !!
Das is wirklich nur bei uns möglich — Was — hab ich
derer Bagasch eingeschärft?! (brüllend) Wenn eine
Patrone fehlt, kannibalisch strafen! — Mit kräftigem
Hurra ungestüm auf Gegner stürzen! — Ihm noch auf
kurze Distanz eins unter die Nasen brennen,
dann sofort mit dem Bajonett in die Rippen! —
Ungetreue rücksichtslos niedermachen! — Gewehr
bleibt trotz Handgranate und MG stets bester
Freund der Infanterie! — Offiziere müssen da
hart sein und beste Kräfte herausfordern! —
Und was haben s' gmacht — diese Frontschweine,
diese Fronthunde, diese — diese — (jammernd)
verderben einem alles — der Wottawa! — diese
Schkribler! — Nicht durch den Feind, durch
Hunger! — der Hunger — und da hams angsetzt —
(die Fäuste ballend) da hams zersetzend — aufhängen! —
Ich — war derjenige — ich habs immer voraus-
gesagt, das Unglück unserer Armee wird — selbst
mein Korps mitreißen! — Dieser boden — lose Leicht-
sinn — unausrottbar — nix als fressen und Menscher —
demora — (er bricht zusammen.)
Der diensthabende Generalstabsoffizier
(springt auf): Dadran sind diese Tachinierer schuld
— vorne — diese Frontschv/eine — diese —
Der österreichische Oberst (erwachend) : Was
is denn gschehn?
Der Oberstleutnant: Nix! Gschossen hams
in Ottakring!
Der General: Wo — waren die Maschingwehr
zum Antreiben?! — Wo bleibt unsere artilleristische
Überlegenheit?! — Schufte das!! — Nach einem
vierjährigen beispiellosen Ringen — gegen eine
— vorbildliche — Übermacht — beispielgebend —
unsere glor — (er fällt auf den Stuhl, wimmernd) — also
— da — kommen s' noch — am End — da —
herein —
727
Der preußische Oberst: Nich doch, Exzellenz,
Kopf hoch! Meine Herrn — wir dürfen und können
den Mut nicht sinken lassen — jetzt vor dem End-
sieg — können und dürfen wir erhobenen Hauptes —
Seien Sie überzeugt, meine Herrn, daß es sich nur
um den typischen Anfangsgewinn einer jeden feind-
lichen Offensive handelt — um Bluff und weiter nichts I
Bange machen gilt nicht. Was uns noch immer bleibt,
ist ein strategischer Rückzug — und ein strategischer
Rückzug ist immer 'n Erfolg! (Vereinzelte Hurra- und
Hoch-Rute.) Und davon, daß der Feind unsre seit
Jahren ins Auge gefaßten und seit Tagen ein-
geleiteten Bewegungen nicht hindern werde, bin ich
vorwech überzeugt. Unsre Operationen nehmen
einen planmäßigen Verlauf. Wir haben uns einfach
vom Feinde losjelöst und denn ziehen wir ihn glatt
hinter uns her! Immer feste druff! Die Stimmung der
Truppen ist eine nicht zu überbietende. Meine Herrn,
wir wanken nicht und wir weichen nicht! Je öfter wir
dem Feind Gelegenheit zu Vorstößen geben, umso
mehr Aussicht haben wir, ihn zu zermürben! Das ist
die Taktik, die wir an der Somme erprobt haben. Das
ist dieTaktik, die uns auch am Piave gelingen wird. Nur
jetzt nicht miesmachen! Gott ist mit uns! Wir schaffen
es — und wenn die Welt voll Teufel war! Der Feind
wird — seien Sie des überzeugt, meine Herrn — der
Feind wird an uns wie an einer ehernen Feuermauer —
Der Horizont ist eine Flammenwand. Panikartiger Lärm. Viele
der Anwesenden liegen unter der Tafel. Viele eilen oder
wanken dem Ausgang zu, etliche kehren mit entsetzten und
verzerrten Gesichtern zurück.
Rufe: Was is denn gschehn? — Was — is —
Der General (lallend): Durch — san s' — !
Spielts — weiter —
Alle Lichter sind erloschen. Draußen Tumult. Man hört das
Platzen von Fliegerbomben. Dann tritt Stille ein. Die Anwesenden
schlafen, liegen in Somnolenz oder starren völlig entgeistert
auf die Wand, an der das Tableau >Die große Zeit« hängt und nun
der Reihe nach die folgenden Erscheinungen aufsteigen.
728
Schmaler Bergpfad nach Mitrovica. Schneegestöber.
Zwischen tausenden von Karren eine unübersehbare Menschen-
masse, Greise und Frauen, Kinder, halbnackt, an der Hand der
Mütter, deren manche auch einen Säugling im Arme tragen. Ein
kleiner Junge, an der Seite einer Bäuerin aus dem Moravatal,
streckt sein Händchen aus und sagt:
Tschitscha, daj mi hleba —
Die Szene wird von einem andern Bilde verdrängt. Durch die
Landschaft rast der Balkanzug. Das Tempo verlangsamt sich.
Man sieht den Speisewagen, aus dessen Fenstern sich die
beiden Kriegsberichterstatter beugen, sie scheinen ihren Eben-
bildern im Saal zuzutrinken. Einer ruft:
Es ist doch etwas Schönes um den Krieg —
Nun ist es wieder das andere Bild. Die erschöpften, fast schon
erfrorenen Flüchtlinge liegen auf den eisbedeckten Steinen.
Das Morgenlicht fällt auf eingefallene, blasse Gesichter, in denen
noch das Grauen der verbi achten Nacht steht. Ein Schrei: ein
Pferd stürzt in die Tiefe. Wieder ein Schrei, noch gellender: sein
Führer ist ihm nachgestürzt. Am Wegrand ein zu Tode erschöpftes
Pferd, dort ein Ochse mit heraushängenden Eingeweiden, ein
Mensch mit zertrümmertem Schädel. Der Zug setzt sich in
Bewegung. Entkräftete müde Tiere bleiben zurück. Unbeweglich
stehen sie. Ihr todtrauriger Blick folgt dem Zug. Mit totenblassem
Antlitz, an einen Tannenbaum gelehnt, sitzt eine Bäuerin — es
ist jene aus dem Moravatal — in den Armen einen leblosen
kleinen Körper, zu dessen Häupten, mit zitterndem Licht, eine
kleine Wachskerze brennt.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Eine Garnison. Es spielen sich in jähem Wechsel
die folgenden Szenen ab. Slowakische Bauern, aus der
russischen Gefangenschaft heimgekehrt, zum Teil in Bauem-
kleidern, zum Teil in russischen Uniformen, bitten um
Urlaubsverlängerung wegen des Rückstandes in der Erntearbeit.
Der Kompagniekommandant ordnet die sofortige Einteilung der
Bittsteller in die nächste Marschkompagnie an. Ein Raum wird
729
sichtbar, in welchem zwei junge Heimkehrer, 19 und 21 Jahre
alt, schlafen. Sie werden durch den Lärm des Auftritts geweckt,
der sich nun draußen abspielt. Der Feldwebel nimmt die Ver-
teilung der iWonturen vor. Die Leute verweigern die Übernahme,
verlangen die Vorführung zum Bataillonsrapport. Der Feldwebel
schlägt einige von ihnen und empfängt einen Schlag ins Gesicht.
Die Kasernen mannschaft wird alarmiert, die Gewehre werden
geladen, die Meuternden mit dem Bajonett in den Kasernenhof
getrieben und umzingelt. Der Hauptmann erscheint, alle leisten
seinem Befehl, sich in Reih und Glied aufzustellen, Folge. Jetzt
befinden sich auch die zwei darunter. Er nimmt den Bericht
über den Vorfall entgegen. Niemand weiß, wer den Schlag
versetzt hat. Der Hauptmann greift jeden zehnten heraus, läßt sie
ins Wachzimmer abführen. Dort werden sie geschlagen, liegen mit
Springeisen an den Füßen gefesselt, werden dann in den Garnisons-
arrest gebracht. Das Standrecht wird verhängt. Es folgen die
Verhöre. Sechs werden vor das Standgericht gestellt. Der Arresthof
im Grauen des nächsten Morgens. Die Richter, der Batailions-
kommandant, der Militäranwalt und zwei Geistliche erscheinen.
Ein Tisch und ein Kruzifix werden gebracht. Der Gerichtshof
gruppiert sich um den Tisch, zu beiden Seiten die Geistlichen.
Einer der sechs bekommt bei diesem Anblick einen Herzkrampf,
er stürzt heulend und schäumend zusammen, andere raufen sich
die Haare, toben, zerreißen ihre Kleider. Die Wachmannschaft
sucht sie mit der Versicherung zu besänftigen, daß nur zwei zum
Tode verurteilt würden. Ein Richter verliest die Anklageschrift.
Der Neunzehn- und der Einundzwanzigjährige werden zum Tode
durch Erschießen, die übrigen zu mehrjährigen Kerkerstrafen ver-
urteilt. Der Neunzehnjährige stürzt vor den Vorsitzenden hin auf die
Knie, bittet, von Schluchzen geschüttelt, um Gnade. Er zeigt ein
Medaillon mit dem Bilde seines alten Mütterchens. Sie werde
seinen Tod nicht überleben, man solle ihn ins Feld schicken,
er wolle beweisen, daß er ein braver Soldat ist, er habe während
des Krawalls geschlafen, er sei ganz unschuldig. Der Richter
läßt ihn abführen. Der andere Angeklagte steht totenbleich, aber
aufrecht da. Er spricht die Worte:
Gott weiß, daß ich unschuldig sterbe!
730
Er läßt sich abführen, während die übrigen um ihre
Kameraden weinen. Die Richter begeben sich ins Kasino. Dort
sagt einer von ihnen:
Es is ja ganz klar, daß nur der eine Verheiratete
der Schuldige sein kann. Aber kann man denn an*
Vätern von sechs Kindern erschießen? Da müsset ja
das Ärar für die Hinterbliebenen zahlen! So hat er
sechs Jahr, soviel wie er Kinder hat, und den
Angehörigen von Militärsträflingen kann der staatliche
Unterhaltsbeitrag entzogen wern a no.
Ein zweiter sagt:
Drei andere waren auch verheiratet — also
bleiben nur die zwei jungen Burschen zum Erschießen.
Wern scho was angstellt haben. Tun sie's heut nicht,
täten sie's morgen. Unschuldig hin, unschuldig her —
ein Exempel muß schtatuiert wern.
Nachts im Arrest. Der Jüngere steht mit dem Rosenkranz
betend hinter dem vergitterten Fenster. Die Militärgeisth'chen
erscheinen, um den Delinquenten die letzte Ölung zu erteilen.
Der jüngere heult auf und äußert den Wunsch, noch einmal
seine Mutter zu sehen. Es folgt ein gemeinsames Gebet. Er
erbittet Papier und Bleistift, um seiner Mutter zu schreiben.
Er schreibt. Es ist schon V<9 Uhr. Er erhebt sich.
Mutter!
Er sinkt zusammen. Der andere:
Habe ich deshalb gekämpft, bin ich deshalb
aus Rußland gekommen, daß man mich jetzt wie
einen Schlachtochsen zum Metzger führt? — Man soll
mich binden und tragen! — Bin ich dazu 21 Jahre
alt geworden, um erschossen zu werden? — Macht
es schnell!
Auf dem Weg zum Richtplatz. Er nimmt Abschied
von der strahlenden Augustsonne. Er reißt ein grünes Baumblatt
ab und küßt es inbrünstig. Der Jüngere weint unaufhörlich
um seine Mutter. Auf dem Richtplatz. Alter Burghof
Der Einlaß erfolgt nur gegen Verweis einer Legitimation.
731
Man bemerkt unter den Anwesenden die Spitzen der Behörden,
hohe Offiziere und sonstige Würdenträger mit ihren Damen.
Die besten Gesellschaftskreise der Stadt sind vertreten. Die
Richter, der Bataillonskommandant und die dienstfreien Bataillons-
offiziere nehmen in der Mitte des Karrees Aufstellung. Die
Delinquenten werden vorgeführt. Das Urteil wird verlesen.
Der ältere:
V/enn der Feldwebel so aussagen konnte, ver-
dient er hier zu stehen, um erschossen zu werden.
Sie wollen nicht, daß ihnen die Augen verbunden werden.
Ich fürchte nicht mehr die Kugel.
Die Augen werden ihnen verbunden. Sie knien nieder.
»Feuer!«
Säbelschwenken. Zwei Leichen im Gras. Der Hauptmann
kommandiert zum Gebet. Alle salutieren. Einer der Priester, mit
Offizierskappe und goldener Distinktion am Arm, hält eine Rede,
zeigt mit erhobener Rechten auf eine Standarte und blickt ver-
klärt gen Himmel auf das Habsburgerwappen über dem Tor.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Kragujevac. In zwei parallelen Reihen sind je 22 Gräber
aufgeworfen. Davor knien 44 Heimkehrer älterer Jahrgänge, mit
Tapferkeitsmedaillen aller Grade. Bosniaken schießen auf zwei
Schritt Entfernung. Ihre Hände zittern. Die erste Partie wälzt
sich am Boden. Keiner ist tot. Man setzt ihnen die Gewehr-
läufe an den Kopf. Offiziersmesse. Der Oberauditor erhebt das
Glas und spricht, indem er seinem Ebenbild im Saal zutrinkt,
die Worte:
Weißt, ich hätt auch dreihundert hinrichten
lassen. Trunkenheitsexzesse können nicht geduldet
werden. Ich habe den Leuten den ehrenvollen Tod
durch Erschießen ausnahmsweise bewilligt.
(Die Erscheinung verschwindet.)
732
Der Hauptmann Prasch steht vor seiner Deckung, gsnz
mit Blut bestrichen, er hält über seinem Kopf einen Kopf, den er
auf einen Stock gespießt hat. Er spricht:
Das ist mein erster italienisciier Gefangener, mit
meinem eigenen Säbel habe ichs getan. Meinen
ersten russischen Gefangenen habe ich vorher martern
lassen. Am liebsten gehe ich auf Tschechen. Ich bin
ein gebürtiger Grazer. Wer mir in Serbien begegnet
ist, den habe ich auf der Stelle niedergeknallt.
Zwanzig Menschen, darunter Zivilisten und Gefangene,
habe ich mit eigener Hand getötet, mindestens
hundertfünfzig habe ich erschießen lassen. Jeden
Soldaten, der sich beim Angriff verspätet oder
während des Trommelfeuers versteckt hat, habe ich
eigenhändig niedergeknallt. Ich habe meine Unter-
gebenen immer ins Gesicht geschlagen, sei es mit
dem Stock, sei es mit der Faust. Aber ich habe
auch viel für sie getan. In Serbien habe ich ein
serbisches Mädchen vergewaltigt, aber dann den
Soldaten überlassen und am nächsten Tag das
Mädchen und seine Mutter auf einem Brückengitter
authängen lassen. Die Schnur riß und das Mädchen
fiel noch lebend in das Wasser. Ich zog meinen
Revolver und schoß auf das Mädchen so lange, bis
es tot unter dem Wasser verschwand. Ich habe
stets meine Pflicht erfüllt, bis zum letzten Hauch
von Mann und Roß. Ich wurde ausgezeichnet und
befördert. Ich war stets auf dem Posten. Der Krieg
erfordert ein straffes Zusammenfassen aller Kräfte.
Man darf den Mut nicht sinken lassen. Kopf hoch!
(Er hebt den Stock höher.)
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein Ulanenoberleutnant läßt einen Popen an den Steig-
bügel eines Ulanen binden. Man zieht ihm den Mantel aus.
Sie werden ihren Mantel kaum mehr brauchen.
Der Reiter entfernt sich in leichtem Trab.
(Die Erscheinung verschwindet.)
733
Winter in den Karpathen. Ein Mann an einen Baum
gebunden. Er wird losgebunden und bricht ohnmäcntig zusammen.
Der Kompagnieführer tritt ihn mit dem Stiefelabsatz und weist
auf ein Erdioch, zu dem ihn Soldaten tragen.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Flucht. Es regnet. Der General der Tafelrunde sitzt im
Automobil und gibt Auftrag, einem Verwundeten das Zeltblatt
von der Tragbahre wegzunehmen und über seinen Wagen zu
breiten. Er winkt seinem Ebenbild zu und fährt ab.
(Die Erscheinung verschwindet.)
An einem Rübenfeld in Böhmen. Zwei Kinder tragen
einen Kindersarg zum Friedhof. Sie lassen den Sarg fallen. Sie
schleppen die Leiche, die im Feld liegt, wieder zum Sarg und
setzen dann ihren Weg fort.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Neben einer Brotfabrik ein Haufen von Schutt, Schlacken
und Betriebsabfällen. Halbverhungerte Kinder suchen nach Brot-
krumen. Sie finden ein Schrapnell. Sie spielen damit. Es explodiert.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Hängeallee in Neusandec. Kinder schaukeln und drehen
die Leichname.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Eine Frau, die Kartoffeln gekauft hat, wird von anderen
Personen, die nichts mehr bekommen haben, erschlagen. Sie
treten auf der Leiche herum.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Auf einem Geleise steht ein Lastzug: die Wohnstatt eines
schmutzigen Menschenhaufens; es sind Flüchtlinge, darunter
schwangere Frauen, sterbende Greise, kranke Kinder.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Vor einer Hütte in Wolhynien. Ein Bauer mit seinem
Schäferhund. Ein Soldat kommt des Weges und verwundet den
Hund durch einen Bajonettstich.
(Die Erscheinung verschwindet.)
734
Trinkgelage von Offizieren. Ein Leutnant ersdiießt eine
Kellnerin,
(Die Erscheinung verschwindet.)
Gefechtspause an der Drina, Ein serbischer Bauer holt
Wasser. Gegenüber steht und zielt ein Leutnant. Er schießt ihn ab.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Karfreitag in einer Pariser Kirche. Ein Geschoß aus der
120 Kilometer-Kanone schlägt ein.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ostersonntag. Russische Gefangene, die sich geweigert
haben, Stellungsarbeiten im feindlichen Feuer auszuführen, ver-
richten ihr letztes Gebet.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Sterbende am Drahtverhau vor Przemysl.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Nahkampf und Ausputzen in einem Graben.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein Schulzimmer, in das eine Fliegerbombe fällt.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein Soldat wird aus einer Erdmasse emporgezogen. Sein
Gesicht ist blutüberströmt. Er breitet die Arme aus. Seine Ai-gen
sind erloschen.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein Verbandplatz, auf den eine Fliegerbombe fällt.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Minenexplosion. Ein Soldat reckt seine blutigen Arm-
stümpfe in die Richtung des Saales.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Doppelbild: Ein deutscher Offizier, der einen um sein
Leben flehenden französ'schen Gefangenen niederschießt. Fin
französischer Offizier, der einen um sein Leben flehenden
deutschen Gefangenen niederschießt.
(Die Erscheinung verschwindet.)
735
Somme-Wüste. Brände. Rauchschwaden wie Riesentrauer-
fahnen. Gebäude stürzen ein. Brunnen werden von Pionieren
gesprengt und verschüttet. Evakuierung. Alte Leute werden aus
ihren Häusern gejagt. Vor Kälte zitternde Menschen auf dem
Versammlungsplatze. Frauen fallen vor Offizieren auf die Knie.
Abtransport in die Zwangsarbeit.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Einäscherung der Meierei Sorel bei Loison und Verbrennung
von 250 dort befindlichen Verwundeten.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Versenkung eines Spitalschiffes.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Longuyon mit Petroleum-Eimern in Brand gesetzt, Häuser
und die Kirche geplündert. Verwundete und kleine Kinder
verbrennen.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Flandern. In einer ausgeplünderten Hütte sitzt vor einem
Kessel eine Gasmaske. Auf ihrem Schoß eine kleinere Gasmaske.
(Die Erscheinung A^erschwindet.)
Es erscheint das Pferd, auf dessen Rücken die Torm der
Qeschützlast blutig eingezeichnet ist.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Winter auf Asinara. Gefangene nehmen den an Cholera
verstorbenen Kameraden die Kleider ab. Hungernde essen das
Fleisch von Verhungerten.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Baracke in Sibirien. Ergraute Männer, ganz unterernährt,
barfüßig, in zerfetzten Uniformen, kauern auf der Erde, starren
wie mit ausgehöhlten Augen ins Weite. Einige schlafen,
einige schreiben, einige exerzieren mit Schaufeln und machen
Gewehrgriffe.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Tausende von Kreuzen in einem Schneefeld.
(Die Erscheinung verschwindet.)
736
Ein Schlachtfeld. Trichter und Kavernen. Spazierwege
durch die noch stehenden Drahtverhaue. Luxusautomobile treffen
ein. Die Touristen zerstreuen sich in Gruppen, photographieren
sich gegenseitig in heroischen Stellungen, parodieren Feuersalven,
lachen und stoßen Schreie aus. Einer hat einen Schädel gefunden,
steckt ihn auf das Ende seines Spazierstockes und bringt ihn
mit triumphierendem Gesicht. Ein Trauernder tritt dazwischen,
nimmt den Fund an sich und begräbt den Schädel.
(Stöhnen der Schlafenden, Die Erscheinung verschwindet.)
Nun kommt ein Zug von Gasmasken, die vor den im Saale
Anwesenden Front machen und sich der Tafel zu nähern scheinen.
Die Gasmasken:
Gesegnete Mahlzeit, wir stecken den Rüssel
aus purer Neugier in fremde Speise.
Denn unsre leider war nicht geraten.
Wir hatten heute nur auf der Schüssel,
und zubereitet auf deutsche Weise,
Dörrgemüse mit Grünkreuzgranaten.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Bei der vordersten Linie in den Karpathen. Es ist alles
ruhig. In den Schützengräben stehende Leichname. Mann neben
Mann, das Gewehr im Anschlag.
Die erfrorenen Soldaten:
Kalt war die Nacht.
Wer hat diesen Tod erdacht!
Oh die ihr schlieft in Beiten —
daß euch das Herz nicht bricht!
Die kalten Sterne retten uns nicht.
Und nichts wird euch erretten!
(Die Erscheinung verschwindet.)
161
Ein alter serbischer Bauer schaufelt sein Grab.
Der alte serbische Bauer:
Wir standen rings um unsere Truh.
Soldaten schrieen auf uns zu.
Wir hatten nichts mehr. Sie wollten was haben.
Drum muß ich jetzt meine Grube graben.
Wir waren arm, wir waren nackt.
Uns selber haben sie angepackt.
Sie stellten die Kinder mir an die Wand,
sie haben sie mir vorausgesandt.
Verbrannt ist mein Feld, verbrannt mein Hab.
Nun grabe ich mir das eigene Grab.
Schon rufen die Kinder — ich komme gleich!
Herr, hilf mir in das Himmelreich!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Der Kronprinz bei den Flammenwerfern der 5. Armee.
Zur Begrüßung des Kronprinzen wird durch Flammer: ein >\V«
gebildet.
Die Flammen:
Wir sind die Flammen! Es waren verloren
in unsrer Höllenqual
viele, die Mütter in Schmerzen geboren.
Wir sind ein Initial!
Oh W der Zeit! Weh diesem blutigen Tropf!
Er hatte nichts im Sinn,
er führte was im Schilde. .
So mähte er die Menschheit hin.
Geschaffen nach Teufels Ebenbilde,
Hat er vorm Kopfe einen Totenkopf 1
(Die Erscheinung verschwindet.)
Die letzten Tage der Menschheit. 47
738
Zwöifhundert Pferde tauchen aus dem Meer, kommen ans
Land und setzen sich in Trab. Wasser strömt aus ihren Augen.
Die zwölfhundert Pferde:
Wir sind da, wir sind da, wir sind da, wir sind da —
wir sind da, die zwölfhundert Pferde!
Die Dohna'schen Pferde sind da, Dohna, da —
wir stiegen empor zu der Erde.
Oh Dohna, wir suchen dich auf im Traum.
Uns wollte der Platz nimmer taugen.
Wir hatten kein L.icht, zu viel Wasser hat Raum
in zweimal zwölfhundert Augen.
Graf Dohna umgeben von zwölf Vertretern der Presse.
Plötzlich stehen statt ihrer zwölf Pferde da. Sie dringen auf ihn
ein und töten ihn.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Eine altertümliche Erfinderwerkstatt.
Lionardo da Vinci:
wie und warum ich nicht meine Art
schreibe, unter dem Wasser zu bleiben, solang' ich
bleiben kann; und dies veröffenthche ich nicht oder
erkläre es wegen der bösen Natur der Menschen,
welche Art sie zu Ermordungen auf dem Grund des
Meeres anwenden würden, indem sie den Boden der
Schiffe brächen und selbige mitsamt den Menschen
versenkten, die drinnen sind
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein süßer Ton erklingt. Meeresstille nach dem Untergang
der Lusitania. Auf einem schwimmenden Brett zwei Kinderlcichen.
Die Lusitania-Kinder:
Wir schaukeln auf der Welle —
wir sind nun irgendwo —
wie ist das Leben helle —
wie sind die Kinder froh —
r (Die Erscheinung verschwindet)
739
Z'rei Kriegshutide, vor ein Maschinengewehr gespannt.
Die Kriegs hunde:
Wir ziehen unrecht Gut. Und doch, wir ziehn.
Denn wir sind treu bis in die Todesstund.
Wie war es schön, als Gottes Sonne schien!
Der Teufel rief, da folgte ihm der Hund.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein toter Wald. Alles ist zerschossen, abgehauen und
abgesägt. Hüllenloses Erdreich, aus dem sich nur ab und zu
ein paar kranke Bäume erheben. Zu Hunderten liegen noch die
gefällten, entästeten, zersägten Stämme mit halb schon verwitterter
Rinde am Boden herum. Eine zerfallene Feldbahn führt quer
hindurch.
Der tote Wald:
Durch eure Macht, durch euer Mühn
bin ich ergraut. Einst war ich grün.
Seht meine jetzige Gestalt.
Ich war ein Wald! Ich war ein Wald!
Der Seele war in meinem Dom,
ihr Christen hört, ihr ewges Rom!
In meinem Schweigen war das Wort.
Und euer Tun bedeutet Mord!
Fluch euch, die das mir angetan!
Nie wieder steig ich himmelan!
Wie war ich grün. Wie bin ich alt.
Ich v/ar ein Wald! Ich war ein Wald!
(Die Erscheinung verschwindet.)
47
740
Ein Oberst läßt eine dalmatinische Frau mit ihrem zwölf-
jährigen blonden Knaben festnehmen. Während die Frau weggezerrt
wird, gibt er den Auftrag, dem Knaben in den Kopf zu schießen.
Er steht rauchend dabei, indes Soldaten auf den Händen des
Kindes knien und die Exekution vollzogen wird.
Die Mutter:
Daß nie, durch alle Tage, die ihr schändet,
sich euer Blick von diesem Bilde wendet!
Und seid am Ende ihr der Höllenfahrt,
bleib' euch erst dieser Anblick aufgespartl
Die Splitter dieser edlen Kinderstiin,
sie bohren sich in euer Herz und Hirn!
Lebt lang und ewiger Begleiter sei
durch eure Nächte dieser Mutterschrei!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ins Fiebrige verzerrte Heurigenmusik setzt ein. Die Hin-
richtung Battistis. Lachende Soldaten umstehen den Leichnam,
Neugierige recken die Hälse. Die Hände über dem Haupt des
Toten der fidele Scharfrichter.
Das Österreichische Antlitz:
Aus Tod wird Tanz,
aus Haß wird Gspaß,
aus Not wird Pflanz,
was is denn das?
Is alles stier,
is's einerlei,
denn mir san mir
und a dabei.
Ein guter Christ
sagt: Kinder bet's,
und Henker ist
man nur aus Hetz.
(Die Erscheinung verschwindet.)
741
Die Klänge erheben sich während des folgenden Phantoms
zu furchtbarer Musilc. Auf dem Monte Gabriele. Zu einem hohen
Haufen geschichtet unbegrabene, halb verweste Leichen. Ein
Schwärm von Raben umkreist krächzend die Beute.
Die Raben:
Immer waren unsre Nahrung
die hier, die um Ehre starben.
Aber eure Herzenspaarung
macht, daß Raben nimmer darben.
Wir, die wir uns nie bewarben,
Nahrung haben wir erworben.
Ihr nicht, wir nicht dürfen darben,
euch und uns sind sie verdorben.
Ihr und wir vom Siege schnarren,
wenn die Opfer sich vermehren,
weil im Reiche rings die Narren
eurem, unsrem Ruf nicht wehren.
Waren Generale Raben,
schnarrts von Phrasen dort im Saale.
Draußen sind sie unbegraben,
da sind Raben Generale!
Dürft getrost die Schlacht verlieren,
wir und ihr in keinem Falle
müssen uns vor uns genieren,
Kriegsgewinner sind wir alle!
Ja wir sind noch sehr lebendig,
wir sind beide noch die Alten,
und wir freuen uns unbändig,
diese Kriegszeit durchzuhalten.
Während ihr zum Fraß vereinigt,
brauchen wir nicht zu entbehren.
Hunger hat uns nie gepeinigt,
seit wir folgen euren Heeren.
742
Hunger würd' uns nimmer munden,
und wir stürben an der Schande,
und wir sind euch sehr verbunden,
daß wir nicht im Hinterlande.
Dort ist wahre Not, die Greise
und die Kinder dort verderben,
weil hier auf die andre Weise
uns zum Trost die Männer sterben.
Eure Schlachtbank läßt nie darben
ihre angestellten Kunden.
Raben haben, seit sie starben,
immer Nahrung noch gefunden.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Die Musik, völlig abgedämpft, begleitet das nun einsetzende
Schauspiel, um allmählich zu verstummen. Ein unübersehbarer
Aufzug von bleichen Frauen marschiert vorüber, flankiat von
Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett.
Die weiblichen Hilfskräfte:
Wir, die Wehrmacht zu entzücken,
eingerückte Heereshuren,
kehren nunmehr euch den Rücken
als Brigade der Lemuren.
Opfernd heldischem Verlangen,
angesteckt von eurem Mute,
Rosen blühn uns auf c'en Wangen
und die Syphilis im Blute.
Blut und Tränen, Wein und Samen
flössen euch zum Bacchanale,
und was wir von euch bekamen
tragen heim wir zum Spitale.
743
So verabscheut sind wir heute,
denn uns schlottern die Gewänder,
und wir schleppen unsre Beute
in die fernen Hinterländer.
Doch wir wachsen durch die Zeiten!
Einstens rast ein Landsturm, brausend,
alle Menschheit zu bestreiten,
durch ein schauderndes Jahrtausend!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Nun erfüllt ein phosphoreszierender Schein den Saal.
Der ungeborne Sohn:
Wir, der Untat spätere Zeugen,
bitten euch, uns vorzubeugen.
Lasset nimmer uns entstehn!
Wären eurer Schmach Verräter.
Woll'n nicht solche Heldenväter.
Ruhmlos möchten wir vergehn!
Wehlust irdischen Getues!
Liebend hinterläßt die Lues
mir mein Vater, dieser Schuft.
Ruft uns nicht in diese Reiche!
Wir entstammen einer Leiche.
Ungesund ist hier die Luft.
(Der Schein erlischt. 'i
Völlige Finsternis. Dann steigt am Horizont die Flammen-
wand empor. Draußen Todesschreie.
Epilog
DIE LETZTE NACHT
tny
Schlachtfeld. Trichter. Rauchwolken. Sternlose Nacht. Der
Horizont ist eine Flammenwand. Leichen. Sterbende. Männer
und Frauen mit Gasmasken tauchen auf.
Ein sterbender Soldat
schreiend
Hauptmann, hol her das Standgericht!
Ich sterb' für keinen Kaiser nicht!
Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!
Bin tot ich, salutier' ich nicht!
Wenn ich bei meinem Herren wohn',
ist unter mir des Kaisers Thron,
und hab' für sein Geheiß nur Hohn!
Wo ist mein Dorf? Dort spielt mein Sohn.
Wenn ich in meinem Herrn entschlief,
kommt an mein letzter Feldpostbrief.
Es rief, es rief, es rief, es rief!
Oh, wie ist meine Liebe tief!
Hauptmann, du bist nicht bei Verstand,
daß du mich hast hieher gesandt.
Im Feuer ist mein Herz verbrannt.
Ich sterbe für kein Vaterland!
Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht!
Seht, wie der Tod die Fessel bricht!
So stellt den Tod vors Standgericht!
Ich sterb', doch für den Kaiser nicht!
750
Weibliche Gasmaske
nähert sich
Soviel icii seh', fiel hier ein Mann mit Gottes Willen.
Auch unsereins hat seine Pflicht hier zu erfüllen.
In dieser ernsten Zeit gibts keinen Zeitvertreib.
Das Kleid ist nicht der Mann, doch ist's auch nicht
das Weib.
In Not und Tod und Kot gibt es die gleichen Rechte.
Wo kein Geschlecht, gereicht's zur Ehre dem
Geschlechte.
Männliche Gasmaske
stellt sich gegenüber
Nur daß dein Gesicht
sich an meines gewöhne!
Ich kenne dich nicht,
du Maske, du schöne I
Erfüllt von dem Grauen,
erfüllend die Pflicht,
sollen wir uns nicht schauen,
wir kennen uns nicht.
Uns gilt nur die Sache,
hier gilt es zu kämpfen,
es droht uns die Rache
mit giftigen Dämpfen.
Der Himmel spuckt Flammen,
verzischend im Blute.
So gehn wir zusammen
auf diese Redoute.
Fernes Trommelfeuer
751
Weibliche Gasmaske
Gesicht und Geschlecht
verbietet die Pflicht.
Wir haben kein Recht
auf Geschlecht und Gesicht.
Das Leben verbracht
zwischen Leichen und Larven —
mir tönt diese Nacht
wie Hörner und Harfen!
Beide
Arm in Arm
Wir haben kein Recht
auf Geschlecht und Gesicht,
Gesicht und Geschlecht
verbietet die Pflicht.
Sie verschwinden.
Zwei Generale auf der Flucht, in einem Automobil
General
(Sprechgesang)
Da kann man nicht weiter,
die Erde hat Risse,
da gibts spanische Reiter
und sonst Hindernisse.
Die Schlacht hat nunmehr
eine Wendung genommen,
wir sind bis hieher
nach vorne gekommen.
752
In unsere Jahr'
da is nicht zu spaßen,
wir sind in Gefahr,
das Leben zu lassen.
Nicht wanl^en und weichen
die Mannschaften ziert.
Fahren S' über die Leichen,
sonst sind wir petschiert!
Was hat denn der eine,
der hat keinen Kopf,
dem fehlen die Beine,
und am Rock fehlt a Knopf!
Das is ein Skandal,
da werd' ich leicht schiech,
Sie toter Korpral,
adjustieren Sie sich!
Das is doch zuwider,
da krieg' ich ein' Pik,
ah, da legst di nieder —
hörn S', jetzt is doch Krieg!
Der hört nicht. Herstellt!
Sie, was machen S' denn dort
mir San doch im Feld!
Sie gehn zum Rapport!
Das is doch verboten,
die Wirtschaft hier vorn!
Fahren S' über die Toten,
sonst sind wir verlorn!
Sie fahren ab. Es tagt.
753
Zwei Kriegsberichterstatter im Automobil, sie steigen aus.
Breeches, Feldstecher, Kodak
Ersier Kriegsberichterstatter
Icii finde es gut,
hier stehen zu bleiben.
Ich habe den Mut,
diese Schlacht zu beschreiben.
Zweiter Kriegsberichterstatter
Ja, hier wie mir scheint
kann noch etwas geschehn.
Der Punkt ist vom Feind
sehr gut eingesehn.
Der erste
Hier liegen die Helden,
hier ist es bewegt,
und wenn wir es melden,
es Aufsehn erregt.
Der zweite
Es imponiert ja doch allen,
authentisch mit Bildern,
ist einer gefallen,
die Stimmung zu schildern.
Der erste
Wir sind gern informiert
von besonderen Seiten.
Was mich intressiert,
sind die Einzelheiten.
Er tritt an einen sterbenden Soldaten heran.
Die letzten Tage der Menschheit. 48
754
Der zweite
Sie, machen S' zum End'
ein verklärtes Gesictit!
Ich brauch' den Moment,
wo das Aug Ihnen bricht.
Der erste
Sie sind doch gescheit —
solang Sie am Leben,
ist hinreichend Zeit,
eine Schilderung zu geben.
Der zweite
Was haben Sie empfunden,
was haben Sie sich gedacht,
wir brauchen die letzten Stunden,
wie war denn die Schlacht?
Der erste
Schaun S', das wird goutiert,
auf Details ich schon spitz',
und Ihr Heldentod wird
eine schöne Notiz.
Der zweite
Dieses Detail schon allein
hat für das Blatt seinen Reiz,
und der Chef gibt mich ein
für das Eiserne Kreuz.
755
Der Sterbende
Geschwinde — geschwinde —
seht, wie ich — mich — winde —
verbinde, Herr Doktor —
verbinde, verbinde!
Seit so vielen Stunden —
mit so vielen Wunden —
sie bluten, sie bluten —
sie sind nicht verbunden.
Kur noch wenig Minuten —
laßt mich doch nicht verblu'.en —
verbindet geschwinde,
ihr müsset euch sputen.
So seht doch — wie mir schon —
der Atem — entschwindet —
geschwinde — Herr Doktor —
verbindet, verbindet!
Der erste Kriegsberichterstatter
Der erzählt nichts — zu peinhehl
Der wird immer verstockter.
Er hält mich wahrscheinlich
für einen Dokter!
Der zweite
Krieg ist Krieg — hör'n S', ich hust',
unsere Pflicht hier ist schwer,
über Ihre zerschossene Brust
sag' ich nur c'est la guerre.
48
756
Der erste
Denn Wunden verbinden,
das hab' ich nicht studiert,
aber für Eindrücke finden
wer'n wir honoriert.
Der zweite
Die Stimmung zu melden,
das ist unser Brot.
Einen schweigsamen Helden,
den schweigen wir tot.
Wenden sich zur Abfahrt.
Der Sterbende
Mein Weib — ach — ich — bitt —
das ist — eine Qual —
so — nehmen S' mich mit —
bis zum — nächsten — Spital!
Der erste Kriegsberichterstatter
Das ist doch gediegen —
was der von mir will!
So bleiben Sie doch liegen
und halten Sie still!
Der zweite
Für einen Gemeinen
ist das eine Ehr'!
Ihr Bild wird erscheinen,
was wollen Sie mehr!
Der erste
Wenn ich Ihnen garantier',
es erscheint ein Bericht!
Ich war vor dem Tod hier,
so schaun S' mir ins Gesicht!
757
Der zweite
Er sagt nichts darauf.
Ich glaub', es wird gehn.
So nehm' ich ihn auf —
man wird doch da sehn.
Er photographiert.
Der erste
So sein S' doch nicht fad,
es soll stimmungsvoll sein.
Uns fehlt der Kurat,
Sie sind leider allein.
Der zwe i te
Das war' ein Effekt,
dem Abonnenten zu zeigen,
den Priester direkt
über den Helden sich neigen I
Der erste
Wir sind doch intim,
er tät's mir zu Liebe,
weil ja schließlich auch ihm
eine Reklam dabei bliebe.
Der zweite
Wo man ihn ja einmal braucht,
ist er natürlich beim Teufel.
Das ist trostlos ... Es raucht!
Nur ein Blindgänger, kein Zweifell
758
Der erste
Geh' mr! Hier is stier,
liier is doch nix los.
Gehn wir ins Pressequartier
vor dem Gegenstoß.
Der zweite
Der würde mich nicht
im geringsten tuschieren,
ich kann bloß bei dem Licht
nicht photographieren.
Der erste
Sie, hier wie mir scheint
kann noch was geschehn,
der Punkt ist vom Feind
zu gut eingesehn!
Der zweite
Es lohnt nicht zu bleiben.
Bin ich ein Held?
Also was soll man schreiben?
Ein Erlebnis im Feld!
Sie fahren ab.
Ein Feldwebel jagt mit dem Revolver einen Zug vor sich her
Feldwebel
Marsch! Ich wer' euch lehrn hier herumtachiniern!
Fürs Vaterland stirbts, oder ich laß euch krepiern!
Was glaubts denn, i wer's euch schon einigeignen!
Jetzt schießts auf den Feind, oder ich schieß auf
die Eignen!
Sie verschwinden.
759
Ein Erblindeter
tastet sicli kriechend vorwärts
So, Mutter, Dank! So fühl' ich deine Hand.
Oh, sie befreit von Nacht und Vaterland!
Ich atme Wald und heimatliches Glück.
Wie führst du mich in deinen Schoß zurück.
Nun ist der Donner dieser Nacht verrollt.
Ich weiß es nicht, was sie von mir gewollt.
O Mutter, wie dein guter Morgen thaut!
Schon bin ich da, wo Gottes Auge blaut.
Er stirbt.
Die Kriegsberichterstatterin
erscheint
Hier ist er, das Suchen hat sich gelohnt,
hier find' ich den einfachen Mann an der Front!
Ein Verwundeter
tastet sich kriechend vorwärts
Fluch, Kaiser, dir! Ich spüre deine Hand,
an ihr ist Gift und Nacht und Vaterland!
Sie riecht nach Pest und allem Untergang.
Dein Blick ist Galgen und dein Bart der Strang!
Dein Lachen Lüge und dein Hochmut Haß,
dein Zorn ist deiner Kleinheit Übermaß,
der alle Grenze, alles Maß verrückt,
um groß zu sein, wenn er die Welt zerstückt.
Vom Rhein erschüttert ward sie bis zum Ganges
durch einen Heldenspieler zweiten Ranges!
Der alten Weit warst du doch kein Erhalter,
gabst du ihr Plunder aus dem Mittelalter.
Verödet wurde ihre Phantasie
von einem ritterlichen Weltkommis!
760
Nahmst ihr das Blut aus ihren besten Adern
mit deinen Meer- und Luft- und Wortgeschwadern.
Nie würde sie aus Dreck und Feuer geboren!
Mit deinem Gott hast du die Schlacht verloren 1
Die offenbarte Welt, so aufgemacht,
von deinem Wahn um ihren Sinn gebracht,
so zugemacht, ist sie nur Fertigware,
mit der der Teufel zu der Hölle fahre!
Von Gottes Zorn und nicht von seinen Gnaden,
regierst du sie zu Rauch und Schwefelschwaden.
Rüstzeug des Herrn! Wir werden ihn erst preisen,
wirft er dich endlich zu dem alten Eisen!
Komm her und sieh, wie sich ein Stern gebiert,
wenn man die Zeit mit Munition regiert!
Laß deinen Kanzler, deine Diplomaten
durch dieses Meer von Blut und Tränen waten!
Fluch, Kaiser, dir und Fluch auch deiner Brut,
hinreichend Blut, ertränk sie in der Flut!
Ich sterbe, einer deutschen Mutter Sohn.
Doch zeug' ich gegen dich vor Gottes Thron!
Er stirbt.
Ein Totenkopfhusar mit Gefolge erscheint.
Der Totenkopfhusar
Schnedderereng, schnedderedeng!
Die Luft hier ist mein Leibparfeng.
Wir sind die Totenkopfhusaren,
in unsrem Handwerk wohlerfahren.
Wir haben eine schlanke Tallie,
ich lasse stürmen die Kanaille.
Hält man von außen uns für Puppen,
vom Auge fall'n dem Feind die Schuppen.
Denn nimmermehr läßt an die Wimpern
ein Totenkopfhusar sich klimpern!
Jetzt sollen mal die Jungens ran
und jeder zeigen, v/as er kann,
761
sie sollen, denn wer wagt gewinnt,
jetzt zeigen, was sie imstande sind.
Seit damals, seit dem Tag der Marne,
ich täglich vor Erschlaffung warne.
Wir müssen warten vor Werdeng.
Schnedderedeng, schneddererengl
Schnedderedeng, schneddercreng!
Mein Mieder wurde mir zu eng.
Mein Vater ist ein zahmer Panther;
in dem Punkt bin ich viel gewandter.
Ich bin ein junger Jaguar,
dss Vaterland ist in Gefahr.
Mein Bart ist britisch zugestutzt;
zu wenig Mörser sind verputzt.
In Frankreich lebt es sich nicht leicht;
es ist bei weitem nicht erreicht!
Solang man jung, solang man jung,
braucht man noch mehr Betätigung.
Doch eh ich opfere die Garde,
soll ins Quartier mein Lieblingsbarde.
Schlag zwölf ist Sturm, glock fünf ist Vesper,
den einzigen Reim drauf weiß mein Presber.
Denn Kunst ist h«iter, Dienst ist streng.
Schneddercreng, schnedderedeng!
Die üruppe verschwindet.
Man hört einen Marsch. Nowotny von Eichensieg tritt auf.
Nowotny von Eichensieg
Ja aus Flak und Dag
und aus Rag und aus Kag
bezieh jeden Tag ich das Menschenpack.
Auch das Hinterland
an die Front wird gesandt.
Wer sich nicht ermannt, der gspürt meine Hand.
1
762
Dem gemeinen Mann
tu ich an, was ich kann.
Gott weiß es allein, was liegt daran.
Wer hier tachiniert,
wird zurückinstradiert
und wird aufgehängt oder eingespirrt.
Wer verdächtig war
oder gar Deserteur,
den schick ich zurück auf das Feld der Ehr.
Wer an Bauchschuß hat
und er steht mir nicht grad,
der stirbt mir zur Straf als a Frontsoldat.
Denn hier ist mein Reich
und mir ist alles gleich
und bevor einer stirbt, is er schon eine Leich.
Und hier ist man gesund,
sagt der Stabsarzt und
der Mensch is im Grund nur a A-Befund.
Ja da gibts keine Wahl,
hier entscheidet die Zahl,
überall is a Menschenmaterial.
Ab.
Der Doktor-Ing. Abendrot aus Berlin erscheint.
Doktor-Ing. Abendrot
Um endlich den endlichen Endsieg zu kriegen,
und dann also endlich unendlich zu siegen,
greift ungebrochne strategische Kraft
in die letzten Reserven der Wissenschaft.
763
Was half uns die Kunst unsrer Bombenwericr?
Und das Gas, noch so scharf, macht das feindliche
schärfer.
Oft wurde das Anbot von unseren Gasen
in unsre Linien zurückgeblasen.
Bei immer wieder vergebnem Beginnen
muß Wissenschaft endlich auf Abhilfe sinnen.
Da Not bekanntlich das Eisen zerschlagen,
das man einst für Gold uns hat angetragen,
so warfen wir es zum Eisen, zum alten,
um mit unserm Ingenium durchzuhalten.
Als Ritter vom Geist greifen wir noch zum Schwert,
wenn sich längst schon der Flammenwerfer bewährt,
und sind entschlossen, mit Dünsten und Dämpfen
und Minen bis aufs Messer zu kämpfen.
Den Wortschmuck beziehen wir gern für die Tat
aus der Zeit, wo es die noch gegeben nicht hat,
und sind selbst heut in Turnieren befangen,
wo wir längst schon die chlorreichsten Siege errangen.
Mit allen Schikanen der chemischen Kraft
kämpft der Deutsche im Geiste der Ritterschaft.
Nun gilt es in diesen romantischen Tagen
ein Letztes noch in die Schanze zu schlagen.
Der vielen Wunder aus deutschen Mären
wir bringen das radikalste zu Ehren,
und zu widerlegen die Mär von den Hunnen,
griffen wir tief in den deutschen Märchenbrunn'^n.
Der Erzähler bin ich, denn ich bin der Erfinder ;
bestimmt ist's für ungehorsame Kinder,
die immer noch glauben, wir sei'n die Barbaren,
wiewohl wir elektrotechnisch verfahren.
Das praktische Märchen, das poetische Mittel,
es trägt nach meinem Namen den Titel :
ich stelle mich vor, bin Herr Abendrot
aus Berlin und leuchte zu frühem Tod.
Es war einmal, so will ich beginnen
mir meine Hörerschaft zu gewinnen,
764
es war einmal eine Lungenpest,
so böse, daß kaum sich's beschreiben läßt.
Doch hat sie die Wissenschaft längst begraben,
und wo man sie brauchte, war sie nicht zu haben.
So hilft ihr die Wissenschaft wieder empor,
denn sie hat für strategische Wünsche ein Ohr.
Sie verhalf schon zu allen den Surrogaten,
die uns das Leben ersetzen, den Kaffee, den Braten.
So ersetz'n wa einfach, m. w., auch den Tod
durch das praktische Mittel Abendrot.
Mit unseren ausgesuchtesten Gasen
jagten wir aus dem Feld nur die falschen Hasen.
Doch fortan, kein Hase bleibt auf dem Platz,
dank unserem Lungenpestersatz!
Die Welt in Spital oder Friedhof zu wandeln,
mußten wir oft zu geräuschvoll handeln.
Nun hoffen wir die Position uns zu stärken,
denn der Feind wird jetzt sterben, ohne selbst es
zu merken.
Ein Druck auf den Knopf wird fürder genügen,
über zehntausend feindliche Lungen zu siegen.
Man lebt auf Sandalen und nicht mehr auf Sohlen,
doch der Tod wird sein Opfer geräuschloser holen.
Man hat mich berufen, meine Kunst zu erproben.
So soll nun das Werk seinen Meister loben!
Die Miesmacher wollten den Endsieg uns rauben,
nun werden sie doch an ein Wunder glauben!
Wir woll'n mit dem Tod uns neuorientieren
und unsere letzte Schankze probieren.
Und, Wuppdich, ehe der Feind es gedacht,
ist die Sache im Westen auch schon gemacht,
und vor unsern Linien liegen die Leichen,
damit wir den Platz an der Sonne erreichen.
Schon glänzt wie von Abendrot eine Krone.
Ich bin im Weltkrieg die große Kanone!
Mit Tirpitz und Zeppel nehm' ich es auf.
Mit Gott nimmt das neueste Verhängnis den Lauf!
Er drückt auf einen Knopf. Drei Brigaden sinken lautlos um.
765
Die Kinder, die Kinder, sie hör'n es nicht gern.
So bewährt sich das wahre Rüstzeug des Herrn 1
Keine Wacht am Rheine liefert so fest
und so treu wie die Nibelungenpest,
Die Not ließ erkennen das letzte Gebot.
Mein Name ist Siegfried Abendrot.
Er verschwindet.
Es wird dunkel. Es erscheinen Hyänen, die Menschengesichter
tragen. Als Sprecher die Hyänen Fressack und Nasch katz.
Sie kauern vor den Leichen und sprechen, rechts und links, in
ihr Ohr.
Fressack
Wenn Sie vielleicht was bedarfen, wenn Sie vielleicht
was bedarfen,
wir sind da, wir tragen Gesichter als Larven.
Doch erschrecken Sie nicht vor Barten und Mähnen:
wir sind keine Menschen, wir sind nur Hyänen!
Nur daß Ihr Opfer umsonst nicht wäre,
sind wir hier am Platz, auf dem Felde der Ehre.
Bedarfen Sie nichts, nehmen wir Ihnen was ab,
was solln Sie mit Schmuck und Barschaft ins Grab!
Naschkatz
Ihr seid nebbich froh, daß alles erledigt.
Für eure Verluste haben wir uns entschädigt.
Auf unseren Rat gingt ihr frisch in das Feld,
gabt ihr euer Blut, nahmen wir euer Geld.
Damit wir gewinnen, mußtet ihr wagen,
jetzt gilt's noch ein Scherflein beizutragen.
Wenn ihr auch besiegt seid, wir werden doch siegen.
Das Blut ist gesunken, das Fleisch ist gestiegen.
766
Fressack
Ihr könnt euch in dem Punkt auf uns verlassen:
bald wird euch des Kaisers Rock nicht mehr passen.
Mit euren Granaten und Bomben und Minen
fahrt weiter so fort und laßt uns verdienen.
Das ist ein Vergnügen, herum hier zu lungern,
ihr braucht nicht zu frieren, ihr braucht nicht zu
hungern!
Wir wissen es doch, unser Ehrenwort, heuer
sind Kohle und Fett noch dreimal so teuer!
Naschkatz
Wir sagen es ins Ohr euch, ihr solltet uns danken:
dadurch, daß ihr hier liegt, gehts besser den Banken.
Durch die Bank konnten sie das Kapital sich
vermehren,
die Fusion mit der Schlachtbank kann man ihnen
nicht wehren.
Ihr könnt noch von Glück sagen, so ruhig zu liegen,
wenn zugleich mit den Kugeln die Tausender fliegen.
Doch ihr seid entschädigt: ein jeder ein Held!
Ihr schwimmt ja in Blut, und wir nur in Geld.
Fressack
Ihr werdet doch fortleben in den Annalen!
Umsonst ist der Tod, doch dafür muß man zahlen.
Wir haben den Krieg ja nicht angefangen.
Wir haben ihn nur gewünscht, aber ihr seid gegangen!
Von unsern Verdiensten wird niemand sii gen,
euch müssen doch schon die Ohren klingen!
Von euch werden euere Enkel noch sagen.
So solln sich die unsern über uns nicht beklagen.
767
Naschkatz
Meine Kinder warn auf ein Haar an die Front
gekommen.
Zum Glück aber hat man sie nicht genommen.
Der eine is für Hintertürin zu ehrlich,
er is im Geschäft einfach unentbehrlich.
Der andere is zu stolz, so war ich für ihn oben,
a conto dessen is er heute enthoben.
Aufs Jahr lass ich meinen Jüngsten emheben.
Ihr wartauch einmal jung — da soll man erleben 1
Fressack
Mein Bub hat ka Protektion, doch er hat sichs
gerichtet,
der andere hat Talent, er hat über Siege gedichtet.
In demselben Moment, wie ihn das Vaterland rief,
macht der Jung ein Gedicht und kommt ins Archiv.
Er will aber hinaus — statt dort is ihm lieber
er geht, und wird gleich Dramaturg bei Ben Tiber,
Biltsie drin muß er schreiben, was sich draußen
ereignet!
Der Jüngste is nebbich ungeeignet.
Naschkatz
Ihr könnt nicht genug die Mezzie euch preisen,
ihr starbt doch für Wolle, wir leben für Eisen.
Und wir müssen gestern und heute und morgen
uns noch für Leder und Seife und Tafelöl sorgen.
Freihändig offeriert man und erlebt noch die Schand,
ein Dutzend Waggons bleibt einem in der Hand!
Jetzt gehts noch, doch im Frieden — da sag ich
von Glück,
wenn, Gott geb, entsteht eine Waffenfabrik.
768
Fressack
Gott verhüte das Unglück, wer redt heut von Frieden,
wir haben uns zur Not mit der Kriegsnot beschieden.
Wir liefern und leisten, und geben auch was her —
dann w'ärn wir geliefert, und das war ein Malheur.
Was heißt Waffenfabrik, ich bin zufrieden mit Skoda,
die Wirkung wie treffend beschreibt Roda Roda.
Wenn ihr schon genug habt, so laßt nackt euch
begraben,
meine Frau will einen neuen Pelzmantel haben.
Naschkatz
Ihr könnt es uns glauben, das Leben ist sauer,
ihr Toten, ihr solltet für uns tragen Trauer.
Wenn sich einmal herausstellt, man hat umsonst
sich geplagt,
das Friedensrisiko — Ihnen gesagt 1
Wie wenig bleibt einem, denn für meinen Sohn
kauf ich jetzt ein Gut, und mein Freund wird Baron.
Einem jeden das Seine. Dem Helden das Grab.
Wir sind die Hyänen. Uns bleibt nur der SchabI
Chor der Hyänen
So sei's! So sei's!
Doch nur leis! Nur leis!
Die Schlacht war heiß
und durch eueren Schweiß
und durch unseren Fleiß
ist gestiegen der Preis.
Gott weiß, Gott weiß.
Noch drei Waggon Reis
und noch drei Waggon Mais
stehn auf dem Geleis.
Steh auf, geh leis!
Wir schließen den Kreis.
So sei's! So sei's!
769
Tango der Hyänen um die Leichen. Die Flammenwand im
Hintergrund ist inzwischen verschwunden. Ein schwefelgelber
Schein bedeckt den Horizont. Es erscheint die riesenhafte
Silhouette des Herrn der Hyänen. In diesem Augenblick
stehn die Hyänen still und bilden Gruppen.
Der Herr der Hyänen
Schwarzer, graumelierter, wolliger, ganz kurzer Backen- und
Kinnbart, der das Gesicht wie ein Fell umgibt und mit eben-
solcher Haarhanbe verwachsen scheint; energisch gebogene
Nase; große gewölbte Augen mit vielem Weiß und kleiner
stechender Pupille. Die Gestalt ist gedrungen und hat etwas
Tapirar'iiges. Jackettanzug und Piqueweste. Der rechte Fuß in
aussch'eitender Haltung. Die linke Hand, zur Faust geballt,
ruht an der Hosentasche, die rechte weist mit gestrecktem Zeige-
finger, auf dem ein Brillant funkelt, auf die Hyänen.
Habt acht! Und steht mir grade!
Ich komme zur Parade,
und es gefällt mir gut.
Ihr habt die Schlacht gewonnen!
Nun ist die Zeit begonnen!
Nun zeiget euren Mut!
Müßt nicht mit leisen Tritten
den Tod um Beute bitten,
Weh dem, der jetzt noch schleicht!
Nein, sollt mit freiem Fuße
ihn treten, Gott zum Gruße!
Denn jetzt ist es erreicht!
Und der es einst vollbrachte,
an seinem Kreuz verschmachte,
wert, daß man ihn vergißt.
Ich tret' an seine Stelle,
die Hölle ist die Helle!
Ich bin der Antichrist.
Die letzten Tage der Menschheit. 49
770
Dank steigt von allen Dächern,
daß jener zwischen Schachern
nun auch sein Spiel vollbracht.
Sein bißchen Blut, verronnen
ist's kläglich an den Tonnen
der unverbrauchten Macht!
Die Liebe ist gelindert!
Sie hat es nicht verhindert,
was nun zum Glück geschah.
So hört, ihr wahrhaft Frommen,
das Heil ist doch gekommen,
der Antichrist ist nah!
Die nie besiegte Rache
half der gerechten Sache,
ich war ihr gutes Schwert!
Sie zogen blank vom Leder
dank meiner guten Feder.
Die Macht nur ist der Wert!
Aus diesem großen Ringen
mit vielen Silberlingen
gehn siegreich wir hervor.
So schließen sich zum Ringe
die altgedachien Dinge.
Das Kreuz den Krieg verlor!
Und die gekreuzigt hatten,
wir treten aus dem Schatten
mit gutem Judaslohn!
Mich schickt ein andrer Vater!
Von seinem Schmerztheater
tritt ab der Menschensohn.
771
Er weicht dem guten Bösen.
Er wüiit' die Welt erlösen;
sie ist von ihm erlöst.
Damit sie ohne Reue,
was sie erlöst hat, freue
und für den Himmel tröst'!
Der Haß mußt' sich empören.
Um nimmer aufzuhören,
war Liebe nicht gemacht.
Dank dieser Weltverheerung
gilt eine ewige Währung,
zu der der Teufel lacht!
Geht auch die Welt auf Krücken,
der Fortschritt mußte glücken,
ging aufs Geschält er aus.
Was Gott nicht will, gelingt doch,
der Teufel selber hinkt do:h
und macht sich nichts daraus.
Mit invalider Ferse
geht dennoch er zur Börse
und treibt den Preis hinauf.
Dort ist's gottlob nicht heilig,
der Teufel hat's nicht eilig
und läßt der Welt den Lauf.
Ich bin sein erster Faktor, ; .
ich bin des Worts Redaktor^ oib
das an dem Ende steht. o
Ich kann die Seelen packen ^
und trete auf den Nacken
von aller Majestät!
49*
772
Ich züchtige die Geister.
Drum zollet eurem Meister
den schuldigen Tribut.
Nach diesen großen Taten
auf größern Inseraten
die neue Macht beruht.
Das Leben abzutasten
mit unbeirrtem Hasten,
seid, Brüder, mir bereit.
Versteht der Zukunft Zeichen,
tastet noch ab die Leichen,
in Ziffern spricht die Zeitl
Laßt keine Werte liegen,
die dann die andern kriegen,
macht eure Sache ganz!
Tragt ein in die Annalen
die intressantcrn Zahlen
und macht mir Blutbilanz 1
Der alte Pakt zerreiße!
So wahr ich Moriz heiße,
der Wurf ist uns geglückt!
Weil jener andre Hirte
sich ganz gewaltig irrte!
Ich heiße Benedikt!
Ich bin gottlob verwandt nicht,
die andere Welt sie ahnt nicht,
daß ich ein andrer Papst.
Denn alle an mich glauben,
die wuchern und die rauben
und die im Krieg gegrapst.
773
Die Frechen und die Feigen
vor meinem Thron sich neigen,
denn nun erst gilt das Geld.
Daß nie der Zauber weiche
von diesem meinem Reiche!
Es ist von dieser Welt!
Ging' es nicht über Leichen,
die dicken, schweren Reichen
das Reich erreichten nie.
Steht auch die Welt in Flammen,
wir linden uns zusammen
durch schwärzliche Magie!
Durch die geheime Finte
zum Treubund rief die Tinte
die Technik und den Tod.
Mögt nie den Dank vergessen
den Blut- und Druckerpressen.
Ihr habt es schwarz auf rot!
Ich traf mit Druckerschwärze
den Erzfeind in das Herze!
Und weil es ihm geschah,
sollt ihr den Nächsten hassen,
um Judaslohn verlassen —
der Antichrist ist da!
Walzer der Hyänen um die Leichen.
Die Hyänen
So sei's 1 So sei's!
Wir treten mit Mut.
Wir treten nicht leis.
Wir trinken das Blutl
774
Wir treten mit Mut.
Wir trinken es heiß.
Wir treiben das Blut.
Wir treiben den Preis!
Vergossen, vergessen,
genossen, gegessen,
wir prassen und pressen,
wir treiben den Preis 1
So sei's! So sei's!
Wir treiben es mit Mut.
Die Schlacht war heiß.
Wir pressen das Blut!
Nicht sinke der Mut.
Wir bleiben im Kreis.
Wir treiben das Blut.
Nicht sinke der Preis!
Vergossen, vergessen,
genossen, gegessen,
wir fressen und pressen,
wir treiben den Preis!
Wir treten und treiben
und trinken das Blut.
Wir pressen es gut!
Wir treten und treiben
und trinken es heiß.
Wir treiben den Preis!
Schlaft gut, schlaft gut!
Wir treten nicht leis.
Eia popeia!
So sei's! So sei's!
Die Hyänen lagern sich über die Leichen.
Drei gelegentliche Mitarbeiter erscheinen.
776
Der erste gelegentliche Mitarbeiter
Der Frühschein schon über der Finsternis liegt.
Der Walzer hat über den Tango gesiegt.
Der zweite gelegentliche Mitarbeiter
Wie sich endl-ch der Frohsinn der Trübsal gesellt!
Es sind die Vertreter der Handelswelt.
Der dritte gelegentliche Mitarbeiter
Das Leben erholt sich von mühvollen Taten,
's gibt Industriekapitäne und Bankmagnaten.
Der erste
Ich muß nicht mehr in der Einsamkeit wandern.
Ich habe sie schon bemerkt unter andern.
Der zweite
Mir scheint selbst, das Ziel ist gar nicht mehr weit.
Ich hatte bereits die Gelegenheit.
Der dritte
Man hat auch genug von dem Treiben der Truppen.
Es bilden sich wieder die anderen Gruppen.
Der erste
Das wird, mein' ich, jetzt ein ganz anderer Fall.
Ich wittere Morgenluft und Concordiaball!
Der zweite
Er tibertrifft ganz gewiß seine Vorgänger weit. :
Frau Fanto trägt ein Ecru-Creme-Crepe-Souplekleid.
776
Der dritte
Die Estrade wird kaum iiire Zugkraft verlieren.
Das Publikum seh' ich bereits sich massieren.
Der erste
Daß sie, gottbehüt, nicht zusammenbräche!
Jetzt ziehn sie sich alle schon in die Gespräche.
Der zweite
Jetzt kommen auch die, die sich immer begeben.
Was sich sonst noch begibt, soll man nicht erleben.
Der dritte
Der Salvator hat einen elastischen Schritt.
Drei kaiserliche Räte erscheinen zu dritt.
Der erste
Zwei Konsuln erscheinen, weil man sie vermißte
sonst in der sonst schon vollzähligen Liste.
Der zweite
Man verliert keine Zeit, die Verlustliste lesend.
Zum Glück ist, was Namen hat, heute anwesend.
Der dritte
Denn hier geschieht, was längst geschah;
die da sind da zu sein, sind da! y^" 'y^»*»"'
777
Der erste
Es wimmelt von Sternen und auch Koryphän,
nein, was sich da tut, man wird doch da sehn!
Der zweite
Der Generalstab ist verhindert, aber der Höfer ist
erschienen.
Noch liegt der Ernst auf den sämtlichen Mienen.
Der dritte
In der welthistorischen Faschingsnacht
weiß man doch, wofür man die Opfer gebracht.
Der erste
Gern möcht' ich noch wissen, was der Feind sich
da dächte.
Denn, ei, der Humor tritt schon in seine Rechte.
Der zweite
Sieh, alles ist da, die Niedern und Obern.
Die Jugend will sich das Tanzrecht erobern.
Der dritte
Ich fürchte, zu Ende geht dieses Fest.
Sie sehn doch, der Teufel tanzt mit der Pest!
Sie entfliehn.
778
Nun ist der ganze Horizont von Rauchschwaden bedeckt. Ein
scharlachfleckiger Mond tritt aus den Wolken, die in schwarzgelben
und farbigen Fetzen hängen. Im Feld ein chaotisches Durch-
einander aller Truppenkörper. Drei Panzerautomobüe erscheinen.
Menschen und Tiere in wilder Flucht. Stimmengewirr.
Erste Stimme
Mir klappern die Knochen, mir klappern die Knochen!
Der Angriff ist in unserem Feuer gebrochen.
Zweite
Die Affäre wird uns noch übel bekommen!
Wir haben die Stellung mit kühnem Handstreich
genommen.
Dritte
Das halt' wenn er Lust hat der Teufel au?!
Wir werfen den Gegner aus dem Graben hinaus.
f- Vierte
Da hat uns der Herrgott was Schönes beschert!
Zwei der Unsrigen sind nicht zurückgekehrt.
Erste
Ich fürchte, verlustreich ist diese Schlacht!
Wir haben Gefangene eingebracht.
Zweite
Der Feind furcht' ich uns von der Flanke bedroht!
Ein Säugling und zwei Zivilisten sind tot.
779
Dritte
Etliche Volltreffer haben wir heute erzielt!
Fünf Kinder haben auf dem Spielplatz gespielt.
Vierte
Wir sind hin, ob Fußtruppe oder reitend!
Der militärische Schade ist unbedeutend.
Erste
Die drüben so mörderisch Kirchweih feiern,
kein Zweifel, es sind die braven Bayern!
Zweite
Das wird ja mit jedem Augenblick ärger!
Es sind wohl die wackeren Württemberger.
Dritte
Die jetzt ihre Todesverachtung bewiesen,
das sind die Thüringer, Pfälzer und Friesen.
Vierte
Das Ergebnis der Handlung wird es euch lehren,
daß sich die heißblütigen Honveds bewähren.
Erste
Ihnen die Angriffslust zu bewahren,
treiben wir vorwärts die tapfern Bulgaren.
780
Zweite
Die dort so schlappe sicii schieben und schleppen,
das sind die verbündeten Kismetknöppen.
Dritte
Na warts, jetzt gibts ordentlich Hieb mit der Peitschen!
Jetzt kommen die Deitschen! Ja, das sind halt die
Deitschen !
Vierte
Es regnet in Strömen, das Terrain wird schon weicher.
Das sind die gemütlichen Österreicher.
Diese
Da sind wir in einer schönen Soß!
Das ist der lange erwartete Gegenstoß!
Jene
Wer nicht deutsch mit dem Feind spricht, ist ein
Hundsfott! 'n Halunke!
Ihr seid in der Sauce, wir sind in der Tunke!
Verschieden e
Was geht denn nur vor, sind wir denn vereint?
Schießt der Feind auf den Freund oder der Freund
auf den Feind?
Andere
Was soll uns denn diese Verbrüderung nützen?
Die schießen ja mit unsern eignen Geschützen!
781
Alle
Das ist wohl die schwerste von allen unsern Krisen!
Der Angriff ist mühelos abgewiesen.
Die eine
Wir sind aus'm Wasser 1 Das Himmelsgewölb
verfärbt sich, auf einmal is alles schwarzgelb!
Die andere
Ach, 's ist doch zum Schießen, ik lache mir tot,
der Himmel vaschtehste ist nur schwarzweißrot!
Die e ine
Ja Schmarrn, da schau her, das siehst du doch selber,
über euch is er schwarz, über uns is er gelber.
Die andere
Der Himmel allein weiß, wofür wir hier starben.
Er führt selbstvaständlich nur unsere Farben!
Beide
Jedenfalls will er freundlich den Fortgang begleiten,
schön ist es, Schulter an Schulter zu streiten.
Die ei ne
UndaniEnd wird sich unsdieGeschichte schonlohnen —
Die andere
dank unsern vortrefflichen Kruppkanonen.
Wir verlassen uns ganz auf unsere Stärke —
Die eine
durch Gottes und unsere Skoda- Werke.
782
Beide
Doch fürchten wir beide noch aufzusitzen,
denn wir haben ja die neuesten Feldhaubitzen!
■R bni
,.. Blitze
Alle Stimmen
durcheinander
Ja, die da sind schneidig!
Die hier haben Flammen!
Die dort sind uns neidig,
wir hau'n alles zusammen!
Feurige Schlangen am Himmel, rote und grüne Lichter
Was ist denn los? Was ist denn los?
Stimmen von oben
Der larige erwartete Gegenstoß!
Stimmen von unten
V/ir sind die Sieger! Wir sind die Sieger!
Kopf hoch, das sind ja die eigenen Flieger!
) Stimmen von obenj ii3äcj»i.:/>
Ja, Flieger, die mit ganz andern Gewichten
euch den militärischen Stützpunkt vernichten!
783
Stimmen von unten
Das ist gar ein prächtiger Zeitvertreib,
die löten das Kind dann im Mutterleib!
Feurige Sterne, Kreuze und Schwerter am Himmel
Seht, welche Pracht,
mit den schönsten Orden
lohnt diese Nacht
unser braves Morden.
Leuchtende Kugeln, Feuergarben
Die Untertanen
Ereignisse merken
mit Flaggen und Fahnen
und Feuerwerken.
Drei Kometen erscheinen
Stimmen von oben
Drei feurige Reiter auf feurigen Rossen!
Daß die euch am Ende nicht schlechter gefielen!
Stimmen von unten
Bei uns kommen sie wie aus der Kanone geschossen,
sie kommen auf Panzerautomobilen!
Stimmen von oben
Nicht unwürdig wären sie eures Danks!
Sind Maschinen von einem andern Gusse!
Stimmen von unten
Wir kennen den Schwindel, wir hab'n unsre TankS/
die apokalyptischen Autobusse!
784
Zwei Ordonnanzen kommen
Erste Ordonnanz
Laßt Hosianna erschallen, laßt Hosianna erschallen:
Bomben sind auf den Ölberg gefallen!
Zweite Ordonnanz
Das gläubige Ohr kein Zweifel belästigt:
Der Ölberg war längst militärisch befestigt 1
Erste
Lob sei von euch dem Kühnen gesungen,
und preiset mir auch den Weisen laut:
dem endlich der große Wurf gelungen,
und jenen, der rechtzeitig vorgebaut.
Zweite
Jenen und diesen, die's endlich vollbrachten,
laßt sie auf Lorbeern, auf Dornen nicht ruhn.
Denn wenn sie sich auch etwas anderes dachten,
ach, sie wußten doch, was sie tun.
Beide
Wenn statt der Kanone das Kreuz getroffen,
bei verfehltem Ziel ist die Absicht löblich.
Nicht splitterrichtend, wollen wir hoffen:
Der militärische Schade ist unerheblich.
Ein großes blutiges Kreuz erscheint
Stimmen von oben
Nun tretet zurück, der Anblick gebeut's!
Habt Achtung vor unserem roten Kreuz!
785
Stimmen von unten
Wer macht uns das nach, uns macht man nichts vor,
wir achten kein Amen, wir scheuen kein Omen!
Solang unser Kaiser den Kopf nicht verlor,
schreckt uns kein Astronom mit seinen Phantomen!
Blutregen setzt ein
Stimmen von oben
Geht zurück, wenn ihr könnt, und seid auf der Hui!
Bei euch ist's zu trocken, von oben fließt Blut!
Stimmen von unten
Unser neuester Trick, das muß man nur wissen,
das hat unser Kriegsrat längst beschlossen.
Wir haben doch den Feind in der Luft zerrissen, .
so kommt eben das Blut von oben geflossen.
Die Einheit der Fronten ist hergestellt —
Stimmen von oben
wenn eine mit der andern zusammenfällt!
Stimmen von unten
Wir sind stärker denn je, wenn das Wetter nur will,
so hat uns der Generalstab berichtet.
Stimmen von oben
Doch das Wetter pariert einem andern Drill!
Der Himmel ist schwarz, eure Reihn sind gelichtet!
Aschenregen setzt ein
Die letzten Tage der Menschheit, SO
786
Stimmen von unten
Das ist ja ein Segen, das ist ja ein Segen,
das ist unser künstlicher Aschenregen!
Steinregen setzt ein
Mit Steinen schmeißen? Ein altes Verfahren I
Da sind unsre Handgranaten schon neuer.
Der Anwurf prallt an uns ab, die seit Jahren
sind abgehärtet im Trommelfeuer!
Stimmen von oben
Wir sind drin noch nicht so sehr fortgeschritten,
doch werden wir es mit der Zeit schon noch lernen.
Denn unter uns, den besseren Sternen,
gibt es zwar Vaganten, doch unter uns Banditen!
Stimmen von unten
Jeder Stern kann von Glück sagen, scheint er über
Berlin.
Eure Offensive ist der typische Anfangsgewinn!
Funltenregen setzt ein
Eine Stimme von unten
Ich komm' nicht ins Reine
mit der Erscheinung.
Davon hab' ich meine
besondere Meinung.
787
Zweite Stimme von unten
Was soll dieses Schwirren?
Was soll das Gefunkel?
Es scheint — davor irren
wir alle im Dunkel.
Völlige Finsternis
Die Kino-Operateure
Das gibts nicht, was heißt das, das ist doch kein
Licht!
Da wird ja doch keine Nummer daraus,
zwischen dem Sketch »Willi geniert sich nicht«
und dem Detektiv-Schlager »Mir kommt keiner aus!«
Das gibts nicht, wir haben doch einen Vertrag,
wir brauchen einen Treffer und keine Nieten!
Der Isonzofilm läßt sich zwar nicht tibet bieten,
doch woll'u wir mehr Licht für den »Jüngsten Tag« 1
Eine Stimme von oben
Zu eurem unendlichen Schädelspalten
haben wir bis zum Endsieg durchgehalten.
Nun aber wißt, in der vorigen Wochen
hat der Mars die Beziehungen abgebrochen.
Wir haben alles reiflich erwogen
und sind in die Defensive gezogen.
Wir sind denn entschlossen, euern Planeten
mit sämtlichen Fronten auszujäten
und mit allen vermessenen Erdengewürmen,
die sich erfrechten, die Sphären zu stürmen,
M*
788
und wie immer sie sich gewendet haben,
das Bild der Schöpfung geschändet haben,
die Tiere gequält und die Menschen versklavt,
die Schande geehrt und die Würde bestraft,
die Schlechten gemästet, die Guten geschlachtet,
die eigene Ehre am tiefsten verachtet,
sich als Hülle irdischer Güter benutzt,
ihre Sprache durch ihr Sprechen beschmutzt,
und Seele und Sinne, Gedanke und Wort
und ihr Jenseits nur aufgemacht für den Export,
und Tod und Teufel und Gott und die Welt
und die Kunst in den Dienst des Kaufmanns
gestellt,
den Lebenszweck hinter dem Mittel versteckt,
mit dem Leib ihre Fertigware gedeckt
als Knechte ihrer Notwendigkeiten,
die ihr Dasein mit ihrem Dasein bestreiten,
sich selber für das Produkt verkauft
und mit dem andern um den Rohstoff gerauft,
und ihren Handel mit Haß nicht geendet,
mit Geld und Gift sich die Augen geblendet,
in ihrem ruchlos verblendeten Nichts
sicti unwert erwiesen des ewigen Lichts
und unter den Strahlen der Sterne und Sonnen
sich Schlachten geliefert und Schanden gewonnen,
im Frevel geeint, von Süden bis Norden
den Geist nur verwendet, um Leiber zu morden
und einverständlich von Osten bis Westen
die Luft mit Rache und Rauch zu verpesten,
die beten konnten, um besser zu töten
und nicht vor Scham, nur von Blut zu erröten,
ihren Gott gelästert und ihrer Natur
zertreten die letzte lebendige Spur,
das Blaue vom Himmel heruntergelogen,
mit Landesfarben die Landschaft betrogen.
Eisen gefressen, jedoch zumeist
mit siegreichen Lügen sich abgespeist,
789
auf die Not des Nebenmenschen gepocht,
am Brand des Nachbarn die Suppe gekocht,
von fremdem Hunger die Nahrung genommen,
und sich dabei selber nicht satt bekommen,
das Haupt des andern mit glühenden Kohlen
beladen, um sich etwas Wärme zu holen
und diese Empfindung frech zu besteuern
und die Butter am eigenen Kopf zu verteuern,
erpreßt und geplündert, gelogen wie gedruckt
und als Kost nur den eigenen Wahn verschluckt,
Invaliden auf allen Siegeswerkeln,
Agenten mit Lues und frischen Tuberkeln,
Händler und Helden und Menschenjäger,
Bombenwerfer, Bazillenträger,
Raubbauer am Schatze der Phantasie,
Bankrotteure der eigenen Ökonomie,
Buschräuber hinter dem Ideale,
Glücksritter in einem Jammertale,
gepanzert mit Bildung, gewandt und gelehrt,
überbewaffnet und unterernährt,
von Gnaden ihrer Maschine mächtig,
hochmütig und dennoch niederträchtig,
von sich überzeugte Untertanen,
erbaute Erbauer von Bagdadbahnen,
Hochstapler der Höhen und Schwindler der Tiefen,
Hyänen, die Leben und Tod beschliefen,
Flieger, die an dem Irdischen haften,
Sklaven der neusten Errungenschaften,
in Tort und Technik bestens erfahren,
elektrisch beleuchtete Barbaren,
die vor dem Tod noch den Einfall hatten,
ihn mit allem Komfort fix auszustatten,
so daß er bei jenen behaglich gelebt,
die auf der Flucht vom Ursprung das Kriegsziel
erstrebt I —
Nicht abgeneigt einem Verständigungsfrieden,
hat das Weltall sich folgendermaßen entschieden:
790
Wir vom Mars sind gar nicht eroberungssüchtig.
Doch greift man was an, so greift man es ttichtig.
Zum Heil des Alls und all seiner Frommen
haben wir eure Methoden angenommen.
Sowohl um zu forschen wie um zu töten
war uns eure Wissenschaft vonnöten.
Durchs Fernrohr betrachtet war euer Stern uns nur
Schnuppe:
wir besahn den martialischen Zwerg durch die Lupel
Wir woll'n nur ein wenig das Wetter erheitern,
doch nimmer an euch unsre Grenzen erweitern.
Die Prüfung war schwer. Vernehmt das Ergebnis:
Wir planen mit euch ein besondres Erlebnis.
Fern sei es von uns, euch zu annektieren,
wir würden dadurch an Prestige verlieren.
Zu friedlicher Arbeit dem Kosmos zu nützen,
wollen wir nur die eigenen Grenzen schützen.
Entschlossen, auf euern Besitz zu verzichten,
wollen wir das Geschäft ganz anders verrichten.
Die Kriegskosten werdet ihr freilich bezahlen,
da der Schuldner getilgt wird aus den Annalen,
damit auf Ewigkeitsdauer die Sphären
sich über Störung der Harmonie nicht beschweren,
nicht greife in den verschlossenen Äther
die Hand der Denker und Attentäter,
und kein Schlachtendonner, kein Handelstauschen
je dringe zu unserm verschwiegenen Rauschen I
Habt lange genug im Weltall gesprochen.
Die Ewigkeit ist bereits angebrochen.
Lang' wartetet ihr und warteten wir,
wir harrten geduldig, ihr hofftet mit Gier.
Und damit doch auf eurer noch hoffenden Erd€
nun endlich der endliche Endsieg mal werde,
und damit sich dagegen kein Widerspruch regt
haben wir sie erfolgreich mit Bom.ben belegt I
Meteorregen setzt ein
791
Stimme von unten
Mal 'ran ins Feldl
Noch einer mehr!
Und wenn die Welt —
Flammenlohe
Stimme von unten
Nur feste druff!
Auf Knall und Fall!
Es braust ein Ruf —
Weltendonner
Stimme von unten
Das ist uns neu!
Was soll das sein?
Fest steht und treu —
Untergang
Stimme von unten
Wir sind verbrannt!
Wer brach da ein?
Lieb Vaterland —
Ruhe
792
Stimme von oben
Der Sturm gelang. Die Nacht war wild.
Zerstört ist Gottes Ebenbild!
Großes Schweigen .
Die Stimme Gottes
Ich habe es nicht gewollt.
B'^^"^ MAY 2 1968
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY