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Full text of "Die letzten Tage der Menschheit : Tragödie in fünf Akten mit vorspiel und Epilog"

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ÜMIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


KARL  KRAUS 
DIE  LETZTEN  TAGE  DER  MENSCHHEIT 


c 


\^ 


DIE  LETZTEN  TAGE 
DER  MENSCHHEIT 

TRAGÖDIE  IN  FÜNF  AKTEN 
MIT  VORSPIEL  UND  EPILOG 

VON 

KARL   KRAUS 


17.  BIS  23.  TAUSEND 
(EINSCHLIESSLICH  DER  AKTAUSGABE) 


VERLAG   ,DIE  FACKEL',  WIEN  — LEIPZIG 


ALLE  RECHTE 
DES  NACHDRUCKS,  DER  ÜBERSETZUNG 
DES  VORTRAGS  UND  DER  AUFFÜHRUNG 

VORBEHALTEN 


DRUCK  VON  JAHODA  &  SIEGEL,  WIEN 


Der  erste  Entwurf  der  meisten  Szenen  ist  in  den  Sommern  1915 
bis  1917,  das  Vorspiel  Ende  Juli  1915,  der  Epilog  im  Juli  1917 
verfaßt  worden.  Viele  Zusätze  und  Änderungen  sind  im  Jahre  1919 
entstanden,  in  das  auch  der  Drucl<  der  Akt-Ausgabe  fällt. 
(Der  Epilog  erschien  im  November  1918.)  Die  durchgehende 
Umarbeitung  und  Bereicherung  jener  vorläufigen  Ausgabe  und 
der  Druck  des  Gesamtwerkes  sind  in  den  Jahren  1920  und  1921 
vorgenommen  worden. 


Die  Aufführung  des  Dramas,  dessen  Umfang  nach 
irdischem  Zeitmaß  etwa  zehn  Abende  umfassen 
würde,  ist  einem  Marstheater  zugedacht.  Theater- 
gänger dieser  Welt  vermöchten  ihm  nicht  standzuhalten. 
Denn  es  ist  Blut  von  ihrem  Blute  und  der  Inhalt 
ist  von  dem  Inhalt  der  unwirklichen,  undenkbaren, 
keinem  wachen  Sinn  erreichbaren,  keiner  Erinnerung 
zugänglichen  und  nur  in  blutigem  Traum  verwahrten 
Jahre,  da  Operettenfiguren  die  Tragödie  der  Mensch- 
heit spielten.  Die  Handlung,  in  hundert  Szenen  und 
Höllen  führend,  ist  unmöglich,  zerklüftet,  heldenlos 
wie  jene.  Der  Humor  ist  nur  der  Selbstvorwurf  eines, 
der  nicht  wahnsinnig  wurde  bei  dem  Gedanken, 
mit  heilem  Hirn  die  Zeugenschaft  dieser  Zeitdinge 
bestanden  zu  haben.  Außer  ihm,  der  die  Schmach 
solchen  Anteils  einer  Nachwelt  preisgibt,  hat  kein 
anderer  ein  Recht  auf  diesen  Humor.  Die  Mitwelt, 
die  geduldet  hat,  daß  die  Dinge  geschehen,  die  hier 
aufgeschrieben  sind,  stelle  das  Recht,  zu  lachen,  hinter 
die  Pflicht,  zu  weinen.  Die  unwahrscheinlichsten  Taten, 
die  hier  gemeldet  werden,  sind  wirklich  geschehen;  ich 
habe  gemalt,  was  sie  nur  taten.  Die  unwahrscheinlichsten 
Gespräche,  die  hier  geführt  werden,  sind  wörtlich 
gesprochen  worden;  die  grellsten  Erfindungen  sind 
Zitate.  Sätze,  deren  Wahnwitz  unverlierbar  dem  Ohr 
eingeschrieben  ist,  wachsen  zur  Lebensmusik.  Das 
Dokument  ist  Figur;  Berichte  erstehen  als  Gestalten, 
Gestalten  verenden  als  Leitartikel;  das  Feuilleton 
bekam  einen  Mund,  der  es  monologisch  von  sich  gibt; 
Phrasen  stehen  auf  zwei  Beinen  — Menschen  behielten 
nur  eines.  Tonfälle  rasen  und  rasseln  durch  die  Zeit 
und  schwellen  zum  Choral  der  unheiligen  Handlung, 

I* 


VIII 


Leute,  die  unter  der  Menschheit  gelebt  und  sie 
überlebt  haben,  sind  als  Täter  und  Sprecher  einer 
Gegenwart,  die  nicht  Fleisch,  doch  Blut,  nicht  Blut, 
doch  Tinte  hat,  zu  Schatten  und  Marionetten  abgezogen 
und  auf  die  Formel  ihrer  tätigen  Wesenlosigkeit 
gebracht.  Larven  und  Lemuren,  Masken  des  tragischen 
Karnevals,  haben  lebende  Namen,  weil  dies  so  sein 
muß  und  weil  eben  in  dieser  vom  Zufall  bedingten 
Zeitlichkeit  nichts  zufällig  ist.  Das  gibt  keinem  das 
Recht,  es  für  eine  lokale  Angelegenheit  zu  halten.  Auch 
Vorgänge  an  der  Sirk-Ecke  sind  von  einem  kosmischen 
Punkt  regiert.  Wer  schwache  Nerven  hat,  wenn  auch 
genug  starke,  die  Zeit  zu  ertragen,  entferne  sich  von 
dem  Spiel.  Es  ist  nicht  zu  erwarten,  daß  eine  Gegenwart, 
in  der  es  sein  konnte,  das  wortgewordene  Grauen  für 
etwas  anderes  nehme  als  für  einen  Spaß,  zumal 
dort,  wo  es  ihr  aus  der  anheimelnden  Niederung 
der  grausigsten  Dialekte  wiedertönt,  und  das  eben 
Erlebte,  Überlebte  für  etwas  anderes  als  Erfindung. 
Für  eine,  deren  Stoff  sie  verpönt.  Denn  über  alle 
Schmach  des  Krieges  geht  die  der  Menschen,  von 
ihm  nichts  mehr  wissen  zu  wollen,  indem  sie  zwar 
ertragen,  daß  er  ist,  aber  nicht,  daß  er  war.  Die  ihn 
überlebt  haben,  ihnen  hat  er  sich  überlebt,  und 
gehen  zwar  die  Masken  durch  den  Aschermittwoch, 
so  wollen  sie  doch  nicht  aneinander  erinnert  sein. 
Wie  tief  begreiflich  die  Ernüchterung  einer  Epoche, 
die,  niemals  eines  Erlebnisses  und  keiner  Vorstellung 
des  Erlebten  fähig,  selbst  von  ihrem  Zusammenbruch 
nicht  zu  erschüttern  ist,  von  der  Sühne  so  wenig 
spürt  wie  von  der  Tat,  aber  doch  Seibstbewahrung 
genug  hat,  sich  vor  dem  Phonographen  ihrer 
heroischen  Melodien  die  Ohren  zuzuhalten,  und  genug 
Selbstaufopferung,  um  sie  gegebenenfalls  wieder 
anzustimmen.  Denn  daß  Krieg  sein  wird,  erscheint 
denen  am  wenigsten  unfaßbar,  welchen  die  Parole 
»Jetzt  ist  Krieg«  jede  Ehrlosigkeit  ermöglicht  und 
gedeckt  hat,   aber  die  Mahnung   »Jetzt  war  Krieg!« 


IX 


die  wohlverdiente  Ruhe  der  Überlebenden  stört. 
Sie  haben  den  Weltmarkt  —  das  Ziel,  zu  dem  sie 
geboren  wurden  —  in  der  Ritterrüstung  zu  erobern 
gewähnt;  sie  müssen  mit  dem  schlechteren  Geschäft 
vorlieb  nehmen,  sie  auf  dem  Trödelmarkt  zu  verkaufen. 
In  solcher  Stimmung  rede  ihnen  einer  vom  Krieg! 
Und  es  mag  zu  befürchten  sein,  daß  noch  eine 
Zukunft,  die  den  Lenden  einer  so  wüsten  Gegenwart 
entsprossen  ist,  trotz  größerer  Distanz  der  größeren 
Kraft  des  Begreifens  entbehre.  Dennoch  muß  ein 
so  restloses  Schuldbekenntnis,  dieser  Menschheit 
anzugehören,  irgendwo  willkommen  und  irgendeinmal 
von  Nutzen  sein.  Und  »weil  noch  die  Gemüter  der 
Menschen  wild  sind«,  sei,  zum  Hochgericht  auf 
Trümmern,  Horatios  Botschaft  an  den  Erneuerer 
bestellt: 

Und  laßt  der  Welt,  die  noch  nicht  weiß,  mich  sagen, 
Wie  alles  dies  geschah;  so  sollt  ihr  hören 
Von  Taten,  fleischlich,  blutig,  unnatürlich, 
Zufälligen  Gerichten,  blindem  Mord; 
Von  Toden,  durch  Gewalt  und  List  bewirkt, 
Und  Planen,  die  verfehlt,  zurückgefallen 
Auf  der  Erfinder  Haupt:  dies  alles  kann  ich 
Mit  Wahrheit  melden. 


VORSPIEL 


1.  Szene  (Seite  3)  j 
(Wien.  Ringstraßenkorso.) 

Die  Zeitungsausrufer 

Ein  Korsobesuclier 

Seine  Frau 

Vier  Offiziere 

Zwei  Agenten 

Fisch  1 

Fin  Wiener 

Seine  Frau 

Ein  alter  Abonnent  der   Neuer 

Freien  Presse  1 

Der  älteste  Abonnent 
Einige  Betrunkene 
Vier  Burschen  und  vier  Mädchen 

Arm  in  Arm 
Die  Menge 
Fritz  Werner 
Fräulein  Löwenstamm 
Fräulein  Körmendy 
Ein  Gebildeter 
Seine  Frau 
Poldi  Fesch 
Ein  Wachmann 
Zwei  Kleinbürger 
Zwei  Reporter 
Ein  Fiaker 

2.  Szene  (Seite  9) 
(Cafe  Pucher.i 

Der  Zahlkellner  Eduard 
Der  Prokurist 
Ein  Fremder 
Der  Kellner  Franz 
Der  Ministerpräsident 
Der  Minister  des  Innern 
Der    Direktor    der    Kabinetts- 
kanzlei 

3.  Szene  (Seite  12) 
(Kanzleizimmer  im  Obersthof- 

meisteramt.) 

Nepalleck 


4.  Szene  (Seite  16) 

(Ebenda.) 

Ein  Diener 

Nepalleck 

5.  Szene  (Seite  17) 

(Ebenda.) 

Nepalleck 

Ein  alter  Kammerdiener 

6.  Szene  (Seite  18) 

(Ebenda.) 

Montenuovo 

Ein  alter  Kammerdiener 

7.  Szene  (Seite  18) 

(Ebenda.) 

Montenuovo 
Nepalleck 

8.  Szene  (Seite  18) 

(Ebenda.' 

Ein  Diener 

Fürst  Weikersheim 

Nepalleck 

9.  Szene  (Seite   19) 

(Ebenda.) 

Nepalleck 

10.  Szene  (Seite  19) 
(Südbahnhof.^ 

Nepalleck  | 

Angelo  Eisner  v  I 

Eisenhof  [  Marionetten 

Spielvogel  und  i 

Zawadil  j 


XII 


Marionetten 


Hofrat  U.Hof  rätin 
Schwarz-Gelber 

Dobner  v. 
Dobenau 

Conte  Lippay 

Cafetier  Riedl 

Dr.  Oharas 

Der      Chef     des 
Sicherheits- 
bureaus Hofrat  '^  Marionetten 
Stukart 

Sektionschef 
Wilhelm  Exner 

Gouverneur  Sieg- 
hart von  der  Bo- 
denkreditanstalt 

Präsident  Landes- 
berger  von  der 
Anglobank 

Spaziergänger,  Passanten,  Kaffeehauspersonal,  Publikum,  Polizei- 
beamte, Würdenträger,  Hofgesellschaft,  Damen  des  Hochadels, 
Geistlichkeit,  Gemeinderäte,  Honoratioren,  Lakaien,  Journalisten. 


Herzberg-Fränkel  1 
Die     freisinnigen 

Gemeinderäte 

Stein  und  Hein 
Zwei  Konsuln 

Stiaßny 
Drei  kaiserliche 

Räte 
Sukfüll 
Birinski  und 

Qlücksmann 
Der  Buchhändler 

Hugo  Heller 
Flora  Dub 
Der  Nörgler 
Der  Redakteur 


xin 


I.  AKT 


1.  Szene  (Seite  29) 
(Wien.  Ringstraßenkorso.  Sirk-Ecke.) 

Die  Zeitungsausrufer 

Ein  Demonstrant 

Ein  Gebildeter 

Ein  Pülcher 

Eine  Prostituierte 

Mehrere  Passanten 

Die  Menge 

Zwei  Reporter 

Zwei  Armeelieferanten 

Vier  Offiziere 

Ein  Wiener 

Stimmen  aus  der  Menge 

Ein  Bettelbub 

Zwei  Mädchen 

Ein  Wachm.ann 

Ein  Intellektueller 

Seine  Freundin 

Ein  Fahrgast 

Ein  Fiaker 

Ein  Hausmeister 

Zwei  Amerikaner  v.  Roten  Kreuz 

Zwei  Türken 

Zwei  Chinesen 

Eine  Dame  mit  leichtem  Anflug 

von  Schnurrbart 
Ein  Besonnener 
Stimme  eines  Kutschers 
Eine  Stimme 
Ein  Passant 
Seine  Frau 
Ein  Trupp  Knaben  mit  Tschako 

und  Holzsäbel 
Eine  Gruppe  Singender 
Ein  Dieb 
Die  Bestohlene 
Eine  weibliche  Stimme 
Poldi  Fesch 
Sein  Begleiter 

Zwei  Verehrer  der  Reichspost 
Gesang  Einrückender 
Ein  alter  Abonnent  der  Neuen 
Freien  Presse 


Der  älteste  Abonnent 

Vier  Burschen  und  vier  Mädchen 

Arm  in  Arm 
Fritz  Werner 
Fräulein  Körmendy 
Fräulein  Löwenstamm 
Drei  Pülcher 
Zwei  Agenten 

2.  Szene  (Seite  45) 
(Südtirol.  Vor  einer  Brücke.) 

Ein  Tiroler  Landsturmmann 
Der  Nörgler 

3.  Szene  (Seite  46) 
(Hinter  der  Brücke.) 

Ein  Soldat 
Der  Nörgler 
Ein  Hauptmann 

4.  Szene  (Seite  46) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

5.  Szene  (Seite  49) 
(Am  Ballhausplatz.) 

Graf  Leopold  Franz  Rudolf 
Ernest  Vinzenz  Innocenz  Maria 

Baron  Eduard  Alois  Josef  Ottokar 
Ignazius  Eusebius  Maria 

Die  Stimme  Berchtolds 


6.  Szene  (Seite  54) 
(Vor   einem    Friseurladen    in 
Habsbnrgergasse.) 

Die  Menge 

Ein  Geigenhändler 

Ein  Friseur 

BrocCsen   }  ™**« 


der 


XiV 


7.  Szene  (Seite  57) 

(Kohlmarkt.  Vor  der  Drehtür  am 

Eingang  zum  Cafi  Pucher.) 

Der  alte  Biach 

Der  kaiserliche  Rat 

Der  Kompagnon 

Der  Doktor 

Der  Nörgler 

Der  Kurzwarenhändler 


Der  Patriot 

Ein  Zeitungsausrufer 


12.  Szene  (Seite  96) 

Ein  Riese  in  Zivil  und  ein  Zwerg 

in  Uniform 
Ein  Zeitungsausrufer 


8.  Szene  (Seite  60) 
(Eine  Straße  in  der  Vorstadt.) 

Vier  junge  Burschen 

Der  Besitzer  d.  Cafe  Westminster 


9.  Szene  (Seite  65) 
(In  einer  Volksschule.) 

Der  Lehrer  Zehetbauer 

Die  Klasse 

Die  Knaben  Anderle,  Braunshör, 
Czeczowiczka,  Fleischanderl, 
Oasselseder,  Habetswallner, 
Kotzlik,  Merores,  Praxmarer, 
Sukfüll,  Süßmandl,  ^Ottawa, 
Wunderer  Karl  und  Wunderer 
Rudolf,  Zitterer 


10.  Szene  (Seite  70) 
(Im  Cafe  Pucher.) 

Der  Zahlkellner  Eduard 

Der  alte  Biach 

Der  kaiserliche  Rat 

Der  Doktor 

Der  Kompagnon 

Der  Kurzwarenhändler 

Der  Ministerpräsident 

11.  Szene  (Seite  76) 

Zwei,  die  sichs  gerichtet  haben 
Der  Abonnent 


13.  Szene  (Seite  97) 
(Elektrische  Bahn  Baden  — Wien.) 

Ein  Schwerbetrunkener 

Ein  Paar 

Em  Kondukteur 

Ein  galizisches  Flüchtlingspaar 

Ein  Verzehrungssteuerbeamter 

Ein  Wiener 


14.  Szene  (Seite  99) 

(In  der  Wohnung  der  Schauspielerin 

Elfriede  Ritter.) 

Elfriede  Riiter 
Füchsl  1 

Feigl  >  Reporter 

Halberstam  j 


15.  Szene  (Seite  104) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


16.  Szene  (Seite  105) 
(Standort  des  Hauptquartiers.) 

Auffenberg  | 

Brudermann  \  Heerführer 

Dankl  j 

Pflanzer-Baltin  >  ^ 
Ein  Adjutant 


XV 


17.  Szene  (Seite  109) 
(Wien.  In  der  Kaffeesiedergenossen- 


schaft.) 


Riedl 

Drei  Cafetiers 

Ein  Kellner 


18.  Szene  (Seite  112) 

(In    der    Wiener    Deutsclimeister- 
loserne.) 

Ein  Herr 

Feldwebel  Weiguny 
Kadett  Wögerer 

19.  Szene  (Seite  114) 
{Kriegsfürsorgeamt.) 

Hugo  V.  Hofmannsthal 
Ein  Zyniker 
Der  Poldi 


20.  Szene  (Seite   117) 
(Bukowinaer     Front.     Bei    einem 

Kommando.) 

Oberleutnant  Fallota 
Oberleutnant  Beinsteller 

21.  Szene  (Seite  123) 
(Ein  Sctilaclitfeid.) 

Zwei  Kriegsberichterstatter 

Die  Schalek 

Der  Maler  Haubitzer 


22.  Szene  (Seite  130) 
(Vor  dem  Kriegsministerium.) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

Ein  Zeitungsausrufer 

Zwei  Flüchtlinge 

Nepalleck 

Eisner  v.  Eisenhof 


23.  Szene  (Seite  138) 
(Am  Janovver  Teich.) 

Ganghofer 

Ein  Fliigeladjutant  Wilhelms  II. 

Wilheltü  II. 

Der  Photograph  der  , Woche' 

Eine  Ordonnanz 


24.  Szene  (Seite  145) 
(Zimmer  des  Generalslabscliefs. 

Conrad  v.  Hötzendoif 
Ein  Major 
Skolik,  Photograph 


25.  Szene  (Seite  148) 
(Korso.) 

Ein  Spekulant 
Ein  Realitätenbesitzer 
Wachtmeister  Wagenknecht 
Feldwebel  Sedlatschek 
Hans  Müller 
Stimme  eines  Fiakers 
Stimme  einer  Prostituierten 
^^ndel^Singer  \  vorbeigehend 

Ein  Mann,  der  einen  Zigarren- 
stummel aufhebt 
Eine  Zeitungsfrau 


26.  Szene  (Seite  159) 

(Südwestfront.  Ein  Stützpunkt  aof 

einer    Höhe   von    mehr  als   dritt- 

halbtansend  Meter.) 

Ein  Beobachter 
Die  Schalek 
Ein  Standschütze 
Ein  Offizier 
Eine  Ordonnanz 


XVI 


27.  Szene  (Seite  162) 
(Im  Vatikan.) 

Die     Stimme     des     betenden 
Benedikt 

28.  Szene  (Seite  163) 
(In  der  Redaktion.) 

Die    Stimme    des   diktierenden 
Benedikt 


29.  Szene  (Seite  164) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


30.  Szene  (Seite  202) 
(Nachts  am  Graben.) 

Zwei   Kettenhändler  mit   ihren 

Damen 
Ein  Zeitungsausrufer 


Spaziergänger,  Passanten,  Bettler,  Schieber,  Prostituierte,  Offiziere, 

Soldaten,    Demonstranten,    Gäste,    Kaffeehauspersonal,    Minister, 

Passagiere,   deutschnalionale    Studenten,    galizische   F^lüchtlinge, 

Gefolge  Wilhelms  II. 


XVII 


II.  AKT 


1.  Szene  (Seite  205) 
(Wien.  Ringstraßenkorso.  Sirk-Ecke.) 

Die  Zeitungsausrufer 
Ein  polnischer  Jude 
Ein  seßhafter  Wucherer 
Ein  Agent 

Ein      Schwerverwundeter     auf 
Krücken,  mit  Gliederzuckungen 
Bermann 

Eine  auffallend  gekleidete  Dame 
Weiß 

Vier  Offiziere 
Ein  Soldat  auf  Krücken 
Ein  Intellektueller 
Poidi  Fesch 
Sein  Begleiter 
Gesang  Einrückender 
Drei  Schieber  mit  Zahnstocher 

im  Maule 
Drei  deutsche  Grenadiere 
Drei  Wiener  Gemeindeorgane 
Zwei  Reporter 
Ein  Berliner  Schieber 
Ein  Dienstmann 
Rufe  aus  der  Menge 


2.  Szene  (Seite  213) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

3.  Szene  (Seite  215) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 


4.  Szene  (Seite  218) 

(Standort  des  Hauptquartiers.  Eine 

Straße.) 

Ein  Journalist  u.  ein  alter  General 
Ein  anderer  Journalist  und  ein 
anderer  alter  General 


5.  Szene  (Seite  219) 
(Südwestfront.) 

Zwei  Stimmen  aus  dem  Hinter- 
grund 

Ein  alter  General  und  ein 
sizilianischer  Soldat 

Ein  Mitglied  des  Kriegspresse- 
quartiers 

6.  Szene  (Seite  219) 

(Ein  Infanterieregiment  dreiliundert 
Schritt  vom  Peind.) 

Ein  Infanterieoffizier 

Der  Feldkurat  Anton  Allmer 

7.  Szene  (Seite  220) 
(Bei  der  Batterie.) 

Ein  Artillerieoffizier 

Der  Feldkurat  Anton  Allmer 

Rufe 

Die  Schalek 

8.  Szene  (Seite  222) 
(Der  Wurstelprater.) 

Der  Entrepreneur  des  Schützen- 
grabens im  Prater 

Ein  Vertreter  der  Korrespondenz 
Wilhelm 

Sein  Kollege 

Die  Stimme  des  Erzherzogs  Karl 
Franz  Josef 

Das  Publikum 

Hofrätin  Schwarz-Gelber 

Der  ungenannt  sein  wollende  Herr 
Oberleutnant,  der  in  Schau- 
manns Apotheke,  Stockerau, 
zu  Gunsten  des  Roten  Kreuzes 
den  Betrag  von  1  K  erlegt  hat 

Doktor  Kunze 

Der  Patriot 

Der  Abonnent 


XV  in 


9.  Szene  (Seite  224) 
(Semmering.  Terrasse  des  Südbahn- 
hotels.) 

Jung  und  Alt 
Groß  und  Klein 
Eine  Dame,  die  soeben  mit  tiefer 
Empfindung  Heine  rezitiert  ha( 
Dangl 
Alle 

Stimmengewirr 
Ein  Getreuer  des  Semmering 
Ein  Generaldirektor 


10.  Szene  (Seite  226) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 
Ein  Zug  von  Rekruten,  die  graue 

Bärie  haben 
Singende  Bursclien 


11.  Szene  (Seile  242) 
(Gasse  in  der  Vorstadt.) 

Zwei  Wachmänner 

Frauen  und  Männer  aus  der  an 

gestellten  Menge 
Em  Greisler 
Eine  besser  gekleidete  Frau 


12.  Szene  (Seite  243) 
(Kärntnerstraße.) 

Ein  starker  Esser 
Ein  normaler  Esser 
Ein  Hungernder 


13.  Szene  (Seite  245) 
(Florianigasse.) 

Hofrat  i.  P.    Dlauhobetzky    von 

Dlauliobetz 
Hofrat  i.  P.  Tibetanzl 


14.  Szene  (Seite  247, 
(Eine  Jagdgesellschaft.) 

V.  Dreckwitz 

Die  Jagdgesellschaft 

15.  Szene  (Seite  251) 
(Bureauzimmer  bei  einem 

Kommando.) 
Hirsch 
Roda  Roda 

16.  Szene  (Seite  254) 
(Ein  anderes  Bureauzimmer.) 

Ein  Generalstäbler  am  Telephon 

17.  Szene  (Seite  255) 
(Restaurant  des  Anton  Grüßer.) 

Anton  Grüßer,  Restaurateur 

Vier  Kellner 

Zwei  Kellnerjungen 

Der  Zahlkellner 

Ein  Herr  und  eine  Dame 

Ein  zwerghafter  Zeitungsjunge 

Zwei  Mädchen  mit  Ansichtskarten 

Zwei  Frauen  mit  Ansichtskarten 

Der  Blumenmann 

Das  Blumenweib 

Eine  Kolporteurin 

Drei  Gäste 

Ein  Stammgast 

Bambula  von  Feldsturm 

Der  Nörgler 

18.  Szene  (Seite  262) 
(Schottenring.) 

Frau  PoUatschek )     „„   ,     n^u- 

Frau  Rosenberg  r°"^'^'^'^«h° 

Frau  Bachstelz  1  „     .  „ri„i 
FrauFunk-Feigir°"^^'^Oekawe 

Ein  Invalide  auf  Krückea 
Eine  Bettlerin 


XIX 


Ein  Knabe 
Ein  Säugling 
Eine  Schwangere 
Der  Nörgler 

10.  Szene  (Seite  268) 
(Belg'-cd.) 

Die  Schalek 

Lachende  serbische  Frauen 

Ein  Dolmetbch 

20.  Szene  (Seite  269) 
(VorstidlstraBe.) 

Eine  alle  Frau 
Ein  Oberleutnant 
Die  Menge 

21.  Szene  (Seite  270) 
(Eine  Vorstadtwohnung.) 

Familie   Liebal:    Vater,    Mutter 

und  Knabe 
Die  Nachbarin  Sikora 

22.  Szene  (Seite  270) 
(Standort  des  Hauptquartiers.  Eine 

Straße.) 

Ein  Hauptmann  des  Kriegs- 
pressequart iers 

Ein  Journalist 

Ein  älterer  korpulenter  Herr 
mit  Koteletts  und  Zwicker, 
der  in  jeder  Harid  einen 
Marschalisstab  trägt 

23.  Szene  (Seite  273) 
(Innere  Stadt.) 

Ein  Invalide  mit  einem  blinden 

Soldaten 
Ein  Revolverjournalist 
Ein  Agent 


24.  Szene  (Seite  274) 

(Während  der  Vorstellung  in  einem 

Vorstadttheater.) 

Die  Niese 
Der  Partner 
Das  Publikum 


25.  Szene  (Seite  275) 
(Beim  Wolf  in  Gersthof.) 

Der  Wolf  in  Gersthof 

Der  Generalinspektor  des  Roten 
Kreuzes 

Er/herzog  Franz  Salvator,  sein 
Kammervorsteher,  zw  ei  Aristo- 
kraten und  die  Pulzi 

Ein  Gast 

Die  Volkssänger 


26.  Szene  (Seite  275) 
Der  Abonnent  und  der  Patriot 


27.  Szene  (Seile  277) 

(Standort  in  der  Nähe  des  Uzsok- 

Passes.) 

Ein  österreichischer  General 
Ein  preußischer  Leutnant 


28.  Szene  (Seite  278) 
(Hauptquartier.  Kinotheater.) 

Armeeoberkommandant  Erz- 
herzog Friedrich 
König  herdinand  von  Bulgarien 
Eine  Stimme,  die  »Bumsti!«  ruft 


29.  Szene  (Seite  279) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


XX 


30.  Szene  (Seite  285) 
(Irgendwo  an  der  Adria.  Im  Hangar 

einer  Wasserfliegerabteilung.) 

Die  Schalek 

Ein  Fregattenleutnant 

31.  Szene  (Seite  288) 

(In  einem  Unterseeboot,  das  soeben 
emporgetaucht  ist.) 

Ein  Maat 

Ein  Unterseebooloffizier 
Die  Mitglieder  des  Kriegspresse- 
quartiers 
Die  Schalek 


32.  Szene  (Seite  289) 
(Eine     unter     das     Kriegsdienst- 
leistungsgesetz gestellte  Fabrik.) 


Der    militärische 

Fabrik 
Der  Fabrikant 


Leiter    einer 


33.  Szene  (Seite  293) 

(Zimmer    im    Hause    des    Hofrats 

Schwarz-Gelber.) 

Hofrat  und  Hofrätin   Schwarz- 
Gelber 


Galizische  Flüchtlinge,  Schieber,  Spaziergänger,  Passanten,  Bettler, 
Bettlerinnen,  Bettelkinder,  Berufsoffiziere  auf  Urlaub,  Spitals- 
komraandanien.  Leichterer  Dienst,  Zivilisten  die  sichs  gerichtet 
haben,  Verwundete  aller  Grade,  Soldaten,  Provinzschauspieler, 
Publikum,  Semmeringgäste,  Angestellte  vor  einem  Greislerladen, 
Heereslieferanten,  Offiziere,  Prostituierte,  Journalisten,  Gäste, 
Heurigenmusik. 


XXI 


III.  AKT 


1.  Szene  (Seite  307) 
(Wien.  Ringstraßenkorso.  Sirk-Ecke.) 

Die  Zeitungsausrufer 

Zwei  Armeelieferanten 

Vier  Offiziere 

Ein  Aläderl 

Ein  Mädchen 

Ein  Weib 

Zwei  Verehrer  der  Reichspost 

Ein  alter  Abonnent  der  Neuen 

Freien  Presse 
Der  älteste  Abonnent 
Ein  Krüppel 
Poldi  Fesch 
Sein  Begleiter 
Zwei  Invalide 
Gesang  Einrückender 
Die  Fiakerstimme 


2.  Szene  (Seite  310) 

(Vor  unseren  Artilleriestellungen.) 

Die  Schaiek 
Der  Kanonier 

3.  Szene  (Seite  311) 
(Isonzo-Front.  Bei  einem 

Kommando.) 

Oberleutnant  Fallota 
Oberleutnant  Beinsteller 

4.  Szene  (Seite  316) 

(In  Jena.) 
Zwei  Studenten  der  Philosophie 

5.  Szene  (Seite  318) 
(Hermannsladt,     Vor    einem    ver- 
sperrten deutschen  Buchladen.) 

Ein  preußischer  Musketier 
Ein  deutscher  Buchhändler 


6.  Szene  (Seite  318) 

(Ir     der    Viktualienhandlung    des 
Vinzenz  Chramosta.) 

Vinzenz  Chramosta 

Kunden 

Der  Marktamtskommissär 

7.  Szene  (Seite  321) 
(Zwei     Kommerzialräte    aus    dem 

Hotel  Imperial  tretend.) 

Zwei  Komm.erzialrätc 
Ein  Invalide 
Ein  Fiaker 

Eine  Bettlerin  mit  emem  Holzbein 
und  einem  Armstumpf 

8.  Szene  (Seite  322) 
Der  alte  Biach 

9.  Szene  (Seite  323) 
(Kriegsarchiv.) 

Ein  Hauptmann 
Dörmann 
Hans  Müller 
Andere  Literaten 
Zwei  Ordonnanzen 

10.  Szene  (Seite  331) 

(Ein   chemisches    Laboratorium   In 
Beriin.) 

Der  Geheime  Regierungsrat 
Professor  Delbrück 

11.  Szene  (Seite  332) 
(Vereinssitzung   der  Cherusker  in 

Krems.) 

Pogatschnigg,  genannt  Teut, 
Cherusker 


XXII 


Eine  Stimme 
Frau  Pogatschnigg 
Winfried  Hromatka 

i.  a.  B. 
Kasmader 
Übelhör 
Homolatsch 


Cherusker 


12.  Szene  (Seite  335)  \ 
(Tanzunterhaitung  in  Hasenpoth.) 
Baltischer  Herr  u.  Baltische  Dame 

13.  Szene  (Seite  336) 
(Rerisionsverhandlung    des    Land- 
gerichtes Heilbronn.) 

Ein  Staatsanwalt 
Eine  Angeklagte 
Zwei  aus  dem  Auditorium 

14.  Szene  (Seite  337) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

15.  Szene  (Seite  341) 
(Eine  protestantisclie  Kirctie.) 

Superintendent  Falke 

16.  Szene  (Seite  342) 
(Eine  andere  protestantisclie  Kirche.) 
Konsistorialrat  Rabe 

17.  Szene  (Seite  343)  j 
(Eine  andere  protestantische  Kirche.) 

Pastor  Qeier 

! 

18.  Szene  (Seite  345)  \ 
(Wallfahrtskirche.)  ' 

Ein  Mesner 

Ein  Fremder  ' 


IQ.  Szene  (Seite  346) 
(Konstantinopel.  Eine  Moschee.) 

Zwei  junge  Leute  aus  Berlin 
Ein  Imam 
Eine  Dame 

20.  Szene  (Seite  348) 
(Redaktion  in  Berlin.) 

Alfred  Kerr 

21.  Szene  (Seite  349) 
(Ordinationszimmer  in  Berlin.) 

Professor  Molenaar 
Ein  Patient 

22.  Szene  (Seite  351) 
(Bureauzimmerb.  einem  Kommando.) 

Ein  Generalstäbler  am  Telephon 
Zwei  alte  Generale 
Ein  Journalist 

23.  Szene  (Seite  352) 
(Hauptquartier.) 

Erzherzog  Friedrich 
Die  beiden  Buquoy 
Der  Adjutant 

24.  Szene  (Seite  353) 
Zwei  Verehrer  der  Reichspost 

25.  Szene  (Seite  359) 
(Vor  dem  Kriegsministerlum.) 

Zwei  junge  Männer 

26.  Szene  (Seite  359) 
(Ringstraße.) 

Fünfzig  Drückeberger 


XXIII 


27.  Szene  (Seite  359) 
(Vor  dem  Kriegsministerium. j 

Zwei  andere  junge  Männer 

28.  Szene  (Seite  359) 
(LandesTerteidigungsministerium.) 

Ein  Hauptmann 
Ein  Zivilist 

29.  Szene  (Seite  360) 
(Innsbruck.  Ein  Restaurant.) 

Ein  Oberst 

Die  Oberstensgattin 

30.  Szene  (Seite  361) 
(Marktplatz  in  Grodno.) 

Ein    Beamter    der    Stadthaupt- 
mannschaft 
Die  knicksenden  Mädchen 
Die  Respektpersonen 
Deutsche  Beamte 
Deutsdie  Offiziere 

3'i.  Szene  (Seite  361) 

(Briefzensar  bei   einem    deutschen 

Frontabschnitt.) 

Ein  Zensuroffizier,  Ein  Haupt- 
mann, Ein  Flieger,  Ein  Vize- 
feldwebel, Ein  Unteroffizier, 
Ein  Landsturmmann,  Be- 
dienung der  Qcm-Geschütze 
genannt  »Die  Sturmkolonne«, 
Sechzehn  Kraftfahrer,  Ein 
Oberleutnant,  Ein  Flieger- 
Beobachter,  Ein  Leutnant, 
Ein  Militärmusiker,^  Ein  Ge- 
freiter, Ein  Soldat,  tin  Stabs- 
arzt, Ein  Kanonier,  Ein  Kom- 
paguieführer,  Ein  Offizier- 
stellvertreter, Ein  Pionier, 
Ein  Kriegsfreiwilliger,  F'in 
Generalmajor 


32.  Szene  (Seite  365) 

(Eine  stille  Poetenklause  im 
steirischen  Wald.) 

Kernstock 

Zwei  Kernstock-Verehrer 

33.  Szene  (Seite  367) 

(Bei   einem  Abschnittskommando.) 
Die  Schalek 

34.  Szene  (Seite  369) 
(Berlin,  liergarten.) 

Ein  Austausch  Professor 
Ein      nationalliberaler      Abge- 
ordneter 

35.  Szene  (Seite  372) 
(Berliner  Vortragssaal.) 

Der  Dichter 
Die  Zuhörer 

36.  Szene  (Seite  373) 
(Wiener  Vortragssaal.) 

Der  Nörgler 

Ein  Zuhörer  und  seine  Gattin 

37.  Szene  (Seite  374) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 

38.  Szene  (Seite  377) 
(in  einem  Coupe.) 

Zwei  Geschäftsreisende 

39.  Szene  (Seite  379) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

40.  Szene  (Seite  380) 
(Das  deutsche  Bad  Groß-Salze.) 

Kommerzienrat  Ottomar 
Wilhelm  Wahnschaffe 


II* 


XXIV 


Kinder 


Frau    Kommerzienrat    Auguste 
Wahnschaffe 

M^Sü  !  ^-"  Kinder 

Ein  unsichtbarer  Chor,  der  das 
Gelächter  des  Auslands  vorstel  it 
Zwei  Invalide 
Zwei   Bonner 
Häuschen  u.  Trudcheu 
Hans     Adalbert    und 

Annemariechen 
August  und  Quste 
Mieze 

Klaus  und  Dolly  ( 

Walter  und  Marga 
Paulchen  u.Paulinchen 
Jochen  und  Suse 
Elsbeth 
Eine  Mutter 
Ein  Herr 
Zwei  Väter 
Zwei  Söhnchen 

41.  Szene  (Seite  398) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

42.  Szene  (Seite  404) 
(Während     der     Somme-Schlacht. 

Parktor  vor  einer  Villa.) 
Dei'  deutsche  Kronprinz 
Eine  vorbeimarschierende 
Kompagnie 

43.  Szene  (Seite  404) 

(Kriegsministerium.) 

Ein  Hauptmann 
Ein  Zivilist 


44.  Szene  (Seite  405^ 
(Kasteäruth.) 

Leutnant  Helwig 

Ein  anderer  Leutna;U 

Eine  Kelineiin 

Der  diensthabende  Fähnrich 


45.  Szene  (Seite  405) 
(Ein  Wiener  Nachtlokal.) 

Rolf  Rolf,  der  Stegreifdichter 

Rufe 

Zwei  Offiziere 

Frieda  Morelli.  die  Sängerin 

Eine  Stimme 

Ein  ungarischer  Viehhändler 

Der  Besitzer  des  Nachtlokals 

Das  Oarderobepersoiial  und  die 

Toiletipfrau 
Ein  Qetreidehändler 
Alle 

Ein  Stammgast 
Ein  betriinkener  Funktionär  des 

Roten  Kreuzes 
Sein  Kollege 
Ein  Regimentsarzt 
Sein  Kollege 
Ein  betrunkener  Gast 


46.  Sz-ne  (Seite  411) 
(Nacht.  Der  Grabea.) 

Der  Nörgler 

Ein    Betrunken!  r,    der    mitten 

auf  ',ier  Straiie  ein  Bedürfnis 

verrichtet 


Larvju  und  Lemiiren,  Spaziergänger,  Passanten,  Kriegskrüppel, 
Blinde,  Bettler,  Bettlerinnen,  Bettelkinder,  Kunden,  Literaten, 
Cherusker  in  Krems,  Tänzer  in  Hasenpoth,  Qerichtspersonen, 
Gerichtssaalbesucher,  Kirchenbesucher  O-fiziere,  Restaurantgiste, 
Bevölkeruag,  Sold>\ten,  Auditorium,  Buffetdamen  Animierdamen, 
Lebemänner,  Herren  vom  Roten  Kreuz,  polnische  Legionäre, 
Perional  eine?  Niohtlokals,  Mitwirkende,  die  Salonkapelle 
Nechwatal,    die   Zigeunerkapelle  .Miskolczy  Jancsi. 


XXV 


IV.  AKT 


1.  Szene  (Seite  415) 
(Wien.  Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke.; 

Die  Zeitiin.i<sausri!:er 

Vier  Offiziere 

Eine  Komtesse 

Ilire  Begleiterin 

Ein    blinder    Soldat    in    einem 
Rollwagen 

Ein  IiiteUektueller 

Sein  Begleiter 

Poldi  Fesch 

Das  Riesen baby 

Der  Hotelneger 

Ge.-ang  F.inriickender 

Ein     Beniner    Exporteur     mit 

Impone  im  Mund 
Sein  Begleiter 

Ein  Passant  mit  aufgehobenen 

Händen 
Ein  anderer  Passant 
Eine  Offiziersgs'tin 
Ihr  Begleiter 
Zwei  Spaziergänger 
Zwei  Verehrer  der  Reichspost 
Ein  Eigenbrötler 
Sein  Begleiter 
Lenzer  v.  Lenzbruck 
Frau  Back  v.  Brünnerherz 
Ein  Bhimenweib 
Zwei  Herren 
Storni 

Fräulein  Löv7onstamm 
Fräulein  Körmendy 
Ein  Fahrgast 
Ein  Fiaker 

2,  Szene  (Seite  421) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

3.  Szene  (Seite  422) 
(Ein  Balinhof  bei  Wien.) 

Ein  Bahnhofportier 
Sechs  Wiener 


Der  Nör^Wer 

Das  österreichische  Antlitz 

Ein  Eingeweihter 

4.  Szene  (Seite  424) 
(Kohlmarkt.  Vor  dem  Schaufenster 

einer  Bilderhandlung.) 

Margosches 
Wolffsohn 

5.  Szene  (Seite  425) 

Strobl    )   rA.  ,  , 
Ertl        /  ^'^hter 

6.  Szene  (Seite  426) 

(Kommers.) 
Ein   A.  H. 
Die  KommfJi'onen 
Ein  Fuchs 

7.  Szene  (Seite  427) 
(Ärzteversammiung  in  Berlin.) 

Ein  Psychiater 
Ein  Irrsinniger 
Professor  Boas 
Professor  Zuntz 
Professor  Rosenfeld-Breslau 
Der    Vorstand    des    Ärzte- 
ausschusses von  Groß-Beriin 
Schutzmann  Buddicke 
Mehrere  Stimmen 

8.  Szene  (Seite  436) 
(Weimar.  Frauenklinik.) 

Professor  Henkel 

Professor  Busse 

Die  Patientin 

Ein  Assistent 

Der  Prinz  zu  Lippe 

Eine  Krankenschwester 


XXVI 


9.  Szene  (Seite  437) 
(Bei  einer  deutschen  Reserve- 
Division.) 

Ein  Oberst 

10.  Szene  (Seite  437) 
(Isonzofront.   Bei  einem   Brigade- 

Icommando.) 

Die  Schalek 
Chor  der  Offiziere 


16.  Szene  (Seite  446) 
(Praciitenbalintiof  in  Debreczin.) 

Ein  Posten 

Oberleutnant  Beinstelier 
Leutnant  Sekira 

17.  Szene  (Seite  447) 
(Wiener  Magistrat.) 

Ein  Beamter 
Eine  Partei 


11.  Szene  (Seite  442) 
(Divisionsliommando.) 

Ein  Kommandant 
Der  Kaiserjägertod 
Ein  Major 

12.  Szene  (Seite  443) 
(Rüciczug.  Eine  Ortsctiaft.) 

Der  Kaiserjägertod 
Ein  hungernder  Soldat 
Ein  Oberst 
Oberleutnant  Gerl 

13.  Szene  (Seite  444) 
(Spital     neben     einem     Divisions- 
kommando.) 

Ein  Schwerverwundeter 

Ein  Wärter 

Gesang  von  nebenan 

14.  Szene  (Seite  444) 

(Bei  einer  deutschen  Reserve- 
Division.) 

Ein  Oberst 

15.  Szene  (Seite  445) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 


18.  Szene  (Seite  449) 
(Wohnung  der  Familie  Darchhalter. 

Vater,  Mutter  und  Kinder 

19.  Szene  (Seite  449) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 

20.  Szene  (Seite  449) 
(Sofia.  Ein  Bankett  deutscher  und 

bulgarischer  Schriftleiter.) 

Der    deutsche    Gesandte    Graf 

Oberndorff 
Die  deutschen  und  bulgarischen 

Schriftleiter 
Kieinecke-Berlin 
Steinecke-Hannover 

21.  Szene  (Seite  452) 
(Ministerium  des  AnBern.) 

Haymerle 
Ein  Redakteur 

22.  Szene  (Seite  455/ 

(In    der    guten   Stube   bei   Wahn- 
schaffes.) 

Frau  Pogatschnigg 
Frau  Wahnschaffe 


XXVII 


23.  Szene  (Seite  458) 
Drei  deutsche  Modedamen 

24.  Szene  (Seite  458) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 


25.  Szene  (Seite  460) 
(Mitta^isch  bei  Hindenburg  and 

Ludendorff.) 

Hindenburg  und  Ludendorff 
Paul  Goldmann 

26.  Szene  (Seite  463) 
(Semmering.  Auf  dem  Hochweg.) 

Der  kaiserliche  Rat 
Der  alte  Biach 


27.  Szene  (Seite  484) 
(Berliner  Tiergarten.) 

Padde  und  Kladde 

28.  Szene  (Seite  489) 

(Kino.) 

Der  Kinoregisseur 
Eine  weibliche  Stimme 
Emil 


31.  Szene  (Seite516) 
(Schönbrnnn.  Arbeitszimmer.) 

Franz  Joseph 

Der     rechte     und     der     linke 
Kammerdiener 


32.  Szene  (Seite  525) 
(Kragujevac,  Militärgericht.) 

Der  Oberleutnant-Auditor 
Der  Schriftführer 


33.  Szene  (Seite  526) 
(Ischler  Esplanade.) 

Der  alte  Komgold 
Vier  Kurgäste 
Fräulein  Lö^censtamm 
Fräulein  Körmendy 
Bob  Schlesinger 
Baby  Fanto 
Ein  alter  Abonnent 
Der  älteste  Abonnent 


34.  Szene  (Seite  527) 
(Wachstube.) 

Der  Polizeiinspektor 
Ein  Wachmann 
Die  Siebzehnjährige 


29.  Szene  (Seite  490) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


30.  Szene  (Seite  510) 
(Standgericht.) 

Hauptmann-Auditor  Dr.  Stanis- 

laus  V.  Zagorski 
Die  elf  Delinquenten 
Die  Offiziere  des  Standgerichts 


35.  Szene  (Seite  528) 
(Ein  Berliner  Nachtlokal.) 

Eine  gröhlende  Stimme 
Frieda  Qutzke 
Katzenellenbogen 
Krotoschiner  II 


36.  Szene  (Seite  529) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


XXVIII 


37.  Szene  (Seite  533) 
(Deutsches  Hauptquartier.) 

Wilhelm  IL 

Die  Generale 

V.  Seckenctorff,  Adjutant 

Drei  Offizitre 

V.  Hahnke 

V.  Duncker 

V.  Krickwitz 

V.  Flottwitz 

V.  Martins 


38.  Szene  (Seite  537) 
(Winter  in  den  Karpathen.) 

Kompagnieführer  Hiller 
Füsilier  Helmhake 
Zwei  Soldaten 


39.  Szene  (Seite  538) 
(Ebenda  im  Unterstand  Hillers.) 

Unterarzt  Müller 
Kompagnieführer  Hiller 

40.  Szene  (Seite  539) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 


41.  Szene  (Seite  540) 
(Ein  Militärspital.) 

Ein  Generalstabsarzt 
Oberstleutnant  Vinzenz  Demmer 

V.  Drahtverhau 
Ein  Regiinentsarzt 
Ein  Feldwebel 
Ein  Feldkurat 

42.  Szene  (Seite  544) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

43.  Szene  (Seite  548) 
(Kriegspress«quartier.) 

Ein  Hauptmann 
Ein  Journalist 

44.  Szene  (Seite  551) 
(Armee- Ausbildungsgmppe 

Wladimir- Wolinsky.) 

Ein  Hauptmann 
Eine  Schreibkraft 

45.  Szene  (Seite  552) 
(Bei  Graf  Dohna-Schtodien.) 

Graf  Dohna-Schl'jdien 
Zwölf  Vertreter  der  Presse 
Eine  Stimme  aus  der  Gruppe 


Larven  und  Lemuren,  Spaziergänger,  Invaliden,  Krüppel,  Blinde, 
Bettler,  Bettlerinnen,  Betcelkinder,  Publikum  vor  einem  Bahn- 
schalter, Ärzte,  Offiziere,  Mannschaft,  Spitalsinsassen,  Posten, 
Neugierige,  Kinobesucher,  Kurgäste,  Nachtlokalgäste,  Kokotten, 
Rekonvaleszente,  Verwundete  aller  Grade,  Sterbende,  Mitglieder 
des  Kriegspressequartiers,  Regimentsmusik,  Nachtlokalmusik. 


XXIX 


V.  AKT 


1.  Szene  (Seite  555) 
(Abend.  Slrk-^Ecke.) 


Die  Zeitungsausrufer 
Vier  Offiziere 
Gesang  Einrückender 
Poldi  Fesch 
Sein  Begleiter 
Turi  und  Ludi 
Fallota 

Ein  Blumenweib 
Zwei  Beinstümpfe  in  einer  ab- 
gerissenen Uniform 
Eine  flüsternde  Stimme 
Ein  brausender  Ruf 


2.  Szene  (Seite  557) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

3.  Szene  (Seite  560) 
(Vor  dem  Parlament.) 

Eine  Frau,  die  soeben  vor  Hunger 

zusammengebrochen  ist 
Pattai 

4.  Szene  (Seite  560) 
(Ministerium  des  Äußern.) 

Qraf  Leopold  Franz  Rudolf 
Ernest  Vinzenz  Innocenz  Maria 

Baron  Eduard  Alois  Josef  Ottokar 
Ignazius  Eusebius  Alaria 

5.  Szene  (Seite  563) 

(Bei  Udine.) 

Zwei  Generale,  jeder  in  einem 
über  und  über  bepackten 
Automobil 

Ein  Infanierist,  der  einen  Kolben 
Kukuruz  nimmt 


6.  Szene  (Seite  564) 
(Etappe  Fourmies.) 
Landwehrmann  Lüdecke 


7.  Szene  (Seite  565) 
(Zirkus  Busch.) 

Pastor  Brüstiein 
Hauptscnrifileiter  Maschke 
Ein  Mißvergnügter 
Professor  Puppe 
Rufe 

8.  Szene  (Seite  567) 

Der-  Optimist  und  der  Nörgler 

9.  Szene  (Seite  569) 
(Ischler  Esplanade.) 

Der  Abonnent 
Der  Patriot 
Der  alte  Biach 
Die  Kurgäste 


10.  Szene  (Seite  580) 
(Berlin,     Weinrestaurant     in 


der 


Zulauf   t 
Ablaß   / 


Passage.) 
freisinnige  Politiker 


1 1 .  Szene  (Seite  582) 
(Kriegsgeneralversammlung  des 
^sozialdemokratischen  Wahlvereines 
des  Großberliner  Riesenvvahlkreises 
Teltow-Beskow-Storkow-Charlotten- 
burg.) 

Genosse  Schliefke  (Teltow) 
Em  Zwischenrufer 


XXX 


12.  Szene  (Seite  583) 
(Bad  Gastein.) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 

13.  Szene  (Seite  583) 
(Bureauzimmer  bei  einem 

Kommando.) 

Ein  Generalstäbler  am  Telephon 

14.  Szene  (Seite  584) 
(Schlachtfeld  bei  Saarburg.) 

Hauptmann  Niedermacher 
Major  Metzler 

Ein  französischer  Verwundeter 
Ein  deutscher  Soldat 

15.  Szene  (Seite  586) 
(Bei  Vcrdun.) 

General  Gloirefaisant 
Hauptmann  de  Massacre 
Oberst  Meurlrier 

16.  Szene  (Seite  587) 
(Kriegspressequartier   in   Rodaun.) 

Die  Schalek 
Der  Kamerad 

17.  Szene  (Seite  595) 

Der  Abonnent  und  der  Patriot 

18.  Szene  (Seite  597 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

19.  Szene  (Seite  597) 
(Michaelerplatz.) 

Chor  der  Pülcher 


20.  Szene  (Seite  597) 
(Militärkommando.) 

Ein  Hauptmann 
Eine  Schreibkraft 


21.  Szene  (Seite  599) 
(Kriegsministeriam.) 

Ein  Hauptmann 
Eine  Schreibkraft 
Ein  Fähnrich 


22.  Szene  (Seite  605) 
(Statthalterei  in  Brunn.) 

Der  Landeshauptmann 
Eine  Schreibkraft 

23.  Szene  (Seite  606) 
(In  einer  Volksschule.) 

Der  Lehrer  Zehetbauer 

Die  Knaben  Anderle.Gasselseder, 

Kotzlik,     Merores,      Sukfüll, 

Zitterer 


24.  Szene  (Seite  610) 
(Im  Landesverband  für    Fremden- 
verkehr.) 

Ein  Redakteur 
Ein  Funktionär 


25.  Szene  (Seite  612) 
(RingstraHencafe.) 

Das  Geschrei 

Mammut 

Ein  Kellner 

Zieselmaus 

Walroß 

Hamster 

Nashorn 


XXXI 


Tapir 

Schakal 

Leguan 

Kaiman 

Pavian 

Kondor 

Low 

Hirsch 

Wolf 

Posamentier 

Spitzbauch 

Schlechtigkeit 

Stimmen  hastig  Eintretender 

GoUerstepper 

Tugendhat 

Mastodon 

Raubitschek 

Vortrefflich 

Gutwillig 

Aufrichtig 

Beständig 

Brauchbar 

Die  Toilettefrau 

Pollatschek 

Lustig 

Ein  zitternder  Invalide 

Bernhard    Moldauer,    ein    alter 

Schieber 
Zwei  seiner  Freunde 
Seine  Frau 
Seine  Tochter 
Der  Onkel 

Ein  jüngerer  Wucherer 
Der  Geschäftsführer 


26.  Szene  (Seite  617) 
(Friedrich-Straße.) 

Chor  der  Rufer 

Ein  Jüngling 

Ein  Mädchen 

Ein  Schutzmann 

Ein  Berliner  Schieber   und  ein 

Wiener  Schieber  Schulter  an 

Schulter 
Ein  Zeitungsausrufer 


27.  Szene  (Seite  619) 

(Standort  d.  Armeeoberkommandos. 

Vergnügungslokal.) 

Ein    betrunkener 

Generalstäbler 
Chor  der  Kellner 
Das  Mädchen  rechts 
Kohn 

Fritzi-Spritzi 
Der  Besitzer 
DieToilettef  rau  und  das 

Garderobepersonal 
Fettköter 

Das  Mädchen  links 
Ein  Generalstäbler 
Die  Generalstäbler 


Mario- 
netten 


28.  Szene  (Seite  622) 
(Wiener  Vortragssaal,) 

Der  Nörgler 

Ein  Zuhörer  und  seine  Gattin 


29.  Szene  (Seite  624) 
Der  Abonnent  und  der  Patriot 


30.  Szene  (Seile  625) 

(Zwei    Kommerzialräte     aus    dem 

Hotel  Imperial  tretend.) 

Zwei  Kommerzialräte 

Eine  Bettlerin  mit  einem  Holzbein 

und  einem  Armstumpf 
Ein  Fiaker 
Eine    Frau,    die    vor    Hunger 

zusammenbricht 
Ein  Invalide 


31.  Szene  (Seite  628) 
Der  Optimist  und  der  Nörgler 


XXXil 


32.  Szene  (Seite  630) 
(Beim  Bataiilonsrapport.) 

Ein  Major 
Vier  Soldaten 
Ein  Gefreiter 

33.  Szene  (Seite  632) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

34.  Szene  (Seite  636) 
(^Im  Dorfe  Postabi<z.) 

Eine  Frau 

35.  Sze'^e  (Seite  637) 
(Spital  in  Leittneritz.) 

Ein  Austauschmvaiidc 
Sein  Bettnachbar 

36.  Szene  (Seite  637) 
(Heimkehrerlager  in  Galizien.) 

Der  Freund 

37.  Szene  (Seite  641) 
(Nach  der  Winteroffensive  auf  den 

Sieben  Gemeinden.) 

Zwei  Kriegsberichterstatter 

Zwei  Soldaten 

Ein  Hauptmann 

Dicl<leihige  üestalten,  die  Auto- 
mobilen einsteigen 

Eine  schmächtigere,  in  dichtes 
Pelzwerk  gehüllt 

Der  Oberst 

Ein  Major 

38.  Szene  (Seite  644) 
(Hofburg.  Pressedienst.) 

Hauptmann  Werkmann 
Eine  Schreibkraft 


39.  Szene  (Seite  645) 
(Kärntnerstraße.) 

Erzherzog  Max 

Ein  Lakai 

Der  Tenor 

Die  Menge 

Ein  Zeitungsausrufer 

40.  Szene  (Seite  645) 
(Eine  Seitengasse.) 

Ein   blinder  Soldat   und   seine 

kleine  Tochter 
Ein  Invalide  mit  Leierkasten 
Ein  Leutnant 


41.  Szene  (Seite  646) 
(Armeeoberkommando.) 

Ein  Major 

Ein  anderer  Major 

42.  Szene  (Seite  647) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

43.  Szene  (Seite  656) 

(Stadtpark.) 

Eine  unübersehbare   Menschen- 
menge 
Zeitungsausrufer 
Zwei  Damen 
Ein  Herr 

Der  Göttergatte  u.dieGöttergattin 
Ein  dicker  Schieber 
Sein  Mädchen 
Ein  Begleiter 
Stimme  eines  Skeptikers 
Fräulein  Körmendy 
Fräulein  Löwenstamm 
Ein  Feschak  und  eine  Funzen 
Rufe 

Drei  Redner 
Zwei  Gruppen 


XXXIII 


Einer,  der  gelaufen  kommt 

Ein  anderer 

Ein  älterer  Herr,    der   vor  sich 
liinsummt 

Ein  junger  Mann  mit  Gürtelrock 
und  ^'eißen  Gamaschen 

Sein  Freund 

Die  Steffi 

Ein  Aufwiegler 

Der  Vertreter    der  Film-Gesell- 
schaft 

Der  Restaurateur 

Die  Menge 


44.  Szene  (Seite  660) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

45.  Szene  (Seite  664) 
(Innsbruck.  Maria  Theresienstraße.) 

Ein  Metzgergehilfe 

Das  Mädchen  mit  dem  Säbel 

Der  Offizier  ohne  Säbel 

Zwei  andere  Offiziere 

Z'vei  Wachleute 

Ein  Inspektionsoffizier 

46.  Szene  (Seite  667) 

Zwei  Verehrer    der  Reichspost, 
schlafend 


47.  Szene  (Seite  669) 
(Separatcoupee  erster  Klasse.) 

Der  Oberstleutnant  des  Qeneral- 
stabs  Maderer  von  Mullatschak 


48.  Szene  (Seite  670) 
(3000  Meter  hoch.) 

Ein  Fähnrich 
Die  Schaiek 


49.  Szene  (Seite  671) 

Der  Optimist  und  der  Nörgler 

50.  Szene  (Seite  673) 
(Schweizer  Hochbahn.) 

Gog  &  Magog 
Eischen 

51.  Szene  (Seite  679) 
(Baracl<e  in  Sibirien.) 

Sibirische  Gefangene 

Ein  österreichischer  Hauptmann 

52.  Szene  (Seite  680) 
(Nordbahnhof.) 

Verschiedene  Stimmen 
Spielvogel  und  Zawadil " 
Angelo    Eisner    v. 

Eisenhof 
Hofrat    und    Hofrätin 

Sch'aarz-Gelber 
Sektionschef    VX/ilhelm 

Exner 
Dobner  v.  Dobenau 
Riedl 
Stukart 
Sieghart 
Präsident  Landesberger 

von  der  Anglobank    '""Jl'"" 
Eine  Mutter  "^"^" 

Die  Tochter 
Dr.  Oharas 
Flora  Dub 

Zwei  Konsuln  Stiaßny 
Drei  kaiserliche  Räte 
Sukfüll 

Birinski  u. Glücksmann 
Hans  Müller 
Putzker 
Der  Buchhändler 

Hugo  Heller 
Der  Redakteur 
Ein  Austauschinvalide,  sterbend 


Mario- 


XXXIV 


53.  Szene  (Seite  683) 
(Eine  menschenleere  Gasse.) 

Korybanten  und  Mänaden 

54.  Szene  (Seite  684) 
Der  Nörgler  am  Schreibtisch 

55.  Szene  (Seite  697) 
(Liebesmalil     bei     einem     Korps- 

Itommando.) 

Der  General 

Der  preußische  Oberst 

Ein  Bursche 

Generalmajor;  Oberst;' 
Oberstleutnant;  Major; 
Rittmeister;  Dienst- 

habender   Generalstabs-  beim 
offizier;Telephonoffizier;  '  Stab 
Hauptmänner;  Oberleut- 
nants; Leutnants;  Ober- 
intendant; Oberstabsarzt; 


Regimentsarzt ;  Ober- 
auditor; Feldkurat  und 
Feldrabbiner;  Artillerie- 
referent; Ein  K-Offizier; 

Qeza  von  Lakkati  de 
Nemesfalva  et  Kutjafeleg-  beim 
faluszeg;  Romuald  Kurz- f  Stab 
bauer ;  Stanislaus  von 
Zakrychiewicz;  Petricic; 
Iwaschko;  Koudjela; 
Trainreferent  Felix  Bellak 

Wowes 

Ein  deutscher  Qeneralstabsoffi- 
zier;  Ein  deutscher  Hauptmann; 
Zwei  preußische  Hauptmänner ; 
Zwei  preußische  Oberleutnants; 
Ein  preußischer  Leutnant 

Zwei  Kriegsberichterstatter 

Schwester  Paula  und  Schwester 
Ludmilla 

Ein  Bursche 

Die  Kapelle 

Rufe 


Spalier  der  Verwundeten  und  Toten,  Lebewelt,  Bettler,  Bettlerinnen, 
Bettelkinder,  Herrenhausmitglieder,  Pfgrch  von  Tornistern, 
Rucksäcken  und  Leibern  in  einer  Elektrischen,  Mannschaft, 
Teilnehmer  einer  Monstreversammlung,  Passanten  der  Berliner 
Passage,  Wahlvereinsmitglieder,  deutsche  und  französische 
Soldaten  und  Offiziere,  deutsche  Gefangene,  Verwundete, 
die  Burgmusik.  Kaffeehausgäste  in  Zivil  und  Uniform, 
Göttergatten,  Gürteltiere,  Mädchen  in  insektenhafter  Tracht,  Kellner 
und  Kellnerinnen,  Rennprogrammverkäufer,  Ein  geordneter  Zug 
von  Rowdies,  Maklern,  Operettensängern,  Bohemiengs,  Gesund- 
betern, Luden,  Pupen,  Nutten,  Neppern,  Schleppern,  Schiebern 
und  Schneppen,  Generalstäbler,  Kriegsgewinner,  Animierdamen, 
Nachtlokalmusik,  Vorlesungsbesucher,  Spaziergänger,  Spitals- 
insassen, Überreste  eines  Regiments,  Reisende  zwischen  Koffern, 
Passagiere  einer  Schweizer  Hochbahn,  Neugierige,  Mitglieder  des 
Vereins  »Lorbeer  für  unsere  Helden«,  Funktionäre,  Labedienst, 
Austauschinvalide,  Regimentsmusik,  Journalisten,  Männer  und 
Frauen  die  eine  Anregung  gegeben  haben,  österreichische  und 
deutsche  Offiziere,  Menagepersonal,  Erscheinungen. 


XXXV 


Sprechende  Erscheinungen: 

Der  Knabe  Slobodan  Ljubinkovits  f  1915;  Ein  Kriegsbericht- 
erstatter; Der  19jährige  und  der  21jährige;  Zwei  Auditoren; 
Ein  Oberauditor;  Der  Hauptmann  Prasch;  Ein  Ulanenoberleutnant; 
Die  Gasmasken;  Die  erfrorenen  Soldaten;  Der  alte  serbische 
Bauer;  Die  Flammen;  Die  zwölf  hundert  Pferde;  Lionardo  da  Vinci; 
Die  Lusitania-Kinder;  Die  Kriegshunde;  Der  tote  Wald;  Die 
Mutter;  Das  österreichische  Antlitz;  Die  Raben;  Die  weiblichen 
Hilfskräfte;  Der  ungeborne  Sohn. 


XXXVI 


EPILOG 

Die  letzte  Nacht 
(Seite  749) 

Sterbender  Soldat 

Männliche  Gasmaske 

Weibliche  Gasmaske 

General 

Erster  Kriegsberichterstatter 

Zweiier  Kriegsoenchterstatter 

Der  Sterbende 

Ein  Fe-ldwebel 

Ein  Erblindeter 

Die  Krjegsberichterstatterin 

Ein  Verwundeter 

Der  Totenkopfhusar 

Nowotny  von  Eichensieg 

Dokior-lng.  Abendrot 

Chor  der  Hyänen 

Der  Herr  der  Hyänen 

Dre^  gelegentliche  Mitarbeiter 

Stimmen  von  oben 

Stimmen  von  unten 

Zwei  Ordonanzen 

Die  Kino- Operateure 

Eine  Stimme  von  oben 

Die  Stimme  Gottes 


Vorspiel 


1.  Szene 

Wien.    Ringstraßenkorso.    Sirk-Ecke.    Ein  Sommerfeiertagabend. 
Leben  und  Treiben.  Es  bilden  sich  Gruppen. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Ermordung  des  Thronfolgers!  Da  Täta  vahaftet! 

Ein  Korsobesucher  (zu  seiner  Frau):  Gottlob 
kein  Jud. 

Seine  Frau:  Komm  nach  Haus.  (Sie  zieht  ihn  weg.) 

Z  w  ei  terZeitungsausruf  er:  Extraausgabee  — ! 
Neue  Freie  Presse!  Die  Pluttat  von  Serajevo!  Da 
Täta  ein  Serbee! 

Ein  Offizier:  Grüß  dichPowolny!  Also  was 
sagst?  Gehst  in  die  Gartenbau? 

Zweiter  Offizier  (mit  Spazierstock):  Woher  denn? 
G'schlossen! 

Der  erste  (betroffen):  G'schlossen? 

Ein  dritter:  Ausg'schlossen! 

Der  zweite:  Wenn  ich  dir  sag! 

Der  erste:  Also  was  sagst? 

Der  zweite:  Na  gehn  mr  halt  zum  Hopfner. 

D  e  r  e  r  s  t  e :  Selbstverständlich  —  aber  ich  mein, 
was  sagst  politisch,  du  bist  doch  gscheit  — 

Der  zweite:  Weißt, no wer' mr  halt(fuchteltmitdem 
Spazierstock)  —  a  bisserl  a  Aufmischung  —  gar  nicht 
schlecht  —  kann  gar  nicht  schaden  —  höxte  Zeit  — 

Der  erste:  Bist  halt  a  Feschak.  Weißt,  einer 
wird  ganz  aus'n  Häusl  sein,  der  Fallota,  der  was  — 

Ein  vierter:  (tritt  lachend  hinzu):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grüß  dich  Powolny,  also 
du  —  du  bist  ja  politisch  gebildet,  also  was  sagst? 

Der  zweite:  Weißt,  diese  Bagasch  hat  Umtriebe 
gemacht  ganz  einfach. 


Der  dritte:  Weißt  —  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  mullattiert  ~!  habts  das  Bild  vom  Schönpflug 
gsehn,  Klassikaner! 

Der  zweite:  Weißt,  der  Fallota  das  ist  dir  ein 
Patriot,  der  sagt  immer,  es  gentigt  nicht,  daß  man 
seine  Pflicht  erfüllt,  man  muß  ein  Patriot  sein  unter 
Umstand.  Wenn  der  sich  was  in  den  Kopf  setzt, 
da  gibts  keine  Würschtel.  Weißt  was  ich  glaub?  Wern 
mer  halt  schwitzen  müssen  die  Tag.  No  von  mir  aus! 

Der  dritte:  Was  is  mit'n  Hopfner? 

Der  vierte:  Du,  hast  die  zwei  Menscher 
gekannt  da? 

Der  zweite:  Weißt,  der  Schlepitschka  von 
Schlachtentreu,  der  is  furchtbar  gebildet,  der  liest 
dir  die  Presse  also  auswendig  von  A  bis  Z,  er  sagt 
wir  sollen  auch  lesen,  dort  steht  sagt  er,  wir  sind 
für  den  Frieden,  wenn  auch  nicht  für  den  Frieden 
um  jeden  Preis,  du  is  das  wahr?  (Eine  Büfettdame  geht 
vorüber.)  Du  schau,  das  ist  das  Mensch  wo  ich  dir 
erzählt  hab  was  ich  umsonst  gehabt  hab  neulich. 
(Der  Schauspieler  Fritz  Werner  geht  vorüber.)  Djehre! 

Der  dritte:  Du  mir  scheint  den  kenn  ich  nicht. 

Der  vierte:  Den  kennst  nicht?  Geh  mach 
keine  Gspaß  den  kennst  nicht!  Das  is  doch  der  Werner! 

Der  dritte:  Klassisch,  weißt  was  ich  mir  ein- 
gebildet hab,  ich  hab  mir  eingebildet,  das  is  der 
Treumann! 

Der  erste:  Geh  hör  auf!  Wie  kann  man  denn 
den  Treumann  mit  dem  Werner  verwechseln! 

Der  zweite:  Siehst  du,  weil  du  nicht  Logik 
studiert  hast  —  er  hat  doch  konträr  den  Werner  mit 
dem  Treumann  verwechselt. 

Der  dritte:  Weißt,  nein  —  wart  (denkt  nach) 
Weißt  überhaupt  was  meine  Ansicht  is?  »Husaren- 
blut« is  besser  wie  »Herbstmanöver«! 

Der  zweite:  Hör  auf. 

Der  erste:Du,dubistjafurchtbargebildet, also  — 


Der  vierte:  Also  natürlich  war  das  der  Werner! 

Der  erste:   Du  bist  ja  furchtbar  gebildet  — 

Der  zweite:  Warum? 

Der  erste:  Warst  schon  beim  »Lachenden 
Ehemann«?  Kennst  auch  den  Marischka? 

Der  zweite:  Leider  nicht. 

Der  erste:  Kennst  auch  den  Storm? 

Der  zweite:  Aber  selbstverständlich. 

Der  vierte:  Gehts,  stehts  nicht  herum  bei  der 
Potenz-Ecken.  Gehn  wir  zum  Hopfner,  wenn  also  die 
Gartenbau  — 

Der  dritte:  Kennst  auch  den  Glawatsch? 
(Im  Ge?präch  ab.) 

Ein  Zeitungsausrufer  (kommt  im  Laufschritt): 
Tagblaad  —  da  Thronfolga  und  Gemalin  ermordet 
bittä  — ! 

Ein  Agent;  Was  fangt  man  mit  dem  ange- 
brochenen Abend  an? 

Ein  zweiter:  Venedig  soll  offen  sein. 

Der  erste:  Also  schön,  steig  ma  in  eine 
Bk  und  fahr  ma  nach  Venedig. 

Der  zweite:  Ich  weiß  nicht,  ich  bin  doch 
etwas  nerves,  bevor  man  nicht  gehert  hat  — 

Der  erste:  Hert  ma  doch  unten!  Im  Imperial 
haben  sie  auf  Melpomene  getippt,  den  ganzen  Tag 
gestern   sind   sie   einem   in   die  Ohren  gelegen  mit 
Melpomene.   Aber  mise  Vögel,  Sie  wissen  doch  — 
chab  genug  Lehrgeld   gezahlt   —   dort  geht  Fischl 
(er  ruft  zur  Allee  hinüber)  Fischl,  Melpomene? 
Fischl:  Nu  na  nicht! 
Der  erste:  Der  Schlag  soll  Sie  treffen. 
Fischl:  Nach   Ihnen.   Glaukopis  —  Z  veiter  1 
Ein  Wiener  (zu  seiner  Frau):  Aber  laß  dir  doch 
sagen,  er  war  nicht  beliebt  — 

Seine  Frau:  Marandjosef,  warum  denn? 
Der  Wiener:  Weil  er  nicht  papolär  war.  Der 
Riedl  selber  hat  mir  erzählt  —  (ab.) 


Ein  alter  Abonnent  der  Neuen  Freien 
Presse  (im  Gespräch  mit  dem  ältesten  Abonnenten):  Schöne 
Bescherung! 

Der  älteste  Abonnent:  Was  heißlBescherung? 
(Sieht  sich  um.)  Besser  wird  alles!  Es  wird  eine  Zeit  wie 
unter  Maria  Theresia  kommen,  sag  ich  Ihnen! 

Der  alte:  Sagen  Sie! 

Der  älteste:  Wenn  ich  Ihnen  sag! 

Der  alte:  Ihnen  gesagt!  Aber  —  um  Gottes- 
willen —  Serbien!  Mein  Jüngster! 

Der  älteste:  Erstens  ist  ein  Krieg  heutzutag 
ausgeschlossen  und  dann  —  grad  ihn  wem  sie  nehmen! 
Warum,  ma  hat  nicht  genug  andere?  (murmelt)  Gott,  du 
bist  gerecht!  Ich  —  freu  mich  morgen  am  Leit- 
artikel. Eine  Sprache  wird  er  finden,  wie  noch  nie. 
Wie  Lueger  gestorben  is,  wird  nix  dagegen  sein. 
Jetzt  wird  er  endlich  reden  können  frei  von  der 
Leber,  wenn  auch  selbstredend  vorsichtig.  Aber  allen 
wird  er  aus  dem  Herzen  reden,  sogar  den  Gojiras 
sag  ich  Ihnen,  und  sogar  den  höheren  Gojims  und 
sogar  den  höchsten  und  denen  ganz  besonders.  Er 
hat  gewußt,  was  am  Spiel  steht,  er  jo ! 

Der  alte:  Man  soll's  nicht  berufen.  Vielleicht 
is  es  nicht  wahr. 

Der  älteste:  Pessimist  Sie!  (Beide  ab.) 
Einige    Betrunkene    (drängen    sich    durch    die 
Passanten) :   Grüß   enk  Good  allamitanandaa !    Nieda  1 
Nieda  mit  Serbien !  Hauts  es  zsamm !  Hoch ! 

Vier  Burschen  und  vier  Mädchen  Arm 
in  Arm:  Er  ließ  schlageen  eene  Bruckn  daaß  man 
kont  hiniebaruckn  Stadtunfestung  Beigerad  — 

Die  Menge:  Hoch!  (Fri^z  Werner  kommt  zurück 
und  dankt  grüßend)  Hoch  Werner! 

Fräulein  Löwen  stamm:  Geh  jetzt  zu  ihm 
und  bitt  ihm. 


Fräulein  Körmendy  (nähert  sich) :  Ich  bin 
nämlich  eine  große  Verehrerin  und  möcht  um  ein 
Autogramm  — 

(Werner  zieht  einen  Notizblock,  beschreibt  ein  Blatt  und  über- 
reicht es  ihr.  Ab.) 
So  lieb  war  er. 

Fräulein  Löwenstamm:  Hat  er  dich  an- 
geschaut? Komm  weg  aus  dem  Gedränge,  alles  wegen 
dem  Mord.   Ich  schwärm  nur  für  den  Storm!  (Ab.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Eazheazog  Franz  Ferdinand  — 

Ein  Gebildeter:  Kolossaler  Verlust  wird  das 
sein  für  die  Theater,  das  Volkstheater  war  total  aus- 
verkauft — 

Seine  Frau:  Schön  verpatzter  Abend,  warn  wir 
zuhausgeblieben,  aber  du,  du  bist  ja  nicht  zu  halten  — 

Der  Gebildete:  Ich  staune  über  deinen 
Egoismus,  einen  solchen  totalen  Mangel  an  sozialem 
Empfinden  hätte  ich  bei  dir  nicht  vorausgesetzt. 

Die  Frau:  Du  glaubst  vielleicht  ich  intressier 
mich  nicht,  selbstredend  intressier  ich  mich,  im  Volks- 
garten essen  hat  gar  keinen  Sinn,  wenn  sowieso 
keine  Musik   is   geht  man  gleich   zu   Hartmann  — 

Der  Gebildete:  Immer  mit  deinem  Essen, 
wer  hat  jetzt  Gedanken  —  Du  wirst  sehn  was  sich 
da  tun  wird,  Kleinigkeit  — 

Die  Frau:  Wenn  man  nur  wird  sehn  können! 

Der  Gebildete:  Ein  Begräbnis  wird  das 
doch  sein,  wie  es  noch  nicht  da  war!  Ich  erinner 
mich  noch  wie  der  Kronprinz  —  (ab.) 

Poldi  Fesch  (zu  seinem  Begleiter):  Heut  wird 
gedraht  —  gestern  hab  ich  mit  dem  Sascha  Kolowrat 
gedraht,  morgen  drah  ich  mit  dem  —  (ab.) 

Ein  Wachmann:  Bitte  links,  bitte  links! 

Ein  Zeitungsausrufer:  Reichspost !  Zweate 
Oflagee!  Die  Ermordung  des  Thronfolgapaares! 

Ein  Kleinbürger:  Leben  und  leben  lassen! 
Also  natürlich  für  den  Wiener,  für  den  kleinen  Mann, 


war  das  nicht  das  richtige.  Wofern,  das  kann  ich  dir 
also  aufklären  verstehst  du.  Denn  warum?  Der  Wiener 
is  gewohnt,  daß  man  ihm  seine  Gewohnheiten  loßt. 
Er  herentgegen  —  der  Hadrawa  hat  ihm  einmal  erkannt, 
wie  er  einmal,  also  natürlich  im  Kognito  war,  da  is  er 
sogar  nach  der  Tax  gfahren  und  hat  Trinkgeld  geben 
wie  ein  Prifater,  aber  nicht  um  a  Sexerl  mehr  sag  ich  dir. 

Zweiter  Kleinbürger:  Hör  auf! 

Der  erste:  Und  in  die  bessern  Gschäfte  hat 
er  auch  nicht  mehr  zahln  wolln.  Das  war  einer! 
Glauböt,  der  hätt  sich  von  unseran  überhalten 
lassen?  Der  hätt  sich  hergstellt  mit  unseran!  Wo 
unseraner  doch  auch  leben  will!  Nix  hat  er  auslassn. 
Nicht  um  die  Burg!  Also  das  is  Gefühlssache.  I  sag, 
leben  und  leben  lassen  und  dafür  stirb  i.  Denn 
warum?  Der  kleine  Mann  — 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — I 

Der  Kleinbürger:  Her  mitn  Bladl!  kost — ? 

Der  Zeitungsausrufer:  Zehn  Heller! 

Der  Kleinbürger:  An  Schmarrn!  Wurzerei. 
Steht  eh  nix  drin.  Du  —  pst  —  schau  dir  dös  Madi 
an,  sauber,  wos?  Die  Gspaßlaberln!  Da  kann  sich 
meine  Alte  also  natürlich  vastecken. 

Zweiter:  Hör  mr  auf,  das  is  eine  Protestierte! 

Erster:  Da  schau  her,  vorm  Bristol  stehn  Leut, 
gehma   hin,   da   muß  eine  Persönlichkeit  sein.  (Ab.) 

Ein  Wachmann:  Bitte  links,  bitte  links! 

Ein  Reporter  (zu  seinem  Begleiter):  Hier  nimmt 
man  am  besten  die  Stimmung  auf.  Wie  ein  Lauf- 
feuer, sehn  Sie,  hatte  sich  am  Korso  die  Nachricht 
verbreitet,  wo  sich  die  Wogen  brechen.  Das  fröhliche 
Leben  und  Treiben,  das  sich  sonst  um  diese  Stunde 
zu  entfalten  pflegte,  verstummte  mit  einem  Male, 
Niedergeschlagenheit,  das  Gefühl  tiefer  Erschütterung, 
zumeist  aber  stille  Trauer,  konnte  man  von  allen 
Gesichtern  ablesen.  Unbekannte  Leute  sprachen  ein- 
ander an,  man  riß  sich  die  Extrablätter  aus  der  Hand, 
es  bildeten  sich  Gruppen  — 


Zweiter  Reporter:  Da  möcht  ich  so  vor- 
schlagen: In  den  Alleen  der  Ringstraße  sah  man 
Gruppenbildungen  von  Leuten,  die  das  Ereignis 
besprachen.  Wachleute  zerstreuten  die  Gruppen  und 
erklärten,  daß  sie  weitere  Gruppenbildungen  nicht 
dulden  würden.  Hierauf  bildeten  sich  Gruppen  und  das 
Publikum  begann  sich  zu  massieren  —  sehn  Sie,  dort! 

(Zwischen  einem   Fahrgast  und   einem   Fiaker,   vor  dem  Hotel 

Bristol,   hat   sich   ein    Wortwechsel   entsponnen,    die    Passanten 

nehmen  Partei,  man  hört  Pfui-F\ufe.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Der  Thronfolger  und  seine  Gemahlin  von  Ver- 
schwörern ermordet! 

Der  Fiaker:  Aber  Euer  Gnaden!  An  so 
an  Tag  —  ! 

(Verwandlung.) 


2.  Szene 

Cafe  Pucher.  An  demselben  Abend  vor  Mitternacht.  Das  Kaffee- 
haus ist  beinahe  leer;  nur  zwei  Tische  sind  besetzt.  An  dem 
einen  hat  ein  Prokurist  des  Bankvereins  soeben  Platz  genommen. 
An  dem  andern  sitzen  zwei  glatzköpfige  Herren;  die,  jeder  eine 
Zigarre  mit  Papierspitz  im  Mund,  in  die  Lektüre  von  Witz- 
blättern vertieft  sind.  Die  Kassierin  schläft.  Ein  Kellner  fuchtelt 
zum  Scherz  mit  dem  »Hangerl«  vor  ihrem  Gesicht.  Ein  anderer 
wird  vom  Kaffeekoch  mit  einem  Fetzen  aus  der  Küche  gejagt, 
worüber  der  Zahlkellner  und  der  Koch  in  Gelächter  ausbrechen. 

Der  Zahlkellner  Eduard:  Seids  in  ein 
Tschecherl?  Schamts  euch!  Die  Minister  lesen, 
schamts  euch,  und  die  Fräuln  Paula  schlaft! 

Der  Prokurist:  Sie! 

Eduard:  Herr  von  Geiringer? 

Der  Prokurist:  Eine  Trabukko  und  eine 
Extraausgabe! 

Eduard  (zieht  die  Zigarrentasche  und  die  Zeitung  aus 
der  inneren  Rocktasche  hervor  und  sagt):  Ei n  Trabukkerl 
und  etwas  fürs  Gemüt! 


10 


Der  Prokurist:  War  niemand  da?  Wieso  is 
heut  so   stier?  Nicht  einmal  der  Dokter  Gomperz? 

Eduard:  Niemand  Herr  von  Geiringer. 

Der  Prokurist:  Hat  wer  telephoniert? 

Eduard:  Bisher  nicht.  Jedenfalls  das  schöne 
Wetter  —  vielleicht  über  die  Feiertag  die  Herrn  einen 
Ausflug  — 

Der  Prokurist:  Was  für  ein  Feiertag  is 
denn  heut? 

Eduard:  Peter  und  Paul,  Herr  von  Geiringer. 

(Während  die  beiden  ihr  Gespräch  fortsetzen,    ist  ein  Fremder 

eingetreten.  Er  hat  an  einem  Tisch  vis-ä-vis  den  beiden  älteren 

Herren  Platz  genommen.  Ein  Kellner  bringt  Kaffee.) 

Der  Fremde:  Sie  Markör,  wer  sind  denn 
die  beiden  älteren  Herren,  die  kommen  mir  so 
bekannt  vor  — 

Franz  (sich  über  den  Gast  beugend):  Das  is  der 
Ministertisch.  Der  Herr  mit  dem  Zwicker,  der  was 
das  Kleine  Witzblatt  liest,  is  seine  Exlenz  der  Minister 
des  Innern,  und  der  Herr  mit  dem  Zwicker,  der  was 
den  Pschütt  studiert,  das  is  seine  Exlenz  der  Herr 
Ministerpräsident. 

Der  Fremde:  So!  Sind  die  nur  heute  da, 
wegen  des  Ereignisses,  oder  immer? 

Franz:  Jeden  Abend  bereits,  na  ja,  die 
Exlenzen  sind  hauptsächlich  Junggesellen. 

Der  Fremde:  So!  Und  wer  ist  der  Herr,  der 
grad  dazukommt? 

Franz:  Ah  is  scho  da  —  das  is  Seine  Exlenz 
der  Direktor  der  Kabinettskanzlei. 

Der  Fremde:  So! 

(Franz  stürzt  davon  und   bringt  dem  Direktor   der  Kabinetts- 
kanzlei eine  Limonade  und  das  Interessante  Blatt.   Nach  einer 
Weile  sagt) 
Der  Ministerpräsident  (indem  er  die  Pschütt- 
Karikaturen  beiseite  legt):  Nix  besonderes  heut. 


11 


Der  Minister  des  Innern  (gähnt  und  ?agf):  Fad! 

Der  Ministerpräsident:  Überiiaupt,  bis 
so  ein  Tag  vorüber  is! 

Der  Direktor  der  Kabinetts kanzlei: 
Man  spürt  scho  die  Hundstäg. 

Der  Ministerpräsident  (nach  einer  Pause  des 
Nachdenkens):  Ein  Communique  denk  ich  wird  halt 
doch  nötig  sein  denk  ich.  Wegen  der  Maßnahmen, 
die  die  Regierung  zu  der  durch  die  Ereignisse 
geschaffenen  Situation  ins  Auge  gefaßt  hat,  zu  deren 
Besprechung  die  MitgHeder  des  Kabinetts  in  längerer 
Konferenz  beisammen  verblieben  und  so. 

Der  Minister  des  Innern:  Tunlichst. 

Der  Ministerpräsident:  Eduard! 

Der  Minister  des  Innern:  Welche  Maß- 
nahmen werden  wir  denn  treffen? 

Der  Ministerpräsident:  Das  wird  vom 
Communique  abhängen.  Sie  Eduard! 

Eduard:  Befehlen  Exlenz? 

Der  Ministerpräsident:  Gibts  denn  heut 
gar  nix  Neues?  Bringen  S'  die  —  wie  heißt's  denn? 

Eduard  (unter  den  Witzblättern  am  Tisch  suchend): 
Fehlt  denn  noch  was  Exlenz?  Richtig! 

(Er  geht  zum  Zeitungsschrank.  Währenddessen  nähert  sich  der 
Prokurist  dem  Ministertisch  und  zieht  den  Minister  des  Innern, 
der  sich  erhoben  hat,  ins  Gespräch.  Eduard  winkt  den  Kellner 
Franz  herbei,  der  eben  mit  einem  Fetzen  aus  der  Küclie  gejagt 
wurde  und  sich  anschickt,  der  schlafenden  Kassierin  mit  dem 
Hangerl  vor  dem  Gesicht  zu  fuchteln.) 

Eduard:    Horts    denn   no  net  auf?    Seids  in 

einTschecherl?  Schamts  euch  !  (Ersucht  weiter  im  Zeitungs- 
schrank). Wo  habts  denn  wieder  die  Illustrierten 
hinmanipuliert?   Für  den  Ministertisch   die  Bombe! 

(Verwandlung.) 


12 


3.  Szene 


Kanzleizimmer  im  Obersthofmeisteramt.    Nepalleck,  ein  Hofrat, 

am  Schreibtisch.   Er  telephoniert,   sich   dabei    fortwährend  vor 

dem  Apparat  verbeugend,  fast  in  ihn  hineinkriechend. 

N  e  p  a  1 1  e  c  k :     Begräbnis     dritter    Klasse    — 
Versteht  sich  Exlenz  —  Exlenz  können  unbesorgt  sein 

—  Durchlaucht  hat  sofort  die  Initiative  ergriffen  — 

—  wie?  Pardon  Exlenz  wie?  Man  versteht  heut  wieder 
so  schlecht  —  Kruzitürken,  Fräulein,  Hofgespräch, 
das  is  ein  Skandal!  —  Pardon  Exlenz,  es  war 
unterbrochen  —  ja  —  ja  —  ja  —  zu  dienen  —  wird 
besorgt  —  aber  natürlich  —  abgewunken  —  allen  — 
selbstverständlich  —  Durchlaucht  hat  sofort  die 
Initiative  ergriffen  —  natürlich  —  Durchlaucht  wird 
hocherfreut  sein  —  Alles  im  Sinne  von  Seiner  Durch- 
laucht —  Exlenz  können  sich  verlassen  —  nein, 
nein,  keiner  von  die  Monarchen  —  auch  keine  Mit- 
glieder —  nein,  auch  keine  Verwandten  —  natürlich 

—  Wie?  —  nein,  alle  wollten  —  keiner  kommt  — 
A  Großfürst  war  schon  reisefertig,  aber  wir  haben 
es  zum  Glück  noch  rechtzeitig  verhindern  können  — 
ginget  uns  ab,  die  möchten  uns  da  mit  Aufklärungen 

—  daß'  am  End  nur  ja  zu  kan  Krieg  kommt  — 
Wie?  schon  wieder  unterbrochen,  Kruzitürken,  is 
das  ein  Pallawatsch!  —  ja,  auch  von  England  — 
nein,  niemand  —  keine  Katz  von  an  Hof  —  nur 
die  Botschafter  und  so  Leut  —  selbstverständlich 
auch  das  mit  Auswahl,  wo  man  schon  nicht  nein 
sagen  kann  —  wer  mr  scho  machen  —  tüchtig 
gesiebt,  tüchtig  —  nach  Tunlichkeit  —  Rauni- 
rücksichten  —  mein  Gott,  die  kleine  Kapelle,  ham 
mr  an  Gspaß  ghabt  —  Der  Wortlaut?  Gleich  bitte. 
(Zieht  einen  Zettel  aus  der  Tasche.)  »Beschränkungen  der 
Delegierungen  auswärtiger  Fürstenvertreter  und 
militärischer  Delegierter,  die  mit  Rücksicht  auf  den 
verfügbaren  Raum  — «  Wie?  Natürlich,  selbstver- 
ständlich, das  wird  die  bitterste  Enttäuschung  sein, 
keine  offizielle  und  keine  allgemeine  Beteiligung  des 


13 


Militärs  —  Wie,  Exlenz?  In  Belgrad?  No  ja,  die  werns 
kurios  finden  —  sehr  richtig,  solln  s'  draufhin  nur  noch 
mehr  frech  wem  gegen  uns  —  wir  haben  gar  nichts 
dagegen,  nicht  wanr  ilxlenz?  —  So  ist  es!  —  Sehr 
gut.  Exlenz,  famos,  Begräbnis  dritter  Klasse  Niciit- 
raucher  —  famos,  muß  ich  Durchlaucht  erzählen, 
Durchlaucht  wird  sich  kugeln  —  wir  haben  eh  die 
größten  Scherereien  mit  der  Einsegnung  —  ja  der 
böhmische  Adel,  bißl  zudringlich  von  die  Herrn  —  die 
Spezi  und  die  Verwandtschaft  —  was  wir  geantwortet 
haben?  Durchlaucht  hat  sofort  die  Initiative  ergriffen. 
Ganz  einfach,  außer  dem  Allerhöchsten  Hof  und  den 
Offiziellen  hat  höchstens  noch  der  Vormund  Zutrht  — 
Wie?  die  Kinder?  nein,  Durchlaucht  is  dagegen  wegen 
der  Plaazerei  —  Wie?  ja  die  Herrschaften  wollen  zu 
Fuß  mitspazieren  —  natürlich  sehr  unangenehm  für 
Durchlaucht,  fast  eine  Demonstration  —  Sehr  gut,  dia 
Arbeitslosen!  Muß  ich  Durchlaucht  erzählen,  Durch- 
laucht wird  sich  kugeln  —  Wie  meinen  Exlenz? 
Wurscht?  Und  wie!  Savaladi!  —  Aber  natürlich,  kein 
Mensch  kann  was  sagen  —  allen  Formalitäten  genügt 
—  allerhöchstesRuhebedürfnis  ganz  ein  fach  — 
justament,  solln  s'  sich  guten  —  selbstverständlich  — 
Thronfolgerbegräbnis  ist  eben  dritter  Klasse,  da  gibts 
keine  Würschtel  —  zu  Fleißaufgaben  haben  wir  gar 
keine  Ursache  —  ja  apropos  Exlenz  haben  von  der 
unverschämten  Zumutung  seiner  Kanzlei  noch  nicht 
gehört?  —  Nach  dem  spanischen  Zeremoniell  solln 
mr  ihnen  auch  noch  das  Begräbnis  in  Artstetten, 
nicht  bloß  die  Zufuhr  zur  Westbahn  —  nicht  wahr, 
unerhört  —  In  unsere  Kompetenz  gehört  nur  die 
Kapuzinergruft,  punktum!  —  Aber  natürlich,  Durch- 
laucht hat  sofort  die  Initiative  ergriffen  und  denen 
geantwortet,  sie  solln  froh  sein,  daß  wir  die  Leich 
bis  zur  Westbahn  bringen.  Das  weitere  geht  die 
städtische  Leichenbestattungsanstalt  an  —  oder  den 
Verein  zum  ewigen  Leben,  sehr  richtig  —  natürlich, 
jedenfalls  aus  Schmutzerei  —  in   seinem    Sinne  — 


14 


Pietät,  sehr  gut!  Muß  ich  Durchlaucht  erzählen, 
Durchlaucht  wird  sich  —  nein,  nur  zwanglos,  kleines 
Festessen  in  gemütlichem  Kreis  —  Ob  mr  wen 
anstellen  wern?  Nicht  einen,  wird  alles  hinaus- 
gschmissen  —  Oja,  Viechsarbeit  —  natürlich,  wenn's 
auf  mich  ankommt,  ich  persönlich  war  vom  ersten 
Moment  dagegen,  daß  die  Leich  von  der  Chotek  im 
selben  Zug  mitkommt  —  ich  sag  in  solchen  Fällen, 
wärst  net  aufigstiegn,  wärst  net  abigfalln  —  aber 
das  war  leider  —  aber  ja,  das  gute  Herz  von  Seiner 
Durchlaucht  —  und  dann,  Exlenz  wissen  ja, 
Seine  kaiserliche  Hoheit  hat  interveniert,  kann  man 
halt  nix  machen  —  na,  wenigstens  hätt  mr  die 
Gschicht  so  weit  in  Ordnung  bracht,  daß  ihr  Sarg 
um  eine  Stufen  tiefer  aufgstellt  wird  wie  der  seinige 

—  Gewiß,  wird  nicht  angenehm  sein  morgen  auf  der 
Südbahn  —  aber  wenigstens  kein  Gedränge  —  Wie? 
Sehr  gut,  nicht  wie  am  Sonntag  nach  Atzgersdorf, 
sehr  gut,  muß  ich  Durchlaucht,  Durchlaucht  wird 
sich  —  Wie?  pardon,  ach  so,  die  Zeitungen?  Instruiert, 
alles  instruiert,  wern  nicht  viel  hermachen.  Schlagwort: 
Kein  Prunk,  sondern  stille  Trauer  oder  was  beißt  mich  da 

—  Wie  Exlenz?  So  still,  daß  man  —  famos,  muß  ich 
Durchlaucht,  Durchlaucht  wird  sich  —  Wie?  Ja,  hoch- 
erfreut, daß  die  Kabinettskanzlei  ebenso  tief  erschüttert 
ist  wie  das  Obersthofmeisteramt  —  Durchlaucht  wird 
sich  kugeln  —  paar  Vergnügungsetablissements  haben 
bei  uns  angefragt,  ob  s'  ihnere  Vorstellungen  abhalten 
sollen.  Antwort:  daß  irgendeine  Hoftrauer  noch  nicht 
angeordnet  und  daß  es  dem  Ermessen  jeder  einzelnen 
Direktion  anheinigestellt  bleibt  —  gut,  was?  —  no 
und  was  die  ermessen,  kann  man  sich  ja  denken, 
na  ja  der  Wolf  aus  Gersthof  braucht  a  net  mehr 
z'wanen  wie  mir  selber.  Aber  Venedig  in  Wien,  das 
wird  Exlenz  intressiern,  die  warn  so  vernünftig  und 
habn  gar  net  gfragt  und  habn  ruhig  am  selben  Tag 
gspüll.  Mein  Gott,  das  bißl  Gaudee  und  das  bißl 
Gschäft   soll  man   den  Leutein   bei   die   schlechten 


15 


Zeiten  vergunnen  —  leben  und  leben  lassen,  natürlich 
—  Gewiß,  gewiß,  nicht  wir  allein,  das  ganze  Reich  — 
das  ganze  Reich  —  sehr  gut,  alle  die  gleichen  Gefühle, 
sehr  richtig,  man  will  eben  nicht  ersticken  —  Wie? 
Kruzitürken,  was  is  denn  schon  wieder  —  es  war  eine 
Störung!  —  sehr  richtig,  man  will  gemütlich  sein  — 
so  ist  es,  einmal  geht  auch  der  Schinder  drauf  — 
leben  und  leben  lassen  —  die  Leut  wolln  ein  joviales 
Gsicht  sehn,  sonst  wem  s'  selber  grantig  —  jawohl, 
wer  nicht  grüßen  kann,  ghört  nicht  an  die  Spitze!  — 
no  in  der  Beziehung  können  wir  ja  für  die  Zukunft 
Gottseidank  unbesorgt  sein  —  Wie?  Was  die  andere 
Durchlaucht  macht,  die  neuche?  Oder  vielmehr,  der 
gewesene  künftige  Obersthofmeister?  Der  verblichene 
Günstling,  selig  in  dem  Herrn  entschlafen,  Gott  hab 
ihn  selig,  hol  ihn  der  Teufel,  noja,  ein  ganz  spezieller 
Trauerfall,  der  einzige,  der  tiefgebeugt,  jedenfalls  — 
nein,  wird  uns  wohl  nicht  mehr  mit  seinem  Besuche 
beehren  —  Wie?  Die  was  in  Serajevo  mit  waren? 
Der  Harrach?  Vielleicht  auch.  Hat  ihn  ja  doch 
>mit  seinem  Leibe  gedeckt«  —  ja,  die  habn  sich 
wichtig  gmacht  unten  —  Der  Morsey  fahrt  einen 
Polizeibeamten  an,  warum  er  einen  von  die  Atten- 
täter nicht  verhaftet,  no  der  hat  ihm  aber  tüchtig 
geantwortet,  Herr  Leutnant  kümmern  Sie  sich  um 
Ihre  Angelegenheiten!  —  Die  Polizei  in  Serajevo 
hat  einfach  ihre  Pflicht  erfüllt,  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  —  Die  Gendarmerie  —  wie  viel  da  waren? 
Durchlaucht  hat  damals  die  Initiative  ergriffen  beim 
Tisza,  der  hat  aber  selbst  schon  alles  vorgekehrt 
ghabt.  Sechs  zu  seinem  persönlichen  Schutz,  das 
war  doch  mehr  wie  genug!  —  Sehr  gut,  ein  ver- 
nünftiger Ausgleich,  zweihundert  hat  man  ihm  für 
Konopischt  bewilligt,  damit  das  p.  t.  Publikum  nicht 
in  die  Anlagen  trete  —  ja,  das  hat  ihm  gschmeckt, 
da  hat  man  geuraßt  —  Wie?  im  Auswärtigen  sans 
schon  fuchtig?  Natürlich,  die  beste  Handhabe,  selbst- 
verständlich —  Endlich,   endlich!  —  bin  neugierig, 


16 


ob  s'  lang  untersuchen  wern  im  Schlangennest  — 
wieder  ein  vernünftiger  Ausgleich,  sechs  Gendarmen 
für  Serajevo,  brauchn  mr  haU  desto  mehr  für 
Belgrad!  —  Bagasch  übereinand  —  Aber  natürlich, 
mir  san  ja  eh  die  reinen  Lamperln  —  Ja  das  is 
wahr  mit  die  Ahnungen,  was  er  ghabt  hat,  aber  da 
ham'r  ihm  schon  Mut  gemacht,  ein  Offizier  furcht 
sich  nicht!  —  sehr  richtig,  er  war  in  Gottes  Hand, 
sein  Lebtag,  bis  zum  Schluß  —  nicht  zu  verhindern 
gewesen,  versteh,  versteh,  aber  strafen,  wanns  einmal 
gschehn  is!  —  gewiß,  nachher  nimmt  man  sich  eben 
zsamm,  ja,  ja,  wird  auch  in  dem  Punkt  sein  Gutes 
haben,  nach  innen  und  außen  —  abrechnen  — 
Ja,  der  Conrad,  na  der  wird  jetzt  —  aber  natürlich, 
das  fressen  s'!  Da  muß  doch  eine  Genugtuung  sein, 
das  sieht  doch  jedes  Kind,  war  net  schlecht  —  ein 
Prestischpunkt,  der  sich  gewaschen  hat  —  wer*  mr 
scho  machen  —  aber  ja  —  Wie?  Aber  natürlich,  da 
reißen  uns  schon  die  Deutschen  heraus  —  so  is,  wir 
sind  für  den  Frieden,  wenn  auch  nicht  für  den 
Frieden  um  jeden  Preis  —  nein  Exlenz,  von  Urlaub 
leider  keine  Rede,  woher  denn  —  is  schon  einmal  so, 
noja,  mir  bleibt  doch  nichts  erspart  —  nochmals, 
selbstverständlich,  bitte  unbesorgt  —  wer's  bestelln  — 
tänigsten  Dank,  korschamster  Diener  Exlenz I 

4.  Szene 

Ebenda 

Diener:  Bitt  schön  Herr  Hofrat  —  einer  is  da. 

Nepalleck:  Was  für  einer? 

Diener  (verlegen):  No,  von  die  andern. 

N  e  p  a  1 1  e  c  k  (herrisch) :  Es  gibt  keine  andern ! 
Die  Zeiten  sind  vorbei!  Hab  ich  Ihnen  nicht  gesagt, 
daß  jeder,  der  kommt  — 

Diener:  Bitt  schön  —  er  sagt,  daß  es  nur 
wegen  einer  Erkundigung  is. 

Nepal  leck:  Möcht  wissen,  was  es  da  noch  zu 
erkundigen  gibt,  alstern  herein  mit  ihm.   (Diener  ab.) 


17 


5.  Szene 

(Ein  alter  Kammerdiener  des  verstorbenen  Erzherzogs  tritt  auf.) 

Nepal  leck  (zischt  hervor):  Was  v/ollen  S'? 

Der  alte  Kammerdiener:  Zu  dienen, 
gnädiger  Herr  Hofrat  —  also  —  ich  weiß  mir  in  dieser 
Beziehung  —  also  diesfalls  —  also  anderweitig  — 

Nepal  leck:  Was  Sie  wollen,  möcht  ich  gern 
hören! 

Kammerdiener:  Nämlich  das  Unglück,  das 
große  Unglück,  also  nicht  wahr,  gnädiger  Herr  Hofrat 
—  also  wo  ich  schon  unter  kaiserlichen  Hoheit  — 
hochseligen  Weiland  —  Herrn  Erzherzog  Ludwig,  Gott 
hab  ihn  selig  — 

N  e  p  a  1 1  e  c  k :  Aha,  also  mit  einem  Wort,  Sie  sind 
ein  vazierender  Kammerdiener  -  Sie,  mein  Lieber, 
das  schlagen  S'  Ihnen  aus  dem  Kopf,  Anstellungen 
werden  hier  nicht  vergeben! 

Kammerdiener  (weinend):  Aber  nein,  Herr 
Hofrat  —  aber  nein,  Herr  Hofrat  — 

Nepal  leck:  Was,  zudringlich  wem  S'? 

Kammerdiener:  Aber  nein  Herr  Hofrat  — 
nicht  will  ich  —  nicht  will  ich  — 

Nepalleck:  Also  was  denn  sonst? 

Kammerdiener:  Aber  nein  —  wahr  is,  ein 
strenge  Herr  —  aber  —  strenge  —  und  —  gute 
Hoheit    -  aber  --  so  — 

Nepalleck:  Sie  Verehrtester  erzählen  S'  uns 
hier  keine  Raubersgschichten  —  sagen  S'  was  Sie 
von  uns  wollen! 

Kammerdiener:  Aber  nix  wollen,  Herr  Hofrat, 
nix,  nix,  gar  nix  wollen  —  nur  sprechen  —  nur 
sprechen  —  nur  sprechen  —  vor  der  Leich  noch  amal  — 

N  e  p  a  1 1  e  c  k  (seine  Stimme  erhebend) :  Sprechstunde 

hab  ich  für  Sie  keine,  verstanden? 

(Von  rechts,  durch  den  Lärm  gerufen,  stürzt  Fürst  Montenuovo 
mit  wutverzerrtem  Gesicht  herein.) 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  2 


18 


6.  Szene 


Montenuovo:  Was  ist?  Ah  is  schon  einer  da! 
Sie,  schaun  Sie,  daß  Sie  weiter  kommen!  Hier  findet 
keiner  von  euch  einen  Posten,  verduften,  gschwindl 

Kammerdiener  (mit  großem  Staunen):  Ich  —  hab 
—  Jesus  —  zu  dienen,  gnädigste  Durchlaucht  —  (Ab.) 

7.  Szene 

Montenuovo:  Sie  Hofrat,  Sie  wissen,  daß  hier 
kein  Asyl  für  Obdachlose  ist  —  ich  habe  nun  einmal 
die  Initiative  ergriffen,  also  —  Ruh  will  ich  haben! 

Nepalleck:  Durchlaucht  können  sich  verlassen, 
es  wird  nicht  mehr  vorkommen,  der  Mensch  wollte 
nur  — 

Montenuovo:  Alleseins.  Daß  mir  keine  von 
den  Belvedere- Visagen  hier  unterkommt!  —  Wie  viel 
Einladungen? 

Nepalleck:  Achtundvierzig. 

Montenuovo:  Was  reden  S'  denn? 

Nepalleck:  Ach  so,  bitte  tausendmal  um  Ver 
gebung,  ich  hab  an  morgen  abends  gedacht.  Sechs- 
undzwanzig. 

Montenuovo:  Die  sechs  noch  streichen!  (Ab.) 

Nepalleck:  Zu  Befehl!  (Setzt  sich  wieder  an  den 
Schreibtisch.) 

8.  Szene 

Fürst  Weikersheim   dicht  hinter  ihm  der  Diener, 

Diener:  Bitte  Durchlaucht,  ich  habe  den 
strengsten  Auftrag  — 

Ftirst  Weikersheim:  Was  hat  der?  Auftrag? 
Was?  Man  muß  hier  angemeldet  werden?  (Diener  ab. 
Nepalleck  bleibt  am  Schreibtisch  sitzen,  ohne  aufzublicken.  Der 
Fürst  nach  einer  Pause  des  Wartens.)  Sie !  (Nach  einer  weitern 
Pause  lauter)  Sie!  Was  —  geht  hier  vor?  (schreiend)  Sie, 
stehn  Sie  auf! 


19 


N  e  p  a  1 1  e  c  k  (wendet  den  Kopf,  obenhin) :  Guten  Tag, 
guten  Tag. 

Fürst  Weikersheim  (nach  einer  Pause  sprachlosen 
Staunens):  Was  —  ist  —  das?  So  —  rasch  —  (Mit  Betonung) 
Sie,  wissen  Sie,  wer  ich  bin? 

Nepal  leck:  Was  ist  denn,  was  ist  denn,  natür- 
lich weiß  ich  das,  Sie  sind  der  gefürstete  Baion 
Bronn  von  Weikersheim. 

Fürst  Weikersheim:  Und  Sie  sind  ein  — 
Und  der  dort  ist  Ihr  Vorgesetzter!  (Ab,  indem  er  die 
Tür  ins  Schloß  wirft.) 

9.  Szene 

N e  p  a  1 1  e C k  (lacht  krampfhaft.  Das  Telephon  klingelt): 
KorschamsterDienerExlenz,  indemMqjnenthatsich  — 
(Montenuovo  steckt  den  Kopf  zur  Tür  herein,  blitzschnell  dreht 
sich  Nepalleck  um)  Zu  Befehl  Durchlaucht  — 
(V^erwandlung.) 

10.  Szene 

Südbahnhof.  Im  fahlen  Morgenlicht  ein  Raum,  von  dem  aus 
man  durch  eine  große  Türöffnung  den  Hofwartesalon  überblickt. 
Dieser  selbst  ist  ganz  mit  schwarzen  Tüchern  drapiert.  In  der 
Mitte  des  Saals,  für  die  draußen  Stehenden  anfangs  noch  sichtbar, 
zwei  Sarkophage,  deren  einer  um  eine  Stufe  tiefer  steht;  rings 
um  die  Särge  hohe  Leuchter  mit  brennenden  Kerzen.  Kränze. 
Gebetstühle.  Schwarz  livrierte  Lakaien  sind  eben  damit  beschäftigt, 
die  letzten  Kerzen  anzuzünden  und  die  zum  Empfang  der  Trauer- 
gesellschaft notwendigen  Vorbereitungen  zu  treffen.  Im  Vorraum 
und  auf  dem  noch  sichtbaren  Teil  der  Treppe  drängt  sich  Publikum, 
das  von  Polizeibeamten  geordnet  wird.  Würdenträger,  Funktionäre 
in  verschiedenartigen  Uniformen  erscheinen,  bleiben  im  Vorraum 
oder  verschwinden  im  Saal,  wechseln  stumm  oder  flüsternd  Qrüße. 
Ein  unablässiges  Kommen  und  Gehen.  Eine  Abordnung  von 
Gemeinderäten  in  Frack  erscheint.  Hofrat  Nepalleck  tritt  mit  allen 
Anzeichen  tiefster  Niedergeschlagenheit  auf  und  nimmt  von  zahl- 
reichen .A.nwesenden  Kondolenzen  entgegen.  Dieser  und  die 
folgenden  Vorgänge  spielen  sich  im  Zwielicht  ab.  Die  Gespräche 
sind  die  von  Schatten. 

Nepal  leck:  Es  ist  das  Furchtbarste,  Durchlaucht 
ist  ganz  trübsinnig  und  durch  Unwohlsein  verhindert, 
der   höchsten   Trauerfeier   persönlich    beizuwohnen. 


2* 


20 


Auch  der  Graf  Orsini-Rosenberg  muß  das  Bett  hüten. 
Es  ist  über  uns  hereingebrochen.  Rechts  der  schönste, 
der  mit  Chrysanthemen  auf  dem  Sarg  Ihrer  seligen 
Hoheit  der  durchlauchtigsten  Frau  Herzogin,  ist  von 
Seiner  Durchlaucht. 

(Ein  hochgewachsener  Herr,  Kleid  und  Haltung  in  tiefster  Trauer, 
erscheint,  geht  auf  Nepalleck  zu  und  drückt  ihm  warm  dieMand.) 

Angelo  Eisner  v.  Eisenhof:  Er  war  mein 
Freund.  Ich  bin  ihm  nahegestanden.  Zum  Beispiel 
bei  der  Eröffnung  der  Adriaaustellung.  Aber  was 
ist  mein  Schmerz,  verglichen  mit  dem  Ihren,  Heber 
Hofrat!  Was  muß  ein  Mann  wie  Sie  in  diesen  Tagen 
durchgemacht  haben! 

Nepalleck:  Mir  bleibt  doch  nichts  erspart. 

(Inzwischen  ist  das  gegenüberliegende  Tor  "geöffnet  worden,  und 
man  sieht,  wie  sich  der  Saal  mit  der  Hofgesellschaft,  den  höchsten 
Hof-  und  Siaatsbeamten  und  der  Geistlichkeit  füllt,  v/obei  ein 
Zeremonialbeamter  ordnend  eingreift  und  jeden  den  ihm  vor- 
behaltenen Platz  anweist.  Bis  zum  Beginn  der  heiligen  Handlung 
strömen  in  den  Vorrsimi  immer  neue  Teilnehmer  und  Zuschauer, 
die  einzutreten  versuchen,  Einladungen  vorzeigen,  zugelassen 
oder  abgewiesen  werden.  Einige  Damen  des  Hochadels  werden 
von  einem  diensthabenden  Organ  aus  dem  Saal  gewiesen.  Es 
erscheinen  zehn  Herren  in  Oehröcken,  die,  ohne  sich  zu  legitimieren, 
mit  Zuvorkommenheit,  an  dem  S)3alier  der  Wartenden  vorbei,  bis 
über  die  Tür  des  Trauergemachs  geleitet  werden,  die  sie  während 
des  Folgenden  besetzt  halten,  so  daß  sie  zwar  selbst  die  Vorgänge 
beobachten  können,  aber  diese  den  Blicken  der  Außenstehenden 
fast  ganz  entziehen.  Die  Sarkophage  sind  seit  dem  Moment  ihres 
Auftretens  nicht  mehr  sichtbar.  Während  jeder  der  zehn  ein 
Notizblatt  hervorzieht,  treten  zwei  Funktionäre  an  die  Gruppe 
heran  und  stellen  sich  gegenseitig  wie  folgt  vor.) 

Zawadil:  Spielvogel. 

Spielvogel:  Zawadil. 

Beide  (zugleich  sprechend):  Ein  trüber  Morgen. 
Schon  um  6  Uhr  waren  wir  zur  Stelle,  um  die  An- 
ordnungen zu  treffen. 

Angelo  Eisner  v.  Eisenhof  (tritt  hinzu  und 
spricht  angelegentlich  mit  einem  der  zehn,  die  zu  schreiben 
beginnen.  Er  deutet  auf  verschiedene  Gestalten,  die  alle  die  Hälse 
reAen  und  den  Versuch   machen,    aus   dem   Spalier   zu   treten 


21 


Er  beruhiget  durch  Winken  jeden  einzelnen,  indem  er,  gleichzeitig 
aui  die  zehn  Männer  weisend,  die  Pantomime  des  Schreibens 
macht,  so  als  ob  er  ihm  bedeuten  wollte,  daß  bereits  von  ihm 
Notiz  genommen  sei.  Inzwischen  ist  es  dem  Hofrat  Schwarz- 
Gelber  und  dessen  Gemahlin  gelungen,  in  unmittelbaren  Kontakt 
mit  den  Schreibenden  zu  kommen  und  einem  von  diesen  auf 
die  Schulter  zu  tippen.) 

Hofrat  Schwarz-Gelber  und  Hofrätin 
Schwarz-Gel  ber:  Wir  haben  es  uns  nicht  nehmen 
lassen  wollen,  persönlich  zu  erscheinen. 

Angelo  Eisner  v.  Eisenhof  (der  sich  mit 
einem  indignierten  Blick  abwendet,  zu  seinem  Nachbar  Dobner 
V.  Dobenau):  Und  so  etwas  will  einer  heiligen  Handlung 
beiwohnen!  Wahrscheinlich  das  erstemal.  Ich  muß 
mich  vor  meinem  Freunde  Lobkowilz  schämen,  der 
grad  herüberschaut.  (Er  grüßt  öfter  und  winkt.)  Aha,  er 
hat  mich  bemerkt,  aber  nicht  erkannt. 

Dobner  v.  Dobenau  (mit  starrer  Miene  und 
langsam):  Als  Truchseß  hätte  ich  eigentlich  das  Recht, 
hineinzugehen,  wo  die  Spitzen  sind. 

Conte  Lippay:  Dadurch,  daß  es  mir  als 
Künstler  gelungen  ist,  den  Papst  zu  malen,  hatte 
ich  als  Palatinalgraf  des  öfteren  Gelegenheit,  Seine 
Heiligkeit  als  deren  Kämmerer  auf  die  durch  solche 
Vorfälle  nicht  zu  erschütternde  Frömmigkeit  des  ver- 
ewigten hohen  Herrn  aufmerksam  zu  machen,  was  Seine 
Heiligkeit  beifällig  zur  Kenntnis  zu  nehmen  geruhte. 

Eisner  v.  Eisenhof:  Ja,  Lipschitz,  wie 
kommen  denn  Sie  hieher?  Unsere  Väter  in  Pilsen 
hätten  sich  auch  nicht  träumen  lassen  — 

Conte  Lippay:  Nichts  davon,  Baron,  nichts 
davon,  tempi  passati.  Sie  wissen  ja  selbst,  nemo 
propheta  in  sua  patria  und  alle  Wege  führen  nach 
Rom.  Aber  haben  Sie  nicht  meine  Söhne  die  Grafen 
Franz  und  Ervvein  gesehn? 

Dobner  v.  Dobenau:  Als  Truchseß  hätte 
ich  eigentlich  das  Recht  — 


22 


Cafetier  Riedl:  In  der  Adriaausstellung 
habe  ich  mit  Seiner  kaiserlichen  Hoheit  verkehrt, 
ihm  selbst  als  Padriot  und  schlichter  Gewerbsmann 
speziell  den  Kaffee  kredenzt,  warum  nicht,  wenn 
ich  auch  anerkannt  bin,  unsereins  ist  nicht  so 
hopatatschig,  indem  auch  seine  hochherzigen  Be- 
strebungen um  den  Ausbau  unserer  Flotte  an  mir 
im  Geiste  Tegetthoffs  als  Obmann  jederzeit  einen 
warmherzigen  Förderer  um  damit  auf  dem  einmal 
betretenen  Wege  unerschrocken  fortzufahren. 

Dr.  Charas:  Mit  mir  an  der  Spitze  ist  auch 
die  Rettungsgesellschaft  erschienen,  hat  aber  noch 
keinen  Anlaß  gefunden,  in  zahlreichen  Fällen  zu 
intervenieren. 

Der  Chef  des  Sicherheitsbureaus  Hofrat 
Stukart:  Meine  Anwesenheit  versteht  sich  von  selbst. 
Ganz  abgesehen  von  meinem  gesellschaftlichen 
Prestige,  mußte  schon  das  rein  kriminalistische  Interesse 
meine  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Fall  lenken,  dem 
ich  vollkommen  unbefangen  gegenüberstehe,  weil  es 
sich  um  einen  Mordfall  handelt,  aus  dem  es  niemandem 
gelingen  wird  den  Vorwurf  der  Reklamesucht  gegen 
mich  abzuleiten.  In  Wien  wäre  so  etwas  unmöglich 
gewesen.  Ich  will  ja  nicht  leugnen,  daß  der  geehrte 
Kollege  in  Sarajevo  bis  zu  dem  Attentat  selbst  eine 
ähnliche  Taktik  eingeschlagen  hat,  wie  sie  sich  bei 
uns  wiederholt  bewährt  hat,  indem  man  von  den 
Vorbereitungen  zu  einem  Verbrechen  eiitweder  nichts 
weiß  oder  es  ausreifen  läßt,  um  es  späterhin  mit  umso 
größerem  Erfolge  entdecken  zu  können.  Aber  der 
geehrteKollege  in  Sarajevo  hat  eben  diesen  eigentlichen 
kriminalistischen  Zweck,  wenn  er  ihn  selbst  angestrebt 
hätte,  bedauerlicherweise  verfehlt.  Wie  anders  hätte 
ich  nach  vollzogener  Tat,  weit  über  meine  Dienst- 
pflicht hinaus,  mir  den  Fall  angelegen  sein  lassen, 
indem  unser  Sicherheitsbureau  fieberhaft  gearbeitet 
und  ich  persönlich  so  lange  die  Fäden  in  meiner 
Hand  gehalten  hätte,  bis  es  mir  gelungen  wäre,  den 


23 


Täter  nach  erfolgtem  Geständnis  unter  der  Last  der 
Beweise  zusammenbrechen  zu  lassen,  was  dem  geehrten 
Kollegen  in  Sarajevo  dadurch,  daß  der  Täter  auf 
frischer  Tat  ergriffen  wurde,  bedauerlicher  Weise  nicht 
geglückt  ist.  Ich  kann  mir  diese  fatale  Wendung  nur 
aus  Ungeschicklichkeit,  vielleicht  aus  dem  Übereifer 
des  Attentäters,  der  sich  der  Verhaftung  nicht  wider- 
setzte, oder  aus  einem  unglücklichen  Zufall  erklären, 
der  eben  in  diesem  besonders  beklagenswerten  Falle 
die  Tätigkeit  der  Polizei  vollständig  lahmgelegt  hat. 
Da  aber  das  Opfer  des  Täters  an  diesem  katastrophalen 
Ausgang  unschuldig  ist,  so  wird  man  es  begreiflich 
finden,  daß  meine  Anwesenheit  hier,  wenn  auch  unter 
andern,  bemerkt  wird. 

Sektionschef  Wilhelm  Exner:  Ich  stehe 
hier  als  Vertreter  technologischer  Interessen. 

Gouverneur  Sieghart  von  der  Boden- 
kreditanstalt: Ich  bin  heute  Gouverneur.  In  der 
sichern  Erwartung,  daß  nunmehr  die  Staatsgewalt 
sich  in  den  meiner  Weltanschauung  angepaßten 
Bahnen  ohne  Aufenthalt  weiterbewegen  w^ird,  kann 
ich  hier  meinen  Platz  behaupten. 

Präsident  Landesberger  von  der  An  gl  o- 
bank:  Sie  sagen  von  mir,  ich  sei  ein  Bankmagnat. 
Trotzdem  glaube  ich  nicht,  daß  es  unter  meiner 
Würde  ist,  hinter  dem  Sarge  eines  wenn  auch 
anderen  Idealen  zugewandten  Mächtigen  ein  be- 
scheidenes, aber  stolzes  Plätzchen  anzustreben. 

Herzberg-Fränkel:  Mein  Name  ist  Herzberg- 
Fränkel.  Ich  weiß,  er  hat  bei  Lebzeiten  keine  be- 
sonderen Sympathien  für  meinen  Typus  gehabt,  aber 
der  Tod  hat  etwas  Versöhnendes. 

Die  freisinnigen  Gemeinderäte  Stein 
und  Hein:  Ich  weiß  zwar  nicht,  was  ich  hier 
zu  suchen  habe,  aber  da  auch  ich  da  bin,  bin  ich 
auch  da. 


24 


Zwei  Konsuln  (stellen  sich  gleichzeitig  vor): 
Stiaßny.  Wir  haben  zwar  keine  nennenswerte  Be- 
ziehung zu  dem  Verewigten  gehabt,  sind  aber  dessen- 
ungeachtet herbeigeeilt,  um  unsere  Pflicht  zu  erfüllen. 

Drei  kaiserliche  Räte  (treten  in  einer  Reihe  auf): 
Wir  sind  als  Abordnung  erschienen,  weil  wir  es  den 
Manen  schuldig  zu  sein  glauben,  uns  in  der  Hoffnung 
auf  bessere  Zeiten  nicht  von  der  Überzeugung  ab- 
bringen zu  lassen,  daß  er  das  Gute  gewollt  hat,  aber 
schlecht  informiert  war. 

Sukfüll:  Vom  Gremium  entsendet  und  be- 
rufen, die  schmerzlichen  Gefühle  der  Sektion  aus- 
zusprechen, sehen  wir  einer  ungewissen  Zukunft 
entgegen  und  sind  noch  nicht  einmal  in  der  Lage, 
zu  ermessen,  ob  das  Ereignis  für  die  geplante  Hebung 
des  Fremdenverkehrs  hemmend  oder  fördernd  aufzu- 
fassen ist.  Wie  dem  immer  sei,  entbiete  ich  meinen 
letzten  Gruß. 

Birinski  und  Glücksmann:  Als  Vertreter 
der  Kunst  hat  uns  die  Kunst  entsendet,  um  an  der 
Bahre  des  großen  Toten  das  Gelöbnis  idealen  Strebens 
zu  erneuern,  während  als  Vertreter  der  Industrie  jeden- 
falls andere  gekommen  sind. 

Der  Buchhändler  Hugo  Heller:  Durch  meine 
weitverzweigten  kulturellen  Verbindungen  v/äre  es  mir 
offenbar  ein  Leichtes  gewesen,  den  erlauchten  Ver- 
storbenen dauernd  an  mich  zu  fesseln,  wenn  nicht 
wie  gesagt  der  Tod  dazwischen  gekommen  war. 
(Während  dieser  Rede  ist  eine  Dame  in  tiefster  Trauer  eingetreten. 
Alles  weicht  zurück.) 

Hofrätin  Schwarz-Gelber  (wie  vom  Bütz 
getroffen,  gibt  ihrem  Gatten  einen  Stoß  und  spricht):  Was 
hab  ich  dir  gesagt!  Die  is  überall,  wo  sie  nicht 
hineingehört.  Ob  man  einmal  unter  sich  sein  könnte! 

Flora  Dub:  Wie  ruhig  sie  daliegen!  Wenn 
sie  leben  möchte,  möchte  sie  sich  erinnern,  wie  ich 
einmal  Blumen  geworfen  hab  auf  ihr.  Er  war  zwar 


25 


kein  besonderer  Freund  von  Rlumenkorsos.  Aber  ich 
bin  gekommen,  damit  sie  sehen  sollen,  ich  trug 
ihnen  nichts  nach. 

Der  Nörgler  (im  Vordergrutui): 
Du  großer  Gott  der  Großen  und  der  Kleinen! 
Du  prüfst  die  Großen,  weil  es  Kleine  gibt. 
Du  prüftest  einmal  Kleine  durch  den  Großen. 
Und  riefst  ihn  weg.  So  hat  er  diese  Prüfung 
als  Prüfer  und  Geprüfter  schlecht  bestanden. 
War  dies  die  Absicht,  als  Du  Tod  und  Leben 
zu  seligem  Unterschied  erfunden  hast? 
Stürzt  in  die  Bresche  dar  Unendlichkeit 
der  irdische  Feind,  ein  toljgev/ordener  Haufe? 
Und  ist  das  Leid  nicht  göttlicher  Besitz, 
daß  die  es  tragen,  die  gemordet  haben? 
Ist  selbstvergossnes  Blut  nur  ein  Rubin, 
ein  falscher  Diamant  die  echte  Thräne, 
ein  Putz,  den  sich  die  Judasfratze  borgt? 
Dann  ist  die  Zeit  zu  Ende  und  nichts  bleibt 
als  Deine  Prüfung.  Laß  es  sie  entgelten, 
in  Stadt  und  Staat  die  Mißgebornen  fühlen, 
daß  es  vollbracht  ist!  Nimm  ihr  eigenes  Blut 
und  traure  über  sie  mit  Gottes  Thräne! 

(Während  dieser  Vl^orte  hat  die  heilige  Handlung  in  höchster 
Feierlichkeit  ihren  Anfang  genommen.  Man  sieht,  wie  der  gesamte 
im  Trauersaa!  versammelte  Hofstaat  zum  Gebete  kniet,  vonie 
schluchzend  die  drei  Kinder  der  Ermordeten.  Zeitweise  wird  die 
Stimme  des  Priesters  hörbar.  Nun  spielt  die  Orgel.  Einer  der 
zehn,  die  allmählich  ganz  in  das  'i'rauergemach  gelangt  sind, 
wendet  sich  plötzlich  mit  lauter  Stimme   an   seinen  Nachbarn.) 

Der    Redakteur:     Wo     is     Szomory?     Wir 
brauchen  die  Stimmung! 

(Die  Orgel  setzt  ab.    Es  tritt  eine  Pause  stummen   Gebetes  ein, 
nur  vom  Schluchzen  der  drei  Kinder  unterbrochen.) 

Der  Redakteur  (zu  seinem  Nachbarn):  Schreiben 
Sie,   wie  sie  beten! 


I.  Akt 


1.  Szene 

Wien.     Ringstraßen-Korso.    Sirk-Ecke.     Etliche  Wochen  später. 

Fahncii  an  aen  Häusern.  Vorbeimarschierende  Soldaten  werden 

bejubelt.  Allgemeine  Erregung.  Es  bilden  sich  Gruppen. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Zweiter      Zeitungsausrufer:      Extraaus- 
gabee! Beidee  Berichtee! 

Ein  Demonstrant  (der  sich  von  einer  Gruppe  den 
Prinz  Eugen-Marsch  singender  Leute  loslöst,  ruft  mit  hochrotem 
Gesicht  und  schon  ganz  heiser  unaufhörlich):  Nieda  mit 
Serbieen!  Nieda!  Hoch  Habsburg!  Hoch!  Hoch 
Serbieen! 

Ein  Gebildeter  (den  Irrtum  bemerkend,  versetzt 
ihm  einen  Rippenstoß) :  Was  fällt  Ihnen  denn  ein  — 

Der  Demonstrant  (anfangs  verdutzt,  besinnt  sich): 
Nieda  mit  Serbieen!  Nieda!  Hoch!  Nieda  mit  Habs- 
burg! Serbieen! 

(im  Gedränge  einer  zweiten  Gruppe,  in  die  auch  eine  Prostituierte 

geraten  ist,  versucht  ein  »Pülcher«,    der   dicht   hinter  ihr  geht, 

ihr  die  Handtasche  zu  entreißen.) 

DerPülcher  (ruft  dabei  unaufhörlich) :  Hoch !  Hoch ! 

Die  Prostituierte:  Loslassen!  Sie  unver- 
schämter Mensch !  Loslassen  oder  — 

Der  Pülcher  (von  seinem  Vorhaben  ablassend):  Wos 
rufn  S'  denn  net  hoch?  Sie  wolln  a  Padriodin  sein? 
A  Hur  San  S',  mirken  S'  Ihna  das! 

Die  Prostituierte:  A  Taschelzieher  san  S'! 

Der  Pülcher:  A  so  a  Schlampen  —  jetzt  is 
Krieg,  mirken  S'  Ihna  das!  A  Hur  san  S' ! 

Ein  Passant:  Burgfrieden,  wenn  ich  bitten 
darf!  Halten  S'  an  Burgfrieden! 


30 


Die  Menge  (aufmerksam  werdend):  A  Hur  is! 
Was  hats  gsagt? 

Ein  zweiter  Passant:  Wenn  mr  reciit  vur- 
kummt,  so  hat  s'  was  gegen  das  angestaamte 
Herrscherhaus  gsagt! 

Die  Menge:  Nieda!  Hauts  es!  (Dem  Mädchen 
ist  es  gelungen,  in  einem  Durchhaus  zu  verschwinden.)  Laßts 
es  gehn!  Mir  san  net  aso!  Hoch  Habsburg! 

Ein  Reporter  (zu  seinem  Begleiter):  Hier  scheinen 
Stimmungen  zu  sein.  Was  tut  sich? 

DerzweiteReporter:  Ma  werd  doch  da  sehn. 

Ein  ArmeeHeferant  (hat  mit  einem  zweiten  eine 
Ringstraßenbank  bestiegen) :  Da  Sehn  wir  sie  besser.  Wie 
schön  sie  vorbeimarschieren,  unsere  braven  Soldaten! 

Der  zweite:  Wie  sagt  doch  Bismarck,  steht 
heut  in  der  Presse,   unsere  Leut  sind  zum  Küssen. 

Der  erste:  Wissen  Sie,  daß  sogar  Eislers 
Ältester  genommen  is? 

Der  zweite:  Was  Sie  nicht  sagen!  Das  hat 
die  Welt  nicht  gesehn!  So  reiche  Leute  auch.  Daß 
sich  da  nichts  machen  hat  lassen? 

Der  erste:  Es  heißt,  sie  versuchen  jetzt.  Wahr- 
scheinlich wird  er  hinaufgehn  und  sichs  richten. 

Der  zweite:  Und  im  äußersten  Fall  —  Sie 
wern  sehn,  jetzt  wird  er  ihm  doch  das  Automobil 
kaufen,  was  er  sich  hat  in  den  Kopf  gesetzt. 

Der   erste:   Kann   man   auch  verunglücken. 

Ein  Passant:  Habe  die  Ehre,  Herr  General- 
direktor ! 

Ein  anderer  Passant  (zu  seinem  Begleiter):  Hast 
ghört?  Weißt,  wer  das  is?  Ein  Generaldirektor  in  Zivil. 
Da  muß  man  vorsichtig  mit'n  Reden  sein.  Das  is 
nämlich  der  Vorgesetzte  von  die  Generäle. 

Ein  Offizier:  (zu  drei  anderen):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grüß  dich  Powolny,  also 
du  —  du  bist  ja  politisch  gebildet,  also  was  sagst? 

Zweiter  Offizier  (mit  Spazierstock):  Weißt, 
ich  sag,  es  is  alles  wegen  der  Einkreisung. 


31 


Der  dritte:  Weißt  ~  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  muUattiert  — !  habts  das  Bild  vom  Schönpflug 
gsehn,  Klassikaner! 

Der  dritte:  Weißt,  in  der  Zeitung  steht,  es 
war  unanwendbar. 

Der  zweite:  Unabwendbar  steht. 

Der  dritte:  Natürlich,  unabwendbar,  weißt 
ich   hab   mich   nur  verlesen.    Also  was  is   mit  dir? 

Der  vierte:  No  weißt  ich  hab  halt  also 
Aussicht  ins  KM. 

Der  erste:  No  bist  a  Feschak,  kommst  halt 
zu  uns.  Du  gestern  war  ich  dir  im  Apollo  bei  der  Mela 
Mars  —  hat  mir  der  Nowak  von  Neunundfünfziger 
gsagt  er  hat  ghört  ich  bin  eingegeben  für  die  Silberne. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Tagblaad!  Kroßer 
Sick  bei  Schaabaaz! 

Der  vierte:  Gratuliere  dir — hast  die  gsehn? 
Ein  Gustomenscherl  was  sich  gwaschen  hat,  sag  ich 
euch  —  warts,  ich  —  (ab.) 

Die  andern:  (ihm  nachrufend):  Kommst  also 
nachher  zum  Hopfner! 

Ein  Wiener  (hält  von  einer  Bank  eine  Ansprache): 

denn  wir  mußten  die  Manen  des  ermordeten 

Thronfolgers  befolgen,  da  hats  keine  Spompanadeln 
geben  —  darum,  Mitbürger,  sage  ich  auch  —  wie 
ein  Mann  wollen  wir  uns  mit  fliehenden  Fahnen 
an  das  Vaterland  anschließen  in  dera  großen  ZeitI 
Sind  wir  doch  umgerungen  von  lauter  Feinden! 
Mir  führn  einen  heilinger  Verteilungskrieg  führn  mir! 
Also  bitte  —  schaun  Sie  auf  unsere  Braven,  die  was 
dem  Feind  jetzt  ihnere  Stirne  bieten,  ungeachtet, 
schaun  S'  wie  s'  da  draußn  stehn  vor  dem  Feind, 
weil  sie  das  Vaterland  rufen  tut,  und  dementsprechend 
trotzen  s'  der  Unbildung  jeglicher  Witterung  —  draußen 
stehn  s',  da  schaun  S'  Ihner  s'  an !  Und  darum  sage 
ich  auch  —  es  ist  die  Pflicht  eines  jedermann,  der  ein 
Mitbürger   sein   will,    stantape   Schulter  an  Schulter 


32 


sein  Scherflein  beizutrageen.  Dementsprechend!  Da 
heißt  es,  sich  ein  Beispiel  nehmen,  jawoohl!  Und 
darum  sage  ich  auch  —  ein  jeder  von  euch  soll 
zusammenstehn  wie  ein  Mann !  Daß  sie's  nur  hören 
die  Feind,  es  ist  ein  heilinger  Verteilungskrieg,  was 
mir  führn!  Wiar  ein  Phönix  stehm.a  da,  den  s'  nicht 
durchbrechen  wern,  dementsprechend  —  mir  san  mir 
und  Österreich  wird  auferstehn  wie  ein  Phallanx 
ausm  Weltbrand  sag  ich!  Die  Sache  für  die  wir 
ausgezogen  wurden,  ist  eine  gerechte,  da  gibts  keine 
Wurschteln,  und  darum  sage  ich  auch,  Serbien  — 
muß  sterbien! 

Stimmen  aus  der  Menge:  Bravo!  So  ist 
es!  —  Serbion  muß  sterbien!  —  Ob's  da  wüll  oder 
net!  —  Hoch!  —  A  jeder  muß  sterbien! 

Einer  aus  der  Menge:  Und  a  jeder  Ruß  — 

Ein  anderer  (brüllend):  —  ein  Genuß! 

Ein  dritter:  An  Stuß!  (Gelächter.) 

Ein  vierter:  An  Schuß! 

Alle:  So  is!  An  Schuß!  Bravo! 

Der  zweite:  Und  a  jeder  Franzos? 

Der  dritte:  A  Roß!  (Gelächter.) 

Der  vierte:  An  Stoß! 

Alle:  Bravo!  An  Stoß!  So  is! 

Der  dritte:  Und  a  jeder  Tritt  —  na,  jeder  Britt!? 

Der  vierte:  An  Tritt! 

Alle:  Sehrguat!  An  Brilt  für  jeden  Tritt!  Bravo! 

Ein  Bettelbub:  Gott  strafe  England! 

Stimmen:  Er  strafe  es!  Nieda  mit  England! 

Ein  Mädchen:  Der  Poldl  hat  mir  das  Beuschl 
von  an  Serben  versprochen !  Ich  hab  das  hineingeben 
in  die  Reichspost! 

Eine  Stimme:  Hoch  Reichspost!  Unser 
christliches  Tagblaad! 

Ein  anderes  Mädchen:  Bitte,  ich  habs 
auch  hineingeben,  mir  will  der  Fordl  die  Nierndln 
von  an  Russn  mitbringen! 

Die  Menge:  Her  darmit! 


33 


Ein  Wachmann:  Bitte  links,  bitte  links. 

Ein  Intellektueller  (zu  seiner  Freundin):  Hier 
könnte  man,  wenn  noch  Zeit  war,  sich  in  die  Volks- 
seele vertiefen,  wieviel  Uhr  is?  Heut  steht  im  Leit- 
artikel, daß  eine  Lust  is  zu  leben.  Glänzend  wie  er  sagt, 
der  Glanz  antiker  Größe  durchleuchtet  unsere  Zeit. 

Die  Freundin:  Jetzt  is  halber.  Die  Mama 
hat  gesagt,  wenn  ich  später  wie  halber  zuhaus  komm, 
krieg  ichs. 

Der  Intellektuelle:  Aber  geh  bleib.  Schau 
dir  bittich  das  Volk  an,  wie  es  gärt,  Paß  auf 
auf  den  Aufschwung! 

Die  Freundin:  Wo? 

Der  Intellektuelle:  Ich  mein'  .seelisch,  wie 
sie  sich  geläutert  haben  die  Leut,  im  Leitartikel 
steht  doch,  lauter  Helden  sind.  Wer  hätte  das  für 
möglich  gehalten,  wie  sich  die  Zeiten  geändert 
haben  und  wir  mit  ihnen. 

(Ein  Fiaker  hält  vor  einem  Hause.) 

Der  Fahrgast:  Was  bekommen  Sie? 

Der  Fiaker:  Euer  Gnaden  wissen  eh. 

Der  Fahrgast:  Ich  weiß  es  nicht.  Was  be- 
kommen Sie? 

Der  Fiaker:     No  was  halt  die   Fax  is. 

Der  Fahrgast:  Was  ist  die  Tax? 

Der  Fiaker:  No  was  S'  halt  den  andern  gebn. 

Der  Fahrgast:  Können  Sie  wechseln?  (Reicht 
ihm  ein  Zehnkronenstücl<  in  Gold.) 

Der  Fiaker:  Wechseln,  wos?  Dös  nimm  i  net 
als    a   ganzer,    dös  könnt    franzeisches    Gold    sein! 

Ein  Hausmeister  (nähert  sich):  Wos?  A 
Franzos?  Ahdaschaurija.  Am  End  gar  ein  Spion, 
dem  wer  mrs  zagn!    Von  woher   kummt   er  denn? 

Der  Fiaker:  Von  der  Ostbahn! 

Der  Hausmeister:  Aha,  aus  Petersburg! 

Die  Menge  (die  sich  um  den  Wagen  gesammelt  hat): 
A  Spion!  A  Spion!  (Der  Fahrgast  ist  im  Durchhaus  ver- 
schwunden.) 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  3 


34 


Der  Fiaker  (nachrufend):  A  so  a  notiger  Beitel 
vardächtiga! 

Die  Menge:  Loßts'n  gehn!  Mochts  kane 
Reprassalien,    dös  ghört   si   net!    Mir  san  net  aso! 

Ein  Amerikaner  vom  Roten  Kreuz 
(zu  einem  andern):  Look  at  the  people  how  enthusiastic 
tliey  are! 

Die  Menge:  Zwa Engländer!  Reden  S'  deutsch! 
Gott  strafe  England!  Hauts  es!  Mir  san  in  Wean! 
(Die  Amerikaner  flüchten  in  ein  Durchhaus.)  Loßts  es 
gehn!  Mir  san  net  aso! 

Ein  Türke  (zu  einem  andern):  Regardez  l'en- 
thousiasme  de  tout  le  monde! 

D  i  e  M  e  n  g  e :  Zwa  Franzosen !  Reden  S'  deutsch ! 
Hauts  es!  Mir  san  in  Wean!  (Die  Türl<en  flüchten  in 
das  Durchhaus.)  Loßts  es  gehn!  Mir  San  net  aso!  Dös 
war  ja  ttirkisch!  Sechts  denn  uet,  die  ham  ja  an  Fez! 
Dös  san  Bundesgenossen!  Holts  es  ein  und  singts 
den  Prinz  Eugen ! 

(Zwei  Chinesen  treten  schweigend  auf.) 

Die  Menge:  Japaner  san  do!  Japaner  san  a 
no  in  Wean!  Aufhängen  sollt  ma  die  Bagasch  bei 
ihnare  Zopf! 

Einer:   Loßts  es  gehn!    Dös   san  ja  KineserS 

Zweiter:  Bist  selber  a  Kineser! 

Der  erste:  'leicht  du! 

Dritter:  Alle  Kineser  san  Japaner! 

Vierter:  San  So  vielleicht  a  Japaner? 

Dritter:  Na. 

Vierter:  Na  olstern,  aber  a  Kineser  san  S'  do! 
(Gelächter.) 

Fünfter:  Oba  oba  oba  wos  treibts  denn, 
habts  denn  net  in  der  Zeitung  g'lesen,  schauts  her, 
da  stehts  (er  zieht  ein  Zeitungsblatt  hervor):  »Derartige 
Ausschreitungen  des  Patriatismus  können  in  keener 
Weisee  gedudldeet  werden  und  sind  überdies  geeigneet, 


35 


den  Fremdenverkehr  zu  schädigeen«.  Wo  soll  sich 
denn  da  nacher  ein  Fremdenverkehr  entwickeln, 
wo  denn,  no  olstern! 

Sechster:  Bravo!  Recht  hot  er!  Der  Fremden- 
verkehr, wann  mr  eahm  hebn  wolln,  das  is  schwer, 
das  is  net  aso  — 

Siebenter:  Halts  Mäul!  Krieg  is  Krieg  und 
wann  einer  amerikanisch  daherredt  oder  türkisch 
oder  so    - 

Achter:  So  is.  Jetzt  is  Krieg  und  da  gibts 
keine  Würschtel !  (Eine  Dame  mit  leichtem  Antlug  von 
Schnurrbart  ist  aufgetreten.) 

Die  Menge:  Ah  do  schauts  her !  Das  kennt  ma 
schon,  ein  verkleideter  Spion!  Varhaften!  Einspirn 
stantape! 

Ein  Besonnener:  Aber  meine  Herren  — 
bedenken  Sie  —  sie  halte  sich  doch  rasieren  lassen! 

Einer  aus  der  Menge:  Wer? 

Der  Besonnene:  Wenn  sie  ein  Spion  wäre. 

Ein  zweiter  aus  der  Menge:  Drauf  hat 
er  vergessen!  So  hat  er  sich  gfangt! 

Rufe:  Wer?  —  Er!  —  No  sie! 

Ein  dritter:  Das  is  eben  die  List  von  denen 
Spionen ! 

Ein  vierter:  Damit  mrs  net  mirkt,  daß 
Spionen  san,  lassen  s'  ihnern  Bart  stehn! 

Ein  fünfter:  Redts  net  so  dalkert  daher, 
das  is  ein  weiblicher  Spion  und  damit  mrs  net  mirkt, 
hat  s'  an  Bart  aufpappt! 

Ein  sechster:  Das  is  ein  weiblicher  Spion, 
was  sich  für  ein  Mannsbild  ausgeben  tut! 

Ein  siebenter:  Nein,  das  is  ein  Mannsbild, 
was  sich  für  ein  weiblichen  Spion  ausgeben  tut! 

Die  Menge:  Jedenfalls  ein  Vardächtiger,  der 
auf  die  Wachstubn  ghört!  Packts  eahm! 

(Die  Dame  wird  von  einem  Wachmann  abgeführt.  Man  hört  die 
»Wacht  am  Rhein«  singen.) 


3* 


36 


Der  erste  Reporter  (hält  ein  Notizblatt  in  der 
Hand) :  Das  war  kein  Strohfeuer  trunkener  Augenblicks- 
begeisterung,  kein  lärmender  Ausbruch  ungesunder 
Massenhysterie.  Mit  echter  Männlichkeit  nimmt  Wiea 
die  schicksalsschwere  Entscheidung  auf.  Wissen  Sie, 
wie  ich  die  Stimmung  zusammenfassen  wer'?  Die 
Stimmung  läßt  sich  in  die  Worte  zusammenfassen: 
Weit  entfernt  von  Hochmut  und  von  Schwäche.  Weit 
entfernt  von  Hochmut  und  von  Schwäche,  dieses 
Wort,  das  wir  für  die  Grundstimmung  Wiens  geprägt 
liaben,  kann  man  nicht  oft  genug  wiederholen. 
Weit  entfernt  von  Hochmut  und  von  Schwäche! 
Also  was  sagen  Sie  zu  mir? 

Der  zweite  Reporter:  Was  soll  ich  sagen? 
Glänzend! 

Der  erste:  Weit  entfernt  von  Hochmut  und 
von  Schwäche.  Tausende  und  Aberlausende  sind 
heute  durch  die  Straßen  gewallt,  Arm  in  Arm,  Arm 
und  Reich,  Alt  und  Jung,  Hoch  und  Nieder.  Die 
Haltung  jedes  Einzelnen  zeigte,  daß  er  sich  des 
Ernstes  der  Situation  vollauf  bewußt  ist,  aber  auch 
stolz  darauf,  den  Pulsschlag  der  großen  Zeit,  die 
jetzt  hereinbricht,  an  seinem  eigenen  Leib  zu  fühlen. 

Eine  Stimme  aus  der  Menge:  Lekmimoasch! 

Der  Reporter:  Hören  Sie,  wie  immer  aufs 
neue  der  Prinz  Eugen-Marsch  erklingt  und  die  Volks- 
hymne und  ihnen  gesellt  sich  wie  selbstverständlich 
die  Wacht  am  Rhein  im  Zeichen  der  Bundestreue. 
Früher  als  sonst  hat  heute  Wien  Feierabend  gemacht. 
Daß  ich  nicht  vergeß,  wir  müssen  besonders  schildern, 
wie  sich  das  Publikum  vor  dem  Kriegsministerium 
massiert  hat.  Aber  vor  allem,  nicht  vergessen  erwähnt 
zu  werden  darf  —  raten  Sie. 

Der  zweite:  Ob  ich  weiß!  Nicht  vergessen 
erwähnt  zu  werden  darf,  wie  sie  zu  Hunderten  und 
Aberhunderten  sich  in  der  Fichtegasse  vor  dem 
Redaktionsgebäude  der  Neuen  Freien  Presse  massiert 
haben. 


37 


Der  erste:  Kopp  was  Sie  sind.  Ja,  das  hat 
er  gern  der  Chef.  Aber  was  heißt  Hunderte  und 
Aberhunderte?  Ausgerechnet!  Sagen  Sie  gleich 
Tausende  und  Abertausende,  was  liegt  Ihnen  dran, 
wenn  sie  sich  schon  massieren. 

Der  zweite:  Gut,  aber  wenn  man  es  nur 
nicht  als  feindliche  Demonstration  auffassen  wird, 
weil  das  Blatt  letzten  Sonntag,  wo  doch  schon  die 
große  Zeit  war,  noch  so  viel  Annoncen  von  Masseusen 
gebracht  hat? 

Der  erste:  In  einer  so  großen  Zeit  ist  eine 
so  kleinliche  Auffassung  ausgeschlossen.  Überlassen 
Sie  das  der  Fackel.  Alle  haben  sie  dem  Blatt  zu- 
gejubelt. Es  erschollen  stürmische  Rufe:  Vorlesen! 
Vorlesen  I  und  das  hat  sich  selbstredend  auf  Belgrad 
bezogen.  Dann  haben  sie  tosende  Hochrufe  aus- 
gebracht — 

Der  zweite:  Tosende  und  abertosende  Hoch- 
rufe — 

Der  erste:  —  und  zwar  auf  Österreich,  auf 
Deutschland  und  auf  der  Neuen  Freien  Presse.  Die 
Reihenfolge  war  für  uns  nicht  gerade  schmeichelhaft, 
aber  es  war  doch  sehr  schön  von  der  begeisterten 
Menge.  Den  ganzen  Abend  is  sie,  wenn  sie  nicht 
gerade  vor  dem  Kriegsministerium  zu  tun  gehabt 
hat  oder  auf  dem  Ballplatz,  is  sie  in  der  Fichtegasse 
Kopf  an  Kopf  gedrängt  gestanden  und  hat  sach  massiert. 

Der  zweite:  Wo  nur  die  Leut  die  Zeit  her- 
nehmen, staune  ich  immer. 

Der  erste:  Bittsie,  die  Zeit  is  so  groß,  daß 
dazu  genug  Zeit  bleibt!  Also  die  Nachrichten  des 
Abendblatts  wurden  immer  und  immer  wieder  erörtert 
und  durchgesprochen.  Von  Mund  zu  Mund  ging 
der  Name  Auffenberg. 

Der  zweite:  Wieso  kommt  das? 

Der  erste:  Das  kann  ich  Ihnen  erklären,  es 
is  ein  Redaktionsgeheimnis,  sagen  Sie's  erst,  bis 
Friede  is.  Also  Roda  Roda  hat  doch  gestern  dem  Blatt 


38 


telegraphiert  über  die  Schlacht  bei  Lemberg  und 
am  Schluß  vom  Telegramm  stehn  die  Worte:  Lärm 
machen  für  Auffenberg!  Das  war  schon  gesetzt. 
Im  letzten  Moment  hat  man's  noch  bemerkt  und 
herausgenommen,  dann  aber  hat  man  j  a  Lärm 
gemacht  für  Auffenberg! 

Der  zweite:  Die  Hauptsache  sind  jetzt  die 
Straßenbilder.  Von  jedem  Eckstein,  wo  ein  Hund 
demonstriert,  will  er  ein  Straßenbild  haben.  Gestern 
hat  er  mich  rufen  lassen  und  hat  gesagt,  ich  soll 
Genreszenen  beobachten.  Aber  grad  das  is  mir  un- 
angenehm, ich  laß  mich  nicht  gern  in  ein  Gedränge 
ein,  gestern  hab  ich  die  Wacht  am  Rhein  mitsingen 
müssen  —  kommen  Sie  weg,  hier  geht's  auch  schon 
zu,  sehn  Sie  sich  nur  die  Leut  an,  ich  kenne  diese 
Stimmung,  man  is  auf  einmal  mitten  drin  und  singt 
Gott  erhalte. 

Der  erste:  Gott  beschütze!  Sie  haben  recht 
—  wozu  man  selbst  dabei  sein  muß,  seh  ich  auch 
nicht  ein,  man  verliert  nur  Zeit,  man  soll  drüber 
schreiben,  stattdem  steht  man  herum.  Was  ich  sagen 
wollte,  sehr  wichtig  is  zu  schildern,  wie  sie  alle 
entschlossen  sind  und  da  und  dort  reißt  sich  einer 
los,  er  will  ein  Scherflein  beitragen  um  jeden  Preis. 
Das  kann  man  sehr  plastisch  herausbringen.  Gestern 
hat  er  mich  rufen  lassen  und  hat  gesagt,  man  muß 
dem  Publikum  Appetit  machen  auf  den  Krieg  und 
auf  das  Blatt,  das  geht  in  einem.  Sehr  wichtig  sind 
dabei  die  Einzelheiten  und  die  Details,  mit  einem 
Wort  die  Nuancen  und  speziell  die  Wiener  Note. 
Zum  Beispiel  muß  man  erwähnen,  daß  selbstredend 
jeder  Standesunterschied  aufgehoben  war  und  zwar 
sofort  —  aus  Automobile  haben  sie  gewinkt,  sogar  aus 
Equipagen.  Ich  hab  beobachtet,  wie  die  Dame  in 
der  Spitzentoilette  aus  dem  Auto  gestiegen  is  und 
der  Frau  mit  dem  verwaschenen  Kopftuch  is  sie  um 
den  Hals  gefallen.  Das  geht  schon  so  seit  dem 
Ultimatum,  alles  is  ein  Herz  und  eine  Seele. 


39 


Stimme  eines  Kutschers:  Fahr  flira 
Rabasbua  vadächtiga  —  ! 

Der  zweite  Reporter:  Wissen  Sie,  was 
ich  beobachtet  hab?  Ich  hab  beobachtet,  wie  sich 
Gruppen  gebildet  haben. 

Der  erste:  No  und  — ? 

Der  zweite:  Und  ein  Student  hielt  eine 
Ansprache,  daß  jedermann  seine  Pllicht  erfüllen  muß, 
dann  hat  sich  einer  aus  einer  Gruppe  gelöst  und 
hat  gesagt:  »Besser  so!« 

Der  erste:  Nicht  übel.  Ich  kann  nur  konsta- 
tieren, ein  großer  Ernst  breitet  sich  über  der  Stadt 
aus,  und  dieser  Ernst,  gemildert  von  Gehobenheit 
und  dem  Wellgeschichtsbewußtsein  drückt  sich  in 
allen  Mienen  aus,  in  denen  der  Männer,  die  schon 
mitmüssen,   in  denen  derer,    die  noch  dableiben  — 

Eine  Stimme:  Lekmimoasch! 

Der  erste:  —  und  in  den  Mienen  jener, 
denen  eine  so  hohe  Aufgabe  zuteil  wird.  Vorbei  die 
bequeme  Lässigkeit,  die  genußfroheGedankenlosigkeit; 
die  Signatur  ist  schicksalsfroher  Ernst  und  stolze 
Würde.  Die  Physiognomie  unserer  Stadt  hat  sich  mit 
einem  Schlage  verändert.     * 

Ein  Passant  (zu  seiner  Frau):  Du  kannst  von 
mir  aus  in  die  Josefstadt  gehn,  ich  geh  an  die  Wien! 

Ein  Zeitungsausrufer:  Vormarsch  der 
Österreicher!  Alle  Stellungen  genohmen! 

Die  Frau :  Mir  is  schon  mies  vor  >Husarenblut«. 

Der  erste  Reporter:  Nirgends  eine  Spur 
von  Beklommenheit  und  Gedrücktheit,  nirgends 
fahrige  Nervosität  und  von  des  Gedankens  Blässe 
angekränkelte  Sorge.  Aber  ebensowenig  leichtherzige 
Unterschätzung  des  Ereignisses  oder  törichte,  ge- 
dankenlose Hurrastimmung. 

Die  Menge:  Hurra,  a  Deitscher!  Nieda  mit 
Serbieen! 

Der  erste  Reporter:-  Schaun  Sie  her, 
südliche  Begeisterungsfähigkeit,  gelenkt  und  geregelt 


40 


von  deutschem  Ernst.  Das  beobaclit  ich  für  die  City. 
Sie  können  für  die  Leopoldstadt  eine  aufgeregtere 
Note  wählen. 

Der  zweite:  Fallt  mir  nicht  ein,  ich  bin 
auch  mehr  für  abgeklärtere  Stimmungen.  Da  und  dort 
sieht  man,  wer  ich  sagen,  einen  weißköpfigen  Greis, 
der  sinnend  entfernter  Jugendtage  gedenkt,  oder  ein 
gebeugtes  Mütterchen,  das  mit  zitternder  Hand 
Abschiedsgruö  und  Segenswunsch  winkt.  Einer  merkt 
man  an,  daß  sie  um  einen  Sohn  oder  Gatten  bange. 
Drehn  Sie  sich  um,  da  können  Sie  sehn  wie  sie 
winken,  sie  winken  effektiv, 

(Ein  Trupp  Knaben    mit  Tschako    und  Holzsäbel    zieht    vorbei 

und  singt:    Wer  will  unter   die  Soldaten  —  der   ließ    schlagen 

eine  Brücken  — ) 

Der  erste:  Notieren  Sie:  Eine  hübsche  Genre- 
szene. Überhaupt  müssen  wir  trachten,  möglichst 
viel  vom  Volk  zu  sagen,  der  Chef  hat  erst  heute 
geschrieben,  es  is  die  Quelle,  in  der  wir  das  Gemüt 
erfrischen. 

EineGruppe(singend):DieRussenunddieSerben 
die  hauen  wir  in  Scherben ! 
Hoch!  Nieda!  Schauts  die  zwa  Juden  an! 

Der  zweite  Reporter:  Sie,  ich  hab  keine 
Lust  mehr,  Genreszenen  zu  beobachten.  Soll  er  sein 
Gemüt  an  der  Quelle  erfrischen  gehn,  wenn  er  sich 
traut.  Ich  bin  lieber  weit  entfernt  — 

Der  erste:  Weit  entfernt  von  Hochmut  und 
von  Schwäche,  dieses  Wort,  das  wir  für  die  Grund- 
stimmung Wiens  geprägt  haben  —   (beide  schnell  ab.) 

Es  enlrteht  eine  Bewegung.    Ein  junger  Mann    hat   einer  alten 

Frau   die  Handtasche   gestohlen.    Die  Menge   nimmt   Stellung 

gegen  die  Frau. 

Eine  weibliche  Stimme:  Ja  meine  Liebe, 
jetzt  is  Krieg,  das  is  net  wie  im  Frieden,  da  muß 
schon  jeder  was  hergeben,  mir  san  in  Wien! 

Poldi  Fesch  (zu  seinem  Begleiter):  Gestern  hab 
ich  mii  dem  Sascha  Kolowrat  gedraht,  heut  —  (ab.) 


41 


(Es  tre(en  auf  zwei  Verehrer  der  Reichspost.) 

Der  erste  Verehrer  der  Reichspost:  Kriege 
sind  Prozesse  der  Läuterung  und  Reinigung,  sind 
Saatfelder  der  Tugend  und  Erwecker  der  Helden. 
Jetzt  sprechen  die  Waffen! 

Der  zweite  Verehrer  der  Reichspost: 
Endlich!  Endlich! 

Der  erste:  Kriege  sind  ein  Segen  nicht  nnr 
um  der  Ideale  willen,  die  sie  verfechten,  sondern 
auch  um  der  Läuterung  willen,  die  sie  dem  Volke 
bringen,  das  sie  im  Namen  der  höchsten  Güter  führt. 
Friedenszeiten  sind  gefährliche  Zeiten.  Sie  bringen 
allzuieicht  Erschlaffung  und  Veräußerlichung. 

Der  zweite:  Der  einzelne  Mensch  braucht 
doch  halt  auch   a  wengerl   Kampf   und   Sturm. 

Der  erste:  Besitz,  Ruhe,  Genuß  darf  für  nichts 
erachtet  werden,  wo  die  Ehre  des  Vaterlandes  alles 
bedeuten  muß.  So  sei  der  Krieg,  in  den  unser 
Vaterland  verwickelt  wurde  — 

Der  zweite:  —  so  sei  der  Krieg,  der  Sühne 
für  Frevel  und  Garantien  für  Ruhe  und  Ordnung 
will,  mit  ganzem  Herzen  erfaßt  und  gesegnet. 

Der  erste:  Auskehrn  mit  eiserner  Faust! 

Der  zweite:  In  Prag,  Brunn  und  Budweis  — 
überall  jubeln  s'  den  kaiserlichen  Entschließungen  zu. 

Der  erste:  In  Serajevo  haben  s'  Gott  erhalte 
gsungen. 

Der  zweite:  In  Treue  steht  Italien  Österreich 
zur  Seite. 

Der  erste:  Fürst  Alfred  Windischgrätz  hat 
sich  freiwillig  zum  Kriegsdienst  gemeldet. 

Der  zweite:  Seine  Majestät  hat  während  des 
ganzen  Tages  in  angestrengtester  Weise  gearbeitet. 

Der  erste:*  Am  27.  zwischen  12  und  1  Uhr 
wurde  im  Postsparkassenamt  die  finanzielle  Vorsorge 
für  den  Krieg  getroffen. 


42 


Der  zweite:  Die  Approvisionierung  Wiens  für 
die  Kriegsdauer  wurde  vom  Bürgermeister  gemeinsam 
mit  dem  Ministerpräsidenten  und  dem  Ackerbau- 
minister gesicliert. 

Der  erste:  Hast  glesen?  Keine  Teuerung 
durchi  den  Krieg. 

Der  zweite:  Das  is  gsciieit! 

Der  erste:  In  unentwegter  Treue  — 

Derzweite:  —  huldigen  wir  unserem  geliebten 
alten  Kaiser. 

Der  erste:  Der  Weiskirchner  hat  gsagt,  meine 
lieben  Wiener,  ihr  lebt  eine  große  Zeit  mit. 

Der   zweite:    Noja,    es  is  keine  Kleinigkeit! 

Der  erste:  Wir  gedenken  auch  des  Bundes- 
genossen in  schimmernder  Wehr,  hat  er  gsagt. 

Der  zweite:  Die  Huldigung  der  kaisertreuen 
Bevölkerung  habens  bereits  an  den  Stufen  des  aller- 
höchsten Thrones  niederglegt. 

Der  erste:  Am  allerhöchsten  Hoflager  in  Ischl. 

Der  zweite:  Wirst  sehn,  der  Krieg  wird  eine 
Renaissance  österreichischen  Denkens  und  Handelns 
heraufftihren,   wirst  sehn.  Ramatama! 

Der  erste:  Höchste  Zeit,  daß  amal  a  Seelen- 
aufschwung kommt!  Rrtsch  —  obidraht! 

Der  zweite:  Ein  Stahlbad  brauch'  mr!  Ein 
Stahlbad! 

Der  erste:  Bist  schon   einrückend  gmacht? 

Der  zweite:  Woher  denn,  enthoben!  Und  du? 

Der  erste:  Untauglich. 

Der  zweite:  Ein  erleichtertes  Aufatmen  geht 
durch  unsere  Bevölkerung!  Dieser  Krieg  —  (ab.) 

Man  hört  den  Gesang  vorbeiziehender  Soldaten:  In  der  Heimat, 
in  der  Heimat  da  gibts  ein  Wiedersehen  — 

Ein  alter  Abonnent  der' Neuen  Freien 
Presse  (im  Gespräch  mit  dem  ältesten):  Intressant  steht 
heute  im  Leitartikel,  wie  der  serbische  Hof  und  wie  sie 


43 


alle  aus  Belgrad  fort  müssen,  (lir  liest  vor.)  »Wien 
ist  heute  Abend  nicht  die  Stadt  gewesen,  die  ver- 
einsamt dem  Hofe,  der  Regierung  und  den  Truppen 
keine  sichere  Stätte  geboten   hat.   Belgrad  war  es.« 

Der  älteste  Abonnent:  Goldene  Worte. 
So  etwas  tut  einem  wohl  zu  hören  und  man  spürt 
doch  bißl  eine  Genugtuung, 

Der  alle  Abonnent:  Allerdings  könnte  man 
einwenden,  daß  Wien  momentan  von  den  Serben 
weiter  weg  is  wie  Belgrad  von  den  Österreichern, 
weil  ja  Belgrad  direkt  visavis  liegt  von  Semlin, 
während  Wien  nicht  direkt  visavis  liegt  von  Belgrad, 
und  weil  sie  schon  zu  schießen  anfangen  von  Semlin 
auf  Belgrad,  während  sie  von  Belgrad  nicht  herüber- 
schießen können  gottlob  auf  Wien. 

Der  älteste  Abonnent:  Ich  kann  Ihrem 
Gedankengang  folgen,  aber  wohin  führt  das  ? 
Wie  immer  man  die  Situation  ansieht,  muß  man 
zu  dem  Resultat  kommen,  daß  das  was  er  im  Leit- 
artikel sagt  wahr  ist.  Daß  nämlich  in  Wien  der  Hof 
und  überhaupt  alles  bleiben  kann  wie  es  ist  und  in 
Belgrad  nicht.  Oder  ist  es  vielleicht  nicht  wahr?  Mir 
scheint  Sie  sind  etwas  ein  Skeptiker? 

Der  alte  Abonnent:  Was  heißt  wahr? 
Es  ist  geradezu  unbestreitbar  und  noch  nie  hab  ich 
die  Empfindung  gehabt,  daß  er  so  recht  hat  wie  er 
dasmal  recht  hat.  Denn  wo  er  recht  hat,  hat  er  recht. 
(Sie  gehen  ab.). 

Ein  Zeitungsausrufer:  —  Lemberg  noch 
in  unserem  Besitzee! 

Vier  Burschen  und  vier  Mädchen  Arm 
in  Arm:  Er  ließ  schlageen  eene  Bruckn  daaß  man 
kont  hiniebaruckn  Stadtunfestung  Beigerad  — 

Die  Menge:  Hoch!  (Fritz  Werner  tritt  auf  und 
dankt  grüßend.) 

Fräulein  Körmendy:  Weißt  du  was,  geh  du 
jetzt  zu  ihm  und  bitt  ihm. 


44 


Fräulein  Löwenstarnm  (nähert sich) :  Ich  bin 
nämlich  eine  große  Verehrerin  und  möcht  um  ein 
Autogramm  — 

(Werner    zieht    einen    Notizblock,    beschreibt    ein     Blatt    und 

überreicht  es  ihr.  Ab.) 
So  lieb  war  er. 

Fräulein  Körraendy:  Hat  er  dich  angeschaut? 
Komm  weg  aus  dem  Gedränge,  alles  wegen  dem 
Krieg.  Ich  schwärm  nur  für  den  Storm!  (Ab.) 

Ein  Pülcher:  Serwas  Franz,  wo  gehst 
denn  hin? 

Ein   zweiter   Pülcher:    Auxtrois   Franzois. 

Der  erste:  Wohin? 

Der  zweite:  Auxtrois  Franzois,  Dem  Hutterer 
die  Auslagen  einschlagen,  wann  er  die  Tafel  net 
weggibt.  I  hab  ein  Viechszurn  in  mir! 

Der  erste:  Hast  schon  recht,  das  is  ein 
Schtandal  is  das. 

Der  zweite:  Wo  ich  ein  »Modes«  seh, 
tippe!   i's  einil  (Geht  in  R-'.serei  ab.) 

Der  erste:  Serwas  Pepi,  wo  gehst  denn  hin? 

Ein  dritter:    I  geh  ein  Scherflein  beitragen. 

Der  erste:  A  hörst,  was  du  für  an  Gemein- 
sinn betätingern  tust  — 

Der  dritte:  Wos?  An  Gemeinsinn?  Du,  dös 
sagst  mr  net  no  amol,  mir  net  —  (haut  ihm  eine  Ohrfeige 
herunter.) 

Rufe  aus  der  Menge:  Do  schaut's  her! 
Schämen  S'  Ihna!  Wer  is  denn  der?  San  So  vielleicht 
der  Nikolajewitsch? 

Einer  aus  der  Menge:  Wos  die  Leut  für 
an  Gemeinsinn  betätingern  mitten  im  Krieg,  das  sollt 
man  wirkli  net  für  möglich  hahn! 

(Zwei  Agenten  treten  auf.) 

Der  erste  Agent:  Also  heut  zum  erstenmal, 
Sie,  Gold  gab  ach  für  Eisen. 

Der  zweite:  Sie?  Das  können  Sie  wem 
andern  einreden.  Sie  haben  gegeben!  Aufgewachsen  — 


45 


Der  erste:  Wer  sagt,  ich  hab  gegeben? 
V^erstehn  Sie  nicht  deutsch?  Ich  seh  da  drüben  den 
Zettel  von  der  Premier'  heut:  Gold  gab  ich  für 
Eisen,  ich  möcht  gehn. 

Der  zweite:  Gut,  geh  ich  auch!  Jetzt  is 
überhaupt  am  intressantesten.  Gestern  hat  bei  der 
Csardasfürstin  die  Gerda  Walde  die  Extraausgab 
vorgelesen  von  die  vierzigtausend  Russen  am  Droht- 
verhau  —  hätten  Sie  hören  solin  den  Jubel,  zehnmal 
is  wenig,  daß  sie  is  gerufen  worn. 

Der  erste:  Warn  schon  Verwundete?? 

Der  zweite:  Auch!  Jetzt  is  überhaupt  am 
intressantesten.  Kürzlich  is  einer  neben  mir  gesessen. 
Was  war  da  nur?  Ja  —  Ich  hatt  einen  KameradeH. 

Der  erste:  Sie?? 

Der  zweite:  Wer  sagt,  ich?  Das  is  von 
Viktor  Leon! 

Der  erste:  Guut?? 

Der  zweite:  Bombenerfolg! 

Ein  Zeitungsausrufer:  Belgraad  bona- 
badiert  — ! 

(Verwandlung.) 

2.  Szene 

Südtirol.    Vor  einer  Brücke.    Ein  Automobil  wird   angehalten. 
Der  Chauffeur  weist  den  Fahrtausweis  vor. 

Der  Landsturmmann:  Grüaß  Good  die 
Herrschaften!  Derf  ich  bitten  — 

Der  Nörgler:  Endlich  einmal  ein  freundlicher 
Mann.  Die  andern  sind  alle  so  rabiat  und  legen 
gleich  an  — 

Der  Landsturmmann:  Jo  's  is  zwegn  an 
ruassischen  Automobüll  mit  Gold,  no  und  da  — 

Der  Nörgler:  Aber  ein  Automobil,  das  halten 
will,  kann  doch  nicht  auf  die  Sekunde  halten, 
sondern  rollt  noch  ein  paar  Meter  —  da  kann  ja 
das  größte  Unglück  passieren. 


46 


Der  Landsturm  mann  (in  Rage):  Jo  —  wonn 
eins  net  holten  tuat  —  da  schiaß  ma  alls  zsamm  — 
schiaß  ma  alls  zsamm  —  schiaß  ma  alls  —  (Das 
Automobil  fährt  weiter.) 

(Verwandlung.) 

3.  Szene 

Hinter  der  Brücke.    Ein  Heerhaufen    um    das  Automobil.    Der 
Chauffeur  weist  den  Fahrtausweis  vor. 

Ein   Soldat  (mit  angelegtem  Gewehr):   Halt! 

DerNörgler:  Der  Wagen  steht  doch  schon. 
Warum  ist  denn  der  Mann  so  rabiat? 

Der  Hauptmann  (in  Raserei) :  Er  erfüllt  seine 
Pflicht.  Wenn  er  nur  im  Feld  rabiat  is  mit'n  Feind, 
so  is  scho  recht! 

Der  Nörgler:  Ja,  aber  wir  sind  jadoch  nicht  — 

Der  Hauptmann:  Krieg  is  Krieg!  Basta! 
(Das  Automobil  fährt  weiter.) 

(Verwandlung.) 

4.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Da  können  Sie  von  Glück 
sagen.  In  Steiermark  ist  eine  Rote  Kreuz-Schwester, 
deren  Automobil  noch  ein  paar  Meter  gerollt  ist, 
erschossen  worden. 

Der  Nörgler:  Dem  Knecht  ist  Gewalt  ge- 
geben. Das  wird  seine  Natur  nicht  vertragen. 

Der  Optimist:  Übergriffe  untergeordneter 
Organe  werden  im  Kriege  leider  nicht  zu  vermeiden 
sein.  In  solcher  Zeit  muß  aber  jede  Rücksicht  dem 
einen  Gedanken  untergeordnet  werden:    zu   siegen. 

Der  Nörgler:  Die  Gewalt,  die  dem  Knecht 
gegeben  ward,  wird  nicht  ausreichen,  um  mit  dem 
Feind,  wohl  aber  um  mit  dem  Staat  fertig  zu  werden. 

Der  Optimist:  Militarismus  bedeutet  Ver- 
mehrung der  Staatsordnung  durch  Gewalt,    um    — 


47 


Der  Nörgler:  —  durch  das  Mittel  zur 
schließlichen  Auflösung  zu  führen.  Im  Krieg  wird 
jeder  zum  Vorgesetzten  seines  Nebenmenschen. 
Das  Militär  ist  Vorgesetzter  des  Staates,  dem  kein 
anderer  Ausweg  aus  dem  widernatürlichen  Zwang 
bleibt  als  die  Korruption.  Wenn  der  Staatsmann 
den  Militärmann  über  sich  schalten  läßt,  so  ist  er 
der  Faszination  durch  ein  Idol  der  Fibel  erlegen, 
da»  seine  Zeit  überlebt  hat  und  von  der  unsern 
nicht  mehr  ungestraft  in  Leben  und  Tod  übersetzt 
wird.  Militärische  Verwaltung  ist  die  Verwendung 
des  Bocks  als  Obergärtner  und  die  Verwandlung 
des  Gärtners  zum  Bock. 

Der  Optimist:  Ich  weiß  nicht,  was  Sie  zu 
dieser  düsteren  Prognose  berechtigt.  Sie  schließen 
offenbar,  wie  schon  immer  im  Frieden,  von  unver- 
meidlichen Begleiterscheinungen  auf  das  Ganze,  Sie 
gehen  von  zufälligen  Ärgernissen  aus,  die  Sie  für 
Symptome  nehmen.  Die  Zeit  ist  viel  zu  groß,  als 
daß  wir  uns  mit  Kleinigkeiten  abgeben  könnten. 

DerNörgler:  Aber  sie  werden  mit  ihr  wachsen  1 

Der  Optimist:  Das  Bewußtsein,  in  einer 
Epoche  zu  leben,  in  der  so  gewaltige  Dinge 
geschehen,  wird  auch  den  Geringsten  über  sich  selbst 
erheben. 

Der  Nörgler:  Die  kleinen  Diebe,  die  noch 
nicht  gehängt  wurden,  werden  große  werden,  und 
man  wird  sie  laufen  lassen. 

Der  Optimist:  Was  auch  der  Geringste  durch 
den  Krieg  gewinnen  wird,  ist  — 

Der  Nörgler:  —  Provision.  Wer  die  Hand 
aufhält,    wird  auf  Narben  zeigen,    die  er  nicht  hat. 

Der  Optimist:  Wie  der  Staat,  der  für  sein 
Prestige  den  unvermeidlichen  Verteidigungskampf 
auf  sich  nimmt,  Ehre  gewinnt,  so  auch  jeder  ein- 
zelne, und  was  durch  das  jetzt  vergossene  Blut  in 
die  Welt  kommen  wird,  ist  — 

Der  Nörgler:  Schmutz. 


48 


Der  Optimist:  Ja,  Sie,  der  Sie  ihn  überall 
gesehen  haben,  fühlen,  dafi  Ihre  Zeit  um  ist! 
Verharren  Sie  nur  nörgelnd  wie  eh  und  je  in 
Ihrem  Winkel  —  wir  anderen  gehen  einer  Ära 
des  Seelenaufschwunges  entgegen !  Merken  Sie 
denn  nicht,  daß  eine  neue,  eine  große  Zeit 
angebrochen  ist? 

Der  Nörgler:  Ich  habe  sie  noch  gekannt, 
wie  sie  so  klein  war,  und  sie  wird  es  wieder 
werden. 

Der  Optimist:  Können  Sie  jetzt  noch 
negieren?  Hören  Sie  nicht  den  Jubel?  Sehen 
Sie  nicht  die  Begeisterung?  Kann  ein  fühlendes 
Herz  sich  ihr  entziehen?  Sie  sind  das  einzige. 
Glauben  Sie,  daß  die  große  Gemütsbewegung  der 
Massen  nicht  ihre  Früchte  tragen,  daß  diese  herr- 
liche Ouvertüre  ohne  Fortsetzung  bleiben  wird? 
Die  heute  jauchzen  — 

Der  Nörgler:   —   werden   morgen   klagen. 

Der  Optimist:  Was  gilt  das  einzelne 
Leid!  So  wenig  wie  das  einzelne  Leben.  Der 
Blick  des  Menschen  ist  endlich  wieder  empor- 
gerichtet. Man  lebt  nicht  nur  für  materiellen 
Gewinn,  sondern  auch  — 

Der   Nörgler:  —  für  Orden. 

Der  Optimist:  Der  Mensch  lebt  nicht  vom 
Brote  allein. 

Der  Nörgler:  Sondern  er  muß  auch  Krieg 
führen,  um  es  nicht  zu  haben. 

Der  Optimist:  Brot  wirds  immer  geben!  Wir 
leben  aber  von  der  Hoffnung  auf  den  Endsieg,  an 
dem  nicht  zu  zweifeln  ist  und  vor  dem  wir  — 

Der  Nörgler:  Hungers  sterben  werden. 

Der  Optimist:  Welch  ein  Kleinmut!  Wie 
beschämt  werden   Sie   einst   dastehn !    Verschließen 


49 


Sie  sich  nicht,  wo  Feste  gefeiert  werden  I  Die 
Pforten  der  Seele  sind  aufgetan.  Das  Gedächtnis 
der  Tage,  in  denen  das  Hinterland  wenn  auch  nur 
durch  Empfang  des  täglichen  Berichtes  Anteil  an 
den  Taten  und  Leiden  einer  glorreichen  Front  nahm, 
wird  der  Seele  — 

Der  Nörgler:    —  keine  Narbe  zurücklassen. 

Der  Optimist:   Die  Völker  werden  aus  dem 
Kriege  nur  lernen  — 

Der  Nörgler:   —  daß  sie  ihn    künftig    nicht 
unterlassen  sollen. 

Der  Optimist:  Die  Kugel  ist  aus  dem  Lauf 
und  wird  der  Menschheit  — 

Der  Nörgler:  —  bei  einem  Ohr  hinein  und 
beim  andern  hinausgegangen  sein ! 

(Verwandlung.) 


5.  Szene 

Am  Balihausplatz. 

Graf  Leopold  Franz  Rudolf  Ernest 
Vinzenz  Innocenz  Maria:  Das  Ultimatum  war 
prima!  Endlich,  endlich! 

Baron  Eduard  Alois  Josef  Ottokar 
Ignazius  Eusebius  Maria:  Foudroyant !  No 
aber  auf  ein  Haar  hätten  sie's  angenommen. 

Der  Graf:  Das  hätt  mich  rasend  agassiert. 
Zum  Glück  hab'n  v/ir  die  zwei  Punkterln  drin 
ghabt,  unsere  Untersuchung  auf  serbischem 
Boden  und  so  —  na  dadrauf  sinds  halt  doch 
nicht  geflogen.  Haben  's  sich  selber  zuzuschreiben 
jetzt,  die  Serben.     - 

Die  letzten  Tage  der  .Menschhe't.  4 


50 


Der  Baron:  Wann  rnans  recht  bedenkt  — 
wegen  zwei  Punkterln  —  und  also  wegen  so  einer 
Bagatell  is  der  Weltkrieg  ausgebrochen!  Rasend 
komisch  eigentlich. 

Der  Graf:  Dadrauf  hab'n  wir  doch  nicht 
verzichten  können,  daß  wir  die  zwei  Punkterln 
verlangt  hab'n.  Warum  hab'n  sie  sich  kapriziert,  die 
Serben,  daß  sie  die  zwei  Punkterln  nicht  angnommen 
haben  ? 

Der  Baron:  No  das  war  ja  von  vornherein 
klar,  daß  sie  das  nicht  annehmen  wern. 

Der  Graf :  Das  hab'n  wir  eben  vorher  gewußt. 
Der  Poldi  Berchtold  is  schon  wer,  da  gibts  nix.  Da  is 
auch  nur  eine  Stimme  in  der  Gesellschaft.  Enorm! 
Ich  sag  dir  —  ein  Hochgefühl!  Endlich,  endlich!  Das 
war  ja  nicht  mehr  zum  Aushalten.  Auf  Schritt  und  Tritt 
war  man  gehandicapt.  No  das  wird  jetzt  ein  anderes 
Leben  wern!  Diesen  Winter,  stantepeh  nach  Friedens- 
schluß, fetz  ich  mir  die  Riviera  heraus. 

Der  Baron:  Ich  wer  schon  froh  sein,  wenn 
wir  uns  die  Adria  herausfetzen. 

Der  Graf:  .Mach  keine  Witz.  Die  Adria  ist 
unser.  Italien  wird  sich  nicht  rühren.  Ich  sag  dir,  also 
nach  Friedensschluß  — 

Der  Baron:  No  wann  glaubst  wird  Frieden  sein? 

Der  Graf:  In  zwei,  allerspätestens  drei  Wochen 
schätz  ich. 

Der  Baron:  Daß  ich  nicht  lach. 

Der  Graf:  No  was  denn,  mit  Serbien  wern 
wir  doch  spielend  fertig,  aber  spielend,  mein 
Lieber  —  wirst  sehen,  wie  gut  sich  unsere  Leute 
schlagen.  Schon  allein  die  Schneid  von  unsere 
Sechser-Dragoner!  Ein  paar  von  der  Gesellschaft  soll'n 
schon  direkt  an  der  Front  sein,  du!  No  und  unsere 
Artillerie  —  also  prima.    Rasend  präzis  arbeitend! 

Der  Baron:  No  und  Rußland? 


51 


Der  Graf:  Der  Ruß  wird  froh  sein,  wenn  er 
a  Ruh  hat.  Verlaß  dich  auf'n  Conrad,  der  weiß  schon, 
warum  er  sie  in  Lemberg  hineinlaßt.  Wenn  wir  erst 
in  Belgrad  sind,  wendet  sich  das  Blatt.  Der  Potiorek 
is  prima!  Ich  sag  dir,  die  Serben  gehn  rasend  ein. 
Alles  andere  macht  sich  automatisch. 

D  e  r  B  a  r  o  n :  No  wann  glaubst  also  im  Ernst  — 

Der  Graf:    In  drei,   vier  Wochen   is  Frieden. 

Der  Baron:  Du  warst  immer  ein  rasender 
Optimist. 

Der  Graf:  No  also  bitte,  wann? 

Der  Baron:  Vor  zwei,  drei  Monat  nicht  zu 
machen!  Wirst  sehn.  Wenns  gut  geht,  in  zwei.  Da 
muß's  aber  schon  sehr  gut  gehn,  mein  Lieber! 

Der  Graf:  No  da  möcht  ich  doch  bitten  — 
das  war  aber  schon  grauslich  fad.  Das  war  aber 
charmant,  du !  Ginget  ja  schon  wegen  der  Ernährung 
nicht.  Neulich  hat  mir  die  Sacher  gsagt  —  Also 
du  glaubst  doch  nicht,  daß  sich  das  mit  die 
Ernährungsvorschriften  halten  wird?  Sogar  beim 
Demel  fangen  s'  schon  an  mit'n  Durchhalten  — 
das  sind  ja  charmante  Zustände  —  man  schränkt  sich 
ohnedem  ein,  wo  man  kann,  aber  auf  die  Dauer  — 
Lächerlich,  gibts  nicht!  Oder  meinst? 

Der  Baron:  Du  kennst  ja  meine  Ansicht. 
Ich  halt  nicht  viel  vom  Hinterland.  Wir  sind 
schließlich  keine  Piffkes,  wenn  wir  auch  gezwungen 
sind,  mit  ihnen  —  erst  gestern  sprich  ich 
mit  dem  Putzo  Wurmbrand,  weißt  der  was  die 
Maritschl  Palffy  hat,  er  is  doch  die  rechte  Hand 
vom  Krobatin,  also  ein  Patriot  prima  —  sagt  er, 
wann  man  einen  Verteidigungskrieg  anfangt  — 
verstehst,  der  hat  sich  das  nämlich  speziell  entetiert, 
das  mit'n  Verteidigungskrieg  — 

Der  Graf:  No  —  bitte  —  is  es  vielleicht 
kein  Verteidigungskrieg?  Du  bist  ein  Hauptdefaitist, 
hör  auf!  In  welcher  Zwangslage  wir  waren,  hast  du 


52 


schon  vergessen,  daß  wir  soit  disant  gezwungen 
waren  zum  Losschlagen  wegen  dem  Prestige  und 
so  —  also  das  kommt  mir  vor  —  erlaub  du  mir  — 
hast  die  Einkreisung  vergessen?  —  erst  gestern  sprich 
ich  mit  dem  Fipsi  Schaffgotsch,  der,  wo  sie  eine 
Bellgard'  is,  weißt  er  is  bißl  gschupft,  aber 
ausgesprochen  sympathisch  —  also  was  hab  ich 
sagen  woll'n  —  ja  —  also  waren  wir  vielleicht 
nicht  gezwungen,  uns  von  die  Serben  bei  Temes- 
Kubin  angreifen  zu  lassen,  um  — 

Der  Baron:  Wieso? 

Der  Graf:  Wieso?  Geh,  stell  dich  nicht  — 
also  du  weißt  doch  selber  am  besten,  daß  ein 
serbischer  Angriff  bei  Temes-Kubin  notwendig  war  — 
ich  mein',   wir  hab'n   doch   losschlagen  müssen  — 

Der  Baron:  No  das  selbstredend! 

Der  Graf:  No  also,  hätt  man  das  sonst 
nötig?  Grad  so  wie  die  Deutschen  mit  die  Bomben 
auf  Nürnberg !  Also  —  erlaub  du  mir  —  also  wenn 
das  kein  Verteidigungskrieg  is,  du! 

Der  Baron:  Aber  bitte,  hab  ich  was  gsagt? 
Du  weißt,  ich  speziell  war  von  allem  Anfang  für  die 
Kraftprobe,  notabene  wann  s'  eh  die  letzte  is.  Der 
Ausdruck  dafür  is  mir  putten.  Verteidigungskrieg  — 
das  klingt  rein  so,  als  ob  man  sich  so  gwiß 
entschuldigen  müßt.  Krieg  is  Krieg,  sag  ich. 

Der  Graf:  No  ja,  da  hast  recht.  Was,  der 
Poldi  Berchtold!  Er  is  und  bleibt  ein  rasend  fescher 
Bursch.  Da  kann  man  sagen,  was  man  will.  Oho, 
auch  zu  unserm  Gschäft  ghört  Schneid,  und  die  muß 
man  ihm  lassen!  Wie  er  den  Herrschaften  nach  Ischl 
ausgrutscht  is  —  die  hätten  womöglich  noch  das 
Ultimatum  verhindern  wolln!  Er  aber  —  also  das 
war  enorm!  Ein  Treffer  nach'm  andern! 

Der  Baron:  Epatant!  Hätt  nicht  geglaubt, 
daß  's  ihm  so  gelingen  wird.  Er  haltet  sich  die  Leut 
vom  Leib.  Dem  Poldi  Berchtold   seine  Politik  war 


53 


schon  bei  der  Reduzierung  vom  Beg^räbnis  zu  spüren, 
wie  er  den  russischen  Großfürsten  ausgeschaltet  hat. 
Der  Graf:  Natürlich.  Daß  sich  dann  Rußland 
doch  hineingemischt  hat,  war  nicht  seine  Schuld. 
Wann  's  nach  ihm  gegangen  war',  war'  der  Welt- 
krieg auf  Serbien  lokalisiert  geblieben.  Weißt,  was 
der  Poldi  Berchtold  hat?  Der  Poldi  Berchtold  hat 
das,  was  ein  Diplomat  in  einem  Weltkrieg  vor  allem 
haben  muß-:  savolr  vivre!  Das  hat  mir  rasend 
imponiert,  wie  er  den  Vorschlag  von  die  englischen 
Pimpfe  einfach  zwischen  die  Rennprogramm'  steckt  — 
also  daß  wir  Belgrad  mit  ihrer  gütigen  Erlaubnis 
besetzen  soll'n  —  heuchlerische  Söldnerbande  das  — 
und  wie  er  drauf  in  den  Klub  hinaufkommt,  weißt 
Hoch,  schaut  uns  so  gwiß  an  und  sagt:  Jetzt  hat  die 
Armee  ihren  Willen!  Damals  war  er  dir  montiert,  du! 
Das  wirst  du  mir  zugeben  —  eine  Kleinigkeit  war 
das  nicht,  nämlich  in  so  einer  schicksalsschweren 
Stunde  — 

Man  hört  aus  dem  Nebenzimmer  ein  Klingeln  und  hierauf 

Die  Stimme  Berchtolds:  Aähskaffee! 
(Man  hört  eine  Tür  schließen.) 

Der  Baron:  Also  bitte  —  um  halb  zwölf! 
Also  bitte  —  um  halb  zwölf  verlangt  er  schon 
seinen  Eiskaffee!  Nein,  das  tentiert  mich,  daß  ich 
einmal  —  also  bitte,  da  muß  ich  schon  sagen  — 
Eiskaffee  is  wirklich  seine  starke  Seite! 

Der  Graf:  Das  is  vielleicht  die  einzige 
Schwäche,  die  er  hat!  Er  adoriert  Eiskaffee!  Aber 
das  muß  man  auch  zugeben,  der  Eiskaffee  vom 
Demel  —    also  ideal! 

Der  Baron:  Du,  eine  Sonne  is  heut 
draußen  —  also  prima! 

Der  Graf  (öffnet  dn  Kuvert  des  Korrespondenz- 
bureaus und  liest) : Noch  ist  Lemberg  in  unserem 

Besitze. 

Der  Baron:  No  also! 


54 


Der  Graf:  Der  Poldi  Berchtold  —  verstehst 
du    (indem    er    den   weiteren    Text    der    Nachricht    murmelt) 

—  zurückgenommen  —  ach  was,  immer  dasselbe  — 
agassant  —  wachst  einem  schon  zum  Hals  heraus  — 
(zerknüllt  das  Papier)  —  was  ich  sagen  wollte  —  je 
länger  ich  die  Situation  überlege  —  alles  in  allem 

—  heut  könnt  man  mit  der  Steffi  draußen  soupieren. 

(Verwandlung.) 

6.  Szene 

Vor  einem  Friseurladen  in  der  Habsburgergasse.  Eine  MeBScken 
inenge  in  größter  Erregung. 

Die  Menge:  Nieda!  Hauts  alles  zsamm! 

Einer  (der  zu  beschwichtigen  sucht):  Aber  Leutln, 
der  Mann  hat  ja  nix  tan!  Der  Geigenhändler  von 
nebenan,  der  is  sein  Feind  — 

Der  Geigenhändler  (haranguiert  die  Menge) : 
Er  is  ein  Serb!  Er  hat  sich  eine  Äußerung  zuschulden 
kommen  lassen.  Gegen  eine  hochstehende  Persön- 
lichkeit! Ich  habs  eigenhändig  ghört! 

Der  Friseur  (die  Hände  ringend):  Ich  bin 
unschuldig  —  ich  bin  Hoffriseur  —  wo  wird  mir 
denn  einfallen  — 

Zweiter  aus  der  Menge:  Das  siacht  ma  ja 
schon  am  Namen,  daß  er  ein  Serb  is,  hauts  eahm 
die  Seifenschüsseln  übern  Schädel  — 

Dritter:  Seifts'n  ein!  Nieda!  Nieda  mit  dem 
serbischen  Gurgelabschneider ! 

Die  Menge:  Niedaa  — !  (Das  Lokal  wird 
zertrümmert.) 

(An  der  Ecke  tauchen  die  Historiker  Friedjung  und  Brockhausen 
im  Gespräch  auf.) 

Brockhausen:  Just  heute  habe  ich  in  der 
Presse  eine  treffende  Anmerkung  zu  diesem  Thema 
beigesteuert,  die  mit  zwingender  Logik  einen  Vergleich 
unseres  Volkes  mit  dem  französischen  oder  englischen 
Gesindel  von  vornherein  ablehnt.  Vielleicht  können 


55 


Sie  den  Passus  für  Ihre  Arbeit  brauchen,  Herr 
Koliega,  ich  stelle  ihn  zu  Ihrer  Verfügung,  hören 
Sie:  »Was  den  historisch  Gebildeten  als  aller  geschicht- 
lichen Weisheit  letzter  Schluß  tröstend  und  auf- 
richtend beseelte,  daß  nämlich  niemals  der  Barbarei 
ein  endgültiger  Sieg  beschieden  sein  kann,  das  teilte 
sich  instinktiv  der  großen  Menge  mit.  In  den  Wiener 
Straßen  hat  sich  allerdings  nie  das  schrille  Johlen 
eines  billigen  Hurrapatriotismus  vernehmbar  gemacht. 
Hier  flammte  nicht  das  vergängliche  Strohfeuer  der 
Eintagsbegeisterung  auf.  Dieser  alte  deutsche  Staat 
hat  seit  Kriegsbeginn  sich  die  schönsten  deutschen 
Volkstugenden  zu  eigen  gemacht:  das  zähe  Selbst- 
vertrauen und  die  tiefinnere  Gläubigkeit  an  den 
Sieg  der  guten  und  gerechten  Sache.«  (Er  überreicht 
ihm  den  Ausschnitt.) 

Friedjung:  Fürwahr,  eine  treffliche  Ansicht, 
Herr  Koliega,  die  geradezu  den  Nagel  abschießt 
und  den  Vogel  auf  den  Kopf  trifft.  Ich  werde  es 
ad  notam  nehmen.  Ei  sieh  —  da  hätten  wir  ja 
gleich  ein  Beispiel!  Eine  patriotisch  durchglühte 
Menge,  die  in  maßvoller  Weise  ihren  Gefühlen  Aus- 
druck gibt,  suaviter  in  re,  fortiter  in  modo,  wie's  der 
Wiener  Tradition  geziemt.  Der  unmittelbare  Anlaß 
dürfte  wohl  darin  zu  suchen  sein,  daß  es  die  Habs- 
burgergasse ist.  Das  treuherzige  Völkchen  wollte 
offenbar  dem  Namen  eine  geziemende  Huldigung 
darbringen,  wie  sie  eben  im  Zeitalter  Leopolds 
füglich  in  der  Babenbergerstraße  demonstriert  hätten. 

Brockhausen  (stutzend):  Es  will  mich  aber 
denn  doch  bedünken  — 

Fried  jung  (stutzend):  Es  ist  doch  merkwürdig  — 

Brock  hausen:  Die  guten  Leutchen  sind  ja 
recht  laut  — 

Friedjung:  Jedenfalls  lauter,  als  es  der 
Tradition  geziemt  — 

Brockhausen:  Man  darf  den  gerechten  Anlaß 
ihrer  Erregung  nicht  übersehen.    Wie  sagt  doch  — 


56 


Friedjung:  Seit  dem  Tage,  da  unser 
erhabener  Monarch  Tausende  und  Abertausende 
unserer  Söhne  und  Brüder  zu  den  Waffen  rief, 
scheint  es  in  der  Tat  mächtig  unter  dem  Völkchen 
am  Nibelungenstrome  zu  gären.  Allein,  wenn  sich 
der  Most  auch  noch  so  absurd  gebärdet  — 

Brockhausen:  Vorbei  die  Zeiten,  wo  sie  sich 
Phäaken  nannten.  Der  sausende  Webstuhl  der  Zeit  — 

Friedjung:  Ei  sieh,  vermutlich  wollen  sie 
alle  in  jenen  Barbierladen,  es  ist  ein  Hoffriseur  und 
das  naive  Volksgemüt  denkt  wahrscheinlich  — 

Rufe  aus  der  Menge:  »Denhammertrischackt!« 
»Rrrtsch  —  obidraht!<  >>SerbischerHundvardächtiga!« 
»Jetzt'n  kann  er  die  Serben  mit  die  Scherben  rasiern!« 
»Den  Schwamm  bring  i  meiner  Alten!«  »Alle  Parfüms 
hab  i  g;'rettet!«  »Gib  her  a  paar!«  »Jessas,  der  scheene 
weiße  Mantel!«  »Geh,  leich  mr  a  Spritzflaschl!«  »Gott 
strafe  England!«  »Der  Kerl  is  uns  ausgrutscht!« 

Der  Geigenhändler:  Hab  ichs  euch  nicht 
g'sagt!  Das  ist  ein  Hochverräter  ist  das! 

Brockhausen:  Die  Menge  ist  erregt  und 
wähnt  mit  Recht,  wieder  einmal  den  Umtrieben 
serbischer  Hochverräter  auf  der  Spur  zu  sein. 

Fried  jung:  Es  ist  doch  merkwürdig,  welch 
feine  Witterung  das  Volk  gegenüber  einem  Anschlag 
auf  den  unversehrten  Besitzstand  der  im  Reichsrat 
vertretenen  Königreiche  und  Länder  hat.  Ich  müßte 
mich  sehr  täuschen,  wenn  sich  bei  diesem  Friseur 
nicht  die  Dokumente  über  jene  großserbische  Ver- 
schwörung des  Slovensky  Jug  vorfinden  sollten,  der 
ich  schon  im  Jahre  1908  auf  die  Spur  gekommen  bin. 

Brockhausen:  Etwas  bedenklich  bedünkt 
mich  nur  die  Form. 

Die  Menge:  Suchts  eahm!  Hauts  eahm! 
Nieda  mit  Serbieen! 

Friedjung:  Es  wäre  vielleicht  doch  angezeigt, 
Herr  Kollega,  diesem  offenbaren  Widerspruch  zu  der 
historisch    beglaubigten  Tatsache,   daß   die  Wiener 


57 


Bevölkerung  dem  schrillen  Johlen  eines  billigen 
Hurrapatriotismus  abgeneigt  ist,  angesichts  dieses 
mit  Reciit  eriegten  Geigenhändlers  in  weiterem 
Bogen  auszuweichen. 

Rufe  aus  der  Menge:    »Was    wolln    denn 

die  zwa  Juden  do?«  »>Die  schaun  aa  so  aus  wie  zwa 

vom  Balkan!«  »Fehlt  ihnen  nur  der  Kaftan!«  »Serben 

Sans!«  »Zwa  Serben!«  »Hochverräter!«  »Hauts  es!« 

(Die  beiden  Historiker  verschwinden  in  einem  Durchhause.) 

(Verwandlung ) 


7.  Szene 

Kohlmarkt.  Vor  der  Drehtür  s.m  Eingang  zum  Cafe  Pucher, 

Der  alte  Biacli  (sehr  erregt):  Das  einfachste 
war,  man  würde  werfen  fünf  Armeekorps  gegen 
Rußland,  wäre  die  Sache  schon  erledigt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Selbstredend.  Der 
Hieb  ist  die  beste  Parade.  Man  muß  sich  nur  die 
Deitschen  anschaun,  wie  sie  geleistet  haben.  Ein 
Elaan!  So  etwas  wie  der  Durchbruch  durch  Belgien 
war  noch  nicht  da!  So  etwas  braucheten  wir. 

Der  Kompagnon:  Sagen  Sie  was  is  also 
mit  Ihrem  Sohn? 

Der  kaiserliche  Rat:  Enthoben,  eine  Sorg 
weniger.  Aber  die  Situation  —  die  Situation  — 
glauben  Sie  mir,  es  steht  nicht  gut  oben.  So  etwas 
wie  der  Durchbruch  durcli  Belgien  —  ich  sag  Ihnen, 
einen  frischen  Offensivgeist  — 

Der  Kompagnon:  Verschaffen  Sie  uns 
Belgien  her  —  wern  mr  auch  durchbrechen. 

Der  Doktor:  Einen  Bismarck  brauchten  wir  — 

Der  alte  Biach:  Was  hilft  jetzt  die  Kunst 
der  Diplomaten,  jetzt  sprechen  die  Waffen!  Können 
wir  uns  einem  Escheck  aussetzen?  Wenn  wir  nicht 
jetzt  durchbrechen  — 

Der  Nörgler  (will  in  das  Lokal):  Pardon  — 


)8 


Der  Doktor:  Das  leuchtet  mir  ein.  Aber  das 
strategische  Moment,  das  im  Bewegungskrieg  den 
Flankenangriff  — 

Der  Kurzwarenhändler:  Also  verlassen  Sie 
sich  darauf,  sie  sind  umzingelt,  die  Soffi  Pollak  hat 
es  selber  gesagt. 

Der  alte  Biach:  Lassen  Sie  mich  aus,  sie 
weiß!  Woher,  möcht  ich  wissen! 

Der  .Kurzwarenhändler:  Woher?  Wo  ihr 
Mann  eingerückt  is  in  der  Gartenbau  im  Reserve- 
spital? 

Der  kaiserliche  Rat:  Es  hat  doch  geheißen, 
er  is  enthoben?  Umzingelt,  das  war  großartig,  das 
is  nämlich  müßts  ihr  wissen  dasselbe  wie  umklammert. 

Der  alte  Biach  (mit  Begierde):  Umklammern 
soUn  sie  sie,  daß  ihnen  der  Atem  ausgeht!  Wenn 
ich  nur  einmal  bei  so  einer  Umklammerung  dabei 
sein  könnt! 

Der  Kurzwarenhändler:  Klein  kann  das, 
der  is  im  Kriegspressequartier.  Gestern  hat  er 
geschrieben,  daß  sie  bis  zum  Weißbluten  kommen 
wern.  Früher  laßt  er  nicht  locker. 

Der  Kompagnon:  Glück  muß  man  haben, 
dabei  zu  sein.  Sie  Dokter  wie  is  das  eigentlich  mit 
diesem  Kriegspressequartier?  Kommt  da  nur  herein, 
wer  untauglich  is  oder  auch  wer  tauglich  is? 

Der  Nörgler:   Pardon  —  (Sie  machen  Platz.) 

Der  Kurzwarenhändler:  Was  heißt  tauglich? 
Hereinkommt,  wenn  einer  schreiben  kann,  aber  wenn  er 
nicht  schießen  will,  aber  wenn  er  will,  daß  die  andern 
schießen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wie  verstehe  ich  das? 
Wieso  will  er  nicht  schießen,  aus  Mitleid? 

Der  Kurzwarenhändler:  Nein,  aus  Vorsicht. 
Mitleid  darf  man  beim  Militär  nicht  haben  und 
wenn  er  im  Kriegspressequartier  is,  is  er  doch  so 
gut  wie  beim  Militär. 


59 


Der  alte  Biach:  Dieses  Kriegspressequartier 
muß  eine  großartige  Einrichtung  sein!  Man  kann 
alles  sehn.  Es  is  ganz  nah  bei  der  Front  und  die 
Front  is  bei  der  Schlacht,  also  wird  Klein  beinah 
in  der  Schlacht  sein,  er  kann  alles  sehn,  ohne  daß 
es  gefährlich  is. 

Der  Kompagnon:  Da  heißt  es  immer,  bei 
einem  modernen  Schlachtfeld  sieht  man  gar  nix. 
Also  sieht  man  im  Kriegspressequartier  sogar  noch 
mehr  wie  wenn  man  direkt  in  der  Schlacht  is. 

Der  Doktor:  Gewissermaßen  ja,  und  man 
kann  sogar  über  mehrere  Fronten  auf  einmal 
berichten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Von  Klein  war  ja  die 
packende  Schilderung  in  der  Presse,  daß  die  meisten 
Verwundungen  der  Unsern  an  den  Außenflächen 
der  Hände  und  Füße  vorkommen,  woraus  hervorgeht, 
daß  die  Russen    den  Flankenangriff  bevorzugen  — 

Der  Kurzwarenhändler:  No,  ein  Roda  Roda 
is  er  nicht!  Da  wird  noch  viel  Wasser  in  den  Dnjepr 
fließen,   bis  er   so  schreiben  wird  wie  Roda  Roda! 

Der  kaiserliche  Rat:  Was  mir  an  Roda  Roda 
gefällt  is  vor  allem,  daß  er  fesch  is.  Er  sagt,  er 
will  sich  morgen  an  der  Drina  die  Schlacht  ansehn 
und  er  sieht  sie  sich  an.  Fesch ! 

Der  alte  Biach:  Nutzt  nix,  man  spürt  eben 
den  ehemaligen  Offizier  —  den  Korsgeist!  Mein  Sohn 
is  zwar  enthoben,  intressiert  sich  aber  doch  sehr,  er 
will  sogar  den  Streffleer  abonnieren. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  kann  mir  nicht 
helfen  —  ich  bin  sehr  pessimistisch. 

Der  alte  Biach:  Was  heißt  pessimistisch? 
Was  wolln  Sie  haben,  noch  is  Lemberg  in  unserem 
Besitz ! 

Der  Kompagnon:  No  also! 

Der  Doktor:  Zu  Pessimistisch  ist  gar  kein 
Grund.  Schlimmstenfalls,  wenn  jetzt  die  Entscheidung 
fällt,  ist  es  eine  Partie  remis. 


60 


Der  Kurzwarenhändler:  Und  ich  sag  Ihnen, 
ich  weiß  sogar  von  einen  Herrn  vom  Ministerium, 
die  Sache  is  so  gut  wie  gemacht.  Wir  kommen  von 
rechts,  die  Deitschen  von  links  und  wir  zwicken  sie, 
daß  ihnen  der  Atem  ausgeht. 

Der  kaiserliche  Rat:  Schön  —  aber  Serbien? 

Der  alte  Biach  i rabiat):  Serbien?  Was  heißt 
Serbien?  Serbien  wern  wir  wegfegen! 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  weiß  nicht  —  ich 
kann  mir  nicht  helfen  —  der  heutige  Bericht  —  man 
muß  zwischen  den  Zeilen  lesen  können  und  wenn 
man  sich  die  Karte  hernimmt  —  ein  Blick  auf  die 
Karte  zeigt  —  sogar  der  einfache  Laie  —  ich  kann 
Ihnen  beweisen,  Serbien  — 

Der  alte  Biach  (gereizt):  Lassen  Sie  mich  aus 
mit  Serbien,  Serbien  is  ein  Nebenkriegsschauplatz. 
Ich  ärger  mich.  Gehn  mr  hinein,  neugierig  bin  ich, 
was  heut  die  Minister  sprechen  wern  —  ich  schlage 
vor,  meine  Herrn,  daß  wir  uns  direkt  am  Neben- 
tisch setzen.  (Sie  treten  ein.) 

(Verwandlung.) 

8.  Szene 

Eine  Straße  in  der  Vorstadt.  Man  sieht  den  Laden  einer  .Modistin, 

eine  Pathephonfirma,  das  Cafe  Westminster  und  eine  Filiale  der 

Putzerei   Söldner  &  Cliini.   Es  treten   auf  vier  junge  Burschen, 

deren  einer  eine  Leiter,  Papierstreifen  und  Klebestoff  trägt. 

Erster:  Hammr  schon  wieder  einen  erv/ischt! 
Was  steht  da?  Salon  Stern,  Modes  et  Robes.  Das 
überklebn  mr  als  a  ganzer! 

Zweiter:  No  aber  der  Name  könnt  doch 
bleiben  und  daß  mr  weiß,  was  es  für  ein  Gschäft  is. 
Gib  her,  das  mach  mr  a  so  (er  klebt  und  liest  vor) 
Salo  Stern  Mode.  So  ghört  sichs.  Das  is  deutsch. 
Gehmr  weiter. 

Erster:  Patephon,  da  schauts  her,  was  is 
denn  dös?  Ist  dös  franzesisch? 


61 


Zweiter:  Nein,  das  is  lateinisch,  das  darf 
bleiben,  aber  da  —  da  les  ich :  »Musikstücke 
deutsch,  französisch,  englisch,  italienisch,  russisch 
und  hebräisch*. 

Dritter:  Wos  tan  mr  do? 

Erster:  Das  muß  weg  als  a  ganzer! 

Zweiter:  Das  mach  mr  a  so  (er  klebt  und  liest  vor) 
»Musikstücke  deutsch  —  hebräisch«.  So  ghört  sichs. 

Dritter:  Ja,  aber  was  is  denn  dös?  Ah,  da 
schaurija!  Da  steht  ja  Cafe  Westminster,  mir  scheint 
das  is  gar  eine  englische  Bezeichnung! 

Erster:  Du,  das  laßt  sich  aber  nur  im  Ein- 
verständnis machen,  das  is  ein  Kaffeehaus,  der 
Kaffeesieder  könnt  eine  Persönlichkeit  sein,  wir 
hätten  am  End  Unannehmlichkeiten.  Rufmrn  außa, 
warts.  (Er  geht  hinein  und  kehrt  augenblicklich  mit  dem 
Cafetier  zurück,  der  sichtlich  sehr  bestürzt  ist.)  Sie  werden 
das  gewiß  einsehn  —  es  ist  ein  padriotisches  Opfer  — 

DerCafetier:  Das  is  fatal,  aber  wenn  die  Herrn 
von  der  freiwilligen  Kommission  sind  — 

Vierter:  Ja  schaun  S',  warum  haben  Sie  Ihr 
Lokal  überhaupt  so  tituliert,  das  war  unvorsichtig 
von  Ihnen. 

Der  Cafetier:  Aber  meine  Herrn,  wer  hat 
denn  das  ahnen  können,  jetzt  is  mirs  selber  peinlich. 
Wissen  S'  ich  hab  das  Lokal  so  tituliert,  weil  wir 
doch  hier  gleich  bei  der  Westbahn  sind,  wo  die 
englischen  Lords  in  der  Saison  anzukommen  pflegen, 
also  damit  sip  sich  gleich  wie  zuhaus  fühln  — 

Erster:  Ja  hörn  S',  war  denn  schon  einmal 
ein  englischer  Lord  in  Ihnern  Lokal? 

Der  Cafetier:  Und  ob!  Das  warn  Zeiten I 
Jessas! 

Erster:  Da  gratulier  ich.  Aber  schaun  S'  jetztn 
kann  eh  kaner  kummen! 

Der  Cafetier:  Gottseidank  —  Gott  sirafe 
England  —  aber  schaun  S',  der  Name  hat  sich  bereits 


62 


so  eingebürgert,  und  nach  dem  Krieg,  wenn  so 
Gott  will  wieder  die  englische  Kundschaft  kommt  — 
schaun  S',  da  sollten  S'  halt  doch  ein  Einsehn  haben. 

Erster:  Auf  so  etwas  kann  die  Volkesstimme 
nicht  Rücksicht  nehmen,  lieber  Herr,  und  Volkes- 
stimme, das  wird  Ihnen  doch  bekannt  sein  — 

Der  Cafetier:  Ja  natürlich,  wo  wird  denn 
unsereins  das  nicht  wissen,  wir  sind  doch  mehr 
oder  weniger  ein  Volkscafe  —  aber  —  ja  wie  soll 
ich  denn  nacher  das  Lokal  heißen? 

Zweiter:  Aber  machen  S'  Ihna  keine  Sorgen, 
wir  tun  Ihnen  net  weh  —  das  wer'  mr  gleich 
haben  —  und   zwar   schmerzlos.    (Er  kratzt  das  i  weg.) 

Der  Cafetier:  Ja  —  was  —  war  denn  — 
nacher  das? 

Zweiter:  So!  Und  jetzt  lassn  S'  vom  Maler 
ein  ü  hineinmal'n  — 

Der  Cafetier:  Ein  ü?  Cafe  Westmünster — ? 

Zweiter:  Ein  ü!  Das  is  ganz  dasselbe 
und  is  deutsch.  Taarloos!  Kein  Mensch  merkt  den 
Unterschied  und  ein  jeden  muß  doch  auffallen,  daß 
das  ganz  was  anderes  is,  na  was  sagen  S'? 

Der  Cafetier:  Ah,  großartig!  ah,  großartig! 
Sofort  laß  i  'n  Maler  kommen.  Ich  danke  Ihnen 
meine  Herrn  für  die  Nachsicht.  Das  bleibt  so,  solang 
der  Krieg  dauert.  Für'n  Krieg  tuts  es  ja.  Hernach 
möcht  ich  freilich  doch  —  denn  was  hernach  die 
Lords  sagn  möchten,  wann  s'  wiederkommen,  die 
möchten  schaun! 

(Zwei  Gäste  verlassen  soeben  das  Lokal  und  verabschieden  sich 
voneinander,  der  eine  sagt:  Adieu!  Der  andere:  Adiol) 

Erster:  Was  hab  i  g'hört?  Franzosen  und 
Italiener  verkehren  bei  Ihnen?  Der  eine  sagt  Adieu 
und  der  andere  sagt  gar  Adio?  Sie  scheinen 
überhaupt  eine  internationale  Kundschaft  zu  haben, 
da  is  manches  verdächtig  — 

Der  Cafetier:  No  hörn  S',  jetzt  wann  einer 
Adieu  sagt  — 


63 


Zweiter:  Aber  habn  S'  denn  net  ghört,  wie 
der  erste  Adio  gsagt  hat?  Das  ist  die  Sprache  des 
Erbfeinds! 

Dritter:  Des  heimtürkischen  Verräters! 

Vierter:  Des  Treubrüchigen  am  Po! 
Erster:  Jawohl,  der  Verräter  war  unser  Erbfeindl 
Zweiter:    Unser   Erbfeind,   der  was  uns   die 
Treue  gebrochen  hat! 
Dritter:  Am  Po! 
Vierter:  Am  Po!  Mirken  S'  Ihna  dasi 

(Der  Catctier  ist  schrittweise  in  das  Lokal  zurückgewichen.) 

Erster  (ihm  nachrufend) :  Sie  englischer  Katzel- 
macher  am  Po! 

Zweiter:  Da  hätt  mr  einmal  ein  Exempel 
schtatuiert  mit  die  Fremdwörter  !  Gehmr  weiter. 

Dritter:  Da  schauts  her,  heut  hammr  Glück: 
Söldner  &  Chini!  Das  is  schon  wieder  dieselbe 
Melange  wie  bei  dem  Kaffeesieder.  Söldner,  also  das 
is  doch  bekanntlich  ein  Engländer  —  und  Chini,  das 
is  ein  Italiener! 

Erster:  Gott  strafe  England  und  vernichte 
Italien  —  das  überkleb'n  mr  als  a  ganzer!  Chemische 
Putzerei?  Putz'n  weg!  Ich  hab  einen  Viechszurn  in 
mir  —  morgen  muß  der  Bezirk  von  alle  Fremdwörter 
gereinigt  sein,  wo  ich  noch  eins  drwisch,  dem  reiß 
ich   's  Beuschl   heraus!    (Der   zweite   überklebt   die  Tafel.) 

Dritter:  Es  is  am  besten,  wir  separiern 
uns  jetzt,  ihr  zwei  bleibts  auf  dem  Trottoir,  wir 
gehn  fisafis. 

Erster:  Das  is  fatal,  aber  ich  kann  heut  nicht 
mitgehn,  ich  bin  sehr  pressiert,  ich  hab  nämlich 
ein  Rendezvous  — 

Zweiter:  Das  is  ein  Malheur.  Ohne  dich 
riskiern  wir  am  End  einen  Konflikt.  Mich  geniert  das 
zwar  nicht,  aber  die  Leut  wern    impatinent  und  — 


64 


Vierter:  Mich  tuschiert  so  was  auch  nicht 
weiter  —  aber  wir  könnten  halt  doch  in  eine  Soß 
hineinkommen.  Mir  is  zwar  bisher  nichts  passiert  — 

Zweiter:  Ich  versteh,  das  is  odios,  und  ich 
bin  immer  sehr  dischkret  darin,  daß  ich  mit  die 
Leut  harmonisch  auseinanderkomm!  Aber  ihr  dürfts 
euch  eben  nicht  imponieren  lassn.  Jetzt  heißt's 
resolut  sein  und  die  patriotische  Aktion,  die  wir 
einmal  entriert  haben,  atupri  konsequent  durchführn. 

Dritter:  Ja  natürlich,  wenn  einer  aber,  wie 
die  Leut  schon  sind,  mit  dem  Argument  daherkommt, 
daß  man  ihm  seine  Existenz  ruiniert  —  er  fangt  zu 
lam.entieren  an  oder  wird  gar  rabiat,  dann  - 

Erster:  Aber  ich  bitt  dich  —  gar  net 
ignorieren!  Oder  stantape  replizieren:  Jetzt  sind 
höhere  Interessen!  Da  wird  er  schon  eine  Raison 
annehmen.  Die  Leut  sind  ja  intelligent.  Man 
dischkuriert  net  lang  —  wo  kommt  man  denn 
hin,  wenn  man  sich  mit  jedem  erst  auf  paar  Purlees 
einlassen  wollt  — 

Zweiter:  Wenn  er  sich  aber  zu  echauffieren 
anfangt  —  die  Leut  wern  gleich  ordinär  — 

Erster:  Da  heißt's  ihr  ihn  ein  subversives 
Element,  basta!  Also  —  Kurasch!  Morgen  referierts 
mir,  da  assistier  ich  euch  wieder  —  Herrgott  drei- 
viertel auf  fünf  is,  jetzt  muß  ich  momentan  ein 
Tempo  annehmen  —  sonst  komm  ich  akkurat  zu 
spät  —  also  amüsierts  euch  gut  —  Kompliment  — 
Adien  — ! 

Dritter:  Serwas! 

Vierter:  Servitore! 

Zweiter:  Orewar! 

Erster  (zurückkehrend):  Apropos,  im  Fall  einer 
protestiert,  legitimierts  euch  einfach  als  interimistische 
Volontäre  der  provisorischen  Zentralkommission  des 
Exekutivkomitees  der  Liga  zum  Generalboykott  für 
Fremdwörter.  Adio! 

(Verwandlung.) 


65 


9.  Szene 

In  einer  Volksschule. 

Der  Lehrer  Zeheibauer: Jetzt  aber 

sind  höhere  Ideale  über  uns  hereingebrochen,  so  daß 
der  Fremdenverkehr  ein  wenig  zurückgedrängt  ist  und 
erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht  kommt.  Trotzdem 
dürfen  wir  nicht  verzagen,  sondern  es  ist  unsere 
Pflicht,  nachdem  wir  jeglicher  ein  Scherflein  zum 
Vaterlande  beigetragen  haben,  auf  dem  einmal 
betretenen  Wege  unentwegt  und  unerschrocken  fort- 
zufahren. Die  zarten  Keime  des  Fremdenverkehres, 
die  wir  allenthalben  gepflanzt  und  die  dank  der 
Fürsorge  des  hochlöblichen  Landesschulrates  und 
des  löblichen  Bezirksschulrates  auch  in  eure  jungen 
Herzen  Eingang  gefunden  haben,  sollen  vom  ehernen 
Tritt  der  Bataillone,  so  unentbehrlich  derselbe  auch  in 
dieser  großen  Zeit  ist,  nicht  zertreten  werden,  sondern 
im  Gegenteil  gehegt  und  gepflegt  werden  für  und  für. 
Sicherlich  ist  es  notwendig,  daß  jeglicher  heute  seinen 
Mann  stelle,  so  auch  ihr  und  so  müsset  auch  ihr  euch 
betätigen,  indem  ihr  an  eure  Herren  Eltern  oder 
Vormünder  herantretet,  sie  mögen  euch  das  schöne 
Jugendspiel  »Wir  spielen  Weltkrieg«  als  Geburtstags- 
überraschung bescheren  oder  da  Weihnachten  vor 
der  Tür  steht,  den  »Russentod«.  Auch  sollet  ihr 
wissen,  daß  ihr  zur  Belohnung  für  Fleiß  und  gute 
Sitten,  natürlich  mit  Zustimmung  der  p.  t.  Herren 
Eltern  oder  Vormünder,  am  Sonntag  jeglicher  einen 
Nagel  in  den  Wehrmann  in  Eisen  einschlagen  dürfet 
und   so  durch  Benagelung  dieses  Wahrzeichens  — 

Die  Klasse:  Das  is  gscheit! 
(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 

Der  Lehrer:  Was  willst  du,  Gasselseder? 

Der  Knabe:  Bitt  Herr  Lehrer,  ich  hab  schon 
mit  dem  Vattern  einen  Nagel  einigschlagen,  derf 
ich  da  noch  einen  Nage!  einisclilagn? 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  5 


66 


Der  Lehrer:  Wenn  deine  Herren  Eltern  oder 
Vormünder  es  gestatten,  so  steht  deinem  patriotischen 
Wunsche  nach  einer  abermaligen  Benagelung  dieses 
Wahrzeichens  von  der  Schulleitung  aus  nichts  im  Wege. 

(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Was  willst  du,  Czeczowiczka? 

Zweiter  Knabe:  Bitt,  ich  muß  hinaus. 

Der  Lehrer:  Hinaus?  Du  bist  zu  jung,  warte, 
bis  du  in  ein  reiferes  Alter  kommst. 

Der  Knabe:  Bitt,  ich  muß. 

DerLehrer:  Diesen  Wunsch  kann  ich  jetzt  nicht 
erfüllen.  Schäme  dich.  Warum  verlangt  es  dich  hinaus? 

Der  Knabe:  Bitt,  ich  hab  Not. 

Der  Lehrer:  Warte,  bis  bessere  Zeiten  kommen. 
Du  würdest  deinen  Kameraden  mit  schlechtem  Beispiel 
vorangehen.  Das  Vaterland  ist  in  Not,  nimm  dir  ein 
Beispiel,  jetzt  heißt  es  durchhalten. 
(Zwei  Knaben  zeigen  auf.) 

Der  Lehrer:  Was  wollet  ihr,  Wunderer  Karl 
und  Wunderer  Rudolf? 

Beide:  Bitt,  wir  möchten  lieber  im  Stock  im 
Eisen  einischlagn. 

Der  Lehrer:  Setzen!  Schämet  euch.  Der 
Stock  im  Eisen  ist  ein  Wahrzeichen,  auf  dem  kein 
Nagel  mehr  Platz  hat.  Aber  der  Wehrmann  im  Eisen 
soll  mit  eurer  tatkräftigen  Hilfe  erst  ein  Wahrzeichen 
werden,  eine  Sehenswürdigkeit,  von  der  noch  eure 
Kinder  und  Kindeskinder  erzählen  werden. 

Der  Knabe  Kotzlik:  Bitt,  der  Merores  stößt 
immer! 

Merores:  Das  is  nicht  wahr,  er  hat  Jud  zu 
mir  gesagt,  ich  sags  dem  Papa,  der  wirds  ihm  schon 
geben,  er  gibt  es  hinein  ins  Tagblatt. 

Der  Lehrer:  Haltet  Burgfrieden,  Kotzlik  und 
Merores!  Wir  kommen  jetzt  zu  dem  Lesestück: 
Haßgesang  gegen  England.  Merores,  du  kannst  gleich 
stehen  bleiben,  beantworte  mir  die  Frage,  wie  der 
Dichter  heißt,  der  dies  Gedicht  gedichtet  hat. 


67 


Merores:  Ob  ich  weiß,  Frischauer. 

Der  Leiirer:  Falsch,  setz  dich. 

Ein  Knabe   (einsagend):  Lissauer. 

Der  Lehrer:  Praxmarer,  wenn  du  noch  einmal 
einsagst,    laß    ich    dich    den  Prinz  Eugen  von  Hof- 
mannsthal abschreiben.  Ich  habe  den  Faden  verloren. 
Einige  Knaben  eilen  zum  Katheder  und  bücken  sich. 

Der  Lehrer:  Was  suchet  ihr? 

Die  Knaben:  Den  Faden,  Herr  Lehrer,  der 
Herr  Lehrer  hat  gesagt,  der  Herr  Lehrer  haben  den 
Faden  verloren. 

Der  Lehrer:  Ihr  seid  töricht,  ich  meine  ja  das 
nicht  bildlich,  sondern  wörtlich. 

Ein  Knabe:  Derf  ich  vielleicht  meinen 
Leitfaden  — 

Der  Lehrer:  Wottawa,  auch  du  hast  mich  nicht 
verstanden.  Ich  sehe  schon,  daß  ihr  nicht  reif  seid. 
Ich  wollte  den  Haßgesang  prüfen,  aber  ich  will  euch 
das  heute  noch  erlassen.  Die  Ideale,  welche  die  große 
Zeit  euch  auferlegt,  werdet  ihr  bis  morgen  präpariert 
haben,  weil  ich  dann  keine  Nachsicht  mehr  üben 
kann.  Was  soll  sich  der  Herr  Bezirksschulinspektor 
denken,  wenn  er  in  die  Klasse  kommt  und  wenn 
das  so  weiter  geht.  Jetzt,  wo  ihr  für  die  zweite 
Kriegsanleihe  werben  sollt,  ist  es  umsomehr  eure 
Pflicht,  die  Erwartungen  nicht  zu  enttäuschen.  Also, 
daß  ihr  mir  morgen  den  Haßgesang  auswendig  wisset!  / 
Ich  kann  euch  immer  wieder  nur  einprägen:  Haltet 
durch,  traget  ein  Scherflein  bei,  werbet  für  die  Kriegs- 
anleihe, sammelt  Metalle,  suchet  euer  Gold  hervor,  das 
ungenützt  in  der  Truhe  liegt!  Für  heute  aber  will  ich 
noch  Nachsicht  üben  und  den  Fremdenverkehr  mit  euch 
durchnehmen.  Hebet  denselben!  Ich  habe  euch  früher 
erklärt,  warum  der  Fremdenverkehr  gerade  jetzt  nicht 
vernachlässiget  werden  darf.  Wiewohl  der  rauhe 
Kriegessturm  über  unsere  Lande  hinwegfegt,  indem 
unser  erhabener  Monarch  Tausende  und  Abertausende 
unserer  Söhne  und  Brüder  zu   den  Waffen   rief,   so 


5* 


68 


zeigen  sich  schon  jetzt  die  ersten  Ansätze  zu  einer 
Hebung  des  Fremdenverkehrs.  Darum  lasset  uns 
dieses  Ideal  nie  aus  dem  Auge  verlieren.  Wir  haben 
da  ein  schönes  Lesestück  »Ein  Goldstrom«.  Nicht 
.idoch.  Lasset  uns  vielmehr  heute  das  alte  Lied 
/anstimmen,  das  ihr  einst  in  Friedenszeit  gelernt  habt, 
kennet  ihr  es  noch? 

(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Der  Lehrer:  Nun,  Habetswallner? 
Der  Knabe:  Bitt  Herr  Lehrer,  ich  weiß  schon, 
bei  einem  Wirte  wundermild. 
Der  Lehrer:  Falsch! 

(Ein  Knabe  zeigt  auf ) 
Der  Lehrer:  Nun,  Braunshör? 
Der  Knabe:  Üb  immer  Treu  und  Redlichkeit. 
Der  Lehrer:  Nicht  doch!  Schäme  dich! 

(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Der  Lehrer:  Nun,  Fleischanderl? 
Der  Knabe :  Das  Wandern  ist  des  Müllers  Lust. 
Der  Lehrer:  Setz  dich! 

(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Der  Lehrer:  Nun,  Zitterer? 
Der  Knabe:  Hinaus  in  die  Ferne! 
Der  Lehrer:    Setz    dich!    Nicht  wir  können 
jetzt  in  die  Ferne,  die  draußen  sollen  zu  uns  kommen! 
(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Der  Lehrer:  Süßmandl,  weißt  du  es? 
Der  Knabe:  Bitt,  hinaus! 
Der   Lehrer:    Was   fällt    dir   bei,    ich    sagte 
doch,    das  gibt  es  jetzt  nicht,   weder  in   der  Klasse 
noch    wenn    ihr  ins  Leben   hinaustretet.   Nun  also, 
keiner  von  euch  will  das  Lied  kennen? 
(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Der  Lehrer:  Anderle,  du? 
Der  Knabe:  Was  frag  ich  viel  nach  Geld  undGut. 
Der  Lehrer:    Setz  dich   in   die  letzte  Bank. 
Wo    hast    du    denn    das    gelernt?    Schäme     dich, 


69 


Anderle!  Ich  sehe  schon,  ihr  habt  es  in  eiserner  Zeit 
vergessen.  Und  doch  ist  es  das  liebe  alte  Lied, 
nach  welchem  ihr  alle  einst  die  Vokale  gelernt  habt. 
Schämet  euch  doch.  Nun  so  will  ich  denn  die 
Fiedel  nehm.en  und  dann  werdet  ihr  gleich  von 
selbst  einstimmen. 

(Ein  Knabe  zeigt  auf.) 

Der  Lehrer:  Nun  Sukftili,  willst  du  die 
Klasse  beschämen? 

Der  Knabe  Sukfüll:  Pfleget  den  Fremden- 
verkehr! 

Der  Lehrer:  Brav,  Sukfüll,  du  beschämst 
die  ganze  Klasse.  Ich  werde  das  deinem  Vater  mit- 
teilen, auf  daß  auch  er  dich  belobe. 

(Er  nimmt  die  Geige,  die  Klasse  fällt  ein  und  singt.) 

A  a  a,  der  Fremde  der  ist  da. 

Die  stieren  Zeiten  sind  vergangen, 

Der  Fremdenverkehr  hat  angefangen, 

A  a  a,  der  Fremde  der  ist  da. 

E  e  e,  Euer  Gnaden  wissen  eh. 
Fesch  das  Zeugl,  fesch  die  iMadeln, 
Gstellt  vom  Kopf  bis  zu  die  Wadeln, 
E  e  e,  Euer  Gnaden  wissen  eh. 

I  i  i,  wir  würzen  wie  noch  nie. 

Seids  net  fad,  ruckts  aus  mit  die  Maxen, 

Reiß'n  ma  aus  der  Welt  a  Haxen, 

I  i  i,  wir  würzen  wie  noch  nie. 

O  0  0,  wie  sind  die  Wiener  froh. 
Mir  werns  euch  schon  einigeigen, 
Laßt"^  euch  das  Wiener  Blut  nur  zeigen, 
O  0  0,  wie  sind  die  Wiener  froh. 

U  u  u,  nun  hat  die  Seel'  a  Ruh. 
Wien  ist  und  bleibt  die  Stadt  der  Lieder, 
Bitte  beehren  uns  bald  wieder, 
U  u  u,  nun  hat  die  Seel'  a  Ruh. 

(Verwandlung.) 


70 


10.  Szene 

Im  Cafe  Pucher.  Die  Minister  sind  versammelt. 

Eduard  (zu  Franz):  Es  fehlt  noch  die  Muskete, 
der  Floh  und  das  Intressante  — 

(Fünf  Eintretende  nehmen  am  Nebentisch  Platz.    Der  Minister- 
präsident wendet  sich  an  den  Minister  des  Innern.) 

Der  alte  Biach:  So  wahr  ich  da  leb,  er  hat 
etwas  von  einer  Bombe  gesagt  — 

Eduard  (bringt  illustrierte  Blätter):  Bitt  SChÖn 
Exlenz  is  die  Bombe  schon  frei? 

Der  alte  Biach:  Ah  so  — 

Die  andern  (durcheinander):  Was  hat  er  gesagt? 

Der  alte  Biach:  Nix  —  ich  hab  mich  geirrt. 

Der  kaiserliche  Rat  (zu  seinem  Nachbar) : 
Intressant  steht  heut  im  Tagblalt  — 

(Der  Kellner  Franz  ist  an  den  Tisch  getreten.  Nacheinander  die 
Rufe:  ».Mir  einen  Doppelschlag!«  »Mir  mit  Haut  und  mehr  licht!« 
»Obers^spritzt  und  das  6  Uhr-Blatt!«   »Einen  Capo  passiert!«) 

Der  kaiserliche  Rat:  Und  mir  eine  Melange, 
oder  nein,  wissen  Sie  was,  bringen  Sie  mir  zui 
Abwechslung  eine  Nuß  Gold  und  die  Presse! 

Der  alte  Biach  (die  Neue  Freie  Presse  zur  Hand 
nehmend):  Großartig! 

Alle:  Was  denn? 

Der  alte  Biach:  Sehn  Sie,  das  imponiert  mir, 
jetzt  feiert  er  schon  seit  vierzehn  Tagen  das  fufzig- 
jährige  Jubiläum,  immer  an  erster  Stelle,  dann 
kommt  die  Schlacht  bei  Lemberg  mit  den  Eindrücken. 
Da  sieht  man  doch  wenigstens,  es  gibt  auch  noch 
freudige  Ereignisse  in  Österreich!  Und  schließlich  is 
es  ja  ein  Ereignis  wie  es  noch  nicht  da  war.  Das 
Bollwerk  deutsch-freiheitlicher  Gesinnung,  Gesittung 
und  Bildung,  Kleinigkeit,  was  da  für  Namen  gratu- 
lieren —  schauts  euch  bitt  euch  nur  an  —  sss  — 
warts  —  drei,  vier,  nein,  fünf  volle  Seiten.  Alles 
wetteifert  ihr  zu  gratulieren,  die  höchsten  Spitzen 
genieren  sach  nicht. 


71 


Der  kaiserliche  Rat:  Heut  habe  ich 
geschrieben  —  passen  Sie  auf,  morgen  wird  es  stehn  I 

Der  alteBiach  (erregt):  Wenn  Sie  geschrieben 
haben,  wer'  ich  auch  schreiben.  Keine  kleine  Ehre, 
in  solcher  Umgebung  — 

Der  Doktor:  Komisch  ist  nur,  fällt  mir  auf  — 
überall,  bei  den  Tausenden  und  Abertausenden  von 
Gratulationen,  überall  druckt  er  die  Adresse  mit: 
Sr.  Hochwohlgeboren  Herrn  Moriz  Benedikt,  Heraus- 
geber der  Neuen  Freien  Presse,  Wien,  I.  Fichiegasse  1 1. 
Ich  kann  mir  nicht  helfen  —  das  is  etwas  eitel! 
Das  Hochwohlgeboren  könnt  er  sich  schenken,  und 
die  Adresse  genügt  schließlich  auch  zwanzigmal. 

Der  Kompagnon:  Sagen  Sie  das  nicht. 
Das  kann  man  nicht  oft  genug  hören. 

Der  kaiserliche  Rat:  (fast gleichzeitig):  Das  seh 
ich  nicht  ein,  er  will  gar  nichts  ändern,  so  haben 
sie  geschrieben,  so  soll  es  stehn,  recht  hat  er! 

Der  alte  Biach:  Was  hat  er  gesagt?  Was 
hat  er  gesagt? 

Der  Kompagnon  (begütigend) :  Aber  —  nix  — 
Noch  is  Lemberg  in  unserem  Besitz. 

Der  Kurzwarenhändler:  Vor  allem  sieht 
man  doch,  daß  alle  Zuschriften  echt  sind,  schaun 
Sie  her,  Kleinigkeit,  Montecuccoli  und  lauter 
Exellenzen  —  sss  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Was  heißt  Montecuccoli 
und  Exellenzen?  Und  Berchlold  is  e  Hund?  Gestern 
eigenhändig  gratuliert! 

Der  alte  Biach:  Was  heißt  Berchlold? 
Weiskirchner!  Da  haben  Sie's  vor  Ihren  Augen,  was 
sagt  man!  Würde  man  das  für  meglich  halten? 
Weiskirchner,  der  greßte  Antisemit!  Er  gratuliert 
ihm  »aufrichtigen  Sinnes«.  Was  steht  da?  Wirklich 
schön,  wer  schreibt  das,  »die  Neue  Freie  Presse  ist 
das  Gebetbuch  aller  Gebildeten«. 


72 


Der  Kompagnon:  Das  is  aber  ja  wahr. 
Was  steht  da?  Intressant,  die  Firma  Dukes  freut 
sich  mit  ihr  in  angenehmster  Verbindung  zu  stehn. 
Die  größte  Annoncenfirma  von  Wien,  bitte! 

Der  Doktor:  Schaun  Sie  her!  Sogar  Harden, 
bekanntlich  der  glänzendste  Stilist  —  was  schreibt 
er,  er  nennt  ihn,  glänzend,  hören  Sie,  wie  er 
ihn  nennt,  »Generalstabschef  des  Geistes«! 

Der  Kurzwarenhändler:  Betamt,  aber  nicht 
originell.  Das  is  schon  in  ein  paar  Dutzend  Zuschriften 
gestanden,  es  liegt  auch  wirklich  nah,  das  zu  sagen. 

Der  alte  Biach:  Selbstredend,  gerade  jetzt, 
wo  dahinter  gleich  von  Lemberg  die  Rede  is!  Großartig 
waren  auch  die  Ansprachen  beim  Bankett  — 

Der  Kompagnon:  Das  war  doch  nicht  beim 
Bankett,  das  Bankett  war  doch  abgesagt  wegen  dem 
Weltkrieg. 

Der  kaiserliche  Rat:   Aus  Bescheidenheit. 

Der  Kurzwaren  händler:  Übertriebene 
Rücksicht. 

Der  alte  Biach:  Nuna!  Also  es  war  kein 
Essen,  aber  doch  kolossal  feierlich.  Wenn  kein  Krieg 
war,  hätten  Sie  sehn  sollen,  was  sich  getan  hätt.  Aber 
sie  haben  sich's  nicht  nehmen  lassen.  Sehr  schön 
war,  wie  sie  ihn  alle  gefeiert  haben,  der  Vorstand 
der  Buchhaltung  und  sogar  die  erste  Austrägerin. 
Das  hat  so  etwas  Familiäres,  so  ein  Fest  der 
Presse.  Die  Reden  hab  ich  mir  sagen  lassen  wern 
gleich  mitstenographiert. 

Der  kaiserliche  Rat:  Aber  der  Stenograph 
gratuliert  doch  auch? 

Der  alte  Biach:  Ja,  aber  währenddem  steno- 
graphiert er. 

Der  Kompagnon:  Sehn  Sie  sich  nur  bittsie 
die  Liste  an,  endlos  — 

Der  Doktor:  Ja,  das  ist  traurig. 

Der  Kompagnon:  Wieso  traurig? 


73 


Der  Doktor:  Ach  so,  ich  hab  auf  die 
Verlustliste  geschaut  unten,  ein  Zufall,  daß  das 
gleich  nach  den  Gratulanten  kommt. 

Der  alte  Biach:  Nebbich  —  was  soll  man 
machen,  ja,  ja,  das  ist  und  bleibt  ein  Ereignis, 
von  dem  noch  die  Kindeskinder  reden  wem. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  is  wahr,  alle  Tag 
wird  ein  Blatt  nicht  fufzig  Jahr. 

Der  alte  Biach:  Das  geben  Sie  gut,  ich  hab 
gemeint  —  Lemberg. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wer  redt  von  Lemberg? 

Der  Doktor  (sich  vorsichtig  umblickend):  Leider 
kann  man  nicht  leugnen,  daß  es  gerade  keine  Ehre 
für  uns  ist. 

Der  alte  Biach:  Erlauben  Sie  —  keine  Ehre? 
Traun  Sie  sich  nur,  so  etwas  laut  zu  sagen! 

Der  Doktor  (leise):  No,  ich  mein',  mit  Lemberg — 

Der  alte  Biach:  Wer  redt  von  Lemberg? 
Und  wenn  man  schon  wegen  dem  kleinmütig  wird 
und  verzagt,  so  richtet  man  sich  auf  an  dem,  was 
vorn  steht  —  am  Jubiläum ! 

Der  kaiserliche  Rat:  Wissen  Sie  was  mir 
am  meisten  imponiert?  Mir  imponiert  nicht  was 
vorn  steht,  mir  imponiert  nicht  was  in  der  Mitte  steht, 
mir  imponiert  was  hinten  steht!  Erinnern  Sie  sich,  am 
Jubiläumstag  die  hundert  Seiten  Bankannoncen,  ganz- 
seitig? Alle  ham  sie  blechen  müssen,  mitten  im  Mora- 
torium, bis  sie  schwarz  geworn  sind!  Ja,  die  Presse 
ist  eine  Macht,  an  der  sich  nicht  rütteln  läßt  —  wenn  aber 
sie  rüttelt,  dann  fallen  die  Zwetschken  von  den  Bäumen. 

Der  alte  Biach:  Was  wollen  Sie  haben,  der 
Mann  hat  eine  Gewure  wie  heut  kein  zweiter  in 
Österreich.  Er  hat  Phantasie  und  Gemüt  und  Geist 
und  Gesinnung  und  is  ein  großer  Nemmer  vor 
dem  Herrn. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wissen  Sie,  Herr  Biach, 
an  wem  mich  erinnert  in  der  Sprache,  was  Sie  da 
jetzt  gesagt  haben? 


74 


Der  alte  Biach:  An  wem  es  erinnert?  An 
wem  soll  es  erinnern? 

Der  kaiserliche  Rat:  An  ihm  selbst  mit  die 
vielen  >und«! 

Der  alte  Biach:  No  und?  Ist  das  ein  Wunder? 
Man  steht  unwillkürlich  unter  dem  Bann!  Ham  Sie 
neilich  gelesen  im  Abendblatt  Laienfragen  und  Laien- 
antworten?  Gediegen,  was?  Besonders  im  Abendblatt 
is  er  ganz  er  selbst.  Da  wiederholt  er  alles  von 
neuem.  Wie  es  geheißen  hat,  noch  is  Lemberg  in 
unserem  Besitze,  hat  er  gesagt,  hier  fällt  uns  vor 
allem  das  Wörtchen  noch  auf  und  das  Auge  bohrt 
sich  herein  und  man  kann  sich  vorstellen.  Da  gibt 
er  immer  alles  und  mit  noch!  »Gestern  wurde 
gemeldet  —  heute  wird  gemeldet«,  das  bringt  man 
nicht  mehr  aus  dem  Kopf.  Er  redet  wie  unsereins, 
nur  noch  deutlicher.  Man  weiß  nicht,  redt  er  wie 
v/ir  oder  reden  wir  wie  er. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  der  Leitartikel 
is  e  Hund?  Schon  der  erste  Satz  —  wer  macht 
ihm  das  nach?  Die  Familie  Brodsky  ist  eine  der 
reichsten  in  Kiew.  Fertig.  Mitten  drin  is  man.  Dann 
springt  er  herum,  redt  von  Talleyrand,  was  er  gesagt 
hat  beim  Essen,  und  schon  is  man  mitten  drin  im 
ungrischen  Ausgleich. 

Der  alte  Biach:  Mir  imponiert  am  meisten, 
wenn  er  sagt,  man  kann  sich  vorstellen.  Oder  wenn 
er  mit  der  Einbildungskraft  kommt,  das  bringt  er 
packend,  und  da  stellt  man  sich  gleich  alles  vor, 
wie  wenn  er  war  mitten  drin  im  Pulverdampf  gottbehüt 
und  wir  alle  mit  ihm.  Den  größten  Wert  legt  er 
aber  scheint  es  auf  die  Stimmungen  und  auf  die 
Eindrücke  von  die  Details  und  packend  is  wenn  er 
erzählt,  wie  sie  die  Leidenschaften  aufgewiegelt 
haben.  Ich  für  meinen  Geschmack  muß  aber  sagen, 
ich  les  am  liebsten,  wenn  er  sich  vorstellt,  wie  sie 
sich  schon  unruhig  wälzen  bei  Nacht,  speziell 
Poincar^  und  Grey  und  sogar  der   Czar,   wenn   sie 


75 


von  der  Sorge  benagt  sind,  weil  es  schon  rieselt  im 
Gemäuer.  Und  vielleicht  ist  in  diesem  Augenblick 
schon,  und  vielleicht  haben  sie  schon  und  vielleicht 
und  vielleicht,  das  is  hochdramatisch!  Ich  hab  mir 
sagen  lassen,  er  diktiert,  wenn  er  schreibt.  Man  kann 
sich  vorstellen,  wenn  er  so  einen  Leitartikel  diktiert. 
Ich  sag  Ihnen,  die  Einbildungskraft  schwelgt  in  der 
Vorstellung,  daß  wenn  er  diktiert,  die  Kandelaber  in 
der  Redaktion  zittern ! 

Der  Doktor:  Zufällig  weiß  ich  aber,  weil  ich 
einmal  persönlich  eine  Beschwerde  hinaufgetragen 
habe,  über  den  Mistbauer  und  die  Fliege  — 

Der  alte  Biach:  Was  wissen  Sie? 

DerDoktor:  Daß  sie  dort  gar  keine  Kandelaber 
haben! 

Der  alte  Biach  (erregt):  Was  denn  ham  sie? 
Lassen  Sie  mich  aus,  Dokter,  Sie  sind  ein  bekannter 
Miesmacher  —  so  ham  sie  Stehlampen!  Tut  nix  — 
die  Kandelaber  zittern  doch!  Unsereins  hat  eben  noch 
Illusionen.  Marqueur,  bringen  Sie  die  Blochische 
Wochenschrift  und  Danzers  Armeezeitung! 

Der  Kompagnon:  Moment!  Jetzt  —  wenn 
man  jetzt  so  hören  könnte,  was  die  Minister  reden!  — 
(Alle  lauschen.  Der  alte  Biach  rückt  dicht  an  den  Ministertisch  vor.) 

DerMinisterpräsident:  Der  Pschütt  is  heut 
wieder  in  einem  Zustand,  recht  ärgerlich  is  das  — 
anstatt  daß  die  Marquör  die  Illustrierten  einsperrn, 
tun  sie's  aufhängen  —  die  möchten  sich  wirklich 
schon  alle  Freiheiten  nehmen.  Nachher  krieg 
ich  so  ein  Blatt  in  einer  Verfassung  —  aufheben 
wer'  ich  mir's  nächstens  lassen,  das  is  das  einfachste. 

Der  alte  Biach  (in  größter  Erregung):  Wißts 
ihr,  was  ich  jetzt  gehört  hab?  Gotteswillen,  ich  hab 
ganz  deutlich  die  Worte  gehört:  Standrecht,  ein- 
sperrn, aufhängen  — 

Der  Kompagnon:  Sss  .  .  .! 

Der  alte  Biach:  Alle  Freiheiten  nehmen, 
Verfassung  aufheben! 


76 


Der  kaiserliche  Rat:    Also,   da  ham  mas! 

Der  Doktor:  Wissen  Sie,  daß  das  eine 
politische  Sensation  katexochen  ist  und  man  kann 
wirklich  sagen,  aus  erster  Quelle! 

Der  alte  Biach  (stolz):  Also  was  sagen  Sie 
zu  mir! 

Der  Kurzwarenhändler:  Es  ist  Ihre  Pflicht, 
es  noch  heute  der  Presse  zu  stecken! 

Der  alte  Biach:  Ja,  die  Zeiten  sind  ernst  — 

Der  kaiserliche  Rat:  —  und  wer  kann 
wissen  was  der  kommende  Tag  bringt  — 

Der  Kurzwarenhändler:  — und  der  Staat 
hat  die  Verpflichtung,  die  Leidenschaften,  wenn  sie 
einmal  aufgewiegelt  sind,  wieder  einzudämmen    — 

Der  Kompagnon:  —  und  die  Stimmungen 
sind  wichtig  — 

Der  Doktor:  —  und  die  Sorge  wächst  — 

Der  alte  Biach:  —  und  es  is  schon  zehn  Uhr 
und  meine  Rosa  sitzt  zuhaus  und  sie  hat  nicht  gern 
wenn  ich  spät  komm  und  ich  bin  deshalb  dafür 
wir  zahlen  und  gehn. 

(Der  Zahlkellner  kommt,  sie  gehn  ab,  indem  sie  sich  alle  noch 
einmal  mit  scheuer  Neugierde  nach  dem  Ministertisch  umblicken.) 

Der  alte  Biach  (im  Abgehen) :  Wir  haben  einen 
historischen  Moment  erlebt.    Den  ernsten  Gesichts- 
ausdruck vom  Gesicht  vom   Grafen  Stürgkh    werde 
ich  mein  Lebtag  nicht  vergessen! 
(Verwandlung.) 

11.  Szene 

(Es  treffen  sich  zwei,  die  sichs  gerichtet  haben.) 

Der  erste:  Servus,  du  noch  in  Wien?  Du  bist 
doch  behalten  worn? 

Der  zweite:  Ich  bin  hinaufgegangen  und  hab 
mirs  gerichtet.  Ja,  aber  was  machst  denn  du  noch  in 
Wien?  Du  bist  doch  behalten  worn? 


77 


Der  erste:  Ich  bin  hinaufgegangen  und  hab 
mirs  gerichtet. 

Der  zweite:  Natürlich. 

Der  erste:  Natürlicli. 

Der  zweite:  Weißt  nicht,  was  aus  dem 
Edi  Wagner  gworn  is,  hat  der  sichs  vielleicht 
gerichtet?  Er  is  im  Oktober  zur  Konschtatierung, 
dann  hats  gheißen,  sein  Alter  kauft  ihm  einen  Daimler, 
weil  sein  Major,  der  Tschibulka  von  Welschwehr 
versprochen  hat,  er  kommt  zum  Autlkorps,  dann  hats 
gheißen,  entweder  er  kommt  nach  Klosterneuburg 
zum  Kaader  oder  in  eine  Munitionsfabrik,  natürlich 
in  die  Kanzlei,  dann  hams  wieder  gsagt,  er  soll 
für  unentbehrlich  erklärt  wem  im  Gschäft  und  der 
Onkel  von  ihm,  weißt  der  fürs  Reservespital  in  der 
Fillgradergassen  die  Würzen  is,  den  hab  ich  damals 
troffen,  der  hat  gsagt,  wenn  alle  Stricke  reißen,  bringt 
er  ihn  beim  Roten  Kreuz  unter,  kein  Mensch  hat  sich 
auskennt,  kurzum,  möcht  mich  wirklich  intressiern, 
wo's  den   armen  Teufel   am  End  hingschupft  ham. 

Der  erste:  Das  kann  ich  dir  sagen.  Der  Alte 
hat  sich  also,  ein  Schmutzian  wie  er  is,  das  überlegt 
mit  dem  Daimler,  er  hat  ihn  lieber  bei  die  dänischen 
Papierdecken  untergebracht,  das  hat  ihm  aber  gstiert, 
da  hat  er  gsagt,  lieber  m.acht  er  Dienst  und  is  nach 
Blumau  kommen,  dort  war's  ihm  aber  z'fad,  und 
jetzt  sitzt  er  Nacht  für  Nacht  im  Chapeau,  abwech- 
selnd in  Uniform  und  in  Zivil,  wie  der  Bursch  das 
macht  is  mir  ein  Schleier,  ich  kann  mir  nur  rein 
denken,  wie  alle  Protektion  nix  gnutzt  hat,  is  er 
hinaufgegangen  und  hat  sichs  gerichtet.  Es  könnt 
aber  auch  sein,  daß  er  wirklich  enthoben  is  oder 
hat  er  gar  am  End  doch  einen  C-Befund  kriegt.  Du 
servus  ich  hab  ein  Rendezvous  mit  einer  Persönlichkeit, 
ich  krieg  vielleicht  eine  Lieferung,  und  das  was  für 
eine,  da  muß  man  schon  tulli  sagen  — 

Der  zweite:  Du  hast  immer  die  Sau.  Hast 
ghört,  der  Seifert  Pepi  is  gfallen,  weißt  bei  Rawaruska, 


78 


servus  ich  muß  zu  einer  Sitzung  ins  Kriegsiürsorgeamt, 
morgen  hams  den  Tee  und  ich  hab  versprochen, 
daß  ich  die  Fritzi-Spritzi  hinbring,  der  Sascha  Kolowrat 
kommt  hin,  geh  sei  fesch  und  komm  auch  hin, 
bring  dein  Schlamperl  mit,  servus! 

Der  erste:  Lieber  Freund,  ich  hab  jetzt  andere 
Dinge,  wenn  mir  das  gelingt,  ruf  ich  dich  an, 
servus  —  du  apropos  —  was  ich  dir  erzählen  wollte  — 

(Ein  Abonnent  und  ein  Patriot  treten  auf.) 

Der  Patriot:  Gesunde  junge  Leut,  ham  Sie 
gesehn?  Ein  Korps  könnt  ich  zusammenstellen  auf 
der  Ringstraße! 

Der  Abonnent:  Da  kann  man  wirklich  empört 
sein.  Pfui,  Drückeberger  in  Frankreich! 

Der  erste  (dreht  sich  um):  Meinen  Sie  vielleicht 
mich? 

Der  Abonnent:  Sie?  Ich  kenn  Sie  gar  nicht, 
lassen  Sie  mich  in  Ruh  — 

Der  zweite:  Das  möchten  wir  uns  auch  aus- 
gebeten haben  —  Sie  können  gar  nicht  wissen  — 

Der  Patriot:  Aber  bitte,  bitte  meine  Herrn, 
der  Herr  hat  von  Drückeberger  in  Frankreich 
gesprochen,  also  brauchen  Sie  gar  nicht  so  aufgeregt 
sein,  Sie  sind  ja  nicht  aus  Frankreich. 

Der  erste:  A  so,  also  pardon,  also  wenn  sich 
das  nicht  auf  Österreich  bezieht,  so  hab  ich  mich 
geirrt,  djehre!  (Beide  ab.) 

Der  Abonnent:   Sehn  Sie,   frech  wem  auch 

noch!   Der  hat  das  mit  Drückeberger  in  Frankreich 

faktisch  auf  sich  bezogen. 

I  Der  Patriot:  Wahrscheinlich  ein  Franzos,  der 

I  sich    gedruckt   hat   und   hier   sein   Unwesen   treibt, 

!  kann  man  wissen,  Sie,  ich  laß  mich  hängen,  wenn 

das  nicht  ein  Deserteur  is  oder  gar  ein  Spion! 

Der  Abonnent:  Ich  hab  auch  stark  den 
Eindruck. 


79 


Der  Patriot:  Überhaupt,  wie  es  in  den  feind- 
lichen Staaten  zugeht! 

Der  Abonnent:  Wem  sagen  Sie  das!  Sind 
nicht  zum  Beispiel,  um  gleich  bei  Frankreich  zu 
bleiben,  dort  jetzt  Nachmusterungen  ausgeschrieben, 
man  soll  sich  nur  vorstellen,  Nachmusterungen! 

Der  Patriot:  Aber  nicht  genug,  daß  dort 
Nachmusterungen  stattfinden  —  die  sie  nehmen, 
müssen  auch  an  die  Front!  Ich  hab  gelesen  von 
»Einstellung  der   Nachgemusterten   in  Frankreich«! 

Der  Abonnent:  Und  was  sagen  Sie  zu  den 
Mißständen  in  der  französischen  Heeresintendantur? 

Der  Patriot:  Verträge  für  Kriegslieferungen  sind 
zu  haarsträubenden   Preisen   abgeschlossen  worden. 

Der  Abonnent:  Bei  den  Konserven-  und 
Munitionslieferungen  sollen  bedenkliche  Preisunter- 
schiede festgestellt  worden  sein. 

Der  Patriot:  Wucherpreise  sind  gezahlt  worden 
für  Tuch,  Leinwand  und  für  Mehl. 

Der  Abonnent:  Von  gewissen  Zwischen- 
händlern sind  bei  den  Abschlüssen  der  Verkäufe 
große  Verdienste  erzielt  worden!  Mit  Zwischenhändlern 
arbeiten  sie! 

Der  Patriot:  Wo? 

Der  Abonnent:  No  in  Frankreich! 

Der  Patriot:  Schkandal! 

Der  Abonnent:  Und  in  offener  Parlaments- 
sitzung wird  so  etwas  vorgebracht! 

Der  Patriot:  Also  ob  das  bei  uns  möglich 
wäre!  Zum  Glück  haben  wir  — 

Der  Abonnent:  Kein  Parlament,  meinen  Sie  — 

Der  Patriot:  Ein  reines  Gewissen,  wollte 
ich  sagen. 

Der  Abonnent:  Millerand  hat  selbst  alles 
eingestanden,  es  sei  unmöglich,  hat  er  gesagt,  Fehler 
zu  vermeiden,  aber  es  werde  unnachsichtlich  vor- 
gegangen. 

Der  Patriot:  Ich  merk  nix  davon! 


80 


Der  Abonnent:  No  und  Rußland?  Sehr 
bezeichnend  ist,  daß  sie  dort  schon  die  Duma  ein- 
berufen müssen  und  die  Regierung  muß  sich  eine 
offene  Sprache  gefallen  lassen. 

Der  Patriot:  Bei  uns  war  so  etwas  ausge- 
schlossen, wir  haben  zum  Glück  — 

Der  Abonnent:  Ein  reines  Gewissen, 
weiß  schon. 

D  e  r  P  a  t  r  i  0 1 :  Kein  Parlament,  wollte  ich  sagen. 

Der  Abonnent:  No  und  was  sagen  Sie 
zur  Ernte? 

Der  Patriot:  Ich  sag  nur:  Schlechte  Ernte 
in  Italien.  Mißernte  in  England.  Ungünstige  Ernte- 
aussichten in  Rußland.  Besorgnisse  wegen  der  Ernte 
in  Frankreich.    Und  was  sagen  Sie  zum  Kurs,    he? 

Der  Abonnent:  Was  soll  ich  sagen?  Der 
Preisfall  des  Rubels  spricht  eine  deutliche  Sprache. 

Der  Patriot:  Gott  wenn  man  damit  zum 
Beispiel  unsere  Krone  vergleicht  — 

Der  Abonnent:  Miserabel  stehn  auch  Lire, 
um  30  Perzent  gesunken! 

Der  Patriot:  Die  Krone  zum  Glück  nur  um 
das  Doppelte. 

Der  Abonnent:  Apropos  Italien,  haben  Sie 
heut  drüber  gelesen,  wie  es  schon  drunten 
drunter  und  drüber  geht?  Der  Messagero  beklagt 
sich  über  die  ungenügende  Kehrichtabfuhr  in  Rom, 
was  ein  sehr  charakteristisches  Licht  auf  die  dortigen 
Zustände  wirft. 

Der  Patriot:  Wenn  man  damit  unsere  Wiener 
Straßen  vergleicht!  Als  ob  die  im  Krieg  schmutziger 
wären  v/ie  im  Frieden!  Hat  man  je  in  einer  von 
unsere  Zeitungen  ein  Wort  lesen  können,  daß  in 
diesem  Punkt  vielleicht  etwas  nicht  in  Ordnung  wäre? 
No  ja,  höchstens  hin  und  wieder  steht  in  der  Presse  — 
also  etwas  vom  »Mistbauer  und  die  Fliege«  —  das 
is  aber  auch  intressant! 


I 


81 


Der  Abonnent:  Und  das  sind  Übelstände,  die 
schon  zum  Teil  beseitigi  sind.  Haben  Sie  nicht  gelesen : 
»Teilweise  Auflassung   des    Mistbauers«?    No  also! 

Der  Patriot:   Was   sagen  Sie   zu   England? 

Der  Abonnent:  Ich  sag,  in  England  sind 
die  Karioffelpreise   kolossal  in  die  Höhe  gegangen. 

Der  Patriot:  Ja  und  es  stellt  sich  sogar 
heraus,  daß  sie  dort  jetzt  noch  niedriger  sind  wie 
bei  uns  im  Frieden.  Also  da  kann  man  sich  vorstellen! 

Der  Abonnent:  No  und  die  Behandlung 
unserer  Zivilinternierten?  Haben  Sie  gelesen,  wie 
die  schmachten  müssen?  Sie  wissen  doch,  wie  gut 
es  bei  uns  den   russischen  Kriegsgefangenen  geht. 

Der  Patriot:  Dafür  nehmen  sie  sich  natürlich 
die  größten  Frechheiten  heraus.  Da  hab  ich  mir 
erzählen  lassen,  in  Tirol  auf  dem  Brenner  läßt  man 
sie  Schützengräben  bauen,  damit  sie  eine  Beschäftigung 
haben.  Was  glauben  Sie  tun  sie?  Weigern  tun  sie 
sich!  No,  macht  man  selbstredend  kurzen  Prozeß. 
Aus  Innsbruck  wird  ein  Detachement  geholt,  noch 
einmal  wem  sie  gefragt,  ob  sie  die  Schützengräben 
bauen  wollen.  Nein!  heißt  es.  Legt  man  an. 
Nu  na  nicht,  genieren  wird  man  sich,  was  heißt 
Völkerrecht,  Krieg  is  Krieg.  Aber  gute  Potsch 
wie  sie  schon  sind  bei  uns,  hat  man  noch  Geduld 
gehabt  und  fragt  sie  noch  einmal,  die  Rebellen. 
Nein  heißt  es!  Zielt  man.  Da  natürlich  —  hätten  Sie 
sehn  sollen,  melden  sich  auf  einmal  alle,  ja,  sie 
wolln  Schützengräben  baun.  Ein  Geriß  war  auf 
amol  um  die  Schützengräben,  sag  ich  Ihnen.  Das 
heißt,  alle  bis  auf  vier.  No  die  wem  natürlich 
erschossen,  selbstredend.  Unter  ihnen  war  ein 
Fähnrich  —  hörn  Sie  nur  zu  — 

Der  Abonnent:  Ich  hör. 

Der  Patriot:  Wahrscheinlich  der  erste  Rädels- 
führer von  ihnen.  Hat  die  Frechheit  und  hält  noch 
eine  Ansprache  gegen  Österreich,  oben  am  Berg, 
Wahrscheinlich  ein  Antisemit.  Hörn  Sie  zu  -— 


Die  letzten  Tage  der  Menschheit. 


82 


Der  Abonnent:  Ich  hör. 

Der  Patriot:  Unsere  Leut,  ich  mein,  die 
Eigenen,  gutherzig  wie  sie  sind,  waren  aber  zu 
aufgeregt  beim  Schießen,  sie  haben  um  keinen  Preis 
treffen  können,  hat  also  der  Hauptmann  persönlich 
nachhelfen  müssen  und  hat  die  Kerle  mit  dem 
Dienstrevolver  abgeschossen.  Also  was  sagen  Sie, 
was  sich  die  Russen  bei  uns  herausnehmen! 

Der  Abonnent:  Bei  uns?  Was  sie  sich  bei 
ihnen  herausnehmen  gegen  die  österreichischen 
Gefangenen,  sagen  Sie  lieber!  Falls  Sie  noch  nicht 
gelesen  haben  sollten,  was  heute  steht,  hier,  ich 
hab's  bei  mir,  hörn  Sie:  Mißbrauch  Kriegsgefangener 
durch  die  russischen  Truppen  zur  Teilnahme  an  den 
Feindseligkeiten.  Aus  dem  Kriegspressequartier  wird 
geschrieben:  Seit  der  Vertreibung  der  Russen  aus 
Galizien  vergeht  selten  ein  Tag,  an  dem  nicht 
irgend  eine  bisher  noch  nicht  bekanntgewordene 
Verletzung  des  Völkerrechtes  durch  die  russischen 
Truppen  aufgedeckt  werden  würde,  so  daß  es  heute 
kaum  noch  eine  Bestimmung  des  Kriegsrechtes  gibt, 
von  der  nicht  feststünde,  daß  sie  von  russischer 
Seite  mit  Füßen  getreten  wird. 

Der  Patriot:  Sehr  gut. 

Der  Abonnent:  Hörn  Sie  nur  zu  — 

Der  Patriot:  Ich  hör. 

Der  Abonnent:  So  wird  durch  die  in  den 
besetzt  gewesenen  Teilen  Galiziens  jetzt  durch- 
geführten Gendarmerieerhebungen  bekannt,  daß,  auf 
Grund  eines  Befehles  der  russischen  Armeekomman- 
danten, während  der  ganzen  Okkupationsdauer  alle 
irgendwie  arbeitsfähigen  Männer  und  Weiber  außer 
zu  anderen  Arbeiten  im  Bedarfsfall  speziell  zur 
Erbauung  von  Schützengräben  — 

Der  Patriot:  Was  sagt  man! 

Der  Abonnent:  —  zwangsweise  heran- 
gezogen und  hiezu  bis  in  die  Karpathen  getrieben 
wurden.    Daß    es    dem    Feinde    nach    den    Haager 


83 


Konventionen  ausdrücklich  untersagt  ist,  der  fried- 
lichen Bevölkerung  des  besetzten  Gebietes  Dienst- 
leistungen aufzuerlegen,  welche  auf  die  Bekämpfung 
ihres  ^/aterlandes  hinauslaufen,  focht  die  russischen 
Machthaber  natürlich  nicht  an. 

Der  Patriot:   Focht  sie  nicht  an!  Packasch  1 

Der  Abonnent:  Hörn  Sie  nur  zu  — 

Der  Patriot:  Ich  hör. 

Der  Abonnent:  Es  ist  daher  nicht 
verwunderlich,  daß  die  Russen,  wie  jetzt  gleichfalls 
festgestellt  wurde,  auch  die  in  ihre  Kriegsgefangen- 
schaft geratenen  Angehörigen  der  k.  und  k.  Armee 
zur  Erbauung  von  Werken  gegen  uns  mißbrauchen  — 

Der  Patriot:  Unerhört!  Ganz  derselbe  Fall! 

Der  Abonnent:  —  obwohl  dies  gleichfalls 
den  Haager  Vertragsbestimmungen  zuwiderläuft, 
nach  denen  die  Kriegsgefangenen  nicht  zu  Arbeiten 
verwendet  werden  dürfen,  die  mit  den  kriegerischen 
Unternehmungen  in  irgend  einem  Zusammenhang 
stehen.  Ein  merkwürdiger  Zufall  brachte  es  mit 
sich,  daß  das  k.  und  k.  82.  Infanterieregiment  jüngst 
einen  russischen  Stützpunkt  erstüimte,  den  kriegs- 
gefangene  Angehörige  desselben  Regiments  hatten 
errichten  müssen.  Auf  einer  Holztafel  fand  man  dort 
folgende  ungarische  Inschrift:  »Diesen  Stützpunkt 
erbauten  Szekler  des  82.  Infanterieregiments«.  Zu 
der  kürzlich  gemeldeten  zwangsweisen  Vertreibung 
Österreich  ischer  Staatsbürger  aus  ihrer  Heimat  tritt  diese 
zwangsweise  Anhaltung  österreichisch-ungarischer 
Staatsangehöriger  zur  Teilnahme  an  den  Feindselig- 
keiten gegen  ihr  Vaterland  nicht  als  Gegenstück, 
sondern  als  eine,  das  russische  Kampfsystem 
ergänzende  Maßregel  hinzu.  —  No  was  sagen  Sie  jetzt? 

Der  Patriot:  Echt  russisch!  Das  hat  die  Welt 
nicht  gesehn !  Das  is  wirklich  kein  Gegenstück,  das 
is  geradezu  eine  ergänzende  Maßregel!  Und  von 
den  armen  österreichischen  Soldaten  hat  wahrscheinlich 
keiner  sich  getraut,  sich  zu  weigern. 


8* 


84 


Der  Abonnent:  No  hat  denn  jeder  die 
Chutzpe  von  so  einem  russischen  Fähnrich? 

Der  Patriot:  Eine  Ansprache  gegen  den 
Staat  zu  halten  oben  mitten  am  Berg! 

Der  Abonnent:   Oben  auf  den  Karpathen! 

Der  Patriot:  Wieso  Karpathen?  Oben  am 
Brenner! 

Der  Abonnent:  Oben  am  Brenner!  Da 
kann  man  wirklich  sagen,  kein  Tag  vergeht  ohne 
solche  himmelschreiende  Kontraste! 

Der  Patriot:  Ausgezeichnet  war  der  Artikel 
von  Professor  Brockhausen,  wie  er  geschrieben  hat, 
niemals  sind  bei  uns  wehrlose  Gefangene  auch  nur 
mit  Worten  gehöhnt  worden. 

Der  Abonnent:  Recht  hat  er  gehabt:  Das 
war  doch  dieselbe  Nummer  der  Presse,  wo  der 
Stadthauptmann  von  Lemberg  verlautbart  hat, 
russische  Gefangene  sind  während  ihres  Transportes 
durch  die  Straßen  von  einem  Teil  des  Publikums 
beschimpft  und  mit  Stöcken  geschlagen  worden. 
Er  hat  ausdrücklich  konstatiert,  daß  das  ein  Verhalten 
sei,  einer  Kulturnation  unwürdig. 

Der  Patriot:  Er  hat  zugegeben,  wir  sind 
eine  Kulturnation,  nicht  bloß  die  Juden. 

Der  Abonnent:  Selbstredend.  Aber  es  gibt 
auch  wirklich  keinen  Punkt,  wo  wir  uns  nicht 
unterscheiden  würden  von  den  Feinden,  die  ja 
doch  ein  Abschaum  der  Menschheit  sind. 

Der  Patriot:  Zum  Beispiel  im  feinen  Ton, 
den  wir  selbst  gegenüber  den  Feinden  anschlagen, 
die  doch  die  größte  Packasch  sind  auf  Gottes 
Erdboden. 

Der  Abonnent:  Und  vor  allem  sind  wir  im 
Gegensatz  zu  ihnen  immer  human !  Die  Presse  zum 
Beispiel  hat  im  Leitartikel  sogar  an  die  Fische  und 
Seetiere  in  der  Adria  gedacht,  daß  sie  jetzt  gute 
Zeiten  haben  wern,  weil  sie  so  viel  italienische 
Leichen  zu  fressen  bekommen.  Das  ist  doch  schon 


85 


wirklich  die  Humanität  auf  die  Spitze  getrieben,  in 
diesen  verhärteten  Zeiten  noch  an  die  Fische  und 
an  die  Seetiere  in  der  Adria  zu  denken,  wo  doch 
sogar  Menschen  Hunger  leiden  müssen! 

Der  Patriot:  Ja,  übertrieben,  wie  er  über- 
haupt manchmal  is.  Aber  —  er  gibts  ihnen  ordentlich! 
Und  nicht  nur  die  Humanität  im  Krieg  haben  wir 
vor  ihnen  voraus,  sondern  etwas,  was  noch  weit 
wertvoller  ist  —  die  Ausdauer!  Bei  die  andern 
herrscht  docii  schon  überall  Entmutigung.  Froh 
wären  sie,  wenn  es  zu  End  war.  Bei  uns  — ? 

Der  Abonnent:  Das  is  mir  auch  schon 
aufgefallen.  Da  is  zum  Beispiel  Entmutigung  in 
Frankreich! 

Der  Patriot:  Verdrossenheit  in  England! 

Der  Abonnent:    Verzweiflung   in   Rußland! 

Der  Patrioi:  Zerknirschung  in  Italien! 

Der  Abonnent:  Überhaupt,  die  Stimmungen 
in  der  Entente! 

Der  Patriot:  Es  rieselt  im  Gemäuer. 

Der  Abonnent:  An  Poincare  nagt  die  Sorge. 

Der  Patriot:  Grey  is  mißmutig. 

Der  Abonnent:  Der  Czar  wälzt  sich  im  Bett. 

Der  Patriot:  Beklemmung  in  Belgien. 

Der  Abonnent:  Das  erleichtert!  Demorali- 
sation in  Serbien. 

Der  Patriot:  Da  fühlt  man  sich!  Ver- 
zweiflung in  Montenegro. 

Der  Abonnent:  Da  kann  man  noch  hoffen! 
Bestürzung  im  Viererverband. 

Der  Patriot:  Da  derfangt  man  sich !  Zweifel 
in  London,  Paris  und  Rom.  Man  brauch  wirklich 
nur  die  Titeln  anschaun,  man  brauch  gar  nicht 
weiter  lesen,  weiß  man  doch  schon  woran  man  is. 
Man  sieht,  wie  mies  es  jenen  geht  und  wie  gut  uns. 
Stimmungen  haben  wir  auch,  aber  gottlob  etwas 
andere! 


86 


Der  Abonnent:  Bei  uns  herrscht  Freude, 
Zuversicht,  Jubel,  Hoffnung,  Genugtuung,  wir  sind 
immer  gut  aufgelegt,   warum  nicht,    recht    hammer. 

Der  Patriot:  Das  Durchhalten  zum  Beispiel, 
das  is  unsere  Passion. 

Der  Abonnent:  So  gut  wie  wir  treffen  sie 
das  nirgends. 

Der  Patriot:  Der  Wiener  speziell  is  ein 
Prima-Durchhalter.  Alle  Entbehrungen  tragen  sie 
bei  uns,  als  ob  es  ein  Vergnügen  war. 

Der  Abonnent:  Entbehrungen?  Was  für 
Entbehrungen  ? 

Der  Patriot:  Ich  mein,  wenn  es  Ent- 
behrungen geben  m  ö  c  h  t  — 

Der  Abonnent:  Es  gibt  aber  zum  Glück 
keine ! 

Der  Patriot:  Ganz  richtig.  Es  gibt  keine. 
Aber  sagen  Sie  —  wenn  man  nicht  entbehrt  — 
wozu  muß  man  dann  eigentlich  durchhalten  ? 

Der  Abonnent:  Das  kann  ich  Ihnen 
erklären.  Es  gibt  allerdings  keine  Entbehrungen, 
aber  man  erträgt  sie  spielend  —  das  ist  die  Kunst. 
Das  haben  wir  seit  jeher  getroffen. 

Der  Patriot:  Eben.  Das  Anstellen  zum 
Beispiel  is  eine  Hetz  —  sie  stellen  sich  förmlich 
dazu  an. 

Der  Abonnent:  Der  einzige  Unterschied 
gegen  früher  is,  daß  jetzt  Krieg  is.  Wenn  nicht 
Krieg  war,  möcht  man  rein  glauben,  es  is  Friede. 
Aber  Krieg  is  Krieg,  und  da  muß  man  so  manches, 
was  man  früher  nur  gewollt  liätt. 

Der  Patriot:  Eben.  Bei  uns  hat  sich  gar  nix 
verändert.  Und  wenn  es  j  a  alle  heilige  Zeiten  einmal 
bei  uns  zu  Nachmusterungen  kommt,  soll  man  sich 
anschaun,  nicht  erwarten  können  sie's  an  die  Front 
zu  kommen,  unsere  jungen  Leut  bis  zu  fufzig  Jahr. 

Der  Abonnent:  Die  altern  Jahrgänge  sind 
noch  gar  nicht  gemustert. 


87 


Der  Patriot:  Haben  Sie  gelesen,  »Aushebung 
der  Neunzehnjährigen  in  Italien«?  Der  Titel  allein 
sagt  schon  die  ganze  furchtbare  Wahrheit. 

Der  Abonnent:  Nein,  das  muß  mir  ent- 
gangen sein.  Was  Sie  sagen,  so  junge  Leut!  Bei 
uns,  da  muß  einer  doch  schon  reifer  sein,  jetzt  sind, 
wenn  ich  nicht  irre,  noch  die  Fünfzigjährigen  bei 
uns  an  der  Tour,  aber  natürlich  nur  für  den  Etappen- 
raum, es  sind  noch  genug  49  jährige  draußen. 

Der  Patriot:  In  Frankreich  halten  sie  schon 
bei  der  Ausmusterung  der  48jährigen! 

Der  Abonnent:  Also  Leute  mit  grauen 
Haaren!  Die  Jüngern  scheinen  alle  schon  verbraucht 
zu  sein.  Wir  rücken  im  März  mit  den  17  jährigen 
heraus,  das  wird  eine  Freud  sein. 

Der  Patriot:  Natürlich,  das  sind  die 
schönsten  Jahre!  Wissen  Sie,  worin  auch  der 
Unterschied  liegt?  In  der  Ausrüstung.  Die  is 
nämlich  das  Wichtigste.  Aber  bei  uns  versteht  sich 
das  einfach  von  selbst,  da  wird  gar  kein  Aufhebens 
gemacht.  Haben  Sie  gelesen  heute :  Italienische 
Sorgen  wegen  warmer  Gebirgskleidung  für  die 
Soldaten? 

Der  Abonnent:  Sorgen  was  sie  haben ! 

Der  Patriot:  Bei  uns  kümmert  man  sich 
um  so  was  gar  nicht.  Bagatell !  Man  vergibt  die 
Lieferungen  und  fertig.  Sie  kennen  doch  die 
Geschichte  mit  den  Vv^ olldecken?  Oder  nicht? 

Der  Abonnent:  Nein. 

Der  Patriot:  Da  haben  Sie  ein  großartiges 
Beispiel,  wie  das  alles  bei  uns  von  selbst  geht. 
Feiner  &  Co.  machen  einen  Schluß  auf  anderhalb 
Millionen  Wolldecken  aus  Deutschland,  unser 
Kriegsministerium  war  der  Ansicht,  so  viel  beiläufig 
wird  nötig  sein  für  die  Karpathen  im  Winter. 
Man  hat  aber  die  Sache  nicht  tragisch 
genommen,  weil  man  ja  schon  vorher  mit  dem 
Endsieg    gerechnet   hat.    Also   wie   es    dann    doch 


88 


ernst  wird,  heißt  es  plötzlich,  schön,  aber  zuerst 
müssen  die  Zollformalitäten  erledigt  wem.  Der 
Finanzminister  is  um  keinen  Preis  zu  bewegen,  die 
Ware  früher  herauszugeben,  und  der  Kriegsminister 
hat  wieder  gesagt,  man  braucht  sie.  Was  soll  ich 
Ihnen  sagen,  das  is  so  sechs  Monate  gegangen, 
hin  und  her  zwischen  Kriegsministerium  und  Finanz- 
ministerium. Durch  der  ganzen  Karpathenschlacht 
hindurch.  Da  entschließt  sich  die  Firma,  und 
Katzenellenbogen  aus  Berlin,  Sie  wissen  doch,  der 
bei  uns  die  rechte  Hand  is  speziell  im  Kriegs- 
ministerium, interveniert  persönlich.  Er  is  hinauf- 
gegangen zum  Finanzminister  und  sagt  ihm  direkt 
ins  Gesicht,  das  geht  nicht!  Der  Finanzminister 
sagt,  er  kann  das  nicht  kurzerhand  erledigen.  Sagt 
ihm  Katzenellenbogen,  energisch  wie  er  is  Sie  wissen 
doch,  seine  Gewure,  sagt  ihm  also  Katzenellenbogen, 
erstens  geht  die  Firma  in  Konkurs,  zweitens  gehn 
die  Wolldecken  zu^rund,  sie  liegen  im  Freien  bei 
der  Nässe  und  Kälte,  sie  sind  schon  fast  alle  hin  — 

Der  Abonnent:  Wer? 

Der  Patriot:  No,  die  Wolldecken  1  Sie  sind 
nämlich  im  Freien  gelagert. 

Der  Abonnent:  Wer ? 

Der  Patriot:  No,  die  Wolldecken !  Was  fragen 
Sie?  Also,  sagt  er  kategorisch,  erstens  geht  die 
Firma  in  Konkurs,  zweitens  gehn  die  Wolldecken 
zugrund  und  drittens,  brauchen  sie  schließlich  auch 
die  Soldaten.  Zuckt  der  Finanzminister  mit  die 
Achseln  und  antwortet  ihm,  er  kann  nicht,  der  Akt 
muß  erledigt  wern.  Erst  der  Zoll,  dann  die  Decken  — 

Der  Abonnent:  No  warum  hat  aber  das 
Kriegsministerium  nicht  gezahlt? 

Der  Patriot:  Frag!  Der  Kriegsminister  hat 
sich  auf  den  Standpunkt  gestellt,  er  kann  nicht, 
erst  muß  der  Akt  erledigt  wern. 

Der  Abonnent:  Der  Akt  für  den  Zoll? 
Das  erklärt  doch  der  Finanzminister? 


89 


Der  Patriot:  Konträr,  der  Akt  über  die 
Flüssigmachung  für  den  Zoll! 

Der  Abonnent:  Ah  so,  no  und  was  is  da 
geschehn?  ich  bin  schon  gespannt  — 

Der  Patriot:  Was  geschehn  is?  Katzenellen- 
bogen geht  wieder  hinauf  und  sagt  ihm  ins  Gesicht: 
Exzellenz,  sagt  er,  das  Kriegsministerium  gibt  nicht 
nach.  Sagt  er,  ich  will  Ihnen  was  sagen.  Im  kauf- 
männischen Verkehr  is  es  üblich,  wenn  eine  Kunde 
momentan  nicht  zahlen  kann,  man  erkundigt  sich 
aber  und  hört,  die  Kunde  is  gut,  so  is  es  üblich, 
man  stundet  ihr.  Exzellenz,  ich  wer  Ihnen  was 
sagen,  erkundigenSie  sich  über  dasKriegsministerium, 
Sie  wern  hörn,  es  is  gut  —  was  ham  Sie  davon, 
stunden  Sie  ihm!  No,  das  hat  ihm  eingeleuchtet. 
Man  hat  gestundet  und  die  Wolldecken  sind  aus- 
geliefert worn. 

Der  Abonnent:  No  also,  war  doch  alles  in 
schönster  Ordnung? 

Der  Patriot:  So  weit  ja.  Da  war  aber 
schon  März.  Was  soll  ich  Ihnen  sagen,  wie  man 
die  Decken  herauszieht,  sind  sie  total  verdorben. 
Jetzt  hat  man  Flüchtlinge  genommen,  immer  zwei 
zammstoppen  lassen,  und  wie  schließlich  April  wird 
und  alles  war  so  weit  in  Ordnung,  leider  doppelt 
so  teuer  wie  bei  der  Bestellung,  no  so  eine  Arbeit 
will  doch  bezahlt  sein,  Kleinigkeit  anderhalb  Millionen 
Wolldecken  zammstoppen  —  also  wie  alles  fertig 
war,  was  glauben  Sie  daß  sich  da  herausstellt? 

Der  Abonnent:  Noo  — ? 

Der  Patriot:  Stellt  sich  heraus,  die  Soldaten 
haben  die  Wolldecken  gar  nicht  mehr  gebraucht. 
Denn  erstens  war  schon  nicht  mehr  so  kalt  in  den 
Karpathen,  und  dann  waren  den  meisten  sowieso 
schon  die  Fuß  abgefroren.  —  No,  jetzt  frag  ich 
einen  Menschen:  machen  wir  uns  Sorgen  wegen 
Wolldecken? 


90 


Der  Abonnent:  Die  Italiener  ja!  Das  ham 
sie  jetzt  davon!  Was  sagen  Sie  zu  Lebensmittel- 
teuerung in  Italien? 

Der  Patri.ot:  Davon  hab  ich  nichts  gelesen, 
ich  hab  nur  gelesen  von  schlechter  Ernte  in  Italien. 

Der  Abonnent:  Verwechseln  Sie  das  nicht 
mit  Mißernte  in  England? 

Der  Patriot:  Das  is  wieder  ein  anderes 
Kapitel,  genau  so  wie  man  wieder  Lebensmittel- 
knappheit in  Rußland  unterscheiden  muß. 

Der  Abonnent:  Ich  bitt  Sie,  es  is  überall 
dasselbe.  Und  Verlustlisten  zum  Beispiel  haben  sie 
auch  schon  überall  eingeführt. 

Der  Patriot:  Ja,  genau  wie  bei  uns,  alles 
machen  sie  nach  — 

Der  Abonnent:  Entschuldigen  Sie,  wie 
meinen  Sie  das?  Haben  wir  denn  — 

Der  Patriot:  Im  Gegenteil,  bei  uns  is  jetzt 
die  Tägliche  englische  Verlustliste  eingeführt. 

Der  Abonnent:  Das  is  mir  auch  schon 
aufgefallen,  während  die  unsere  nur  alle  heiligen 
Zeiten  einmal  erscheint. 

Der  Patriot:  No  soll  man  vielleicht  fälschen 
und  Namen  erfinden?  Wenn's  hoch  kommt,  ham 
wir  in  dem  Jahr  vielleicht  achthundert  Verwundete 
gehabt ! 

Der  Abonnent:  In  Italien  erscheint  über- 
haupt keine.  Das  is  wohl  mehr  als  verdächtig. 
Sie  können  eben  ihre  Hekatomben  nicht  zugeben, 
was  sie  schon  erlitten  haben. 

Der  Patriot:  Apropos  Italien,  haben  Sie 
gelesen,  Verabschiedung  eines  italienischen  Generals? 
Wegen  an  der  Froiit  bewiesener  Unfähigkeit!  Weitere 
Verabschiedungen  sollen  bevorstehen! 

Der  Abonnent:  Sss  .  .  . !  Sollte  man  nicht 
für  möglich  halten.  Hat  man  bei  uns  je  etwas  davon 
gehört,  daß  ein  General  — 

Der  Patriot:  No,  no,  das  schon. 


91 


Der  Abonnent:  Wegen  Unfähigkeit? 

Der  Patriot:  Auch  ! 

Der  Abonnent:  Aber  er  hat  doch 
wenigstens  nicht  Gelegenheit  gehabt,  sie  an  der 
Fl  on  t  zu  beweisen  ! 

Der  Patriot:  Das  nicht,  da  haben  Sie  recht. 
Wissen  Sie  übrigens,  daß  es  auch  schon  Drückeberger 
in  Italien  gibt? 

Der  Abonnent:  Wo  denn  sonst  ?  Und  kaum 
daß  sie  den  Krieg  angefangen  haben!  Aber  wissen 
Sie,  was  sie  auch  schon  eingeführt  haben?  Eine 
Zensur!  Mit  der  Freiheit  der  Meinungsäußerung 
soll  es  übrigens  bei  allen  miserabel  stehn.  Kein 
freies  Wörtl  darf  man  dorten  reden,  hab  ich  mir 
sagen  lassen. 

Der  Patriot:  Höchstens  is  den  Zeitungen 
dorten  erlaubt  zu  schreiben,  daß  unsere  militärische 
Lage  viel  besser  is  wie  ihre  eigene.  No  ja,  die 
Wahrheit  läßt  sich  eben  nicht  unterdrücken.  Die 
englischen  Militärkritiker  bezeichnen  die  Lage  der 
Ententemächte  als  hoffnungslos. 

Der  Abonnent:  Schöne  Wirtschaft,  daß  sie 
das  erlauben!  Wenn  bei  uns  einer  so  etwas  sagen 
möcht,  was  möcht  ihm  passieren! 

Der  Patriot:  Wenn  er  sagen  möcht,  daß 
die  Lage  der  Ententemächte  hoffnungslos  ist? 

Der  Abonnent:  Nein,  wenn  er  sagen  möcht, 
daß  die  Lage  der  Zentralmächte  hoffnungslos  ist. 
Mit  Recht  möcht  er  aufgehängt  wern.  So  eine 
Frechheit  nimmt  sich  hier  keiner  heraus. 

Der  Patriot:  Warum  sollte  er  auch?  Er  müßte 
lügen!  Sehn  Sie,  sogar  in  England  sagen  sie  die 
Wahrheit,  wenn  sie  nämlich  zugeben  müssen,  daß 
es  ihnen  schlecht  geht. 

Der  Abo  nnent:  Schöne  Patrioten  müssen 
das  dorten  sein.  Neulich  hat  einer  dorten  geschrieben, 


92 


England  verdient,  daß  es  von  Deutschland  vernichtet 
wird.  No,  dem  ist  das  aber  übel  bekommen.  Wissen 
Sie,  v/as  sie  dem  aufgepelzt  haben?  14  Tage! 

Der  Patriot  (sich  an  den  Kopf  greifend) : 
Gefängnisstrafe  für  Kritik  in  England.  Schöne 
Zustände  das!   14  Tage! 

Der  Abonnent:  Ja,  so  etwas  hören  die  Herrn 
freilich  nicht  gern,  die  Wahrheit  können  sie  nicht 
vertragen.  Bei  uns  würde  sich  aber  auch  kein 
Journalist  zu  so  etwas  hinreißen  lassen. 

Der  Patriot:  No  und  is  es  denn  in  Frankreich 
besser?  Nicht  um  einen  Gran.  Harn  Sie  nicht  grad 
heut  in  der  Presse  gelesen :  Gefängnisstrafen  für 
Verbreitung  der  Wahrheit  in  Frankreich  ?  Also  bitte, 
weil  einer  die  Wahrheit  gesagt  hat!  Nämlich  eine 
Dame  —  sie  hat  gesagt,  Deutschland  war  auf  den 
Krieg  vorbereitet,  Frankreich  aber  nicht.  Also  wenn 
man  ihnen  ja  einmal  die  Wahrheit  ins  Gesicht  sagt  — 

Der  Abonnent:  Nein,  das  vertragen  sie  nicht, 
die  Herrn  Machthaber  in  Frankreich !  Krieg  führen, 
ja  das  passet  ihnen,  Deutschland,  einen  friedliebenden 
Nachbarn,  aus  blauem  Himmel  überfallen,  das  passet 
ihnen  — 

Der  Patriot:  Goldene  Worte,  Deutschland 
führt  einen  Verteidigungskrieg,  keine  Seele  in 
Deutschland  war  auf  den  Krieg  vorbereitet,  die 
schwerinduslriellen  Kreise  waren  förmlich  wie  vor 
den  Kopf  geschlagen. 

Der  Abonnent:  Selbstredend,  und  wenn  die 
arme  Person  in  Frankreich  eine  so  einfache  Wahrheit, 
die  auch  der  Laie  begreift,  in  schlichten  Worten  — 

Der  Patriot:  Sie,  da  ham  Sie  sich  jetzt  geirrt, 
die  Frau  is  doch  verurteilt  worn,  weil  sie  — 

Der  Abonnent:  No  weil  sie  die  Wahrheit 
gesagt  hat! 

Der  Patriot:  No  sie  hat  aber  doch  gesagt, 
Deutschland  war  auf  den  Krieg  vorbereitet  — 


93 


Der  Abonnent :  No  die  Wahrheit  is  aber  doch, 
Deutschland  war  auf  den  Krieg  nicht  vorbereitet  — 

Der  Patriot:  No  sie  hat  aber  doch  gesagt, 
Deutschland  war  auf  den  Krieg  j  a  vorbereitet ! 

Der  Abonnent:  No  das  is  aber  doch  eine  Lüge! 

Der  Patriot:  No  sie  is  aber  doch  verurteilt 
worn,  "/eil  sie  die  Wahrheit  gesagt  hat  — 

Der  Abonnent:  No  warum  is  sie  dann  aber 
verurteilt  worn? 

Der  Patriot:  No  weil  sie  doch  gesagt  hat, 
Deutschland  war  auf  den  Krieg  vorbereitet ! 

Der  Abonnent:  No  wie  kann  sie  dadafür  in 
Frankreich  verurteilt  wem,  dadafür  sollte  sie  doch 
in  Deutschland  verurteilt  wernl 

Der  Patriot:  Wieso?  —  Moment  —  nein  — 
oder  doch  —  passen  Sie  auf,  ich  erklär  mir  die 
Sache  einfach  so:  sie  hat  natürlich  die  Wahrheit 
gesagt,  aber  in  Frankreich  wie  sie  dorten  schon  sind 
is  sie  verurteilt  worn,  weil  sie  gelogen  hat! 

Der  Abonnent:  Moment,  Sie  ham  sich  da 
verhaspelt.  Ich  glaub  eher,  es  is  so :  sie  hat  gelogen, 
und  verurteilt  ham  sie  sie,  weil  sie  in  Frankreich 
die  Wahrheit  nicht  vertragen  können. 

Der  Patriot:  Sehn  Sie.  das  wird  es  sein! 
Ich  bitt  Sie,  das  liegt  im  Blut.  Die  Leut  lassen  sich 
dorten  zu  Äußerungen  hinreißen. 

Der  Abonnent:  Natürlich,  man  liest  ja, 
wie  sie  dorten  in  den  Zeitungen  der  Regierung  die 
Wahrheit  sagen  und  was  sie  zusammenlügen  über 
uns.  Das  ist  Verderbtheit.  Wenn  man  das  glauben 
würde,  was  in  den  Londoner  Zeitungen  über  uns 
steht,  würde  man  glauben,  England  is  fertig. 

Der  Patriot:  Ich  bitt  Sie,  wer  glaubt  das! 
Bei  uns  fühlen  sie  eben  anders.  Die  Mentalität  hab 
ich  mir  sagen  lassen  is  eine  ganz  andere.  Gottseidank. 
Unsere  Redakteure  sind,  man  kann  sagen,  noch  mehr 
begeistert  wie  unsere  Soldaten.  Speziell  im  Feuilleton. 


94 


Der  Abonnent:  Weil  Sie  Feuilleton  sagen  — 
ich  wollt  Ihnen  erzählen,  wissen  Sie,  wer  heut  zu 
uns  kommt?  Raten  Sie,  der  greßte  lebende  Schrift- 
steller, Hans  Müller! 

Der  Patriot:  Sie,  dem  können  Sie  sagen,  daß 
er  mir  alles  aus  dem  Herzen  schreibt!  Wie  ist  der 
persönlich?  Das  intressiert  mich.  Auf  seinem  Stil 
paßt  kein  anderes  Wort  wie  sonnig  und  goldig.  Das 
war  doch  mehr  wie  goldig,  wie  er  in  Berlin  einem 
Feldgrauen  auf  offener  Straße  ein  Pussl  gegeben  hat, 
und  dann  das  Gebet  für  die  verbündeten  Waffen 
in  der  Kirche  am  Schluß  vom  Feuilleton!  Der  is 
mein  spezieller  Liebling!  Keiner  von  ihnen  allen,  wie 
sie  da  schreiben,  sogar  Roda  Roda,  Saiten,  hat  so  das 
Schulter  an  Schulter  erfaßt  wie  er,  man  kann  wirklich 
sagen,  er  schreibt  förmlich  Schulter  an  Schulter  —  zum 
Beispiel  mit  Ganghofer.  An  den  reicht  er  sogar  heran! 
Im  Anfang,  wie  er  das  Feuilleton  aus  dem  Feld 
geschrieben  hat,  Cassian  im  Feld,  so  echt,  so  begeistert, 
hat  man  direkt  geglaubt,  er  is  im  Feld.  Später  erst 
hab  ich  durch  puren  Zufall  erfahren,  daß  er  in 
V/ien  is.  Er  hat  es  sogar  in  Wien  selbst  geschrieben! 
Wie  er  das  trefft!  Begabt!  Intressiern  möcht  mich 
nur,  wie  is  er  persönlich? 

Der  Abonnent:  Persönlich  —  das  is  schwer 
zu  sagen.  Momentan  sehr  in  Ängsten,  übermorgen 
kommt  er  nebbich  zur  Musterung. 

Der  Patriot:  So,  und  wieso  kommt  das,  daß 
er  da  in  Ängsten  is? 

Der  AbonnentrNo  wegen  der  Musterung! 

Der  Patriot:  In  Ängsten?  weil  er  fürchtet,  sie 
wem  ihn  nicht  nehmen? 

Der  Abonnent:  Ich  versteh  Sie  nicht,  in 
Ängsten  is  er  selbstredend  weil  er  fürchtet,  sie  wern 
ihn  ja  nehmen! 

Der  Patriot:  Machen  Sie  keinen  Witz.  Hans 
Müller?  Der  Hans  Müller,  was  sich  zerreißt  fürs 
Vaterland?  Was  Sie  nicht  sagen!  Ich  hab  doch  noch 


95 


nie  von  einem  Menschen  g^ehört,  von  dem  min  so 
geglaubt  hätte  wie  von  ihm,  er  lebt  und  stirbt  für 
der  Nibelungentreue?  Ich  war  konträr  der  Meinung, 
er  is  damals  eigens  zurück  aus  Deutschland,  wo  er 
die  Balmachomes  umarmt  hat,  unsere  Feldgrauen, 
weil  er  es  nicht  erwarten  kann,  weil  er  sich  freiwillig 
melden  will!  Der  wird  doch  froh  und  glücklich  sein 
hab  ich  mir  gedacht,  wenn  sie  ihn  nehmen  — ?  und 
er  tut  sich  was  an,  wenn  sie  ihn  nicht  nehmen! 

Der  Abonnent:  Wieso,  Sie  ham  doch  selbst 
gehört,  das  Feuilleton  aus  dem  Feld  war  aus  Wien, 
und  grad  das  hat  Ihnen  imponiert,  wie  er  getroffen 
hat  aus  dem  Feld  zu  schreiben  in  Wien? 

Der  Patriot:  Das  Feuilleton  aus  dem  Feld, 
hab  ich  mir  gedacht,  hat  er  geschrieben  aus  Kränkung, 
weil  sie  ihn  vielleicht  schon  nicht  genommen  haben  — 
um  zu  zeigen!  Er  wollt  ihnen  beweisen,  was  er  erst 
möcht  treffen  aus  dem  Feld  zu  schreiben  wenn  er 
war  im  Feld!  Ich  kann  nicht  glauben,  was  Sie  mir 
da  erzählen.  Sie  wern  ihn  verwechseln. 

Der  Abonnent:  Er  war  froh,  wenn  sie  ihn 
übermorgen  bei  der  Musterung  verwechseln  möchten. 

Der  Patriot:  Hören  Sie,  das  verdrießt  mich! 
Ich  kann  mir  nur  denken,  daß  Sie  da  nicht  genau 
informiert  sind.  Wenn  einer  so  geschrieben  hat,  wie 
Hans  Müller  geschrieben  hat,  so  echt,  so  begeistert, 
is  er  sicher  froh,  daß  sie  ihn  nehmen  — 

DerAbonnent  (erregt) :  Also  —  also  jeden  müssen 
sie  nehmen?  Jeder  muß  froh  sein?  Gar  keine  andere 
Sorg  darf  einer  mehr  haben?  Es  genügt  nicht,  daß 
er  begeistert  is?  Nein,  dienen  muß  er?  Ausgerechnet 
er?  Gemütsmensch  was  Sie  sind!  Als  ob  Sie  es  nicht 
erwarten  könnten,  zu  sehn,  wie  er  exerziert.  Aber 
Sie  machen  sich  unnütze  Sorgen,  und  er  hoffentlich 
auch.  Und  wenn  sie  ihn  nehmen  —  man  weiß  zum 
Glück  heute  schon,  wer  Hans  Müller  is!  Man  wird 
ihn  verwenden  seinem  Talent  entsprechend! 


96 


Der  Patriot:  Sie  haben  gesehn,  ich  stimme 
in  allem  mit  Ihnen  überein  —  aber  da  gehn  unsere 
Ansichten  auseinander!  Ich  hab  an  Hans  Müller 
geglaubt  und  das  was  ich  da  hören  muß  enttäuscht  mich. 
Sie  stehn  natürlich  auf  dem  Standpunkt  des  Abonnenten, 
für  Sie  ist  eine  solche  Kraft  unentbehrlich  — 

Der  Abonnent:  Und  Sie  betrachten  alles  als 
Patriot  —  da  möcht  man  weit  kommen!  Adieu,  ich 
such  eine  Extraausgabe.   Und  was  tun  Sie? 

Der  Patriot:  Ich  geh  ein  Scherflein  bei- 
tragen. (In  verschiedenen  Richtungen  ab.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Beide  Berichtee  — ! 

(Verwandlung.) 

12.  Szene 

Es  treten  auf  ein  Riese  in  Zivil  und  ein  Zwerg  in  Uniform. 

Der  Riese:  Sie  haben  es  gut,  Sie  können 
sich  der  Allgemeinheit  nützlich  machen.  Mich  hat 
der  Regimentsarzt  sofort  weggeschickt. 

Der  Zwerg:  Was  war  der  Grund? 

Der  Riese:  Zu  schwach.  Nämlich  nach  dem 
alten  Befund,  vor  fünfzehn  Jahren.  Damals  hab  ich 
so  ausgesehn  wie  Sie. 

Der  Zwerg:  Darnach  muß  ich  mich  wundern, 
daß  man  Sie  nicht  behalten  hat.  Mich  hat  der 
Regimentsarzt  kaum  angeschaut  und  ich  war  schon 
genommen.  Die  Mama  war  sehr  unglücklich. 

Der  Riese:  Sie  Muttersöhnchen. 

Der  Zwerg:  Ich  aber  bin  zufrieden.  Es  wächst 
der  Mensch  mit  seinen  höhern  Zwecken.  Zuerst  hab 
ich  ja  gezweifelt,  ob  ich  in  die  große  Zeit  passen 
werde  und  imstande  sein,  Schulter  an  Schulter  zu 
kämpfen.  Aber  im  Zivil  wird  man  nur  verspottet  und 
vom  Militär  komm  ich  als  Held  zurück,  über  den 
so  manche  Kugel  hinweggeflogen  sein  wird.  Wenn 
die  andern  sich  zu  Boden  werfen  —  ich  bleibe  stehn! 


97 


Der  Riese:  Sie  Glücklicher! 

Der  Zwerg:  Trösten  Sie  sich.  Sie  können  ja 
nichts  dafür.  Es  kommt  auf  die  Kommission  an. 

Der  Riese:  Ich  bin  durchgerutscht. 

Der  Zwerg:    Ich   bin   dem    Arzt  aufgefallen. 

Der  Riese:  Gehn  wir  essen,  ich  habe  einen 
Riesenhunger. 

Der  Zwerg:  Ich  werde  eine  Kleinigkeit  zu 
mir  nehmen. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Beide  Berichtee  — ! 

(Verwandlung.) 

13.  Szene 

Elektrische  Bahn  Baden— Wien. 
Ein  Schvcerbetrunkener,  der  im  zivilen  Leben  ein  Möbelpacker 
sein  dürfte,  Riesenfigur,  buschiger  Schnurrbart,  Pepitahosen, 
welche  die  Spuren  von  übermäßigem  Weingenuß  und  einer 
eben  überstander°n  gewaltsamen  Entfernung  vom  Tatort  zeigen. 
Er  hat  einen  Sack  neben  sich,  aus  dem  er  hin  und  wieder  eine 
Flasche  hervorzieht.  Er  gerät  mit  einem  Paar  in  Streii,  weil  er 
an  das  Mädchen   angestoßen   ist,   bedroht   den    Begleiter,    und 

brüllt  die  ganze  Fahrt  hindurch. 

Der  Schwerbetrunkene:  Asoa  Binkel  — 
wüll  sich  da  aufbrausnen  —  wos  hom  denn  So  fürs 
Votterland  geleisteet?  Legimitiern  S'  Ihna!  Vur  mir! 
—  Schaun  S'  mi  an  —  solchene  Söhne  wia  So  hob 
i  im  Föld  —  die  wos  mehr  Boart  ham  als  wia  So  — 
die  leisten  wos  —  fürs  Votterland  —  Wissen  S'  von 
wo  i  kumm  —  von  Boden  kumm  i  —  So  Binkel  — 
legimitiern  solln  S'  Ihna  —  Was  glauben  denn  So  —  so 
aner  —  wüll  sich  da  aufbrausnen  —  'leicht  weil  S' 
Ihner  Muckerl  bei  Ihna  ham  —  was  ham  denn  So  fürs 
Votterland  geleisteet?  —  schaun  S'  mi  an  —  i  leist 
was  —  fürs  Votterland  —  A  jeder  soll  aufbrausnen  als 
wia  der  —  Wos  wolln  denn  So?  Hab  i  Ihna  vielleicht 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  7 


98 


beleidigt?  —  So  Binkel  —  i  leist  wos  —  legimitiern 
S'  Ihna  —  do  schaun  S'  her  —  wissen  S'  wos  dös 
is  —  a  Földpostkarten  von  mein  Neffen  —  fürs 
Votterland  —  So  Binkel  —  legimitiern  soll  er  sich 

—  der  Binkel   —   vur   mir  soll  er  sich   legimitiern 

—  hot  nix  geleisteet  —  für's  Votterland  — 
(Nachdem  er  sich  über  Zureden  des  schwächlich  aussehenden 
Kondukteurs  ein  wenig  beruhigt  hat,  bietet  er  den  Unisitzenden, 
auf  die  er  abwechselnd  fällt,  die  Flasche.)  G'fällig  Herr 
Nachbar  —  weil  mr  Österreicher  san! 

Ein  galizisches  Flüchtlingspaar:  Gott 
behüte!  (Flieht  auf  andere  Plätze,  läßt  aber  an  der  alten 
Stelle  den  Schirm  zurück.) 

Der  Seh  we''betrunkene  (nur  noch  lallend):  Der 
Binkel  —  fürs  Votterland  —  legimitiern  — 

Der  Verzehrungssteuerbeamte  (erscheint): 
Was  haben  Sie  da  im  Binkel? 

Der  Schwerbetrunkene  (dumpf):  Binkel  — 
fürs  Votterland  —  legimitiern  —  (Er  wird  nach 
längerem  Zureden  dazugebracht,  zu  öffnen  und  eine  Steuer  von 
20  Heller  zu  erlegen.  Währenddessen  hält  der  Zug.) 

E  i  n  W  i  e  n  e  r  (der  inzwischen  den  Platz  eingenommen 
hat,  wo  das  Flüchtlingspaar  gesessen  war):  Da  müssen  wir 
halt  alle  warten,  wegen  so  einer  Lappalie!  Immer 
gibts  auf  dera  Strecken  solche  Unannehmlichkeiten! 
Das  is  mir  schon  z'fad!  (Er  verläßt  mit  dem  Schirm  den 
Zug.  Es  regnet.  Der  Schwerbetrunkene  verläßt  nun  gleichfalls 
den  Zug,  der  sich  wieder  in  Bewegung  setzt.) 

Der  Schwerbetrunkene  (schon  draußen,  wieder 
lebhafter):  Fürs  Votterland  —  soll  er  —  legimitiern 
soll  er  si  —  der  Binkel  —  hot  nix  geleisteet  — 
für's  Votterland  — 

Das  Flüchtlingspaar  (atmet  auf  und  bezieht 
wieder  die  alten  Plätze.  Nach  einer  Pause  aufspringend):  Wo 
is  der  Schirm?  Gott  wo  is  der  Schirm?  Herr  Kondukteur 
wo  is  der  Schirm? 

(Verwandlung.) 


99 


14.  Szene 


In  der  Wohnung  der  Schauspielerin  Elfriede  Ritter,  die  soeben 

aus  Rußland   zurückgekehrt  ist.    Halb  ausgepackte  Koffer.    Die 

Reporter  Füchsl,   Feig!  und  Halberstam   halten   ihre  Arme  und 

dringen  auf  sie  ein. 

Alle  drei  (durcheinander):  Haben  Sie  Spuren  von 
Nagaikas?  Zeigen  Sie  her!  Wir  brauchen  Einzelheiten, 
Details.  Wie  war  das  Moskov/itertum?  Haben  Sie 
Eindrücke?  Sie  müssen  furchtbar  zu  leiden  gehabt 
haben,  hören  Sie,  Sie  müssen! 

Füchsl:  Schildern  Sie,  wie  Sie  behandelt 
wurden  wie  eine  Gefangene! 

Feigl:  Geben  Sie  Eindrücke  von  Ihrem  Auf- 
enthalt fürs  Abendblatt! 

Halberstam:  Geben  Sie  die  Stimmung  von 
der  Rückfahrt  fürs  Morgenblatt! 

Elf  riede  Ritter  (spricht  norddeutsch,  lächelnd) : 
Meine  Herren,  ich  danke  für  Ihr  teilnahmsvolles 
Interesse,  es  ist  wirklich  rührend,  daß  mir  meine 
lieben  Wiener  ihre  Sympathien  bewahrten.  Ich  danke 
Ihnen  von  Herzen,  daß  Sie  sich  sogar  persönlich 
bemüht  haben.  Ich  wollte  ja  auch  gern  mit  Koffer- 
auspacken warten,  aber  ich  kann  Ihnen  beim  besten 
Willen,  meine  Herren,  nichts  anderes  sagen,  als  daß 
es  sehr,  sehr  interessant  war,  daß  mir  gar  nichts 
geschehen  ist,  na  v/as  denn  noch,  daß  die  Rückfahrt 
zwar  langwierig,  aber  nicht  im  mindsten  beschwerlich 
war  und  (schalkhaft)  daß  ich  mich  freue,  wieder  in 
meinem  lieben  Wien  zu  sein. 

Halberstam:  Intressant  —  also  eine  lang- 
wierige Fahrt,  also  sie  gibt  zu  — 

Feigl:  Beschwerlich  hat  sie  gesagt  — 

Füchsl:  Warten  Sie,  die  Einleitung  hab  ich 
in  der  Redaktion  geschrieben  —  Moment  —  (schreibend) 
Aus  den  Qualen  der  russischen  Gefangenschaft  erlöst, 
am  Ziele  der  langwierigen  und  beschwerlichen  Fahrt 


100 


endlich  angelangt,  weinte  die  Künstlerin  Freuden- 
tränen bei  dem  Bewußtsein,  wieder  in  ihrer  geliebten 
Wienerstadt  zu  sein  — 

Elfriede  Ritter  (mit  dem  Finger  drohend) : 
Doktorchen,  Doktorchen,  das  habe  ich  nicht  gesagt, 
im  Gegenteil,  ich  habe  doch  gesagt,  daß  ich  mich 
über  nichts,  über  gar  nichts  beschweren  konnte   — 

Füchsl:  Aha!  (schreibend)  Die  Künstlerin  blickt 
heute  mit  einem  gewissen  ironischen  Gleichmut  auf 
das  Überstandene  zurück. 

Elf  riede  Ritter:  Ja,  aber  was  denn  —  da  muß 
ich  doch  sagen  —  nee,  Doktor,   ich  bin  empört  — 

Füchsl  (schreibend):  Dann  aber,  wenn  der 
Besucher  ihrer  Erinnerung  nachhilft,  packt  sie  doch 
wieder  Empörung.  In  bewegten  Worten  schildert  die 
Ritter,  wie  ihr  jede  Möglichkeit,  sich  über  die  ihr 
zuteilgewordene  Behandlung  zu  beschweren,  ge- 
nommen war. 

Elfriede  Ritter:  Aber  Doktor,  was  treiben 
Sie  denn  —  ich  kann  doch  nicht  sagen  — 

Füchsl:  Sie  kann  gar  nicht  sagen  — 

Elfriede  Ritter:  Aber  wirklich  —  ich  kann 
doch  nicht  sagen  — 

Halberstam:  Aber  gehn  Sie,  Sie  wissen  gar 
nicht,  was  man  alles  sagen  kann!  Liebe  Freundin, 
schaun  Sie  her,  das  Publikum,  verstehn  Sie,  will 
lesen.  Ich  sag  Ihnen,  Sie  können  sagen.  Bei  uns 
ja,  in  Rußland  vielleicht  nicht,  hier  herrscht  Gottsei- 
dank Redefreiheit,  nicht  so  wie  in  Rußland,  hier 
kann  man  Gottlob  alles  sagen,  über  die  Zustände 
in  Rußland!  Hat  sich  in  Rußland  eine  Zeitung  um 
Sie  gekümmert  wie  hier?  No  also! 

Fei  gl:  Ritter,  sind  Sie  vernünftig;  glauben  Sie, 
daß  Ihnen  ein  bißl  Reklam  schaden  wird,  jetzt  wo 
Sie  wieder  auftreten  wern,  no  also! 

Elfriede  Ritter:  Aber  meine  Herren  —  ich 
kann  doch  nicht  —  das  ist  doch  bei  den  Haaren 
herbeigezogen  —  wenn   Sie   es  gesehn   hätten   — 


auf  der  Straße  oder  in  den  Ämtern  —  wenn 
ich  nur  Anlaß  zur  geringsten  Klage  gehabt  hätte, 
über  Drangsalierungen  und  so,  glauben  Sie  denn, 
ich  würde  es  verschweigen? 

F  ü  c  h  s  1  (schreibend) :  Noch  vor  Erregung  zitternd, 
schildert  die  Ritter,  wie  der  Straßenmob  sie  bei  den 
Haaren  gezogen  hat,  wie  sie  auf  die  geringste  Klage 
hin  von  den  Ämtern  drangsaliert  wurde  und  wie  sie 
über  alle  diese  Erlebnisse  Schweigen  bewahren  mußte. 

Elfriede  Ritter:  Aber  Doktor,  Sie  treiben 
wohl  Ulk?  Ich  sage  Ihnen  doch  sogar,  daß  die 
Polizeibeamten  sehr  entgegenkommend  waren,  man 
hat  mir,  wo  man  nur  konnte,  unter  die  Arme  gegriffen, 
ich  durfte  ausgehn,  wohin  ich  wollte,  nachhause 
kommen,  wann  ich  wollte,  ich  versichere  Ihnen, 
wenn  ich  mich  auch  nur  ein  Augenblickchen  als 
Gefangene  gefühlt  hätte  — 

Füchsl  (schreibend):  Die  Künstlerin  erzählt,  daß 
ihr,  als  sie  einmal  den  Versuch  machte,  auszugehen, 
augenblicklich  Polizeibeamte  entgegenkamen,  sie 
unter  den  Armen  ergriffen  und  nachhause  schleppten, 
so  daß  sie  buchstäblich  das  Leben  einer  Gefangenen 
geführt  hat  — 

Elfriede  Ritter:  Jetzt  bin  ich  aber  ernstlich 
böse  —  es  ist  nicht  wahr,  meine  Herren,  ich 
protestiere  — 

Füchsl  (schreibend):  Sie  wird  ganz  böse,  wenn 
man  ihre  Erinneriinjj;  an  diese  Erlebnisse,  an  ihre 
aussichtslosen  Proteste  — 

Elfriede  Ritter:  Es  ist  nicht  wahr,  meine 
Herren! 

Füchsl  (aufbh'ckend) :  Nicht  —  wahr?  Was  heißt 
nicht  wahr,  wo  ich  jedes  Wort  von  Ihnen  mitschreib? 

Fe  i  g I :  Wenn  wir  bringen  wollen,  is  es  nicht  wahr  ? 

Halberstam:  Wissen  Sie,  das  is  mir  noch 
nicht  vorgekommen.  Das  is  intressant! 

Fei  gl:  Sie  is  imstand  und  schickt  noch  eine 
Berichtigung! 


102 


Füchsl:  Sie  machen  Sie  keine  Geschichten, 
das  kann  Ihnen  schaden  1 

Feigl:  Machen  Sie  sich  nicht  unglücklich! 

Halberstam:  Wann  hat  sie  denn  wieder 
eine  Rolle? 

Füchsl:  Wenn  ich  das  Samstag  beim  Repertoire 
dem  Direktor  erzähl,  kriegt  die  Berger  das  Gretchen, 
das  garantier  ich  Ihnen! 

Feigl:  Das  is  also  der  Dank,  wo  der  Fuchs 
Sie  immer  so  gut  behandelt  hat?  Sie,  Sie  kennen 
den  Fuchs  nicht!  Wenn  er  hören  wird,  passen  Sie 
auf,  bei  der  nächsten  Premier! 

Halberstam:  Wolf  hat  sowieso  einen  Pick 
auf  Sie,  seit  Sie  damals  in  seinem  Stück  gespielt 
haben,  das  kann  ich  Ihnen  verraten,  Wolf  is  ohnedem 
sehr  gegen  Rußland,  wenn  er  jetzt  noch  hören  wird, 
daß  Sie  sich  über  Rußland  nicht  zu  beklagen 
haben  —  er  verreißt  Sie  auf  der  Stelle ! 

Füchsl:  Kunststück,  und  Low?  Fangen  Sie 
sich  nichts  mit  Low  an,  eine  Schauspielerin  hat 
sich  anzupassen,  da  gibts  nix! 

Feigl:  Dagegen  kann  ich  Ihnen  verraten, 
möchte  es  Ihnen  kolossal  nützen,  nicht  nur  beim 
Publikum,  sondern  sogar  bei  der  Presse  selbst, 
wenn  Sie  in  Rußland  mißhandelt  wurden. 

Halberstam:  Überlegen  Sie  sich  das.  Sie 
kommen  aus  Berlin  und  haben  sich  rasch  in  die 
hiesigen  Verhältnisse  eingelebt.  Hier  is  es  Ihnen 
immer  gut  gegangen,  mit  offenen  Armen  hat  man  — 

Füchsl:  Ich  kann  Ihnen  nur  sagen,  mit  solchen 
Dingen  is  nicht  zu  spassen.  Eine  Person  soll  in 
Rußland  gewesen  sein  und  nichts  zu  erzählen  haben 
von  ausgestandene  Leiden,  lächerlich,  eine  erst- 
klassige Künstlerin!  Ich  sag  Ihnen,  es  handelt  sich 
um  Ihre  Existenz! 

Elfriede  Ritter  (händeringend):  Aber  —  aber 
—  aber  —  Herr  Redakteur  —  ich  hab  ja  —  geglaubt  — 


103 


lieber  Doktor  —  bitte  bitte  lieber  Doktor  —  ich 
hab  ja  nur  —  die  Wahrheit  sagen  wollen  —  ent- 
scliuldigen  Sie  —  bitte  bitte  sehr  — 

Feigl  (wütend):  Die  Wahrheit  nennen  Sie  das? 
Und  wir  lügen  also? 

Eifriede  Ritter:  Das  heißt  —  pardon  —  ich 
hab  nämlich  —  geglaubt,  es  sei  die  Wahrheit  — 
wenn  Sie  aber  —  meine  Herren  —  glauben  —  daß 
es  —  nicht  die  Wahrheit  ist  —  Sie  sind  ja  Redakteure  — 
Sie  —  müssen  ja  —  das  —  besser  verstehn.  Wissen 
Sie  —  ich  als  Frau  hab  ja  auch  gar  nicht  mal  so 
den  rechten  —  Überblick,  nich  \vahr?  Mein  Gott  — 
Sie  vc^stehn  —  es  ist  doch  Krieg  —  unsereins  ist 
so  verschüchtert  —  man  ist  so  froh,  wenn  man  nur 
mit  heiler  Haut  aus  Feindesland  — 

Halberstam:  No  sehn  Sie,  wenn  Sie  sich 
erinnern  nach  und  nach  — 

Elfriede  Ritter:  Ach  Doktorchen  natürlich. 
Wissen  Sie,  die  erste  freudige  Aufwallung,  wieder 
in  eurem  geliebten  Wien  zu  sein  —  man  sieht  dann 
alles  rosiger,  was  man  überstanden  hat,  für'n 
iMomentchen  nur,  versteht  sich  —  dann  aber  — 
faßt  einen  wieder  Wut  und  Erbitterun;<  — 

Halberstam:  No  also,  sehn  Sic,  wir  haben 
vom  ersten  Moment  gewußt,  Sie  wem  — 

F  ü  c  h  s  1  (schreibt) :  Wut  und  Erbitterung  faßt  noch 
heute  die  Künstlerin,  wenn  sie  der  ausgestandenen 
Martern  gedenkt  und  sobald  die  erste  freudige 
Aufwallung,  wieder  in  der  Metropole  zu  sein,  den 
bösen  Erinnerungen  Platz  gemacht  hat  —  (sich  zu  ihr 
wendend)  No,  is  das  jetzt  wahr? 

Elfriede  Ritter:  Ja,  meine  Herren,  das  ist 
die  Wahrheit  —  wissen  Sie,  ich  war  noch  so  unter 
dem  Eindruck  —  man  ist  so  eingeschüchtert,  so  — 

Füchsl:  Warten  Sie  —  (schreibend)  Noch  ganz 
verschüchtert,  wagt  sie  es  nicht  davon  zu  sprechen. 
Im  Lande  der  Freiheit  erliegt  sie  noch  immer  zeitweise 
der  Suggestion,    in  Rußland  zu  sein,    dort,    wo  sie 


104 


den  Verzicht  auf  die  Rechte  der  Persönlichkeit,  freie 
Meinung  und  freie  Rede,  so  schimpflich  fühlen  mußte. 
(Sich  zu  ihr  wendend)  No,  is  das  jetzt  wahr? 

Elfriede  Ritter:  Nee,  Doktor,  wie  Sie  die 
geheimsten  Empfindungen  — 

Füchsl:  No  sehn  Sie! 

Halberstam:  No  also,  sie  gibt  zu,  sie  hat 
gelitten  — 

Fei  gl:  Sie  hat  ausgestanden! 

Füchsl:  Was  heißt  ausgestanden?  Wahre 
Martern  hat  sie  durchgemacht! 

Halberstam:  Also  was  brauchen  wir  da 
weiter,  gehn  wir,  wir  sind  doch  nicht  zu  unserm 
Vergnügen  da  — 

Füchsl:  Selbstredend,  den  Schluß  mach  ich 
in  der  Redaktion.  Also  —  eine  Berichtigung  haben 
wir  nicht  zu  befürchten?  Das  hätte  noch  gefehlt! 

ElfriedeRitter:  Aber  Doktor !  —  Na,  charmant 
war's,  daß  Sie  mich  besucht  haben.  Kommt  doch 
bald  wieder  —  Adieu,  adieu.  (Hinausrufend)  Grefe! 
Gre  —  te! 

Feigl:  Sie  is  wirklich  eine  vernünftige  Person. 
Grüß  Ihnen  ..Gott,  Freilein.  (Im  Abgehn  zu  den  andern) 
Sie  hat  das  Ärgste  überstanden  und  sie  hat  nicht 
den  iMut  es  jemandem  zu  sagen  —  nebbich ! 

(Elfiiedu  Rilter  sinkt  auf  einen  Stuhl  und  et  hebt  sich  dann,  um 
den  Koffer  auszupacken.) 

(Verwandlung.) 

15.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Es  ist  erhebend  und  rührend 
zugleich,  wie  sich  der  Patriotismus  jetzt  selbst  auf 
Firmentafeln  zur  Geltung  bringt,  ein  Umstand,  der 
mit  der  Erhöhung  der  Preise  aussöhnen  könnte. 


105 


Der  Nörgler:  Da  müßten  Sie  dem  Hotel 
Bristol  gegenüber  unversöhnlich  bleiben,  das  noch 
immer  so  heißt,  wiewohl  es  in  London  selbst  im 
Frieden  kein  Hotel  St.  Polten  gegeben  hat. 

DerOptimist:  Immerhin  hat  das  Hotel  Bristol 
durch  Verwandlung  seines  Grillroom  in  einen  Rost- 
raum bewiesen,  daß  es  den  Mut  und  die  Kraft 
aufbringt,  sich  auf  sich  selbst  zu  besinnen.  Und 
sehen  Sie,  hier  —  »Zur  Flotte«.  Wie  schlicht!  Es  ist 
ein  Wäschegeschäft,  das  bekanntlich  noch  vor  hurzem 
»Zur  Englischen  Flotte«  hieß.  (Der  Geschäftsinhaber  er- 
scheint in  der  Tür.) 

Der  Nörgler:  Ja,  aber  da  weiß  m.an  nicht  — 
warten  Sie,  ich  will  ihn  fragen,  welche  Flotte  er 
jetzt  eigentlich  im  Schilde  führt.  Vielleicht  läßt  er 
in  der  Verwirrung  etwas  vom  Hemdenpreis  nach. 
(Der  Geschäftsinhaber  zieht  sich  zurück.)  Es  ist  die  Öster- 
reichische! 

(Verwandlung.) 

16.  Szene 

Standort  des  Hauptquartiers.  Vier  Heerführer  (rcten  auf. 

Auffenberg:  Also  meine  Herren,  das  gibts 
nicht!  Ich  habe  nicht  die  Absicht,  ein  zweiter  Benedck 
zu  werden,  das  laß  ich  mir  einfach  nicht  gefallen  — 

Bruder  mann:  Aber  geh,  sei  net  zwider,  was 
soll  denn  unsereins  sagen.  Ich  hab  nur  achtzigtausend 
verloren  und  gegen  mich  fangen  s'  auch  schon  an 
zu  stierin. 

Dank! :  Mir  rechnen  s' die  sieberzigtausend nach. 

P  f  1  a  n  z  e  r-B  a  1 1  i  n :  Gar  net  ignorieren  I  Bei  mir 
wird  g'stürmt,  da  gibts  keine  Würschtel.  Morgen 
moch'  mr  an  Sturm,  sonst  sitz'  mr  in  der  Scheiß- 
gassen. I  bin  für  Sturm,  möcht  wissen,  wozu  die  Leut 
sonst  auf  der  Welt  sind  als  fürn  Heldentod !  Sturm 
moch   mr,  Sturm   moch  mr  —  (er  bekommt  einen  Anfall.) 


106 


Auffenberg:  Aber  geh,  aber  geh  —  ganz 
deiner  Ansicht.  Ich  war  immer  dafür,  daß  die 
Eigenen  frisch  draufgehn.  Bin  auch  schon  mitten 
drin  in  der  Vorarbeit.  I  sag,  nutzt's  nix,  so  schadt's 
nix.  Aber  richtig,  daß  ich  nicht  vergiß  —  der  Adjutant 
hat  mich  wieder  nicht  erinnert,  an  alles  muß  man 
rein  selber  denken  — 

Brudermann:  Was  hast  denn? 

Auffenberg:  Nix  —  zu  blöd  —  nämlich, 
also  ich  muß  ihm  doch  eine  Karten  schreiben. 
Seit  Lublin  nimm  ich  mirs  vor,  aber  in  dem  Durch- 
einander beim  Rückzug  hab  ich  richtig  total  drauf 
vergessen.  Einen  Augenblick!  (Er  setzt  sich  an  einen  Tisch 
und  schreibt.)  Na,  das  wird  ihn  doch  gfreun! 

Dan  kl:  Was  schreibst  denn  da? 

Auffenberg:  Horts  zu:  »In  dieser  Stunde«  — 

Pflanzer-Baltin:  Ah,  der  pulvert  die  Leut 
auf  —  dös  tur  i  net.  Mir  ham  Maschinengwehre  und 
Feldkuraten!  Morgen  moch  mr  an  Sturm  und  da  — 

Auffenberg:  »In  dieser  Stunde  — « 

Brudermann:    Schreibst    an'    Armeebefehl? 

Auffenberg:  Nein,  eine  Korrischpodenzkarten. 

Dankl:  An  wen  schreibst  denn  nacher  so 
welthistorisch? 

Auffenberg:  Horts  zu:  ^^In  dieser  Stunde, 
in  der  ich  sonst  in  Ihren  mir  so  trauten  Räumen 
saß,  denke  ich  an  Sie  und  Ihr  Personal  und 
sende  Ihnen  herzliche  Grüße  aus  fernem  Feldlager. 
Auffenberg.« 

Brudermann:  Wem  schreibst  denn?  Dem 
Krobatin  ? 

Auffenberg:  Aber  was  fallt  denn  dir  ein? 
Dem  Riedl! 

Alle:  Ah  dem  Riedl! 

Brudermann:  Der  Auffenberg  is  doch  ein 
Gemütsmensch.    Sixt  es,    das  gfreut   mich   von  dir. 


107 


Da  wem  s*  dich  nicht  mehr  mit  die  neunzig- 
tausend Tiroler  und  Salzburger  heanzen  können,  die 
du  geopfert  hast.  Geopfert  heißen  s'  dasi 

Pflanzer-Baltin:  Gar  net  ignorieren!  I  halt 
beim  Hunderter. 

Dankl:  Wißts,  was?  Schreiben  wir  alle  dem 
Riedl ! 

Bruder  mann:  No  ja,  ich  verkehr  eigentlich 
mehr  im  Opera  —  da  wer'  ich  lieber  —  (er  setzt  sich 
und  schreibt.) 

Pflanzer-Baltin :  Ich  bin  im  Heinrichshof 
wie  zuhaus,  da  wer'  ich  —    (er  setzt  sich  und  schreibt.) 

Dankl:  No  ja,  das  is  ja  wahr  —  wo  ich 
seidera  29  Jahr  im  Cafe  Stadtpark  ein-  und  ausgehn 
tu  —  jeden  Tag  les  ich  dort  mit'n  Höfer  zusammen 
den   Generalstabsbericht  —   (er  setzt  sicli  und  schreibt.) 

Auffenberg  (beiseite):  Alles  machen  s'  mir 
nach.  Zuerst  das  Strategische  und  jetztn  den  Verkehr 
mit'n  Hinterland.  Schad,  daß  der  Potiorek  net  da  is, 
aber  der  hat  mir  gestern  eine  Feldpostkartn  ausn 
Cafe  Kremser  gschrieben  und  der  Liborius  Frank 
sitzt  mit'n  Puhallo  v.  Brlog  beim  Scheid!.  Der  Conrad 
geht  auf  Freiersfüßen,  da  is  nix  mehr  mitn  Kafieehaus- 
leben.  Alles  machen  s'  mir  nach.  Ich  war  der  erste, 
der  in'  »Humoristen«  mein  Bild  hineingeben  hat, 
da  war  ich  bahnbrechend.  Das  war  doch  amal  eine 
Abwechslung  —  nicht  immer  nur  lauter  Theater- 
menscher. Jetzt  marschiern  s'  alle  auf,  nix  wie  Generäle, 
is  scho  fad,  höxte  Zeit,  daß  wieder  a  Mensch  erscheint. 
Ich  war  der  erste,  der  die  Presse  mehr  herangezogen 
hat  —  jetzt  hat  scho  jeder  sein  Schlieferl,  alles  nur 
wegen  der  Regiam.  Ich  bin  gespannt,  ob  der  Riedl 
so  viel  Geistesgegenwart  haben  wird,  die  Karten  ins 
Extrablatt  hineinzugeben.  Aber  richtig,  daß  ich  nicht 
vergiß,  auf  d'  Wochen  hammer  Sturm  und  da  muß 
ich  doch  —  du  Pflanzer  was  glaubst,  soll  ich  gleich 
an  Sturm  machn  oder  erst  auf  d'Wochen? 


108 


Pflanzer-Baltin:  Ich  will  dir  in  diesem 
Punkt  nichts  dreinreden,  aber  wenn  ich  an  deiner 
Stell  war,  ich  machet  dir  an  Sturm,  daß  — 

Brudermann:  Jetzt  wo  deine  Leut  eh  kaputt 
sind,  war  ich  auch  der  Meinung.  Zum  Retablieren 
is  immer  noch  Zeit.  Laß  s'  stürmen ! 

Dankl:  Lächerlich.  Er  soll  sich  das  lieber 
fürn  18.  August  aufheben,  wenn  er  schon  nicht  bis 
zum  2.  Dezember  warten  will.  Das  gibt  dann  immer 
eine  schöne  Überraschung. 

Pflanzer-Baltin:  Auf  solche  Liebedienerein 
laß  ich  mich  net  ein.  Bei  mir  wird  morgen  g'stürmt. 
da  gibts  keine  Wtirschtel! 

(Ein  Adjutant  Pflanzer-Baltins  tritt  ein.) 

Adjutant:  Exlenz  melde  gehorsamst,  die 
Professoren  san  scho  do  und  wolln  das  Ehrendoktorat 
tiberreichen. 

Pflanzer-Baltin:  Aha,  solln  warten  — 
wann's  schwer  is,  sollns  es  niederstelln  und  a  wengerl 
verschnaufen.  (Der  Adjutant  ab.) 

Auffenberg:  Also  kann  man  gratuliern? 
Von  welcher  Fakultät  is  's  denn? 

Pflanzer-Baltin:  Czernowitz. 

Bruder  mann:  Aber  geh,  das  is  doch  keine 
Falkultät,  sondern  nur  ein  Lehrstuhl.  Von  welchem 
Fach  ? 

Pflanzer -Baltin:  Philosophie  natürlich. 

Dankl:  Wo  rehabilitierst  dich  ? 

Pflanzer-Baltin:  Czernowitz.  's  haßt  net 
viel,  aber  schließlich  — 

B  r  u  d  e  r  m  a  n  n  :  Ich  hab  Aussichten  für  Graz, 
weil  die  dortige  Studentenschaft  in  meinen  Reihen 
gekämpft  hat.  Aber  leider  spießt  sichs,  weil  s'  aus  'n 
nämlichen  Grund  zuspirrn  wolln. 

Dankl:  Mir  könnts  bald  zum  Ehrendoktorat 
von  Innschbruck  gratuliern. 


109 


Auffenberg:  Ihr  seids  Provinzschauspielen 
Ich  würde  so  etwas  gar  nicht  annehmen!  Ich  sag: 
Wien  oder  nix.  Apropos  Wien,  der  Riedl  wird  eine 
Mordsfreud  haben!  Ich  darf  nicht  vergessen,  daß 
ich  den  Adjutanten  erinner,  daß  er  nicht  vergißt, 
er  soll  den  Kurier  erinnern,  sonst  vergißt  der  am 
End  und  laßt  mr  die  Kartn  fürn  Riedl  liegen ! 

Dankl,  Brudermann,  Pflanzer-Baltin: 
Das  is  eine  Idee,  das  mach  mr  auch,  durch'n  Kurier 
is  alleweil  am  sichersten. 

Auffenberg  (beiseite):  Alles  machen  s'  mir 
nach.  Zuerst  das  Strategische  und  jetztn  den  Verkehr 
mit'n  Hinterland! 

(Verwandlung.) 

17.  Szene 

Wien.  In  der  Kaffeesiedergenossenschaft.  Vier  Cafetiers,  darunter 
Riedl,  treten  auf.  Alle  reden  heftig  auf  ihn  ein. 

Der  erste:  Das  geht  nicht.  Riedl,  du  bist 
ein  Padriot  und  schlichter  Gewerbsmann,  du  darfst 
das  nicht  —  schau,  es  is  ja  nur  solang  der  Krieg 
dauert,  später  kriegst  es  ja  eh  wieder  zruck. 

Der  zweite:  Riedl,  mach  mich  nicht  schiach, 
du  komprimierst  den  ganzen  Stand,  dessen  Zierde 
du  heute  bist  —  du  mußt,  ob  du  wüllst  oder  nicht, 
du  mußt! 

Der  dritte:  Loßts  'n  gehn,  mir  folgt  er. 
Riedl,  sei  net  fad.  Bist  du  ein  Wiener?  No  alsterni 
Bist  du  ein  Deutscher?  No  alstern! 

Riedl:  Aber  schauts,  wie  schaut  denn  das 
nacher  aus  im  nächsten  Lehmann  —  immer  war  ich 
der,  der  was  am  meisten  Orden  im  Weichbild  Wiens 
g'habt  hat,  so  viel  wie  über  mich  steht  über 
keinen  drin  — 

Der  erste:  Riedl,  ich  kann  dir's  nachfühlen, 
daß  dir  das  schwer   fallt,   aber  du    mußt   ein  Opfer 


110 


bringen.  Riedl,  das  war  eine  Blamage,  das  war 
geradezu  Hochverrat,  wo  bei  dir  so  viele  Sciilachten- 
lenker  verkeliren  und  einer  gar  Stammgast  is! 

Der  zweite:  Schau,  wir  alle  bringen  Opfer 
in  dera  großen  Zeit,  ich  hab  sogar  den  Schwarzen 
statt  auf  vier  fufzig  bloß  auf  vier  vieravierzig  hinauf- 
gsetzt,  a  jeder  muß  heuntigentags  sein  Scherflein 
beitragen  — 

Der  dritte:  Lächerlich,  das  kann  ich  gar 
nicht  glauben,  daß  der  berühmte  Padriot  Riedl, 
der  Obmann,  der  Kommandant  von  die  Marine- 
Veteraner  —  hörts  mr  auf,  der  Tegethoff  drehert  sich 
im  Grab  um,  wann  er  das  erfahret.  Dös  glaub  i  net! 
Riedl,  du,  der  einzige  von  uns,  der  schon  bei  Leb- 
zeiten ein  Denkmal  hat  — 

Riedl:  Bitte  und  eins,  was  ich  mir  selber 
gsetzt  hab!  Ich  bin  nämlich  ein  Senfmadlmann 
durch  und  durch  —  an  meinem  eigenen  Haus, 
meiner  Seel  und  Gott,  jedesmal  wann  ich  z'haus 
komm,  hab  ich  eine  Freud  mit  dem  schönen  Relif! 

Der  erste:  Na  alstern,  hast  du  da  die 
Fletschen  von  unsere  Feind  nötig?  Alle  mußt 
ablegen  Riedl,  alle,  selbst  von  Montenegro,  und 
sogar  den  Orden  von  der  Befreiung  von  der 
Republik  Liberia ! 

Riedl:  Hörts  auf,  den  auch?  Speziell  der 
war  immer  mein  Stolz.  Schauts,  wo  ich  aufs  Jahr 
ohnedem  mich  mit  dem  Gedanken  trage,  zuiück- 
zutreten  —  nein,  es  ist  unmöglich ! 

Der  zweite:  Riedl,  du  mußt. 

Der   dritte:    Riedl,    es  bleibt  dir  nix  übrig. 

Riedl:  Am  End  den  Franzjosefsorden  auch  ? 

Der  erste:  Aber  im  Gegenteil,  den  kannst 
jetzt  im  Lehmann  fett  drucken  lassn ! 

Riedl  (kämpft  mit  sich,  dann  mit  großem  Entschluß): 
Alstern  gut  —  ich  will  es  tun !  Ich  weiß,  was  ich 
dem  Vaterlande  schuldig  bin.   Ich  verzichte  auf  die 


111 


Ehrungen,  die  mir  die  feindlichen  Regierungen 
erwiesen  haben,  die  Saubeuteln !  Ich  würde  nicht 
einmal   das  Geld   für   den   Klumpert   zrucknchmen! 

Alle  (durcheinander) :  Hoch  Riedl !  —  Das  is 
halt  doch  unser  Riedl !  —  Es  lebe  die  Wienerstadt 
und  unser  Riedl!  —  Der  Stephansturm  soll  leben 
und  unser  Riedl  daneben  !  —  Gott  strafe  England!  — 
Er  strafe  es!  —  Nieder  mit  Montenegro!  —  Schmeiß'n 
weg !  —  Der  Riedl  is  der  größte  Padriot ! 

Riedl  (sich  die  Stirn  wischend.) :  Ich  danke  euch  — 
ich  danke  euch  —  gleich  telephonier  ich  zhaus,  daß 
sie's  zum  Roten  Kreuz  hintragen.  Morgen  werds  ihr 
schon  lesen  können  —  (er  wird  nachdenklich)  Hier  steh 
ich,  ein  entleibter  Stamm. 

Der  zweite:  Schauts,  wie  gebildet  der 
Riedl  is,  jetzt  redt  er  sogar  schon  klassisch. 

Riedl:  Das  is  nicht  klassisch,  das  sagt 
immer  der  Doktor  vom  Extrablatt,  wenn  er  im 
Angehn   verliert.    Jetzt  —  (gebrochen)  verlier  — ■  ich! 

Der  dritte:  Nicht  traurig  sein,  Riedl!  Nicht 
traurig  sein !  Was  d'  jetzt  hergibst,  später  kriegst  es 
doppelt  und  dreifach  wieder  herein.  Und  vielleicht 
früher,  als  wie  du  glaubst. 

(Ein  Kellner  stürzt  in  das  Zimmer.) 

Der  Kellner:  Herr  von  Riedl,  Herr  von  Riedl, 
eine  Karten  is  kommen,  d'  Fräuln  Anna  hat  g'sagl, 
ich  soll  laufen  —  das  is  großartig  —  das  ganze 
Lokal  is  in  Aufregung  — 

Riedl:  Gib  her,  was  is  denn  —  (liest,  vor 
freudigem  Schreck  zitternd)  Meine  Herrn  —  in  dieser 
Stunde  —  es  is  ein  historischer  Augenblick  —  ich 
hab  als  Padriot  und  schlichter  Gewerbsmann,  wo 
ich  von  meinen  Mitbürgern  zahllose  ehrende  Beweise 
ihrer  Anhänglichkeit  —  indem  ich  als  Obmann  — 
aber  so  etwas  —  nein  —  schauts  her  — 

Alle:  Ja,  was  is  denn? 


112 


R  i  e  d  1 :  Mein  glorreichster  Stammgast  —  unser 
erstklassigster  Schlachtenlenker  —  hat  —  während  der 
Schlacht  —  an  mich  —  gedacht !  Halts  mich !  Das 
muß  ich  —  dem  —  Extrablatt  — 

(Alle  halten  ihn  und  lesen.) 

Der  erste:  No  geh,  ich  hab  weiß  Gott  was 
glaubt.  Was  der  für  G'schichten  macht!  Ich  hab 
gestern  eine  Karten  vom  Brudermann  kriegt  — 
(zieht  sie  aus  der  Tasche.) 

Riedl:  Hör  auf,  das  is  mir  peinlich  — 

Der  zweite:  No  hörts,  was  is  denn  da  dabei, 
ihr  seids  ja  narrisch  —  mich  touchiert  so  etwas 
nicht.  Ich  hab  nämlich  vorgestern  vom  Pflanzer- 
Baltin  —  (zieht  sie  aus  der  Tasche.) 

Der  dritte:  Ihr  bildts  euch  alle  an  Patzen 
ein.  Ich  hab  zufällig  schon  vorige  Wochen  vom 
Dankl  —  (zieht  sie  aus  der  Tasche.) 

Alle  drei  (lesen  gleichzeitig  vor):  In  dieser  Stunde, 
in  der  ich  sonst  in  Ihren  mir  so  trauten  Räumen 
saß,  denke  ich  an  Sie  und  Ihr  Personal  und 
sende  Ihnen  herzliche  Grüße  aus  fernem  Feldlager. 
Dankl — Pflanzer— Brudermann. 

Riedl  (ausbrechend) :    Das    gibts    nicht !    Das  is 

ein     Plagat !     Ein    Plagat    is    das !     A    Schwindel  I 

Ihr  seids  Flohbeutln   gegen   mich.   Ich  laß  mir  das 

net  gfallen !    Vorläufig    hab    ich    noch    kan    Orden 

zruckg'legt,  fallt  mr  gar  net  ein,  und  wenn  mir  der 

Auffenberg   das   nicht   sofort   aufklärt  —  behalt  ich 

sie  alle!  ,.,         ,,       > 

(Verwandlung.) 

18.  Szene 

In  der  Wiener  Deutschmeisterkaserne. 

(Ein  elegant  gekleideter  Herr,   etwa  40  Jahre,  wartet  in  einem 

schmutzigen  Raum,  in  dem  kein  Sessel  ist.  Feldwebe!  Weiguny 

tritt  ein.) 

Der  Herr:  Entschi^ldigen  Sie  —  Herr  Feld- 
webel —  könnten  Sie  mir  —  vielleicht  sagen  —  ich 
steh  nämlich  jetzt  drei  Stunden  hier   —   und   kein 


113 


Mensch  kommt  —  ich  habe  nämlich  einen  C-Befund  — 
ich  habe  mich  freiwillig  vor  dem  Einrückungstermin 
gemeldet,  damit  ich  eine  Kanzleiarbeil  zugewiesen 
bekomm  —  und  da  hat  man  mir  gesagt,  ich  soll 
gleich  —  dableiben  —  aber  ich  muß  doch  — 

Der  Feldwebel:  Mäul  halten! 

Der  Herr:  Ja  —  bitte  —  aber  also  ich  möchte 

—  ich  muß  —  also  bitte  wenigstens  —  meine  Familie 
verständigen  —  und  ich  kann  doch  nicht  so  wie  ich 
bin  —  ich  brauche  also  doch  —  also  meine  Sachen  zum 
Waschen  —  eine  Zahnbürste,  eine  Decke  und  so  — - 

Der  Feldwebel:  Mäul  halten! 

Der  Herr:  Aber  —  bitte  —  entschuldigen  Sie 

—  ich  habe  mich  doch  gemeldet  —  ich  hab  doch 
nicht  gewußt  —  ich  muß  doch  — 

Der  Feldwebel:  Blader  Flund,  wannst  jetzt 
no  a  Wort  redtst,  nachcr  schmier  i  dr  a  Foizen 
eini,  daß  d'  — 

(Der  Herr  zieht  eine  Zehnkronennote  aus  der  Westentasche  und 
hält  sie  dem  Feldwebel  hin.) 

Der  Feldwebel:  Alstern  —  schaunS'gnäHerr — 
zhaus  derf  i  Sie  wirkli  net  lassen,  dös  geht  net,  aber 
wann  S'  a  Decken  haben  wollen  —  die  verschaff  i  Ihna. 
(Er  verläßt  den  Raum.) 

(Ein  Kadett  tritt  aus  dem  Nebenraum.) 

Der  Kadett:  Was?  Du  bist  der,  der  den 
Disput  mit'n  Feldwebel  g'habt  hat?  Servus,  kennst 
mich  nicht  mehr?  Wögerer,  Athletikklub  — 

Der  Herr:  Ja  richtig! 

Der  Kadett:  Hast  an  C-Befund,  gelt?  —  Du 
hör  anial,  wie  kannst  denn  du  dich  als  intelligenter 
Mensch  mit'n  Feldwebel  einlassen? 

Der  Herr:  Ja  was  soll  ich  denn  machen? 
ich  steh  jetzt  drei  Stunden  da.  Ich  muß  doch 
nachhaus  —  meine  Leute  haben  keine  Ahnung  — 
ich  hab  mich  freiwillig  gemeldet  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  8 


114 


Der  Kadett:  Na  da  bist  schön  hineinpumpst. 
Wer  hat  dir  denn  den  Rat  geben?  Aber  wenn  du 
nachhaus  willst,  kannst  natürlich  gehn. 

Der  Herr:  Ja  aber  wie  macht  man  denn  das? 

Der  Kadett:  Lächerlich,  du  bist  doch  ein 
besserer  Mensch  —  ich  hilf  dir  —  du  machst  das  so  — 
also  du  gehst  zum  Hauptmann  — 

Der  Herr:  Was,  der  läßt  mich  nachhaus? 

Der  Kadett:  Sonst  also  natürlich  nicht,  der 
is  sehr  streng,  aber  du  mußt  ihm  ganz  einfach  sagen, 
weißt  aber  ganz  direkt,  ohne  Genierer,  schneidig 
(er  salutiert)  Herr  Hauptmann,  melde  gehorsamst,  i 
muaß  zu  an  Madl!  —  Paß  auf,  drauf  sagt  der 
Hauptmann,  wett'n,  daß  er  das  sagt:  Was,  zu  an 
Madl  müssen  S'?  Fahrn  S'  ab,  Sie  Schweinkerl!  — 
No  und  nacher  kannst  gehn! 

(Verwandlung.) 

19.  Szene 

Kriegsfürsorgeamt. 

Hugov.  Hofmannsthal  (blickt  in  eine  Zeitung): 
Ah,  ein  offener  Brief  an  mich?  —  Das  is  lieb  vom 
Bahr,  daß  er  in  dieser  grauslichen  Zeit  nicht  auf  mich 
vergessen  hat!  (Er  liest  vor.)  »Gruß  an  Hofmannsthal. 
Ich  weiß  nur,  daß  Sie  in  Waffen  sind,  lieber  Hugo, 
doch  niemand  kann  mir  sagen,  wo.  So  will  ich 
Ihnen  durch  die  Zeitung  schreiben.  Vielleicht  weht's 
der  liebe  Wind  an  Ihr  Wachtfeuer  und  grüßt  Sie 
schön  von  mir  — «    (F.r  bricht  die  Vorlesung  ab.) 

Ein  Zyniker:  No  —  lies  nur  weiter!  Schön 
schreibt  er  der  Bahr! 

Hofmannsthal  (zerknüllt  die  Zeitung):  Der  Bahr 
is  doch  grauslich  — 

Der  Zyniker:  Was  hast  denn?  (Nimmt  die  Zeitung 
und  liest  bruchstückweise  vor)  »Jeder  Deutsche,  daheim 
oder  im  Feld,  trägt  jetzt  die  Uniform.  Das  ist  das 
ungeheure  Glück  dieses  Augenblicks.   Mög   es   uns 


115 


Gott  erhalten! Es  ist  der  alte  Weg,  den  schon 

das  Nibelungenlied  ging,  und  Minnesang  und  Meister- 
sang, unsere  Mystik  und  unser  deutsches  Barock, 
Klopstock  und  Herder,    Goethe  und  Schiller,    Kant 

und  Ficlite,  Bach,  Beethoven,  Wagner. Glückauf, 

lieber  Leutnant  — « 

Hofmannsthal:  Hör  auf! 

Der  Zyniker  (liest):  »Ich  weiß,  Sie  sind  froh, 
Sie  fühlen  das  Glück,  dabei  zu  sein.  Es  gibt  kein 
größeres.« 

Hofmannsthal:  Du,  wenn  du  jetzt  nicht 
aufhörst  — 

Der  Zyniker  (liest):  »Und  das  wollen  wir  uns 
jetzt  merken  für  alle  Zeit:  es  gilt,  dabei  zu  sein.  Und 
wollen  dafür  sorgen,  daß  wir  hinfort  immer  etwas 
haben  sollen,  wobei  man  sein  kann.  Dann  wären 
wir  am  Ziel  des  deutschen  Wegs,  und  Minnesang 
und  Meistersang,  Herr  Walter  von  der  Vogelweide 
und  Hans  Sachs,  Eckhart  und  Tauler,  Mystik  und 
Barock,  Klopstock  und  Herder,  Goethe  und  Schiller, 
Kant  und  Fichte,  Beethoven  und  Wagner  wären 
dann  erfüllt.  — «  Wie  hängen  denn  die  mit  dir 
zusammen?  Ah,  er  meint  vielleicht,  daß  sie  enthoben 
sind.  »Und  das  hat  unserem  armen  Geschlecht  der 
große  Gott  beschert!*  Gott  sei  Dank!  — (liest)  »Nun 
müßt  ihr  aber  doch  bald  in  Warschau  sein!« 

Hofmannsthal:  Aufhören ! ! 

Der  Zyniker:  »Da  gehen  Sie  nur  gleich  auf 
unser  Konsulat  und  fragen  nach,  ob  der  österreichisch- 
ungarische  Generalkonsul  noch  dort  ist:  Leopold 
Andrian.«  (Er  bekommt  einen  Lachkrampf.) 

Hofmannsthal:  Was  lachst  denn? 

Der  Zyniker:  Der  is  wahrscheinlich  nach 
Kriegsausbruch  in  Warschau  geblieben,  um  den 
einziehenden  Truppen  das  Paßvisum  auszustellen  — 
das  is  ja  im  Krieg  unerläßlich  —  sonst  können  s' 
nicht  nach  Rußland!  (liest)  »Und  wenn  ihr  so  vergnügt 
beisammen  seid,  und  während  draußen  die  Trommeln 


116 


schlagen,  der  Poldi  durchs  Zimmer  stapft  und  mit 
seiner  heißen  dunklen  Stimme  Baudelaire  deklamiert, 
vergeßt  mich  nicht,  ich  denk  an  euch!  Es  geht  euch 
ja  so  gut  — « 

Hofmannsthal:  Hör  auf! 

Der  Zyniker:  » —  und  es  muß  einem  ja  da 
doch  auch  schrecklich  viel  einfallen,  nicht?  — « 
Was  dem  alles  einfallt! 

Hofmannsthal:  Laß  mich  in  Ruh! 

Der  Zyniker:  Du  kommst  doch  sowieso  bald 
nach  Warschau?  Auf  Propaganda,  mein'  ich  oder  so. 
Wirst  wieder  deinen  Hindenburg- Vortrag  halten? 

Hofmannsthal:  Ich  sag  dir,  laß  mich  in  Ruh  — 

Der  Zyniker:  Du,  eine  Kälten  hats  heut 
wieder  —  ich  muß  doch  läuten,  daß  er  das  Wacht- 
feuer nachlegen  kommt. 

Hofmannsthal:  Also  das  is  eine  Gemeinheit  — 
du  —  pflanz  wen  andern,  laß  mich  arbeiten! 

(Der  Poldi  triU  ein.) 

Der  Poldi  (heiße,  dunkle  Stimme):  Gu'n  Tog,  du 
Hugerl  v/eißt  nix  vom  Bohr? 

(Hofmannsthal  hält  sich  die  Ohren  zu.) 

Der  Zyniker:  Habe  die  Ehre,  Herr  Baron, 
Sie  kommen  wie  gerufen. 

Der  Poldi:  Du  Hugerl  is  wohr  daß  der  Bohr 
in  dem  Johr  noch  nicht  do  wor  oder  is  er  gor 
eingrückt? 

Der  Zyniker:  Was,  der  auch? 

Hof  mann  st  hal:  Du  der  Mensch  is  zu 
grauslich  —  komm,  gehn  wir  da  hinein  — 

Der  Poldi:  Du  Hugerl,  der  Baudelaire  is  ganz 
gscheidt,  ich  trog  dir  ein  poor  Soeben  vor. 

Hofmannsthal:  Und  ich  zeig  dir  meinen 
Prinz  Eugen! 

Der  Poldi:  Wunderbor! 

(Vervc-andlung.) 


117 


20.  Szene 

Bukowinaer  Front.    Bei  einem  Kommando. 
Die  Oberleutnants  Fallota  und  Beinsteller  treten  auf. 

Fallota:  Weißt  also,  gestern  hab  ich  mir 
eine  fesche  Polin  aufzwickt  —  also  tulli!  Schad,  daß 
man  sie  nicht  in  das  Gruppenbild  hereinnehmen  kann, 
was  wir  der  Muskete  schicken. 

Beinsteller:  Aha,  ein  Mägdulein!  —  Du,  der 
Feldkurat  soll  fürs  Intressante  photographiert  wem, 
zu  Pferd,  wie  er  einem  Sterbenden  das  Sakrament  gibt. 
Das  wird  sich  ja  leicht  machen  lassen,  kann  zur  Not 
auch  gstellt  wern,  weißt  soll  sich  ein  Kerl  hinlegen 
und  dann  hat  die  Redaktion  noch  ersucht,  sie  brauchen 
ein  Gebet  am  Soldatengrab,  na  das  geht  ja  immer. 

Fallota:  Du,  ich  hab  dir  gestern  eine  Auf- 
nahme gemacht,  die  aber  schon  sehr  in^ressant  is.  Ein 
sterbender  Russ,  ein  Schanerbild,  mit  an  Kopfschuß, 
ganz  nach  der  Natur.  Weißt,  er  hat  noch  auf  den 
Apparat  starren  können.  Du,  der  hat  dir  einen  Blick 
gehabt,  weißt,  das  war  wie  gstellt,  prima,  glaubst 
daß  das  was  fürs  Intressante  is,   daß  sie's  nehmen? 

Beinsteller:  No  und  ob,  zahlen  auch  noch. 

Fallota:  Glaubst?  Du,  richtig,  also  hast  was 
versäumt,  der  Korpral  is  dir  gestern  ohnmächtig 
worn,  wie  er  den  Spion,  weißt  den  ruthenischen 
Pfarrer,  bei  der  Hinrichtung  für  den  Sascha-Film 
ghalten  hat,  schad  daß  du  nicht  dabei  warst. 

Beinsteller:  No  was  hast  mit  dem  Kerl  gmacht? 

Fallota:  No  anbinden  naturgemäß.  Wer'  ihn 
doch  nicht  einspirrn,  wir  leben  ja  nicht  im  Frieden  — 
einspirrn,  das  möcht  so  den  Kerlen  schmecken. 

Beinsteller:  Weißt,  ich  versteh  die  Russen 
nicht.  Die  Gefangenen  erzählen  dir  nämlich,  daß  es 
bei  denen  überhaupt    keine    solchene   Strafen    gibt! 

Fallota:  Hör  mr  auf  mit  der  Schklavennation! 
Hast  schon  das  Gedicht  vom  Kappus  glesen?  In 
Fers  und  sogar  gereimt! 


118 


Beinsteller:  No  überhaupt,  die  Muskete  is 
jetzt  zum  Kugeln  —  der  Schönpflug  — 

Fallota:  Was,  das  is  ganz  was  Andreas!  Du 
ich  schick  ihr  einen  Witz  —  Du,  weißt  was,  ich  fang 
jetzt  an  ein  Tagebuch,  da  wird  alles  drin  stehn,  was 
ich  erlebt  hab.  Vorgestern  vom  Mullatschak  ange- 
fangen. Eine  fesche  Polin,  sag  ich  dir,  aber  schon 
sehr    fesch    —  (macht  eine  Geste,  die  auf  Fülle  weist.) 

Beinsteller:  Aha,  einen  Busam  —  no  ja 
du  erlebst  was,  weißt  ich  interessier  mich  mehr  für 
die  Bildung.  Ich  lies  viel.  Jetzt  bin  ich  bald  mit'n 
Engelhorn  fertig.  Früher  v/ie  ich  unten  war  —  da  is 
auch  viel  mullattiert  worn.  Bißl  Musik,  ja.  Mir  ham 
jetzt  ein  Grammophon  aus'n  Schloß.  Da  könntest 
du  mir  deine  Polin  leihn,  daß  sie  dazu  tanzt. 

Fallota:  W^eißt  wer  auch  schon  viel  erlebt 
haben  muß  heraußt?  Der  Nowak  von  die  Vierzehner, 
das  war  dir  immer  ein  Hauptkerl.  Wenn  der  nicht 
seine  sechzig  Schuß  täglich  am  Gwehr  angschrieben 
hat,  wird  er  schiech  auf  die  Eigenen.  Der  Pühringer 
hat  mir  neulich  eine  Karten  gschrieben,  also  der 
Nowak  sieht  dir  einen  alten  serbischen  Bauern 
drüben  von  der  Drina  Wasser  holen.  No  weißt, 
Gefechtspause  war  grad,  sagt  er  zum  Pühringer,  du, 
sagt  er,  schau  dir  den  dort  drüben  an,  legt  dir  an, 
bumsti,  hat  ihm  schon.  Ein  Mordskerl  der  Nowak. 
Schießt  alle  ab.  Er  is  auch  schon  eingegeben  fürn 
Kronenorden. 

Beinsteller:  Klassikaner !  Die  Friedenspimpfe 
verstehn  so  was  natürlich  nicht.  Weißt,  neugierig 
bin  ich  wie  sich  der  Scharinger  herauswuzeln  wird 
aus  der  blöden  Gschicht,  hast  nix  ghört? 

Fallota:  Weil  er  sich  beim  Sturm  druckt  hat? 

Beinsteller:  Aber  erlaub  du  mir,  da  wird 
man  doch  nicht  einen  Berufs  — 

Fallota:  Ah  ja  so,  da  war  eine  Gschicht,  er 
hat  den  Koch,  weil  was  anbrennt  war,  in  die 
Schwarmlini  — 


119 


Beinsteller:  Aber  nein,  wegen  an  Mantel  — 
weißt  denn  nicht,  er  is  doch  damals  einzogen  wo 
vorher  der  Oberst,  der  Kratochwila  von  Schlachtentreu 
gwohnt  hat,  no  und  da  hat  er  halt  an  Mantel  von 
ihm  mitgehn  lassen,  der  dort  noch  glegen  is,  nacher 
wie  er  wieder  weg  is.  Weißt  denn  nicht?  Also  laß  dr 
erzählen.  Der  Oberst  trifft  ihm  und  sieht  den  Mantel, 
eingepackt.  Der  Scharinger  redet  sich  aus,  er  sagt, 
er  hat  geglaubt,  es  is  ein  Mantel  vom  Feind,  der  ihn 
aus'n  Schloß  genommen  hat,  und  er  will  ihn  grad 
zurückgeben.  Ergo  dessen  —  no  du  kannst  dir  die 
Sauerei  vorstellen.  No  wird  sich  schon  herauswuzeln. 

Fallota:  Ich  versteh  das  nicht  —  alleweil  mit 
so  was.  Ich  hab  bisher  noch  keine  Schererein  ghabt 
mit  so  was.  Wenns  Beutestück  sind  —  also  dann 
natürlich!  No  überhaupt  damals!  Der  Josef  Ferdinand 
selber  hat  sich  a  schönes  Gspann  gnommen  und 
Paramenten,  weißt  er  is  halt  bekanntlich  kunstsinnig 
du  und  Schmuckgegenständ  und  so.  Weißt  ich  hab 
auch  paar  feine  Sacherln  kriegt  damals  —  da  hab 
ich  dir  gleich  einen  Spurius  gehabt  —  no  und 
richtig  —  also  du  ein  Klavier,  da  muß  man  schon 
lulli  sagn. 

Beinsteller:  No  da  legst  di  nieder. 

Fallota:  No  was  willst  haben,  die  Generalin  hat 
Wäsche  und  Kleider  aus  der  Einquartierung  genommen, 
no  nur  zu  eigenem  Gebrauch  natürlich,  weißt  die 
Tochter  kriegt  eh  dicAusstatiung  durchs  KM.  Das  waren 
halt  Zeiten.  Da  hams  Getreide  und  Viecher  mitgehn 
lassen  und  halt  sonst  so  Sachen,  was  man  braucht. 
Und  a  Hetz  hats  immer  geben,  Bastonnaden  und  so. 
Alles  mit  Schampus.  Aber  jetzt  is  stier.  Ich  kann  nicht 
sagen,  daß  es  mich  grad  freut  hier  heraußt,  abgsehn 
von  die  Menscher. 

Beinsteller:  Mir  scheint,  jetzt  hams  v/ieder 
ein  Gusto  auf  ein  Sturm,  das  is  wenigstens  a 
Abwechslung. 


120 


Faüota:  Beim  letzten  wars  zu  blöd.  2000  Ver- 
wundete, 600  Tote  —  weißt  ich  bin  nicht  sentimental 
und  bin  immer  dafür,  daß  gearbeitet  wird  — 

Beinsteller:  War  mir  auch  ein  Schleier. 

Fallota:  Nicht  ein  Grabenstückl,  nur  ftirn 
Bericht.  Vier  Wochen  sind  die  Leut  glegen  — 

Beinsteller:  Eben  darum.  Da  hams  wieder 
austarokiert  oben.  Lass  mas  amal  stürmen,  heißt's 
da.  Wenn  die  Mannschaft  anfangt,  mit'n  Dörr- 
gemüse unzufrieden  z'werden,  laßt  mas  stürmen. 
Schon  damit  s'  nicht  aus  der  Übung  kommen.  Der 
Blade  sagt  nachher:  Schauts,  is  das  a  Resultat?  Ah 
was,  hat's  gheißen,  die  Leut  haben  sonst  eh  nix 
anderes  zu  tun.  Aber  die  höhere  Strategie  is  das 
nicht,  das  muß  ich  schon  sagen,  wiewohl  ich  doch 
gewiß  nicht  zu  die  Zimperlichen  gehör!  Aber  ich  sag, 
wenns  nicht  sein  muß  —  sparen  mit'n  Menschen- 
material. So  —  erst  verpulvern  s'  die  ausgebildeten 
Leut,  nacher  schicken  sie  s'  frisch  von  der  Musterung. 
So  Krepirln,  was  eine  Handgranaten  nicht  von  an 
Dreckhäufl  unterscheiden  können.  Is  das  ein  Ghörtsich? 

Fallota:  Na  ja,  damit  tegeln  s'  sich  beim 
Pflanzer  ein. 

Beinsteller:  Na  servus,  der  Oberst  is  fuchtig, 
wenn  bei  an  Rückzug  zu  viel  am  Leben  bleiben.  Was? 
hat  er  eine  Kompagnie  angschrieen,  warum  wollts 
ihr  nicht  krepiern?  System  Pflanzer  Baldhin,  sagen  s' 
beim  Böhm-Ermolli. 

Fallota:  Neulich  war  a  Hetz  mit  die  Verwundeten. 
No  ja,  wer  hat  denken  können,  daß  das  solche 
Dimensionen  annehmen  wird,  waren  halt  nicht  genug 
Sanitätswagen.  Weißt,  die  Autos  waren  halt  alle  in 
der  Stadt  mit  die  Generäle,  ins  Theatei  und  so. 
Da  hams  hineintelephoniert,  aber  herauskommen  is 
keins.  No  da  war  dir  ein  Durcheinander! 

Beinsteller:  Mit  die  Verwundeten  is  immer 
eine  Schererei. 


121 


Fallüta:  Auf  die  Eigenen  sollten  s'  halt  doch 
mehr  schaun  bei  uns.  Eher  versteh  ich  noch,  daß 
man  die  Bevölkerung  zwickt,  aber  Truppen  braucht 
man  doch  schließlich.  In  dem  Monat  hamr  zweihundert- 
vierzig Todesurteil  gegen  Zivilisten  ghabt,  stantape 
vollzogen,  das  geht  jetzt  wie  gschmiert. 

Beinsteller:  Warens  p.  v.? 

Fallota:  Halbscheit  p.  u. 

Beinsteller:  Was  war? 

Fallota:  No  Umtriebe  hams  halt  gmacht  und  so. 

Beinsteller:  Geh. 

Fallota:  Weißt,  ich  bin  nicht  fürs  Standrecht, 
das  is  so  a  verbohrte  juristische  Spitzfindigkeit  — 
immer  mit  die  blöden  Schreiberein:  Zu  vollziehen! 
Vollzogen!  Hast  du  schon  amal  an  Akt  glesen,  ich 
nicht.  Wenn  ich  mir  meinen  Sabul  umgürte,  brauch 
ich  so  was  nicht. 

Beinsteller:  Bei  die  Exekutionen  soll  man 
auch  noch  dabei  sein! 

Fallota:  No  im  Anfang  hat  mich  das  sogar 
interessiert.  Aber  jetzt,  wenn  ich  grad  bei  einer 
Partie  bin,  schick  ich  'n  Fähnrich.  Man  hört's  eh 
ins  Zimmer  herein.  Jetzt  hamr  a  paar  gute  Juristen 
aus  vVien.  Aber  es  is  doch  eine  Viechsarbeit.  Ich 
bin  eingegeben  fürs  Verdienstkreuz. 

Beinsteller:  Gratuliere.  Du,  wie  gehts  denn 
dem  Floderer?  Schießt  der  noch  immer  auf  die 
Eigenen? 

Fallota:  Aber!  Vor  einem  Jahr  hams  bei 
ihm  Paralyse  konschtatiert  —  nutzt  nix.  Immer 
schicken  s'  ihn  weg,  immer  kommt  er  zrück.  Wie 
er  das  macht,  is  mir  ein  Schleier.  Neulich  hat  er  ein' 
Feldwebel,  den  was  der  Leutnant  um  Munition  schickt, 
abgschossen,  weil  er  sich  eingebildet  hat,  der  Kerl  geht 
zrück.  Hat  ihn  gar  nicht  gfragt,  bumsti,  hin  war  er. 

Beinsteller:  Einer  mehr  oder  weniger.  Du 
überhaupt,  wenn  man  jetzt  ein  Jahr  bei  dem  Gschäft 
is  —  ich  sag  dir,  tot,  das  is  gar  nix.  Aber  mit  die 


122 


Verwundeten,  das  is  eine  rechte  Schererei.  Aufs 
Jahr,  wenn  der  Frieden  kommt,  wirds  nur  Werkel- 
männer geben,  ich  haH  mr  jetzt  schon  die  Ohren  zu. 
Was  wird  man  mit  die  Leut  anfangen?  Verwundet  — 
das  is  so  eine  haibete  Gschicht,  Ich  sag:  Heldentod 
oder  nix,  sonst  hat  man  sich's  selber  zuzuschreiben. 

Faliota:  Mit  die  Blinden  is  gar  z'wider.  Die 
tappen  sich  so  komisch  herum.  Neulich  wie  ich 
vom  Urlaub  fahr,  komm  ich  in  eine  Station  und 
komm  grad  dazu,  wie  Mannschaft  einen  herumstößt 
und  lacht  und  macht  Hetzen. 

Beinsteller:  No  was  willst —  hättst  sehn  solln 
wie  der  Divisionär  neulich  einen  Zitterer  pflanzt  hat. 

Faliota:  No  ja,  einen  feinfühligen  Menschen 
stiert  so  was,  aber  v/eißt,  was  ich  in  solchen  Fällen 
denk?  Krieg  is  Krieg,  denk  ich  halt  in  solchen  Fällen. 

Beinsteller:  Du,  was  macht  dein  Bursch? 
Wie  alt  is  der  jetzt? 

Faliota:  Grad  48.  Gestern  hat  er  zum 
Geburtstag  a  Watschen  kriegt. 

Bei n steller:  Was  is  der  eigentlich? 

Faliota:    No  Komponist  oder  so   Philosoph. 

Beinsteller:  Du,  der  Mayerhofer  war  vorige 
Wochen  in  Teschen.  Der  Gottsöberste  geht  jetzt  dort 
auf  der  Straßen,  weißt  wie?  Mit'n  Marschallsstab 
spaziert  er  herum. 

Faliota:  Wenn  er  aufs  Häusl  geht,  nimmt 
er'n  auch  mit? 

Beinsteller:  Jetzt  hat  er  vom  Willi  noch 
einen  kriegt,  vielleicht  geht  er  jetzt  mit  beide. 

Faliota:  Jögerl,  das  schaut  dann  aus  wie 
Krücken ! 

Beinsteller:  Weißt,  die  dicke  Jüdin  aus  Wien 
stiefelt  dort  wieder  herum,  die  einflußreiche  Egeria  — 
wenn  sich  da  was  machen  ließe,  v/är  nicht  schlecht  — 

Faliota:  Dir  graust  vor  gar  nix.  No  weißt  —  ich 
war  auch  schon  froh,  wenn  ich  wieder  in  der  Gartenbau 
abends  sein  könnt  und  vorher  an  der  Potenz  ecken. 


i 


123 


Beinsieller:  Was?  Die  Gartenbau?  Damit 
wird  sich's  spieben! 

Fallota:  Wieso? 

Beinsteller:  No  warst  also  jetzt  in  Wien  und 
weißt  nicht,  daß  jetzt  ein  Spital  dort  is? 

Fallota:  Ja  richtig!  (versunken)  ja  natürlich  — 
no  du  aber  hier  bin  ich  auch  nicht  schlecht  ein- 
gerichtet. Du  jetzt  hab  ich  dir  wieder  a  Klavier  und 
a  Tischlampen  — 

Beinsteller:  Tischlampen,  der  Schlampen, 
das  Schlampen. 

Fallota:    Du  mir  sclieint,   ein  Regen   kommt. 

Beinsteiler  (sieht  hinauf):  Ah,  sie  regnet! 
Gehmr. 

Fallota:  Hast  nix  vorn  Doderer  ghört?  Der  hat 
dir  ein  Mordsglück. 

BeinsteFler:  Ja,  der  war  dir  immer  ein 
Feschak. 

Fallota:  Ein  Feschak  is  er,  das  is  Wcihr. 
Aber  ein  Tachinierer,  ujeh! 

(Vcrvc'andlung.) 

21.  Szene 

Ein    Schiachtfeld.    Alan   sieht   nichts.    Im  fernen  Hintergrund 

hin  und  wieder  Rauchentwicklung.  Zwei  Kriegsberichterstatter 

mit  Breeches,  Feldstecher,  Kodak. 

Der  erste:  Schämen  Sie  sich,  Sie  sind  kein 
Mann  der  Tat,  schaun  Sie  mich  an,  ich  hab  den 
Balkankrieg  mitgemacht  und  mir  is  gar  nichts 
geschehn!  (Duckt  sich.) 

Der  zweite:  Was  is  geschehn,  ich  geh  um 
keinen  Preis  weiter. 

Der  erste:  Nichts.  Das  sind  Einschläge. 
(Duckt  sich.) 

Der  zweite:  Gotteswillen,  was  war  das  jetzt? 
(Dickt  sich.) 


124 


D  e  r  e  r  s  t  e :  Ein  Blindgänger,  nicht  der  Rede  wert. 

Der  zweite:  Jü,  ein  Blindgänger,  Gott! 
Nein,  so  hab  ich  mir  das  nicht  vorgestellt. 

Der  erste:  Nehmen  Sie  Deckung. 

Der  zweite:  Was  soll  ich  nehmen? 

Der  erste:  Deckung!  Geben  Sie  den  Feld- 
stecher her. 

Der  zweite:  Was  bemerken  Sie? 

Der  erste:  Herbstzeitlosen.  Das  erinnert 
mich  an  den  Balkankrieg.  Die  Stimmung  hätt  ich. 
(Er  lauscht.) 

Der  zweite:  Was  hören  Sie? 

Der  erste:  Raben.  Sie  krächzen  als  ob  sie 
witterten  die  Beute.  Ganz  wie  im  Balkankiieg.  Und 
es  iockt  die  Gefahr. 

Der  zweite:  Gehmr. 

Der  erste:  Sie  Feigling!  Und  es  lockt  die 
Gefahr.  (Ein  Schuß.)  Um  Gotteswillen !  Sind  dort  nicht 
unsere  Leute? 

Der  zweite:  Vom  Preßquartier? 

Der  erste:  Nein,  die  Eigenen. 

0er  zweite:  Mir  scheint  ja. 

Der  erste:  Sind  brave  Bursche.  Dachte  keiner 
an  seine  Lieben,  dachte  jeder  nur  an  den  Feind. 
Was  liegt  dort? 

Der  zweite:  Nichts,  italienische  Leichen,  die 
vor  unseren  Stellungen  liegen. 

Der  erste:  Moment!  (Er  photographiert.)  Nichts 
erinnert  daran,  daß  man  im  Krieg  ist.  Nichts  sieht 
man,  was  an  Elend,  Not,  Mühsal  und  Greuel  gemahnt. 

Der  zweite:  Moment!  Ich  spüre  jetzt  den 
Atem  des  Krieges.  (Ein  Schuß.)  Gehmr. 

Der  erste:  Das  war  nichts.  Die  Affäre  stellt 
sich  als  ein  Vorpostengefecht  dar. 

Der  zweite:  Warn  wir  in  Villach  geblieben  — 
Gott,  gestern  hab  ich  mit  dem  Sascha  Kolowrat 
gedraht  —  ich  hab  Ihnen  gesagt,  ich  hab  keinen 
Ehrgeiz.  Sie  wern  sehn,  der  Punkt  is  eingesehn. 


125 


Der  erste:  Wenn  Sie  nicht  einmal  Plänkeleien 
vertragen  können,  tun  Sie  mir  leid. 

Der  zweite:  Bin  ich  ein  Held?  Bin  ich  ein 
Alexander  Roda  Roda? 

Der  erste:  Ich  bin  auch  kein  Ganghofer, 
aber  ich  kami  Ihnen  nur  sagen,  schämen  Sie  sich 
vor  der  Schalek!  Dorten  kommt  sie!  Da  können 
Sie  sich  verstecken  — 

Der  zweite:    Gut.    (Er  versteckt  sich.     Ein  Schuß.) 

Der  erste:  Ich  will  übrigens  auch  nicht,  daß 
sie  mich  sieht.  (Er  legt  sich  nieder.) 

Die  Schalek  (erscheint  in  voller  Ausrüstung  und 
spricht  die  Worte):  Ich  will  hinausgehen,  dorthin,  wo  der 
einfache   Mann   ist,    der    namenlos   ist!    (Sie  geht  ab,) 

Der  erste:  Sehn  Sie,  da  können  Sie  sich  ein 
Beispiel  nehmen.  (Sie  erheben  sich.)  Die  geht  bis  vorn. 
Und  wie  sie  sich  für  das  Ausputzen  der  feindlichen 
Gräben  intressiert  — ! 

Der  zuleite:  No  ja,  das  is  was  für  Frauen, 
aber  unsereins? 

Der  erste:  So,  und  wie  sie  beschreibt,  wie 
sie  im  Kugelregen  war  —  da  fühlen  Sie  sich  als 
Mann  nicht  beschämt? 

Der  zweite:  Ich  weiß  ja,  sie  is  tapfer.  Aber 
mein  Ressort  is  Theater. 

Der  erste:  Wie  sie  die  Leichen  beschreibt, 
Kleinigkeit  der  Verwesungsgeruch! 

Der  zweite:  Das  liegt  mir  nicht. 

Der  erste:  Wer  hat  sich  darum  gerissen, 
einen  Flankenangriff  mitzumachen?  Sie!  Und  jetzt 
möchten  Sie  davonlaufen,  wenn  Sie  Patrouillen  sehn. 
Früher  haben  Sie  das  Maul  voll  genommen  — 

Der  zweite:  Jeder  von  uns  war  im  Anfang 
mitgerissen.    Aber  jetzt,    nach  einem  Jahr  Krieg  — 

Der  erste:  Sie  haben  geschrieben,  Sie  wollen 
sich  den  Krieg  an  der  Südwestfront  ansehn.  No  also, 
sehn  Sie  sich  ihn  an,  da  haben  Sie  ihn.  (Duckt  sich.) 


126 


Der  zweite  (duckt  sich):  Gegen  Rußland  war 
das  ganz  anders,  da  is  man  nicht  aus  dem  Hotel 
herausgekommen,  ich  hab  darin  keine  Erfahrung 
gehabt,  meinetwegen  halten  Sie  mich  für  einen 
Feigling,  ich  sag  Ihnen  ich  geh  nicht  weiter! 

Der  erste:  Aber  der  Hauptmann  kommt  doch 
gleich,  er  hat  garantiert,  daß  nichts  passiert. 

Der  zweite:  Ich  will  aber  nicht.  Ich  schick 
das  Feuilleton  so  ab,  die  paar  technischen  Ausdrücke 
geben  Sie  mir. 

Der  erste:  Sie  haben  nicht  die  Schule  des 
Balkankriegs  durchgemacht,  ich  versteh  nicht,  wie 
einem  nicht  die  Gefahr  locken  kann.  (Duckt  sich.) 

Der  zweite:  Aber  ich  bitt  Sie,  ich  kenne  das. 
Ich  habe  diesen  Rausch,  dieses  selige  Vergessen  vor 
dem  Tode  beschrieben,  Sie  wissen,  wie  zufrieden  der 
Chef  war,  massenhaft  Zuschriften  sind  gekommen, 
wissen  Sie  nicht  mehr?  Ich  bin  doch  eingegeben 
fürs  Verdienstkreuz!  (Duckt  sich.) 

Der  erste:  Ich  versteh  aber  nicht,  wie  man 
nicht  gerade  darin  Befriedigung  findet,  daß  man  sich 
selbst  überzeugt  —  (Schuß.)  Um  Gotteswillen,  was 
war  das  jetzt? 

Der  zweite:  Sehn  Sie  —  wären  wir  nur  schon 
zurück  im  Preßquartier!  Dort  is  man  wenigstens  nicht 
vom  Feind  eingesehn. 

Der  erste:  Mir  scheint  stark,  das  ist  der 
Gegenstoß!  Na  und  wennschon.  Jetzt  heißt  es  aus- 
harren, wohin  den  Soldaten  unsere  Pflicht  gestellt  hat. 
Der  Hauptmann  hat  eigens  für  uns  die  zerstörte 
Brücke  herrichten  lassen  —  jetzt  sind  wir  einmal  da, 
jetzt  heißt  es  sich  zusamm.nehmen.  C'est  la  guerre! 
(Duckt  sich.)  Ich  bin  auch  für  Stimmungen,  aber  im 
Ernstfall  —  nur  Stimmungsmensch  sein,  das  geht 
nicht!  Sie  sind  eben  im  Frieden  nie  aus  den 
Premieren  herausgekommen,  das  rächt  sich  jetzt. 
Warum  haben  Sie  sich  überhaupt  für  Kriegsbericht- 
erstattung gemeldet? 


127 


Der  zweite:  Was  heißt  das,  soll  ich  dienen? 

Der  erste:  No  ja,  aber  ein  bisserl  Haltung 
sind  Sie  dem  Blatt  schuldig.   Krieg  ist  Krieg. 

Der  zweite:  Als  Held  hab  ich  mich  nicht 
aufgespielt. 

Der  erste:  Aus  Ihrem  letzten  Feuilleton  hat  man 
stark denEindruckgewinnen  müssen,  daßSie einer  sind. 

Der  zweite:  Feuilletc  i  is  Feuilleton.  Bitt  Sie, 
tun  Sie  nicht,  als  ob  Sie  das  nicht  wüßten  —  Gott, 
was  war  das  wieder? 

Der  erste:  Nichts,  ein  kleinkalibriger  Mörser 
älteren  Systems  von  der  Munitionskolonne  IV  b  Flak. 

Der  zweite:  Wie  Sie  die  technischen  Aus- 
drücke beherrschen!  Ist  das  nicht  der,  der  immer 
tsi-tsi  macht? 

Der  erste:  Sie  haben  wirklich  keine  Ahnung. 
Das  is  doch  der,  der  immer  tiu-tiu  macht! 

Der  zweite:  Da  muß  ich  etwas  im  Manuskript 
ändern  —  wissen  Sie  was,  ich  geh  zurück,  damit  es 
früher  abgeht.  Es  muß  doch  noch  genehmigt  wem. 

Der  erste:  Ich  sag  Ihnen,  bleiben  Sie  da. 
Allein  bleib  ich  nicht. 

Der  zweite:  Also  hat  das  einen  Sinn? 

Der  erste:  Sie,  wir  können  uns  nicht  blamieren. 
Die  Offiziere  lachen  sowieso  schon.  Ins  Gesicht  sind  sie 
natürlich  freundlich,  weil  sie  genannt  wem  wollen 
bei  der  Offensive,  aber  ich  hab  oft  das  Getühl,  daß 
sie  sich  beim  Rückzug  über  uns  lustig  machen. 
Grad  will  ich  ihnen  einmal  zeigen,  daß  ich  meinen 
Mann  stelle.  Schaun  Sie,  im  Preßquartier  is  es  doch 
so  fad  — 

Der  zweite:  Lieber  fad  wie  gefährlich. 

Der  erste:  Schaun  Sie,  kann  Ihnen  das  auf 
die  Dauer  konvenieren?  Ein  Jahr  dauert  das  jetzt 
schon.  Wir  fressen  aus  der  Hand.  Man  reicht  uns 
den  Schmus,  wir  haben  nichts  zu  tun  wie  den 
Namen  druntersetzen.  Er  lügt  und  wir  müssen  unter- 
schreiben. No  is  das  ein  Leben? 


128 


Der  zweite:  Kommt  mir  ohnedem  lächerlich 
genug  vor.  Was  geht  das  alles  mich  an?  Einmal 
im  Monat  das  Feuilleton  —  das  is  noch  die 
Erholung,  da  kann  man  schildern,  wie  sie  erleben. 
Aber  was  hab  ich  zu  unterschreiben,  wenn  der  Feind 
is  zurückgeworfen,  wenn  er  nicht  is  zurückgeworfen? 
Bin  ich  Höfer?  Bin  ich  der  verantwortliche  Redakteur 
vom  Weltkrieg? 

Der  erste:  Bittsie,  Höfer  —  da  war  ich 
mehr  draußen  wie  Höfer! 

Der  zweite:  Mir  paßt  das  alles  nicht, 
ich  wer'  mit  dem  Divisionär  sprechen,  was  mit  dem 
Fronttheater  is. 

Der  erste:  Fronttheater? Wie  meinen  Sie  das?  — 
Ah  so. 

Der  zweite:  Die  Idee  hat  ihm  imponiert  und 
da  bin  ich  in  meinem  Feld.  Heut  bei  Tisch  will  ich 
ihn  erinnern.  Ich  sag  ihm  ins  Gesicht,  daß  mir  der 
Dienst  nicht  paßt. 

Der  erste:  No  ja,  Erfolge  wie  Ganghofer 
blühn  für  unsereins  nicht.  Für  unsereins  wird  nicht 
eigens  ein  Gefecht  arrangiert. 

Der  zweite:  Wieso,  davon  weiß  ich  gar  nicht. 

Der  erste:  Davon  wissen  Sie  nicht?  Bei 
seinem  letzten  Besuch  an  der  Tiroler  Front! 
Siebzehn  Eigene  sind  sogar  durch  zurückfliegende 
Geschoßböden  getötet  oder  wenigstens  verwundet 
worn,  das  war  die  größte  Anerkennung  der  Presse, 
die  ihr  bis  jetzt  im  Weltkrieg  widerfahren  is! 

Der  zweite:  Wieso,  das  is  doch  ein  Witz 
aus'm  Simplicissimus,  daß  sie  mit  der  Schlacht 
warten,  bis  Ganghofer  kommt. 

Der  erste:  Ja,  zuerst  war  es  ein  Witz 
aus'm  Simplicissimus  und  dann  is  es  wahr  geworn. 
Der  Graf  Walterskirchen,  der  Major,  is  auf  und 
davongegangen,  wütend.  Er  war  kein  Freund  der 
Presse,  er  is  nie  genannt  worn,  vorgestern,  hab  ich 
gehört,  is  er  gefallen. 


i2d 


Der  zweite:  Sehn  Sie,  zu  solchen  Ehren 
kommt  unsereins  doch  nicht.  Ich  Sprech  mit  ihm 
heut  wegen  dem  Fronttheater !  Wenn  man  noch  dazu 
kein  Hüne  is  wie  Ganghofer.  Was  wollen  Sie  von 
mir  haben?  Schaun  Sie  sich  den  Maler  Haubitzer 
an  —  dort  steht  er  und  malt.  Ein  Riese  is  das 
gegen  mich.  Der  hat  in  der  Kaiserbar  den  Prinz  Eugen 
gesungen,  daß  man  geglaubt  hat,  der  allein  muß 
schon  siegen.  Jetzt?  Was  glauben  Sie,  wie  der  zittert 
beim  Malen!  Der  furcht  sich  mehr  wie  wir  alle! 

Der  erste:  Vielleicht  wie  Sie!  Wie  ich  nicht! 
Überhaupt  lassen  Sie  Haubitzer  in  Ruh.  Er  hat 
genug  Mut,  er  malt  die  Schlacht  im  Freien,  wiewohl 
er  erkältet  is.  Haben  Sie  sein  Bild  gesehn?  Ich  mein' 
die  Photographie  von  ihm  im  Interessanten  Blatt, 
Maler  Haubitzer  im  Felde. 

Der  zweite:  Von  mir  aus  —  ich  geh  um 
keinen  Preis  weiter. 

Der  erste:  Nehmen  Sie  sich  ein  Beispiel  an 
Ludwig  Bauer  im  Balkankrieg  I 

Der  zweite:  Bauer  is  im  Weltkrieg  in  der 
Schweiz,  war  ich  auch  in  der  Schweiz! 

Der  erste:  Nehmen  Sie  sich  ein  Beispiel  an 
Szomory,  oder  zum  Beispiel  an  den  Soldaten. Die  beißen 
die  Zähne  zsamm,  die  lassen  sich  nicht  unterkriegen  — 
(duckt  sich.)  Sie  wollen  also,  daß  wir  zurückgehn? 

D  e  r  z  w  e  i  t  e :  Ja,  bis  Wien !  Ich  hab  Stimmungen 
einzufangen.  Da  geb  ich  meinen  Namen  I  Wenn  er 
im  Blatt  steht  neben  ihr,  neben  Irma  von  Höfer, 
gut.  Aber  neben  ihm  —  hab  ich  das  nötig?  Da 
schäm  ich  mich  offengestanden. 

Der  erste:  Ich  nicht!  Ich  stehe  hier  in 
Ausübung  einer  einmal  übernommenen  Pflicht. 
(Er  wirft  sich  auf  die  Erde.) 

Der  zweite:  Sie  haben  von  jeher  für  das 
strategische  Moment  eine  starke  Schwäche  gehabt. 
(Man  hört  einen  Krach.)  Gotteswillen! 

Der  erste:  Was  sind  Sie  so  erschrocken? 

Die  letzten  Tage  der  Menschhei*.  9 


130 


Der  zweite:  Jetzt —  hab  ich  geglaubt  —  das 
is  ja  fast  —  wie  die  Stimme  —  vom  Chef! 

Der  erste:  Sie  Held  Sie  —  das  war  doch  nur 
der  große  Brummer!  (Beide  laufen  weg,  hinter  ihnen,  gleich- 
falls im  LaufschriU,  der  Maler  Haubitzer  mit  Zeichenmappe, 
ein  weißes  Taschentuch  schwingend.) 

(Verwandlung.) 

22.  Szene 

Vor  dem  Kriegsministerium. 
(Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch.) 

Der  Optimist:  Sie  legen  Scheuklappen  an, 
um  die  Fülle  von  Edelsinn  und  Opfermut,  die  der 
Krieg  an  den  Tag  gefördert  hat,  nicht  zu  bemerken. 

Der  Nörgler:  Nein,  ich  übersehe  nur  nicht, 
welche  Fülle  von  Entmenschtheit  und  Infamie  nötig 
war,  um  dieses  Resultat  zu  erzielen.  Wenn's  einer 
Brandstiftung  bedurft  hat,  um  zu  erproben,  ob 
zwei  anständige  Hausbewohner  zehn  unschuldige 
Hausbewohner  aus  den  Flammen  tragen  wollen, 
während  achtundachtzig  unanständige  Hausbewohner 
die  Gelegenheit  zu  Schuftereien  benützen,  so  wäre  es 
verfehlt,  die  Tätigkeit  von  Feuerwehr  und  Polizei 
durch  Lobsprüche  auf  die  guten  Seiten  der  Menschen- 
natur aufzuhalten.  Es  war  ja  gar  nicht  nötig,  die 
Güte  der  Guten  zu  beweisen,  und  unpraktisch, 
dazu  eine  Gelegenheit  herbeizuführen,  durch  die 
die  Bösen  böser  werden.  Der  Krieg  ist  besten- 
falls ein  Anschauungsunterricht  durch  stärkere 
Kontrastierung.  Er  kann  den  Wert  haben,  daß  er 
künftig  unterlassen  werde.  Ein  einziger  Kontrast,  der 
zwischen  gesund  und  krank,  wird  durch  den  Krieg 
nicht  verstärkt. 

Der  Optimist:  Indem  die  Gesunden  gesund 
und  die  Kranken  krank  bleiben? 

Der  Nörgler:  Nein,  indem  die  Gesunden 
krank  werden. 


131 


Der  Optimist:  Aber  auch  die  Kranken  gesund. 

Der  Nörgler:  Sie  denken  dn  an  das  bekannte 
Stahlbad?  Oder  an  die  bewiesene  Tatsache,  daß  die 
Granaten  dieses  Krieges  Millionen  Krüppel  gesund 
geschossen  haben?  Hunderttausende  Schwindsüchtiger 
gerettet  und  ebensoviele  Luetiker  der  Gesellschaft 
zurückgegeben? 

Der  Optimist:  Nein,  dank  den  Errungen- 
schaften der  modernen  Hygiene  ist  es  gelungen,  so 
viele  im  Krieg  Erkrankte  oder  Beschädigte  zu  heilen  — 

Der  Nörgler:  —  um  sie  zur  Nachkur  an  die 
Front  zu  schicken.  Aber  diese  Kranken  werden  ja 
nicht  durch  den  Krieg  gesund,  sondern  trotz  dem 
Krieg  und  zu  dem  Zweck,  um  wieder  dem  Krieg 
ausgesetzt  zu  werden. 

Der  Optimist:  Ja,  es  ist  nun  einmal  Krieg. 
Vor  allem  aber  ist  es  unserer  fortgeschrittenen 
Medizin  gelungen,  die  Verbreitung  von  Flecktyphus, 
Cholera  und  Pest  zu  verhindern. 

Der  Nörgler:  Was  wiederum  nicht  so  sehr 
ein  Verdienst  des  Krieges  ist  als  einer  Macht,  die 
sich  ihm  in  den  Weg  stellt.  Aber  sie  hätte  es  noch 
leichter,  wenn's  keinen  Krieg  gäbe.  Oder  soll  es  für 
den  Krieg  sprechen,  daß  er  die  Gelegenheit  geboten 
hat,  ein  wenig  seinen  Begleiterscheinungen  bei- 
zukommen? Wer  für  den  Krieg  ist,  hätte  diese  mit 
größerem  Respekt  zu  behandeln.  Schmach  einem 
wissenschaftlichen  Ingenium,  das  sich  auf  Prothesen 
etwas  zugute  tut  anstatt  die  Macht  zu  haben,  Knochen- 
zersplitterungen vorweg  und  grundsätzlich  zu  verhüten. 
In  ihrem  moralischen  Stand  ist  die  Wissenschaft,  die 
heute  Wunden  verbindet,  keine  bessere  als  jene,  die 
die  Granaten  erfunden  hat.  Der  Krieg  ist  eine  sittliche 
Macht  neben  ihr,  die  sich  nicht  nur  damit  begnügt, 
seine  Schäden  zusammenzuflicken,  sondern  es  zu 
dem  Zweck  tut,  das  Opfer  wieder  kriegstauglich  zu 
machen.  Ja,  so  antiquierte  Gottesgeißeln  wie  Cholera 
und  Pest,  Schrecknisse  aus  Kriegen  von  annodazumal. 


9* 


132 


lassen  sich  von  ihr  imponieren  und  werden  fahnen- 
flüchtig. Aber  Syphilis  und  Tuberkulose  sind  treue 
Bundesgenossen  dieses  Kriegs,  mit  denen  es  einer 
lügenverseuchten  Humanität  nicht  gelingen  wird 
einen  Separatfrieden  abzuschließen.  Sie  halten  Schritt 
mit  der  allgemeinen  Wehrpflicht  und  mit  einer 
Technik,  die  in  Tanks  und  Gaswolken  daherkommt. 
Wir  werden  schon  sehen,  daß  jede  Epoche  die 
Epidemie  hat,  die  sie  verdient.  Der  Zeit  ihre  Pest! 
Der  Optimist:  Da  wären  wir  ja  vor  dem 
Kriegsministerium  angelangt.  Das  ist  heute  ein 
erwartungsvoller  Tag  — 

(Man  sieht  einen  Trupp  Schieber  aus  dem  Haupttor  kommen.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — 
Weltblaad! 

Ein  Flüchtling  (der  mit  einem  andern  geht): 
Geben  Sie  her!  (reißt  dem  Kolporteur  das  Blatt  aus  der  Hand, 
liest  vor)  »Alles  steht  gut!  Kriegspressequartier 
30.  August  10  Uhr  30  Minuten  vorm.  Die  Riesen- 
schlacht geht  heute  Sonntag  weiter.  Die  Stimmung 
im  Hauptquartier  ist  gut,  v/eil  alles  gut  steht.  Das 
Wetter  ist  prachtvoll.  Kohlfürst.« 

Der  zweite  Flüchtling:  Das  muß  etwas  ein 
Heerführer  sein!  (Ab.) 

Der  Nörgler:  Die  Masken  an  der  Fassade 
dieser  Sündenburg,  die  rechts  schaut  und  links  schaut 
machen,  sind  heute  besonders  stramm  orientiert. 
Wenn  ich  länger  auf  einen  dieser  entsetzlichen 
Köpfe  schaue,  bekomme  ich  Fieber. 

Der  Optimist:  Was  haben  Ihnen  diese  alten 
martialischen  Typen  getan? 

Der  Nörgler:  Nichts,  nur  daß  sie  martialisch 
sind  und  dennoch  den  Sendboten  Merkurs  den  Eintritt 
nicht  wehren  konnten.  Zu  aller  Blutschlamperei  noch 
dieser  mythologische  Wirrwar !  Seit  wann  ist  denn  Mars 
der  Gott  des  Handels  und  Merkur  der  Gott  des  Krieges? 

Der  Optimist:  Der  Zeit  ihren  Krieg! 


133 


Der  Nörgler:  So  ist  es.  Aber  die  Zeit  hat 
nicht  den  Mut,  die  Embleme  ihrer  Niedrigkeit  zu 
erfinden.  Wissen  Sie,  wie  der  Ares  dieses  Krieges 
aussieht?  Dort  geht  er.  Ein  dicker  Jud  vom  Auto- 
mobilkorps. Sein  Bauch  ist  der  Moloch.  Seine  Nase 
ist  eine  Sichel,  von  der  Blut  tropft.  Seine  Augen 
glänzen  wie  Karfunkelsteine.  Er  kommt  zum  Demel 
gefahren  auf  zwei  Mercedes,  komplett  eingerichtet 
mit  Drahtschere.  Er  wandelt  dahin  wie  ein  Schlaf- 
sack. Er  sieht  aus  wie  das  liebe  Leben,  aber  Verderben 
bezeichnet  seine  Spur. 

Der  Optimist:  Sagen  Sie  mir,  ich  bitt  Sie, 
was  haben  Sie  gegen  den  Oppenheimer? 

(Vor  dem  Kriegsministerium  ist  inzwischen  die  Menschenmeng« 
angewachsen,  sie  besteht  zumeist  aus  deutschnationalen  Studenten 
und  galizischen  Flüchtlingen.  Man  sieht  vielfach  beide  Typen 
Arm  in  Arm  und  plötzlich  ertönt  der  Gesang:    E«  broost  ein 

Ruf  wie  Donnerhall  — ) 
Nepalleck  und  Angelo  Eisner  v.  Eisenhof  treten  auf  einander  zu. 

V.  Eisner:  Verehrter  Hof  rat,  servitore,  wie  steht 
das  Befinden,  was  macht  Seine  Durchlaucht?  Wir 
haben  uns  ja  seit  damals  — 

N  e  p  a  1 1  e  c  k :  Djehre.  Danke.  Kann  nicht  klagen. 
Durchlaucht  gehts  famos. 

V.  Eisner:  Das  Allerhöchste  Anerkennungs- 
schreiben damals,  ja  das  war  Seiner  Durchlaucht  zu 
gönnen,  das  muß  seinen  Nerven  rasend  wohl  getan 
haben,  die  Gesellschaft  ist  jetzt  auch  nur  einer  Ansicht  — 

Nepalleck:  No  ja  natürlich  —  und  Sie  Baron, 
machen  Sie  viel  mit?  Von  der  Wohltätigkeit  sehr  in 
Anspruch  genommen,  kann  mir  denken  — 

V.  Eisner:  Nein,  da  überschätzen  Sie  mich, 
lieber  Hofrat.  Ich  ziehe  mich  jetzt  zurück.  Da  ist  eine 
Reihe  neuerer  Streber,  denen  man  gern  das  Feld 
überläßt.  Es  ist  nicht  jedermanns  Geschmack,  mit  so 
einer  Klasse  —  nein,  das  tentiert  mich  gar  nicht  —  da  — 

Nepalleck:  No  aber  die  gute  Sache,  die 
gute  Sache  Baron,    wie  ich   Sie   kenne,   werden  Sie 


134 


die  vielen  Arrangements  doch  nicht  ganz  vernach- 
lässigen, wenn  Sie  auch,  wie  ich  ganz  begreifhch 
finde,  nicht  mehr  selbst  in  die  Komitees  — 

V.  Eisner:  Nein,  ich  walte  jetzt  nur  im 
Herrnhaus  —  ah  was  red  ich,  im  Hausherrnverein,  da 
gibts  Hals  über  Kopf  zu  tun,  der  Riedl,  Sie  wissen  ja, 
ist  nicht  mehr  der  Alte  —  er  muß  eine  Enttäuschung 
erlebt  haben  oder,  ich  weiß  nicht,  er  scheint  sich  durch 
den  Krieg  halt  ein  bißl  vernachlässigt  zu  fühlen  —  ja,  ja, 
die  populärsten  Persönlichkeiten  sind  jetzt  ein  wenig 
aus  dem  Geleise  gekommen,  andere  drängen  sich  vor  — 

Nepalleck:  Na  ja,  wird  sich  schon  wieder 
ausgleichen  —  auch  bei  uns  ist  — 

v.  Eisner:  Ja,  wir  müssen  alle  Geduld  haben. 
Ich  für  meine  Person  habe  sehr  bittere  Erfahrungen 
gemacht.  Wissen  Sie,  die  Wohltätigkeit,  das  ist  auch  so 
ein  Kapitel.  Uje,  da  könnt  ich  der  Fackel  Stoff  geben  — 
wenn  man  sich  mit  dem  Menschen  einlassen  könnte 
heißt  das.  Wissen  Sie,  Hofrat,  nur  opfern  und  nichts 
wie  opfern  und  gar  keinen  Dank?  Mein  Gott  ja, 
ich  entziehe  mich  natürlich  nicht  —  meine  Freunde 
Harrach,  Schönborn  und  die  andern  geben  ihre  Feste, 
sie  schicken  mir  ihre  Karten  —  erst  gestern  hat  mich 
der  Pipsi  Starhemberg,  Sie  wissen  doch,  der  was 
sich  mit  der  Maritschl  Wurmbrand  — 

Nepalleck:  Gehn  S',  ich  war  der  Meinung, 
daß  er  sich  mit  der  Mädi  Kinsky  — 

v.  Eisner:  Aber  im  Gegenteil,  wo  denken  Sie 
hin,  da  kommt  doch  nur  der  Bubi  Windischgrätz  in 
Betracht,  wissen  S'  der  Major,  der  jetzt  bei  der 
Gard  is  —  also  ich  sag  Ihnen,  bestürmt  wird  man 
von  allen  Seiten,  erst  gestern  sagt  mir  der  Mappl 
Hohenlohe  bei  der  Meß,  wissen  S',  der  wo  sie  eine 
Schaffgotsch  is,  du,  sagt  er,  warum  machst  du  dich 
jetzt  so  rar,  sag  ich  ihm  lieber  Mappl  tempora 
mutatur,  was  jetzt  für  Leut  obenauf  sind,  ich 
begreif  euch  alle  nicht,  daß  ihr  da  noch  mittuts. 
Ich  für  meine  Person   bin   rasend   gern   dort,   wo's 


135 


still  is.  Mit  einem  Wort,  wo  man  nicht  bemerkt 
wird.  Wissen  Sie  lieber  Hofrat  was  er  drauf  gesagt 
hat?  Recht  hast  du,  hat  er  gesagt!  Ich  denk  nämlich 
darin  ganz  wie  der  Montschi.  Selbstverständlich  leiste 
ich  pünktlich  mein  Scherflein  —  aber  hingehn?  Nein, 
da  kennen  Sie  mich  schlecht.  Ich  war  nie  ein  Freund 
von  der  Öffentlichkeit.  Wissen  Sie,  da  kann  es  einem 
noch  passieren  —  man  ist  da  harmlos  bei  einem 
Tedeum,  und  am  nächsten  Tag  steht  man  unter  den 
Anwesenden  in  der  Zeitung! 

Nepal  leck:  No  das  is  zwider,  das  kenn  ich. 
Jetzt  hab  ich  wenigstens  drauf  gedrungen,  wenn's  mich 
schon  nennen  müssen,  so  wenigstens  mit  dem  vollen 
Namen.  Nicht  mehr  wie  bisher  Hofrat  Nepalleck, 
oder  Hofrat  Wilhelm  Nepalleck,  sondern  weil  ich  also 
eigentlich  Wilhelm  Friedrich  heiß  —  Hofrat  Friedrich 
Wilhelm  Nepalleck.  Was,  das  macht  sich  jetzt  ganz  gut, 
da  könnt  ich  gleich  nach  Potsdam   übersiedeln  — 

V.  E  i  s  n  e  r :  Das  macht  sich  famos I  Aber  —  nach 
Potsdam  übersiedeln?    Hätten   S'   denn   dazu  Lust? 

Nepal  leck:  Woher  denn,  es  is  nur  wegen 
der  Nibelungentreue.  Ich  —  meine  Durchlaucht  ver- 
lassen! Noch  heut  is  mir  die  Durchlaucht  für  das 
Arrangement  des  höchsten  Begräbnisses  dankbar. 

V.  Eisner:  Das  war  aber  auch  schön! 

Nepalleck:  Mit  strikter  Einhaltung  —  wie 
eben  ein  Begräbnis  dritter  Klasse  — 

V.  E i  s  n  e r :  Das  ist  Ihnen  wieder  einmal  gelungen, 
erstklassig.  Wirklich  furchtbar  nett  war  das  damals  auf 
der  Südbahn.  (Er  grüßt  einen  Vorübergehenden.)  War  das 
nicht  ein  Lobkowitz?  Dann  beklagt  er  sich  wieder, 
daß  ich  ihn  nie  erkenn  —  Also  in  Artstetten  natürlich, 
da  —  da  hat  man  leider  schon  ein  bißl  gemerkt, 
daß  Sie  Ihre  Hand  nicht  im  Spiel  ghabt  haben,  da 
is  ziemlich  ordinär  zugegangen. 

Nepalleck:  Selbstverständlich  —  weil  es  uns 
unmöglich  gemacht  wurde!  Das  Belvedere  hat  sichs 
nicht  nehmen  lassen.  Oh,  wir  haben  drauf  bestanden, 


136 


ich  hab  gsagt:  nach  dem  spanischen  Zeremoniell,  da 
gibts  keine  Würschtel!  No,  und  da  hats  dann  leider, 
weil  die  Herrschaften  so  entetiert  warn,  also  in 
Artstetten  halt  doch  Würschtel  gegeben. 

V.  Eisner:  Wie? 

Nepalleck:  No  ja,  die  Feuerwehrleut  habens 
neben  die  Särge  Ihrer  Hoheiten  gfressen,  wie's  Gewitter 
war,  die  Särge  sind  nämlich  im  Kassenraum  vom 
Frachtenbahnhof  gstanden,  Zigarren  hams  graucht, 
das  war  ein  Skandal,  na  Sie  wissen  ja,  wir  sind 
unschuldig,  am  Südbahnhof  wars  so  schön  feierlich. 

V.  Eisner:  Ich  denk's  wie  heut,  ich  bin  damals 
zwischen  dem  Gary  Auersperg  und  dem  Poldi 
Kolowrat  gestanden.  Wir  haben  uns  ja  seit  dem 
historischen  Augenblick  nicht  gesehn. 

Nepalleck:  Ja,  wir  haben  unser  Möglichstes 
getan.  Das  Allerhöchste  Anerkennungsschreiben  hat 
aber  auch  den  gewissen  Herrschaften  die  p.  t.  Münder 
gestopft:  »Stets  in  Übereinstimmung  mit  meinen  Inten- 
tionen.« Und  vor  allem,  daß  anerkannt  worn  is,  wie  sich 
Durchlaucht,  das  heißt  also  wir  sich  mit  dem  Begräbnis 
geplagt  haben.  Ich  kanns  auswendig:  »In  den  jüngsten 
Tagen  hat  das  Hinscheiden  Meines  geliebten  Neffen, 
des  Erzherzogs  Franz  Ferdinand,  mit  welchem  Sie 
andauernd  vertrauensvolle  Beziehungen  verbanden  — « 

V.  Eisner:  Das  waren  zweiFliegen  auf  einen  Schlag. 

Nepalleck:  Sehr  richtig.  » —  ganz  außerordent- 
liche Anforderungen  an  Sie,  lieber  Fürst,  herantreten 
lassen  und  Ihnen  neuerlich  Gelegenheit  geboten  —  « 

v.  Eisner:  Gewiß,  Seine  Durchlaucht  muß 
glücklich  gewesen  sein,  daß  ihm  das  Hinscheiden 
Gelegenheit  geboten  hat.  Das  kann  man  ihm  nachfühlen. 

Nepal  leck:  So  ist  es.  » —  Ihre  aufopfernde 
Hingebung  an  Meine  Person  und  an  Mein  Haus  in 
hohem  Maße  zu  bewähren.«  Also  bitte!  Und  wärmsten 
Dank  und  volle  Erkenntlichkeit  für  ausgezeichnete 
treue  Dienste,  was  will  man  mehr,  da  dürften  wohl 
manche  Herrschaften  zersprungen  sein. 


i 


137 


V,  Eisner:  Das  Aüerhöchste  Anerkennungs- 
schreiben kann  wohl  nicht  überraschend  für  Seine 
Durchlaucht  gekommen  sein? 

Nepalleck:  Gar  keine  Spur,  Durchlaucht  hat 
gleich  nach  der  Leich  die  Initiative  ergriffen  — 
das  heißt,  ich  meine  — 

V.  Eisner:  Ach  ja,  Sie  wollen  sagen,  die  Ereig- 
nisse haben  sich  überstürzt.  Sehn  Sie,  lieber  Hofrat, 
und  jetzt  haben  wir  gar  den  Weltkrieg. 

Nepalleck:  Ja,  eine  gerechte,  eine  erhebende 
Sühne!  Ja,  ja.  Wenn  Durchlaucht  nicht  die  hiitiative 
ergriffen  hätte  — 

V.  Eisner:  Wie?  Zum  V/eltkrieg? 

Nepalleck:  Ah  was  red  ich.  Ich  wollte  sagen, 
Allerhöchstes  Ruhebedürfnis  ganz  einfach. 

V.  Eisner:  Wie?  Für'n  Weltkrieg? 

N  e  p  a  1 1  e  c  k :  Nein — verzeihen  S'  —  ich  hab  an  was 
anderesgedacht.  Ich  wollte  sagen,  so  hat  das  nichtweiter- 
gehn  können,  so  nicht.  Wissen  Sie,  seit  der  Annexion  — 

V.  E  i  s  n  e  r :  Ich  hab's  dem  Ährenthal  vorausgesagt. 
Ich  denk's  wie  heut,  das  war  doch  in  dem  Jahr,  wo 
die  Alin'  Palffy  in  die  Welt  gegangen  is.  Ich  hab 
ihn  noch  bis  am  Ballplatz  begleitet  — 

Nepal lek:  Wenns  auch  für  den  einzelnen 
eine  schwere  Last  ist  — 

V.  Eisner:  Ja,  freilich,  wer  hat  nicht  zu  klagen, 
ich  habe  Verluste  — 

Nepal  leck:  Was?  Auch  Sie  Baron? 

V.  Eisner:  Ja,  ja,  kaum  daß  man  sich  mit  ein 
paar  Lieferungen  herausreißt.  Ich  bin  eben  grad  auf 
dem  Weg  da  hinüber  —  dann  treff  icli  vielleicht  noch 
den  Tutu  Trauttmansdorff  —  ja  jetzt  heißt  es  durch- 
halten, durchhalten  —  die  Hauptsache  ist  und  bleibt, 
daß  sich  unsre  Leut  gut  schlagen,  das  Weitere  findet 
sich  —  Kompliment,  Handkuß  an  Seine  Durchlaucht  — 

Nepal  leck:  Danke,  danke.  Wer's  bestellen, 
Kompliment,  Wiedersehn  — 

(Man  hört  den  Oesang:  Es  broost  ein  Ruf — ) 
(Verwandlung.) 


138 


23.  Szene 


Am  janower  Teich.  Ganghofer  tritt  jodelnd  auf.  Er  trägt 
Lodenjoppe,  Smokinggilet,  Kniehose,  Rucksack  und  Bergstock, 
eisernes  Kreuz  erster  Klasse;  unter  dem  Hut  mit  Gamsbart  ist 
ein  blonder,  ein  wenig  angegrauter  Haarschopf  sichtbar.  Auf  der 
etwas  gebogenen  Nase  sitzt  ein  goldener  Zwicker. 

Hollodriohdrioh, 

Jetzt  bin  ich  an  der  Front, 

Hollodriohdrioh, 

Dös  bin  i  schon  gewohnt. 

Bin  ein  Naturbursch,  wie 

Man  selten  einen  findt, 

Leider  schon  zu  alt 

Zum  Soldatenkind. 

Z'wegn  dem  stell  ich  noch  immer 
Allweil  meinen  Mann. 
Hab  in  Wean  beim  Szeps  gedient, 
Sehn  S'  mich  nur  an. 
I  hab  ein  Jagagmüat 
Holldrioh,  dös  is  wie  echt 
Und  bekanntlich  schreib  ich 
Gar  net  schlecht. 

Als  Schmock  in  Wean,  da  war 

Zu  groß  die  Konkurrenz, 

Da  bin  ich  schon  verkracht 

Im  Lebenslenz. 

Ins  Lodengwandl  bin 

Ich  gschwind  hineingeschlieft 

Und  hab  sogleich  mich  in 

Den  Wald  vertieft. 

Erst  war  ich  Schmock  im  Blatt, 
Jetzt  bin  ich  Schmock  im  Wald, 
Jetzt  find  ich  glänzend  meinen 
Unterhalt. 


i 


139 


In  Bayern  merken  s'  nicht, 
Wie  sehr  ich  bin  verschmockt, 
Da  merken  s'  nur,  daß  ich 
Bin  blondgelockt. 

Und  in  Berlin,  da  fliagen  s' 
Auf  meinen  Dialekt. 
Den  Erdgeruch  der  Preuß' 
Am  liebsten  schmeckt. 
Wo  er  an  Lodenjanker 
Und  an  Gamsbart  sieht, 
Wird  dem  Berliner  wohlig 
Ums  Jemiet. 

Durch  Biederkeit  hab  ich 
Die  höchsten  Herrn  entzückt 
Und  Willem  selber  ist 
Von  mir  berückt. 
Daß  ich  ein  alter  Schmock, 
Das  fallt  jetzt  ins  Gewicht, 
Für  die  Freie  Press'  mach  ich 
Den  Frontbericht. 

Der  Roda  Roda  kriecht 
Nicht  überall  hinein, 
Das  höxte  Interview 
Gehört  schon  mein. 
Als  Jaga  spricht  mit  mir 
Der  Kaiser  Wilhelm  gern. 
Das  ist  doch  schön  von  einem 
Solchen  Herrn. 

Dann  liest  er  mich  als  Schmock, 

Das  macht  ihm  wieder  Freud, 

Und  so  wart  ich  auf  ihn 

Am  Anstand  heut. 

Hollodriohdrioh  (man  hört  ganz  fern  ein  Auto) 

Tatü  —  tata  —  tatü  — 

Die  ganze  Welt  spitzt  auf 

Die  Entrevü, 


140 


Ein  Flügeladjutant  (erscheint  im  Laufschritt): 
Ach  da  sind  Sie  ja  Ganghofer.  Majestät  wird  gleich 
hier  sein,  Sie  hörn  schon  die  Tute.  Nehmen  Sie  nur 
recht  'ne  burschikose  Haltung  an,  Sie  wissen,  Majestät 
hat  das  gern,  machen  Se  keene  Faxen,  bleiben  Sie 
ganz  unbefangen,  wie  Sie  sind,  wie  wenn  Se  'nem 
alten  Jagdkameraden  gegenüberständen.  Sie  wissen, 
Majestät  hat  in  der  Kunst  nur  drei  Ideale:  in  der 
Malerei  Knackfuß,  in  der  Musik  den  Trompeter  von 
Säckingen  und  etwa  noch  Puppchen  du  mein  Augen- 
stern, in  der  Literatur  Sie  lieber  Ganghofer,  und 
etwa  noch  Lauff,  Höcker  und  die  Anny  Wothe.  Otto 
Ernst  hat  auch  manches  Gute.  Also  —  kein  Lampen- 
fieber Ganghofer,  das  haben  Sie  weiß  Gott  nich 
nötig  —  stramm,  wie's  dem  Jäger  und  Naturburschen 
geziemt,  Majestät  wird  Ihnen  sicherlich  unter  herz- 
lichem Lachen  die  Hand  entgegenstrecken.  (Man  hört 
das  Signal:  tatü-tata  ~)  Nu  kommt  Majestät.  Der  Photo- 
graph der  Woche  ist  mit  ihm.  Es  soll  ja  mit  eine 
der  packendsten  Szenen  v/erden,  wie  Kaiser  und 
Dichter  zusammengehn,  denn  beide  wohnen  auf  der 
Menschheit  Höhn.  Ich  denke  da  aber  beileibe  nicht 
an  Ihre  Berge  lieber  Ganghofer,  sondern  an  die 
geistigen  Höhen.  Also  Mut  lieber  Ganghofer  — 
(man  hört  ganz  nah  das  Signal:  tatü-tata  — )  immer  feste 
druff ! 

(S.  M.  mit  Gefolge.  Im  Hintergrund  der  Photograph  der  Woche. 

S.  M.  geht  auf  den  Dichter  zu  und  streckt  ihm  imter  herzlichem 

Lachen  die  Hand  entgegen.) 

Der  Kaiser:  Ja  Ganghofer,  sind  Sie  dem 
tiberall?    Hören  Sie  mal  Ganghofer,    Sie   sind  gut! 

Ganghofer:  Majestät,  mei  Gmtiat  hat  sich 
bemüat  den  Siegeslauf  der  deutschen  Heere  einzu- 
holen. Fix  Laudon,  dös  is  aber  gach  ganga!  (Er  hüpft.) 

Der  Kaiser  (lachend) :  's  ist  gut  Ganghofer, 
's  ist  gut.  Ha  —  haben  Sie  schon  Mittagbrot  gegessen? 

Ganghofer:  Nein,  Majestät,  wer  würde  denn 
in  so  großer  Zeit  an  so  etwas  denken? 


141 


Der  Kaiser:  Um  Gottes  willen,  da  müssen 
Sie  doch  gleich  etwas  essen !  (Der  Kaiser  winkt,  es  wird 
ein  Topf  mit  Tee  gebracht  nebst  zwei  festen  Schnitten  Gebäck, 
Der  Kaiser  greift  selbst  mit  der  Hand  in  eine  Blechdose,  stopft 
Ganghofer  die  Taschen  mit  Zwieback  voll  und  sagt  dabei  immer 
wieder:)  Essen  Sie  Ganghofer,  essen  Sie  doch! 
(Der  Photograph  knipst.) 

Der  Kaiser:  Waren  Sie  schon  in  Przemi'sel, 
Ganghofer?  Essen  Sie  doch,  um  Gotteswillen,  essen 
Sie  doch  1  (Ganghofer  ißt.) 

Ganghofer:  Untertänigsten  Dank,  Majestät. 
Seil  woll,  in  Pschemisl. 

Der  Kaiser:  Na,  sind  Sie  befriedigt?  Ich 
meine  von  Przemisel.  Aber  essen  Sie  doch,  essen 
Sie  doch  Ganghofer! 

Ganghofer  (essend):  Seil  woll.  Fein  war's  in 
dem  Pschemisl. 

Der  Kaiser:  Haben  Sie  Sven  Hedin  gesehen? 
Essen  Sie  doch  Ganghofer  — 

Ganghofer  (essend):  Seil  woll,  den  hab  i  gsehn. 

Der  Kaiser  (dessen  Auge  glänzt) :  Das  freut  mich, 
daß  Sie  diesen  Mann  kennen  gelernt  haben.  Dieser 
Schwede  ist  ein  Prachtmensch.  Wenn  Sie  ihn  wieder- 
sehen —  aber  so  essen  Sie  doch  Ganghofer  — 
grüßen  Sie  ihn  herzlichst  von  mir. 

(Ein  russischer  Flieger  kommt  von  Osten  her,  er  leuchtet  in  der 
goldenen  Abendsonne  wie  ein  goldener  Käfer.  Hinter  ihm  puffen 
Schrapnells  empor.  Der  Kaiser  steht  ruhig,  schaut  hinauf  und  sagt:) 

Zu  kurz! 

(Die  weiteren  Schüsse  bleiben  weit  hinter  dem  Flieger  zurück. 
Der  Kaiser  nickt  sinnend.) 

Ja,  Flügel  haben,  das  heißt  für  die  andern  immer 
zu    spät    kommen.    Essen    Sie    doch    Ganghofer. 

(Es  tritt  eine  Pause  ein,  während  deren  Ganghofer  ißt. 
Plötzlich  wendet  sich  der  Kaiser  zum  Dichter  und  sagt  ihm  mit 
gedämpfter  Stimme,  streng  und  langsam,  jedes  Wort  betonend:) 

Ganghofer  —  was  —  sagen  Sie  —  zu  —  Italien? 


142 


(Erst  nach  einer  Weile,  während  deren  Ganghofer  gegessen  hat, 
vermag  er  zu  antworten.) 

Ganghofer:  Majestät,  wie  es  kam,  so  ist  es 
besser  für  Österreich  und  für  uns.  Der  reine  Tisch  ist 
immer  das  beste  Möbelstück  in  einem  redlichen  Haus. 
(Der  Kaiser  nickt.  Ein  Aufatmen  strafft  die  Gestalt.) 

Der  Flügeladjutant  (leise  zu  Ganghofer):  Dialekt! 
Dialekt! 

Der  Kaiser:  Nu  Ganghofer  haben  Se  'n 
schönes  Feijetong  fertig?   Lassen   Se  hören  —  ha. 

Ganghofer:  Zu  dienen,  Majestät,  aber  leider 
ist  es  teilweise  hochdeutsch  — 

Der  Flügeladjutant  (leise):  Dialekt! 

Der  Kaiser:  Na  wenn  schon,  ha  lesen  Se 
unbesorgt  vor. 

Ganghofer:  Der  Anfang,  Majestät,  ist  in 
schwäbischer  Mundart. 

Der  Kaiser:  Na,  umso  besser,  köstlich,  lesen  Se. 

Ganghofer  (zieht  einManuskript  ausderTasche  und  liest): 
»Auf  halbem  Wege  erfahren  wir,  daß  der  erste  feind- 
liche Graben  vor  dem  Rozaner  Festungsgürtel  schon 
genommen  ist.  Da  hat's  einen  feinen  Schwaben- 
streich gegeben.  Ein  Stuttgarter,  der  uns  auf  der 
Straße  entgegenkommt,  mit  dem  linken  Arm  in  der 
weißen  Binde,  sagt  lachend  zu  mir:  »Den  erschte 
Grawe  hawe  mer.  's  isch  e  bissele  hart  gange. 
D'  Russe  hawe  saumäßig  mit  Granate  herg'schosse. 
Aber  mei,  dees  macht  net  viel  aus.  Weil  mer  nur 
de  Grawe  hawe!  Dees  isch  d'  Hauptsach'!« 

Der  Kaiser:  Famos,  Ganghofer. 

Ganghofer  (weiterlesend):  »Ich  nütze  die  erste 
Frühe,  um  ein  gut  ausgewachsenes  Cousinchen 
unserer  fleißigen  Berta  zu  besuchen.  (Der  Kaiser  lacht.) 
Ein  noch  junges  Mädchen!  Und  doch  schon  von 
erstaunlicher  Kraftfülle!  Ihr  Mündchen  liegt  etwa  vier 
Meter  oberhalb  meines  Haardaches.  (Der  Kaiser  lacht 
aus  vollem  Halse.)  Und  eine  Stimme  hat  sie,  daß  man 


143 


sich  Watte  in  die  Ohren  stopfen  muß,  wenn  man 
unzerrissene  Trommelfelle  behalten  will.  Beginnt  sie 
ihr  donnerndes  Lied  zu  singen  —  ein  Lied  vom 
deutschen  Erfindergeist  und  deutsche»-  Kraft  — ,  so 
fährt  ihr  ein  Feuerstrahl  von  Mastbaumlänge  aus 
der  Kehle,  und  wer  hinter  dem  musizierenden 
Cousinchen  steht  (Der  Kaiser  lacht  dröhnend)  sieht  eine 
schwarze,  kleiner  und  kleiner  werdende  Scheibe  steil 
durch  die  Luft  emporfliegen  bis  zu  einer  Höhe,  die  man 
mit  einem  vollen  Hundert  übereinandergeschichteter 
Kirchtürme  noch  nicht  erreichen  würde.  Und  viele 
Sekunden  später  ist  in  der  russischen  Festung  Rozan 
eine  rauch-  und  feuerspeiende  Hölle  los.  Ein  leistungs- 
fähiges deutsches  Kind,  diese  eiserne  Jungfrau!  (Der 
Kaiser  schlägt  lachend  mit  der  linken  Hand  auf  seinen  Schenkel.) 
Ich  verlasse  sie  mit  dem  Gefühl  verstärkter  Zuversicht 
und  höchster  Befriedigung,  nehme  nach  vierhundert 
Schritten  die  Wattepfropfen  aus  den  Ohren  und  finde 
nun,  daß  die  Stimme  des  trefflichen  Mädchens  überaus 
lieblich  klingt.  (Der  Kaiser  lacht  wie  ein  Wolf.)  Ich  gebe 
zu,  daß  dieses  Urteil  einen  stark  subjektiven  Charakter 
hat.  Man  darf  vermuten,  daß  ich  als  Kommandant 
der  Festung  Rozan  zu  einer  wesentlich  anderen 
Meinung  gelangen  würde.« 

Der  Kaiser  (der  zuletzt  mit  leuchtendem  Auge 
und  strahlendem  Gesicht  zugehört  hat,  schlägt  nun  mit  der  linken 
Hand  unaufhörlich  auf  seinen  Schenkel  und  ruft):  Ach,  's  ist 
ja  zum  Schießen!  Bravo,  Ganghofer,  das  haben  Se 
gut  getroffen.  Lauff  hat  die  dicke  Berta  besungen  und 
Sie  hofieren  das  Cousinchen,  ik  lach  mich  dot,  ik 
lach  mich  dot!  Aber  essen  Sie  doch  Ganghofer, 
Sie  essen  ja  nicht  — 

(Ganghofer  ißt.  Der  Kaiser,  mit  raschem  Entschluß  auf  ihn 
zutretend,  sagt  ihm  etwas  ins  Ohr.  Ganghofer  fährt  zusammen, 
ein  Stück  Zwieback  fällt  ihm  aus  dem  Mund,  sein  Gesicht  ist 
wie  von  einer  frohen  Begeisterung  überglänzt  und  drückt 
Zuversicht  aus.  Er  legt  den  Finger  an  den  Mund,  als  ob  er 
Schweigen  zusichern  wollte.  Der  Kaiser  gleichfalls.) 


144 


Ganghofer:  Ein  neues  Stahlband  des 
Zusammenhaltens! 

Der  Kaiser:  Erst  am  Tage  der  Erfüllung 
bekannt  geben! 

Ganghcfer:  Und  dieser  Tag  wird  kommen! 

Der  Kaiser:  Essen  Sie  Ganghofer! 
(Ganghofer  ißt.  Eine  Ordonnanz  bringt  eine  Nachricht  für  ihn.) 

Ganghofer:  Von  Mackensen!  (Er  liest  in 
freudiger  Erregung.)  »Fahren  Sie  SO  früh  als  möglich 
los.  Die  russischen  Stellungen  bei  Tarnoo  wurden 
von  uns  genommen  — 

Der  Flügeladjutant  (leise):   Dialekt! 

Ganghofer:  —  Morgen  fällt  Lemberg. «  Juchhe ! 
(Er  beginnt  zu  Schnadahüpfeln.  Dann,  sich  sammelnd,  ernst, 
mit  einem  Blick  gen  Himmel.)  iMajestät! 

Der  Kaiser:  Nu  was  haben  Se  denn  Gang- 
hofer, tanzen  Se  doch  noch  'n  bisken. 

Ganghofer:  Soll  ich  es  denn  länger 
verschweigen? 

Der  Kaiser:  Nu  was  is  denn  los? 

Ganghofer:  Was  Majestät  mir  soeben 
anvertraut  haben  —  mei  Gmüat  kann  es  nicht 
länger  zruckhalten  —  daß  Majestät  (herausplatzend) 
drei  Waggon  Bayrisches  für  unsere  braven  öster- 
reichischen Truppen  bestimmt  haben! 

Der  Kaiser:  Na  rufen  Sie's  meinswegen  in  die 
Welt  hinaus !  Sie  sollen  wissen,  daß  sie  was  Gutes  aus 
Ihrem  schönen  Bayernland  zu  trinken  bekommen !  Aber 
Sie  selbst  —  essen  Sie  Ganghofer,  essen  Sie  doch! 

Ganghofer  (ißt  und  schnadahüpfelt  zugleich,  der 
Kaiser  schlägt  den  Flügeladjutanten  auf  den  Hintern,  der 
Photograph  Imipst.  Das  Gefolge  ordnet  sich  zum  Aufbruch. 
Indem  der  Kaiser  das  Auto  besteigt  und  noch  einmal  Ganghofem 

zuwinkt,  ertönt  das  Signal:   tatü-tata .  Während  man  dieses 

noch  aus  der  Ferne  hört,  schnadahüpfelt  Ganghofer  weiter. 
Dann  bleibt  er  stehen  und  sagt,  mit  völlig  verändertem  Ton): 
Das  kommt  als  Leitartikel! 

(Verwandlung.) 


145 


24.  Szene 


Zimmer  des  Generalstabschefs. 

(Conrad    v.    liötzendorf   allein.    Haltung:   die    Arme   gekreuzt, 

StandfuH  und  Spielfuß,  sinnend.) 

Conrad  (mit  einem  Blick  gen  Himmel):  Wann  nur 
jetzt  der  Skolik  da  war! 

Ein  Major  (kommt):  Exlenz  melde  gehorsamst, 
der  Skolik  is  da. 

Conrad:  Was  denn  für  ein  Skolik? 

M  a  j  0  r :  Na  der  Hofphotograph  Skolik  aus  Wien, 
der  was  seinerzeit,  während  des  Balkankrieges,  die 
schöne  Aufnahme  gemacht  hat,  wie  Exlenz  in  das 
Studium  der  Balkankarte  vertieft  sind. 

Conrad:   Ach   ja,    ich    erinnere  mich  dunkel. 

Major:  Nein,  ganz  hell.  Exlenz,  volle 
Beleuchtung. 

Conrad:  Ja,  ja,  ich  erinnere  mich,  das  war 
glorios. 

Major:  Er  beruft  sich  darauf,  daß  ihn  Exlenz 
wieder  bestellt  haben. 

Conrad:  No  bestellt  kann  man  grad  nicht 
sagen,  aber  eine  Anregung  hab  ich  ihm  zukommen 
lassen,  weil  der  Mann  wirklich  hübsche  Aufnahmen 
macht.  Er  schreibt,  er  weiß  sich  vor  die  illustrierten 
Blätter  nicht  zu  helfen,  die  Aufnahme  damals  hat 
seltenen  Sükses  ghabt,  kurzum  — 

Major:  Er  hat  auch  die  Bitte,  ob  er  jetzt 
in   Einem   die   Herrn    Generäle    aufnehmen    könnt. 

Conrad:  War  mir  nicht  lieb!  Die  solln  sich 
nur  ihre  eigenen  Photographen  kommen  lassen. 

Major:  Er  sagt,  die  ham  kan  Kopf,  da  macht 
er  eh  nur  a  Brustbild. 

Conrad:  Ah,  das  is  was  andres.  Also  herein 
mit  dem  Skolik!  Warten  Sie  —  sollen  wir  wieder 
beim  Studium  der  Balkankarte  —  das  war  ja 
außerordentlich  —  aber  ich  denk,  zur  Abwechslung 
vielleicht  die  italienische  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  10 


146 


Major:  Das  paßt  jetzt  entschieden  besser. 


(Conrad  v.  Hötzendorf  breitet  die  Karte  aus  und  versucht 
verschiedene  Stellungen.  Er  ist,  wie  der  Photograph  mit  dem 
Major  eintritt,  bereits  in  das  Studium  der  Karte  vom  italienischen 
Kriegsschauplatz  vertieft.  Der  Photograph  verbeugt  sich  tief. 
Der  Major  stellt  sich  neben  den  Tisch.  Er  und  Conrad  blicken 
starr  auf  die  Karte.) 

Conrad:  Was  gibt's  denn  schon  wieder? 
Kann  man  denn  keinen  Augenblick  —  ich  bin  doch 
gerade  — 

(Der  Major  zwinkert  dem  Photographen  zu.) 

Skolik:  Nur  eine  kleine  Spezialaufnahme, 
Exzellenz,  wenn  ich  bitten  dürfte. 

Conrad:  Ich  arbeite  gerade  für  die  Weltge- 
schichte und  da  — 

Skolik:  Ich  soll  nämlich  für  das  Interessante 
Blatt  und  da  — 

Conrad:  Aha,  zur  Erinnerung  an  die  Epoche  — 

Skolik:    Ja,  auch  für  die  Woche. 

Conrad:  Aber  da  kommt  man  am  End 
zwischen  unsere  Generäle,  das  kenn  ich  schon,  da 
möcht  ich  lieber  — 

Skolik:  Nein,  Exzellenz,  darüber  können 
Exzellenz  vollkommen  beruhigt  sein.  Bei  dem  un- 
sterblichen Namen,  den  Exzellenz  haben,  versteht 
sich  das  von  selbst,  daß  Exzellenz  ganz  separat 
erscheinen.  Die  andern,  die  kommen  alle  zsamm, 
so  unter  der  Rubrik  »Unsere  glorreichen  Heerführer« 
oder  so,  einzelweis  kommeten  s'  höchstens  für 
Ansichtskarten. 

Conrad:  So?  Wen  ham  S'  denn  da.  vergessen 
S'  mr  den  Höfer  nicht,  das  is  ein  gar  ein  tüchtiger 
Mann,  der  kriegt  20.000  Kronen  Feldzulage  dafür, 
daß  er  täglich  seinen  Namen  lesen  muß,  wenn  er 
am  Ring  die  Extraausgab  kauft. 

Skolik:  Is  scho  vorgemerkt.  Exzellenz,  selbst- 
verständlich, in  erster  Linie. 


147 


Conrad:  Was,  erste  Linie,  hammer  an  Gspaß 
ghabt!  No  wo  tun  S'  mich  dann  selber  hinmanipuliern? 
Nur  nicht  auffallend,  nur  nicht  auffallend  mein  Lieber 
wissen  S',  nicht  mit  die  andern,  diskret!  immer  diskretl 

Skolik:  Der  Raum  ist  bereits  eigens  reser- 
viert. Es  wird  das  Titelbild  sein,  von  der  Woche 
nämlich.  Eine  sehr  eine  intressante  Nummer,  aus  Wien 
hab  ich  noch  die  Probiermamselln  von  der  Wiener  Werk- 
stätten und  den  Treumann  zu  liefern,  es  kommt  aber 
auch  noch,  wie  ich  sicher  weiß,  Seine  Majestät  der 
deutsche  Kaiser  auf  der  Sauhatz,  eine  bisher  unbe- 
kannte Aufnahme  und  gleich  daneben  sehr  sensationell, 
Allerhöchstderselbe  im  Gespräch  mit  dem  Dichter 
Gangliofer.  Also  ich  glaube  Exzellenz  — 

Conrad:  No  ja,  nicht  übel,  nicht  übel  —  aber, 
lieber  Freund,  im  Augenblick  bin  ich  leider  — 
können  S'  nicht  bißl  später  kommen,  ich  bin  nämlich  — 
ich  sag's  Ihnen  im  Vertrauen,  Sie  dtirfen's  nicht 
weiter  sagen,  ich  bin  nämlich  grad  beim  Studium 
der  Karte  vom  Balkan  —  ah  was  sag  ich,  von 
Italien  — 

(Der  .Major  zwinkert  dem  Photographen,  der  zurücktreten  will,  zu.) 

Skolik:  Das  trifft  sich  gut  —  das  ist  ein 
Augenblick  der  höchsten  Geistesgegenwart,  den 
muß  man  beim  Zipfel  erwischen.  Ich  siech  schon  die 
Aufschrift:  Generaloberst  Conrad  v.  Hötzendorf 
studiert  mit  seinem  Flügeladjutanten  Major  Rudolf 
Kundmann  die  Karte  des  Balkan-,  ah  was  sag  ich, 
des  italienischen  Kriegsschauplatzes.  Derf's  so 
heißen,  Exzellenz? 

Conrad:  Na  also  meinetwegen  —  weil's  der 
Kundmann   will,   der  kann's  ja  gar  net  erwarten  — 

(Er  starrt  unablässig  auf  die  Karte,   der  Major,  der  sich   nicht 
vom  Fleck  gemhrt  hat,  gleichfalls.  Beide  richten  ihren  Schnurrbart.) 

Wird's  lang  dauern? 

Skolik:  Nur  einen  historischen  Moment, 
wenn  ich  bitten  darf  — 


10* 


Conrad:  Soll  ich  also  das  Studium  der  Karte 
vom  —  also  von  Italien  —  fortsetzen? 

Skolik:  Ungeniert,  Exzellenz,  setzen  nur  das 
Studium  der  Karten  fort  —  so  —  ganz  leger  — 
ganz  ungezwungen  —  so  —  nein,  das  war  bißl 
unnatürlich,  da  könnt  man  am  End  glauben,  es  is 
gstellt  —  der  Herr  Major  wenn  ich  bitten  darf, 
etwas  weiter  zrück  —  der  Kopf  —  gut  is  — 
nein,  Exzellenz,  mehr  ungeniert  —  und  kühn, 
bitte  mehr  kühn!  —  Feldherrnblick,  wenn  ich  bitten 
darf!  —  es  soll  ja  doch  —  so  —  es  soll  ja  doch 
eine  bleibende  histri  —  historische  Erinnerung  an 
die  große  Zeit  —  so  is's  gut!  —  nur  noch  —  bisserl 

—  soo  —  machen  Exzellenz  ein  feindliches  Gesicht! 

—  bitte  —  jetzt  —  ich  danke! 

(Verwandlung.) 

25.  Szene 

Korso. 

Ein  Spekulant:  Wissen  Sie,  wer  vollständig 
verschwunden  is? 

Ein  Realitätenbesitzer:  Ich  weiß,  der 
Fackelkraus. 

Der  Spekulant:  Wie  Sie  das  erraten  —  oft 
denk  ich,  kein  rotes  Büchl,  kein  Vortrag  —  ihn  selbst 
hat  man  auch  schon  eine  Ewigkeit  nicht  zu  Gesicht 
bekommen. 

Der  Realitätenbesitzer:  Lassen  Sie  mich  aus 
mit  Kraus,  ein  Mensch,  der  bekanntlich  keine  Ideale 
hat.  Ich  kenn  doch  seinen  Schwager.  m 

Der  Spekulant:  Ich  kenn  ihn  persönlich. 

Der  Realitätenbesitzer:  Sie  kennen  ihn 
persönlich? 

Der  Spekulant:  Ob  ich  ihn  kenn,  Tag  für 
Tag  is  er  an  mir  vorbei. 


149 


Der  Realitätenbesitzer:  Auf  den  Umgang 
müssen  Sie  nicht  stolz  sein.  Alles  in  den  Kot  zerren  — 
alles  niederreißen  —  nix  aufbauen  —  Weltverbesserer, 
tut  sich  was!  Bittsie  ich  weiß  doch,  wie  das  is.  Wie  ich 
jünger  war,  hab  ich  auch  alles  kritisiert,  nix  war 
mir  recht.  Bis  ich  mir  hab  die  Hörner  abgestoßen. 
Er  wird  sich  auch  die  Hörner  abstoßen. 

Der  Spekulant:  Er  is  doch  schon  sehr 
gedeltet. 

Der  Realitätenbesitzer:  No  sehn  Sie? 
Ich  hab  mir  sagen  lassen,  er  wird  sich  bald  zur 
Ruh  setzen. 

Der  Spekulant:  Warum  nicht,  er  hat  gewiß 
schon  hübsch  verdient. 

Der  Realitätenbesitzer:  Verdient  — !  So  klein 
is  der  geworn!  Ich  sag  Ihnen,  er  is  fertig.  Ver- 
lassen Sie  sich  auf  mich.  Da  zeigt  sichs.  Harden 
hat  nicht  aufgehört  im  Krieg.  Der  hat  eben  die 
greßeren  Themas  —  (bleibt  stehen.)  Fesch  sind  diese 
deutschen  Offiziere,  fescher  wie  unsere. 

Der  Spekulant:  Natürlich,  jetzt,  wo  ja  zu 
schreiben  war,  schreibt  er  nicht! 

Der  Realitätenbesitzer:  No  kann  er  denn? 

DerSpekulant:  Wegen  der  Zensur?  Erlauben 
Sie  mir,  da  könnte  docn  eine  geschickte  Feder,  und 
die  muß  man  ihm  lassen  — 

Der  Realitätenbesitzer:  Nicht  wegen  der 
Zensur  —  er  kann  von  selbst  nicht.  Er  hat 
sich  ausgeschrieben.  Verlassen  Sie  sich  auf  mich. 
Und  dann  —  er  fühlt  jedenfalls,  daß  jetzt  andere 
Sorgen  sind.  Das  war  ja  ganz  amüsant  im  Frieden  — 
jetzt  is  man  zu  solche  Hecheleien  nicht  aufgelegt. 
Passen  Sie  auf,  er  wirds  bald  billiger  geben.  Wissen 
Sie,  was  ich  ihm  gönnen  möcht  —  nehmen 
soUn  sie  ihn!  An  der  Front!  Da  soll  er  zeigen! 
Was  er  trefft,  is  nörgeln.  (Der  Nörgler  geht  vorbei.  Die 
beiden  grißen.) 


150 


Der  Spekulant:  So  was  von  einem  Zufall! 
Also  Sie  kennen  ihn  auch  persönlich?  Wieso? 

Der  Realitätenbesitzer:  Flüchtig,  von  einer 
Vorlesung,  ich  bin  froh  wenn  ich  ihn  nicht  seh. 
Mit  so  einem  Menschen  verkehrt  man  nicht. 
(Fanto  geht  vorbei.  Die  beiden  grüßen.) 

Beide  (gleichzeitig,  geheimnisvoll):   Fanto. 

Der  Realitätenbesitzer  (versunken):  Großer 
Mann! 

Der  Spekulant:  Warum  er  nicht  Vorlesungen 
hält?  Das  trägt  doch. 

Der  Realitätenbesitzer  (wie  erwachend): 
Wer?  —  Ja  so  —  natürlich  —  Marcell  Salzer  reist 
sogar  in  Belgien  herum,  heut  erst  hab  ich  gelesen, 
er  begibt  sich  von  dort  zur  Armee  nach  Frankreich 
und  sodann  in  das  Hauptquartier  und  zu  den  Truppen 
Hindenburgs. 

Der  Spekulant:  Hindenburg  hat  ihm  doch 
sogar  geschrieben.  Der  wird  erzählen  können.  Haben 
Sie  heut  von  die  Brandgranaten  gelesen,  selbst- 
entzündlich an  der  Luft,  was  sie  seit  zehn  Monaten  in 
Reims  hereinwerfen?  Die  lassen  nicht  locker!  Die 
arbeiten!  Sehn  Sie,  ich  kann  mir  ganz  gut  denken, 
daß  sie  dann  am  Abend  Salzer  hören  wollen. 

Der  Realitätenbesitzer:  Schad  um  dieses 
■Reims  —  die  Kathedrale  nebbich! 

Der  Spekulant:  Sie,  damit  kommen  Sie  mir 
nicht,  das  hab  ich  gern !  Entschuldigen  Sie,  wenn  es  sich 
nachgewiesenermaßen  um  einen  militärischen  Stütz- 
punkt handelt,  so  ist  das  pure  Heuchelei  von  den 
Franzosen.  Sich  hinter  einer  Kathedrale  verschanzen, 
das  hab  ach  gern,  lassen  Sie  mich  aus  mit  dem  Gesindel. 

Der  Realitätenbesitzer:  No  no  fressen 
Sie  mich  nicht  bittsie.  Hab  ich  was  gesagt?  Das 
geben  Sie  gut,  als  ob  ich  nicht  genau  ebenso 
wüßte,  wo  die  Barbaren  sind.  Deswegen  kann  einem 
doch  leid  tun  um  die  Kathedrale?  Als  Realitäten- 
besitzer — 


151 


Der  Spekulant:  No  ja  das  is  etwas  anderes, 
ich  kann  nur  nicht  leiden,  wenn  man  im  Krieg 
sentimental  is  und  besonders  dort,  wo  es  sich  um 
eine  effektive  List  handelt!  Krieg  is  eben  Krieg. 

Der  Reaiitätenbesitzer:  Da  ham  Sie  aber 
j  a  recht! 

Der  Spekulant:  Was  heißt  das?  Kann  man 
sich  einem  Escheck  aussetzen?  Der  Hieb  ist  die 
beste  Parade!  Sehn  Sie  sich  an  da  —  da  kriegt  man 
Respekt. 

Der  Realitätenbesitzer:  Warten  Sie,  ich 
wer  rufen  —  Hoch  unsere  braven  Feldgrauen! 

(Ein  deutscher  und  ein  österreichischer  Soldat,  Schulter  an  Schulter, 
treten  auf.) 

Wachtmeister  Wagenknecht:  Da  sind  wir 
denn  alle  angetreten  und  unser  Oberbombenwerfer 
sagte:  Jungens,  wenn  ihr  jetzt  mal  Lust  habt,  immer 
feste  druff. 

Feldwebel  Sedlatschek  (sich  ganz  nah  an  ihn 
haltend  und  erschreckt  zu  ihm  emporblickend):   Geh   — I 

Wagenknecht:  Erlaube  mal,  du  lehnst  ja  an 
meiner  Schulter. 

Sedlatschek:  Ah  paton  —  (tritt  zurück.) 

W a  g  e  n  k  n  e  c  h  t :  Na  so  gehts  wieder.  Also  denk 
mal  an,  der  Oberbombenweifer   überließ  es  uns  — 

Sedlatschek:  Da  schau  her,  das  is  eine 
unserer  größten  Niederlagen  —  (zeigt  auf  ein  Schaufenster) 

Wagenknecht:  Wie?  —  ach  so  —  ich  glaubte  — 
also  hör  mal  —  (er  steht  jetzt  ganz  dicht  an  Sedlatschek, 
der  zurücktaumelt.) 

Sedlatschek:  Au  weh,  du  druckst  ja  auf 
meine  Schulter! 

Wagenknecht:  Pardonk.  Also  hör  mal,  der 
Oberbombenwerfer  — 

Sedlatschek:  Tschuldige,  daß  ich  unterbreche. 
Mir  ist  das  nämlich  unklar. 

Wagenknecht:  Nanu? 


U2 


Sedlatschek:  Nämlich,  tschuldige  —  der 
Oberbombenwerfer,  sagst  du,  hat's  g'schafft.  Aber  ihr 
seids  doch  alle  Bombenoberwerfer,  wer  hat's  also 
g'schafft? 

Wagenknecht:  Ich  verstehe  deinen  Zweifel 
nicht,  ich  sagte  doch,  paß  mal  besser  auf  —  der 
Ober  bombenwerfer. 

Sedlatschek:  Noja,  aber  tschuldige  —  wirfst 
du  denn  nicht  auch  Bomben  ober?  Also  bist  du 
doch  auch  ein  Oberbombenwerfer. 

Wagenknecht:  Wieso  denn,  na  hör  mal  — 

Sedlatschek:  Alstern  —  der  Oberbomben- 
werfer, das  is  doch  einer  —  der  was  die  Bomben  — 
oberwirft,  oder  nicht? 

Wagenknecht:  Oberwirit?  Was  is  denn  das? 

Sedlatschek  (macht  die  Pantomime  des  Werfencn: 
No  —  verstehst  net  —  ober  —  von  do  —  schau 
ker  —  ober  —  auf  die  Leut. 

Wagenknecht:  Ach  so,  jetzt  versteh  ich  — 
ne«  Junge,  det  is  aber  zu  witzich  —  ik  lach  mich 
dot  —  's  ist  ja  zum  Schießen  komisch  —  nee,  so 
hatt'  ich's  nich  jemeint.  Dafür  haben  wir  doch  den 
Ausdruck:  herab! 

Sedlatschek  (ihn  verständnislos  anblickend):  Was  — 
alstern  —  der  Herabbombenwerfer? 

Wagenknecht:  Ach  nee  —  det  jibts  nich. 
Menschenskind,  paß  mal  auf.  Ik  meine,  der  Bomben- 
werfer wirft  die  Bombe  herab.  Aber  der  Ober- 
bombenwerfer — 

Sedlatschek  (ihn  anstarrend) :  Aber  der  Ober  — 
was? 

Wagenknecht:  Nu,  det  ist  doch  der  Scheff 
von  die  Bombenwerfer,  darum  heißt  er  doch  Ober- 
bombenwerfer —  wie  soll  ich  dir  das  nur  klar  machen, 
zum  Beispiel,  ach  ja,  jewiß  doch,  ihr  habt  doch  auch 
die  Bezeichnung  Oberkellner  oder  Oberleutnant  — 


153 


Sedlatschek:  Hörst,  jetzt  versteh  i  di.  Alstern 
wie  der  Oberleutnant  der  Vorgesetzte  von  die  Gast  — 
—  oder  nein  —  wie  der  Oberkellner  der  Vorgesetzte 
von  der  Mannschaft  —  nein  — 

Wagenknecht:  Ach  siehste,  in  dem  Fall 
sagen  wir  einfach:  der  Ober  —  Sie  Herr  Ober, 
kommen  Sie  mal  ran. 

Sedlatschek:  (dreht  sich  um,  salutiert  erschrocken) : 
Du,  hast  den  Oberleutnant  grufen? 

Wageiiknecht:  Aber  Menschenskind,  da 
könnte  ich  doch  nich  Ober  sagen.  Siehste,  beim 
Kellner  läßt  man  eben  die  Berufsbezeichnung  wech 
und  sagt  einfach  Ober,  aber  über  — 

Sedlatschek:  Ober  aber  über? 

Wagenknecht:  Ach  nee,  ich  wollte  nur 
sagen,  über  die  andern  Vorgesetzten  darf  man  sich 
nich  so  ankternu  ausdrücken,  man  sagt  zum  Ober- 
leutnant nicht:  Sie  Herr  Ober  —  das  wäre  doch 
'ne  Beleidigung.  Na  und  ähnlich  ist  es  mit  dem 
Oberbombenwerter. 

Sedlatschek:  Ich  versteh  —  man  muß  also 
sagen:  Herr  Oberbombenwerfer,  derf  ich  jetzt  eine 
Bomben  —  oberwerfen? 

Wagenknechl:  Na  meinswegen,  wenn's  dir 
Spaß  macht  —  ihr  Östreicher  seid  doch  zu  ulkje 
Kunden.  Na,  gestatte  'n  Augenblickchen,  ich  will 
da  nur  austreten.  (Er  geht  zu  einem  Anst?ndsort.  Da  er 
eben  eintreten  will,  tritt  Hans  Müller  heraus,  geht  auf  den 
deutschen  Wachtmeister  zu  und  küßt  ihn.) 

Wagenknecht:  Ja  haste  Worte,  ja  hörn  Se 
mal,  das  ist  ja  recht  liebenswürdich,  ihr  Wiener  seid 
überhaupt  'n  niedliches  Völkchen,  aber  — 

Hans  Müller:  Heißa,  jeden  Tag  fällt  mir 
das  Wort  Bismarcks  ein:  Unsre  Leute  sind  zum 
Küssen,  und  so  tu  ichs  denn.  Potz  Wetter!  Ich  kann 
nicht  anders,  wenn  ich  solch  eines  braven  Jungen 
ansichtig  werde.  Ich  schritt  fürbaß,  sinnend,  wie  jetzt 


154 


manch  wackern  Sohnes  das  treue  Mutterherz  gedenken 
mag,  da  kämet  ihr  des  Weges,  ein  Bürge  des  hehrsten 
Treubunds,  der  je  zwei  Völker  zusammengeschmiedet, 
und  wenn's  euch  nit  verdrießt,  Vetter,  will  ich  gern 
einen  Tropfen  mit  euch  schmecken.  Seht,  hie,  unfern, 
in  dieser  Schenke,  die  der  Fremdsinn  Bristol  nennet, 
ist  ein  guter  Tisch  gedeckt,  da  winkt  wohl  auch  ein 
leckeres  Mahl  und  in  munteren  Gesprächen,  doch 
stets  der  Weihestunde  gedenk,  soll  uns  die  Zeit 
nimmer  zu  lange  werden.  Hei,  ich  hab  einen  guten 
Stecken  und  kann  euch  rüstig  ausschreiten  wie  einer. 
Kommt,  laßt  uns  der  Geselligkeit  pflegen,  wollet  ihr? 
Hab  nit  übel  Lust,  Kamerad,  eins  zu  trinken,  wie 
wärs,  wollten  wir  selbander  den  roten  Römer  an 
die  Sonne  heben?  Oder  mögt  einem  Schoppen  Gersten- 
saft zusprechen,  ein  gar  bekömmlich  Gebräu  aus 
dem  Böhmerland!  Wird  keinen  blanken  Taler  kosten! 
Soll  euch  ein  feines  Kraut  schmecken,  das  mir  ein 
Ohm,  ein  rechter  Knasterbart,  übers  große  Wasser 
gesandt.  Hei,  wir  paffen  selbander  und  wenn  die 
losen  Kringeln  steigen,  dann  mag  wohl  auch  manch 
treugemuter  Wunsch  hinüberflattern  zu  den  Braven, 
so  itzt  um  unsers  Herdes  willen  manch  ungutem 
Feind  die  Stirn  bieten  und  die  uns  fern  sind,  seit 
wir  Händel  gekriegt  haben  mit  dem  Welschen.  Und 
ihr  —  wäret  ihr  denn  auch  im  Spittel?  Seid  bresthaft? 
Seid  wohl  gar  blessiert?  Wohlan!  Sollt  euch  nach 
Herzenslust  letzen.  Doch  lasset  uns  auch  der  Erbauung 
pflegen  und  die  geruhige,  vom  leichten  Ohngefähr 
uns  geschenkte  Stunde  sei  durch  die  Nachdenklichkeit 
gewürzt,  wie  sie  traun  dem  Inhalt  dieser  erschröck- 
lichen  Historie,  wohl  aber  auch  den  lenzlichen  Tagen 
sonnigster  Glückserwartung  geziemen  mag.  Ei,  ihr 
zögert?  Wollet  nicht?  Seid  gar  mieselsüchtig?  Possen! 
Hängt  den  Griesgram  an  die  Wand,  stellt  ihn  in  die 
finsterste  Ecke,  wo  alter  Hausrat,  zum  Feste  unnütz, 
sich  versammelt  hat!  Topp,  schlaget  ein,  ergreift 
die  Bruderhand  und  lasset  alle  guten  Geister  eurer 


155 


Lebenslust  Kirchweih  feiern!  Wie?  Schmollet  ihr 
mit  dem  blai'.en  Himmel?  Pah,  Grillen!  Ein  Brumm- 
bär, wer  heut  abseit  weilen  wollte,  ein  Gauch,  wer 
Mißtrauen  hegte  gegen  Freundeswort,  ein  Schalk, 
wer  hinginge  und  den  Kameraden  in  der  Leute 
Mund  brächte!  Hol  Dieser  und  Jener  alle  Ohren- 
bläser! Männiglich  weiß,  daß  nun  nicht  Zeit 
ist,  ein  Sauertopi  zu  sein.  Ihr  seid  kein  Töriger. 
Seid  ihr  gleich  kein  Doktor,  wir  kämen  doch  selb- 
ander  eine  gute  Strecke  weit.  Hei,  werft  nur  getrost 
den  Bengel  hoch!  (Ein  Fiaker  hält  vor  dem  Hotel  Bristol. 
Alan  hört  eine  Stimme:  Im  Kriag  kriag  i's  Doppelte!)  Ei, 
ihr  verwundert  euch  drob?  Nehmt's  nit  für  krumm, 
des  Landes  Brauch  ist's,  der  Wagenknecht  ist  ein 
Rauhbein  und  ein  Erzschelm  obendrein  — 

Wagenknecht:  Nanu? 

Hans  Müller:  —  nehmts  nit  für  ungut,  er 
eifert  ob  des  Entgelts,  denn  er  tuts  nicht  um  Gottes 
Lohn,  solch  fahrender  Gesell  kann  beileibe  nit  genung 
fodern,  und  aus  keinem  anderen  Titul  als  dem  der 
Selbstsucht.  Ei  ein  Handel,  den's  alle  Tage  gibt, 
kein  grimmer  Zwist  behüte  —  er  vermeint,  der 
andere  v/erde  eh  schon  wissen,  was  die  Schuldigkeit 
sei,  der  Fremdling  versetzt,  er  wisse  es  nicht,  wollt's 
aber  gern  erfahren,  jener  mög's  dreist  künden,  der 
beteuert,  er  fodere  nit  mehr  als  rechtens  und  was 
halt  die  Satzung  sei,  der  Fremdling,  ohn  Arg,  fragt, 
was  sie  denn  sei,  jener,  fürwitzig,  rät,  ihm  zu  Zinsen, 
was  er  halt  den  andern  zu  Zinsen  pflag,  und  schilt 
weidlich  auf  die  schlechten  Zeiten,  denn  fürwahr  der 
Haber  juckt  ihn  mehr  als  seinen  Gaul,  sie  feilschen 
munter  ein  Weil  fort,  doch  jener  zagt  nicht  und 
meint,  daß  sie  keinen  Schultheiß  nit  brauchen 
werden.  Und  siehe  da,  sie  bringen  die  rauhe  Sach 
friedlich  zu  Rande,  der  beut  ein  Zwiefaches,  der, 
annoch  kratzbürstig,  verlangt  den  Zehnten  obendrein, 
der  zahlt,  der  gibt  dem  flinken  Renner  die  Sporen 
und   nennt   jenen   einen  notigen   Beutel.     Wohlan! 


156 


Ein  jeglicher  mag  die  Gelegenheit  nutzen,  wo  die 
gute  Stund  ihm  gnädig  ist,  und  Frau  Klugheit 
führt  allerwegen  am  sichersten.  Wir  sind  nur  die 
Hansnarren  unsers  Glücks,  und  ein  Tor,  wer  nicht 
weiß,  was  gescheuter  Leute  Art  ist.  So  auch  ihr. 
Habt  ihr  nur  Witz  für  einen  Fastnachtsgroschen  und 
seit  nit  auf  den  Mund  gefallen,  so  wird  sich  Schritt 
vor  Schritt  mählich  alles  zu  euerm  Frommen  wenden. 
(Eine  Prostituierte  geht  vorbei  und  sagt:  »Komm  mit  schwarzer 
Dokter,  vpir  wollen  sich  gut  amesieren.«)  Mit  nichten, 
hab  itzt  nit  Muße.  (Zu  Wagenknecht)  Ei,  ihr  verwundert 
euch  drob?  Sc  seht  selbst  zum  Rechten  und  lasset 
euch  das  Fräulen  zu  willen  sein,  's  ist  'ne  Hübschlerin, 
die  euch  ergetzen  wird,  denn  ihr  freies  Gewerb  ist's, 
der  Wollust  obzuliegen.  Der  Teufel  hole  alle  Grillen- 
fänger und  mögt  ihr  immerhin  nach  eurem  Ermessen 
handeln,  doch  schiene  mir  solcher  Umgang  der 
ernsten  Zeitläufte  nicht  würdig.  Fasset  Mut  zu  euch 
selbst,  und  seid  ihr  auch  nicht  in  höfischer  Rede 
gewandt,  nicht  in  den  Künsten  und  Wissenschaften 
der  Gerechtsame  studieret,  der  gelahrten  Schriften 
unkundig,  ei,  Handwerk  hat  einen  goldenen  Boden, 
und  vor  mir  müsset  ihr  nicht  zaghaft  die  Zunge  hüten. 
Liegt  euch  Tand  im  Sinn,  den  ihr  eurer  Liebsten 
mitzubringen  verspracht,  einem  artigen  Bäslein  oder 
sonst  einem  schmucken  Ding,  das  ihr  just  nit 
heuern  mögtet  —  sprecht  frei  von  der  Leber. 
Sollt  ihn  haben,  und  wär's  ein  gülden  Ringlein  an 
den  Finger,  wird  wohl  den  Hals  nit  kosten. 
Bange  machen  gilt  nicht.  Ich  weiß  euch  einen 
Krämer,  der  um  Gotteslohn  schon  manch  wackern 
Krieger  aus  deutschen  Gauen  mit  köstlicher  Gabe 
von  dannen  ziehen  ließ.  Lasset  euch  darob  kein 
Sorg  nit  anfechten.  Gold  ist  traun  ein  höllisch 
Ding,  das  wohl  verwahrt  sein  will,  und  Gevatter 
Traugott  Feitel  genüber  wird  euch  t)aß  zu  Gefallen 
sein.  (Mendel  Singer  geht  vorbei.  Müller  grüßt.)  Ei,  ihr 
erkanntet  ihn  nicht?  Potz,  Meister  Mendel  wars,  ein 


157 


Singer  lobesam  und  des  Kaisers  lustiger  Rat!  Nun  aber 
wollt'  ich  schier  meinen,  daß  ihr  mit  mir  stracks  zur 
Schenke  müßt.  Ist  euch  ein  fürtrefflicher  Wirt  und 
Lcutgeb,  wird  euch  Speis  und  Trunk  bereiten,  die  euch 
wohl  munden  sollen.  Kommt,  Freund  Zaghaft,  lasst 
alle  bösen  Zweifel  fahren  und  schlagt  dem  Teufel 
Trübsinn  ein  Schnippchen.  Ist  euch  voller  Listen 
und  Nachstellungen  und  hängt  euch  wohl  gar  noch 
ein  Zipperlein  an.  Steckt  in  allerlei  Mumme 
und  zwackt  euch,  wo  ihr's  euch  nimrner  verseht. 
Nun,  Meister  Ratlos,  was  steht  ihr  so  blöde?  Seh' 
ich  aus  wie  einer,  der  Nucken  im.  Kopfe  hat?  Oder 
wähnet  ihr  gar,  mein  Beutel  sei  leer?  Hab'  manchen 
Batzen  bei  Schaubühnen  verdient  und  mit  Kriegs- 
sängen mich  tapfer  durchgeschlagen!  Bin  kein 
Spielverderber,  mein's  euch  gut  und  war  auf  eure 
Kurzweil  bedacht,  nicht,  daß  ihr  bei  hellem  Tage 
Grillen  fangen  mögtet.  Verschmähet  ihr,  weil  ihr  ein 
Reisiger  seid,  den  Umgang  eines  armen  Jungen, 
der  daheim  geblieben?  Bin  drum  kein  Drückeberger  nit. 
Weiß  euch  manch  tapferes  Liedlein,  das  euch  den 
Mut  zu  neuer  Mannestat  stählen  soll.  (Sieghart  geht  vorbei. 
Müller  grüßt. .  Ei,  ihr  erkanntet  ihn  nicht?  Potz  Seh  werenot, 
Meister  Sieghart  wars,  der  Besten  Einer,  der  von  den 
Gewaffen  Tantiemen  bezieht  —  euch  gesagt!  Wohlan l 
Ein  Schelm,  wer  mehr  gibt  als  er  hat,  doch  artiger 
Schnurren  hab  ich  wohl  ein  Schock  im  Ränzel.  Hum. 
Denkt  ihr,  daß  ich  auf  Ränke  sinne?  Oder  ich  war  ein 
Schubbejack,  der  euch  einen  Schabernack  spielen  will, 
oder  sonst  ein  müßiger  Fant,  der  nur  redt  und  schwatzt, 
um  euch  hinterdrein  zu  trügen?  Ei  der  Daus!  Seid 
nicht  hanebüchen!  Nicht  doch!  War  mein  Lebzeit  kein 
Tuckmäuser  und  Leisetreter.  Bin  sonder  Harm  und 
obschon  just  kein  Milchbart  und  Habenichts,  so 
doch  einer,  der  das  Herz  am  rechten  Fleck  hat,  sich 
der  Sonne  freut  und  im  Übrigen  unsern  Herrgott 
einen  guten  Mann  sein  läßt.  Denn  ich  bin  wacker, 
in  alle  Sättel  gerecht  und  ein  quicker  Jung.  (Ein  Mann 


158 


bückt  sich,  um  einen  Zigarrenstummel  aufzulieben.)  Gott  grüß 
euch  Alter,  schmeckt  das  Pfeifchen?  (Fortfahrend) 
Auch  üb  ich  immer  Treu  und  Redlichkeit  bis  zum 
letzten  Hauch  von  Mann  und  Roß.  Ihr  widersprecht 
vergebens.  Laßt  mich  nur  erst  zu  Worte  kommen, 
dann  sing  ich  euch  eine  eigne  Weis,  daß  ihr  schier 
vermeintet,  ich  spielt  euch  eins  zur  Fiedel  auf. 
Seht,  schon  sinkt  die  Sonne  über  das  Gelände, 
grüßt  mit  ihren  letzten  Strahlen  die  müden  Schnitter, 
die  hier  ihres  Weges  ziehn,  manch  einer  auch  von 
fröhlichem  Gejaide  weidwund  heimkehrend,  ein 
jeglicher  den  Blick  nach  dem  stillen  Ziele  gewandt, 
wo  Haus  und  Herd,  die  treuliebende  Gesponsin  und 
die  frohe  Kinderschar  seiner  warten.  Gar  manche 
näht  sich  daheim  die  Finger  wund,  denkt  frumb  an 
Kriegers  Ungemach  in  rauher  Winterszeit  und,  der 
Pflicht  ledig,  den  eigenen  Tisch  wohl  zu  bestellen, 
sorgt  sie  liebend  für  die  weitere  Sippe  der  Volks- 
genossen. Frauen  und  Mädchen  an  Vindobonas  altem 
Nibelungenstrom,  Gott  grüße  euch! 

Wagenknecht  (wie  aus  einer  Betäubung  erwachend, 
zu  Sedlatschek) :  Du,  hör  mal,  Sedlätschek  — 

Sedlatsch ek  (kommt  herbei):  Ja  hörst,  SO  lang 
brauchst  — 

Wagen kn echt:  Ach  nee,  ich  wollte  da  aus- 
treten, kommt  dir  so'n  Judenjunge  und  quatscht 
mir  was  vor  — 

Hans  Müller  (plötzlich  verändert):  Also  das  is 
vielleicht  ein  Verbrechen,  daß  ich  Sie  aus  Sympathie 
für  die  Waffenbrüderschaft  hab  ins  Bristol  einladen 
wollen?  Wer  sind  Sie?  Glauben  Sie,  mir  imponieren 
Sie?  Spielt  sich  da  auf!  Worauf  herauf?  Ich  wer' 
Ihnen  nicht  salutieren,  das  wem  Sie  nicht  erleben, 
von  mir  nicht!  Ich  wollte  mit  Ihnen  reden,  weil  ich 
für  Sonntag  ein  Feuilleton  über  die  Nibelungentreue 
schreiben  soll  —  itzt  können  Sie  lang  warten!   (Ab.) 

Wagen knecht  (erstaunt  nachblickend):  Nee,  was 
es  hier  für  Typen  gibt  in  eurem   lieben  Wien!  Der 


159 


Mann  sieht  aus  wie  'n  Jude  und  quasselt  'n  Dialekt 
wie  anno  Tobak,  wo  es  noch  jar  keene  Juden  ge- 
geben hat.  Der  Mann  ist  von  der  Presse  und  hat 
mich  geküßt!  Anstatt  daß  so  'ne  fesche  Wienerin 
es  einem  besorgt,  muß  man  hier  so  was  mitmachen. 
Menschenskind,  und  da  frage  ich,  ob  Warschau 
nicht  zu  teuer  bezahlt  ist! 

Eine  Zeitungsfrau:  Extraausgabee  —  I 
Teitscha  Bericht!  Kroßa  Sick  da  Vabtindeteen! 

Sedlatschek:  Sixt  es,  hörst  es,  da  hast  eine 
fesche  Wienerin! 

(Verwandlung.) 

26.  Szene 

Südwestfront.    Ein    Stützpunkt   auf   einer   Höhe   von    mehr  als 

dritthalbtausend  Meter.  Der  Tisch  ist  mit  Blumen  und  Trophäen 

geschmückt. 

Der  Beobachter:  Sie  kommen  schon! 

Die  S  C  h  a  1  e  k  (an  der  Spitze  einer  Schar  von  Kriegs- 
berichterstattern): Ich  sehe,  man  hat  feierliche  Vorbe- 
reitungen zu  unserem  Empfange  getroffen.  Blumen! 
Die  sind  wohl  den  Herren  Kollegen  zugedacht,  die 
Trophäen  mir!  Ich  danke  euch,  meine  Braven.  Wir 
sind  bis  zu  diesem  Stützpunkt  vorgestoßen,  es  ist 
nicht  viel,  aber  immerhin.  Man  ist  schon  zufrieden, 
daß  er  wenigstens  vom  Feind  eingesehen  ist.  Meinen 
großen  Wunsch,  einen  exponierten  Punkt  besuchen 
zu  d^ürfen,  konnte  der  Kommandant  leider  nicht 
erfülfen,  weil  das  den  Feind  aufregen  könnte,  sagt  er. 

Ein  Standschütze:  (spuckt  aus  und  sagt) : 
Grüaß  Gott. 

Die  Schalek:  Gott  wie  intressant.  Wie 
gemalt  sitzt  er  da,  wenn  er  kein  Lebenszeichen 
gäbe,  so  müßte  er  von  Defregger  sein,  was  sag 
ich,  von  Eggev-Lienz!  Mir  scheint,  er  hängt  sogar 
ein  schlau  verstohlenes  Zwinkern  ins  Auge.  Der 
einfache   Mann,   wie   er  leibt  und  lebt!   Laßt  euch, 


160 


ihr  Braven,  erzählen,  was  wir  erlebt  haben,  bis  wir 
zu  euch  vorgedrungen  sind.  Also  die  sonst  so  belebte 
Talstraße  gehört  unbestritten  dem  Kriegspressequartier. 
Oben  auf  dem  Joch,  da  hab  ich  zum  erstenmal 
etwas  wie  Genugtuung  gefühlt  beim  Anblick  der 
Verwandlung  eines  Dolomitenhotels  in  ein  Militär- 
quartier. Wo  sind  jetzt  die  geschminkten,  spitzen- 
umwogten  Signoras,  wo  ist  der  welsche  Hotelier? 
Spurlos  verschwunden.  Ah,  das  tut  wohl !  Der 
Offizier,  der  uns  geführt  hat,  hat  eine  Weile  über- 
legt, welche  Spitze  für  uns  wohl  die  geeignetste  sei. 
Er  schlug  eine  vor,  die  am  wenigsten  beschossen 
wird,  damit  waren  natürlich  die  Herren  Kollegen 
einverstanden,  ich  aber  sagte :  nein,  da  tu 
ich  nicht  mit ;  und  so  sind  wir  schließlich 
hier  heraufgekommen.  Das  ist  doch  das  mindeste. 
Beantworten  Sie  mir  bitte  jetzt  nur  die  eine  Frage: 
Wieso  habe  ich  vor  dem  Kriege  all  die  prächtigen 
Gestalten  niemals  gesehen,  denen  ich  nun  täglich 
begegne?  Der  einfache  Mann  ist  einfach  eine  Sehens- 
würdigkeit! In  der  Stadt  —  Gott  wie  fad!  Hier  ist 
jeder  eine  unvergeßliche  Erscheinung.  Wo  ist  der 
Offizier? 

Der  Offizier  (von  innen):  Beschäftigt. 

Die  Schalek:  Das  macht  nichts.  (Er  erscheint. 
Sie  beginnt  ihm  die  Einzelheiten  förmlich  aus  dem  herb  ver- 
schlossenen Mund  zu  ziehen.  Nachdem  es  geschehen  ist,  fragt  sie:) 
Wo  ist  der  Ausguck?  Sie  müssen  doch  einen 
Ausguck  haben?  Wo  ich  noch  hingekommen  bin, 
war  in  dem  Graben  des  Beobachters  zwischen  den 
Moosdeckungen  ein  fünf  Zentimeter  breiter  Ausguck 
für  mich  frei.  Ach,  hier  ist  er!  (Sie  stellt  sich  zum  Ausguck.) 

Der  Offizier  (schreiend):  Ducken!  (Die  Schalek 
duckt  sich.)  Die  drüben  wissen  ja  nicht,  wo  wir 
Beobachter  sitzen,  ein  Stück  Nase  kann  uns  verraten. 
(Die  männlichen  Mitglieder  des  Kriegspresseqiiartiers  greifen 
nach  ihren  Taschentüchern  und  halten  sie  vor.) 


161 


Die  Schalek  (beiseite):  Feiglinge!  (Die  Batterie 
beginnt  zu  arbeiten.)  Gott  sei  Dank,  wir  kommen 
gerade  recht.  Jetzt  beginnt  ein  Schauspiel  — 
also  jetzt  sagen  Sie  mir  Herr  Leutnant,  ob 
eines  Künstlers  Kunst  spannender,  leidenschaft- 
licher dieses  Schauspiel  gestalten  könnte.  Jene,  die 
daheim  bleiben,  mögen  unentwegt  den  Krieg  die 
Schmach  des  Jahrhunderts  nennen  —  hab'  ich's 
doch  auch  getan,  solange  ich  im  Hinterlande  saß  — 
jene,  die  dabei  sind,  werden  aber  vom  Fieber  des 
Erlebens  gepackt.  Nicht  wahr  Herr  Leutnant,  Sie 
stehen  doch  mitten  im  Krieg,  geben  Sie  zu,  manch 
einer  von  Ihnen  will  gar  nicht,  daß  er  ende! 

Der  Offizier:  Nein,  das  will  keiner.  Darum 
will  jeder,  daß  er  ende, 

(Man  hört  das  Sausen  von  Geschossen:  Sssss  — ) 

Die  Schalek:  Sss  — !  Das  war  eine  Granale. 

Der  Offizier:  Nein,  das  war  ein  Schrapnell. 
Das  wissen  Sie  nicht? 

Die  Schalek:  Es  fällt  Ihnen  offenbar  schwer, 
zu  begreifen,  daß  für  mich  die  Tonfarben  noch 
nicht  auseinanderstreben.  Aber  ich  iiabe  in  der  Zeit, 
die  ich  draußen  bin,  schon  viel  gelernt,  ich  werde 
auch  das  noch  lernen.  —  Mir  scheint,  die  Vorstellung 
ist  zu  Ende.  Wie  schade!  Es  war  erstklassig. 

Der  Offizier:  Sind  Sie  zufrieden? 

Die  Schalek:  Wieso  zufrieden?  zufrieden  ist 
gar  kein  Wort!  Nennt  es  Vaterlandsliebe,  ihr  Idealisten; 
FeindeshaO,  ihr  Nationalen;  nennt  es  Sport,  ihr 
Modernen;  Abenteuer,  ihr  Romantiker;  nennt  es 
Wonne  der  Kraft,  ihr  Seelenkenner  —  ich  nenne  es 
frei  gewordenes  Menschentum. 

Der  Offizier:  Wie  nennen  Sie  es? 

Die  Schalek:  Frei  gewordenes  Menschentum. 

Der  Offizier:  Ja  wissen  Sie,  wenn  man  nur 
wenigslens  alle  heiligen  Zeiten  einm.al  einen  Urlaub 
b.e){äme! 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  11 


162 


DieSchalek:  Aber  dafür  sind  Sie  doch  durch 
die  stündliche  Todesgefahr  entschädigt,  da  erlebt 
man  doch  was!  Wissen  Sie,  was  mich  am  meisten 
intressiert?  Was  denken  Sie  sich,  was  für  Empfin- 
dungen haben  Sie?  Es  ist  erstaunlich,  wie  leicht 
die  Männer  auf  dritthalbtausend  Meter  Höhe  nicht 
nur  ohne  die  Hilfe  von  uns  Frauen,  sondern  auch 
ohne  uns  selbst  fertig  werden. 

Eine  Ordonnanz  (kommt):  Melde  gehorsamst, 
Herr  Leutnant,  Zugsführer  Hofer  ist  tot. 

Die  Schalek:  Wie  einfach  der  einfache  Mann 
das  meldet!  Er  ist  blaß  wie  ein  weißes  Tuch.  Nennt 
es  Vaterlandsliebe,  Feindeshaß,  Sport,  Abenteuer 
oder  Wonne  der  Kraft  —  ich  nenne  es  freigewordenes 
Menschentum.  Ich  bin  vom  Fieber  des  Erlebens 
gepackt!  Herr  Leutnant,  also  sagen  Sie,  was  denken 
Sie   sich   jetzt,  was   für   Empfindungen   haben  Sie? 

(Verwandlung.) 


27.  Szene 

Im  Vatikan. 
Man  hört  die  Stimme  des  betenden  Benedikt. 

—  —  Im  heiligen  Namen  Gottes,  unseres 
himmlischen  Vaters  und  Herrn,  um  des  gesegneten 
Blutes  Jesu  willen,  welches  der  Preis  der  mensch- 
lichen Erlösung  gewesen,  beschwören  wir  Euch,  die 
Ihr  von  der  göttlichen  Vorsehung  zur  Regierung 
der  kriegführenden  Nationen  bestellt  seid,  diesem 
fürchterlichen  Morden,  das  nunmehr  seit  einem 
Jahre  Europa  entehrt,  endlich  ein  Ziel  zu  setzen. 
Es  ist  Bruderblut,  das  zu  Lande  und  zur  See  ver- 
gossen wird.  Die  schönsten  Gegenden  Europas, 
dieses  Gartens  der  Welt,  sind  mit  Leichen  und 
Ruinen  besät.  Ihr  tragt  vor  Gott  und  den  Menschen 
die  entsetzliche  Verantwortung  für  Frieden  und  Krieg. 


163 


Höret  auf  unsere  Bitte,  auf  die  väterliche  Stimme 
des  Vikars  des  ewigen  und  höchsten  Richters,  dem 
Ihr  werdet  Rechenschaft  ablegen  müssen.  Die  Fülle 
der  Reichtümer,  mit  denen  Gott  der  Schöpfer  die 
Euch  unterstellten  Länder  ausgestattet  hat,  erlauben 
Euch  gewiß  die  Fortsetzung  des  Kampfes.  Aber  um 
was  für  einen  Preis?  Darauf  mögen  die  Tausende 
junger  Menschenleben  antworten,  die  alltäglich  auf 
den  Schlachtfeldern  erlöschen  —  — 

(Verwandlung.) 


28.  Szene 

In  der  Redaktion. 
Man  hört  die  Stimme  des  diktierenden  Benedikt. 

Und  die  Fische,  Hummern  und  See- 
spinnen der  Adria  haben  lange  keine  so  guten 
Zeiten  gehabt  wie  jetzt.  In  der  südlichen  Adria 
speisten  sie  fast  die  ganze  Bemannung  des  >Leon 
Gambetta«.  Die  Bewohner  der  mittleren  Adria  fanden 
Lebensunterhalt  an  jenen  Italienern,  die  wir  von  dem 
Fahrzeug  »Turbine«  nicht  mehr  retten  konnten,  und 
in  der  nördlichen  Adria  wird  den  Meeresbewohnern 
der  Tisch  immer  reichlicher  gedeckt.  Dem  Unter- 
seeboot »Medusa«  und  den  zwei  Torpedobooten  hat 
sich  jetzt  der  Panzerkreuzer  »Amalfi«  zugesellt.  Die 
Musterkollektion  der  maritimen  Ausbeute,  die  sich 
bisher  auf  das  »maritime  Kleinzeug«  erstreckte,  hat 
einen  gewichtigen  Zuwachs  erhalten,  und  bitterer 
denn  je  muß  die  Adria  sein,  deren  Grund  sich 
immer  mehr  und  mehr  mit  den  geborstenen  Leibern 
italienischer  Schiffe  bedeckt  und  über  deren  blaue 
Fluten  der  Verwesungshauch  der  gefallenen  Befreier 
vom  Karstplateau  streicht 

(Verwandlung.) 

11* 


164 


29.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Sie  können  nicht  leugnen, 
daß  der  Krieg,  abgeseiien  von  den  guten  Folgen 
für  die,  welche  ständig  dem  Tod  ins  Auge  blicken  müssen, 
auch  einen  seelischen  Aufschwung  mit  sich  gebracht 
hat. 

Der  Nörgler:  Ich  beneide  den  Tod  nicht 
darum,  daß  er  sich  jetzt  von  so  vielen  armen  Teufeln 
ins  Auge  blicken  lassen  muß,  die  erst  durch  die 
allgemeine  Galgenpflicht  auf  ein  metaphysisches 
Niveau  emporgezogen  werden,  abgesehen  davon,  daß 
es  in  den  meisten  Fällen  mißlingt. 

Der  Optimist:  Die  Guten  werden  besser 
und  die  Schlechten  gut.  Der  Krieg  läutert. 

Der  Nörgler:  Er  nimmt  den  Guten  den 
Glauben,  wenn  er  ihnen  nicht  das  Leben  nimmt, 
und  er  macht  die  Schlechten  schlechter.  Die 
Kontraste  des  Friedens  waren  groß  genug. 

Der  Optimist:  Aber  merken  Sie  nicht  den 
seelischen  Aufschwung  des  Hinterlands? 

DerNörgler:  Was  den  seelischen  Aufschwung 
des  Hinterlands  anlangt,  so  habe  ich  ihn  bisher 
nicht  anders  gemerkt  als  den  Straßenstaub,  den  die 
Kehrichtwalze  aufwirbelt,  damit  er  wieder  zu 
Boden  sinke. 

Der  Optimist:  Es  verändert  sich  also  nichts? 

Der  Nörgler:  Doch,  aus  Staub  wird  Dreck, 
weil  auch  der  Spritzwagen  noch  hinterher  geht. 

Der  Optimist:  Sieglauben  also  nicht,  daß 
sich  seit  dem  Anfang  August,  da  sie  ausgezogen 
sind,  etwas  gebessert  hat? 

Der  Nörgler:  Anfang  August,  ja  das  war 
der  Ausziehtermin,  als  man  der  Menschheit  die  Ehre 
gekündigt  hatte.  Sie  hätte  ihn  vor  dem  Weltgericht 
anfochten  sollen. 


I 


165 


Der  Optimist:  Wuilen  Sie  etwa  die 
Begeisterung,  mit  der  unsere  braven  Soldaten  ins 
Feld  ziehen,  und  den  Stolz,  mit  dem  die  Daheim- 
bleibenden ihnen  nachblicken,  in  Abrede  stellen? 

Der  Nörgler:  Gewiß  nicht;  nur  behaupten, 
daß  die  braven  Soldaten  lieber  mit  den  stolz 
Nachblickenden  tauschen  würden  als  die  stolz 
Nachblickenden  mit  den  braven  Soldaten. 

Der  Optimist:  Wollen  Sie  die  große 
Solidarität  in  Abrede  stellen,  die  der  Krieg  wie 
mit  einem  Zauberschlage  hergestellt  hat? 

Der  Nörgler:  Die  Solidarität  wäre  noch 
größer,  wenn  keiner  hinausziehen  müßte  und  alle 
stolz  nachblicken  dürften. 

Der  Optimist:  Der  deutsche  Kaiser  hat 
gesagt:  Es  gibt  keine  Parteien  mehr,  es  gibt  nur 
noch  Deutsche. 

Der  Nörgler:  Das  mag  für  Deutschland 
richtig  sein,  anderswo  haben  die  Menschen  vielleicht 
doch  einen  noch  höheren  Ehrgeiz. 

Der  Optimist:  Wieso? 

Der  Nörgler:  Es  versteht  sich  schon  nach 
der  Nationalität,  daß  sie  anderswo  keine  Deutschen  sind. 

Der  Optimist:  Wer  hat  wie  Sie  die 
Menschheit  im  Frieden  faulen  gesehn? 

Der  Nörgler:  Sie  trägt  ihre  Fäulnis  in  den 
Krieg,  sie  steckt  den  Krieg  mit  ihr  an,  sie  läßt  ihn 
an  ihr  verkommen  und  sie  wird  sie  unversehrt  und 
vermehrt  hinüber  in  den  Frieden  retten.  Ehe  der  Arzt 
die  Pest  heilt,  hat  sie  ihn  und  den  Patienten  um- 
gebracht. 

Der  Optimist:  Ja,  aber  ist  denn  für  eine 
so  geartete  Menschheit  der  Krieg  nicht  besser  als 
der  Friede? 

Der  Nörgler:  Ist  es  so,  so  kommt  der 
Friede  hintennach. 

Der  Optimist:  Ich  würde  doch  glauben, 
daß  der  Krieg  dem  Übel  ein  Ende  macht. 


166 


Der  Nörgler:  Er  setzt  es  fort. 

Der  Optimist:  Der  Krieg  als  solcher? 

Der  Nörgler:  Der  Krieg  als  dieser.  Er  wirkt 
aus  den  Verfallsbedingungen  der  Zeit,  mit  ihren 
Bazillen  sind  seine  Bomben  gefüllt. 

Der  Optimist:  Aber  es  gibt  doch  wenigstens 
wieder  ein  Ideal.  Ist  es  da  mit  dem  Übel  nicht  vorbei? 

Der  Nörgler:  Das  Übel  gedeiht  hinter  dem 
Ideal  am  besten. 

Der  Optimist:  Aber  die  Beispiele  von 
Opfermut  müssen  doch  fortwirken  über  den  Krieg 
hinaus. 

Der  Nörgler:  Das  Übel  wirkt  durch  den 
Krieg  und  über  ihn  fort,   es  mästet  sich  am  Opfer. 

Der  Optimist:  Sie  unterschätzen  die  sitt- 
lichen Kräfte,  die  der  Krieg  in  Bewegung  setzt. 

Der  Nörgler:  Das  sei  fern  von  mir.  Viele, 
die  jetzt  sterben  müssen,  dürfen  zwar  auch  morden, 
sind  aber  jedenfalls  der  Möglichkeit,  zu  wuchern, 
enthoben.  Nur  daß  sich  für  diesen  Ausfall  die  andern, 
die  ihnen  stolz  nachblicken,  entschädigen  können. 
Die  dort  sind  die  superarbitrierten  Sünder;  die  hier 
rücken  frisch  ein. 

Der  Optimist:  Sie  verwechseln  eine  Ober- 
flächenerscheinung, wie  sie  die  korrupte  Großstadt 
bietet,  mit  dem  gesunden  Kern. 

Der  Nörgler:  Die  Bestimmung  des  gesunden 
Kerns  ist,  Oberflächenerscheinung  zu  werden.  Die 
Richtung  der  Kulturtendenz  führt  zur  Welt  als 
Großstadt.  Im  Handumdrehn  können  Sie  aus  einem 
westphälischen  Bauern  einen  Berliner  Schieber 
machen,  umgekehrt  gehts  nicht  und  zurück  ginge 
es  auch  nicht  mehr. 

Der  Optimist:  Aber  die  Idee,  für  die 
gekämpft  wird,  bedeutet  doch  eben  dadurch,  daß 
wieder  eine  Idee  da  ist  und  daß  man  sogar  für  sie 
sterben  kann,  die  Möglichkeit  einer  Gesundung. 


167 


Der  Nörgler:  Man  kann  sogar  für  sie 
sterben  und  wird  trotzdem  nicht  gesund.  Man  stirbt 
eben  nicht  für  sie,  sondern  an  ihr.  Und  man  stirbt 
an  ihr,  ob  man  für  sie  lebt  oder  stirbt,  in  Krieg 
und  Frieden.  Denn  man  lebt  von  ihr. 

Der  Optimist:  Das  ist  ein  Wortspiel. 
Welche  Idee  haben  Sie  im  Auge? 

Der  Nörgler:  Die  Idee,  für  die  das  Volk 
stirbt,  ohne  sie  zu  haben,  ohne  etwas  von  ihr  zu 
haben,  und  an  der  das  Volk  stirbt,  ohne  es  zu 
wissen.  Die  Idee  der  kapitalistischen,  also  jüdisch- 
christlichen Weltzerstörung,  die  im  Bewußtsein  jener 
liegt,  die  nicht  kämpfen,  sondern  für  die  Idee  und 
von  ihr  leben  und  wenn  sie  nicht  unsterblich  sind, 
an  Fettsucht  oder  Zuckerkrankheit  sterben. 

Der  Optimist:  Wenn  also  nur  für  eine 
solche  Idee  gekämpft  wird,  wer  würde  dann  siegen? 

Der  Nörgler:  Hoffentlich  nicht  jene  Kultur, 
die  sich  am  willigsten  der  Idee  überlassen  hat,  deren 
Durchsetzung  von  eben  der  Macht-Organisation 
abhängt,  zu  welcher  diese  Idee  ausschließlich  fähig  war. 

Der  Optimist:  Ich  verstehe.  Die  andern, 
die  Feinde,  würden  dann  also  für  eine  andere  Idee 
kämpfen? 

Der  Nörgler:  Hoffentlich.  Nämlich  für  eine 
Idee.   Nämlich  für  die,   die  europäische  Kultur  von 
dem  Druck  jener  Idee  zu  befreien.   Sich   selbst   zu" 
befreien,   sich   selbst   auf   dem  Weg,    auf   dem   die 
Gefahr  gespürt  wird,  zur  Umkehr  zu  bringen. 

Der  Optimist:  Und  Sie  glauben,  daß  der- 
gleichen den  Staatsmännern  der  feindlichen  Mächte 
bewußt  ist,  die  doch  gerade  in  offenkundiger  Weise 
Handelsinteressen  vertreten  und  als  die  Partei  des 
händlerischen  Neides  vor  der  Weltgeschichte 
gezeichnet  sind  ? 

Der  Nörgler:  Die  Weltgeschichte  erscheint 
bei  uns  täglich  zweimal,  also  zu  oft,  um  sich  die 
nötige   Autorität    bei    der   Entente    zu    verschaffen. 


168 


Nein,  bewußt  ist  den  Staatsmännern  nie  eine  Idee, 
aber  in  dem  Instinkt  der  Völker  lebt  sie  so  lange, 
bis  sie  sich  eines  Tages  in  einer  staatsmännischen 
Handlung  manifestiert,  die  dann  ein  ganz  anderes 
Gesicht,  ein  ganz  anderes  Motiv  hat.  Man  sollte  sich 
allmählich  gewöhnen,  das,  was  man  britischen  Neid, 
französische  Revanchesucht  und  russische  Raubgier 
nennt,  als  eine  Aversion  gegen  den  ehernen  Tritt 
deutscher  Schweißfüße  aufzufassen. 

Der  Optimist:  Sie  glauben  also  nicht, 
dab  es  sich  einfach  um  einen  planmäßigen  Überiall 
handelt? 

Der  Nörgler:  Doch. 

Der  Optimist:  Also  wie  —  ? 

Der  Nörgler:  Ein  Überfall  geschieht  in  der 
Regel  gegen  den,  der  überfallen  wird,  seltener  gegen 
den,  der  überfällt.  Oder  nennen  wir  es  einen  Überfall, 
der  für  den  Überfallenden  etwas  überraschend  kam, 
und  einen  Akt  der  Notwehr,  der  den  Überfallenden 
ein  wenig  überrumpelt  hat. 

Der   Optimist:   Sie  belieben   zu   scherzen. 

Der  Nörgler:  Im  Ernst  halte  ich  diesen 
europäischen  Zusammenschluß  gegen  Mitteleuropa 
für  die  letzte  elementare  Tatsache,  deren  die  christ- 
liche Zivilisation  fähig  war. 

Der  Optimist:  Sie  sind  also  offenbar  der 
Ansicht,  daß  nicht  Mitteleuropa,  sondern  die  Entente 
im  Zustand  der  Notwehr  gehandelt  hat.  Wenn  sie 
aber,  wie  sich  zeigt,  nicht  fähig  ist,  diese  Notwehr 
eines  Überfalls  erfolgreich  durchzuführen? 

Der  Nörgler:  Dann  würde  dieser  Händler- 
krieg vorläufig  zu  Gunsten  jener  entschieden  werden, 
die  weniger  Religion  hatten,  um  nach  hundert  Jahren 
in  einen  offenen  Religionskrieg  überzugehen. 

Der  Optimist:  Wie  meinen  Sie  das? 

Der  Nörgler:  Ich  meine,  daß  dann  das 
judaisierte  Christentum  Europas  vor  dem  Gebot  des 
asiatischen  Geistes  die  Waffen  strecken  wird. 


1 


169 


Der  Optimist:  Und  mit  welchen  Waffen 
würde  der  asiatische  Geist  das  erzwingen? 

Der  Nörgler:  Mit  Waffen.  Mit  eben  der 
Idee  der  Quantität  und  der  entwickelten  Technik, 
mit  der  allein  der  Idee,  dem  infernalischen  Geist 
Mitteleuropas  beizukommen  ist.  Die  Quantität  hat 
China  schon,  die  andere  Waffe  wird  es  sich  noch 
zulegen.  Es  wird  für  rechtzeitige  Japanisierung  sorgen. 
Es  wird  so  verfahren  wie  heute  in  kleinerem  Maße 
England,  das  sich  den  Militarismus  anschaffen  muß, 
um  mit  ihm  fertig  zu  werden. 

Der  Optimist:  Aber  es  wird  ja  mit  ihm 
nicht  fertig. 

Der  Nörgler:  Ich  hoffe,  doch.  Und:  daß 
es  nicht  selbst  fertig  würde,  wenn  es  den  Milita- 
rismus bekäme;  und  daß  es  nicht  mit  g'^istiger 
Verarmung  einen  materiellen  Sieg  erkaufe.  Sonst 
würde  Europa  verdeutscht.  Der  Militarismus  ist 
vielleicht  ein  Zustand,  durch  den  ein  europäisches  Volk 
besiegt  wird,  nachdem  es  durch  ihn  gesiegt  hat. 
Die  Deutschen  haben  sich  als  erste  aufgeben  müssen, 
um  das  erste  Militärvolk  der  Erde  zu  sein.  Möge  es  den 
andern  nicht  ähnlich  ergehen,  zumal  den  Engländern, 
die  ein  edlerer  Selbsterhaltungstrieb  bisher  vor  der 
allgemeinen  Wehrpflicht  bewahrt  hat.  Die  jetzige 
Notwehr,  die  den  allgemeinen  Zwang  herbeiruft, 
ist  nicht  nur  ein  verzweifelter,  sondern  auch  ein 
zweifelhafter  Versuch.  England  könnte  zugleich  mit 
Deutschland  sich  selbst  besiegen.  Die  einzige  Rasse, 
die  stark  genug  ist,  das  technische  Leben  zu  über- 
dauern, lebt  nicht  in  Europa.  So  sehe  ich  es  manchmal. 
Gebe  der  Christengott,  daß  es  anders  kommt! 

Der  Optimist:  Aha,  Ihre  Chinesen;  die 
kriegsuntüchtigste  Rasse ! 

Der  Nörgler:  Gewiß,  sie  lassen  heute  alle 
Errungenschaften  der  Neuzeit  vermissen,  denn  sie 
haben  sie  vielleicht  in  einer  uns  unbekannten  Vorzeit 
schon  durchgemacht  und  ihr  Leben  daraus  gerettet. 


170 


Sie  werden  sie  spielend  wieder  erringen,  sobald  sie 
sie  brauchen  werden,  um  sie  den  Europäern  abzu- 
gewöhnen. Sie  werden  auch  Firlefanz  treiben:  aber 
zu  einem  moralischen  Zwecke.  Das  nenne  ich  einen 
Religionskrieg,  der  eine  Art  hat. 

Der  Optimist:  Welcher  Idee  verhilft  er 
zum  Siege? 

Der  Nörgler:  Der  Idee,  daß  Gott  den 
Menschen  nicht  als  Konsumenten  oder  Produzenten 
erschaffen  hat,  sondern  als  Menschen.  Daß  das 
Lebensmittel  nicht  Lebenszweck  sei.  Daß  der  Magen 
dem  Kopf  nicht  über  den  Kopf  wachse.  Daß  das 
Leben  nicht  in  der  Ausschließlichkeit  der  Erwerbs- 
interessen begründet  sei.  Daß  der  Mensch  in  die  Zeit 
gesetzt  sei,  um  Zeit  zu  haben  und  nicht  mit  den 
Beinen  irgendwo  schneller  anzulangen  als  mit  dem 
Herzen. 

Der  Optimist:  Das  ist  Urchristentum. 

Der  Nörgler:  Christentum  ist  es  nicht,  denn 
dieses  war  nicht  widerstandsfähig  vor  der  Rache 
Jehovahs.  Seine  Verheißung  zu  schwach,  um  den 
irdischen  Heißhunger  vertrösten  zu  können,  der  sich 
für  die  himmlische  Entschädigung  schon  hienieden 
entschädigt.  Denn  diese  Art  Menschheit  ißt  nicht, 
um  zu  leben,  sondern  lebt  um.  zu  essen  und  stirbt 
nun  gar  dafür.  Freudenhaus  und  Schlachthaus  und 
im  Hintergrund  die  Kapelle,  in  der  ein  vereinsamter 
Papst  die  Hände  ringt. 

Der  Optimist:  Also  mit  einem  Wort,  die 
Idee  ist  der  Kampf  gegen  den  Materialismus. 

DerNörgler:  Also  mit  einem  Wort :  die  Idee. 

Der  Optimist:  Aber  ist  denn  nicht  der 
deutsche  Militarismus  gerade  jene  konservative  Ein- 
richtung, die  den  von  Ihnen  verachteten  Tendenzen 
der  modernen  Welt  entgegensteht?  Ich  wundere 
mich,  daß  ein  konservativer  Denker  gegen  den 
Militarismus  spricht. 


i 


171 


Der  Nörgler:  Ich  wundere  mich  gar  nicht, 
daß  ein  Fortschrittsmann  für  den  Militarismus  spricht, 
Sie  haben  ganz  recht:  denn  der  Militarismus  ist 
nicht  das  was  ich  meine,  sondern  das  was  Sie  meinen. 
Er  ist  das  Machtmittel,  das  der  jeweils  herrschenden 
Geistesrichtung  zu  ihrer  Durchsetzung  dient.  Heute 
dient  er,  nicht  anders  als  ihr  die  Presse  dient,  der 
Idee  jüdisch-kapitalistischer  Weltzerstörung. 

Der  Optimist:  Aber  in  den  Äußerungen 
der  feindlichen  Mächte  ist  von  nichts  anderm  die 
Rede  als  daß  sie  die  Freiheit  gegen  die  Autokratie 
schützen  wollen. 

Der  Nörgler:  Das  ist  jetzt  das  nämliche. 
Was  im  Instinkt  der  Menschheit,  auch  der  unfreiesten, 
lebt,  ist  die  Sehnsucht,  die  Freiheit  des  Geistes 
gegen  die  Diktatur  des  Geldes,  die  Menschenwürde 
gegen  die  Autokratie  des  Erwerbs  zu  schützen.  Der 
Militarismus  ist  das  Machtmittel  dieser  Diktatur, 
anstatt  daß  er  innerhalb  des  Staates  zum  Werkzeug 
gegen  sie  verwendet  würde,  zu  dem  er  von  Natur 
geschaffen  ist.  Seitdem  die  todbringende  Waffe  ein 
Industrieprodukt  ist,  kehrt  sie  sich  gegen  die  Mensch- 
heit, und  der  Berufssoldat  weiß  nicht  mehr,  welcher 
Bestrebungen  Werkzeug  er  ist.  Auch  Rußland  kämpft 
gegen  die  Autokratie.  Aus  einem  letzten  kulturellen 
Instinkt  heraus  wehrt  es  sich  gegen  die  dem  Geist 
und  der  Menschenwürde  gefährlichste  Macht,  gegen 
jene  Überredung,  der  die  prinzipielle  Unterworfenheit 
des  christlichen  Gedankens  am  leichtesten  und  zum 
heillosesten  Pakte  unterliegt. 

Der  Optimist:  Sollten  aber  die  heterogenen 
Völker,  die  zu  diesem  Krieg  zusammengetrommelt 
wurden,  eben  diese  eine  gemeinsame  Sehnsucht 
haben?  Die  russische  Autokratie  und  die  westliche 
Demokratie? 

Der  Nörgler:  Eben  diese  Antithese  beweist 
die  tiefere  Gemeinsamkeit,  die  über  das  politische 
Ziel    hinausgreift.    Und    daß    selbst    die    Kontraste 


172 


zusammengehen,  beweist,  daß  die  schlechte  Politik 
Deutschlands,  diese  Ohnmacht  gegen  diplomatische 
Schulregeln,  der  Ausdruck  einer  Entwicklungs- 
notwendigkeit  war. 

Der  Optimist:  Aber  das  Gemenge  dieser 
Verbündeten  ist  doch  allzu  bunt. 

Der  Nörgler:  Die  Mischung  beweist  die 
Echtheit  des  Hasses. 

Der  Optimist:  Aber  der  Haß  gebraucht 
die  falschesten  Argumente. 

Der  Nörgler:  Das  tut  der  Haß  immer,  doch 
seine  iaischen  Argumente  sind  ein  Beweis  für  die 
Wahrheit  seines  Instinkts. 

Der  Optimist:  So  hätten  also  die  Deutschen 
es  nötig,  aus  den  Reichen  der  Lüge  sich  kulturelle 
Auffrischung  zu  holen? 

Der  Nörgler:  Nötig  wohl,  aber  ein  Sieg 
würde  es  ihnen  überflüssig  erscheinen  lassen. 
Sie  würden  von  ihren  bedenklichsten  Wahrheiten 
nicht  zu  heilen  sein.  Denn  es  ist  immerhin  fraglich, 
ob  nicht  die  »Lügen  des  Auslands^  vorausgesetzt, 
daß  nicht  auch  sie  made  in  Germany  sind,  mehr 
Lebenssaft  enthalten  als  eine  Wahrheit  des  Wolff'schen 
Büros.  Bei  jenen  kann  man  die  Lüge,  die  einem 
Naturell  entspringt,  von  der  Wahrheit,  die  einer 
Einsicht  entspringt,  unterscheiden ;  hier  sagen  sie 
selbst  die  Wahrheit  wie  gedruckt  und  alles  entspringt 
dem  Papier.  Ist  die  Lüge  in  romanischen  Ländern 
ein  RauscJ!,  so  ist  sie  hier  eine  Wissenschaft  und 
darum  dem  Organismus  gefährlich.  Die  dort  sind 
Künstler  der  Lüge,  sie  glauben  selbst  nicht  daran, 
sie  wollen  sie  aber  hören,  weil  ihnen  die  Lüge 
deutlicher  sagt,  was  sie  empfinden :  ihre  Wahrheit. 
Die  hier  lügen  um  kein  Wort  mehr  als  für  den 
zu  erreichenden  Zweck  unbedingt  notwendig  ist; 
sie  sind  Ingenieure  der  Lüge,  sie  sichern  durch  sie 
ihre  Kriegs-  und  Lebenslüge. 


173 


Der  Optimist:  Die  Vorwürfe,  daß  die 
deutsche  Kriegführung  barbarisch  sei,  sind  doch 
zu  albern. 

Der  Nörgler:  Nehmen  wir  mit  Gott  an,  die 
deutsche  Kriegführung  sei  bis  auf  etliche  nur  als 
Repressalien  angewandte  Maßnahmen,  die  zufällig 
immer  die  Zivilbevölkerung  treffen,  und  bis  auf 
Fälle  wie  den  der  Lusitania,  die  der  Biedersinn 
»Zwischenfälle«  nennt,  nicht  barbarischer  als  die 
Kriegführung  der  andern.  Aber  wenn  die  andern 
sagen,  die  deutsche  Kriegführung  sei  barbarisch,  so 
füiilen  sie  doch  mit  Recht,  daß  die  deutsche  Friedens- 
führung barbarisch  ist.  Und  das  muß  sie  gewesen 
sein,  da  sie  sonst  nicht  seit  Generationen  auf  dem 
Gedanken  aufgebaut  gewesen  wäre,  die  deutsche 
Kriegführung  vorzubereiten. 

Der  Optimist:  Aber  die  Deutschen  sind 
schließlich  doch  auch  das  Volk  der  Dichter  und 
Denker.  Widerspricht  nicht  die  deutsche  Bildung 
dem  von  Ihnen  behaupteten  Materialismus? 

Der  Nörgler:  Die  deutsche  Bildung  ist 
kein  Inhalt,  sondern  ein  Schmückedeinheim,  mit 
dein  sich  das  Volk  der  Richtei  und  Henker  seine 
Leere  ornamentiert. 

Der  Optimist:  Das  Volk  der  Richter  und 
Henker?  So  nennen  Sie  die  Deutschen?  Das  Volk 
Goethes  und  Schopenhauers? 

DerNörgler:  So  kann  es  sich  selbst  nennen, 
weil  es  gebildet  ist,  aber  es  müßte  dafür  von  rechts- 
wegen  nach  seinem  populärsten  Strafparagraphen, 
nämlich  wegen  groben  Unfugs,  vom  Weltgericht 
abgeurteilt  werden. 

Der  Optimist:  Warum  denn? 

DerNörgler:  Weil  Goethe  und  Schopenhauer 
gegen  den  heutigen  Zustand  des  deutschen  Volkes 
mil  mehr  Berechtigung  alles  das  vorbrächten,  was 
sie  gegen  ihre  deutsche  Zeitgenossenschaft  auf  dem 
Herzen  hatten,  und  mit  mehr  Schärfe  als  der  ,Matin'. 


174 


Sie  müßten  heute  froh  sein,  wenn  es  ihnen  glückte, 
als  lästige  Inländer  über  die  Grenze  zu  kommen. 
Goethe  hat  schon  dem  aufgeschwungenen  Zustand, 
in  dem  sich  sein  Volk  während  des  Befreiungskrieges 
befand,  nichts  als  das  Gefühl  der  Leere  abgewinnen 
können,  und  die  deutsche  Umgangs-  und  Zeitungs- 
sprache könnte  Gott  danken,  wenn  sie  heute  noch 
auf  dem  Niveau  wäre,  auf  dem  Schopenhauer  sie 
verächtlich  gefunden  hat.  Kein  Volk  lebt  entfernter 
von  seiner  Sprache,  also  von  der  Quelle  seines 
Lebens,  als  die  Deutschen,  Welcher  neapolitanische 
Bettler  stünde  seiner  Sprache  nicht  näher,  als  der 
deutsche  Professor  der  seinen !  Ja,  aber  gebildet  ist 
dieses  Volk  wie  kein  andres  und  weil  seine  Doktoren 
ohne  Ausnahme,  das  heißt,  wenn  sie  nicht  in  einem 
Pressequartier  unterkommen,  mit  Gasbomben 
hantieren,  macht  es  gleich  seine  Feldherrn  zu 
Doktoren.  Was  hätte  Schopenhauer  zu  einer  philo- 
sophischen Fakultät  gesagt,  die  ihre  höchste  Ehre 
an  einen  Organisator  des  Maschinentods  vergibt? 
Gebildet  sind  sie,  das  muß  ihnen  der  britische 
Neid  lassen,  und  v/issen  Bescheid  von  allem. 
Ihre  Sprache  dient  eben  noch  dem  Zweck,  Bescheid 
zu  sagen.  Dieses  Volk  schreibt  heute  das  abgestutzte 
Volapük  des  Weltkommis  und  wenn  es  die  Iphigenie 
nicht  zufällig  ins  Esperanto  rettet,  so  überläßt  es 
das  Wort  seiner  Klassiker  der  schonungslosen 
Barbarei  aller  Nachdrucker  und  entschädigt  sich  in 
einer  Zeit,  in  der  kein  Mensch  mehr  das  Schicksal 
des  Wortes  ahnt  und  erlebt,  durch  Luxusdrucke, 
Bibliophilie  und  ähnliche  Unzucht  eines  Ästhetizismus, 
die  ein  so  echtes  Stigma  des  Barbarentums  ist  wie 
das  Bombardement  einer  Kathedrale. 

Der  Optimist:  Aha,  aber  die  Kathedrale 
von  Reims  war  ein  militärischer  Beobachtungsposten! 

Der  Nörgler:  Interessiertmich  nicht.  DieMensch- 
heit  selbst  ist  ein  militärischer  Beobachtungsposten  — 
ich  wollte,  sie  würde  von  Kathedralen  beschossen. 


i 


175 


Der  Optimist:  Aber  das  mit  der  deutschen 
Sprache  verstehe  ich  nicht  ganz.  Sie  sind  der,  der 
mit  der  deutschen  Sprache  förmlich  verlobt  tut  und 
ihr  in  der  Schrift  gegen  den  Heineismus  den  Vorzug 
vor  den  romanischen  Sprachen  zuerkannt  hat.  Jetzt 
denken  Sie  offenbar  anders. 

Der  Nörgler:  Daß  ich  jetzt  anders  denke, 
kann  nur  ein  Deutscher  finden.  Eben  ich  denke  so, 
weil  ich  mit  ihr  verlobt  bm.  Ich  bin  ihr  auch  treu. 
Und  ich  weiß,  wie  dieser  Krieg  es  bestätigen  wird 
und  wie  ein  Sieg,  vor  dem  Gott  uns  bewahren  möge, 
der  vollkommenste  Verrat  am  Geiste  wäre. 

Der  Optimist:  Sie  sehen  doch  aber  die 
deutsche  Sprache  als  die  tiefere? 

Der  Nörgler:  Aber  tief  unter  ihr  den 
deutschen  Sprecher. 

Der  Optimist:  Und  die  andern  Sprachen 
stehn  doch  nach  Ihrer  Ansicht  tief  unter  der  deutschen? 

Der  Nörgler:  Aber  die  andern  Sprecher  höher. 

Der  Optimist:  Sind  Sie  denn  in  der  Lage, 
einen  faßbaren  Zusammenhang  zwischen  der  Sprache 
und  dem  Krieg  herzustellen? 

Der  Nörgler:  Etwa  den :  daß  jene  Sprache, 
die  am  meisten  zu  Phrase  und  Vorrat  erstarrt  ist, 
auch  den  Hang  und  die  Bereitschaft  hat,  mit  dem 
Tonfall  der  Überzeugung  alles  das  an  sich  selbst 
untadelig  zu  finden,  was  dem  andern  zum  Vorwurf 
gereicht. 

Der  Optimist:  Und  das  sollte  eine  Qualität 
der  deutschen  Sprache  sein? 

Der  Nörgler:  Hauptsächlich.  Sie  ist  heute 
selbst  jene  Fertigware,  die  an  den  Mann  zu  bringen 
den  Lebensinhalt  ihrer  heutigen  Sprecher  ausmacht, 
und  sie  hat  nur  noch  die  Seele  des  Biedermannes, 
der  gar  keine  Zeit  hatte,  eine  Schlechtigkeit  zu 
begehen,  weil  sein  Leben  nur  auf  sein  Geschäft  auf- 
und  draufgeht  und  wenns  nicht  gereicht  hat,  ein 
offenes  Konto  bleibt. 


176 


Der  Optimist:  Sollten  diese  Gedanken 
nicht  weit  hergeholt  sein? 

Der  Nörgler:  Von  dem  Fernsten,  von  der 
Sprache, 

Der  Optimist:  Und  suchen  die  andern  kein 
Geschäft  ? 

Der  Nörgler:  Aber  ihr  Leben  geht  nicht 
drauf  auf. 

Der  Optimist:  Die  Engländer  machen  mit 
dem  Krieg  ein  Geschäft  und  ließen  auch  stets  nur 
Söldner  für  sich  kämpfen. 

Der  Nörgler:  Die  Engländer  sind  eben  keine 
Idealisten,  sie  wollen  für  ihr  Geschäft  nicht  ihr  Leben 
einsetzen. 

Der  Optimist:  Söldner  kommt  unmittelbar 
von  Sold,  da  haben  Sie  Ihre  Sprache! 

Der  Nörgler:  Ein  klarer  Fall.  Aber  Soldat 
noch  unmittelbarer.  Der  Unterschied  ist  freilich,  daß 
der  Soldat  weniger  Sold  und  mehr  Ehre  bekommt, 
wenn  er  fürs  Vaterland  sterben  geht. 

Der  Optimist:  Aber  unsere  Soldaten  kämpfen 
doch  eben  fürs  Vaterland. 

Der  Nörgler:  Ja,  das  tun  sie  wirklich,  und 
zum  Glück  aus  Begeisterung,  weil  sie  sonst  dazu 
gezwungen  wären.  Die  Engländer  sind  keine 
Idealisten.  Sie  sind  vielmehr  so  sauber,  wenn  sie 
ein  Geschäft  machen  wollen,  es  nicht  Vaterland  zu 
nennen,  sie  sollen  gar  kein  Wort  in  ihrer  Sprache 
dafür  haben,  sie  lassen  die  Ideale  in  Ruhe,  wenn 
der  Export  in  Gefahr  ist. 

Der  Optimist:  Sie  sind  Händler. 

Der  Nörgler:  Wir  sind  Helden. 

Der  Optimist:  Ja,  aber  Sie  sagen  doch  wieder, 
daß  die  Engländer  mit  allen  andern  zusammen,  für 
ein  Ideal  kämpfen? 


177 


Der  Nörgler:  Ich  sage,  daß  sie  es  unter 
den  realsten  Vorwänden  zu  tun  imstande  sind, 
während  wir  unter  den  idealsten  Vorwänden  auf  ein 
Geschäft  ausgehen. 

Der  Optimist:  Halten  Sie  es  für  ein  Ideal, 
die  Deutschen  an  einem  Geschäft  zu  hindern? 

Der  Nörgler:  Gewiß,  eben  das,  was  wir  ftir 
Konkurrenzneid  halten.  In  Wahrheit  ist  es  das  Wissen, 
wem  eine  Ausdehnung  des  Etablissements  kulturell 
bekömmlich  ist  und  wem  nicht.  Es  gibt  Völker,  die 
nicht  zu  viel  essen  dürfen,  weil  sie  eine  schlechte 
kulturelle  Verdauung  haben.  Das  spürt  die  Nachbar- 
schaft im  Nu  und  peinlicher  als  sie  selbst.  Welthandel 
würde  den  deutschen  Geist,  von  dem  die  deutsche 
Bildung  schon  längst  nichts  mehr  weiß,  für  alle  Zeit 
isolieren.  Aber  um  mit  der  Welt  in  geistiger  Verbindung 
zu  bleiben,  dazu  ist  Exportvermehrung  keineswegs 
förderlich.  Den  Engländern  steht  dergleichen  zu, 
ohne  der  dürftigen  Seeie,  die  wir  an  ihnen  wahr- 
zunehmen glauben,  Abbruch  zu  tun.  Sie  können  sich 
das  Notwendige  wie  den  Luxus  des  Ornaments  ohne 
Gefahr  leisten  und  vertragen  den  Betrieb  so  gut  wie 
die  Monarchie.  Im  deutschen  Wesen,  an  dem  die 
Welt  genesen  soll,  geht  alles  Heterogene  sofort  eine 
heillose  Verbindung  ein.  Jene  haben  Kultur,  weil 
sie  das  bißchen  Innerlichkeit  von  den  Problemen 
des  Konsums  streng  zu  separieren  wissen.  Sie  wollen 
von  keinem  Schmutzkonkurrenten  gezwungen  sein, 
länger  als  sechs  Stunden  zu  arbeiten,  um  den  Rest 
des  Tags  jenen  Beschäftigungen  vorzubehalten,  für 
die  Gott  den  Briten  erschaffen  hat:  Gott  oder  Sport, 
wobei  die  Beschäftigung  mit  Gott  selbst  dann  eine 
innere  Angelegenheit  wäre,  wenn  sie  nur  Heuchelei 
wäre,  weil  sie  immerhin  ein  Gedanke  ist,  der  von 
dem  Tagwerk  weitab  führt.  Und  darauf  kommt  es 
an.  Während  der  Deutsche  vierundzwanzig  Stunden 
im  Tag  arbeitet  und  die  seelischen,  geistigen,  künst- 
lerischen und  sonstigen  Verpflichtungen,  die  er  durch 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  12 


178 


diese  Einteilung  vernachlässigen  würde,  innerhalb 
der  Arbeit  absolviert,  indem  er  ihren  bezüglichen 
Inhalt  gleich  als  Ornament,  als  Vv'^arenmarke,  als 
Aufmachung  verwendet.  Er  will  nichts  versäumen. 
Und  diese  Vermischung  der  inneren  Dinge  mit  den 
Lebensnotwendigkeiten,  diese  Einstellung  des  Lebens- 
mittels als  Lebenszweck  und  gleichzeitige  Verwendung 
des  Lebenszwecks  im  Dienste  des  Lebensmittels,  wie 
etwa  der  »Kunst  im  Dienste  des  Kaufmanns«  — 
dies  ist  das  unselige  Element,  in  welchem  das  deutsche 
Ingenium  floriert  und  verwelkt.  Dies  und  nichts 
anderes,  der  fluchwürdige  Geist  ewiger  Verbindung, 
Umstülpung,  Aufmachung  ist  das  Problem  des  Welt- 
kriegs. Wir  sind  Händler  und  Helden  in  einer  Firma. 

Der  Optimist:  Das  Problem  des  Weltkrieges 
ist  bekanntlich,  daß  Deutschland  seinen  Platz  an 
der  Sonne  haben  wollte. 

Der  Nörgler:  Das  ist  bekannt,  aber  man 
weiß  noch  nicht,  daß  wenn  dieser  Platz  erobert  wäre, 
die  Sonne  untergehn  würde.  Worauf  freilich  die 
Norddeutsche  Allgemeine  die  Antwort  hätte,  daß  wir 
dann  im  Schatten  kämpfen  würden.  Und  zwar  bis 
zum  siegreichen  Ende  und  darüber  hinaus. 

Der  Optimist:  Sie  sind  ein  Nörgler. 

Der  Nörgler:  Ich  bin  es,  wiewohl  ich  gern 
zugebe,  daß  Sie  ein  Optimist  sind. 

Der  Optimist:  Waren  Sie  nicht  einer,  der 
ehedem  der  deutschen  Organisation  ein  Loblied 
gesungen  und  sie  wenigstens  im  Vergleich  zur 
romanischen  Wildnis  begünstigt  hat? 

Der  Nörgler:  Ehedem  und  noch  jetzt.  Die 
deutsche  Organisation  —  nehmen  wir  selbst  an,  sie 
hielte  dem  fessellosen  Krieg  stand  —  ist  ein  Talent 
und  wie  jedes  Talent  weit-  und  zeitläufig.  Es  ist 
praktisch,  subaltern  und  dient  der  Persönlichkeit, 
die  sich  seiner  bedient,  besser  als  die  zerfahrene 
Umgebung,  in  der  auch  der  subalterne  Mensch 
Persönlichkeit    hat.    Wie    sehr    muß    aber    ein  Volk 


179 


sich  seiner  Persönlichkeit  entäußert  haben,  um  zu 
der  Fähigkeit  zu  gelangen,  so  glatt  die  Bahn  des 
äußeren  Lebens  zu  bestellen!  Ein  Kompliment  war 
diese  Anerkennung  nie,  und  bei  der  Entscheidung 
zwischen  Menschheitswerten,  zu  der  vor  dem  Krieg 
kein  Aufruf  erfolgt  war,  hat  das  nervöse  Bedürfnis 
des  Individualitätsmenschen  nicht  mehr  mitzureden. 
Er  durfte  in  einem  schlechten  Leben  und  zumal 
in  dem  Chaos,  in  das  dieses  schlechte  Leben 
gar  hierzulande  verdammt  ist,  sich  nach  Ordnung 
sehnen;  er  durfte  in  diesem  Notstand  die  Technik 
als  Pontonbrücke  benützen,  um  zu  sich  selbst  zu 
gelangen ;  er  war  es  zufrieden,  daß  die  Menschheit 
um  ihn  herum  nur  noch  aus  Chauffeuren  bestand, 
denen  er  getrost  auch  allerlei  Stimmrecht  entzogen 
hätte.  Jetzt  geht  es  um  die  Persönlichkeit  der  Völker. 

Der  Optimist:  Und  welche  siegt? 

Der  Nörgler:  Als  Nörgler  bin  ich  ver- 
pflichtet, schwarz  zu  sehen  und  zu  fürchten,  daß 
jene  siegt,  die  am  wenigsten  Individualität  bewahrt 
hat,  also  die  deutsche.  Innerhalb  der  geistigen 
Grenzen  des  europäischen  Christentums  sehe  ich  das, 
in  schwarzen  Stunden,  so  verlaufen.  Die  seelische 
Aushungerung  kommt  hintennach. 

Der  Optimist:  Dies  dasResultat  des  Weltkriegs? 

Der  Nörgler:  Des  europäischen  Kriegs,  und 
bis  zu  der  Entscheidung,  die  der  wahre  Weltkrieg 
gegen  das  im  Geist  geeinte  Europa  bringen  würde. 
Der  slavo-romanische,  von  Hilfsvölkern  unterstützte 
Aufstand  bleibt  eine  Episode,  bis  ganz  Europa 
genügend  deutsche  Moral,  Stinkbomben  und  allge- 
meine Wehrpflicht  hat,  um  von  Asien  mores  gelehrt 
zu  werden.  So  fürchte  ich  manchmal.  Doch  zumeist 
bin  ich  ein  Optimist  und  ein  ganz  anderer  als  Sie. 
Dann  hoffe  ich  zuversichtlich,  daß  es  gut  ausgehn 
wird,  und  sehe,  daß  diese  ganze  Siegerei  nichts  ist 
als  ein  frevler  Zeit-  und  Blutverlust  zur  Fristerstreckung 
der  unabwendbaren  Niederlage. 

12* 


180 


Der  Optimist:  Seien  Sie  vorsichtig! 

Der  Nörgler:  Ich  sage  es  ja  nur  Ihnen  und 
öffentlich,  Sie  sagen  es  nicht  weiter,  und  meinen  Stil 
versteht  der  Henker  nicht.  Ich  würde  gern  deutlicher 
werden.  Aber  ich  lasse  die  Preußen  aufs  Ganze 
gehn  und  denke  mir  meinen  Teil. 

Der  Optimist:  Aber  Sie  widersprechen  sich 
auch  in  dem,  was  Sie  für  sich  behalten, 

DerNörgler:  Das  ist  doch  kein  Widerspruch, 
daß  ich  unsern  Sieg  fürchte  und  auf  unsere  Nieder- 
lage hoffe. 

Der  Optimist:  Und  es  besteht  also  auch 
kein  Widerspruch  zwischen  Ihrem  Lob  des  deutschen 
Wesens  und  Ihrem  Tadel? 

Der  Nörgler:  Nein,  es  besteht  kein  Wider- 
spruch zwischen  dem  Lob  einer  Zivilisation,  die  das 
äußere  Leben  reibungslos  macht,  Straßendreck  durch 
Asphalt  ersetzt  und  der  ergänzungswilligen  Phantasie 
Schemen  statt  einer  wertlosen  Wesenhaftigkeit  liefert, 
und  dem  Tadel  einer  Kultur,  die  sich  eben  um  dieser 
Reibungslosigkeit,  Proraptheit  und  Geschicklichkeit 
willen  verflüchtigt  hat.  Es  ist  kein  Widerspruch, 
sondern  eine  Tautologie.  Ich  fühlte  mich  in  einer 
allgemeinen  7v\ißwelt  am  wohlsten  dort,  wo  sie 
geordnet  ist  und  die  Gesellschaft  entleert  genug, 
um  mir  eine  Komparserie  zu  stellen,  in  der  einer 
wie  der  andere  aussieht  und  darum  das  Gedächtnis 
nicht  mit  Physiognomien  belastet  wird.  Aber  ich 
wünsche  nicht,  daß  es  der  Zustand  der  Menschheit 
sei,  ich  bin  weit  entfernt  davon,  meine  Bequemlichkeit 
über  das  Glücksbedürfnis  der  Nation  zu  setzen,  und 
halte  es  iür  verfehlt,  wenn  diese  selbst  sich  wie  ein 
Bataillon  Aschingert)rötchen  aufreihen  läßt. 

Der  Optimist:  So  klären  Sie  mir  auch  den 
Widerspruch  auf,  daß  Sie  den  militärischen  Typus 
für  den  relativ  saubersten  im  Staatslcben  gehalten 
haben. 


I 


181 


Der  Nörgler:  Das  ist  so  wenig  ein  Wider- 
spruch wie  der  andere  einer  ist.  Der  militärische 
Typus  war  unter  allen  vorrätigen  Typen  der  Mittel- 
mäßigkeit im  Chaos  einer  Friedenswelt  der  brauch- 
barste. Dienst  ist  die  Schranke  der  zügellosen  Un- 
bedeutung,  Zucht,  Pflichterfüllung  um  ihrer  selbst 
willen  ist  der  Anstand  der  Banalität.  Dies  als 
Augenmaß  für  das  Gesichtsfeld  eines  Geldbürgertunis. 
Sogar  der  Jobber,  der  einmal  dienen  muß,  anstatt  zu 
gebieten,  kommt  mit  einem  bessern,  weniger  störenden, 
fettloseren  Habitus  zurück. 

Der  Optimist:  Das  wäre  ja  beileibe  ein 
Lob  des  Kriegs. 

Der  Nörgler:  Nein,  nur  der  Slrapaz.  Bei  Leibe! 
Der  Tod  hebt  den  erreichten  Gewinn  wieder  auf. 

Der  Optimist:  Das  ist  wahr.  Aber  wenn 
die  Jobber  sterben,  so  muß  Ihnen  das  doch 
recht  sein. 

Der  Nörgler:  Die  Jobber  sterben  nicht. 
Und  vor  allem  macht  der  angemaßte  Todesglanz 
den  Wert  der  Turnübung  wett.  Das  Heldentum  der 
Unbefugten  ist  die  schaurigste  Aussicht  dieses  Kriegs. 
Es  wird  dereinst  der  Hintergrund  sein,  auf  dem  sich 
die  vermehrte  oder  unveränderte  Niedrigkeit  male- 
rischer und  vorteilhafter  abhebt. 

Der  Optimist:  Aber  es  wird  doch  wirklich 
gestorben.  Beachten  Sie  die  tägliche  Zeitungsrubrik 
»Heldentod«. 

Der  Nörgler:  Gewiß,  es  ist  dieselbe  Rubrik, 
in  der  früher  die  Verleihung  des  Kommerzialratstitels 
gemeldet  wurde.  Aber  dieser  traurige  Zufall  eines 
Granatsplitters  wird  auch  den  überlebenden  Vertretern 
der  kommerziellen  Interessen,  für  die  jene  gestorben 
sind,  eine  Aureole  verschaffen. 

Der  Optimist:  Sie  meinen  die,  die  daheim- 
geblieben sind? 


182 


Der  Nörgler:  Ja,  diese  werden  sich  für  den 
Zwang,  dem  jene  erlegen  sind,  entschädigen,  für 
den  Zwang  im  Dienst  einer  fremden  Idee  sterben  zu 
müssen,  der  da  allgemeine  Wehrpflicht  heißt. 

Der  Optimist:  Diesem  Übermut  werden  die 
heimkehrenden  Krieger  schon  zu  begegnen  wissen. 

Der  Nörgler:  Die  heimkehrenden  Krieger 
werden  in  das  Hinterland  einbrechen  und  dort  den 
Krieg  erst  beginnen.  Sie  werden  die  Erfolge,  die 
ihnen  versagt  waren,  an  sich  reißen  und  der  Lebens- 
inhalt des  Kriegs,  den  Mord,  Plünderung  und 
Schändung  bilden,  wird  ein  Kinderspiel  sein  gegen 
den  Frieden,  der  nun  ausbrechen  wird.  Vor  der 
Offensive,  die  dann  bevorsteht,  bewahre  uns  der 
Schlachtengoti !  Eine  furchtbare  Aktivität,  aus 
Schützengräben  befreit,  durch  kein  Kommando  mehr 
geleitet,  wird  in  allen  Lebenslagen  nach  der  Waffe 
und  nach  dem  Genuß  greifen,  und  es  wird  mehr 
Tod  und  Krankheit  in  die  Welt  kommen,  als  der 
Krieg  selbst  ihr  zugemutet  hat.  Der  Himmel  schütze 
die  Kinder  vor  den  Säbeln,  die  ein  häusliches 
Züchtigungsmittel  sein  werden,  wie  vor  dem  Spiel- 
zeug einer  mitgebrachten  Granate ! 

Der  Optimist:  Es  ist  gewiß  gefährlich, 
wenn  Kinder  mit  Granaten  spielen. 

Der  Nörgler:  Und  die  Erwachsenen,  die 
desgleichen  tun,  hüten  sich  nicht  einmal,  mit 
Granaten  zu  beten!  Ich  habe  ein  Kreuz  gesehn,  das 
aus  einer  verfertigt  war. 

Der  Optimist:  Das  sind  Begleiterscheinungen. 
Sonst  hat  auch  der  Krieg  an  Ihnen  nicht  immer  einen 
so  überzeugten  Verächter  gefunden. 

Der  Nörgler:  Sonst  habe  ich  auch  in  Ihnen 
nicht  immer  einen  so  überzeugten  Mißversteher 
gefunden.  Sonst  war  der  Krieg  ein  Turnier  der 
Minderzahl  und  jedes  Beispiel  hatte  Kraft.  Jetzt  ist 
er  ein  Maschinenrisiko  der  Gesamtheit  und  Sie 
sind  ein  Optimist. 


183 


Der  Optimist:  Die  Entwicklung  der  Waffe 
kann  doch  hinter  den  technischen  Errungenschaften 
der  Neuzeit  unmöglich  zurückbleiben. 

Der  Nörgler:  Nein,  aber  die  Phantasie  der 
Neuzeit  ist  hinter  den  technischen  Errungenschaften 
der  Menschheit  zurückgeblieben. 

Der  Optimist:  Ja,  führt  man  denn  mit 
Phantasie  Kriege? 

Der  Nörgler:  Nein,  denn  wenn  man  jene 
noch  hätte,  würde  man  diese  nicht  mehr  führen. 

Der  Optimist:  Warum  nicht? 

Der  Nörgler:  Weil  dann  die  Suggestion 
einer  von  einem  abgelebten  Ideal  zurückgebliebenen 
Phraseologie  nicht  Spielraum  hätte,  die  Gehirne  zu 
benebeln ;  weil  man  selbst  die  unvorstellbarsten 
Greuel  sich  vorstellen  könnte  und  im  Voraus  wüßte, 
wie  schnell  der  Weg  von  der  farbigen  Redensart 
und  von  allen  Fahnen  der  Begeisterung  zu  dem 
feldgrauen  Elend  zurückgelegt  ist;  weil  die  Aussicht, 
fürs  Vaterland  an  der  Ruhr  zu  sterben  oder  sich  die 
Füße  abfrieren  zu  lassen,  kein  Pathos  mehr  mobil 
machen  würde;  weil  man  mindestens  mit  der  Sicher- 
heit hinauszöge,  fürs  Vaterland  Läuse  zu  bekommen. 
Und  weil  man  wüßte,  daß  der  Mensch  die  Maschine 
erfunden  hat,  um  von  ihr  überwältigt  zu  werden, 
und  weil  man  die  Tollheit,  sie  erfunden  zu  haben, 
nicht  durch  die  ärgere  Tollheit,  sich  von  ihr  töten 
zu  lassen,  übertrumpfen  würde;  weil  der  Mensch 
fühlte,  daß  er  sich  gegen  einen  Feind  wehren  soll, 
von  dem  er  nichts  sieht  als  aufsteigenden  Rauch, 
und  ahnte,  daß  die  eigene  Vertretung  einer  Waffen- 
fabrik keinen  hinreichenden  Schutz  gegen  die  Angebote 
der  feindlichen  Waffenfabrik  gewährt.  Hätte  man 
also  Phantasie,  so  wüßte  man,  daß  es  Verbrechen  ist, 
das  Leben  dem  Zufall  auszusetzen,  Sünde,  den  Tod 
zum  Zufall  zu  erniedrigen,  daß  es  Torheit  ist, 
Panzerschiffe  zu  bauen,  wenn  man  Torpedoboote  baut, 
um  sie  zu  überlisten,  Mörser  zu  bauen,  wenn  man  zum 


184 


Schutz  gegen  sie  Schützengräben  baut,  in  denen 
nur  jener  verloren  ist,  der  seinen  Kopf  früher 
heraussteckt,  und  die  Menschheit  auf  der  Flucht 
vor  ihren  Waffen  in  Mauselöcher  zu  jagen  und  sie 
einen  Frieden  fortan  nur  unter  der  Erde  genießen 
zu  lassen.  Hätte  man  statt  der  Zeitung  Phantasie, 
so  wäre  Technii<  nicht  das  Mittel  zur  Erschwerung 
des  Lebens  und  Wissenschaft  ginge  nicht  auf 
dessen  Vernichtung  aus.  Ach,  der  Heldentod  schwebt 
in  einer  Gaswolke  und  unser  Erlebnis  ist  im  Bericht 
abgebunden!  40.000  russische  Leichen,  die  am  Draht- 
verhau verzuckt  sind,  waren  nur  eine  Extraausgabe, 
die  eine  Soubrette  dem  Auswurf  der  Menschheit  im 
Zwischenakt  vorlas,  damit  der  Librettist  gerufen 
werde,  der  aus  der  Parole  des  Opfermuts  »Gold 
gab  ich  für  Eisen«  die  Schmach  einer  Operette 
verfertigt  hat.  Die  sich  selbst  verschlingende 
Quantität  läßt  nur  noch  Gefühl  für  das,  was  einem 
selbst  und  etwa  dem  räumlich  nächsten  zustößt, 
was  man  unmittelbar  sehen,  begreifen,  betasten 
kann.  Ist  es  denn  nicht  spürbar,  wie  aus  diesem 
ganzen  Ensemble,  in  dem  mangels  eines  Helden 
jeder  einer  ist,  sich  jeder  mit  seinem  Einzelschicksal 
davonschleicht?  Nie  war  bei  größerer  Entfaltung 
weniger  Gemeinschaft  als  jetzt.  Nie  war  eine  riesen- 
haftere Winzigkeit  das  Format  der  Welt.  Die  Realität 
hat  nur  das  Ausm.aß  des  Berichts,  der  mit  keuchender 
Deutlichkeit  sie  zu  erreichen  strebt.  Der  meldende 
Bote,  der  mit  der  Tat  auch  gleich  die  Phantasie 
bringt,  hat  sich  vor  die  Tat  gestellt  und  sie  unvor- 
stellbar gemacht.  Und  so  unheimlich  wirkt  seine 
Stellvertretung,  daß  ich  in  jeder  dieser  Jammer- 
gestalten, die  uns  jetzt  mit  dem  unentrinnbaren, 
für  alle  Zeiten  dem  Menschenohr  angetanen  Ruf 
»Extraausgabee  — !«  zusetzen,  den  verantwortlichen 
Anstifter  dieser  Weltkatastrophe  fassen  möchte.  Und  ist 
denn  der  Bote  nicht  der  Täter  zugleich?  Das  gedruckte 
Wort    hat  ein  ausgehöhltes  Menschentum  vermocht, 


185 


Greuel  zu  verüben,  die  es  sich  nicht  mehr  vorstellen 
kann,  und  der  furchtbare  Fluch  der  Vervielfältigung 
gibt  sie  wieder  an  das  Wort  ab,  das  fortzeugend 
Böses  muß  gebären.  Alles  was  geschieht,  geschieht 
nur  für  die,  die  es  beschreiben,  und  für  die,  die  es 
nicht  erleben.  Ein  Spion,  der  zum  Galgen  geführt 
wird,  muß  einen  langen  Weg  gehen,  damit  die  im 
Kino  Abwechslung  haben,  und  muß  noch  einmal 
in  den  photographischen  Apparat  starren,  damit  die 
im  Kino  mit  dem  Gesichtsausdruck  zufrieden  sind. 
Lassen  Sie  mich  diesen  Gedankengang  bis  zum 
Galgen  der  Menschheit  nicht  weiter  gehen  —  und 
dennoch  muß  ich,  denn  ich  bin  ihr  sterbender 
Spion,  und  mein  herzbeklemmendes  Erlebnis  ist 
der  horror  vor  jenem  vacuum,  das  diese  beispiellose 
Ereignisfülle  in  den  Gemütern,  in  den  Apparaten 
vorfindet! 

Der  Optimist:  Die  schmutzige  Begleitung 
großer  Dinge  ist  eine  unvermeidliche  Begleit- 
erscheinung. Es  ist  ja  möglich,  daß  sich  die  Welt 
nicht  in  der  Nacht  auf  den  1.  August  1914  geändert 
hat.  Auch  scheint  mir  Phantasie  wirklich  nicht  zu 
jenen  menschlichen  Eigenschaften  zu  gehören,  die 
im  Krieg  Betätigung  finden.  Aber  wenn  ich  Sie 
recht  verstehe,  wollen  Sie  überhaupt  leugnen,  daß 
ein  moderner  Krieg  den  menschlichen  Qualitäten 
Spielraum  lasse. 

Der  Nörgler:  Sie  haben  mich  recht  ver- 
standen; er  läßt  ihnen  schon  deshalb  keinen  Spiel- 
raum, weil  die  Tatsache  des  modernen  Krieges 
von  der  Negation  menschlicher  Qualitäten  lebt. 
Es  gibt  keine. 

Der  Optimist:  Was  gibt  es  denn? 

Der  Nörgler:  Es  gibt  Quantitäten,  die  sich 
gegenseitig  gleichmäßig  vermindern,  indem  sie  zu 
beweisen  suchen,  daß  sie  es  mit  den  in  maschinelle 
Energien  umgesetzten  Quantitäten  nicht  aufnehmen 
können;  daß  Mörser  auch  mit  Massen  fertig  werden. 


186 


Diesen  Beweis  erst  anzutreten,  hat  nur  jener  Mangel 
an  Phantasie  ermöglicht  und  für  nötig  erachtet,  der 
von  der  Verwandlung  der  Menschheit  in  maschinelle 
Energien  eben  übrig  blieb. 

Der  Optimist:  Wenn  sich  die  Quantitäten 
gegenseitig  gleichmäßig  vermindern,  wann  wäre 
dann  das  Ende? 

Der  Nörgler:  Bis  von  zwei  Löwen"  die 
Schwänze  übrig  bleiben.  Oder  wenn  dies  nicht  aus- 
nahmsweise einmal  Wirklichkeit  wird:  bis  der  größeren 
Quantität  ein  Vorsprung  bleibt.  Ich  schaudere  davor, 
das  hoffen  zu  müssen.  Aber  ich  schaudere  noch  mehr 
davor,  fürchten  zu  müssen,  daß  der  prinzipielleren 
Quantität  ein  Vorsprung  bleibt. 

Der  Optimist:  Welche  wäre  das? 

DerNörgler:  Eben  die  geringere.  Die  größere 
könnte  sich  durch  Reste  eines  Menschentums,  das 
sie  bewahrt  hat,  entkräften.  Aber  die  geringere 
kämpft  mit  dem  inbrünstigen  Glauben  an  einen  Gott, 
der  diese  Entwicklung  gewünscht  hat. 

DerOptimist:  Einen  Bismarck  brauchten  wir. 
Der  würde  schon  früher  ein  Ende  machen. 

Der  Nörgler:  Es  kann  keinen  geben. 

Der  Optimist:  Warum  nicht? 

Der  Nörgler:  Wenn  die  Welt  so  weit  hält, 
daß  sie  ihre  Bilanzen  mit  ihren  Bomben  belegt, 
so  entsteht  keiner. 

Der  Optimist:  Wie  sollte  man  sich  sonst 
gegen  den  infernalischen  Plan  einer  Aushungerung 
wehren  ? 

Der  Nörgler:  Der  infernalische  Plan  einer 
Aushungerung  ist  in  einem  Krieg,  der  sich  um  die 
höchsten  Güter  der  Nation,  nämlich  um  Verdienen 
und  Fressen  dreht,  ein  ungleich  sittlicherer,  weil 
harmonischerer  Behelf  als  die  Anwendung  von 
Flammenwerfern,  Minen  und  Gasen,  Dort  ist  das 
Kriegsmittel  vom  Stoff  des  heutigen  Kriegs  bezogen.  Daß 
Absatzgebiete  Schlachtfelder  werden  und  aus  diesen 


187 


wieder  jene,  will  nur  der  Mischmasch  einer  Kultur, 
die  aus  Stearinkerzen  Tempel  erbaut  und  die 
Kunst  in  den  Dienst  des  Kaufmanns  gestellt  hat.  Die 
Industrie  hat  aber  weder  Künstler  zu  beschäftigen 
noch  Krüppel  zu  liefern.  Das  falsche  Lebensprinzip 
setzt  sich  in  ein  falsches  Tötungsprinzip  fort,  wieder 
divergiert  das  Mittel  vom  Zweck.  Wenn  sich  zwei 
Konsumvereine  in  den  Haaren  liegen,  so  ist  der 
der  sittlichere,  der  nicht  die  Esser  selbst,  sondern 
eine  von  ihnen  gemietete  Polizei  Ordnung  machen 
läßt,  und  wenn  er  sich  mit  der  Kundenabtreibung 
oder  auch  mit  der  Warenabtreibung  begnügt, 
so  handelt  er  am  sittlichsten.  Ganz  abgesehen 
davon,  daß  die  Blockade  bloß  die  Mahnung  an 
die  Zentralstaaten  ist,  sie  durch  Beendigung  eines 
wahnwitzigen  Kriegs  von  ihren  Untertanen  abzu- 
wenden. Wenn  der  Buchhalter  nicht  schon  ehedem  dem 
Ritter  in  den  Arm  gefallen  ist,  so  sollte  er  es  eben 
tun,  wenn  selbst  der  bereits  klar  erkennen  kann, 
daß  es  nicht  um  ein  Turnier,  sondern  um  Baum- 
wolle geht. 

Der  Optimist:  Es  handelt  sich  in  diesem 
Krieg  — 

Der  Nörgler:  Jawohl,  es  handelt  sich  in 
diesem  Krieg!  Aber  der  Unterschied  ist  der:  Die 
einen  meinen  Export  und  sagen  Ideal,  die  andern 
sagen  Export  und  diese  Ehrlichkeit  allein,  diese 
Separation  allein  ermöglicht  schon  das  Ideal,  auch 
wenn  es  sonst  gar  nicht  vorhanden  wäre. 

Der  Optimist:  Sagen  Sie  doch  nicht,  daß 
es  jenen  um  ein  Ideal  zu  tun  ist! 

Der  Nörgler:  Keinesfalls,  sie  wollen  es  uns 
nur  nehmen  und  es  eben  dadurch  uns  zurück- 
erobern, indem  sie  die  deutsche  Menschheit  von 
der  kulturwidrigen  Neigung  kurieren,  es  als  Auf- 
machung für  ihre  Fertigware  zu  verwenden.  Dem 
Deutschen  sind  die  idealen  Güter  eine  Draufgabe, 
wenn  sie  die    andern    durch    Spediteure   verfrachten 


lassen.  Sie  glauben,  es  gehe  nicht  ohne  Gott  und 
die  Kunst,  wenn  sie  eine  Untergrundbahn  anlegen. 
Das  ist  der  Krebs.  Ich  habe  in  einer  Berliner  Papier- 
handlung einen  Band  Klosettpapier  gesehen,  auf 
dessen  Blättern  Sinn  und  Humor  der  jeweiligen 
Situation  durch  aufgedruckte  Shakespeare-Zitate  er- 
läutert waren.  Shakespeare  ist  immerhin  ein  feind- 
licher Autor.  Aber  auch  Schiller  und  Goethe  mußten 
heran,  der  Band  umfaßte  die  ganze  klassische  Bildung 
der  Deutschen.  Nie  vorher  hatte  ich  so  sehr  den 
Eindruck,  daß  es  das  Volk  der  Dichter  und  Denker  ist. 

Der  Optimist:  Gut,  Sie  sehen  in  dem  Krieg 
der  andern  einen  Kulturinstinkt  tätig,  im  deutschen 
Krieg  ein  Interesse  wirtschaftlicher  Ausbreitung.  Aber 
würde  der  ökonomische  Wohlstand  nicht  gerade  das 
deutsche  Geistesleben  — 

Der  Nörgler:  Nein,  er  würde  nicht,  sondern 
im  Gegenteil.  Das  totale  Nichtvorhandensein 
dieses  Geisteslebens  war  die  Voraussetzung  für  diese 
Bestrebungen.  Die  geistige  Selbstaushungerung,  die 
ihr  Erfolg  verheißt,  wäre  von  keiner  Phantasie  zu 
fassen,  wenn  eine  solche  noch  vorrätig  wäre. 

Der  Optimist:  Aber  sind  Sie  nicht  selbst 
von  der  Notwendigkeit  des  Krieges  als  solchen  über- 
zeugt, wenn  Sie  von  einem  Krieg  der  Quantitäten 
sprechen?  Denn  daß  er  auch  das  Problem  der 
Übervölkerung  auf  eine  Zeit  in  Ordnung  bringt, 
geben  Sie  ja  damit  zu. 

Der  Nörgler:  Das  tut  er  gründlich.  Die  Über- 
völkerungssorgen dürften  den  Entvölkerungssorgen 
Platz  machen.  Die  Freigabe  der  Fruchtabtreibung 
hätte  jenen  schmerzloser  als  ein  Weltkrieg  abgeholfen, 
ohne  ihn  heraufzubeschwören. 

Der  Optimist:  Dazu  würde  die  herrschende 
iMoralauffassung  nie  ihre  Zustimmung  geben! 

Der  Nörgler:  Das  habe  ich  mir  auch  nie 
eingebildet,  da  die  herrschende  Moralauffassung  nur 
dazu  ihre  Zustimmung  gibt,  daß  Väter,  die  zu  töten 


189 


dem  Zufall  nicht  ganz  gelungen  ist,  als  brotlose 
Krüppel  durch  die  Welt  schleichen  und  daß  Mutier 
Kinder  haben,  damit  diese  von  Fliegerbomben 
zerrissen  werden. 

Der  Optimist:  Sie  werden  doch  nicht 
behaupten,    daß   dergleichen   absichtlich    geschieht? 

Der  Nörgler:  Nein  mehr:  zufällig!  Man 
kann  nicht  dafür,  daß  es  geschieht,  aber  es  geschieht 
wissentlich.  Mit  Bedauern  und  dennoch.  Eine  ziemlich 
reiche  Erfahrung  auf  diesem  Gebiete  könnte  es  jenen, 
die  den  Luftmord  anschaffen,  und  jenen,  die  mit  der 
Durchführung  betraut  sind,  endlich  zum  Bewußtsein 
gebracht  haben,  daß  sie  in  der  Absicht  ein  Arsenal 
zu  treffen,  unbedingt  statt  dessen  ein  Schlafzimmer 
treffen  müssen,  und  statt  einer  Munitionsfabrik  eine 
Mädchenschule.  Durch  Wiederholungsollten  sie  wissen, 
daß  dies  der  Erfolg  jener  Angriffe  ist,  deren  sie  nach- 
träglich in  der  rühmenden  Feststellung  gedenken,  daß 
sie  einen  Punkt  erfolgreich  mit  Bomben  belegt  haben. 

Der  Optimist:  Eines  zum  andern,  es  ist 
ein  erlaubtes  Kriegsmittel,  und  da  die  Luft  einmal 
erobert  ist  — 

Der  Nörgler:  —  so  benützt  der  Schurke 
Mensch  gleich  die  Gelegenheit,  auch  die  Erde 
unsicher  zu  machen.  Lesen  Sie  die  Beschreibung 
von  dem  Aufstieg  einer  Montgolfiere  in  Jean  Pauls 
Kampanertal.  Diese  fünf  Seiten  können  heute  nicht 
mehr  geschrieben  werden,  weil  der  Gast  der  Lüfte 
nicht  mehr  die  Ehrfurcht  vor  dem  näheren  Himmel 
mitbringt  und  bewahrt,  sondern  als  Einbrecher  der 
Luft  die  sichere  Entfernung  von  der  Erde  zu  einem 
Attentat  auf  diese  selbst  benützt.  Der  Mensch  wird 
keines  Fortschritts  teilhaft,  ohne  sich  dafür  zu  rächen. 
Sie  wenden  sofort  eben  das  gegen  das  Leben  an,  was 
ihm  aufhelfen  sollte.  Sie  machen  sichs  eben  mit  dem, 
was  es  erleichtern  sollte,  schwer.  Der  Aufstieg  der 
Montgolfiere  ist  eine  Andacht,  der  Aufstieg  eines 
Aeropians  eine  Gefahrfür  jene,  die  ihn  nicht  mitmachen 


190 


Der  Optimist:  Aber  doch  auch  für  den 
bombenabwerfenden  Flieger  selbst. 

Der  Nörgler:  Jawohl,  aber  nicht  die  Gefahr, 
von  jenen,  die  er  töten  wird,  getötet  zu  werden, 
und  er  entgeht  den  Maschinengewehren,  die  auf  ihn 
lauern,  leichter,  als  ihm  die  Wehrlosen.  Leichter  auch 
dem  ehrlichen  Kampf  zwischen  zwei  gleichbewehrten 
Mördern,  ehrlich,  soweit  die  Schändung  des  Elements, 
in  dem  er  sich  abspielt,  diese  Wertung  zuläßt.  Immer 
aber  bedeutet,  mag  auch  der  »Kühne«  sie  handhaben, 
die  Luftbombe  die  Armierung  der  Feigheit,  ruchlos 
wie  das  Unterseeboot,  welches  das  Prinzip  der 
armierten  Tücke  vorstellt,  jener  Tücke,  die  den  Zwerg 
über  den  bewaffneten  Riesen  triumphieren  läßt.  Die 
Säuglinge  aber,  die  der  Flieger  tötet,  sind  nicht 
bewaffnet,  und  wären  sie  es,  sie  würden  den  Flieger 
kaum  so  sicher  erreichen  können  wie  er  sie.  Es  ist 
von  allen  Schanden  des  Krieges  die  größte,  daß 
jene  einzige  Erfindung,  die  die  Menschheit  den 
Sternen  näher  brachte,  lediglich  dazu  gedient  hat, 
ihre  irdische  Erbärmlichkeit,  als  hätte  sie  auf  Erden 
nicht  genügend  Spielraum,  noch  in  den  Lüften  zu 
bewähren. 

Der  Optimist:  Und  die  Säuglinge,  die  aus- 
gehungert werden? 

Der  Nörgler:  Es  ist  den  Regierungen  der 
Zentralstaaten  freigestellt,  ihren  Säuglingen  dieses 
Schicksal  zu  ersparen,  indem  sie  ihre  Erwachsenen 
von  der  Fibel  entwöhnen.  Aber  nehmen  wir  selbst 
an,  daß  an  der  Blockade  die  feindlichen  Machthaber 
so  schuldig  seien  wie  die  eigenen:  die  Bombardierung 
der  feindlichen  Säuglinge  als  Repressalie  —  das  ist 
ein  Gedankengang,  der  der  deutschen  Ideologie  alle 
Ehre  macht,  ein  geistiger  Unterstand,  in  dem  ich, 
beim  deutschen  Gott,  nicht  wohnen  möchte! 

Der  Optimist:  Sie  wollen  der  deutschen  Krieg- 
führung eins  am  Zeug  flicken  und  bedenken  nicht, 
daß  die  andern  sich  desselben  Kampfmittels  bedienen. 


191 


Der  Nörgler:  Das  bedenke  ich  wohl,  und  es 
fällt  mir  nicht  ein,  die  französischen  Aeroplane,  die 
ungefähr  denselben  heldischen  Schurkereien  dienen, 
von  der  Menschheitsschande  auszunehmen.  Der  Unter- 
schied scheint  mir  aber  doch,  nebstder  Priorität,  in  einer 
Gemütsart  zu  liegen,  die  auf  der  einen  Seite  das 
Grauenvolle  mitmacht,  wissend  oder  vergessend,  was 
es  bedeute,  und  einer  solchen,  die  sich  nicht  begnügt, 
Bomben  herabzuwerfen,  sondern  die  auch  Witze 
mitschickt  und  gar  einen  »Weihnachtsgruß«  für  die 
Bewohner  von  Nancy  in  solcher  Aufmachung 
darbringt.  Auch  hier  wieder  die  gräßlicheVermischung 
des  Gebrauchsgegenstandes,  nämlich  der  Bombe, 
mit  dem  Gemütsleben,  nämlich  dem  Witz,  und  des 
Witzes  gar  mit  der  Heiligkeit  —  die  Vermischung, 
die  der  Greuel  größtes  ist,  jene  äußerste  Unzucht, 
durch  die  sich  ein  iin  Reglement  verarmtes  Leben 
auffrischt,  die  organische  Entschädigung  für  Zucht, 
Drill  und  Sittlichkeit.  Es  ist  der  Humor  des  Henkers, 
es  ist  die  Freiheit  einer  Moral,  die  die  Liebe  auf 
den  Gerichtstisch  gelegt  hat. 

Der  Optimist:  Entschädigung  für  Zucht? 
Aber  die  war  Ihnen  doch  als  Schranke  der  Unbot- 
mäßigkeit willkommen? 

Der  Nörgler:  Aber  nicht  als  Hebel  der 
Macht!  Lieber  das  Chaos,  als  Ordnung  auf  Kosten 
der  Menschheit!  Militarismus  als  Turnstunde  und 
Militarismus  als  Geisteszustand  —  das  ist  doch 
wohl  ein  Unterschied.  Das  Wesen  des  Militarismus 
ist,  Werkzeug  zu  sein.  Wenn  er,  ohne  es  selbst  zu 
ahnen,  Werkzeug  jener  Mächte  geworden  ist, 
denen  sein  Wesen  widerstrebt,  und  wenn  er  dem 
durch  diese  Mächte  bedrohten  Menschentum  gegen- 
über sich  als  Selbstzweck  aufspielt,  dann  besteht 
unversöhnliche  Feindschaft  zwischen  ihm  und  dem 
Geiste.  Sein  Ehreninhalt  ist  im  Bündnis  mit  einer 
feigen  Technik  zur  Spielerei  geworden,  seine  selbst- 
gewählte Pflicht  im  Rahmen  des  allgemeinen  Zwangs 


192 


ist  zur  Lüge  entartet.  Er  ist  nichts  als  Ausrede  und 
Entschädigung  einer  Sklaverei,  die  sich  hinter  der 
Maschine  ihre  elende  Macht  beweist.  So  sehr  ist  das 
Mittel  Selbstzweck  geworden,  daß  wir  im  Frieden  nur 
noch  militärisch  denken  und  der  Kampf  nur  noch  ein 
Mittel  ist,  um  zu  neuen  Waffen  zu  gelangen.  Ein  Krieg 
zur  höheren  Ehre  der  Rüstungsindustrie.  Wir  wollen 
nicht  nur  mehr  Export  und  darum  mehr  Kanonen, 
wir  wollen  auch  mehr  Kanonen  um  ihrer  selbst 
willen:  und  darum  müssen  sie  losgehen.  Unser  Leben 
und  Denken  ist  unter  das  Interesse  des  Schwer- 
industriellen gestellt;  das  ist  eine  schwere  Last.  Wir 
leben  unter  der  Kanone.  Und  da  sich  jener  mit  Gott 
verbündet  hat,  so  sind  wir  verloren.  Das  ist  der 
Zustand. 

Der  Optimist:  Man  könnte  den  Zustand 
aber  auch  aus  der  Perspektive  eines  Nietzsche- 
Ideals  ansehn  und  würde  dann  zu  einem  wesent- 
lich andern  Ausblick  gelangen. 

Der  Nörgler:  Ja,  das  könnte  man  wohl  und 
würde  Nietzsches  Überraschung  erleben,  daß  der 
»Wille  zur  Macht«  nach  Sedan  sich  nicht  als  Triumph 
des  Geistes,  sondern  in  Form  vermehrter  Fabriks- 
schlote darbietet.  Nietzsche  war  ein  Denker,  der  es  sich 
»anders  vorgestellt«  hat.  Nämlich  den  Seelen- 
aufschwung von  anno  1870.  An  den  von  1914  hätte 
er  vielleicht  von  vornherein  nicht  geglaubt  und 
sich  nicht  mehr  vom  Sieg  der  eigenen  Gedanken 
verblüffen  lassen  müssen.  Und  vielleicht  doch  den 
Eroberer  verleugnet,  der  mit  dem  »Willen  zur  Macht« 
im  Tornister  und  anderm  Rüstzeug  der  Bildung 
auf  den  Kriegspfad  geht. 

Der  Optimist:  Wenn  der  Krieg  keinen 
kulturellen  Segen  stiftet,  so  stiftet  er  ihn  für  keines 
der  beteiligten  Völker.  Falls  Sie  nicht  etwa 
prinzipiell  entschlossen  sind,  kulturelle  Möglichkeiten 
nur  dort  zuzugeben,  wo  Franktireure  schlafende 
Soldaten  ermorden. 


193 


Der  Nörgler:  Gewiß  dort  nicht,  wo  eigens 
ein  Wolff'sches  Büro  existiert,  um  es  zu  behaupten. 
Aber  es  wäre  selbst  auf  dem  heutigen  Stand  der 
Menschheit  ein  Unikum,  daß  Flieger,  die  Bomben 
auf  Säuglinge  werfen,  sich  eines  völkerrechtlich 
erlaubten  Kriegsmittels  bedienen,  und  Franktireure 
die  einen  Mord  begehn,  um  einen  Mord  zu  rächen, 
es  nur  deshalb  nicht  tun  dürfen,  weil  sie  nicht  die 
Lizenz  haben,  weil  sie  nicht  unter  einem  Kommando 
morden,  sondern  aus  einem  andern  unwiderstehlichen 
Zwang,  nicht  aus  Pilicht,  sondern  aus  Raserei, 
also  aus  jenem  einzigen  Motiv,  das  den  Mord 
halbwegs  entschuldigt;  weil  sie  unbefugte  Mörder 
sind,  die  sich  weder  durch  das  dazugehörige  Kostüm 
noch  durch  die  Zugehörigkeit  zu  einem  Ergänzungs- 
bezirkskommando, Kader,  Ersatzkörper  oder  wie  die 
Schmach  sonst  heißt,  ausweisen  können.  Lassen  Sie 
mich  über  den  sittlichen  Unterschied  zwischen  einem 
Flieger,  der  ein  schlafendes  Kind  tötet,  und  einem 
Zivilisten,  der  einen  schlafenden  Soldaten  tötet,  nicht 
richten.  Ihnen  selbst  soll,  wenn  Sie  nur  die  Gefahr 
bedenken  und  nicht  die  Verantwortung,  die  mutigere 
Wahl  gestellt  sein,  einen  schlafenden  Soldaten  zu 
attakieren  oder  einen  wachen  Säugling. 

DerOptimist:  Darin  mögen  Sie  recht  haben, 
aber  Sie  werden  auf  der  andern  Seite  die  Züge  der 
Menschlichkeit  mit  der  Lupe  suchen  müssen. 

Der  Nörgler:  Wenn  ich  sie  in  unsern 
Zeitungen  suche,  allerdings. 

Der  Optimist:  Halten  Sie  sich  nur  die 
Rubrik  gegenwärtig:  »Wie  die  Russen  in  Galizien 
gehaust  haben«. 

Der  Nörgler:  Daraus  habe  ich  allerdings 
nicht  entnehmen  können,  ob  die  galizischen  Schlösser 
von  polnischen  Bauern  oder  von  Honveds  geplündert 
wurden.  Wohl  aber  hat  sich  unter  diesem  Titel  öfter,  wie 
wenn  es  dem  Zwang  zur  Lüge  entrutscht  wäre,  eine 
Erzählung  von  einer  russischen  Edeltat  gefunden. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  13 


194 


Der  Optimist:  Sie  meinen  doch  nicht  den 
Bericht  über  eine  Schändung? 

Der  Nörgler:  Nun,  ob  Honveds  und 
Deutschmeister  die  Frauen  des  eigenen  Landes, 
von  denen  des  feindlichen  nicht  zu  reden,  mit  dem 
Hut  in  der  Hand  um  ein  Glas  Wasser  gebeten  haben 
werden:  sich  für  diese  oder  die  andere  Vermutung  zu 
entscheiden  überlasse  ich  Ihrem  Optimismus,  dessen 
unerschütterliche  Grundlage  die  Berichterstattung 
unseres  Kriegspressequartiers  zu  sein  scheint. 

Der  Optimist:  Finden  Sie  nicht,  daß  man 
doch  auch  bei  uns  dem  Feinde  Gerechtigkeit 
widerfahren  läßt? 

Der  Nörgler:  Ja,  man  begnügt  sich  manch- 
mal mit  dem  Humor  idiotischer  Ansichtskarten. 

Der  Optimist:  Nein,  man  läßt  ihm  zuweilen 
Gerechtigkeit  widerfahren. 

Der  Nörgler:  Wenn  sie  pikant  ist,  dann  kann 
sie  ihm  widerfahren.  So  konnte  als  Kuriosum  —  denn 
eine  Wahrheit  über  das  verleumdetste  Volk  Europas 
wird  die  mitteleuropäische  Intelligenz  sich  nicht  ent- 
fahren lassen  — ,  als  Kuriosum  erzählt  werden,  daß 
die  Russen  in  den  katholischen  Weihnachten  nicht 
geschossen,  sondern  Friedens-  und  Segenswünsche 
für  den  Feind  in  ihren  Schützengräben  zurück- 
gelassen haben. 

Der  Optimist:  Und  gewiß  haben  sich  die 
Österreicher  revanchiert. 

Der  Nörgler:  Gewiß,  zum  Beispiel  der  Doktor 
Fischl,  bis  zum  1.  August  Advokaturskonzipient,  dann 
in  die  große  Zeit  eingerückt,  hat  einen  Feldpost- 
brief drucken  lassen,  worin  es  heißt:  »Morgen  feiern 
die  Russen  ihre  Weihnachten  —  da  wollen  wir  sie 
ordentlich  kitzeln.« 

Der  Optimist:  Das  war  ein  Spaß. 

Der  Nörgler:  Ganz  richtig,  das  war  ein  Spaß. 


195 


DerOptimist:  Man  darf  nicht  generalisieren. 
Der    Nörgler:    Ich    tu's.     Sie   können   auf 
meine  Ungerechtigkeit  bauen.  Wenn  der  Militarismus 
dazu  diente,  den  Unrat  daheim  zu  bekämpfen,  so  wäre 
ich  Patriot.  Wenn  er  die,  die  nicht  taugen,  assentierte, 
wenn  er  Krieg  führte,   um   den  Menschendreck  an 
die  feindliche  Macht  abzutreten,  wäre  ich  Militarist! 
Aber  er  opfert  den  Wert  und  verschafft  dem  Abhub 
die  Glorie,   und  er  macht  ihn,   wenn's  selbst  außen 
schief    geht,    immer    noch    zum    Sieger    über    die 
eigene  Macht.  Nur  diese  Aussicht  kann  die  Geduld, 
mit  der  der  Menschheitshaufe  eine  Naturinsulte  wie  die 
allgemeine  Wehrpflicht   erträgt,  überhaupt  erklären. 
Der  Unrat  weiß,  daß  er  selbst  die  Idee  ist,  für  die  er 
kämpft,  und  in  dieser  Gewißheit  kämpft  er  sogar  für 
das  Vaterland,  das  ihm  ursprünglich  und  letztlich  eine 
fremde  Idee  ist,  auch  wenn  alle  Fibelideologie  am  Werk 
wäre,  sie  ihm  täglich  einzubläuen.  Müßten  sie  sonst 
nicht  doch  einmal  den  Zwang,  für  eine  fremde  Idee  zu 
sterben,  als  eine  Leibeigenschaft  empfinden,  die  tau- 
sendmal drückender  ist  als  der  reaktionärste  Inbegriff 
des  verfluchten   Zarismus?   Es   ist   aber   schließlich 
und  endlich  doch  die  eigene  Idee.  Würden  Menschen, 
die   nie   die   Privilegien    des    militärischen    Berufs 
genossen   haben,   sich   sonst   dazu   zwingen   lassen, 
dessen    Gefahren    zu    teilen?    Sich    vom    eigenen 
Beruf,  von  Erwerb  und  Familie  losreißen  lassen,  um  erst 
!  in  Kasernen  getreten  zu  werden  und  hierauf  für  die 
I  Erhallung  der  Bukowina  zu  sterben?  Daß  sie,  wenn 
1  sie   sich   weigerten,   für   die   Bukowina   zu  sterben, 
schon  vorher  totgeschossen  würden,  ist  ja  ein  unmittel- 
'.  barer  Beweggrund,   der  einzelweis  vollkommen  zur 
i  Erklärung  hinreicht.  Aber  die  Einrichtung  hätte  nicht 
entstehen  können,  wenn  die  Quantität  nicht  wüßte, 
'  daß  sie,   scheinbares   Opfer   autokratischer   Gelüste, 
I  schließlich   doch   den  Sieg  über  den  Sieger  davon 
\  trägt.  Sie  sehen,  auch  ich  bin  ein  Optimist.  Ich  kann 
mich  nicht  entschließen,  die  Menschheit  für  eine  so 


13* 


196 


ganz  hoffnungslose  Kanaille  zu  halten,  daß  sie  einem 
fremden  Willen  zuliebe  sich  in  Not  und  Tod  und 
so  viel  Kot;  begibt. 

Der  Optimist:  Der  erhöhte  Zustand,  den  der 
Ruf  des  Vaterlandes  herbeiführt,  ist  aber  denn  doch 
eine  bessere  Erklärung  als  Zwang  oder  Vorteil. 

Der  Nörgler:  Das  Vaterland?  Wohl,  dieser 
Rufer  hat  unter  allen  Regisseuren  noch  immer  die 
stärkste  Suggestion  für  sich.  Aber  der  Rausch,  der 
die  allgemeine  Wehrlosigkeit  einlullt,  würde  seine 
Wirkung  auf  die  wachere  Intelligenz  verfehlen,  wenn 
nicht  hier  das  Gefühl  mitwirkte,  daß  ein  Sieg  gerade 
sie  zum  Herrn  des  Lebens  erhebt. 

Der  Optimist:    Aber  noch  nicht   der  Krieg. 

Der  Nörgler:  Da  erspart  sie  sich  bloß  Denk- 
arbeit, da  kann  sie  einmal  ausspannen.  Sie  braucht 
sich  den  Kopf  nicht  zu  zerbrechen,  ehe  der  Feind 
es  ihr  besorgt,  was  sich  vorzustellen  sie  nicht  mehr 
genug  Phantasie  hat.  Denn  der  Krieg  verv/andelt  das 
Leben  in  eine  Kinderstube,  in  der  immer  der  andere 
angefangen  hat,  immer  der  eine  sich  der  Verbrechen 
rühmt,  die  er  dem  andern  vorwirft  und  in  der 
die  Rauferei  die  Formen  des  Soldatenspiels 
annimmt.  Wenn  Krieg  ist,  lernt  man  das  Soldaten- 
spiel der  Kinder  gering  schätzen.  Es  ist  eine 
viel  zu  frühe  Vorbereitung  auf  die  Kinderei  der 
Erwachsenen. 

Der  Optimist:  Das  Soldatenspiel  der  Kinder 
empfängt  jetzt  im  Gegenteil  neue  Anregungen. 
Kennen  Sie  das  Spiel  »Wir  spielen  Weltkrieg«? 

Der  Nörgler:  Es  ist  die  ebenso  gemeine 
Kehrseite  des  Ernstes:  Wir  spielen  Kinderstube. 
Dieser  Menschheit  wäre  zu  wünschen,  daß  ihre 
Säuglinge  m_it  Erfolg  anfangen,  einander  auszuhungern 
oder  mit  Bomben  zu  belegen,  jedenfalls  den  Ammen 
die  Kundschaft  abzutreiben. 


197 

Der  Optimist:  Wenns  nach  liinen  ginge, 
wäre  die  Menschheit  schon  vor  einem  WeHl^rieg 
auf  den  Aussterbeetat  gesetzt.  Aber  Gott  sei  Dank 
ist  sie  rüstig  — 

Der  Nörgler:  Sie  meinen:  gerüstet. 

Der  Optimist:  Sie  entwickelt  sich  von 
Generation  zu  Generation.  Sie  haben  von  fünf 
Seiten  bei  Jean  Paul  gesprochen,  die  heute  nicht 
mehr  geschrieben  werden  können.  Ich  denke  aber, 
daß  die  Erfindung  des  Grafen  Zeppelin  Deutschland 
keineswegs  um  die  Möglichkeit  gebracht  hat,  Dichter 
hervorzubringen.  Es  gibt  auch  heute  noch  Dichter, 
die  nicht  zu  verachten  sind. 

Der  Nörgler:  Ich  tue  es  dennoch. 

Der  Optimist:  Und  gerade  jetzt,  im  Krieg, 
hat  die  deutsche  Dichtung  einen  belebenden  Impuls 
empfangen. 

Der  Nörgler:  Sie  hätte  lieber  Ohrfeigen 
empfangen  sollen. 

D  e  r  O  p  t  i  m  i  s  t :  Sie  sagen  Derbheiten,  aber 
nicht  Wahrheiten.  Wie  immer  Sie  über  den  Krieg 
denken  mögen,  die  Schöpfungen  unserer  Dichter 
haben  etwas  von  dem  Feueratem  übernommen,  mit 
dem  diese  große  Zeit  nun  einmal  über  den  Alltag 
hinweggefegt  ist. 

Der  Nörgler:  Zwischen  dem  Feueratem  und 
dem  Alltag  hat  sich  sofort  eine  Gemeinschaft  ergeben: 
die  Phrase,  die  unsere  Dichter,  anschmiegsam  wie  sie 
sind,  sofort  übernommen  haben.  Sie  ^ind  pünkt- 
licher eingeschnappt,  als  es  die  verblüffte  Kundschaft 
verlangt  hätte.  Die  deutschen  Dichter!  Sie  sind  ein 
geübter  Optimist,  aber  Ihr  Optimismus  würde  schon 
inFrozzelei  ausarten,  wenn  Sie  mir  diese  Schöpfungen 
als  einen  Beweis  für  die  Größe  der  Zeit  rekomman- 
dieren wollten.  Ich  mache  immerhin  noch  den 
Unterschied  einiger  sittlichen  Grade  zwischen  armen 
Philistern,    die   der  Zwang  aus  dem  Bureau  in  den 


198 


Schützengraben  ruft,  .,  und  elenden  Schmierern,  die 
daheim  mit  Entsetzen  Ärgeres  treiben  als  Spott,  nämlich 
Leitartikel  oder  Reime,  indem  sie  eine  Gebärde  aus 
zehnter  Hand,  die  schon  in  der  ersten  falsch  war, 
und  einen  Feueratem  aus  dem  Mund  der  Allgemeinheit 
zu  einer  schnöden  Wirksamkeit  verarbeiten.  Ich  habe 
in  diesen  Schöpfungen  keine  Zeile  gefunden,  von 
der  ich  mich  nicht  schon  in  Friedenszeiten  mit  einem 
Gesichtsausdruck  abgewandt  hätte,  der  mehr  auf 
Brechreiz  als  auf  das  Gefühl  schließen  ließe,  an 
einer  Offenbarung  teilzuhaben.  Die  einzige  würdige 
Zeile,  die  ich  zu  Gesicht  bekommen  habe,  steht  im 
Manifest  des  Kaisers,  die  ein  feinfühliger  Stilist 
zustandegebracht  haben  muß,  der  sich  in  ein  an- 
genommenes Alterserlebnis  versenkt  hat.  »Ich  habe 
alles  reiflich  erwogen«.  Die  Zeit,  die  erst  kommen 
wird,  wird  ja  noch  besser  als  die  bereits  mitgemachte 
zeigen,  daß  einer  noch  reiflicheren  Erwägung  die 
Abwendung  dieses  unaussprechlichen  Grauens  geglückt 
wäre.  Aber  so  wie  die  Zeile  dasteht,  isoliert,  wirkt 
sie  wie  ein  Gedicht,  und  vielleicht  erst  recht,  wenn 
man  meinen  Gedankengang  als  ihren  Hintergrund 
setzt.  Schauen  Sie,  hier  —  von  dieser  Säule  können 
Sie's  noch  auf  sich  wirken  lassen. 

Der  Optimist:  Wo? 

Der  Nörgler:  —  Ach  schade,  gerade  der 
Teil  des  Manifestes,  wo  die  Zeile  steht,  ist 
vom  Gesicht  des  Wolf  in  Gersthof  verdeckt.  Sehn 
Sie,  das  ist  der  wahre  Tyrtäus  dieses  Kriegs!  Und 
nun  erst  ist's  ein  Gedicht. 

Der  Optimist:  Ich  kenne  Ihre  übertreibende 
Perspektive.  Für  Sie  gibt  es  keinen  Zufall.  Und 
doch  ist  der  Wolf  in  Gersthof,  der  mir  ja  selbst 
nicht  ans  Herz  gewachsen  ist  — 

Der  Nörgler:  Wirklich  nicht? 

Der  Optimist:  —  und  doch  ist  es  nur  ein 
Reklameplakat  wie  ein  anderes,  ein  altes  noch  dazu, 


199 


das  eben  vor  dem  Krieg  angefertigt  wurde.  Der 
Raum  ist  nun  einmal  gemietet,  kann  sein,  das  Lokal 
ist  auch  noch  im  Beirieb,  ich  weiß  das  nicht,  über 
Nacht  kann  sich  das  nicht  ändern,  das  alles  ist 
Oberfläche,  aber  ich  bin  überzeugt  — 

Der  Nörgler:   Natürlich  sind  Sie  überzeugt. 

Der  Optimist:  —  jawohl,  daß  die  Wiener, 
die  ja  doch  wirklich  über  Nacht  ein  ernstes  Volk 
geworden  sind  und  wie  die  Presse  so  richtig  gesagt 
hat,  »weit  entfernt  von  Hochmut  und  von  Schwäche« 
den  Ernst  der  Situation  erfaßt  haben,  ich  bin  über- 
zeugt, daß  sie  über  ein  Jahr  nicht  mehr  Lust  haben 
werden,  solche  Dinge  mitzumachen,  ob  nun  der 
Krieg  bis  dahin  zu  Ende  sein  wird  oder  nicht. 
Davon  bin  ich,  jawohl,  überzeugt! 

Der  Nörgler:  Sehen  Sie,  ich  habe  gar  keine 
Überzeugungen  und  ich  halte  es  für  ganz  egal,  ob 
es  so  sein  wird  oder  nicht  und  ob  man  es  billigt 
oder,  wie  Sie,  tadelt,  wenn  eine  Hetz  fortginge.  Eher 
würde  ich  es  im  Gegensatz  zu  Ihnen  billigen. 

Der  Optimist:  Dann  verstehe  ich  Sie  nicht. 

Der  Nörgler:  Davon,  sehen  Sie,  bin  ich  über- 
zeugt, nur  davon,  daß  es  darauf  nicht  ankommt. 
Aber  ich  sage:  Über  ein  Jahr  wird  der  Wolf  in  Gersthof, 
der  keine  Singspielhalle,  sondern  ein  Symbol  ist, 
den  Anforderungen  der  großen  Zeit  entsprechend 
noch  größer  geworden  sein  und  wird  an  allen 
Straßenecken  alles  verdecken,  die  Zeile:  »Ich  habe 
alles  reiflich  erwogen«  und  alles  andere,  was  sonst 
neben  und  unter  ihm  noch  Platz  hatte,  und  er  wird 
die  wahre  Perspektive  eines  falschen  Lebens  her- 
stellen. Und  aber  über  ein  Jahr  werden,  wenn  draußen 
eine  Million  Menschen  begraben  ist,  die  Hinter- 
bliebenen dem  Wolf  in  Gersthof  ins  Auge  schauen, 
und  in  diesem  Antlitz  wird  ein  blutiger  Blick  sein 
wie  ein  Riß  der  Welt,  darin  man  lesen  wird,  daß 
die  Zeit  schwer  ist  und  heute  großes  Doppelkonzert  I 


200 


Der  Optimist:  Es  schneidet  einem  ins  Herz, 
Sie  so  sprechen  zu  hören  —  das  heißt  doch  wirklich, 
eine  Zeit,  die  selbst  dem  Kurzsichtigsten  groß 
erscheinen  muß,  mit  Absicht  klein  zu  sehn.  Wenn 
Uiis  diese  Zeit  eines  gebracht  hat,  so  ist  es  die 
Erledigung  Ihrer  Perspektive. 

Der  Nörgler:  Das  walte  Gott! 

Der  Optimist:  Gebe  er  Ihnen  größere 
Gedanken.  Vielleicht  wachsen  sie  Ihnen  morgen,  in 
Mozarts  Requiem,  gehn  Sie  mit  mir  hinein,  der 
Reinertrag  fließt  der  Kriegsfürsorge  zu  — 

Der  Nörgler:  Nein,  mir  genügt  das  Plakat 
—  da  gleich  neben  dem  Wolf  in  Gersthof!  Aber 
was  ist  das  für  eine  sonderbare  Zeichnung?  Ein 
Kirchenfenster?  Wenn  mich  meineKurzsichtigkeit  nicht 
betrügt  —  ein  Mörser!  Ist  es  möglich?  Ja,  wem  ist 
es  denn  gelungen,  die  beiden  Welten  unter  einen 
Hut  zu  bringen?  Mozart  und  Mörser!  Welch  ein 
Konzertarrangement!  Wer  verbindet  so  glücklich?! 
Nein,  man  muß  darüber  nicht  weinen.  Sagen  Sie  nur, 
ob  in  der  Kultur  der  Senegalneger,  die  der  Feind 
gegen  uns  zu  Hilfe  gerufen  hat,  solch  ein  Gottbetrug 
möglich  wäre!  Sehen  Sie,  das  ist  der  Weltkrieg 
gegen  uns. 

Der  Optimist  (nach  einer  Pause) :  Ich  denke,  Sie 
haben  recht.  Aber  weiß  Gott,  das  sehen  nur  Sie. 
Unsereinem  entgeht  es  und  man  sieht  darum  die 
Zukunft  in  rosigem  Licht.  Sie  sehen  es,  und  darum 
ist  es  da.  Ihr  Auge  ruft  es  herbei  und  sieht's  dann. 

Der  Nörgler:  Weil  es  kurzsichtig  ist.  Es 
gewahrt  die  Konturen,  und  Phantasie  tut  das  übrige. 
Und  mein  Ohr  hört  Geräusche,  die  andere  nicht 
hören,  und  sie  stören  mir  die  Musik  der  Sphären,  die 
andere  auch  nicht  hören.  Denken  Sie  darüber  nach, 
und  wenn  Sie  dann  noch  nicht  von  selbst  zu  einem 
Schluß  kommen,  so  rufen  Sie  mich.  Ich  unterhalte 
mich  gern  mit  Ihnen,  Sie  sind  ein  Stichwortbringer 


201 


für  meine  Monologe.  Ich  möchte  mit  Ihnen  vor  das 
Publikum.  Jetzt  kann  ich  diesem  nur  sagen,  daß  ich 
schweige,  und  wenn  möglich,  was  ich  schweige. 

Der  Optimist:  Was  etwa? 

Der  Nörgler:  Etwa:  Daß  dieser  Krieg, 
wenn  er  die  Guten  nicht  tötet,  wohl  eine  moralische 
Insel  für  die  Guten  herstellen  mag,  die  auch  ohne 
ihn  gut  waren.  Daß  er  aber  die  ganze  umgebende 
Welt  in  ein  großes  Hinterland  des  Betrugs,  der 
Hinfälligkeit  und  des  unmenschlichsten  Gottverrais 
verwandeln  wird,  indem  das  Schlechte  über  ihn 
hinaus  und  durch  ihn  fortwirkt,  hinter  vorgeschobenen 
Idealen  fett  wird  und  am  Opfer  wächst!  Daß  sich 
in  diesem  Krieg,  dem  Krieg  von  heute,  die  Kultur 
nicht  erneuert,  sondern  sich  durch  Selbstmord 
vor  dem  Henker  rettet.  Daß  er  mehr  war  als 
Sünde:  daß  er  Lüge  war,  tägliche  Lüge,  aus  der 
Druckerschwärze  floß  wie  Blut,  eins  das  andere  nährend, 
auseinanderströmend,  ein  Delta  zum  großen  Wasser 
des  Wahnsinns.  Daß  dieser  Krieg  von  heute  nichts 
ist  als  ein  Ausbruch  des  Friedens,  und  daß  er  nicht 
durch  Frieden  zu  beenden  wäre,  sondern  durch  den 
Krieg  des  Kosmos  gegen  diesen  hundstollen  Planeten! 
Daß  Menschenopfer  unerhört  fallen  mußten,  nicht 
beklagenswert  weil  sie  ein  fremder  Wille  zur  Schlacht- 
bank trieb,  sondern  tragisch,  weil  sie  eine  unbekannte 
Schuld  zu  büßen  hatten.  Daß  für  einen,  der  das 
beispiellose  Unrecht,  welches  sich  noch  die  schlechteste 
Welt  zufügt,  als  Tortur  an  ihm  selbst  empfindet  — 
daß  für  ihn  nur  die  eine  letzte  sittliche  Aufgabe 
bleibt :  mitleidslos  diese  bange  Wartezeit  zu  verschlafen, 
bis  ihn  das  Wort  erlöst  oder  die  Ungeduld  Gottes. 

Der  Optimist:  Sie  sind  ein  Optimist.  Sie 
glauben  und  hoffen,  daß  die  Welt  untergeht. 

Der  Nörgler:  Nein,  sie  verläuft  nur  wie  mein 
Angsttraum,  und  wenn  ich  sterbe,  ist  alles  vorbei. 
Schlafen  Sie  wohl!  (Ab.) 

(Verwandlung.) 


202 


30.  Szene 

Nachts  am  Graben. 

Zwei  Kettenhändler  (mit  ihren  Damen, 
alle  Arm  in  Arm  in  angeheiterter  Stimmung,  trällernd) :  Stern- 
gucker —  Sterngucker  —  nimm  dich  in  Acht  — 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — 
40.000  tote  Russen  vor  Przemysl  — ! 

Der  eine  Kettenhändler:  — Sterngucker  — 
Sterngucker  — 

Der  andere:  —  nimm  dich  in  Acht  —  (ab.) 


II.  Akt 


1.  Szene 

Wien.  Ringstraßenkorso.  Sirk-Ecke.  Das  Publikum  besteht  in  der 
überwiegenden  Mehrzahl  aus  galizischen  Flüchtlingen,  Schiebern, 
Berufsoffizieren  auf  Uilaub,  solchen,  die  ein  SpitalskommantJo 
innehaben  oder  sonst  zu  leichterein  Dienst  im  Hinterland  verwendet 
werden,  und  aus  wehrfähigen  Zivilisten,  die  sichs  gerichtet  hahen. 

Ein  polnischer  Jude:  Extrosgabee  —  kofen 
Sie  mir  ab,  meine  Damen  und  Herrn  — 

Ein  seßhafter  Wucherer:  Das  hat  uns  noch 
gefehlt,  daß  wir  den  Pofel  herbekommen  —  wo 
man  hinschaut,  nix  wie  Juden!  Was  wern  sie  anfangen? 
Bleiben  und  unsere  Geschäfte  machen! 

Ein  Agent:  Vorläufig  kann  ich  nicht  klagen. 
Wenn  ich  auch  beiweiiem  nicht  sagen  könnte,  daß 
es  mir  so  gut  gehl  wie  Ornstein. 

Der  Wucherer:  Welcher  Ornstein?  Ornstein 
der  Enthobene? 

Der  Agent:  Selbstredend.  Er  hat  letzten 
Samstag  an  Tornister  achtahalb  Tausender  verdient 
auf  einen  Telephongespräch,  Gewure! 

Der  Wucherer:  Habachaachgehett.  Was  war 
er  vor  dem  Krieg? 

Der  Agent:  Vor  dem  Krieg,  das  wissen  Sie 
nicht?  Zindhelzl!  Die  Vertretung  von  Lauser  &  Low. 
Jetzt  macht  er.  Er  hat  gesagt,  er  wird  mir  auch 
verschaffen.    Er  is   intim    mit   etwas   einem   Major. 

(Ein  Schwerverwundeter   auf  Krücken,    mit    Gliederzuckungen, 
schleppt  sich  vorbei.) 

Der  Wucherer:  Ja,  jetzt  heißt  es  durchhalten. 
Ein  Zeitungsausrufer:    Extraausgabee    —  ! 
Neue  Freie  Presse!    Kroßa   Sick   der   Deitschen   in 
Galizieen!  Blutige  Abweisung  im  Naahkaamf! 


206 


Der  Wucherer:  Knöpfimacher  muß  auch 
schon  hübsch  verdienen.  Haben  Sie  gehört,  Eisig  Rubel 
geht  sich  täglich  herauf  in  die  Spirituszentrale,  was 
sagen  Sie,  weit  gebracht!  Was  ich  sagen  wollte, 
gediegen  war  gestern  der  Artikel  über  den  seelischen 
Aufschwung. 

Der  Agent:  Sie  heut  hab  ich  gehört,  um 
fufzig  Perzent  gehn  sie  mit  Leder  in  die  Höh. 

Der  Wucherer:  Was  Sie  nicht  sagen,  da  wird 
doch  Katz  in  die  Breite  gehn,  der  wird  nicht  mehr 
wissen,  wo  ein  und  aus,  der  is  imstand,  Sie  wern 
sehn  und  wird  noch  adelig.  Unsereins  gibts  billiger. 
Wissen  Sie,  was  ich  einmal  mecht?  Ich  mecht 
einmal  einen  Nagel  hereinschlagen  in  dem  Wehrmann 
neben  dem  Imperial,  aus  Hetz,  geh  mr  hin,  was  liegt 
Ihnen  dran,  ma  is  in  guter  Gesellschaft,  was 
liegt  Ihnen  dran,  eine  Krone  und  man  kriegt  ein 
Blatt,  wo  der  Name  eingetragen  is  für  kommende 
Geschlechter  für  die  Annalenl 

Der  Agent:  Lassen  Sie  mich  aus  mit  solche 
Narrischkaten. 

Der  Wucherer:  Da  kommt  Bermann!  Enthoben! 
Bermann:  Servus! 

Der  Wucherer:  Gehn  Sie  mit  nageln  in  den 
Wehrm_ann,  Bermann? 

Bermann:  Hab  scho  genagelt.  (Ab.) 
Der  Wucherer:  Gut,  geh  ich  selbst! 

Der  Agent:  Ich  bin  kein  Freund  von  solche 
Schmonzes. 

Der  Wucherer:  Was  heißt  Schmonzes?  Schaun 
Sie  sich  an,  was  für  Leute  —  das  war  einmal 
eine  Idee!  Auf  die  Art  kommt  viel  herein  für 
unsere  braven  Soldaten  und  man  hat  ein  Andenken 
an  die  große  Zeit.  Sie,  schaun  Sie  —  (Kine  auffallend 
gekleidete  Dame  geht  vorbei,  die  beiden  bleiben  stehn.) 

Beide:  Unter  mir  gesagt. 


207 


Der  Agent:  Haben  Sie  gehört,  wie  sich 
Raubitschek  und  Berber  patzig  machen  mit  der 
Medaille  vom  Roten  Kreuz? 

Der  Wucherer:  Tut  sich  was.  No  was  haben 
sie  geben  müssen? 

Der  Agent:  E  Pappenstiel.  Aber  sie  hätten 
auch  für  die  große  gegeben,  wenn  sie  sie  kriegen 
möchten.  Die  is  nur  für  Verdienste.  Die  kostet 
Unsummen! 

Der  Wucherer:  Bittsie  wer  kann  sich  das 
leisten,  und  die  es  sich  ja  leisten  können,  wollen 
lieber  Titeln.  Eduard  Feigl,  der  Konservenfeigl,  der 
Große,  wird  heißt  es  Baron.  Sofort  nach  dem  Frieden. 

Der  Agent:  Wer  denkt  jetzt  an  Frieden,  jetzt 
sind  andere  Sorgen. 

Der  Wucherer-  Was  sind  Sie  auf  einmal  so 
kriegerisch?  Mir  scheint,  Sie  haben  eine  große  Sache 
in  Aussicht?  No  habach  erraten?? 

Der  Agent:  Große  Sache,  Schmock  was  Sie 
sind,  große  Sache.  Ma  bringt  sach  durch. 

Der  Wucherer:  Recht  ham  Sie.  Ich  steh  auf 
den  Standpunkt,  Krieg  is  Krieg.  Bittsie,  ob  die 
jungen  Leut  sich  beim  Automobilfahren  den  Hals 
brechen  oder  gleich  fürs  Vaterland  —  ich  kann 
solche  Sentementalitäten  nicht  mitmachen. 

Der  Agent:  Das  is  aber  ja  wahr.  Das  fort- 
währende Geschimpfe  am  Krieg  wachst  mir 
schon  zum  Hals  heraus.  Manches  is  ja  teurer 
geworn  —  aber  das  gehört  dazu!  Ich  versicher  Sie, 
da  wern  noch  viele  sein,  die  heut  so  tun,  da  wird 
ihnen  noch  sehr  mies  wern,  wenn  sie  hörn  wern, 
es  kommt  Frieden. 

Der  Wucherer:  Gewiß,  wir  sind  doch  heute 
mit  Leib  und  Seele  dabei  — 

Der  Agent:  Und  mitten  drin,  grad  wo  sie 
sich  Verdienste  geschafft  haben,  soll  es  auf  einmal 
zu  End  sein? 


208 


Der  Wucherer:  Nebbich,  unsere  braven 
Soldaten. 

Der  Agent  (in  ein  schallendes  Gelächter  ausbrechend): 
Das  is  gediegen  —  Was  harn  Sie  verstanden?  Ich 
red  vom  Geschäft  und  Sie  —  (er  lacht  und  hustet) 
Ein  Staub  is  heut  wieder,  Schkandaal  —  das  geb  ich 
in  die  Presse  unter  die  Rubrik  »Der  Mistbauer 
im  Eisen«  —  was  red  ich,  »der  Wehrmann  und  die 
Fliege«  —  oder  nein  — 

Der  Wucherer:  Hab  auch  schon  mein 
Scherflein  beigetragen,  vor  unserem  Haus  is  nämlich 
seit  geschlagenen  drei  Monaten  — 

Der  Agent:  Schaun  Sie  da  her  wer  sich  daher- 
kommt, Weiß  in  Uniform!  Das  hat  die  Welt  nicht  — 
(Weiß  bleibt  mißmutig  stehn.)   Also  —  eingerückt? 

Weiß:  Scho  lang,  scho  gor  net  mehr  wohr.  (Ab.) 

Der  Wucherer:  Was  aus  die  Leut  wird!  Wer 
hätt  das  noch  vor  einem  Jahr  gedacht  —  wenn 
man  mir  gesagt  hätte  —  Weiß  wern  sie  nehmen! 
Einen  Menschen,  den  ich  hab  verdienen  lassen! 

Der  Agent:  Er  is  sehr  mißmutig  nebbich. 

Der  Wucherer:  Nicht  Brot  auf  Hosen  hat  er 
gehabt.  Jetzt  hat  er  des  Kaisers  Rock.  Ja,  es  is  eine 
große  Zeit. 

Der  Agent:  Sie  was  man  nicht  für  möglich 
halten  sollte,  hörn  Sie  mich  an,  seit  acht  Tag 
telephonier  ich  zu  Kehlendorfer  für  Husarenblut. 
Auf  vier  Wochen  ausverkauft.  Ich  sag  Ihnen,  der  Krieg 
wird  vorüber  sein  und  wir  wern  Husarenblut  nicht 
gesehn  haben!  Meine  Frau  quält  mich  doch  — 

Ein  Zeitungsausrufer: Der  Ansturm 

abgewieseen  —  Alle  Stellungen  genohmen! 

Der  Wucherer:  Und  ich  sag  Ihnen,  nicht  zu 
vergleichen  mit  Herbstmanöver.  No  und  was  sagen  Sie 
zur  Csardasfürstin  —  was  die  Leut  hermachen!  Warn 
Sie  schon  bei  Fürstenkind? 

Der  Agent:  Fürstenkind,  selbstredend  war  mr! 
Da  kommt  doch  —  warten  Sie  —  da  kommt  doch 


209 


der  großartige  Witz  vor,  wo  sich  das  Haus  vvnlzt, 
»das  warn  die  ramasurischen  Sümpfe^<.  Das  Haus 
dröhnt,  wie  er  das  herausbringt  Marischka  —  (ab.) 

Ein  Offizier  (zu  drei  anderen):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grüß  dich  Powolny, 
also  du  —  du  bist  ja  politisch  gebildet,  also  was 
sagst  zu  Italien? 

Zweiter  O f f i z i e r  (mit  Spazierstock) :  Weißt,  ich 
sag  halt,  es  ist  ein  Treubruch,  ganz  einfach. 

Der  dritte:  No  was  willst  von  die  Katzeimacher 
anderes  verlangen  —  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  mullattiert  — !  habts  das  Bild  vom  Schönpflug 
gsehn,  Klassikaner! 

Der  erste:  Weißt  was  ich  möcht  nach  langer 
Zeit,  möcht  wieder  amal  in  die  Gartenbau. 

Der  zweite:  Geh,  bist  denn  verwundet? 

Der  dritte:  Wieso  verwundet? 

Der  vierte:  Er  ist  doch  nicht  verwundet. 

Der  erste:  Ich  bin  doch  nicht  verwundet. 

Der  zweite:  No  weißt  denn  nicht,  die  Garten- 
bau is  doch  jetzt  a  Spital!  (Alle  lachen.) 

Der  erste:  Richtig,  a  Spital  —  (nach  einigem 
Nachdenken)  Weißt,  das  hab  ich  dir  auf  den  Tod 
vergessen  —  jetzt  dauert  der  Krieg  schon  so  lang  — 
(Ein  Soldat  auf  Krücken  kommt  vorbei.) 

Der  zweite:  Soll  ich  den  stelln,  der  salutiert 
blöd  — 

Der  erste:  Mach  kein  Aufsehn,  apropos  was  is 
mitn  Militärverdienstkreuz? 

Ein  Zeitungsausrufer:  Blutige  Abweisung 
im  Naahkaamf  bittee  — ! 

Der  zweite:  Ich  bin  eingegeben  —  zu  blöd, 
wie  lang  das  dauert. 

Der  dritte:  Eine  Wirtschaft! 

Der  vierte:  Was  wollts  ihr  haben,  Krieg  is 
Krieg.  Heut  sind  keine  Menscher. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  14 


210 


Der  erste:  Wißts  ihr,  was?  Gehmr  zum 
Hopfner!  (Ab.) 

Ein  Intellektueller  (zu  seinem  Begleiter):  Ich 
versicher  Sie,  solange  die  Mentalität  unserer  Feinde  — 
(Beide  ab.) 

P  0 1  d  i  Fesch  (zu  seinem  Begleiter) :  Heut  soll  ich 
mit  dem  Sascha  Kolowrat  drahn  —  {ah.) 

Man  hört  den  Gesang  vorbeiziehender  Soldaten:  In  der  Heimat, 
in  der  Heimat  da  gibts  ein  Wiedersehn  — 

(Drei  Schieber  mit  Zahnstocher  im  Maule  treten  aus  dem  Rost- 
raum des  Hotel  Bristol.) 

Erster  Schieber:  Sie,  gestern  war  ich  bei 
Marcel  Salzer.  Ich  sag  Ihnen  meine  Herrn,  das 
sollten  Sie  nicht  versäumen. 

Zweiter  Schieber:  Soo  guut? 

Der  erste:  Ja!  Sie,  da  trägt  er  Ihnen  ein  Gedicht 
vor,  von  etwas  einem  berühmten  Dichter,  weiß  ich 
wie  er  heißt  —  warten  Sie  —  ja  —  Ginzkey! 

Dritter  Schieber:  Teppiche. 

Der  erste:  Er  soll  sogar  verwandt  sein.  Also, 
da  kommt  vor  von  Tannenberg,  wie  sie  Hindenburg 
hereintreibt  in  die  Sümpfe  —  Sie  ham  doch  in  der 
Presse  gelesen  damals  die  packende  Schilderung  — 

Der  zweite:  Ich  weiß  noch  den  Titel: 
Umfassung  der  russischen  Truppen  durch  die 
deutsche  Armee  und  Hereinwerfen  in  die  masurischen 
Sümpfe. 

Der  erste:  Ja,  also  das  kommt  genau  vor, 
aber  mehr  komisch,  und  da  macht  er  gluck-gluck 
und  gluck-gluck,  wie  sie  ersticken.  Ich  sag  Ihnen 
und  dabei  das  betamte  Gesicht,  was  er  macht  Salzer, 
die  Äuglein  —  es  is  sein  Geld  wert. 

Der  dritte:  Ps— -Sie  —  dakommen  Feldgraue! 
(Sie  bleiben  stehn.) 

Der  zweite  (andächtig):  In  schimmernder  Wehr, 
Der  erste:  Ja,  die  Deitschen! 


211 


(Es  treten    hintereinander    drei    deutsche  Grenadiere   auf,   jeder 

begleitet   von    einem   Wiener    Oemeindeorgan,   das   Frack  und 

Zylinder  (ragt.) 

Erstes  Gemeindeorgan:  Durt  is  die  Oper, 
jetzt  kommen  wir  in  die  Kirntnerstraße,  woselbst 
ich  Ihnen  den  Stock  im  Eisen  zeigen  werde,  das 
größte  Wahrzeichen  von  Wien,  was  mir  harn,  er- 
richtet zum  Andenken,  daß  vorüberziehende  Hand- 
werksburschen jeder  einen  Nagel  einigschlagen  haben, 
gradaso  wie  Sie's  beim  Wehrmann  in  Eisen  gsehn 
haben.  Dann  kommt  die  sogenannte  Pestsäule,  weil 
damals  in  der  Wienerstadt  die  Pest  gewietet  hat 
und  da  hat  er  ein  Gelübde  getan,  an  dera  Stelle 
eine  große  Sehenswürdigkeit  zu  errichten. 

Erster  Grenadier:  Ach  was,  Donnerwetter! 

Zweites  Gemeindeorgan:  Durt  is  die  Oper, 
jetzt  gehn  wir  durch  die  Kirntnerstraße,  zum  so- 
genannten Stock  im  Eisen,  das  ist  ein  Wahrzeichen, 
weil  dort  vorüberziehende  Handwerksburschen  jeder 
einen  Nagel  einigschlagen  haben.  Dann  zeige  ich 
Ihnen  die  Pestsäulen,  da  hat  er  nämlich  ein  Gelübde 
getan,  weil  damals  die  Pest  gewietet  hat,  gradaso 
wie  beim  Wehrmann  in  Eisen,  und  darum  is  dort 
eine  Sehenswürdigkeit  errichtet. 

Dritter  Grenadier:   Famos,  Donnerwetter! 

Drittes  Gemeindeorgan:  Da  ham  S'  die 
Oper.  Jetzt  kommt  aber  gleich  die  Kirntnerstraße, 
da  gehn  mir  zum  Stock  im  Eisen,  in  den  haben 
nämlich  die  vorüberziehenden  Handwerksburschen 
einen  Nagel  einigschlagen,  gradaso  wie  sie's  jetzt 
beim  Wehrmann  tun.  Dann  führ  ich  Ihnen  am 
Graben  zu  einer  Sehenswürdigkeit,  zum  größten 
Wahrzeichen  was  mir  ham,  indem  nämlich  durt  die 
Pest  gewietet  hat  an  dera  Stelin,  und  da  hat  er  ein 
Gelübde  getan  und  so  is  bekanntlich  der  Stock  im 
Eisen  entstanden. 

ZweiterGrenadier:  Donnerwetter,  schneidich ! 


14* 


212 


Ein  Reporter  (zu  einem  zweiten):  Sehn  Sie,  da 
kann  man  einmal  sehn,  was  das  heißt  Schulter  an 
Schulter. 

Der  zweite:  Sie  scheinen  sich  gut  zu  verstehn, 
aber   man   hört   nicht  was  sie  zusammen   sprechen. 

Der  erste:  Er  erklärt  ihm. 

Ein  Berliner  Schieber  (sehr  schnell  zu  einem 
Dienstmann):  Kommen  Se  mal  ran  und  laufen  Se 
rüber  ins  Restaurang,  kucken  Se,  ob  dort'n  Herr 
wachtet  oder  gehn  Se  zum  Potje  oder  zum  Ober 
und  fragen  Se  nach  dem  Sektionscheff  Swoböda, 
der  von  Zadikower  aus  Berlin  Mitte  bestellt  ist, 
mit  der  einflußreichste  Mann,  den  ihr  in  Wien  jetzt 
habt,  er  möge  noch  wachten  und  'n  Tisch  anjeben,  das 
Treffbuch  liegt  vamutlich  an  der  Auskunftei  aus, 
falls  ich  vahindat  wäre,  will  ich  mit  ihm  Amdbrot 
essen,  habe  aber  noch'n  Jeschäft,  für  den  Fall  hörn  Se 
daß  a  vahindat  wäre,  möge  er  nachts  nach  dem 
Muläng  rusche  komm'n  oder  wie  det  Etablissemang 
jetzt  heißt,  Se  wissen  doch,  wo  die  Mizzal  tanzt, 
mit  das  schikste  Mädchen,  das  ihr  in  Wien  jetzt 
habt,  ich  komme  fünfzehn  Minuten  vor  zwölfe, 
nu  man  fix  habn  Se  vaschtanden?  (Der  Dienstmann 
betrachtet  den  Fremden  erstaunt  und  schweigend.)  Ja 
Menschenskind  vaschtehn  Se  nich  deutsch? 

DerDienstmann:  Ahwoswoswaßiwossöwulln  - 

Der  Schieber  (sich  empört  an  die  Vorübergehenden 
wendend,  die  eine  Gruppe  bilden):  Nu  haste  Worte,  hörn 
Se  mal,  erlauben  Se  mal,  das  is'n  ausjewachsener 
Skandal,  was  in  eurem  lieben  Wien  allens  vorkomm' 
kann,  ich  habe  hier  als  Reichsdeutscher  ja  schon 
manche  Überraschung  erlebt,  so'ne  richtje  Wiener 
Schlamperei  ist  man  bei  euch  ja  jewöhnt,  ihr 
seid  ja  überhaupt  'n  niedliches  Völkchen,  aber  so 
etwas  sollte  man  denn  doch  nich  für  möglich  halten, 
das  is  doch  wieder  mal  nur  in  Wien  möglich,  nee 
überhaupt  daß  sich  eine  Bevölkerung,  mit  der  wir  doch 
Schulter  an  Schulter  kämpfen,   so'ne  Sottise  jefallen 


213 


läßt,  das  ist  doch  kolomassiv,  ihr  Wiener  habt  ja 
nu  eben  keene  Ahnung,  daß  ihr  im  Kriege  seid, 
darumseidihrauch  schon  nach  einem  Jahre  uniendurch, 
bei  uns  hingegen,  da  liann  man  sagen,  ist  die  Stimmung 
ernsc,  aber  zuversichtlich,  bei  euch  hingegen  —  na, 
das  sollte  mal  Hindenburch  wissen,  da  will  ich  ihn 
nu  mal  gründlich  orientieren  — 

Rufe  aus  der  Menge:  Ja  was  is  denn 
gschehn? 

Der  Schieber:  Was  jeschehn  is?  Da  fragen 
Se  noch?  Ulkjes  Völkchen!  Der  Mann  da,  hat  da- 
jesianden  wie'n  richtich  gehender  Wiener  Dienstmann, 
ich  wollt  ihn  rüberschicken  ins  Restaurang  mit  'ner 
wichijen  Nachricht  für  'nen  Sektionscheff,  den  ich 
bestellt  habe,  und  er  —  ich  bitte  Sie,  jetzt  im  Krieg  — 

Die  Menge:  Na  was  denn,  was  hat  er  denn  tan? 

Der  Schieber:  —  und  er  antwortet  mir  englisch! 

(Er  entfernt  sich    in  größter  Erregung.    Die   Menge   sieht   den 

Dienstmann  fragend  an,  der  seinerseits  die  ganze  Zeit  wie  erstarrt 

dagestanden  ist  und  sich  nun  stolz  entfernt.) 

Die  Menge:  Gott  strafe  England! 
Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabce — ! 
Kroßa  Sick  da  Yabündeteen! 

(Verwandlung.) 


2.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Nörgler:  Halten  Sie  es  im  Bereich 
organischer  Möglichkeiten  für  denkbar,  daß  ein 
Eskimo  und  ein  Kongoneger  auf  die  Dauer  sich 
verständigen  oder  gar  miteinander  Schulter  an  Schulter 
kämpfen  können?  Ich  denke,  höchstens  wenn  es 
ein  Bündnis  gegen  Preußen  gilt.  Die  Verbindung 
zwischen  einem  Schöneberger  und  einem  Grinzinger 
scheint  mir  unpraktikabel. 

Der  Optimist:  Warum  denn? 


214 


Der  Nörgler:  Es  ist  in  alten  Mären,  auf 
welche  die  Nibelungentreue  zurückzuführen  ist,  der 
Wunder  viel  geseit.  Aber  was  sind  diese  gegen 
die  wunderbaren,  märchenhaften  Verbindungen  der 
blutlebendigen  Gegenwart?  Denn  sehen  Sie:  noch 
nicht  einmal  telephonieren  können  und  nichts 
als  telephonieren  können  —  das  mag  wohi  zwei 
Welten  ergeben;  aber  läßt  es  eigentlich  ihre  seelische 
Verbindung  zu,  da  kaum  eine  telephonische  Zustande- 
kommen könnte?  Lassen  sich  zwei  Wesen  Schulter 
an  Schulter  denken,  deren  eines  die  Unordnung 
zum  Lebensinhalt  hat  und  nur  aus  Schlamperei  noch 
nicht  zu  bestehen  aufgehört  hat,  und  deren  anderes 
in  nichts  und  durch  nichts  besteht  als  durch  Ordnung? 

Der  Optimist:  Das  Vorbild  des  Bundesbruders, 
dessen  im  Frieden  bewährte  Organisation  — 

Der  Nörgler:  Sie  würde  sich  an  dem  Vorbild 
der  Schlamperei  lockern,  wenn  sie  nicht  ohnedies 
in  diesem  Krieg  kaputt  gehen  müßte.  Die  äußere 
und  innere  Ordnung  der  deutschen  Welt  ist  eine 
Hülle,  die  bald  geborsten  sein  wird.  Dann  mag  es 
Schulter  an  Schulter  mit  uns  mißglücken. 

DerOptimist:  Meinen  Sie,  daß  etwa  die  deutsche 
Beamtenschaft  in  ihrem  erprobten  Pflichtgefühl  je 
nachlassen  oder  gar  korrumpiert  werden  könnte? 

Der  Nörgler:  Als  ein  Symbol  der  deutschen 
Entwicklung  ist  mir  jüngst  an  der  deutsch- 
scliweizerischen  Grenze  ein  uniformierter  Bahn- 
funktionär entgegengetreten,  der  mir  neben  der  Kassa 
die  Umwechslung  der  Valuta  zu  einem  besseren 
Kurs  als  dem,  den  die  Bahn  zahlt,  flüsternd  anbot. 

Der  Optimist:  Wo  Sie  sittlichen  Verfall  sehen, 
sehe  ich  — 

Der  Nörgler:  Seelenaufschwung.  Diese  Vision 
wird  jene  Wirklichkeit  noch  fördernd  beeinflussen. 
Unter  der  Ägide  der  sich  selbst  belügenden 
Kriegslüge  wird  das  Chaos  unendlich  werden.  Die 
ins  Rollen  gebrachte  Quantität  wird  entgleisen. 


215 


Der  Optimist:  Und  wir  in  Österreich? 

Der  Nörgler:  Werden  kaum  nötig  haben, 
herunterzukommen.  Bei  uns  war  schon  im  Frieden 
Krieg  und  jeder  Konzertschluß  ein  ungeordneter 
Rückzug,  Wir  werden  eher  durchhalten. 

Der  Optimist:  Im  Treubund  gibt  es  keine 
Rivalität.  Er  hat  sich  bisher  bewährt  und  wir  werden 
auch  zusammen  kämpfen  bis  zum  Ende. 

Der  Nörgler:  Das  glaube  ich  auch.  Nur 
werden  in  der  gemeinsamen  Verwirrung  die  Sprachen 
verschieden  sein. 

Der  Optimist:  Gemeinsam  ist diedesSchwertes. 
Wir  sind  mit  den  Deutschen  verbunden  auf  Gedeih 
und  — 

Der  Nörgler:  —  Verderb! 

(Verwandlung.) 


3.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Abonnent:  Haben  Sie  gelesen,  der 
Bürgermeister  Dr.  Weiskirchner  hat  anläßlich  der 
glänzenden  Waffentat  des  Ü  5-Boots  dem  Admiral 
Haus  ein  Glückwunschtelegramm  geschickt,  und  er 
hat  schon  geantwortet? 

Der  Patriot:  Whs  hat  er  geantwortet? 

Der  Abonnent:  »Bitte,  meinen  verbindlichsten 
Dank  für  die  überaus  freundlichen  Glückwünsche 
entgegenzunehmen.« 

Der  Patriot:  Aber  wissen  Sie  schon,  daß 
der  Leiter  der  israelitischen  Militärseelsorge  Feld- 
rabbiner Dr.  Frankfurter  beim  Osterfeste  eine 
patriotische  Ansprache  gehalten  hat? 

Der  Abonnent:  Was  Sie  nicht  sagen!  Das 
is  mir  entgangen!  Und  dann? 


216 


Der  Patriot:  Der  Text  wurde  vom  Militär- 
kommando Wien  dem  Erzherzog  Friedrich  und  dem 
Erzherzog  Karl  Franz  Josef  vorgelegt. 

Der  Abonnent:  Und  dann? 

Der  Patriot:  Beide  Erzherzoge  ließen  dem 
Feldrabbiner  danken. 

Der  Abonnent:  Sehn  Sie,  das  freut  mich. 
Aber  ich  kann  Ihnen  dafür  erzählen,  König  Ludwig 
von  Bayern  hat  dem  sich  zurzeit  in  Franzensbad 
aufhaltenden  Bezirksrabbiner  Benzion  Katz  von 
Borszczow  auf  dessen  anläßlich  der  Einnahme  von 
Warschau  gesandtes  Huldigungstelegramm  tele- 
graphisch seinen  Dank  ausdrücken  lassen. 

Der  Patriot:  Das  weiß  ich  und  ich  weiß 
noch  mehr. 

Der  Abonnent:  Da  bin  ich  gespannt. 

Der  Patriot:  Benzion  Katz,  Bezirksrabbiner 
zu  Borszczow,  derzeit  in  Franzensbad,  hat  anläßlich 
der  Einnahme  von  Warschau  und  Iwangorod  — 

Der  Abonnent:  Also  auch  wegen  Iwangorod? 

Der  Patriot:  Ja,  auch  wegen  Iwangorod,  an  den 
Armeeoberkommandanten  Feldmarschall  Erzherzog 
Friedrich  eine  Huldigungsdepesche  gerichtet  — 

Der  Abonnent:  Und  dann? 

Der  Patriot:  —  auf  welche  folgende  Antwort 
eingetroffen  ist:  Se.  k.  u.  k.  Hoheit  der  durch- 
lauchtigste Herr  Armeeoberkommandant  Feldmarschall 
Erzherzog  Friedrich  — 

Der  Abonnent:  Aha  weiß  schon:  dankt 
bestens  für  die  patriotische  Kundgebung.  Im  höchsten 
Auftrage  Flügeladjutant  Oberst  v.  Lorz. 

Der  Patriot:  Woher  wissen  Sie  das? 

Der  Abonnent:  No  ich  kann  Ihnen  noch 
mehr  sagen.  Nämlich  den  Text  von  der  Antwort 
von  König  Ludwig  von  Bayern,  nämlich  das  hab 
ich  erst  später  gelesen,  nämlich  König  Ludwig  von 
Bayern  hat  an  den  sich  in  Franzensbad  aufhaltenden 


217 


Bezirksrabbiner  Benzion  Katz  von  Borszczow  auf 
dessen  anläßlich  der  Einnahme  von  Warschau 
gesendetes  Glückwunschtelegramm  folgende  Antwort 
gerichtet:  »Ihnen  und  Ihren  in  Franzensbad  weilenden 
Landsleuten  danke  ich  bestens  für  die  Glückwünsche 
zur  Befreiung  Warschaus.  Ludwig.« 

Der  Patriot:  Schad,  daß  man  immer  nur  von 
den  Antworten  hört,  und  nie,  was  Benzion  Katz 
telegraphiert  hat. 

Der  Abonnent:  Gott,  es  gibt  ja  so  viel  jetzt, 
man  weiß  gar  nicht,  wofür  man  sich  zuerst  intressieren 
soll,  richtig,  wissen  Sie  schon,  wer  im  Reserve- 
spital Nr.  9  (früher  k.  k.  Statthaltereispital)  unter  der 
Leitung  des  Regisseurs  Franz  Brunner  mitgewirkt  hat? 

Der  Patriot:  Frau  Sektionschef  Jarzebecka, 
Rosa  Kunze,  Helene  Gad,  Marta  Seeböck,  Elsa  v. 
Konrad,  Marta  Land,  Frau  Professor  Felsen,  Gusti 
Schlesak,  Henriette  Weiß,  Mizzi  Ohmann,  Christine 
Werner  und  die  Herren  Ernst  Salzberger  und  Viktor 
Springer. 

Der  Abonnent:  Fürwahr,  eine  stattliche  Liste. 
Im  Vereinsreservespital  Nr.  8  (Rothschild-Spital)  haben 
meines  Wissens  nur  mitgewirkt:  Frau  Anna  Kastinger, 
Fräulein  Finni  Kaufmann  (am  Klavier  Heia  Lang), 
Fräulein  IIa  Tessa,  Adolf  Raab,  Fräulein  Karla  Porjes, 
das  Schrammel-QuartettUhlund  das  Edelweiß-Quartett 
unter  Leitung  des  Chormeisters  E.  Bochdansky  mit 
den   Herren  I.  Michl,   G.  Steinweiß   und   I.  Zohner, 

Der  Patriot:  So  ist  es.  Wissen  Sie  aber,  daß 
im  Spital  in  der  Apostelgasse  auf  Anregung  des 
Bezirksschulinspektors  Homolatsch  das  »Deutsche 
Lied  in  Wort  und  Bild  und  Sang  und  Klang«  zum 
Besten  gegeben  wurde? 

Der  Abonnent:  Nein,  es  setzt  mich  in 
Erstaunen,  aber  das  eine  weiß  ich,  daß  sich 
E.  Koritschoner,  Prag  und  Minna  Husserl, 
Mährisch-Trübau  am  15.  d.  verlobt  haben. 


218 


Der  Patriot:  So  ist  es.  Ja,  ja,  es  gehn 
große  Dinge  vor.  Haben  Sie  gelesen,  »Verzweiflung 
des  Viererverbandes  am  Sieg«? 

Der  Abonnent:  Ja,  ja,  es  scheint' sich  zu 
bewahrheiten,  ich  glaub  es  wird  eine  Verzweiflung 
am  Sieg  des  Viererverbandes  ausbrechen,  wie  sie 
die  Welt  noch  nicht  gesehn  hat. 

Der  Patriot:   Ma  werd  doch  da  sehn.  (Ab.) 

(Verwandlung.) 


4.  Szene 

Standort  des  Hauptquartiers.  Eine  Straße. 
Ein  Journalist  und  ein  alter  General  treten  auf. 

Der  Journalist:  Sind  Exellenz  vielleicht  in 
der  Lage,  mir  einige  Andeutungen  über  die  momentane 
Situation  zu  machen? 

Der  General  (nach  einigem  Nachdenken):  Wir 
gedenken  —  in  Liebe  —  unserer  Lieben  —  in  der 
Heimat  —  die  uns  —  mit  Liebesgaben  —  bedenken 
—  und  unserer  —  in  Treue  —  gedenken. 

DerJournalist:  Aufrichtigen  Dank,  Exellenz, 
ich  werde  nicht  verfehlen,  diese  bedeutsame  Äußerung 
eines  unserer  glorreichen  Heerführer  sofort  —  (Beide  ab.) 

(Ein  anderer  Journalist  und  ein  anderer  alter  General  treten  auf.) 

Der  Journalist:  Sind  Exellenz  vielleicht  in 
der  Lage,  mir  über  den  Verlauf  der  jetzigen  Begeben- 
heit Authentisches,  soweit  es  im  Rahmen  der 
gebotenen  Rücksichten  möglich  ist,  für  das  Blatt 
zur  Verfügung  zu  stellen? 

Der  General:  I  waß  nix  —  i  hob  nur 
g'hört  —  daß  jetzt  —  die  Preißen  kummen  —  die 
Preißen  —  nacher  —  alstern  nacher  —  gehts  uns 
wieder  —  schlecht  —  diese  —  diese  —  verflixten 
Preißen  — 


219 


Der  Journalist:  Intressant.  Wissen  Exellenz 
vielleicht  etwas  über  das  uns  besonders  am  Herzen 
liegende  Schicksal  der  dritten  reitenden  Artillerie- 
brigade? 

Der  General:  Die  ritte  —  dreitende  — 
rati  —  tatita  —  ti  —  titeriti  — 

Der  Journalist:  Vielen  Dank,  Exellenz, 
ich  werde  nicht  verfehlen,  diese  hochbedeutsame 
Kundgebung  eines  unserer  siegreichen  Feldherrn  — 
(Beide  ab.) 

(Verwandlung.) 

5.  Szene 

Südwestfront. 

Eine  Stimme  aus  dem  Hintergrund: 
Net  z'weit  vurgehn,  Exlenz,  net  z'weit  vur! 

Eine  zweite  Stimme  aus  dem  Hinter- 
grund: Net  vurgehn  Exlenz,  der  Ort  is  vom  Feind 
eingsehn,  da  muß  doch  ein  Einsehn  sein,  net  vurgehn! 

Ein   alter  General    tritt   auf.    Er   ist   in   Gedanken    versunken. 

Ein  sizilianischer  Soldat  nähert   sich   ihm    und    fängt   ihn   mit 

dem  Lasso.  Der  Soldat  führt  den  General  ab. 

Ein  Mitglied  des  Kriegspressequartiers 
(bemerkt  es  und  ruft):  Das  ist  nicht  wahr!  —  Ich  hab 
es  selbst  gesehn!  —  Das  wird  ein  Fressen  für  sie 
sein!  —  Märchen  italienischer  Berichterstattung!  — 
Kommentar  überflüssig. 

(Verwandlung.) 


6.  Szene 

Ein  Infanterieregiment  dreihundert  Schritt  vom  Feind.    Heftiger 
Feuerkampf. 

Ein  Infanterieoffizier:  Da  schauts  nach 
rückwärts,  unser  guter  Feldkurat  kommt  zu  uns. 
Das  is  schön  von  ihm. 


220 


Der  Feldkurat  Anton  Allmer:  Gott  grüße 
euch,  ihr  Braven!  Gott  segne  eure  Waffen!  Feuerts 
tüchtig  eini  in  die  Feind? 

Der  Offizier:  Habe  die  Ehre  Hochwürden  — 
wir  sind  stolz,  einen  so  unerschrockenen  Feldkuraten 
zu  haben,  der  trotz  feindlicher  Feuerwirkung,  der 
drohenden  Gefahr  nicht  achtend,  sich  unserer  Feuer- 
stellung nähert. 

Der  Feldkurat:  Gehts,  laßts  mich  auch  a  wengerl 
schießen. 

Der  Offizier:  Wir  freuen  uns  alle,  einen  so 
tapfern  Feldkuraten  zu  haben!  (Er  reicht  ihm  ein  Gewehr. 
Der  Feldkurat  feuert  einige  Schüsse  ab.) 

Der  Feldkurat:  Bumsti! 

Rufe:  Bravo!  Ist  das  aber  ein  edler  Priester! 
Hoch  unser  lieber  Feldkurat! 

(Verwandlung.) 


7.  Szene 

Bei  der  Batterie. 

Ein  Artillerieoffizier:  Daschauts,  unser  guter 
Feldkurat  kommt  zu  uns  aus  der  Infanteriestellung. 
Das  is  schön  von  ihm! 

Der  Feldkurat  Anton  Allmer:  Gott  grüße 
euch,  ihr  Braven!  Gott  segne  eure  Waffen!  Feuerts 
tüchtig  eini  in  die  Feind? 

Der  Offizier:  Sauber  laufts,  Hochwürden. 

Der  Feldkurat:  Mit  Gott  möcht  ich  auch 
einmal  ein  Geschütz  probieren. 

Der  Offizier:  Gern,  Hochwürden,  hoffentlich 
treffen  Sie  einige  Russen. 

(Der  Feldkurat  feuert  ein  Geschütz  ab.) 
Der  Feldkurat:  Bumsti! 
Rufe:  Bravo! 


221 


Der  Offizier  (zur  Mannschaft):  Das  ist  ein 
guter,  edler  Priester!  Und  ein  Sohn  unserer  schönen 
Steiermark.  Das  muß  ich  ins  Grazer  Volksblatt  geben! 
(Zum  Feldkuraten)  Das  heimische  Regiment  freut  sich 
und  ist  stolz  auf  seinen  Feldkuraten  und  tapferen 
Mitkämpfer,  der  mit  gutem  Beispiel  vorangeht. 

Rufe:  Hoch! 

Der  Offizier:  Jetzt  erst,  da  Hochwürden 
geschossen  hat,  sind  unsere  Waffen  gesegnet! 

Die  Schaiek  nähert  sich. 

Die  Schaiek:  Was  is  das  für  eine  Stellung? 
Das  soll  eine  Stellung  sein?  Ich  hab  schon  bessere 
Stellungen  gesehn! 

Der  Offizier:  Bitte  Nachsicht  zu  haben  — 
in  der  kurzen  Zeit  — 

Die  Schaiek:  Sie,  Herr  Oberleutnant,  wissen 
Sie  was,  ich  möcht  bißl  schießen. 

Der  Offizier:  Von  Herzen  gern  Fräulein, 
aber  das  is  momentan  leider  unmöglich,  weil  es 
den  Feind  aufregen  könnte.  Jetzt  is  grad  eine 
Gefechtspause  und  wir  sind  froh  — 

Die  Schaiek:  Aber  bitt  Sie  machen  Sie  keine 
Geschichten  —  also  der  Kurat  darf  und  ich  darf  nicht?  — 
wenn  ich  schon  eigens  herausgekommen  bin  —  wie 
Sie  wissen,  schildere  ich  nur  aus  dem  persönlichen 
Erleben  —  bedenken  Sie,  daß  ich  die  Schilderung 
unbedingt  vervollständigen  muß  —  es  is  doch  für 
Sonntag! 

Der  Offizier:  Ja  —  also  —  eine  Verantwortung 
kann  ich  nicht  übernehmen  — 

Die  Schaiek:  Aber  ich!  Geben  Sie  her.  Also 
wie  schießt  man? 

Der  Offizier:  So  — 


222 


(Die  Schalek  schießt.  Der  Feind  erwidert.) 

Der  Offizier:  Also  da  ham  mrs! 
Die   Schalek:    Was   wollen    Sie  haben?   Das 
is  doch  intressant! 

(Verwandlung.) 

8.  Szene 

Der  Wurstelprater.  Die  Szene  stellt  einen  Schützengraben  dar, 
in  welchem  Provinzschauspieler  Schießübungen  vornehmen, 
telephonieren,  schlafen,  essen  und  Zeitung  lesen.  Der  Schützen- 
graben trägt  Flaggenschmuck.  Das  tausendköpfige  Publikum  steht 
in  dichten  Reihen  davor,  zahlreiche  Funktionäre,  Würdenträger 
und  Reporter  im  Vordergrund. 

Der  Entrepreneur:  —  und  hiermit  empfehle 
ich  den  Schützengraben,  welcher  dem  p.  t.  Publikum 
das  Leben  im  echten  Schützengraben  täuschend  vor 
Augen  führen  soll,  dem  edlen  Zwecke  der  patriotischen 
Kriegsfürsorge  und  richte  an  Seine  kaiserliche  Hoheit 
das  alleruntertänigste  Ersuchen,  den  Schützengraben 
für  eröffnet  zu  erklären. 

Ein  Vertreter  der  Korrespondenz  V/ilhelm 
(zu  seinem  Kollegen):  Unter  den  militärischen  und  zivilen 
Notabilitäten  bemerkte  man  u.  a.  — 

Der  Kollege  (schreibend):  Angelo  Eisnerv. Eisen- 
hof, Flora  Dub,  Hofrat  und  Hofrälin  Schwarz-Gelber  — 

Der  Vertreter:  Aber  ich  seh  die  nicht  — 

Der  Kollege:  No  ich  weiß  aber. 

Der  Vertreter:  Pst.  Die  Eröffnung  erfolgt. 
Schreiben  Sie:  Schlag  6  Uhr  erfolgte. 

Die  Stimme  des  Erzherzogs  Karl  Franz 
Josef:  Ich  bin  gerne  gekommen,  den  Schützengraben 
anzuschauen.  Ich  bin  ja  selbst  Soldat. 

Das  Publikum:  Hoch!  Hoch!  Hoch! 

Hofrätin  Schwarz-Gelber  (zu  ihrem  Gemahl): 
Hier  sieht  man  nichts,  komm,  dorten  wird  man  gesehn. 

(Es  erfolgen  Vorstellungen.   Das  Publikum   massiert  sich    und 
zerstreut  sich  hierauf.  Es  bilden  sich  Gruppen.) 


223 


Der  ungenannt  sein  wollende  Herr 
Oberleutnant,  der  in  Schaumanns  Apotheke, 
Stockerau,  zu  Gunsten  des  Roten  Kreuzes 
den  Betrag  von  1  K  erlegt  hat  (zu  einem  Herrn): 
Es  ist  zu  hoffen,  daß  auch  diese  Veranstaltung,  die 
Sicherlich  einem  Gedanken  oder  einer  Anregung  ihre 
Entstehung  verdankt,  dem  wohltätigen  Zwecke  manch 
namhaftes  Sümmchen  einbringen  wird.  Ich  interessiere 
mich  für  alle  auf  die  Kriegsfürsorge  abzielenden 
Bestrebungen,  ich  bin  nämlich  wie  Sie  mich  da 
sehn  niemand  anderer  als  der  Spender  des  in 
Schaumanns  Apotheke,  Stockerau,  von  einem 
ungenannt  sein  wollenden  Herrn  Oberleutnant  zu 
Gunsten    des  Roten  Kreuzes   erlegten  Betrages  von 

1  K,  Summe  1091  K  bar  und  2000  K  Nominale 
Rente,  hiezu  der  frühere  Ausweis  von  679.253  K  bar, 
macht  680.344  K  bar  und  — 

Doktor  Kunze:  Was,  so  viel? 

Der  ungenannt  sein  wollende  Herr 
Oberleutnant,  der  in  Schaumanns  Apotheke, 
Stockerau,  zu  Gunsten  des  Roten  Kreuzes 
den  Betrag  von  1  K  erlegt  hat:  Ja,  ja,  das 
summiert  sich.  Ich  halte  lange  geschwankt,  ob  ich 
mit  meinem  Namen  hervortreten  solle,  aber  da  ich, 
wo  es  sich  um  Wohltun  handelt,  ein  abgesagter 
Feind  jeglicher  Publizität  bin,  so  entschloß  ich  mich 
verborgen  zu  bleiben.  Und  die  halbe  Anonymität  — 
das  ist  wieder  die  halbe  Wohltätigkeit.  Da  sehen  Sie, 
Otto  Ni.  aus  Leitmeritz  und  Robert  Bi.  aus  Theresien- 
stadt  gratulieren  Rusi  Ni.  in  Wien  zum  freudigen 
Familienereignis:  »Gut  is  'gangen,  nix  is  g'scheh'n!«  — 

2  K.7  h,  rechnet  man  aber  hiezu  den  früheren  Ausweis, 
so  kommt  bloß  576.209  K  52  h  heraus.  Da  stehe 
ich  ganz  anders  da,  ganz  abgesehen  davon,  daß  ich 
ja  allein  war  und  keineswegs  erst  den  Anlaß  einer 
glücklichen  Entbindung  gebraucht  habe,  um  — 

Doktor  Kunze:  Ich  beneide  Sie.  Ich  habe 
mehr   getan,    aber   im    Ganzen    wars    doch    nichts. 


224 


Wie  Sie  mich  da  sehn,  bin  ich  nämlich  niemand 
anderer  als  der  Mann,  der  in  einer  Jagdgesellschaft 
die  Anregung  gegeben  hat,  daß  jeder  Teilnehmer 
für  den  Kviegsfürsorgezweck  das  Scherflein  von  2  K 
beitragen  möge.  Ich  selbst  habe  natürlich  den 
Anfang  gemacht  und  meinem  Beispiele  haben  sich 
denn  auch  alsobald  die  andern  angeschlossen,  so 
daß  ich  in  der  Lage  war,  es  zu  veröffentlichen. 
Ich  hatte  lange  geschwankt,  ob  ich  mit  meinem 
Namen  verborgen  bleiben  solle,  aber  da  ich,  wo  es 
sich  darum  handelt,  beispielgebend  zu  wirken,  ein 
abgesagter  Feind  jeglicher  Anonymität  bin,  so 
entschloß  ich  mich,  hervorzutreten.  Ich  huldige  denn 
da  doch  wesentlich  anderen  Anschauungen  als  Sie. 
Im  Ganzen  waren  es  also  26  K,  denn  wir  waren 
unser  dreizehn.  Das  ist  immerhin  ein  stattliches 
Sümmchen,  aber  freilich  verglichen  mit  dem 
Resultat  —  (sie  gehen  im  Gespräch  ab.) 

Der  Patriot:  In  London  haben  sie  etwas 
eine  Spielerei,  einen  Schützengraben.  Sehr  gut  hab 
ich  da  neulich  in  der  Presse  gelesen  »Der  Prinz 
von  Wales  im  Schützengraben«.  Natürlich  dort  treibt 
er  sich  herum,  draußen  war  er  noch  nicht! 

Der  Abonnent:  Sie  tändeln  mit  dem  Krieg. 

(Verwandlung.) 


9.  Szene 

Semmering.  Terrasse  des  Südbahnhotels.  Alpenglühen.  Jung  und 
All,  Groß  und  Klein  ist  versammelt.  Man  bemerkt  Schakale  und 
Hyänen.  Eine  Dame  hat  soeben  mit  tiefer  Empfindung  Heine 
rezitiert  und  erntet  reichen  Beifall.  Die  Getreuen  des  Semmering 
sind  in  stiller  Betrachtung  versunken. 

Jung:  Weiß  ist  der  größte  Tourist.  Er  geht 
im  Schritt,  er  geht  im  Trab  oder,  wenn  keine  Zeit 
is,  geht  er  auch  im  Galopp.  Er  hat  den  Tarockzug 
noch  nie  versäumt. 


225 


Alt:  Ein  erstklassiges  Alpenglühn.  Schauts 
euch  den  Generaldirektor  an  am  Fenster,  sein 
Gesicht  glänzt. 

Dangl  (kommt  atemlos):  Meine  verehrten  Gäste, 
soeben  is  aus  Wien  telephoniert  worn,  Durazzo  is 
gfalln  —  große  Erfolge  bei  Verdun! 

Alle:  Hoch  Dangl! 

Groß:  Ich  hab  stark  den  Eindruck,  der  Himmel 
is  illuminiert  wegen  Durazzo. 

Klein:  Heute  kann  man  es  genießen!  Heut 
sind  sie  alle  versammelt  die  unbedingten  Verehrer 
des  Semmering  und  die  Getreuen. 

Stimmengewirr:  Wo  is  Weiß?  —  Bittich 
schrei  nicht,  Stukart  hört  —  Habts  ihr  gehört  von 
Durazzo,  Kleinigkeit  —  Das  Panorama  war  fabelhaft  — 
Begierig  bin  ich,  ob  er  heut  zurecht  kommt  —  Nutzt 
nix,  Heine  ist  und  bleibt  der  gresste  deutsche  Dichter 
und  wenn  sie  zerspringen  —  Ich  hab  den  Sektions- 
chef gegrüßt,  er  hat  auch  gegrüßt  —  Sie  wem 
sehn,  er  wird  in  den  Atinalen  fortleben  —  Am 
Sonnwendstein  will  er  herauf  hat  er  gesagt  —  Nicht 
wern  sie  Verdun  bekommen!  —  Sind  Sie  eigentlich 
ein  starker  Esser?  Ich  bin  nämlich  ein  starker  Esser  — 
Das  Panorama  war  fabelhaft  —  Ich  sag  dir,  im 
Schritt,  er  hat  Zeit  —  Die  Verluste  müssen  gesalzen 
seini  —  Der  muß  auch  hübsch  verdienen  —  Wie  sie 
das  deklamiert  hat,  war  ich  effektiv  begeistert  — 
Wetten,  er  kommt  heut  im  Trab  —  Der  Doktor  hat 
gesagt,  unten  steht  es  glänzend  —  Ich  hätt  noch 
drei  Waggon  —  Wie  er  sich  getauft  hat,  hat  sie 
sich  geschieden  —  Heut  versäumt  er  aber  ja,  sag 
ich  euch  —  Wenn  ihr  euch  kugeln  wollts,  müßts 
ihr  in  die  Josefstadt  —  Was  heißt  Truppentransporte? 
Der  Tarockzug  geht  immer!  —  Das  Panorama  war 
fabelhaft  —  Dorten  kommt  er  gelaufen,  was  hab 
ich  gesagt.  Weiß  im  Galopp!  (Die  Gesellschaft  verzieht  sich.) 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  15 


226 


Ein  Getreuer  des  Semmering  (im  Abgehn): 
Laßts  ihn  schlafen,  er  macht  sich  Sorgen  wegen  der 
Metallablieferung. 

Der  Generaldirektor  (schlafend,  mit  der  Geste 
einer  jähen    Eingebung):  Vergroben!  (Er  erwacht.) 

(Verwandlung.) 


10.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Das  kann  ich  wirklich  mit 
ruhigem  Gewissen  behaupten,  ich  habe  seit  der 
Kriegserklärung  noch  keinen  jungen  Menschen  in 
Wien  getroffen,  der  noch  da  war  und  wenn  er  noch 
da  war,  der  nicht  vor  Ungeduld  gefiebert  hätte, 
nicht  mehr  da  zu  sein. 

Der  Nörgler:  Ich  komme  so  wenig  unter 
Leute.  Aber  ich  habe  ein  Gesellschaftstelephon. 
Da  habe  ich  schon  im  Frieden  mühelos  und 
ohne  erst  auf  die  schwarze  Scheibe  hauen  zu 
müssen,  sämtliche  Gespräche  des  Bezirks,  über  eine 
geplante  Poker-Partie,  über  ein  vorgehabtes  Geschäft 
und  über  einen  angestrebten  Koitus  hören  können. 
Meine  einzigen  Verbindungen  mit  der  Außenwelt 
sind  die  falschen.  Seitdem  der  Weltkrieg  ausge- 
brochen ist  und  das  vaterländische  Telephon  dadurch 
keineswegs  verbessert  wurde,  drehen  sich  die  Ge- 
spräche um  ein  weiteres  Problem  und  ich  kann 
tagtäglich,  so  oft  ich  ans  Telephon  gerufen  werde, 
um  andere  Leute  miteinander  sprechen  zu  hören, 
also  mindestens  zehnmal  täglich  Gespräche  hören  wie 
die:  »Der  Gustl  is  hinaufgegangen  und  hat  sichs 
gerichtet.«  »Wie  gehts  denn  dem  Rudi?«  »Der  Rudi 
is  auch  hinaufgegangen  und  hat  sichs  auch  gerichtet.« 
»Und  der  Pepi?  Is  der  am  End  schon  im  Feld?« 
»Der  Pepi  hat  einen  Hexenschuß.  Aber  sobald  er 
aufstehn  kann,  wird  er  hinaufgehn  und  sichs  richten.« 


227 


Der  Optimist:  Seien  Sie  vorsichtig. 

Der  Nörgler:  Warum?  Icii  \yürde  es  beweisen 
können.  Es  gibt  nocli  Richter  in  Österreich. 

Der  Oplimist:  Von  Ihrem  Standpunkt  müßten 
Sie  ja  die  Befreiung  jedes  einzelnen  begrüßen. 

Der  Nörgler:  Jawohl,  jedes  einzehien.  Ich 
stehe  auf  meinem  Standpunkt.  Aber  das  Vaterland 
steht  nicht  auf  meinem  Standpunkt,  und  jene,  die 
ausgenommen  sein  wollen,  bekennen  sich  zum 
Standpunkt  des  Vaterlands  und  nicht  zu  dem  meinigen. 
Wenn  ich  den  Zwang  zum  Tode  für  eine  Schmach 
halte,  so  halte  ich  die  Protektion  vor  dem  Tode  für 
einen  Zustand,  der  die  Schmach  bis  zu  dem  Gefühl 
verschärft,  daß  man  hierzulande  nur  als  Selbstmörder 
weiterleben  kann.  Es  ist  das  letzte  Freiwilligenrecht 
gegenüber  der  allgemeinen  V/ehrpflicht. 

Der  Optimist:  Aber  Ausnahmen  muß  es 
schließlich  geben.  Zum  Beispiel  die  Literatur.  Das 
Vaterland  braucht  nicht  nur  Soldaten  — 

Der  Nörgler:  —  sondern  auch  Lyriker,  die 
ihnen  den  Mut  machen,  den  sie  selbst  nicht  haben. 

Der  Optimist:  Die  Dichter  sind  aber  mit  dem 
höheren  Zweck  entschieden  gewachsen.  Sie  können 
unmöglich  leugnen,  daß  der  Krieg  auch  sie  gestählt  hat. 

DerNörgler:  Den  meisten  hat  er  die  Gewinn- 
sucht mobilisiert,  den  paar  charaktervollen  nur  die 
Dummheit. 

DerOptimist:  Ein  Mann  wie  Richard  Dehmel, 
der  selbst  eingerückt  ist,  hat  ein  Beispiel  gegeben  — 

Der  Nörgler:  — das  er  durch  seine  Kriegs- 
lyrik entwertet  hat.  Er  nannte  das  Geräusch  der 
Maschinengewehre  Sphärenmusik  und  stellte  jene 
Kreatur,  die  der  allgemeinen  Wehrpflicht  noch  wehr- 
loser gegenübersteht  als  der  Mensch,  unter  den 
Begriff  des  Vaterlandes,  für  dessen  unheilige  Sache 
er  die  »deutschen  Pferde«  reklamiert  hat. 

Der  Optimist:  Ja,  in  solchen  Zeiten  sind 
eben  alle  Dichter  fortgerissen  — 


15* 


228 


Der  Nörgler:  —  der  Tat  jener,  die  die 
Schöpfung  schänden,  das  Wort  zu  leihen. 

Der  Optimist:  Blicken  Sie  auf  Kernstock  — 

Der  Nörgler:  Nicht  gern. 

Der  Optimist:  Ein  Dichter  christlicher  Müde, 
in  seinem  Beruf  sogar  ein  Geistlicher. 

Der  Nörgler:  Ja,  das  gebe  ich  zu,  der  ist 
außerordentlich  gestählt  worden.  Ich  denke  vor  allem 
an  die  Verse,  in  denen  er  seine  Steirerbuam  auf- 
fordert, aus  Welschlandfrüchtchen  blutroten  Wein 
zu  pressen. 

Der  Optimist:  Oder  denken  Sie  an  den 
Bruder  Willram  — 

Der  Nörgler:  Leider  läßt  mich  mein  Gedächtnis 
nicht  im  Stich.  Das  ist  doch  der  christliche  Dichter, 
dem  Blut  ein  rotes  Blühn  ist  und  der  von  einem  Blut- 
frühling träumt.  Sie  spielen  vielleicht  auf  die  Weisung 
dieses  Seelsorgers  an,  die  da  lautet:  Im  Kampf  mit 
Drachen  und  Molchen  die  stinkende  Brut  erdolchen? 
Oder:  Die  Feinde  dreschen  nach  Herzenslust  und 
jedem  das  schrille  Blei  in  die  Brust? 

Der  Optimist:  Nein,  ich  meine  seinen  Ausruf: 
Zum  Freiwild  ist  geworden  der  feige  welsche  Wicht. 
Oder  die  Verse,  in  denen  sein  Schlachtroß  laut 
wiehert  und  schnaubt  voll  edlen  Muts  und  trägt  ihn 
in  der  Feinde  Troß  durch  Bäche  roten  Bluts. 

Der  Nörgler:  Aber  die  Kavallerie  ist  doch 
schon  abgesessen  und  selbst  der  Einspainer  von 
der  Innsbrucker  Weinstube  nachhaus  ist  heute 
unerschwinglich. 

Der  Optimist:  Unterschätzen  Sie  nicht  die 
Kraft  dichterischer  Illusion,  zumal  in  dem  Gedicht, 
worin  er  den  Herrgott  bittet,  die  Feinde  so  zu  segnen, 
daß  selbst  dem  Teufel  graust,  wenn  wir  uns  baden 
im  Blute. 

Der  Nörgler:  Und  was  tut  der  Teufel?  Ihm 
grausts  umsomehr,  je  weniger  es  dem  Priester  graust. 


229 


Der  Optimist:  Oder  blicken  wir  auf  Dörmann. 

Der  Nörgler:  Der  ist  doch  kein  Priester. 

Der  Optimist:  Aber  ein  Dichter!  Wie  standen 
wir  seinerzeit  im  Bann  seiner  Worte:  »Ich  liebe  die 
hektischen  schlanken — «1  Jetzt,  um  fünfundzwanzig 
Jahre  älter  geworden,  hat  er  sich  aus  einer  anämischen 
Geschmacksrichtung,  die  wir  goltseidank  alle  über- 
wunden haben,  zu  einer  blutlebendigeren  Auffassung — 

Der  Nörglar:  Sie  vergessen,  daß  schon  die 
hektischen  schlanken  Narzissen  einen  blutroten  Mund 
hatten. 

Der  Optimist:  Trotzdem.  Was  ist  das  im 
Vergleich  zu  den  Versen,  mit  denen  er  jetzt  alle 
fortreißt:  »Die  Russen  und  die  Serben,  die  hauen 
wir  zu  Scherben!«  Wie  hat  der  sich  aufgerafft,  zu 
welcher  Entschlossenheit  und  Kraftfülle  ist  dieser 
einst  dekadente  Lyriker  emporgediehen.  Wie  groß 
muß  die  Wirkung  dieser  Gegenwart  sein,  daß  sie  einen 
amourösen  Liebling  der  Grazien  so  verwandeln,  zu 
solcher  Unerbittlichkeit  des  Fühlens,  zu  solcher 
Tatkraft  des  Vollbringens  befähigen  konnte. 

Der  Nörgler:  Es  ist  über  ihn  gekommen. 

Der  Optimist:  Und  Sie  werden  auch  den 
Vorteil,  den  die  Einstellung  der  literarischen 
Produktion  auf  die  Bedürfnisse  des  Vaterlands 
sowohl  für  dieses  wie  last  not  least  für  den 
Betreffenden  selbst  hat,  nicht  leugnen  können. 
Dazu  kommt,  daß  in  einer  Zeit,  in  der  jeder 
seine  Pflicht  gegen  das  Vaterland  erfüllt,  auch  das 
Vaterland  Gelegenheit  hat,  sich  der  Pflicht  gegen 
seine  besten  Söhne  zu  erinnern.  Ich  denke  da  vor 
allem  an  einen  Mann  wie  Lehar.  Es  hat  sich  einfach 
von  selbst  verstanden,  daß  der  Schöpfer  des  Nechledil- 
Marsches  von  jeder  Kriegsdienstleistung  befreit  blieb. 

Der  Nörgler:  Beethoven  hätte  wegen  Schwer- 
hörigkeit einen  G-Befund  gekriegt  und  infolgedessen 
bloß    bei    Mullatschaks    in    Offiziersmessen   Klavier 


230 


spielen  müssen.  Welche  Vertreter  der  Malerei  und 
der  Literatur  würden  Ihnen  ähnlich  berücksichtigens- 
wert  erscheinen? 

Der  Optimist:  Ich  denke  an  Schönpflug, 
den  Zeichner  so  vieler  lustiger  Militärtypen,  und  an 
Hans  Müller,  dessen  sonnige  Feuilletons  eine  wahre 
Herzstärkung  sind  und  so  viel  zum  Durchhalten 
beigetragen  haben. 

Der  Nörgler:  Auch  mich  sollte  es  baß  ver- 
wundern, wenn  ein  Dichter,  den  Wilhelm  II.  in  der 
Wiener  Hofburg  empfangen  hat,  die  daraufhin  noch 
nicht  geschlossen  wurde,  nicht  eines  Tags  von  dem 
aufreibenden  Dienst  im  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  befreit 
würde. 

Der  Optimist:  Da  haben  Sie  ganz  recht. 
Solche  Männer  erbringen  ja  durch  ihr  eigenes 
Schaffen  die  erfreulichsten  Beweise  für  ihre  Unent- 
behrlichkeit.  Aber  daneben  muß  es  auch  Kriegs- 
schilderer  und  Kriegsberichterstatter  geben;  sie  sind 
vom  Frontdienst  befreit,  um  — 

Der  Nörgler:  —  den  andern  darauf  Gusto 
zu  machen. 

Der  Optimist:  Sie  bewähren  sich  in  ihrer  Art 
so  gut  wie  die  Militärärzte,  die  — 

Der  Nörgler:  —  umso  untauglicher  sind,  je 
mehr  Leute  sie  für  tauglich  erklären,  und  umso 
sicherer  ihr  Leben  behalten  — 

Der  Optimist:  —  je  mehr  Verwundeten  sie 
es  wiedergeben  — 

Der  Nörgler:  —  damit  diese  es  verlieren 
können.  Während  wieder  die  Auditoren  es  umso 
sicherer  behalten,  je  mehr  Gesunden  sie  es  nehmen. 

Der  Optimist:  Man  darf  nicht  generalisieren. 

Der  Nörgler:  Man  darf  alles,  nur  nicht  das. 

Der  Optimist:  Das  Vaterland  braucht  Soldaten, 
aber  auch  Kriegsberichterstatter.  Es  ist  doch  Krieg, 
und  so  müssen  sie  es  uns  sagen. 


231 


Der  Nörgler: 

Wie?  Es  ist  Krieg:?   Wir  wissen  es  von  solciien, 
die  noch  ihr  dreckiges  Ich  haben,  das  erzählt, 
in  welcher  Stimmung  sie  den  Krieg  besichtigt? 
Ein  Schlachtroß  fand'  es  unter  seiner  Würde 
mit  seinem  linken  Hinterhuf  die  Krummnas' 
von  sich  zu  stoßen  und  die  oben  sitzen, 
empfangen  sie,  und  stehn  ihr  Red'  und  Antwort, 
verköstigen  an  ihrem  eigenen  Tisch 
den  Auswurf?  Wie,  war  das  Ereignis  denn 
nicht  stark  genug,  den  innern  Feind  zu  schlagen? 
Er  dringt  zur  Front,  macht  sich  ums  Blatt  verdient? 
Stellt  uns  den  Krieg  vor,  stellt  sich  vor  den  Krieg? 
Er  wird  nicht  untergehn?  Er  lebt?  Er  dient  nicht? 
Nicht  exerzieren  müssen  die  Gemeinen? 
Ist  es  ein  Krieg?  Ich  denk',  es  ist  der  Friede. 
Die  Bessern  gehen  und  die  Schlechtem  bleiben. 
Nicht  sterben  müssen  sie.  Sie  können  schreiben. 

(Ein  Zug  von  Rekruten,  die  graue  Barte  haben,  geht  vorbei.) 

Der  Optimist:  Sehn  Sie,  die  rücken  ein. 

Der  Nörgler:  Und  dennoch  sind  sie  nicht 
Einrückende. 

Der  Optimist:  Sondern? 

Der  Nörgler:  Einrückend  gemachte,  wie  sie 
mit  Recht  heißen.  Das  Partizipium  der  Gegenwart 
allein  würde  noch  eine  Willenstätigkeit  bekunden  und 
darum  muß  schon  ein  Partizip  der  Vergangenheit 
dabei  sein.  Es  sind  also  einrückend  Gemachte.  Bald 
werden  sie  einrückend  gemacht  sein. 

Der  Optimist:  Nun  ja,  sie  müssen  in  den 
Krieg  ziehen. 

Der  Nörgler:  Ganz  richtig,  sie  müssen,  die 
allgemeine  Wehrpflicht  hat  aus  der  Menschheit  ein 
Passivum  gemacht.  Einst  zog  man  in  den  Krieg, 
jetzt  wird  man  in  den  Krieg  gezogen.  Nur  in  Deutsch- 
land ist  man  schon  darüber  hinaus. 

Der  Optimist:  Wie  das? 


232 


Der  Nörgler:  In  Karlsruhe  habe  ich  ein 
großes  Plakat  gelesen:  Macht  Soldaten  frei!  Und 
sogar  am  Tor  des  Oberkommandos. 

Der  Optimist:  Wie  ist  das  möglich,  das  ist  doch 
Revolution,wie  kann  das  Oberkommando  in  Karlsruhe  — 
Der  Nörgler:  Ja,  es  werden  nämlich  Schreiber 
für  die  Kanzlei  gesucht  und  es  wird  gewünscht,  daß 
sich  Zivilisten  melden,  damit  Soldaten,  die  noch  in 
der  Kanzlei  arbeiten,  für  die  Front  frei  werden. 
Also:  »Macht  Soldaten  frei!«  Bei  uns  würde  man 
auch  da  sagen:  »Macht  Soldaten  einrückend«,  worin 
ja  hinreichend  Willensfreiheit  wäre.  Ich  glaube  aber, 
daß  das  deutsche  Plakat  seine  Wirkung  unter  allen 
Umständen  erreicht.  Denn  wenn  es  seine  Wirkung  auch 
nicht  erreicht,  so  weiß  die  deutsche  Militärverwaltung 
doch  dafür  zu  sorgen,  daß  die  vakanten  Schreiber- 
postenbesetzt  werden.  Ein  Mangel  anBewerbern  könnte 
nur  eintreten,  wenn  bereits  alle  Soldaten,  die  dafür 
in  Betracht  kommen,  freie  Soldaten  geworden  sind. 
Der  Optimist:  Ihre  Nörgelei  macht  nicht 
einmal  vor  einer  Verlautbarung  des  Oberkommandos 
in  Karlsruhe  Halt. 

Der  Nörgler:  Ich  habe  übrigens  noch  eine 
andere  draußen  gesehn.  In  einem  Polizeiamt  hängt 
ein  Plakat,  dessen  Text  mir  ins  Ohr  gegangen  ist. 
Er  lautet: 

Haut  die  Schufte,  haut  die  Bande, 
Werft  sie  bis  zu  Aetnas  Rande, 
Füllt  sie  in  Vesuvens  Rachen! 
Haut  sie,  daß  die  Schwarten  krachen! 
Haut  sie,  daß  sie  nur  so  glotzen, 
Haut  sie,  bis  sie  Lumpen  kotzen! 
Streicht  Pardon  aus  eueren  Herzen, 
Um  das  Trugvolk  auszumerzen! 
Füllt  mit  Dynamit  die  Täler, 
Rottet  aus  die  Heuchler,  Hehler, 
Jedem  schlagt  den  Schädel  ein 
Und  seid  stolz,  »Barbar«  zu  sein! 


233 


Der  Optimist:  So  etwas  wäre  auch  bei  den 
anderen  Nationen  möglicli. 

Der  Nörgler:  Man  darf  nicht  generalisieren. 
Aber  Sie  könnten  recht  haben.  Es  wäre  sogar  bei 
den  Engländern  möglich,  wenn  sie  noch  ein  paar 
Jahre  allgemeine  Wehrpflicht  haben.  Daß  die  Täler 
dazu  da  sind,  um  mit  Dynamit  gefüllt  zu  werden, 
wird  allmählich  allen  Völkern  einleuchten.  Nur  die 
eine  Zeile:  Haut  sie,  bis  sie  Lumpen  kotzen  —  die, 
sehn  Sie,  hat  Landesfarbe, 

Der  Optimist:  Eine  Roheit,  was  weiter. 
Man  darf  nicht  generalisieren. 

Der  Nörgler:  Gewiß  nicht,  es  wäre  bei  den 
weißen  wie  bei  den  farbigen  Engländern  unmöglich. 

Der  Optimist:  Es  ist  auch  in  Deutschland 
ein  Einzelfall. 

Der  Nörgler:  Der  aber  nur  in  Deutschland 
möglich  ist.  Und  der  Kerl,  der  es  verfaßt  hat,  sitzt 
in  einem  Bureau  und  erschrickt,  wenn  ein  Papiersack 
explodiert. 

Der  Optimist:  Nun,  eben  — 

Der  Nörgler:  Und  derselbe  Kerl  ist,  wenn  er 
hinauskommt,  ein  passionierter  Mörder,  dreht  einem 
Sterbenden  das  Messer  im  Leib  um,  würde  es  stolz 
erzählen,  wenn  er  daheim  ist,  und  wieder  erschrecken, 
wenn  ein  Papiersack  explodiert. 

Der  Optimist:  Ich  verstehe  Sie  nicht. 
Es  gibt  gute  und  böse  Menschen  im  Krieg. 
Sie  sagen  doch  selbst,  daß  er  nur  die  Kontraste 
vergrößert  hat. 

Der  Nörgler:  Gewiß,  auch  den  zwischen  mir 
und  Ihnen.  Sie  waren  schon  im  Frieden  ein 
Optimist  und  jetzt  — 

Der  Optimist:  Sie  waren  schon  im  Frieden 
ein  Nörgler  und  jetzt  — 

Der  Nörgler:  Jetzt  geb'  ich  sogar  der  Phrase 
die  Blutschuld. 


234 


Der  Optimist:  Ja,  warum  sollte  der  Krieg 
Sie  von  Ihrer  fixen  Idee  befreit  haben? 

Der  Nörgler:  Ganz  richtig,  er  hat  mich  sogar 
darin  bestärkt.  Ich  bin  mit  dem  höheren  Zweck 
kleinlicher  geworden.  Ich  sehe  einrückend  Gemachte 
und  spüre,  daß  es  gegen  die  Sprache  geht.  An 
Drahtverhauen  hängen  die  blutigen  Reste  der  Natur. 

Der  Optimist:  Wirklich  also,  mit  Grammatik 
wollen  Sie  den  Krieg  führen? 

Der  Nörgler:  Das  ist  ein  Irrtum,  mich 
interessiert  kein  Reglement,  nur  der  lebendige 
Sinn  des  Ganzen.  Im  Krieg  gehts  um  Leben  und 
Tod  der  Sprache.  Wissen  Sie,  was  geschehen  ist? 
Schilder  und  Schilde  sind  nicht  mehr  zu  unter- 
scheiden und  alle,  die  nur  ein  Schild  und  einen 
Verdienst  gehabt  haben,  werden  dereinst  ein 
Verdienst  und  einen  Schild  haben.  So  mischen 
sich  die  Sphären  und  die  neue  Welt  ist  blutiger 
als  die  alte,  weil  sie  den  furchtbaren  neuen  Sinn 
furchtbarer  macht  durch  die  alten  Formen,  denen 
sie  geistig  nicht  entwachsen  konnte.  Fibel  und 
Flammenwerfer!  Panier  und  Papier!  Weil  wir  zum 
Schwert  greifen,  mußten  wir  zur  Gasbombe  greifen. 
Und  wir  führen  diesen  Kampf  bis  aufs  Messer. 

Der  Optimist:  Das  ist  mir  zu  hoch.  Bleiben 
wir  hübsch  in  der  Wirklichkeit.  Es  handelt  sich  in 
diesem  — 

Der  Nörgler:  Jawohl,  es  handelt  sich  in 
diesem  — ! 

Der  Optimist:  Wenn  die  Kämpfer  nicht 
ein  Ideal  vor  sich  hätten,  würden  sie  nicht  in  den 
Krieg  ziehen.  Auf  Worte  kommt  es  nicht  an.  Weil 
die  Völker  Ideale  vor  Augen  haben,  tragen  sie  ihre 
Haut  — 

Der  Nörgler:  Zu  Markte! 

Der  Optimist:  Nun  gerade  in  der  Sprache 
unserer   Armeekommanden   müßten   Sie   einen   Zug 


435 


erkennen,  der  sich  von  der  trivialen  Prosa  der  von 
Ihnen  verachteten  Geschäftswelt  kräftig  abhebt. 

Der  Nörgler:  Gewiß,  insoferne  diese  Sprache 
bloß  eine  Beziehung  zum  Varielegeschäft  verrät.  So 
habe  ich  in  einem  Divisionskommandobefehl  gelesen: 
.  .  .  die,  was  Heldenmut,  todesverachtende  Tapfer- 
keit und  Selbstaufopferung  anbetrifft,  das  höchste 
geleistet  haben,  was  erstklassige  Truppen 
überhaupt  zu  leisten  imstande  sind  .  .  .  Sicherlich 
hat  dem  Divisionär  eine  jener  erstklassigen  Truppen 
vorgeschwebt,  an  denen  er  sich  im  Frieden  oft  zu 
ergötzen  pflegte.  Das  reine  Geschäft  kommt  mehr 
in  der  fortwährenden  Verwechslung  von  Schilden 
und  Schildern  zur  Geltung. 

Der  Optimist:  Meinen  Sie  das  wörtlich? 

Der  Nörgler:  Sachlich  und  wörtlich,  also 
wörtlich. 

Der  Optimist:  Ja  es  ist  ein  Kreuz  mit  der 
Sprache. 

Der  Nörgler:  Das  man  auf  der  Bru'=;t  trägt. 
Ich  trag's  auf  dem  Rücken. 

Der  Optimist:  Ob  Sie  das  nicht  überschätzen? 

Der  Nörgler:  Zum  Beispiel  so:  Ein  Volk, 
sage  ich,  ist  dann  fertig,  wenn  es  seine  Phrasen 
noch  in  einem  Lebensstand  mitschleppt,  wo  es  deren 
Inhalt  wieder  erlebt.  Das  ist  dann  der  Beweis  dafür, 
daß  es  diesen  Inhalt  nicht  mehr  erlebt. 

Der  Optimist:  Wie  das? 

Der  Nörgler:  Ein  U-Boot-Kommandant  hält 
die  Fahne  hoch,  ein  Fliegerangriff  ist  zu  Wasser 
geworden.  Leerer  wird's  noch,  wenn  die  Metapher 
stofflich  zuständig  ist.  Wenn  statt  einer  Truppen- 
operation zu  Lande  einmal  eine  maritime  Unter- 
nehmung Schiffbruch  leidet.  Wenn  der  Erfolg  in 
unsern  jetzigen  Stellungen  bombensicher  war  und 
die    Beschießung   eines    Platzes   ein   Bombenerfolg. 


236 


Der  Optimist:  Ja,  diese  Redensarten  ent- 
stammen samt  und  sonders  der  kriegerischen  Sphäre 
und  jetzt  leben  wir  eben  in  ihr. 

Der  Nörgler:  Wir  tun  es  nicht.  Sonst  wäre 
der  Schorf  der  Sprache  von  selbst  abgefallen.  Neulich 
las  ich,  daß  sich  die  Nachricht  von  einem  Brand  in 
Hietzing  wie  ein  Lauffeuer  verbreitet  habe.  So  auch 
die  Nachricht  vom  Weltbrand. 

Der  Optimist:  Brennts  darum  nicht? 

Der  Nörgler:  Doch.  Papier  brennt  und  hat 
die  Welt  entzündet.  Zeitungsblätter  haben  zum  Unter- 
zünden des  Weltbrands  gedient.  Erlebt  ist  nur,  daß 
die  letzte  Stunde  geschlagen  hat.  Denn  Kirchen- 
glocken werden  in  Kanonen  verwandelt. 

Der  Optimist:  Die  Kirchen  selbst  scheinen 
das  nicht  so  tragisch  zu  nehmen,  denn  sie  stellen  die 
Glocken  vielfach  auch  freiwillig  zur  Verfügung. 

Der  Nörgler:  Krieg  sei  ihr  letzt  Geläute.  Die 
Verwandtschaft  von  Requiem  und  Mörser  steUt  sich 
allmählich  doch  heraus. 

Der  Optimist:  In  jedem  Staat  fleht  die  Kirche 
Gottes  Segen  für  ihre  eigenen  Waffen  herab  — 

Der  Nörgler:  —  und  trachtet  diese  noch  zu  ver- 
mehren. Wohl,  es  kann  von  ihr  nicht  verlangt  werden, 
daß  sie  Gottes  Segen  für  die  feindlichen  Waffen 
herabfleht,  aber  zu  einem  Fluch  für  die  eigenen 
hätte  sie  sich  immerhin  aufraffen  können.  Da  hätten 
sich  dann  die  Kirchen  der  kämpfenden  Staaten 
besser  verstanden.  Jetzt  ist  es  möglich,  daß  der  Papst 
den  Krieg  zwar  verwünscht,  aber  von  »berechtigten 
nationalen  Aspirationen«  spricht  und  daß  an  dem- 
selben Tag  der  Fürsterzbischof  von  Wien  den 
Krieg  segnet,  der  zur  Abwehr  »ruchloser  nationaler 
Aspirationen«  geführt  wird.  Ja,  wären  die  Inspirationen 
stärker  gewesen  als  die  Aspirationen,  so  gäb's  diese 
nicht  und  keinen  Krieg. 

Der  Optimist:  Die  schwarze  Internationale 
iiat  eben  noch  mehr  versagt  als  die  rote. 


237 


Der  Nörgler:  Bewährt  hat  sich  nur  jene, 
die  es  schwarz  auf  rot  gegeben  hat,  die  Presse  — . 

Der  Optimist:  —  Es  ist  erfreulich,  daß  Sie 
deren  Macht  anerkennen  — 

Der  Nörgler:  —  wiewohl  ich  ihren  Einfluß 
überschätze.  Was  ist  Benedikt  gegen  — 

Der  Optimist:  Was  haben  Sie  gegen  — 

Der  Nörgler:  Ich  meine  doch  den  Papst. 
Was  vermag  eine  Predigt  für  den  Frieden  gegen 
einen  Leitartikel  für  den  Krieg.  Und  da  es  nur 
Predigten  für  den  Krieg  gibt  — 

Der  Optimist:  Das  will  ich  zugeben,  in 
Bethlehem  war  das  Heil  der  Welt  anders  beschlossen. 

Der  Nörgler:  Bethlehem  in  Amerika  korrigiert 
den  Mißgriff,  der  vor  neunzehn  Jahrhunderten 
begangen  wurde. 

Der  Optimist:  InAmerika?  WiemcinenSiedas? 

Der  Nörgler:  Bethlehem  heißt  die  größte 
Kanonengießerei  der  Vereinigten  Staaten.  Bei  uns 
stellt  jede  Kirche  ihr  Bethlehem  bei,  ihr  Bethlehem- 
Scherflein. 

Der  Optimist:  Ein  Namcnszufall. 

Der  Nörgler:  Sie  sind  ungläubig.  Da  wissen 
Sie  wohl  auch  nicht,  was  ein  Paternoster  ist? 

Der  Optimist:  Ein  Gebet! 

Der  Nörgler:   Ein  Lift!  Sie  Optimist! 

Der  Optimist:  Ach  so,  natürlich.  Aber  das 
mit  Bethlehem  — ?  So  heißt  also  der  Ort,  von  wo 
Deutschlands  Feinde  mit  Waffen  versorgt  werden! 

Der  Nörgler:  Von  Deutschen. 

Der  Optimist:  Sie  scherzen.  An  der  Spitze 
des  Stahltrusts  steht  Carnegie. 

Der  Nörgler:  Steht  Schwab. 

Der  Optimist:  So,  also  Deutschamerikaner 
versorgen  jetzt  die  Feinde  — ? 

Der  Nörgler:  Reichsdeutsche! 

Der  Optimist:  Wer  sagt  das! 


238 


Der  Nörgler:  Wers  weiß.  Das  Wall  Street- 
Journai,  das  in  finanzieilen  Dingen  mindestens  so 
maßgebend  sein  soll  wie  unsere  Börsenpresse,  hat 
festgestellt,  daß  zwanzig  Prozent  der  Aktien  des 
Stahltrusts  sich  in  deutschen  Händen  befinden,  aber 
nicht  in  deutschamerikanischen,  sondern  in  reichs- 
deutschen.  Mehr  als  das.  Da  lesen  Sie,  was  in  einem 
deutschen  Sozialistenblatt  steht.  »Während  man  von 
mehreren  waschecht  anglo-amerikanischen  Fabrikanten 
erfahren  hat,  die  Bestellungen  der  französischen  und 
englischen  Regierung  abgewiesen  haben,  hat  der  in  Mil- 
waukee  erscheinende  sozialistische  ,Leader'  die  Namen 
mehrerer  Deutschamerikaner  genannt,  die  öffentlich 
laut  und  eifrig  für  die  Sache  Deutschlands  eintreten  — 

(Eine  Gruppe  junger  Burschen  mit  Lampions  zieht  vorbei,  die 
das  Lied  singen:  Lieb  Vaterland,  magst  ruhig  sein.) 

—  während  die  von  ihnen  geleiteten  Fabriken  Patronen, 
Flinten  und  anderes  Kriegsmaterial  für  England  und 
Frankreich  herstellen.  Ja  es  kommt  noch  schlimmer; 
es  gibt  in  den  Vereinigten  Staaten  Filialen  reichs- 
deutscher  Firmen,  die  sich  an  diesem  Geschäft 
beteiligen!  Hat  man  da  noch  das  Recht,  gegen  die 
merkwürdige  Neutralität  Amerikas  zu  protestieren, 
das  schließlich  keine  Veranlassung  hat,  um  unserer 
schönen  Augen  willen  auf  diese  gewaltigen  Profite 
zu  verzichten?« 

Der  Optimist:  Unglaublich  —  aber  schöne 
Augen,  das  müssen  Sie  zugeben,  haben  die  Deutschen. 

Der  Nörgler:  Schön  und  treu  und  das  Herz, 
wo  immer  es  sein  mag,  stets  ist  es  auf  dem  rechten 
Fleck.  Wissen  Sie,  daß  die  italienischen  Karten  von 
Österreich,  in  denen  die  irredentistischen  Verheißungen 
erfüllt  sind  und  die  jetzt  hier  in  den  Buchhandlungen 
zum  Beweis  der  feindlichen  Unverschämtheit  aus- 
gehängt werden,  in  Deutschland  hergestellt  worden 
sind?  Und  daß  die  französischen  Postkarten,  auf 
denen  die  Entstehung  der  Marseillaise  illustriert  ist, 


239 


in  Dresden  gedruckt  sind?  Ich  habe  eine  Filmanzeige 
gesehen,  mit  dem  packenden  Titel:  Deutsche  Treue  — 
welsche  Tücke! 

DerOptimist:  Nun,  das  ist  doch  in  Ordnung? 

Der  Nörgler:  Das  würden  Sie  nicht  finden, 
wenn  Sie  es  gesehen  hätten.  Ein  Dämon  hatte  im 
dritten  Wort  einen  Buchstaben  weggelassen  — 

Der  Optimist:  Weiche  Tücke! 

Der  Nörgler:  Ganz  richtig:  welche  Tücke. 
Zum  Glück  wurde  aber  der  Buchstabe  von  einem 
gewissenhaften  Korrektor  wenigstens  handschriftlich 
nachgetragen.  Er  gab  der  V/ahrheit  die  Ehre  und 
dem  Worte  das  s. 

Der  Optimist:  Sie  bleiben  Ihrer  Gewohnheit 
treu,  Druckfehler  — 

Der  Nörgler:  —  für  den  authentischen  Text 
zu  halten. 

Der  Optimist:  Diese  Treue  — 

Der  Nörgler:  —  welche  Tücke! 

Der  Optimist:  Nun,  was  die  italieni<:chen 
Landkarten  und  die  französischen  Postkarten  anlangt, 
so  könnte  man  sagen,  es  spricht  für  die  Tüchtigkeit 
der  Deutschen  — 

Der  Nörgler:  —  daß  die  Feinde  ihren  Haß 
aus  Deutschland  beziehen  müssen,  und  wenn 
sie  vor  Wut  zerspringen!  Was  nicht  sosehr  für  die 
Deutschen  als  für  die  Feinde  eine  Demütigung 
bedeutet,  nicht  wahr? 

Der  Optimist:  Nein,  ich  sage  das  nicht, 
aber  ich  sage,  daß  Sie  sich  an  Auswüchse  klammern. 

Der  Nörgler:  Ein  gesunder  Stamm  hat  keine. 

Der  Optimist:  Denken  Sie  lieber  daran,  daß 
die  Deutschen  in  Amerika  Bollwerke  heimischer 
Volksart  errichtet  haben. 

Der  Nörgler:  Ich  denke  daran,  daß  sie  in 
diesen  Bollwerken  Munition  gegen  ihre  Stammes- 
genossen fabrizieren. 

Der  Optimist:  Ja,  business  is  business. 


240 


Der  Nörgler:  Nein,  Geschäft  ist  Geschäft. 

Der  Optimist:  In  der  Politik  sage  ich: 
Erfolg  ist  Erfolg.  Darum  dürfte  die  Versenkung  der 
Lusitania  nicht  ohne  großen  Eindruck  bleiben. 

Der  Nörgler:  Den  hat  sie  allerdings  schon 
erzielt.  In  der  ganzen  Welt,  soweit  sie  noch  eines 
Absehens  fähig  ist.  Aber  auch  in  Berlin. 

Der  Optimist:  Sogar  in  Berlin? 

Der  Nörgler:  Das  läßt  sich  wieder  nur  durch 
Beweise  beweisen.  (Er  liest  vor.)  »In  dem  Moment,  als  der 
Dampfer  unterging,  sprangen  Hunderte  von  Personen 
ins  Meer.  Die  meisten  wurden  vom  Strudel  weg- 
gerissen. Viele  Personen  hielten  sich  an  Holzstücken, 
die  durch  die  Explosion  losgerissen  waren,  fest  .... 
in  Queenstown  konnte  man  tragische  Szenen 
beobachten,  Frauen  suchten  ihre  Männer,  Mütter 
riefen  nach  ihren  Kindern,  bejahrte  Frauen  irrten 
mit  offenen,  wassertriefenden  Haaren  herum,  junge 
Frauen  gingen  ziellos  umher,  ihre  Kinder  an  die 
Brust  gepreßt.  126  Leichen  lagen  bereits  in  einem 
Haufen  da;  es  waren  darunter  Frauen,  Männer  und 
Kinder  aller  Altersstufen.  Zwei  arme  kleine  Kinder 
hielten  sich  eng  umschlungen  im  Tode.  Es  war  ein 
jammervoller  unvergeßlicher  Anblick.«  So. 

Der  Optimist:  Nun,  aber  in  Berlin? 

Der  Nörgler:  In  Berlin?  In  einem  dortigen 
Variete  wurde  schon  am  Tag  nach  der  Katastrophe 
ein  Film,  der  dies  alles  darstellt,  vorgeführt,  und  auf 
dem  Zettel  hieß  es:  »Die  Versenkung  der  Lusitania. 
Naturgetreu.  Bei  diesem  Programmpunkt  Rauchen 
gestattet.« 

Der  Optimist:  Das  ist  gewiß  geschmacklos. 

Der  Nörgler:  Nein,  es  ist  stilvoll. 

Der  Optimist:  Nun,  ich  kann  den  Lusitania- 
Fall  nicht  sentimental  nehmen. 

Der  Nörgler:  Ich  auch  nicht,  nur  kriminell. 

Der  Optimist:  Die  Leute  waren  gewarnt 
worden. 


241 


Der  Nörgler:  Die  Warnung  vor  der  Gefahr 
war  die  Drohung  mit  einem  Verbrechen,  also  ging 
dem  Mord  eine  Erpressung  voraus.  Der  Erpresser 
kann  nie  zu  seiner  Entlastung  geltend  machen,  daß 
er  den  Schaden,  den  er  verübt  hat,  vorher  angedroht 
habe.  Wenn  ich  Ihnen  für  den  Fall,  daß  Sie  eine  Leistung 
oder  Unterlassung,  auf  die  ich  keinen  Anspruch  habe, 
verweigern,  den  Tod  androhe,  bin  ich  ein  Erpresser 
und  kein  Warner,  und  hinterher  ein  Mörder  und 
kein  Exekutor.  Rauchen  gestattet.  Aber  mag  lieb 
Vaterland,  wenn  es  an  die  Kinderleichen  denkt,  noch 
versuchen  ruhig  zu  sein! 

Der  Optimist:  Das  Unterseeboot  konnte 
nicht  anders  als  — 

Der  Nörgler:  —  den  Eisberg  ersetzen,  der 
ein  paar  Jahre  zuvor  in  die  Titanic  fuhr  v/ie  Gottes 
Zorn  in  den  Wahnwitz  des  technischen  Übermaßes, 
daß  er  die  Menschheit  das  Schaudern  lehre  statt  der 
Ehrfurcht.  Jetzt  besorgt  die  Technik  selbst  das  Straf- 
gericht und  alles  ist  in  Ordnung.  Aber  damals  wurde 
noch  Gott,  der  es  getan,  mit  Namen  gerufen.  Den 
Helden  dieses  Unterseeboots  verschweigt  die  Welt- 
geschichte. Der  amtliche  Bericht  nennt  ihn  nicht. 
Die  Behauptung  der  Feinde,  der  Mensch  hätte  eine 
Auszeichnung  erhalten,  wird  vom  Wolffbüro  als  Lüge 
bezeichnet.  Und  mit  einer  Entrüstung,  die  hinter 
allem  selbstbekömmlichen  Tonfall  der  biedern  Phrase 
endlich  einmal  die  eigene  Tat  bloßstellt. 

Der  Optimist:  Gewiß,  er  hat  nicht  den 
Anspruch,  unter  Helden  wie  Weddigen  — 

Der  Nörgler:  Ja,  warum  denn  nicht?  Die 
Tat  wird  ja  verherrlicht.  Warum  wird  sie  nicht 
verschwiegen  wie  der  Täter? 

Der  Optimist:  Die  Tat  war  nicht  erhaben,  aber 
nützlich.  Die  Lusitania  hat  Waffen  an  Bord  geführt, 
die  den  Leibern  deutscher  Soldaten  zugedacht  waren. 

Der  Nörgler:  Deutsche  Waffen! 
(Verwandlung.) 

Die  letzten  Tage  der  Menscliheit.  16 


242 


11.  Szene 


Gasse  in  der  Vorstadt.  Vor  einem  Greislerladen  eine  Mcnp,e  von 
Proletariern  angestellt.  Wachleute  halten  Ordnung.  Eine  große  Tafel 
>Brot  ausverkauft^   wird  angebracht.    Die   Menge  bleibt  stehen. 

Ein  Wachmann:  Sechts  denn  net,  daß  aus- 
verkauft is? 

Eine  aus  der  Menge:  Jetzt  steh  i  seit  zwa  Uhr 
in  der  Nacht! 

Zweiter  Wachmann:  Gehn  Sie  auseinander! 

Eine  zweite  Frau:  Ist  das  eine  Gerechtigkeit? 
Acht  Stunden  steht  unsereins  da  und  jetzt  haßts 
ausverkauft! 

Ein  Mann:  Hauts  eahms  G'wölb  ein! 

Ein  zweiter:  Jo!  Trau  di!  Wannst  ihn  jetzt 
fragst,  ob  er  a  Brot  hat,  haut  er  dir  schon  a  Watschen 
herunter,  daß  d'  den  Stephansturm  für  a  Salzstangl 
anschaust. 

Dritte  Frau:  Mir  zahln  so  gut  Steuern  wie 
die  Juden,  mir  wolln  auch  essen! 

Vierte  Frau:  Die  Juden  san  schuld! 

Rufe:  Heraus  mit'n  Brot! 

Zweiter  Wachmann:  Wenn  Sie  nicht  aus- 
einandergehn,  werden  Sie  sich  die  Folgen  selber 
zuzuschreiben  haben. 

E  r  s  t  e  r :  Sie  riskieren,  wegen  Widergesetzlichkeit 
verhaftet  zu  werden! 

Rufe:  Pfui!  Brot! 

ZweiterWachmann:  Einspirrn  tan  mr  eucli ! 

Rufe:  Aufspirrn  soll  er! 

ZweiterWachmann:  Auf  d'  Wochen  kriegts 
eh  die  Marken. 

Vierte  Frau:  Ujegerl,  bis  auf  d'  Wochen  san 
mr  eh  hin! 

Erster  Wachmann:  Jetzt  heißt's  durchhalten! 

Eine  alte  Frau  (entfernt  sich  kopfschüttelnd): 
Jessas,  is  das  ein  Elend!  Die  Mannsleut  derschießens' 
und  die  Weibsleut  lassen  s'  derhungern! 


243 


Erster  Wachmann:  Da  gibt's  nur  ein  Mittel  — 
zerstreun  Sie  sich! 

Dritter  Mann:  Alstern,  wart'n  mr  auf  die 
Marken.     Wo   kriegt   man  denn   hernach   ein  Brot? 

Vierter  Mann:  No,  beim  Backen! 

Fünfter  Mann:  Jo,  beim  Backen!  (Gelächter. 
Die  Menge  zieht  unter  allerlei  Rufen  ab.) 

Der  Greisler  (öffnet  einer  besser  gekleideten  Frau, 
die  zurückgeblieben  ist,  die  Tür):  Kumman  S'  gschwind 
eini  — 

(Verwandlung.) 

12,  Szene 

Kärntiiersiraße.    Ein    starker    Esser    und    ein    normaler    Esser 
treffen  sich. 

Der  normale  Esser:  Na  wie  gehts,  wie 
tiberstehn  Sie  den  Weltkrieg? 

Der  starke  Esser:  Ich  bitt  Sie,  fragen  Sie 
nicht,  geben  Sie  mir  lieber  ein  paar  Brotkarten  von 
sich,  ich  samniel  wo  ich  kann. 

Der  normale  Esser:  Was  fällt  Ihnen  ein, 
ich  komm  selber  nicht  aus.  Und  dabei  bin  ich 
doch  nur  ein  normaler  Esser!  Aber  ich  kann  mir 
denken,  wie  wütend  Sie  sein  müssen.  Erst  gestern 
hab  ich  zu  meiner  Frau  gesagt,  das  is  nichts  für 
Tugendhat,  Tugendhat  is  bekanntlich  ein  starker 
Esser.  Wir  haben  nämlich  grad  in  der  Presse  gelesen, 
wie  sie  interessant  auseinandergesetzt  hat,  wie  die 
starken  Esser  mehr  brauchen  wem  wie  die  normalen 
Esser,  wo  doch  schon  die  normalen  Esser  mehr 
brauchen  wie  die  schwachen  Esser. 

Der  starke  Esser:  Sind  Sie  ein  schwacher 
Esser? 

Der  normale  Esser:  Das  kann  ich  gerade 
nicht  sagen,  mittel,  ich  bin  ein  normaler  Esser. 
Aber  ich  komm  auch  nicht  aus.  Wenn  das  so  weiter 
geht,  kann  mir  der  ganze  Krieg  gestohlen  wem. 


16* 


244 


Der  starke  Esser:  Das  kann  sich  auch 
unmöglich  halten.  Ich  bin  bekanntlich  ein  starker 
Esser,  ich  hätt  der  Statth alterei  Auskunft  geben 
können,  was  man  so  im  Tag  braucht. 

Der  normale  Esser:  Aber  das  muß  man 
zugeben,  eine  Sensation  war  dieser  erste  Tag  der 
Brotkarte.  Selbst  kann  man  ja  nur  von  sich  selbst 
schließen,  aber  nach  der  Presse  hat  man  einen  Begriff, 
was  sich  da  getan  hat. 

Der  starke  Esser:  Ja,  sie  is  ins  Detail 
gegangen.  Hundert  Berichterstatter  hat  sie  in  alle 
Lokale  geschickt.  In  jedem  war's  aber  auch  anders. 
Während  sich  zum  Beispiel  beim  »Leber«  die  Stamm- 
gäste mit  der   neuen   Einrichtung  befreundeten  — 

Der  normale  Esser:  —  hatten  die  Kellner 
im  »Weingartl«  alle  Hände  voll  zu  tun  — 

Der  starke  Esser:  —  die  Fragen  der 
Neugierigen  zu  beantworten.  In  sämtlichen  Lokalen 
soll  aber  eines  gleich  gewesen  sein,  nämlich,  daß 
sich  um  den  Zahlkellner,  so  oft  er  die  Schere  aus 
der  Tasche  zog  — 

Der  normale  Esser:  —  Gruppen  gebildet 
haben.  Kein  Wunder,  kann  es  denn  eine  größere 
Umwälzung  geben? 

Der  starke  Esser:  Ja,  es  ist  entsetzlich, 
was  wir  hier  durchzumachen  haben. 

Der  normale  Esser:  Na,  wenigstens  haben 
uns  die  im  Schützengraben  nicht  zu  beneiden. 

Der  starke  Esser:  Ich  muß  faktisch  zugeben, 
am  ersten  Tag  der  Brotkarte  —  da  hatte  ich  das 
Gefühl  wie  bei  der  Feuertaufe.  Nur  mit  dem  Unter- 
schied, bei  der  Feuertaufe,  da  kann  man  sich's 
richten.  Aber  bei  der  Brotkarte?  Sind  Sie  eigentlich 
ein  starker  Esser  — ? 

Der  normale  Esser:  Mittel.  Ich  bin  ein 
normaler  Esser. 


245 


Der  starke  Esser:  Ja  aber  ich,  der  ich 
bekanntlich  ein  starker  Esser  bin,  da  muß  ich  denn 
doch  sagen  —  wissen  Sie  —  jeder  Mensch  in  Wien 
fragt  mich,  alle  sind  neugierig,  was  ich  tun  wer'  — 

Der  normale  Esser:  Das  kann  ich  Ihnen 
nachfühlen,  ein  starker  Esser  wie  Sie,  wo  doch 
selbst  ich  als  normaler  Esser  — 

Ein  Hungernder  (nähert  sich  ihnen,  streckt  die 
Hand  aus):  Bitt  schön,  hab  nichts  zu  essen  — 

Der  starke  Esser:  —  und  da  ich  bekanntlich 
ein    starker  Esser    bin    —    (sie   gehen   im    Gespräch   ab.) 

(Verwandlung.) 

13.  Szene 

Florianigasse.    Hofrat   i.    P.    Dlauhobelzky  v.  Dlauhobetz   und 
Hofrat  i.  P.  Tibetanzl  treten  auf. 

Dlauhobetzkyv.  Dlauhobetz:  Bin  neugierig, 
ob  morgen  in  der  Mittagszeitung  —  du,  das  is  mein 
Lieblingsblatt  —  ob  morgen  also  mein  Gedicht 
erscheint,  gestern  hab  ich  ihr's  eingschickt.  Willst 
es  hören?  Wart  —  (Zieht  ein  Papier  hervor.) 

Tibetanzl:  Hast  wieder  ein  Gedicht  gemacht? 
Worauf  denn? 

Dlauhobetzky  v.  Dlauhobetz:  Wirst  gleich 
merken,    worauf.    Wanderers    Schlachtlied.    Das    is 
nämlich  statt  Wanderers  Nachtlied,  verstehst  — 
Über  allen  Gipfeln  ist  Ruh, 
Über  allen  Wipfeln  spürest  du 
Kaum  einen  Hauch  — 

Tibetanzl:  Aber  du  —  das  is  klassisch  — 
das  is  ja  von  mir! 

Dlauhobetzkyv.  Dlauhobetz:  Was?  Von  dir? 
Das  is  klassisch,  das  is  von  Goethe!  Aber  paß  auf, 
wirst  gleich  den  Unterschied  merken.  Jetzt  muß  ich 
noch  einmal  anfangen. 


246 


Also  über  allen  Gipfeln  ist  Ruh, 

Über  allen  Wipfeln  spürest  du 

Kaum  einen  Hauch. 

Der  Hindenburg  schlafet  im  Walde, 

Warte  nur  balde 

Fällt  Warschau  auch. 

Ist  das  nicht  klassisch,  alles  paßt  ganz  genau,  ich 
hab  nur  statt  Vöglein  Hindenburg  gesetzt  und  dann 
also  natürlich  den  Schluß  auf  Warschau.  Wenn's 
erscheint,  laß  ich  mir  das  nicht  neiimen,  ich  schick's 
dem  Hindenburg,  ich  bin  ein  spezieller  Verehrer 
von  ihm. 

Tibetanzl:  Du,  das  is  klassisch.  Gestern  hab 
ich  nämlich  ganz  dasselbe  Gedicht  gemacht.  Ich 
habs  der  Muskete  einschicken  wollen,  aber  — 

Dlauhobetzky  v.  Dlauhobetz:  Du  hast  das- 
selbe Gedicht  gemacht?  Gehst  denn  nicht  — 

Tibetanzl:  Ich  hab  aber  viel  mehr  wie  du 
verändert.  Es  heißt:  Beim  Backen. 

Über  allen  Kipfeln  ist  Ruh, 
Beim  Weißbäcken  spürest  du 
Kaum  einen  Rauch. 

Dlauhobetzky   v.   Dlauhobetz:    Das   is   ja 
ganz  anders,  das  is  mehr  gspassig! 
Tibetanzl: 

Die  Bäcker  schlafen  im  Walde 
Warte  nur  balde 
Hast  nix  im  Bauch. 

Dlauhobetzky  v.  Dlauhobetz:  Du,  das  is 
förmlich  Gedankenübertragung! 

Tibetanzl:  Ja,  aber  jetzt  hab  ich  mich 
umsonst  geplagt.  Jetzt  muß  ich  warten,  ob  deins 
erscheint.  Wenn  deins  erscheint,  kann  ich  meins 
nicht  der  Muskete  schicken.  Sonst  glaubt  man  am 
End,  ich  hab  dich  paradiert!  (Beide  ab.) 

(Verwandlung.) 


247 


14.  Szene 

Eine  Jagdgesellschaft. 

V.  Dreckvvitz:  Ach  hört  mal  auf  mit  euerm 
Jägerlatein.  Mein  Jahr  in  Rußland  zählt  dreifach 
gegen  alle  eure  lummrigen  Friedensjahre!  Gut  Gejaid 
allezeit  gab's  in  Feindesland.  Herrliche  Tage  waren's, 
wenn  man  als  Sieger  dem  geschlagenen  Feind  auf 
den  Fersen  saß,  ihn  zustande  hetzte,  bis  er,  zu  Tode 
erschöpft,  sich  dem  Sieger  ergab.  Krieg  ist  doch 
wohl  die  natürlichste  Beschäftigung  des  Mannes. 
Aber  es  gab  damals  auch  einen  Wundbalsam,  der 
alles  wieder  gut  machte,  den  ich  mir  kaum  zu 
erträumen  gewagt  —  das  Kreuz  von  Eisen  ohne  Band! 
Ab  und  zu  mu(3te  man  schon  die  alte  Feldpulle 
zwischen  die  Zähne  nehmen,  um  sich  wenigstens 
innerlich  etwas  anzuwärmen.  Man  wird  besinnlich 
in  solchen  Momenten.  Ich  dachte  an  den  schönen 
lustigen  Franzosenkrieg,  wie  wir  die  feindliche 
Kavallerie  in  den  Dreck  ritten,  wo  sie  nur  ein 
Pferdebein  zeigte,  um  schließlich  in  der  sonnigen 
Champagne  unsre  Rosse  zu  tummeln.  Man  bekam 
ein  verdächtiges  Schlucken  in  den  Hals,  wenn  man 
an  all  den  guten  Schampus  dachte,  der  einem 
damals  durch  die  Kehle  gerieselt  war!  Weiter  führten 
einen  die  Gedanken  mit  einem  kleinen  Hupf  in  ein 
neues  Feindesland:  Belgien!  Fruchtbare  Felder, 
reiche  Städte  dicht  gedrängt  erwarteten  uns  da. 
Einen  himmelblauen  Gurkha  und  zwei  belgische 
Radler  konnte  ich  damals  in  mein  Schußbuch 
eintragen.  Und  dann  —  die  Grenzpfähle  nach 
Polenland  wegzufegen!  Und,  beim  großen  Zeus, 
unsere  Flinten  und  Lanzen  sollten  auch  hier  nicht 
rosten! 

Vorläufig  gab's  aber  noch  nichts  zu  schießen. 
Feind  fehlte  noch  wegen  Mangel  an  Beteiligung. 
Zu  Pferde  kriegt  man  die  Lümmels  schlecht,  vorm 
Schießen  haben  sie  aber  einen  Höllendampf.    Nach 


248 


endlosem  Marsch,  als  es  schon  völlig  dunkel  war, 
kamen  wir  ins  Quartier.  Au  je,  das  war  doch  über- 
wältigend! Wer  eine  solche  Panjebude  nicht  kennt, 
der  ahnt  überhaupt  nicht,  was  es  alles  gibt. 
Beschreiben  läßt  es  sich  nicht,  das  muß  man  sehen 
und  fühlen.  Die  Kosakis  hatten  sich  nun  doch 
ermannt  und  uns  den  Weg  über  eine  Brücke  verlegt. 
Es  war  allerdings  auch  dicke  Infanterie  dabei.  Eine 
Schwadron  von  uns  war  schon  beim  Angreifen, 
erhielt  aber  ein  wahnsinniges  Feuer,  das  ziemlich 
schaurig  durch  die  düstre  Nacht  gellte.  Bei  Tages- 
anbruch griff  dann  das  ganze  Regiment  an  und 
trieb  die  Brüder  zu  Paaren.  Einer  von  uns  hatte 
einen  Streifschuß  am  Kopf,  daß  die  Knochensplitter 
man  so  flogen.  Auf  leisen  Sohlen  heranbirschend, 
hatten  wir  bereits  die  Vorposten  getötet.  Peng,  fällt 
ein  Schuß,  peng,  peng,  zweiter,  dritter!  Und  dann 
ging  eine  maßlose  Knallerei  los!  Rumbums!  spricht 
unsere  Kanone;  kladderadoms!  die  Handgranaten, 
die  die  albernen  Russen  aus  den  Fenstern  zu 
schmeißen  für  gut  befanden.  Über  die  Straße 
laufen  alle  möglichen  Leute,  kein  Schwein  kann 
aber  im  Dunkel  erkennen,  von  welcher  Partei  sie 
sind.  Na,  wir  drückten  uns  an  ein  großes  Haus,  um 
mal  erst  abzuwarten,  wem  die  Siegesgöttin  heute 
wohlgesinnt  wäre.  Der  Skandal  dauerte  aber  immer 
weiter  und  die  Kriegslage  schien  sich  gar  nicht  klären 
zu  wollen.  Wenn  einer  nicht  Platz  machte,  kriegte  er 
einfach  einen  Tritt.  Ich  müßte  schamlos  lügen,  wenn 
ich  dieses  Situatiönchen  besonders  angenehm  und 
lieblich  nennen  würde,  aber  wir  kamen  durch,  und 
es  sollte  sich  nachher  bezahlt  machen.  150  Schritt 
hinter  der  Stadt  buddelten  wir  uns  schnell  bis  an 
den  Kragenknopf  ein.  Wir  warteten  freudig  erregt 
der  Dinge  und  Russen,  die  da  kommen  sollten. 
Wir  acht  Männerchen  waren  augenblicklich  wohl  die 
einzigen  hier,  die  die  Wacht  am  Rhein  singen 
konnten.    Also,   wir  lagen  mucksmäuschenstill,  den 


I 


249 


Finger  am  Abzug.  Meiner  Kriegsknechte  war  ich 
mir  ziemlich  sicher.  Ohne  Befehl  würde  keiner 
knallen.  Neben  mir  schnatterte  ein  junger  Kriegs- 
freiwilliger laut  und  ungeniert  mit  den  Zähnen.  Ich 
boxte  ihm  schnell  noch  eins  in  die  Rippen.  »Lebhaft 
weiterfeuern«,  kommandierte  ich  dann  mit  gellender 
Stimme,  um  den  Brüdern  da  drüben  mal  den  Wohl- 
klang einer  Preußischen  Kommandostimme  zu  Gehör 
zu  bringen.  Und  ich  mußte  auch  laut  schreien, 
denn  auf  die  erste  Salve  ertönte  drüben  ein 
Geheul,  so  entsetzlich,  markerschütternd,  daß  mir 
die  Haare  zu  Berge  standen,  und  als  unsere 
Büchsen  lustig  in  den  dichten  Knäuel  knallten, 
da  stürzten  sie  zurück,  fielen  über  die  Toten  und 
Verwundeten  —  und  immerzu  die  Schreie  der 
Todesnot!  Und  schon  waren  wir  mit  brüllendem 
Hurra  hinterher! 

Wie  die  Tiere  drängte  sich  ein  ganzer 
Haufen  in  die  vorderste  Haustür.  Wir  hätten  sie  in 
aller  Ruhe  abschießen  können.  Sie  waren  noch  total 
halali  und  konnten  vor  Angst  keinen  Ton  sagen. 
Die  ganze  Sache  schien  einzuschlafen.  Das  einzige 
was  uns  fehlte,  war  ein  Alkohölchen. 

Ich  hatte  aber  doch  so  das  Gefühl,  daß 
sie  noch  irgend  eine  Biesterei  vorhatten.  Den  Feind 
hinten  wollte  ich  mir  mal  selbst  etwas  näher  besehen. 
Hier  konnten  nur  noch  einige  sichere  Kugeln  helfen. 
Da  zog  ich  die  Büchse  an  den  Kopf,  ein  Tupf  auf 
den  Stecher:  plautz,  da  lag  der  erste  Kerl!  Schnell 
repetiert  und  wieder  gestochen.  Nr.  2  und  3  fielen 
um  wie  die  Säcke,  bevor  sie  sich  von  ihrem  ersten 
Schreck  erholt  hatten.  Da  kam  Leben  in  die  Gesell- 
schaft, sie  schienen  nur  noch  nicht  zu  wissen,  wohin 
sie  sollten.  Der  nächste  Russe,  Nummer  4,  erhielt 
die  Kugel  etwas  zu  kurz.  Es  war  vielleicht  für  mich 
von  Vorteil,  denn  der  Kerl  schrie  ganz  entsetzlich. 
Ich  hatte  schnell  den  Karabiner  meines  Begleiters 
genommen    und    ließ    die    nächsten    fünf    Kugeln 


250 


in  den  dichten  Klumpen  am  Gartenzaun.  Einige  Schreie 
zeigten,  daß  auch  diese  Kugeln  nicht  umsonst 
abgefahren  waren.  Diese  letzten  Schüsse  waren  mir 
ja  etwas  eklig,  besonders  weil  ich  gar  nicht  das 
Gefühl  der  Gefahr  hatte,  denn  die  Russen  dachten 
gar  nicht  ans  Schießen.  Aber  was  hilfts;  jeder  ist 
sich  selbst  der  nächste,  und  ich  habe  ja  den 
Krieg  nicht  angefangen!  Die  Flanke  war  gesäubert; 
ich  ging  befriedigt  zu  meinen  Knaben  zurück. 
Die  russischen  Offiziere  macliten  ein  recht  dummes 
Gesicht,  als  sie  uns  sechs  Männerchen  da  stehen 
sahen.  Mein  liebenswürdigesBenehmen  beschwichtigte 
aber  ihre  Bedenken.  Vv^ir  schüttelten  uns  herzlich 
die  Hände,  ich  mit  einem  gönnerhaften  Siegerlächeln. 
Es  war  immerhin  ein  netter  Augenblick,  und  der 
militärische  Erfolg  doch  außerordentlich  schön. 
Selbander  zogen  wir  auf  den  Markt,  wo  alles  voll 
von  Russen  stand.  Bei  dem  Artilleriekapitän  bedankte 
ich  mich  für  die  gutsitzenden  Schrapnells,  dann 
mußte  ich  zur  Division  und  berichten.  Allgemeine 
Zufriedenheit.  Meine  sechs  Soldaten  bekamen  gleich, 
wie  sie  gebacken  waren,  das  Eiserne  Kreuz.  Ich 
wurde  zur  ersten  Klasse  eingegeben,  was  aber  erst 
nach  beinahe  einem  Jahr  in  die  Erscheinung  trat.  — 
Und  nun  urteilt  mal  selbst  Jungens,  ob  ihr  mit 
eurem  madigen  Jägerlatein  mir  imponieren  könnt! 
Was  ich  auf  der  Russenfährte  erlebt  habe,  ist,  wie 
ihr  zugeben  werdet,  'ne  Nummer!  Unser  Fachorgan 
,Wild  und  Hund'  hat  die  ehrende  Aufforderung  an 
mich  ergehen  lassen,  einen  Bericht  über  meine 
Jagderfolge  in  Rußland  zu  verfassen.  Ich  will  es  tun. 
Und  denn  auf  fröhlich  Gejaid  nach  Welschland! 
Eh  wir  aber  so  weit  sind,  wollen  wir  gemütlich 
noch  mancher  Pulle  Sekt  den  Hals  brechen.  Na  denn 
Pröstchen! 

Alle:    Pröstchen   Dreckwitz!    Weidmannsheil! 

(Verwandlung.) 


251 


15.  Szene 

Biireauzimmer  bei  einem  Kommando. 

Hirsch    (tritt   singend  auf.    Melodie   aus   dem    »Ver- 
schwender«): 

Heisa!  lustig  ohne  Sorgen 
Leb  ich  in  den  Krieg  hinein, 
Den  Bericht  geh  ich  für  morgen, 
Schön  ist's  ein  Reporter  sein. 
War  ich  noch  so  grad  gewachsen, 
Müßt  ich  nicht  zum  Militär. 
[:  So  verdiene  ich  noch  Maxen 
Auf  dem  schönen  Feld  der  Ehr.  :] 

Zweitens  aber  ist  das  Leben 

Jetzt  im  Hinterland  zu  stier. 

Darum  hab  ich  mich  begeben 

In  das  Kriegspressequartier. 

Drittens  wärs  im  Schützengraben 

Doch  für  unsereins  zu  fad, 

[:  Weshalb  sie  enthoben  haben 

Mich  zum  leichtern  Dienst  beim  Blatt.  :] 

Viertens  kann  ich  schnellstens  melden, 
Wie  die  Schlacht  nimmt  ihren  Lauf. 
Was  sie  vorne  tun  die  Helden, 
Schreib  ich  gleich  von  hinten  auf. 
Ich  wer'  bis  zum  Endsieg  bleiben, 
Ich  gewinne,  auf  mein  Wort. 
[:  Denn  kaum  fang  ich  an  zu  schreiben, 
Laufen  alle  Feinde  fort.  :] 

Darum  kann  ich  fünftens  sagen, 
Ich  bin  hier  wie's  Kind  im  Hai  s. 
Wie  sich  unsre  Leute  schlagen, 
Haben  unsere  Leut  heraus. " 
Sechstens,  siebtens  und  so  weiter, 
Da  mich  keine  Kugel  trefft, 
[:  Leb  ich  ungeniert  und  heiter 
Hier  vom  guten  Kriegsgeschäf*  :] 


252 


(Hineinrufend:)  Sie  Major,  wenn  Sie  den  General  sehn, 
sagen  Sie  ihm,  daß  ich  ihn  dann  interviewen  wer'  und 
den  ganzen  Stab!  Heut  wird  sich  kaner  drucken!  (Ab.) 

Roda     Roda      (tritt     singend     auf.     Nach     einer 
bekannten  Melodie) : 

Der  Rosenbaum, 

Der  Rosenbaum 

Vertritt  die  schönsten  Blätter. 

Er  gedeihet  kaum 

Im  Etappenraum, 

An  der  Front  schreibt  sich's  viel  netter. 

Ich  seh  mir  alles 

Selber  an. 

Dann  kann  ich  alles  wissen. 

Und  schlimmsten  Falles 

Werd'  ich  dann 

Von  den  Schrapnells  zerrissen. 

Was  schert  mich  Weib, 

Was  schert  mich  Kind, 

Was  gilt  mein  eignes  Leben? 

Zum  Zeitvertreib 

Mir  errichtet  sind 

Die  schönsten  Schützengräben. 

Doch  vor  dem  Feind 

Gibts  keinen  Schmus, 

Da  heißt's  die  Stellung  wählen. 

Ich  bin  kein  Freund 

Von  Interviews, 

Mir  wern  sie  nix  erzählen! 

Ich  war  einmal 

Selbst  bei  dem  Gschäft, 

Ich  kenn  hier  alle  Leute. 

Bin  überall, 

Wo  man  mich  trefft. 

Gewährsmann  bin  ich  heute! 


253 


Einst  hat  man  doch 

Mir  a.  D.  gesagt, 

Das  sollte  eine  Schand'  sein. 

Jetzt  wird  nur  noch 

Nach  mir  gefragt, 

Denn  alle  woU'n  genannt  sein. 

Das  Militär 

Bin  ich  gewohnt; 

Für  meine  Schlachtberichte 

Spring  ich  von  der 

Zu  jener  Front 

Und  mache  Weltgeschichte. 

Heut  bin  ich  in 

Der  Weichselschlacht 

Und  morgen  am  Isonzo. 

Ich  hab  es  drin 

Sehr  weit  gebracht 

Und  bin'  es  schon  gewohnt  so. 

Der  Brigadier 

Er  meldet  mir, 

Der  Feind  wird  Schläge  kriegen. 

Doch  werden  wir 

Geschlagen  hier. 

So  laß  ich  einfach  siegen. 

Das  Hinterland 

Betret  ich  kaum, 

Ich  bleib  viel  lieber  doda. 

Ich  bin  verwandt 

Mit  Rosenbaum, 

Doch  heiß  ich  Roda  Roda. 

(Hineinrufend:)  Sie  Major,  wenn  Sie  den  General  sehn, 
sagen  Sie  ihm,  daß  der  Oberst  versetzt  werden 
muß  —  er  hat  mir  den  Passierschein  für  das  Fort  5 


255 


in  Przemysl  verweigert.  Er  scheint  nicht  gewußt 
zu  haben,  wer  ich  bin.  Das  entschuldigt  ihn 
nicht,  sondern  im  Gegenteil.  Ich  werde  den 
Herren  schon  Disziplin  beibringen  —  haben  Sie 
verstanden?  (Ab.) 

(Verwandlung.) 

16.  Szene 

Ein  anderes  Bureauzimmer. 

Ein  Generalstäbler  (erscheint  und  geht  zum 
Telephon):  —  Servus,  also  hast  den  Bericht  über 
Przemysl  fertig?  —  Noch  nicht?  Ah,  bist  nicht 
ausgschlafen  —  Geh  schau  dazu,  sonst  kommst 
wieder  zum  Mullattieren  zu  spät.  Also  hörst  du  — 
Was,  hast  wieder  alles  vergessen?  —  Ös  seids  — 
Hör  zu,  ich  schärfe  dir  noch  einmal  ein  —  Haupt- 
gesichtspunkte: Erstens,  die  Festung  war  eh  nix  wert. 
Das  ist  das  Wichtigste  —  Wie?  mau  kann  nicht  — 
Was?  man  kann  nicht  vergessen  machen,  daß  die 
Festung  seit  jeher  der  Stolz  —  Alles  kann  man 
vergessen  machen,  lieber  Freund!  Also  hör  zu,  die 
Festung  war  eh  nix  mehr  wert,  lauter  altes  Grafiel- 
werk  —  Wie?  Modernste  Geschütze?  Ich  sag  dir, 
lauter  altes  Graffeiwerk,  verstanden?  No  also,  gut. 
Zweitens,  paß  auf:  Nicht  durch  Feindesgewalt, 
sondern  durch  Hunger!  Verstanden?  Dabei  das 
Moment  der  ungenügenden  Verproviantierung  nicht 
zu  stark  betonen,  weißt,  Schlamperei,  Pallawatsch  etc. 
tunlichst  verwischen.  Diese  Momente  drängen  sich 
auf,  aber  das  wirst  schon  treffen.  Hunger  is  die 
Hauptsache.  Stolz  auf  Hunger,  verstehst!  Nicht  durch 
Hunger,  sondern  durch  Gwalt,  ah  was  red  ich, 
nicht  durch  Gewalt,  sondern  durch  Hunger!  No  also, 
gut  is  —  Was,  das  geht  nicht?  Weil  man  dann 
merkt,  daß  kein  Proviant  —  wie?  —  und  weil  man 
dann  einwendet,  warum  nicht  genügend  Proviant? 
Alstern  gut,  gehst  drauf  ein  und  sagst:  unmöglich, 


254 


so  viel  Proviant  als  notwendig  aufzuhäufen,  weil's 
eh  der  Feind  kriegt,  wann  er  die  Festung  nimmt  — 
Wie  er  sie  dann  genommen  hätte?  Durch  Hunger? 
Nein,  dann  selbstverständlich  durch  Gewalt,  frag 
net  so  viel.  Verstehst  denn  net,  wenn  er  also  die 
Festung  durch  Gewalt  nimmt  und  mir  harn 
an  Proviant,  iiacher  nimmt  er  auch  den  Proviant. 
Darum  dürfn  mr  kan  Proviant  haben,  nacher  nimmt 
er  kan  Proviant,  sondern  er  nimmt  die  Festung 
durch  Hunger,  aber  nicht  durch  Gwalt.  No  wirst  scho 
machen,  servus,  muß  in  die  Meß,  habe  nicht  die 
Absicht,  mich  durch  Hunger  zu  übergeben  —  Schluß! 

(Verwandlung.) 

17.  Szene 

Restaurant  des  Anton  Grüßer.  Vorn  ein  Herr  mit  einer  Dame. 
Von  einem  Tisch  zum  andern  geht  ein  Mann,  der  sich  unauf- 
hörlich stumm  verbeugt.  Vorn  links  an  einem  Tisch  der  Nörgler, 

Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Nein,  die  Karte.  (Kellner  ab.) 

Zweiter  Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Nein,  die  Karte.  (Kellner  ab.) 

Kellnerjunge:  Zu  trinken  gefällig,  Bier, 
Wein  — 

Herr:  Nein.  (Kcllnerjunge  ab.) 

Dritter  Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Nein,  die  Karte.  (Zu  einem  vorbeieilenden 
Kellner)  Die  Karte! 

Zweiter  Kellnerjunge:  Bier,  Wein  — 

Herr:  Nein. 

Vierter  Kellner  (bringt  die  Karte)  :  Schon 
befohlen? 

Herr:  Nein.  Sie  haben  ja  eben  die  Karte 
gebracht.  Was  ist  fertig? 

Kellner:  Was  auf  der  Karte  steht. 

Herr:  Auf  der  Karte  steht  »Gott  strafe 
England«.  Das  esse  ich  nicht. 


256 


Kellner:  Vielleicht  was  frisch  Gemachtes? 
Laßt  sich  der  Herr  vielleicht  — 

Herr:  Haben  Sie  Roastbeef? 

Kellner:  Bedaure,  heut  is  fleischfrei.  Laßt  sich 
die  Dame  ein  schönes  Schnitzerl  machen  oder  ein 
Ramsleckerl  oder  vielleicht  ein  Ganserl  die  Dame  — 

Herr:  Zuerst  eine  Vorspeise.  Was  ist  denn 
das:  Reizbrot  (Leckerschnitte)? 

Kellner:  Das  ist  ein  Appetitbrot, 

Herr:  Mir  ist  er  schon  vergangen.  Also 
vielleicht  —  was  ist  denn  das:  Eieröllunke  vom 
Fisch? 

Kellner:  Das  ist  eine  Fischmayonnaise. 

Herr:  Was  ist  denn  das:  Butterteighohlpastete? 

Kellner:  Das  ist  ein  Volavan. 

Herr:  Was  ist  denn  das:  Mischgericht? 

Kellner:  Das  ist  ein  Rakuh. 

Herr:  Also  bringen  Sie  in  Gottes  Namen  das  — 
und  dann,  warten  Sie  —  was  ist  denn  das:  Rinds- 
lendendoppelstück nach  Feldherrnart  m.it  Hindernissen 
nebst  Holiändertunkc? 

Kellner:  Das  ist  ein  Anterkot  mit  Soß 
hollandees. 

Herr:  52  Kronen,  bißchen  teuer,  bißchen  teuer. 

Kellner:  Ja,  der  Herr  darf  nicht  vergessen, 
jetzt  is  Krieg  und  heut  is  flelschfrei. 

Herr:  Also  meinetwegen,  bringen  Sie  das. 
(Kellner  ab.) 

Dame:  Siehst  Du,  wir  hätten  doch  zum 
Sacher  gehn  sollen,  dort  kostet  so  was  nur  fünfzig. 

Ein  Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Ja. 

Zweiter  Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Ja. 

Ein  Kellner] unge:  Bier,  Wein? 

Herr:  Nein. 

Dritter  Kellner:  Schon  befohlen  bitte? 

Herr:  Ja. 


257 


Vierter  Keilner  (zurückkommend):  Bedaure,  kann 
nicht  mehr  dienen.  (Streicht  fast  alle  Speisen.) 

Herr:  Sie  haben  doch  — 

Kellner:  Ja,  heut  an  ein  fleischfreien  Tag 
is  das  kein  Wunder.  Aber  laßt  sich  der  Herr  zwei 
verlorene  Eier  machen,  vielleicht  mit  einer  biganten 
Soß,  stehn  noch  auf  der  Karten  — 

Herr:  Verlorene  Eier,  was  ist  denn  das?  Wer 
hat  denn  die  verloren? 

Kellner  (leise):  Öf  poschee  hat  man's  ghaßen 
vorm  Krieg. 

Herr:  Aha,  und  man  glaubt,  daß  man  ihn  damit 
gewinnen  wird?  —  Nein,  warten  Sie  —  Treubruch- 
nudeln —  was  bedeutet  denn  das? 

Kellner:  No  Makkaroni! 

Herr:  Ach  ja,  richtig.  —  Schurkensalat,  was 
ist  denn  das? 

Kellner:  Welischer  Salat. 

Herr:  Ach  ja,  das  ist  ja  klar.  Also  —  bringen 
Sie:  ein  feines  Gekröse  nach  Hausmacherart  mit 
gestürzten  Kartoffeln  und  verlorenen  Eiern,  dazu 
ein  scharfes  Allerlei,  hernach  einen  Musbrei  und 
zweimal  Grüßersahnenkuchen.  Wie  hat  denn  der 
früher  geheißen? 

Kellner:  Grüßerschaumtorte. 

Herr:  Warum  Grüßer? 

Kellner:  No  nachm  Herrn!  (Grüßer  kommt  zum 
Tisch,  grüßt  und  geht  ab.) 

Herr:  Wer  ist  der  Herr? 

Kellner:  No,  der  Herr!  (Ab.) 

Der  Zahlkellner:  Schon  bestellt  der  Herr? 

Herr:  Ja. 

Ein  zwerghafter  Zeitungsjunge  (wippt 
von  Tisch  zu  Tisch):  Sick  über  Sick!  Extraausgabe! 
Schwere   Niederlage   der  Italiena!    Sick   über   Sick! 

Zwei  Mädchen  (mit  Ansichtskarten  und  Kriegs- 
fürsorgeabzeichen von  Tisch  zu  Tisch):  Für  die  Kriegsfür- 
sorge  ein  Scherflein,  wenn  ich  bitten  darf  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  17 


258 


Kellner  junge:  Brot  gefällig?  Bitte  um 
die  Karte. 

Herr  (will  die  Speisekarte  reichen):  —  ah  SO,  ich 
habe  keine. 

Zwei  Frauen  (mit  Ansichtskarten  von  Tisch  zu 
Tisch):  Für  die  Kriegsfürsorge  bitte  — 

Der  Blumenmann  (im  Eilschritt  auf  den  Tisch 
los):  Blumen  gefällig  — ? 

Das  Blumenweib  (von  hinten):  Schöne 
Veigerln  —  für  die  Dame? 

Eine  Kolporteurin:  Extraausgabee ! 

Ein  Gast  (den  Zahlkellner  rufend):  Sie,  Herr 
Finanzminister  — ! 

Der  Zahl  keilner  (beugt  sich  über  einen  Gast): 
Schon  den  neuesten  Witz  ghört,  Herr  Dokter? 
Was  ist  der  Unterschied  zwischen  einem  galizischen 
Flüchtling  und  —  (sagt  ihm  die  Fortsetzung  ins  Ohr.) 

Der  Gast  (immer  heiterer  werdend,  plötzlich  aus- 
brechend): Glänzend!  Aber  wissen  Sie  schon  den 
Unterschied  zwischen  einer  Rotenkreuzschwester  und 
—  (sagt  ihm  die  Fortsetzung  ins  Ohr.) 

Ein  Kellner  (mit  achtzehn  Schüsseln):  Sosss 
bidee  — !  (Er  schüttet  die  Dame  an)  0ha,  nicht  zfleiß 
tan,  paton ! 

Dritter  Gast:  Wer  sagt  da  Pardon?  Sie,  Herr 
Grüßer,  in  Ihrem  gut  deutschen  Lokal  sagt  ein 
Kellner  Pardon! 

Grüß  er:  Herr  von  Wossitschek  glauben  gar 
nicht,  wie  schwer  es  jetzt  mit  die  Leut  is.  Sagt  man 
einem  von  ihnen  was,  lauft  er  davon,  er  kriegt  genug 
Posten  sagt  er.  Es  is  ein  rechtes  Kreuz,  die  bessern 
eingerückt  und  diese  ungebildeten  Elemente  was 
zurückbleiben  — 

Der  Gast:  No  ja,  no  ja,  aber  — 

Grüßer:  Pardon,  Herr  von  Wossitschek,  ich 
muß  grüßen  gehn.  (Tut  es.) 

Der  Gast:  Pardon  pardon,  lassen  S'  Ihnen 
nicht  aufhalten. 


259 


Ein  Stammgast:  Serwas  Grüßer,  wie  gehfs 
dr  denn?  No  was  sagst,  den  Leber!  hams  schön 
eintunkt  — 

Grüßer:  No  was  der  aber  auch  für  Preise 
hat!  Und  dann  is  der  Mensch  gar  nicht  beliebt. 
Ich,  wo  ich  hier  eine  Persönlichkeit  bin,  hab  noch 
nie  den  geringsten  Anstand  gehabt. 

Stammgast:   Geh   setz   di   bißl   her  Grüßer. 

Grüß  er:  Später,  recht  gern,  aber  weißt  ich 
muß  noch  grüßen.  (Tut  es.) 

Stammgast:  Ja  natürlich,  serwas! 

Bambula  von  Feldsturm  (brüllend  und  auf 
den  Tisch  trommelnd):  Sackrament  noch  amal,  wird  man 
denn  heut  gar  nicht  bedient?  Sie,  herstellt! 

Ein  Kellner:  Bitte  gleich,  Herr  Major! 

Grüßer:  Herr  Major  befehlen? 

Bambula  von  Feldsturm:  Sie,  Wirt,  was 
is  denn  das?  Wird  man  denn  heut  gar  nicht  bedient? 
Die  Bedienung  ist  nicht  mehr  wie  früher,  seit  einem 
Jahr  bemerk  ich  das,   wo   sind  denn   alle   Kellner? 

Grüßer:  Eingerückt,  Herr  Major. 

Bambula  von  Feldsturm:  Was?  Einge- 
gerückt?  Warum  sinds  denn  alle  eingerückt? 

Grüßer:  No  weil  Krieg  is,  Herr  Major! 

Bambula  von  Feldsturm:  Aber  seit  einem 
Jahr  merk  ich  das  schon,  Sie  haben  ja  bis  auf 
die  vier  gar  keine  Kellner  mehr.  Für  so  ein  Riesen- 
lokal! Seit  einem  Jahr  merk  ich  das  schon. 

Grüßer:  No  ja,  seitdem  Krieg  is,  Herr  Majori 

Bambula  von  Feld  stürm:  Was?  Das  is 
ein  Skandal!  Daß  Sie's  nur  wissen,  die  Kameraden 
beklagen  sich  alle,  sie  wollen  nicht  mehr  herkommen, 
wenn  das  so  weiter  geht!  Alle  sinds  ausn  Häusl. 
Der  Hauptmann  Tronner,  der  Fiebiger  von  Feldwehr, 
der  Kreibich,  der  Kuderna,  der  Oberst  Hasenörl, 
alle  sinds  ausn  Häusl,  erst  gestern  hat  der  Husserl 
von  Schlachtentreu  von  die  Sechsundsechziger  gsagt, 
wenn  das  so  weitergeht  — 


17* 


260 


Grüßer:  Ja,  Herr  Major,  mir  möchten  ja  alle, 
daß's  einmal  aufhört  und  daß  der  Frieden  kommt  — 

Bambula  von  Feldsturm:  Was,  Frieden  — 
hörn  S'  mir  auf  mit  Ihrer  Friedenswinselei  —  ich 
hab  die  Kaisermanöver  mitgemacht  —  wenn  Sie  unser 
oberster  Kriegsherr  hören  möcht  —  jetzt  heißt  es 
durchhalten  lieber  Freund  —  da  gibts  nix!  (Ein  Kellner 
eilt  vorbei.)  Sie  rechts  schaut!  Kerl  das  verfluchter,  na 
wart,  den  wer'  ich  einrückend  machen  —  Sie  sagen  S' 
mir  nur,  was  ist  denn  das  für  eine  Bedienung  — ?! 

Grüßer:  Was  haben  bestellt,  Herr  Major? 

Bambula  von  Feldsturm:  Nix,  ein  Rost- 
bratl  möcht  ich,  aber  etwas  unterspickt  — 

Grüßer:  Bedaure,  heut  is  fleischfrei. 

Bambula  von  Feldsturm:  Was?  Fleisch- 
frei? Was  is  denn  das  wieder  für  eine  neue  Mod?! 

G  r  ü  ß  e  r :  Ja,  jetzt  is  Krieg  Herr  Major  und  da  — 

Bambula  von  Feldsturm:  Machen  S'  keine 
Spomponadeln.  Möcht  wissen,  was  das  mit  dem  Krieg 
zu  schaffen  hat,  daß  's  Fleisch  ausgeht!  Das  war 
früher  auch  nicht! 

Grüß  er:  Ja,  aber  jetzt  is  doch  Krieg,  Herr  Major! 

Bambula  von  Feldsturm  (in  größter  Erregung 
aufspringend):  Also  das  brauchen  S'  mir  nicht  immer 
unter  die  Nasen  reiben  —  immer  mit  Ihnern  Krieg, 
das  hab  ich  schon  gfressen!  Von  uns  Kameraden 
sehn  Sie  keinen  mehr  in  Ihrem  Lokal  —  wir  gehn 
zum  Leberl!  (Stürzt  davon.) 

Grüß  er:  Aber  Herr  —  Major  —  (kopfschüttelnd) 
Mirkwirdigl 

Dritter  Gast  (zu  einem  Kellner):  Gar  nix  is  da? 
Nicht  amal  a  Mehlspeis? 

Kellner:  Wienertascherl,  Anisscharten,  Eng- 
länder — 

Der  Gast:  Was?  Engländer  habts  jetzt  im  Krieg? 

Kellner:  Die  sein  noch  vom  Frieden. 

Der  Gast:  Sie,  pflanzen  S'  wem  andern,  zahlen! 


261 


Kellner:  Zahlen! 

Zweiter  Kellner:  Zahlen! 

Dritter  Kellner:  Zahlen! 

Vierter  Kellner:  Zahlen  — 

Ein  Kellnerjunge  (zu  sich):  Zahlen. 

G  r  ü  ß  e  r  (ist  an  den  Tisch  des  Nörglers  getreten,  grüßt 
und  spricht,  sich  über  ihn  beugend,  mit  starrem  Blick,  wodurch 
er  das  Aussehen  des  Todesengels  gewinnt,  erst  allmählich 
lebhafter  werdend):  Das  Wetter  scheint  sich  nach  der 
letzten  mineralogischen  Diagnose  zu  klären  und  dürfte 
auch  wieder  der  Zuspruch  ein  regerer  werden  —  waren 
gewiß  verreist,  schon  recht,  schon  recht  —  ja  jeder 
hat  heutzutag  zu  tun,  mein  Gott  der  Krieg,  das  Elend, 
man  merkts  überall  im  Gewerbestand,  wie  der  Mittel- 
stand leidet  —  die  Einflüsse  sind  noch  immer  nicht 
abzusehn  —  auch  ein  Herr  von  der  Zeitung,  ein  Dokter 
was  im  Ministerium  die  rechte  Hand  is  hat  selbst 
gesagt  —  mirkwirdig  —  hm  —  aber  mir  scheint,  heute 
keinen  rechten  Appetit,  grad  heut,  schad,  das  Vordere, 
alle  Herren  loben  sichs,  nun  dafür  das  nächste  Mal 
als  Gustostückl  ein  Protektionsportionderl  von  der 
Grüßerschnitte  —  Pol  dl  abservieren,  schlaft  wieder 
der  Mistbub,  also  djehre  djehre 

(Der  Herr  und  die  Dame  vorn  sind  eingeschlafen.) 

Kellner  (stürzt  herbei):  Bedaure,  kann  nicht 
mehr  dienen! 

Der  Herr  (erschrocken  auffahrend) :  Super  —  arbi- 
triert?  —  Ach  so.  Also  da  gefin  wir  wieder. 
(Er  erhebt  sich  mit  der  Dame.)   Adieu. 

Kellner:  Paton,  gestatten,  daß  ich  drauf  auf- 
merksam mach  für  das  nächste  Mal,  wir  sind  ein 
deutsches  Logal  und  da  derf  nicht  franzesisch 
gesprochen  wern  —  (wischt  sich  mit  dem  Hangerl  die  Stirn.) 

Der  Herr:  So  so  — 

Grüß  er  (hinter  ihnen):  Djehreguntagzwintschn- 
kstiandschamstadienermenehoachtungkomplimentan- 
dersmalwieder! 

(Verwandlung.) 


262 


18.  Szene 

Schottenring.  Frau  Pollatschek  und  Frau  Rosenberg  treten  auf, 

Frau  Rosenberg:  Verehrte  Kollegin,  für 
unser  Auftreten  gibt  es  keine  Entschuldigung!  Wir 
erwarten,  daß  wir  Hausfrauen  Österreichs  auch  weiterhin 
mit  der  Disziplin,  von  der  wir  schon  so  glänzendeProben 
abgelegt  haben,  durchhalten  und  nur  am  Donnerstag 
und  Samstag  den  Einkauf  von  Schweinefleisch  vor- 
nehmen werden.  Unsere  Ortsgruppen  werden  diese 
Fahne  hochzuhalten  wissen.  Auch  beim  Filz! 

Frau  Pollatschek:  Die  Rohö  gibt  den 
Einkauf  von  Schweinefleisch  und  Filz  für  Donnerstag 
und  Samstag  frei! 

Frau  Rosenberg:  So  ist  es!  Wir  Hausfrauen 
Österreichs  hatten  die  Pflicht,  in  dieser  die  vitalsten 
Interessen  tangierenden  Frage  ein  entscheidendes 
Wörtlein  mitzusprechen.  Wir  von  der  Rohö  konnten 
nicht  mit  verschränkten  Armen  die  Bildung  der 
Marktpreise  gewähren  lassen  und  diesen  Umtrieben 
zusehen,  speziell  beim  Vordem! 

Frau  Pollatschek:  Was  jetzt  vor  allem  not 
tut,  ist  Einheit.  Durch  Einheit  zur  Reinheit,  lautet 
mein  Wahlspruch,  namentlich  für  den  Tafelspitz! 

Frau  Rosenberg:  Und  ich  möchte  hinzu- 
fügen, wenn  meine  Meinung  in  dieser  Sache  das 
Zünglein  an  der  Wage  abgeben  soll,  daß  wir  uns 
durch  keinen  Terrorismus  abschrecken  lassen  werden. 
Per  aspera  ad  astra,  sage  ich,  wenigstens  soweit  das 
Hiefersch  wanzl  in  Betracht  kommt.  Wir  von  der  Rohö  — 

Frau  Pollatschek:  Wissen  Sie,  wer  dorten 

kommt?  Die  Bachstelz  und  die  Funk-Feigl  von  der 

Gekawe,  beide  möchten  mich  in  einem  Löffel  Suppe 

vergiften. 

(Begrüßung.) 

Frau  Bachstelz:  Nun,  verehrte  Kolleginnen, 
wir  kommen  eben  von  der  Markthalle,  was  sich  da 
tut,  speziell  mit  die  Gustostückeln,  hätte  ich  Ihnen 
gewünscht  mitanzusehn! 


263 


Frau  Funk-Feigl:  Wir  sind  nämlich  im 
Interesse  der  allgemeinen  Sache,  da  doch  jetzt  jeder 
sein  Scherflein  beitragen  muß  und  Not  an  Mann  ist, 
aus  voller  Brust  dorthin  geeilt,  denn  wir  wissen,  wo 
es  zu  kämpfen  gilt,  im  Gegensatz  zu  gewisse  andere 
Leute,  von  denen  ich  nur  das  eine  sage:  Wenn  das 
am  grünen  Holze  geschieht,  ja  dann,  meine  Damen, 
kann  ich  nur  sagen  — 

Frau  Rosenberg:  Ich  bedaure  sehr,  liebe 
Dame  — 

Frau  Funk-Feigl:  Ich  bin  für  Sie  keine  Dame, 
ich  bin  Aufsichtsrat  von  der  Gekawe  und  hab  ebenso 
ein  Recht  wie  jede  von  derRohöi  Es  ist  leicht  am 
grünen  Holz  Verordnungen  ausarbeiten  lassen,  aber 
dann?  Wie  sagt  doch  Schiller,  bitte  greif  nur  herein 
ins  volle  Menschenleben  — 

Frau  Rosenberg:  Ich  habe  nur  bemerken 
wollen,  ich  bedaure  sehr,  daß  Sie  sich  zu  Personalien 
hinreißen  lassen,  ich  weiß  ganz  gut,  daß  Ihre  heutige 
Zuschrift  in  der  Presse  seine  Spitze  gegen  die  Rohö 
nicht  verkennen  läßt,  noch  dazu  zu  einer  Zeit 
geschrieben,   wo  Sie  noch   bei   der  Rohö   waren  — 

Frau  Funk-Feigl:  Das  ist  nicht  wahr, 
das  sag  ich  meinem  Mann,  der  wird  Sie  klagen! 

Frau  Rosenberg:  Von  mir  aus!  Ich  kann 
beweisen,  was  ich  gesagt  hab.  Ich  wer'  Ihnen  vor 
Gericht  beweisen,  daß  Sie  eine  Eigenbrödlerin  sind! 
Wenigstens  hörn  Sie  einmal  die  Wahrheit!  Sie  haben 
gegen  die  Rohö  intrigiert,  wie  Sie  noch  drin  waren! 

Frau  Bachstelz:  Das  wem  Sie  zu  beweisen 
haben! 

Frau  Pollatsche k:  Ihnen  sag  ich  ins 
Gesicht,  hörn  Sie  mich  an,  jetzt  kommt  es  nicht 
darauf  an,  der  Eitelkeit  zu  fröhnen,  merken  Sie 
sich  das!  Wir  gehören  nicht  zu  jenen,  die 
separatistischen  Bestrebungen  huldigen.  Wenn  eine 
der  Rohö  angehört,  so  hat  sie  ihr  auch  mit  Leib 
und     Seele     anzugehören,     unser     Organ     ist    der 


264 


»Morgen«  und  die  Zeit  ist  viel  zu  ernst,  lassen  Sie 
sich  das  gesagt  sein,  heute,  wo  Solidarität  der 
halbe  Erfolg  ist! 

Frau  Funk-Feigl:  Von  Ihnen  wird  man 
Solidität  lernen!  Aufgewachsen  — ! 

Frau  Bachstelz:  Das  ist  echt  Rohö! 
Verleumdungen  hinter  dem  Rücken!  Wir  sparen 
uns  die  Fetten  vom  Mund  ab,  um  mit  gutem 
Beispiel  voranzugehn! 

Frau  Funk-Feigl:  Hätten  Sie  nicht  intrigiert, 
wären  wir  noch  heut  bei  der  Rohö.  Man  hat  uns 
das  Messer  an  die  Kehle  gesetzt,  bis  wir  die  Gekawe 
haben  ins  Leben  rufen  müssen.  Ich  bin  von  Pontius 
zu  Pilatus  gelaufen.  Jetzt,  das  garantier  ich  Ihnen, 
wird  Ordnung  werden,  und  das  sag  ich  Ihnen  heute, 
wenn  Sie  anfangen  wern,  unsere  Erfolge  sich 
zuzuschreiben,  wern  Sie  auf  Granit  beißen! 

Frau  Bachstelz:  Wir  sparen  uns  den  Bissen 
vom  Mund  ab  — 

Frau  Pollatschek:  Ja,  für  Reiherfedern! 

Frau  Bachstelz:  Beweisen  Sie  das! 

Frau  Pollatschek:  Samstag  im  Volks- 
theater bei  der  Premier  sind  Sie  mit  Reiherfedern 
gesehn  worn. 

Frau  Bachstelz:  Infamie!  Sie  blasen  ins 
Hörn  des  Reichsritters  Hohenblum,  schämen  sollten 
Sie  sich! 

Frau  Rosenberg:  Beweisen?  Was  heißt 
beweisen?  Auf  Ihrem  Hut  ist  der  Beweis! 

Frau  Bachstelz:  Der  is  vom  vorigen  Jahr, 
das  wissen  Sie  ganz  gut! 

Frau  Rosenberg:  Das  ist  Vogelstraußpolitik! 

Frau  Funk-Feigl:  Nebbich!  Vom  Vogel 
Strauß  tragen  Sie  selbst  was  am  Kopf! 

Frau  Rosenberg:  Der  is  vom  vorigen  Jahr, 
das  wissen  Sie  ganz  gut!  Ich  trag  eine  Kriegsblusel 

Frau  Funk-Feigl:  Nebbich! 


265 


Frau  Bachstelz:  Meine  Bluse  und  Ihre  Bluse 
—  das  is  wie  tausend  und  eine  Nacht!  Wir  waren 
es,  die  den  ersten  Schritt  ergriffen  haben  zur 
Schaffung  einer  Wiener  Mode! 

Frau  Pollatscheli:  Sie?  Mit  der  Figur! 
Großartig!  Mein  Geschmack  und  Ihr  Geschmack! 

Frau  Bachstelz  (schreiend):  Sie  haben  zu  reden! 
Wenn  die  Zeit  nicht  so  groß  war,  möcht  ich  mich 
an  Ihnen  vergreifen! 

Frau  Rosenberg:  Lassen  wir  diese  Reklam- 
macherinnen, zum  Glück  gibt  es  in  dieser  ernsten 
Stunde  vitalere  Interessen  und  wir,  wenn  wir  eine 
Phalanx  bilden,  können  wir  dieses  ohnmächtige 
Gekläffe  verachten.  Man  weiß  ja,  woher  die  ganze 
Wut  kommt. 

Frau  Bachstelz:  Sie,  wenn  Sie  noch  einmal 
diese  Verleumdung  wiederholen! 

Frau  Rosenberg:  Was  meinen  Sie?  Hab  ich 
etwas  gesagt?  Also  weil  der  Inspektor  gestern  in 
der  Gemeinschaftsküche  mit  uns  länger  gesprochen 
hat  wie  mit  Ihnen,  deshalb  müssen  Sie  nicht  gleich 
aufgeregt  sein  meine  Liebe  — ! 

Frau  Bachstelz  (in  Paroxysmus):  Diese  infame 
Insination  werden  Sie  —  warten  Sie  —  ich  schick 
meinen  Mann  über  Sie  —  passen  Sie  auf,  die  ganze 
Oezeg  kommt  über  Sie! 

Frau  Rosenberg:  Mein  Mann  wird  schon 
mit  ihm  fertig  wern  und  mit  allen,  da  können  Sie 
unbesorgt  sein!  Er  hat  die  ganze  Miag  hinter  sich! 
Ein  Wink  von  ihm,  kommt  noch  die  Ufa  und  die 
Wafa  über  Sie  —  mein  Mann  is  Verwaltungsrat! 

Frau  Bachstelz:  No,  ruft  mein  Mann  die 
Iwumba!  Mein  Mann  is  kaiserlicher  Rat!  Wie  Ihr 
Mann  enthoben  worn  is,  weiß  man! 

Frau  Rosenberg:  Ja  Protektion  hat  er 
gehabt,  no  —  und?  Sie  zerspringen,  weil  er  Ver- 
bindungen hat.  Er  is  intim  bei  der  Sawerb.  Warten  Sie, 


266 


alles  wer'  ich  in  der  Ausschußsitzung  zur  Sprache 
bringen,  für  ein  Mißtrauensvotum  in  der  General- 
versammlung garantier  ich  Ihnen! 

Frau  Funk-Feigl:  Sie  selbst  sind  der  größte 
Ausschuß,  Sie  fliegen  aus  der  Rohö  heraus,  das 
garantier  ich  Ihnen,  die  Gekawe  wird  Ihnen  zeigen  — 
ich  hab  Verbindungen,  ich  geh  hinauf  zur  Presse  — 

Frau  Pollatschek:  Im  nächsten  »Morgen« 
warn  Sie  lesen  —  warten  Sie,  wir  von  der  Rohö  — 

Frau  Funk-Feigl:  Fangen  Sie  sich  nichts 
mit  uns  an,  wir  von  der  Gekawe  — 

(Alle  vier  schreien  durcheinander,  wobei  man  aus  dem  Lärm 
nur  die  Worte  Rohö  und  Gekawe  heraushört,  und  genen  heftig 
gestikuHerend  ab.  Ein  Invalide  auf  Krücken  humpelt  vorbei. 
Eine  Bettlerin,  mit  einem  Knaben  an  der  Hand  und  einem 
Säugling  am  Arm  tritt  auf.) 

Die  Bettlerin:  Extraausgabee  —  Neue  Freie 
Presse  — 

Der  Knabe:  Neue  Feile  Pesse  — 

Der  Säugling:  Leie  —  leie  —  lelle  — 

Eine  Schwangere  geht  vorbei. 
Der  Nörgler: 
O  rührend  Anbot  in  der  Zeit  des  großen  Sterbens! 
Nein,  besser  wird  uns  dieses  Zwischenspiel  entzogen. 
Zwar  weist  es  auf  die  letzten  Spuren  von  Natur  hin, 
die  diese  Unmenschheit  noch  nicht  verlassen  konnte, 
die  Tod  beschließt  und  dennoch  Leben  nicht  verleugnet. 
Doch  es  kommt  selten  etwas  Bessres  nach.  Seht 

weg  denn, 
die  letzte  Menschlichkeit  des  heute  andern  Zielen 
verpflichteten  Geschlechts  hat  etwas  Peinigendes. 
Unheimlich  ist  die  Vorstellung,  daß  dieses  Weib  da, 
die  so  sich  zeigt,  so  stillen  Schrittes  ihre  Hoffnung 
ins  Leben  trägt,  so  voll  von  heilis-em  Auftrag, 
der  Schmerz  zugleich  und  Segen,  in  der  nächsten 

Stande 
gebären  könnte  einen  Heereslieferantcn. 


267 


Der  Stolz  der  Mutterschaft,  so  groß  in  alier  Vorzeit, 
das  größte  Mißgefühl  von  Unmaß  abzuweisen, 
war  besser  auch  so  stolz,  den  unberufnen  Blicken 
nicht  die  nur  ihm  bewußte  Harmonie  der  Schöpfung 
zu  zeigen.  Doch  vor  dieser  mißgeformten  Menschheit 
ist  er  nicht  mehr  berechtigt.  Er  soll  selber  wegsehn. 
Stolz  werde  wieder  Scham.  Sieh  du  jetzt  weg,  du 

Mutter, 
du   bist  zu   schwach   allein,   und   bist  auch 

unbescheiden; 
dies  ist  ein  gütiger  Versuch,  doch  auch  ein  Anspruch 
vor  hunderttausend  Müttern,  die  es  sehn  und  wissen, 
daß  sie  ja  doch  den  größern  Schmerz  erlitten  haben 
als  er  der  einen  erst  bevorsteht.  Geh  nach  Hause, 
was  trägst  du  deine  Bürde  auf  den  Markt,  als  wäre, 
was  du  der  Welt  zu  bieten  hast,  bei  weitem  besser 
als  das  was  sie  verloren  hat,  nein  mehr,  als  ob  nun, 
jetzt  endgiltig  das  neue,  letzte  Heil  erstünde, 
als  war'  ein  Sokrates  die  allerkleinste  Gabe, 
die  hier  in  Aussicht  steht.  Wir  haben  viel  zu  schlechte 
Erfahrungen  gemacht.  Wir  sind  in  jedem  Falle, 
und  wär's  der  beste,  nicht  mehr  neugierig  und 

wünschen, 
daß  die  Erwartung  deine  Muttersache  bleibe, 
so  keusch  wie  sie's  verdient,  bis  einstens  die 

Erfüllung 
das  Nachschaun  einer  Welt  verlohnt.  Geh  heim, 

wir  kommen, 
wenns  an  der  Zeit,  bis  dahin  mit  dir  leidend, 

Mutter, 
nicht  tieferes  Leid  für  dich  als  für  das  neue  Leben, 
das  dank  dem  Mutterfluch  einrückt  ins  alte  Sterben, 
der  Opfer  größtes  durch  Geburt.  Geh,  mach  dich 

tauglich. 

Wart  auf  den  Jahrgang.  Freiwillige,  was  bringst  du? 

Halt  dich  zuhaus,  ein  Tag  ist  wie  der  andere,  immer 

sieht  tot  wie  tot  aus.  Geh!  wir  wollen  überrascht  sein. 

(Verwandlung.) 


268 


19.  Szene 

Belgrad.  Zerstörte  Häuser.  Die  Schalek  tritt  auf. 

Die  Schalek:  Ich  habe  mich  durchgeschlagen. 
Hier  intressiert  mich  wie  immer  vor  allem  das 
allgemein  menschliche  Moment.  Das  soll  eine  Kultur 
sein?  Diese  Häuser  sind  mit  den  letzten  Geschäfts- 
häusern in  Fünfhaus  zu  vergleichen,  sie  haben 
deshalb  die  Bombardierung  verdient.  Die  Trost- 
losigkeit dieser  Stätte  ist  so  groß,  daß  an  eine 
photographische  Wiedergabe  überhaupt  nicht  zu 
denken  ist.  V/as  mich  aber  immer  wieder  empört, 
ist,  daß  die  Stadt  nicht  einmal  gepflastert  war. 
Das  mag  dem  Entschluß,  sie  dem  Erdboden  gleich 
zu  machen,  zu  Hilfe  gekommen  sein.  Nicht  einmal 
der  Konak  bietet  etwas.  Was  wir  als  Andenken 
mitgenommen  haben,  ist  nicht  der  Rede  wert.  Was 
ist  das  auch  für  ein  König,  der  ein  Porzellanservice 
von  Wahliß  hat!  Es  gibt  noch  eine  ausgleichende 
Gerechtigkeit  des  Schicksals.  Dieser  Gedanke  verfolgt 
mich  durch  ganz  Belgrad.  Wenn  man  nur  wüßte, 
ob  das  die  Häuser  derjenigen  sind,  die  den  National- 
fanatismus erfanden?  Ich  habe  mich  zur  Überzeugung 
durchgerungen,  daß  in  einer  solchen  Stadt  keine 
Individualitäten  wohnen  konnten. 

(Einige    serbische    Frauen   erscheinen,   die   ihr    entgegenlachen. 

Eine  streicht  kosend  über  die  Wange  der  Schalek.    Dann  zuckt 

ein  rasches  Gespräch   zwischen  ihnen  hin  und  her,   und  wieder 

lachen  sie  alle,  laut,  hell  und  froh.  Die  Schalek  beiseite:) 

Dieses  Lachen,  dessen  Ursache  ich  nicht  erfragen 
kann,  reißt  an  meinen  Nerven,  denn  jede  xMöglich- 
keit  auf  der  Stufenleiter  menschlicher  Gefühle  ist 
heute  denkbar,  bis  gerade  auf  das  Lachen,  für  welches 
das  zerschossene  Belgrad  keine  Gelegenheit  bietet. 

(Eine   der  serbischen   Frauen   bietet  der  Schalek   Eingemachtes 
an  und  lacht.) 

Ein  irritierendes  Rätsel. 


269 


(Ein  Dolmetsch  tritt  auf.) 

Der  Dolmetsch  (nachdeni  er  mit  den  Frauen 
gesprochen  hat):  Sie  sagen,  es  heiße  nur  ein  paar 
furchtbare  Tage  durchhalten.  Die  Eroberung  ihrer 
Stadt  halten  die  Belgrader  für  ein  Intermezzo.  Sie 
glauben,  daß  wir  wieder  bald  draußen  sein  werden, 
und  so  lachen  sie  schadenfroh. 

Die  Schalek:  Das  kann  nicht  der  einzige 
Grund  sein.  Fragen  Sie  sie,  was  sie  empfinden 
und  warum  sie  mir  Eingemachtes  gibt. 

Der  Dolmetsch  (nachdem  er  mit  der  Frau  ge- 
sprochen hat):  Sie  sagt,  nichts  könne  serbische  Gast- 
freundschaft außer  Wirkung  setzen. 

Die  Schalek:  Aber  warum  geradeEingemachtes? 

DerDolmetsch  (nachdem  er  mit  der  Frau  gesprochen 
hat):  Sie  sagt,  sie  wollten  zeigen,  daß  sie  Frauen  seien, 
und  Eingemachtes  sei  das  Gebiet  der  Frauen. 

Die  Schalek  (nimmt  das  Eingemachte):  Diese 
Frauen  will  ich  nicht  wiedersehen,  will  ihre  gräßliche 
Enttäuschung  nicht  miterleben,  denn  Schlimmeres 
noch  als  eingestürzte  Häuser  und  als  zerschossene 
Straßen,  Schlimmeres  als  die  Verjagung  des  Heeres 
und  die  Erstürmung  der  Stadt  —  das  Schlimmste 
steht  den  Serben  noch  bevor.  (Die  serbischen  Frauen  lachen. 
Die  Schalek  im  Abgehen :)  Schaudernd  ziehe  ich  davon, 
und  das  Lachen  hallt  lange  in  mir  nach. 
(Die  serbischen  Frauen  gehen  nach  der  anderen  Richtung  ab, 
man  hört  noch  ihr  Lachen.) 

(Verwandlung.) 

20.  Szene 

Vorstadtstraße.  Ein  schwer  beladener  Handwagen  von  zwei  ganz 
schwachen,  verhungerten  Kriegshunden  gezogen. 

Eine  alte  Frau  (ruft):  Das  ist  ein  Skandal! 
Das  sollt  man  dem  Ärar  anzeigen! 

Ein  Oberleutnant:  Halt!  Legitimieren  Sie 
sich!  Das  ist  eine  Beleidigung  der  Armee! 


270 


Die  Menge  (sammelt  sich  an):  A  SO  a  Urschell  — 
Gehts  wecka!  —  Wos  is  denn?  —  Nix,  a  Hofverrat 
is  haltl  —  Recht  g'schiehts  ilir,  um  die  Viecher  nimmt 
sie  sich  an,  wo  s'  selber  nix  z'  essen  hat! 

(Verwandlung.) 

21.  Szene 

Eine  Vorstadtwohnung.  An  einem  Riemen  hängt,  halbbekleidet, 
ein  etwa  zehnjähriger  Knabe,  dessen  Körper  Striemen,  Blut- 
beulen und  Flecken  aufweist.  Er  ist  völlig  verwahrlost,  anscheinend 
halb  verhungert.  Der  Knabe  heult.  Eine  Nachbarin  steht  hände- 
ringend in  der  Tür.  Der  Vater  (in  Uniform)  liegt  auf  dem  Sofa. 

Eine  Nachbarin  (zu  der  Mutter,  die  einen  Topf  auf 
den  Herd  setzt):  Aber  Frau  Liebal,  wie  können  S'  denn 
den  Buben  nur  so  zurichten?  Wenn  ich  das  bei 
Gericht  anzeig,  kriegn  S'  an  Verweis  I 

Die  Mutter:  Hörn  S'  Frau  Sikora,  der  Bub 
is  Ihna  so  obstinat,  daß  S'  Ihna  gar  keine  Vorstellung 
net  machen.   A  warms  Frühstück  will  er  habnl 

Der  Vater:  Was  ham  S'  denn  Mitleid  mit 
dem  Bankert?  Heut  is  er  eh  scho  wieda  beinand. 
Aber  neulich  hab  i  ihn  hergnommen  und  ihn  so  mit 
dem  Bajonett  trischackt,  daß  i  glaubt  hab,  er  bleibt  mr 
unter  die  Hand.  Sehn  S',  er  hat  sich  eh  wieder  erholt! 

Die  Nachbarin:  Herr  Liebal,  Herr  Liebal, 
damit  is  nicht  zu  spassen,  geben  S'  Obacht,  Sie 
wern  amal  an  Verweis  kriegn! 

(Verwandlung.) 

22.  Szene 

Standort  des  Hauptquartiers.    Eine  Straße.   Man  sieht  Heeres- 
lieferanten, Offiziere,  Prostituierte,  Journalisten. 
Ein   Hauptmann   des   Kriegspressequartiers   und  ein   Journalist 
treten  auf. 

Hauptmann:  Also,  den  Prospekt  für  das 
Werk  »Unsere  Heerführer«  —  hörn  S'  zu  Dokterl 
und  schaun  S'  sich  nicht  allerweil  nach  die 
Menscher  um,  jetzt  is  Krieg  —  also  den  Prospekt 


271 


hab  ich  fertig  und  jetzt  müssen  S'  ihn  wenn  noch 
ein  Fehler  is,  umbessern.  (Er  liest  vor.)  »Wenn  einst 
die  brandenden  Fluten  des  Weltkrieges  verrauscht  sind, 
wenn  die  tröstende  Zeit  die  Wunden  geheilt,  die 
Augen  getrocknet  hat,  dann  schauen  wir  klaren 
Blickes  zurück  auf  die  glorreichen  Tage,  da  eiserne 
Fäuste  das  Weltgeschick  schmiedeten!«  Jetzt  separate 
Zeilen,  passen  S'  auf  —  »Und  über  allem  tauchen  die 
Gestalten  jener  Männer  auf,  die  in  dieser  Zeit  unser 
und   unseres   Vaterlands  Schicksal  gewesen.«   Fett! 

(Man  sieht  im  Hintergrund  einen  älteren  Icorpulenten  Herrn 
mit  Koteletts  und  Zwicker,  der  in  jeder  Hand  einen  Marschalls- 
stab trägt,    über    die    Bühne    von    rechts    nach    links    gehen.) 

»Voll  Verehrung  und  Liebe  blicken  wir  auf  sie,  die 
berufen  waren,  in  unermüdlich  heißem  Ringen,  gleich 
jenen  Helden  in  der  vordersten  Front,  das  Schlachten- 
geschick zu  lenken  — « 

DerJournalist:  Moment,  die  Heerführer  sind 
also  genau  so  viel  wie  die  Helden  in  der  vordersten 
Front,  die  das  Schlachtengeschick  lenken,  also  wieso? 

Der  Hauptmann:  Machen  S'  keine  Gspaß, 
sonst  schick  ich  Ihna  selbst  an  die  Front. 

Der  Journalist:  Sie  —  mich? 

Der  Hauptmann:  Tun  S'  Ihnen  nix  an. 
Wenn  der  Prospekt  schön  ausfallt,  is  keine  Gefahr 
mehr  für  mich.  Hörn  S'  zu  Dokterl.  »Begeisterung 
und  innigste  Dankbarkeit  soll  diesen  Helden  — « 

Der  Journalist:  Den  Schlachtenlenkern  in 
der  vordersten  Front?  Ach  so,  ich  versteh,  jetzt 
meinen  Sie  wieder  die  Heerführer. 

Der  Hauptmann:  Pflanzen  S'  wen  andern, 
also  » —  in  unseren  Herzen  ein  Denkmal  errichten 
und  sie  dauernd  darin  fortleben  lassen,  als  Beispiel 
höchster  Pflichterfüllung  und  Aufopferung  für  das 
Wohl  des  Vaterlandes.«  Noch  fetter! 

(Man  sieht  im  Hintergrund  den  älteren  korpulenten  Herrn 
mit  Koteletts  und  Zwicker,  der  in  jeder  Hand  einen  Marschalls- 
stab   trägt,    über    die    Bühne   von    links   nach    rechts   gehen.) 


272 


Hören  S'  zu  Dokterl  und  schaun  S'  sich  nicht 
allerweil  nach  die  Menscher  um !  »Maler  Oskar  Bruch 
hat  diesem  Denkmal  in  edler  Weise  greifbare 
Formen  verliehen.  Lebenswahr  und  charakteristisch 
hielt  sein  Griffel  ihre  Züge  fest  und  schuf  so  ein 
Werk  , Unsere  Heerführer'  von  historischer  Bedeutung, 
welches  berufen  sein  wird,  nicht  allein  Namen  und 
Bilder  der  Großen  unserer  Zeit  —  «   Am  fettesten! 

(Man  sieht  im  Hintergrund  jenen  älteren  Icorpulenten  Herrn 
mit  Koteletts  und  Zwicker,  der  in  jeder  Hand  einen  Marschalls- 
stab   trägt,    über   die   Bühne   von    rechts   nach    links    gehen.) 

»der  Nachwelt  zu  tiberliefern,  sondern  auch  eine 
Zierde  jeder  Bibliothek  und  jedes  Hauses  zu 
werden  —  «  Jetzt  muß  noch  was  über  die 
geschichtliche  Bedeutung  der  einzelnen  Dargestellten 
kommen  —  ja  meine  Herrn,  dreht  sich  schon 
wieder  um,  Sie  mein  Lieber,  wir  sind  hier  im  AOK 
und  schließlich  in  kan  Bordell,  verstanden? 

Der  Journalist:  Sie,  war  das  nicht  die 
Kamilla  vom  Oberstleutnant? 

Der  Hauptmann:  Wenn  S'  an  Gusto  haben, 
schick  ich  s'  Ihnen  zur  Konschtatierung,  aber  den 
Prospekt  müssen  S'  mir  durchsehn  — 

Der  Journalist:  Gemacht. 

Der  Hauptmann:  Und  dann  kommt  was 
über  die  Mappe,  außerordentlich  vornehm  gehalten, 
erlesenster  Geschmack,  günstige  Bezugsbedingungen, 
Unterschrift  k.  u.  k.  Kriegsministerium.  Punktum. 
No  was  sagn  S'  Dokterl? 

Der  Journalist:  Herr  Hauptmann,  ich  mach 
Ihnen  mein  Kompliment,  wie  Sie  die  Sprache 
beherrschen,  kein  Beruisjournalist  hätte  dp.s  wirk- 
samer abfassen  können. 

Der  Hauptmann:  Was?  Und  richtig,  vorn 
am  Prospekt  geben  wir  als  Illustrationsprobe,  damit 
man  gleich  einen  Begriff  bekommt  vom  Weltgeschick 


273 


und  von  der  höxten  Aufopferung,  das  Bild  jenes 
Mannes,  der  uns  das  alles  in  einer  geradezu  beispiel- 
gebenden Weise  verkörpert! 

(Alan  sieht  im  Hintergrund  den  älteren  korpulenten  Herrn 
mit  Koteletts  und  Zwicker,  der  in  jeder  Hand  einen  Marschalis- 
stab  tiä;^t,    ül  er   die   Bühne   von    links    nach    rechts    ^ehen.) 

(Verwandlung.) 

23.  Szene 

Innere  Stadt.    Ein  blinder  Soldat   ohne  Arme   und  Beine   wird 

von  einem  andern  Invaliden  in  einem  Wagen  vorwärtsgeschoben. 

Sie  warten,  denn  ein  Revolverjournalist  steht  im  Gespräch  mit 

einem  Agenten  auf  dem  engen  Trottoir. 

Der  Invalide:  Entschuldigen  — 

Der  Revolverjournalist:  Ich  bitt  Sie,  was 
wollen  Sie  haben,  80  Zeilen  sind  mir  letzten  Montag 
gestrichen  worn. 

Der  Agent:  Aus  dem  Artikel  gegen  Budi- 
schovsky  &  Comp,  wegen  der  Lieferung? 

Der  Revolverjournalist:  Ja  —  früher, 
wenn  so  etwas  gesetzt  war  und  es  is  dann  nicht 
erschienen,  hat  man  verdient.  Und  wenn  man  nicht 
verdient  hat,  dann  hat  man  eben  erscheinen  lassen 
und  hat  sicher  das  nächste  Mal  verdient.  Jetzt  erscheint 
ein  Angriff  nicht  und  man  hat  rein  nichts  davon. 

Der  Agent:  Hat  Budischovsky  gewußt? 

Der  Revolverjournalist:  Ja  —  aber  die 
Leute  verlassen  sich  jetzt  auf  die  Zensur.  No,  denen 
wird  aber  ein  gesunder  Strich  durch  die  Rechnung 
gemacht  wern,  warten  Sie  nur  bis  andere  Verhältnisse 
kommen.  Bis  dahin  soll  sich  die  Zensur  nur  mit 
uns  spielen.  Passen  Sie  auf,  nächstens  was  ich  loslaß, 
das  wird  eine  Nommer  —  prima! 

Der  Agent:  Ich  bin  gespannt. 

Der  Revolver  Journalist:  Da  geb  ich  es 
einmal  der  Zensur.  Ich  setze  auseinander,  wie 
unvernünftig  dieses  Vorgehn  von  der  Regierung  ist, 
sie    schützt    die  Lieferanten    gegen    uns,    uns    aber 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  18 


274 


braucht  sie  mehr  wie  die  Lieferanten.  Wir  können 
nicht  mehr  exestieren.  Die  Presse  hat  im  Krieg 
ihre  Pflicht  in  geradezu  vorbildlicher  Weise  erfüllt, 
stell  ich  dar,  unser  Dienst  ist  ein  ebenso  ver- 
antwortungsvoller wie  der  des  Soldaten,  stell  ich 
dar,  wir  haben  ausgeharrt  wie  die  im  Schützengraben 
und  ohne  Lohn! 

Der  Invalide:  Entschuldigen  — 

(Verwandlung.) 

24.  Szene 

Während    der  Vorstellung   in   einem  Vorstadttheater.    Auf  der 
Szene  die  Niese  und  ein  Partner. 

Die  Niese  (in  der  Rolle):  Was,  a  Busserl 
woUn  S'  haben?  Sie,  ein  einfacher  Soldat? 
Was  Ihnen  net  einfallt!  Ja,  euch  allen  z'samm, 
euch  braven  Soldaten,  möcht'  ich  schon  eins 
geben  —  aber  einem  allein?  Oh  nein!  Nur  allen 
auf  einmal  (sich  besinnend)  oder  —  doch,  einem  für 
euch  alle!  —  einem  einzigen  Soldaten  möcht  ich 
ein  Busserl  geben!  Aufpappen  möcht  ich's  eahm, 
daß  die  Wienerstadt  wackelt  und  der  Stefansturm 
zum  zappeln  anfangt.  Und  dieser  eine,  einzige 
Soldat  —  das  is  —  (an  die  Rampe  tretend,  durch  und 
durch  bewegt)  unser  Haber  —  guater  —  alter  Herr  in 
Schönbrunn!  Aber  leider  —  grad  der  —  is 
unzugänglich ! 

(Orkanartiger  Beifallssturm.  Ein  Theaterdiener  erscheint  auf  der 
Szene  und  überreicht  der  Schauspielerin  eine  Extraausgabe.) 

Die  Niese:  Geben  S'  her!  Was  die  Gerda 
Walde  trifft,  triff  ich  auch! 

Das  Publikum:  Bravo  Niese !  (Die  Niese  liest  unter 

größter  Spannung  des  Publikums  vor:) durch   die 

unvergleichliche  Bravour  unserer  braven  Truppen 
Czernowitz  genomn.en!  (Ungeheurer  Beifall.) 

Das  Publikum:  Hoch!  Hoch!  Hoch  Niese! 
(Verwandlung.) 


275 


25.  Szene 

Beim  Wolf  in  Gersthof.  Am  Abend  des  Tages,  an  dem  Czernowitz 
wieder  von  den  Russen  genommen  war.  An  einem  Tisch  sitzt 
der  Generalinspektor  des  Roten  Kreuzes,  Erzherzog  Franz  Salvator, 
sein  Kammervorsteher,  zwei  Aristokraten  und  die  Putzi.  Musik  und 
Gesang:  Jessas  na,  uns  geht's  guat,  ja  das  liegt  schon  so  im  Bluat. 

Ein  Gast  (zum  Wolf):  —  effektiv  der  Salvator 
oder  nur  eine  starke  Ähnlichkeit? 

Wolf:  Nein,  nein,  er  is',  der  Herr  können 
sich  verlassen. 

Der  Gast:  Aber  das  kann  doch  nicht  —  und 
grad  heut?  Der  Schwiegersohn  vom  Kaiser? 

Wolf:  Aber  ja! 

Der  Gast:  Der  die  Valerie  hat? 

Wolf:  Der  nämliche. 

Der  Gast:  Sagen  Sie,  sind  die  Herrschaften 
zufällig  da? 

Wolf:  Nein,  sehr  oft,  heut  nachmittag  schon 
telephonisch  reservieren  lassen.  Pardon,  ich  muß  — 

(Der  Wolf  und  zwei  andere  Volkssänger  nehmen  neben  dem  Tisch 
der  Herrschaften  Aufstellung,  die  Musik  intoniert  die  Melodie  vom 
>Guaten  alten  Herrn«.  Die  Volkssänger,  ins  Ohr  des  Erzherzogs:) 

Draußen  im  Schönbrunner  Park 

Sitzt  ein  guater  alter  Herr, 

Hat  das  Herz  von  Sorgen  schwer  — 

(Verwandlung.) 

26.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Patriot:  Also  was  sagen  Sie  jetzt? 

Der  Abonnent:  Was  soll  ich  sagen?  Wenn 
Sie  vielleicht  meinen  wegen  dem  Augenleiden  des 
Sir  Edward  Grey,  so  sag  ich,  so  soll  es  allen  gehn! 

Der  Patriot:  Auch,  aber  was  sagen  Sie  zu 
Knebelung   der   öffentlichen   Meinung  in   England? 

DerAbonnent:  Weiß  schon,  der  Herausgeber 
des   Labour   Leader   wurde    vor    das    Polizeigericht 


18* 


276 


geladen,  weil  gewisse  Veröffentlichungen  des  Blattes 
gegen  die  Reichsverteidigungsakte  verstoßen.  Wegen 
so  was! 

Der  Patriot:  No  und  Frankreich  is  e  Hund?  Was 
sagen  Sie  zu  Frankreich?  Wissen  Sie  was  es  dort  gibt? 

Der  Abonnent:  Gefängnisstrafen  für  Ver- 
breitung der  Wahrheit  in  Frankreich.  Sie  meinen 
doch  die  Dame,  die  gesagt  hat  — 

Der  Patriot:  Auch,  aber  jetzt  hat  ein  Herr 
gesagt  — 

Der  Abonnent:  Natürlich,  ein  Herr  hat 
gesagt,  Frankreich  hat  keine  Munition,  und  dafür 
gibt  man  ihm  20  Tage!  Er  hat  gesagt,  die  Alliierten 
sind  in  schlechter  Lage  und  Deutschland  war  für 
den  Krieg  gerüstet  — 

Der  Patriot:  Bitt  Sie,  erklären  Sie  mir  das, 
ich  versteh  nämlich  diese  Fälle  nicht,  is  es  also 
unwahr,  zu  sagen,  Deutschland  war  gerüstet  oder 
is  es  wahr,  zu  sagen,  Deutschland  war  nicht  gerüstet  — 

Der  Abonnent:  No  war  denn  Deutschland 
gerüstet? 

Der  Patriot:  Also  wie  — ? 

Der  Abonnent:  Merken  Sie  sich  ein  für  alle 
Mal.  Deutschland  is  bekanntlich  überfallen  worn, 
schon  im  März  1914  waren  sibirische  Regimenter  — 

Der  Patriot:  Natürlich. 

Der  Abonnent:  Deutschland  war  also  voll- 
ständig gerüstet  für  einen  Verteidigungskrieg,  den 
es  schon  lang  führen  wollte,  und  die  Entente  hat 
schon  lang  einen  Angriffskrieg  führen  wollen,  für 
den  sie  aber  nicht  gerüstet  war. 

Der  Patriot:  Sehn  Sie,  jetzt  klärt  sich  mir 
der  scheinbare  Widerspruch  auf.  Manchesmal  glaubt 
man  schon,  es  is  etwas  wahr,  und  doch  is  es  unwahr. 

Der  Abonnent:  In  der  Presse  is  das  oft 
sehr  übersichtlich,  in  zwei  Spalten  nebeneinander, 
und  das  hat  den  Vorteil,  daß  man  ganz  klar  den 
Unterschied  sieht  zwischen  uns  und  jenen. 


277 


Der  Patriot:  No  haben  Sie  gelesen? 
Plünderungen  und  Verwüstungen  der  italienischen 
Soldaten!  Nicht  weniger  als  500,000  Kronen  haben 
sie  in  Gradiska  aus  einer  Panzerl^assa  genommen,  und 
außerdem  noch  12.000  Kronen  aus  noch  einer  Kassa! 

Der  Abonnent:  Hab  ich  gelesen.  Eine  Bande! 
Was  sagen  Sie  zum  kolossalen  Erfolg  der  Deutschen? 

Der  Patriot:  Hab  ich  nicht  gelesen,  wo 
steht  das? 

Der  Abonnent:  Frag!  Gleich  daneben  in 
der  Spalte!  Mir  scheint,  Sie  lesen  nicht  ordentlich  — 

Der  Patriot:  Gleich  daneben  in  der  Spalte? 
Das  muß  mir  rein  entgangen  sein.  Wo  war  der  Erfolg? 

DerAbonnent:  Bei  Nowogeorgiewsk.  »Gold 
in  der  Beute  von  Nowogeorgiewsk«   war   der  Titel. 

Der  Patriot:  No  was  is  da  gestanden? 

Der  Abonnent:  Da  is  gestanden,  unter  der 
Siegesbeute  in  Nowogeorgiewsk  befanden  sich  auch 
zwei  Millionen  Rubel  in  Gold. 

Der  Patriot:  Großartig!  Was  die  anpacken  — ! 

(Verwandlung.) 

27.  Szene 

Standort  in  der  Nähe  des  Uzsok-Passes. 

Ein  österreichischer  General  (im  Kreise 
seiner  Offiziere):  —  An  keinem  von  uns,  meine  Herrn, 
is  der  Krieg  spurlos  vorübergegangen,  wir  können 
sagen,  wir  ham  was  glernt.  Aber,  meine  Herrn, 
fertig  sind  wir  noch  lange  nicht  —  da  ham  wir 
noch  viel  zu  tun,  ojehi  Wir  ham  Siege  an  unsere 
Fahnen  geheftet,  schöne  Siege,  das  muß  uns  der  Neid 
lassen,  aber  es  is  unerläßlich,  daß  wir  fürn  nächsten 
Krieg  die  Organisation  bei  uns  einführn.  Gewiß, 
wir  ham  Talente  in  Hülle  und  Fülle,  aber  uns  fehlt 
die  Organisation.  Es  müßte  der  Ehrgeiz  von  einem 
jeden  von  Ihnen  sein,  die  Organisation  bei  uns  ein- 
zuführn.  Schaun  S'  meine  Herrn,  da  können  S'  sagen 


278 


was  Sie  wolln  gegen  die  Deutschen  —  eines  muß 
ihnen  der  Neid  lassen,  sie  ham  halt  doch  die 
Organisation  —  ich  sag  immer  und  darauf  halt  ich: 
wenn  nur  a  bisserl  a  Organisation  bei  uns  war, 
nacher  gingets  schon  —  aber  so,  was  uns  fehlt,  is 
halt  doch  die  Organisation.  Das  ham  die  Deutschen 
vor  uns  voraus,  das  muß  ihnen  der  Neid  lassen.  Gewiß, 
auch  wir  ham  vor  ihnen  manches  voraus,  zum  Beispiel 
das  gewisse  Etwas,  den  Schan,  das  Schenesequa,  die 
Gemütlichkeit,  das  muß  uns  der  Neid  lassen  —  aber 
wenn  wir  in  einer  Schlamastik  sind,  da  kommen  halt 
die  Deutschen  mit  ihnerer  Organisation  und  — 

Ein  preußischer  Leutnant  (erscheint  in  der 
Tür  und  ruft  nach  hinten):  Die  Panjebrüder  solln  sich 
mal  fein  gedulden,  das  dicke  Ende  kommt  nach! 
(stürmt  in  das  Zimmer,  ohne  zu  salutieren,  geht  geradezu 
auf  den  General  los  und  ruft,  ihm  fest  ins  Auge  sehend:) 
Na  sagen  Se  mal  Exzellenz  könnt  ihr  Östreicher 
denn  nich  von  alleene  mit  dem  ollen  Uschook 
fertich  werden?  (Ab.) 

Der  General  (der  eine  Weile  verdutzt  dagestanden  ist): 

Ja  was  war  denn  —  nacher  das?  (Sich  an  die  Umstehenden 

wendend)  Sehn  S'  meine  Herrn  —  Schneid  haben  s' 

und  was  die  Hauptsach  is  —  halt  die  Organisation! 

(Verwandlung.) 

28.  Szene 

Hauptquartier.  Kinotheater.  In  der  ersten  Reihe  sitzt  der  Armee- 
oberkommandant Erzherzog  Friedrich.  Ihm  zur  Seite  sein  Gast, 
der  König  Ferdinand  von  Bulgarien.  Es  wird  ein  Sascha-Film 
vorgeführt,  der  in  sämtlichen  Bildern  Mörserwirkungen  darstellt. 
Man  sieht  Rauch  aufsteigen  und  Soldaten  fallen.  Der  Vorgang 
wiederholt  sich  während  anderthalb  Stunden  vierzehnmal.  Das 
militärische  Publikum  sieht  mit  fachmännischer  Aufmerksamkeit 
zu.  Man  hört  keinen  Laut.  Nur  bei  jedem  Bild,  in  dem  Augen- 
blick, in  dem  der  Mörser  seine  Wirkung  übt,  hört  man  aus  der 
vordersten  Reihe  das  Wort: 

Bumsti! 

(Verwandlung.) 


279 


29,  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Ja,  was  wäre  dann  nach 
Ihrer  Ansicht  der  Heldentod? 

Der  Nörgler:  Ein  unglücklicher  Zufall. 

Der  Optimist:  Wenn  das  Vaterland  so 
dächte  wie  Sie,  würde  es  gut  aussehn! 

Der  Nörgler:  Das  Vaterland  denkt  so. 

Der  Optimist:  Wie,  es  nennt  den  Heldentod 
ein  Unglück,  einen  Zufall? 

Der  Nörgler:  Annähernd,  es  nennt  ihn  einen 
schweren  Schicksalsschlag. 

Der  Optimist:  Wer?  Wo?  Es  gibt  keinen 
militärischen  Nachruf,  wo  nicht  davon  die  Rede  wäre, 
es  sei  einem  Soldaten  vergönnt  gewesen,  den  Tod 
für  das  Vaterland  zu  sterben,  und  es  erscheint  keine 
Parte,  in  der  nicht  der  bescheidenste  Privatmann, 
der  wohl  sonst  von  einem  schweren  Schicksalsschlag 
gesprochen  hätte,  in  schlichten  Worten,  gewisser- 
maßen stolz  bekanntgäbe,  sein  Sohn  sei  den 
Heldentod  gestorben.  Sehen  Sie,  zum  Beispiel  hier, 
in  der  heutigen  Neuen  Freien  Presse. 

Der  Nörgler:  Ich  sehe.  Aber  blättern  Sie 
im  Text  zurück.  So.  Hier  dankt  der  Generalstabschef 
Conrad  von  Hötzendorf  dem  Bürgermeister  für  dessen 
Kondolenz  »anläßlich  des  grausamen  Schicksals- 
schlages«, der  ihn  getroffen  hat,  da  sein  Sohn 
gefallen  ist.  Er  hat  auch  in  der  Todesanzeige  so 
gesprochen.  Sie  haben  ganz  recht,  jeder  Raten- 
händler, dessen  Sohn  gefallen  ist,  nimmt  die  staatlich 
vorgeschriebene  Haltung  des  Heldenvaters  an. 
Der  Chef  des  Generalstabs  entsagt  der  Maske  und 
kehrt  zum  alten  bescheidenen  Gefühl  zurück,  das 
hier  wie  vor  keinem  andern  Tod  berechtigt  ist  und 
in  der  konventionellen  Formel  noch  lebt.  Eine 
bayrische  Prinzessin  hat  einem  Verwandten  zum 
Heldentod    seines    Sohnes    gratuliert.    Auf    solcher 


280 


gesellschaftlichen  Höhe  besteht  eine  gewisse  Ver- 
pflichtung zum  Megärentum.  Der  Chef  unseres 
Generalstabes  läßt  sich  nicht  nur  kondolieren, 
sondern  beklagt  sich  auch  immer  wieder  über  das 
grausame  Schicksal.  Der  Mann,  der  eben  diesem 
Schicksal  doch  etwas  näher  steht  als  das  ganze 
Ensemble,  als  die  Soldaten,  die  es  treffen  kann, 
und  als  die  Väter  der  Soldaten,  die  es  beklagen 
können  —  wenn  schon  nicht  dessen  Autor,  so  doch 
dessen  Regisseur  oder  sagen  wir  verantwortlicher 
Spielleiter,  und  wenn  das  nicht,  so  wenigstens  dessen 
Inspizient  —  eben  der  spricht  vom  grausamen 
Schicksalsschlag.  Und  er  sagt  die  Wahrheit,  und 
alle  andern  müssen  lügen.  Er  hat  mit  seinem 
privaten  Schmerz  aus  der  heroischen  Verpflichtung 
glücklich  heimgefunden.  Die  andern  bleiben  darin 
gefangen.  Sie  müssen  lügen. 

Der  Optimist:  Nein,  sie  lügen  nicht.  Das 
Volk  steht  dem  Heldentod  durchaus  pathetisch 
gegenüber  und  die  Aussicht,  auf  dem  Felde  der 
Ehre  zu  sterben,  hat  für  die  Söhne  des  Volkes 
vielfach  etwas  Berauschendes. 

Der  Nörgler:  Leider  auch  für  die  Mütter, 
die  auf  ihre  Macht  verzichtet  haben,  das  Zeitalter 
aus  dieser  Schmach  zu  retten. 

Der  Optimist:  Für  Ihr  zersetzendes  Denken 
waren  sie  eben  noch  nicht  reif.  Und  das  Vaterland 
als  solches  erst  recht  nicht.  Daß  die  Oberen  so 
denken,  so  denken  müssen,  versteht  sich  von  selbst. 
Der  Fall,  den  Sie  berührt  haben,  ist  ein  Zufall. 
Baron  Conrad  hat  einfach  etwas  Konventionelles 
hingeschrieben.  Er  hat  es  sich  entgleiten  lassen  — 

Der  Nörgler:  Ja,  ein  Gefühl. 

Der  Optimist:  Jedenfalls  beweist  der  Fall 
nichts.  Etwas  anderes,  das  ich  Ihnen  zeigen  will, 
beweist  mehr  und  alles  für  meine  Auffassung.  Da 
werden  selbst  Sie  einen  Beweis  haben  — 

Der  Nörgler:  Wofür? 


281 


Der  Optimist:  Für  die  geradezu  zauberhafte 
Einigkeit,  für  dieses  Zusamnienstehn  in  gemeinsamem 
Leid,  wo  alle  Stände  wetteifern  — 

Der  Nörgler:  Zur  Sache! 

Der  Optimist:  Hier  —  warten  Sie,  das 
muß  ich  Ihnen  vorlesen,  damit  ich  auch  sicher 
bin,  daß  Ihnen  kein  Wort  entgeht:  »Eine  Kund- 
gebung des  Kriegsministeriums.  Das  Telegraphen- 
Korrespondenzbüro  teilt  mit:  Das  k,  u.  k.  Kriegs- 
ministerium bewilligt,  daß  der  gesamten  Arbeiter- 
schaft, welche  in  jenen  Betrieben  beschäftigt 
ist,  die  sich  mit  der  Munitionserzeugung  und 
Elaborierung  sowie  mit  der  Erzeugung  von  Train- 
material befassen,  der  18.  August  d.  J.  als  besonderer 
Feiertag  freigegeben  werde.  Bei  dieser  Gelegenheit 
sieht  sich  das  Kriegsministerium  veranlaßt,  die 
besondere  Pflichttreue  und  den  unermüdlichen  Fleiß 
aller  jener  Arbeitskräfte  hervorzuheben,  die  unseren 
unvergleichlich  tapferen  Truppen  durch  ihrer  Hände 
Fleiß  mitverholfen  haben,  die  hehren  Siegeslorbeeren 
in  todesverachtender  Tapferkeit  zu  erwerben.«  Nun? 

(Der  Nörgler  schweigt.) 

Es  scheint  Ihnen  die  Rede  verschlagen  zu  haben? 
Die  sozialdemokratische  Presse  druckt  es  unter  dem 
stolzen  Titel:  »Die  Leistung  der  Arbeiter  wird 
anerkannt«.  Und  wie  viele  dieser  Arbeitskräfte  mögen 
unglücklich  darüber  sein,  daß  sie  zur  Belohnung  bloß 
einen  Tag,  wenn's  auch  Kaisers  Geburtstag  ist, 
frei  bekommen  — 

Der  Nörgler:  Gewiß. 

Der  Optimist:  —  anstatt  daß  man  ihnen 
die  Genugtuung  widerfahren  ließe,  sie  endlich  aus 
der  Fabrik  herauszunehmen  — 

Der  Nörgler:  Allerdings. 

DerOptimist:  —  und  ihnen  Gelegenheit  gibt, 
die  Munition,  die  sie  dort  nur  zu  erzeugen  haben, 
endlich    auch    an    der   Front   erproben   zu    dürfen! 


282 


Die  Wackern  sind  gewiß  untröstlich  darüber,  daß  sie 
nur  mit  ihrer  Hände  Fleiß  zu  ihren  Volks-  und 
Klassengenossen  stehen  sollen  und  sich  ihnen 
nicht  auch  ihrerseits  in  todesverachtender  Tapferkeit 
anschließen  dürfen.  Die  Gelegenheit,  an  die  Front 
zu  kommen,  die  höchste  Auszeichnung,  die  einem 
Sterblichen  — 

Der  Nörgler:  Die  Sterblichkeit  scheint  im 
Qualitätsnachweis  hauptsächlich  erfordert  zu  werden. 
Sie  meinen  also,  daß  die  Zuweisung  an  die  Front  als 
höchster  Lohn  empfunden  wird,  nämlich  von  dem 
Empfänger? 

Der  Optimist:  Jawohl  das  meine  ich. 

Der  Nörgler:  Das  kann  schon  sein.  Meinen  Sie 
aber  auch,  daß  sie  als  höchster  Lohn  vergeben  wird? 

Der  Optimist:  Das  doch  sicher!  Es  scheint 
Ihnen  die  Rede  verschlagen  zu  haben. 

Der  Nörgler:  In  der  Tat,  und  darum  bin  ich 
statt  eigener  Worte  nur  in  der  Lage,  mich  mit  dem 
Text  einer  Kundgebung  zu  revanchieren.  Ich  werde  sie 
Ihnen  vorlesen,  damit  ich  auch  sicher  bin,  daß  Ihnen 
kein  Wort  entgeht. 

Der  Optimist:  Aus  einer  Zeitung? 

Der  Nörgler:  Nein,  sie  dürfte  kaum  ver- 
öffentlicht werden  können,  Sie  würde  wie  ein 
weißer  Fleck  aussehen  Sie  ist  aber  in  jenen 
industriellen  Betrieben  affichiert,  die  sich  durch  die 
Wohltat,  unter  staatlichen  Schutz  gestellt  zu  sein, 
jede  Unzufriedenheit  der  Arbeiterschaft  vom  Hals  zu 
schaffen  gewußt  haben. 

Der  Optimist:  Sie  haben  doch  gehört,  daß 
die  Arbeiterschaft  mit  Begeisterung  bei  der  Sache 
ist  und  höchstens  unzufrieden,  weil  sie  nicht  anders 
mitwirken  kann.  Wenn  sogar  das  Kriegsministerium 
selbst  die  Hingabe  anerkennt  — 

Der  Nörgler:  Sie  scheinen  die  Rede,  die  es 
mir  verschlagen  hat,  ersetzen  zu  wollen.  So  lassen  Sie 
doch    das    Kriegsministerium    zu    Worte    kommen! 


283 


»14.  VI.  15.  Dem  Kriegsministerium  wurde  zur 
Kenntnis  gebracht,  daß  das  Verhalten  der  Arbeiter  bei 
zahlreichen  industriellen  Betrieben,  welche  auf  Grund 
des  Kriegsleistungsgesetzes  in  Anspruch  genommen 
sind,  in  disziplinarer  und  moralischer  Hinsicht  außer- 
ordentlich ungünstig  ist.  Unbotmäßigkeiten,  Frech- 
heiten, Auflehnung  gegen  die  Arbeitsleiter  und  Meister, 
passive  Resistenz,  mutwillige  Beschädigung  von 
Maschinen,  eigenmächtiges  Verlassen  der  Arbeits- 
stätten etc.  sind  Delikte,  gegen  welche  sich  auch  die 
Anwendung  des  Strafverfahrens  in  vielen  Fällen  als 
wirkungslos  erweist  — « 

Der  Optimist:  Offenbar  sind  die  Leute  schon 
ungeduldig,  an  die  Front  zu  kommen.  Diese  Aus- 
zeichnung wird  ihnen  vorenthalten  — 

Der  Nörgler:  Nein,  sie  wird  ihnen  angeboten: 
»Das  Kriegsministerium  sieht  sich  daher  zu  der  Ver- 
fügung veranlaßt,  daß  in  solchen  Fällen  unbedingt  die 
gerichtliche  Ahndung  in  Anwendung  zu  bringen  ist. 
Die  diesfalls  vorgesehenen  Strafen  sind  empfindlich 
und  können  durch  entsprechende  Verschärfungen  noch 
empfindlicher  gestaltet  werden,  auch  bezieht  der 
Verurteilte  während  der  Haft  keinen  Lohn,  so  daß  die 
gerichtliche  Verurteilung  gerade  in  solchen  Fällen  ein 
höchst  wirksames  Abschreckungs-  und  Besserungs- 
mittel sein  dürfte  — « 

Der  Optimist:  Nun  ja,  das  sind  harte  Strafen, 
und  solche  Elemente  haben  auch  die  Aussicht  verwirkt, 
je  noch  an  die  Front  geschickt  zu  werden. 

DerNörgler:  Nicht  so  ganz.  »Jene  kriegsdienst- 
pflichtigen Arbeiter,  welche  bei  gerichtlich  zu  ahnden- 
den Ausschreitungen  als  Rädelsführer  ausgeforscht 
werden,  sind  nach  der  gerichtlichen  Austragung  der 
Angelegenheit  und  nach  erfolgter  Abbüßung  der  Strafe 
nicht  mehr  in  den  Betrieb  einzuleilen,  sondern  seitens 
der  militärischen  Leiter  der  betreffenden  Unterneh- 
mungen dem  nächsten  Erg.  Bez.  Kom.  behufs  Ein- 
rückung  zu   den   zuständigen   Truppenkörpern   zu 


284 


übergeben.  Dort  sind  diese  Leute  sofort  der  Aus- 
bildung zu  unterziehen  und  beim  näctisten  Marsch- 
Baon  einzuteilen.  Ist  der  betreff,  einrückend 
gemachte  Arbeiter  nur  zum  Bewachungsdienst 
geeignet  klassifiziert,  so  ist  Vorsorge  zu  treffen, 
daß  derselbe  nach  erfolgter  Ausbildung  zu  einem 
Wachkörper  eingeteilt  wird,  der  im  Armeebereich 
oder  nahe  demselben  gelegen  ist.  Für  den  Minister: 
Schleyer  m.  p.  F.Z.M.« 

(Der  Optimist  ist  sprachlos.) 

Der  Nörgler:  Es  scheint  Ihnen  die  Rede  ver- 
schlagen zu  haben?  Sie  sehen,  daß  Leute,  die  sich 
nach  der  V/ohltat  sehnen,  an  die  Front  zu  kommen, 
dafür  strafweise  an  die  Front  geschickt  werden. 

Der  Optimist:  Ja  • —  sogar  zur  Strafver- 
schärfung 1 

Der  Nörgler:  Jawohl,  das  Vaterland  faßt  die 
Gelegenheit,  für  das  Vaterland  zu  sterben,  als  Strafe 
auf  und  als  die  schwerste  dazu.  Der  Staatsbürger 
empfindet  es  als  die  höchste  Ehre.  Er  will  den  Helden- 
tod sterben.  Statt  dessen  wird  er  ausgebildet  und  dem 
nächsten  Marsch-Baon  zugeteiU.  Er  will  einrücken, 
statt  dessen  wird  er  einrückend  gemacht. 

Der  Optimist:  Ich  kann  es  nicht  fassen  — 
eine  Strafe! 

Der  Nörgler:  Es  gibt  Abstufungen.  Erstens 
Disziplinarstrafe,  zweitens  gerichtliche  Abstrafung, 
drittens  Verschärfung  aer  Arreststrafe  und  viertens; 
als  die  schwerste  Verschärfung  des  Arrests:  die  Front. 
Die  Unverbesserlichen  schickt  man  aufs  Feld  der 
Ehre.  Die  Rädelsführer!  Bei  mehrfacher  Vorbestraftheit 
wird  der  Heldentod  verhängt.  Der  Heldentod  ist  für 
den  Chef  des  Geneialstabes,  nämlich  wenn  ihn  sein 
Sohn  erleidet,  ein  schwerer  Schicksalsschlag  und 
der  Kriegsminister  nennt  ihn  eine  Strafe.  Beide  haben 
recht.  Dies  und  das  —  die  ersten  wahren  Worte,  die 
in  diesem  Krieg  gesprochen  wurden. 


285 


Der  O  p  t  i  m  i  s  t :  Ja,  Sie  machen  es  einem  schwer, 
Optimist  zu  sein. 

Der  Nörgler:  Nicht  doch.  Ich  gebe  ja  zu,  daß 
auch  wahre  Worte  im  Krieg  gesprochen  werden. 
Besonders  was  die  Hauptsache  betrifft.  Das  alier- 
wahrste  hätte  ich  beinahe  vergessen. 
Der  Optimist:  Und  das  wäre? 
Der  Nörgler:  Eines,  das  beinahe  mit  dem 
Einrückend-gemachtsein  versöhnen  könnte,  die 
Revanche  für  die  Schändung  der  Menschheit  zum 
Menschenmaterial:  die  Aktivierung  auf  Mob-Dauer! 
Nach  Flak  und  Kag  und  Rag  und  all  den  sonstigen 
Greueln  hat  man  einmal  an  diesen  Sprach-  und  Lebens- 
abkürzern  seine  Freude.  Gewiß,  wir  sind  auf  Mob- 
Dauer  aktiviert! 

Der  Optimist:  Ihr  Verfahren  entfärbt  alle 
Fahnen  des  Vaterlands.  Alles  Lüge,  alles  Prostitution? 
Wo  ist  Wahrheit? 

Der  Nörgler:  Bei  den  Prostituierten! 
Weh  dem,  der  sich  vermißt,  das  Angedenken 
gefallener  Frauen  nun  gering  zu  achten! 
Sie  standen  gegen  einen  größern  Feind, 
Weib  gegen  Mann.  Nicht  Zufall  der  Maschine, 
der  grad  entkommt,  wer  ihr  nicht  grad  verfällt, 
hat  sie  geworfen,  sondern  Aug  in  Aug, 
aus  eigenem  Geheiß,  eins  gegen  alle, 
im  Sturm  der  unerbittlichen  Moral 
sind  sie  gefallen.  Ehre  jenen  sei, 
die  an  der  Ehre  starben,  heldische  Opfer, 
geweiht  dem  größern  Mutterland  Natur! 
(Verwandlung.) 

30.  Szene 

Irgendwo  an  der  Adria.  Im  Hangar  einer  Wasserfliegerabteilung. 
Die  Schalek  (tritt  ein  und  sieht  sich  um):  Von 
allen  Problemen  dieses  Krieges  beschäftigt  mich  am 
meisten  das  der  persönlichen  Tapferkeit.  Schon  vor 
dem  Kriege  habe  ich  oft  über  das  Heldische  gegrübeU, 


286 


denn  ich  bin  genug  Männern  begegnet,  die  mit  dem 
Leben  Ball  spielten  —  amerikanischen  Cowboys, 
Pionieren  der  Dschungeln  und  Urwälder,  Missionären 
in  der  Wüste.  Aber  die  sahen  zumeist  auch  so  aus, 
wie  man  sich  Helden  vorstellt,  jeder  Muskel  gestrafft, 
sozusagen  in  Eisen  gehämmert.  Wie  anders  die  Helden, 
denen  man  jetzt  im  Weltkrieg  gegenübersteht.  Es  sind 
Leute,  die  zu  den  harmlosesten  Witzen  neigen,  ein  stilles 
Schwärmen  für  Schokolade  mit  Obersschaum  haben 
und  zwischendurch  Erlebnisse  erzählen,  die  zu 
den  erstaunlichsten  der  Weltgeschichte  gehören. 
Und  doch.  —  Das  Kriegspressequartier  ist  jetzt  auf 
einem  leeren  Dampfschiff  einquartiert,  das  in  einer 
Bucht  verankert  liegt.  Abends  gibt  es  großes  Essen, 
es  geht  bei  Musik  hoch  her;  schließt  man  die  Augen  — 
fast  träumte  man  sich  zu  einem  fidelen  Kasinoabend 
zurück.  Nun,  ich  bin  gespannt,  wie  dieser  Fregatten- 
leutnant —  ah,  da  ist  er!  (Der  Fregattenleutnant  ist 
eingetreten.)  Ich  habe  nicht  viel  Zeit,  fassen  Sie  sich  kurz. 
Sie  sind  Bombenwerfer,  also  was  für  Empfindungen 
haben  Sie  dabei? 

Der  Fregattenleutnant:  Gewöhnlich  kreist 
man  ein  halbes  Stündchen  über  der  feindlichen  Küste, 
läßt  auf  die  militärischen  Objekte  ein  paar  Bomben 
fallen,  sieht  zu,  wie  sie  explodieren,  photographiert 
den  Zauber  und  fährt  dann  wieder  heim. 

Die  Schalek:  Waren  Sie  auch  schon  in 
Todesgefahr? 

Der  Fregattenleutnant:  Ja. 

Die  Schalek:  Was  haben  Sie  dabei  empfunden? 

Der  Fregattenleutnant:  Was  ich  dabei 
empfunden  habe? 

Die  Schalek  (beiseite):  Er  mustert  mich  ein 
wenig  mißtrauisch,  halb  unbewußt  abschätzend,  wieviel 
Verständnis  für  Unausgegorenes  er  mir  zumuten 
dürfe.  (Zu  ihm:)  Wir  Nichtkämpfer  haben  so  erdrückend 
fertige  Begriffe  von  Mut  und  Feigheit  geprägt,  daß 


287 


der  Frontoffizier  stets  fürchtet,  bei  uns  für  die  unend- 
liciie  Menge  von  Zwischenempfindungen,  die  in  ihm 
fortwährend  abwechseln,  keine  Zugänglichkeit  zu 
finden.  Hab  ich's  erraten? 

Der  Fregatte nleutnant:  Wie?  Sie  sind 
Nichtkämpfer? 

Die  Schalek:  Stoßen  Sie  sich  nicht  daran. 
Sie  sind  Kämpfer,  und  ich  möchte  wissen,  was  Sie  da 
erleben.  Und  vor  allem,  wie  fühlen  Sie  sich  nachher? 

Der  Fregattenleutnant:  Ja,  das  ist  sonder- 
bar —  wie  wenn  ein  König  plötzlich  Bettler  wird.  Man 
kommt  sich  nämlich  fast  wie  ein  König  vor,  wenn 
man  so  unerreichbar  hoch  über  einer  feindlichen 
Stadt  schwebt.  Die  da  unten  liegen  wehrlos  da  — 
preisgegeben.  Niemand  kann  fortlaufen,  niemand 
kann  sich  retten  oder  decken.  Man  hat  die  Macht 
über  alles.  Es  ist  etwas  Majestätisches,  alles  andere 
tritt  dahinter  zurück,  etwas  dergleichen  muß  in  Nero 
vorgegangen  sein. 

Die  Schalek:  Das  kann  ich  Ihnen  nach- 
empfinden. Haben  Sie  schon  einmal  Venedig 
bombardiert?  Wie,  Sie  tragen  Bedenken?  Da  werde 
ich  Ihnen  etwas  sagen.  Venedig  als  Problem  ist 
auch  langen  Grübelns  wert.  Voll  von  Sentimentalität 
sind  wir  in  diesen  Krieg  gegangen  — 

Der  Fregattenleutnant:  Wer? 

Die  Schalek:  Wir.  Mit  Ritterlichkeit  hatten 
wir  ihn  zu  führen  vorgehabt.  Langsam  und  nach 
schmerzhaftem  Anschauungsunterricht  haben  wir  uns 
das  abgewöhnt.  Wer  von  uns  hätte  nicht  vor  Jahresfrist 
noch  bei  dem  Gedanken  geschauert,  über  Venedig 
könnten  Bomben  geworfen  werden!  Jetzt?  Konträr! 
Wenn  aus  Venedig  auf  unsere  Soldaten  geschossen 
wird,  dann  soll  auch  von  den  Unsern  auf  Venedig 
geschossen  werden,  ruhig,  offen  und  ohne  Empfind- 
samkeit. Akut  wird  das  Problem  ja  erst  werden, 
bis  England  — 


288 


Der  Fregattenleutnant:  Wem  sagen  Sie 
das?  Seien  Sie  beruhigt,  ich  habe  Venedig 
bombardiert. 

Die  Schalek:  Brav! 

Der  Fregattenleutnant:  In  Friedenszeiten 
pflegte  ich  alle  Augenblicke  nach  Venedig  zu  fahren, 
ich  liebte  es  sehr.  Aber  als  ich  es  von  oben 
bombardierte  —  nein,  keinen  Funken  von  falscher 
Sentimentalität  verspürte  ich  dabei  in  mir.  Und 
dann  fuhren  wir  alle  vergnügt  nach  Hause.  Das 
war  unser  Ehrentag  —  unser  Tag! 

Die  Schalek:  Das  genügt  mir.  Jetzt  erwartet 
mich  Ihr  Kamerad  im  Unterseeboot.  Hoffentlich  hält 
der  sich  auch  so  wacker  wie  Sie!  (Ab.) 

(Verwandlung.) 

31.  Szene 

In  einem  Unterseeboot,  das  soeben  emporgetaucht  ist. 

Der  Maat:  Sie  kommen  schon! 
Der  Offizier:   Schnell   wieder  hinunter!   — 
Nein,  zu  spät. 

(Die  Mitglieder   des   Kriegspressequartiers   treten   ein,   an   der 
Spitze  die  Schalek.) 

Meine  Herren,  Sie  sind  die  ersten  Gesichter,  die 
wir  sehen.  Es  ist  eine  eigenartige  Empfindung,  dem 
Licht  wiedergegeben  zu  sein. 

Die  Journalisten:  No  wie  is  es  da  unten  — ?? 

Der  Offizier:  Fürchterlich.  Aber  da  oben  — 

Die  Journalisten:  Geben  Sie  Details. 

Der  Offizier:  Die  wird  er  Ihnen  geben, 
der  Maat  — 

Die  Journalisten:  Der  Mad?  Nur  ihr? 
No  und  wir?  (Nach  erfolgter  Aufklärung  des  Mißverständnisses 
stürzen  sich  die  Journalisten  auf  den  Maat.)  Also  das  sind 
die  Lanzierrohre? 

Der  Maat:  Nein,  das  sind  Kalipatronen. 


289 


Die  Journalisten:  Sind  das  nicht  die 
Diesel-Motoren? 

Der  Maat:  Nein,  das  sind  Wassertanks. 

Der  Offizier  (wendet  sich  zur  Schalek):  Sie 
sprechen  ja  gar  nicht? 

Die  Schalek:  Mir  ist  zumute,  als  habe  ich 
die  Sprache  verloren.  Erlauben  Sie,  daß  ich  an  ein 
dunkles  Problem  rühre.  Ich  möchte  nämlich  wissen, 
was  haben  Sie  gefühlt,  wie  Sie  den  Riesenkoloß 
mit  so  viel  Menschen  im  Leib  ins  nasse,  stumme 
Grab  hinabgebohrt  haben. 

Der  Off  izier:  Ich  habe  zuerst  eine  wahnsinnige 
Freude  gehabt  — 

Die  Schalek:  Das  genügt  mir.  Ich  habe  jetzt 
eine  Erkenntnis  gewonnen:  Die  Adria  bleibt  unser! 
(Verwandlung.) 

32.  Szene 

Eine  unter  das  Kriegsdienstleistungsgesetz  gestellte  Fabrik. 

Der  militärische  Leiter:  Anbinden,  Stock- 
hiebe, Arrest,  no  und  halt  Einrückendmachen  —  mehr 
ham  wir  nicht,  was  anders  gibts  nicht.  Kann  man 
halt  nix  machen. 

Der  Fabrikant  (an  dessen  Arm  eine  Hundspeitsche 
baumelt):  Solang  es  geht,  versuch  ichs  in  Güte. 
(Er  zeigt  auf  die  Hundspeitsche.)  Wie  man  sich  aber  helfen 
soll,  wenn  diese  Gewerkschaftshunde  mit  ihren 
Hetzereien  nicht  aufhören  -- -  Aussprache  über  die 
Lage  der  Arbeiterschaft,  Ernährungsfrage  —  wie 
unsereins  da  durchhalten  soll!  —  Rechts-  und 
Arbeitsverhältnisse,  Neugestaltung  des  Arbeiterrechtes 
im  Kriege  — 

Der  militärische  Leiter:  Ehschowissen. 
Einrückend  gemacht  und  womöglich  die  Herrn  Abge- 
ordneten dazu.  Wir  haben  aus  'm  Kriegsdienst- 
leistungsgesetz und  dem  Landsturmgesetz  ohnedem 
alles  herausgeietzt  was  nur  möglich  war.  Wir  brauchen 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  19 


290 


uns  da  keine  Vorwürfe  zu  machen.  Am  schönsten  war 
das  im  August  14  mit  die  Schmiede  und  Mechaniker. 
Vormittag  hams  noch  im  Akkord  ihre  6  Kronen 
verdient,  Mittag  hat  mas  gemustert  und  ihnen 
schön  eröffnet,  daß  sie  jetzt  Soldaten  sein,  no  und 
Nachmittag  hams  am  gleichen  Arbeitsplatz  für  die 
gleiche  Arbeitsleistung  schön  um  Soldatengebühren 
gearbeit'.  Hat  sich  keiner  gemuckst.  Aber  ich  sag, 
eigentlich  is  so  eine  Musterung  überflüssig  — 

Der  Fabrikant:  Oho! 

Der  militärische  Leiter:  Ich  mein',  man 
hätt's  überall  so  machen  solln  wie  bei  uns  in  Kloster- 
neuburg im  Trainzeugdepot,  da  hab  ich  ihnen  einfach 
gsagt,  ihr  seids  von  jetzt  an  Kriegsleister  und  habts 
daher  nur  Anspruch  auf  Soldatenlöhnung. 

Der  Fabrikant:  Ja  so! 

Der  militärische  Leiter:  Einmal  hab'n  sie 
sich  beschwert  wegen  Unhöflichkeit  oder  was.  Hab 
ich  sie  mir  zum  Rapport  bestellt  und  frag  sie,  wer 
sie  aufgeklärt  hat.  Antwortet  der  Kerl:  Wir  sind 
organisierte  Arbeiter  und  haben  uns  an  unsere 
Gewerkschaften  um  Aufklärung  gewendet,  die  haben 
uns  an  zwei  Abgeordnete  gewiesen!  No,  sag  ich, 
die  Herrn  wer'  ich  mir  holen  lassen,  sie  wern 
dastehn  bei  euch  und  wern  arbeiten  anstatt  zu  hetzen. 
Sagt  drauf  der  Kerl:  Wir  sind  organisierte  Arbeiter, 
wir  erfüllen  unsere  Pflicht  gegenüber  dem  Staat, 
aber  wir  suchen  auch  Schutz  bei  unserer  Organisation. 
Ich  — 

Der  Fabrikant:  Also  da  soll  man  keine 
Hundspeitsche  bei  sich  haben.  Was  haben  Herr 
Oberleutnant  — 

Der  militärische  Leiter:  Was  ich  getan 
hab?  Hochverräter  seids  ihr,  hab  ich  ihnen  gsagt, 
und  damit  euch  die  Lust  vergeht,  euch  noch  amal 
zu  beschweren,  habts  ihr  dreißig  Tage  Kasernarrest, 
punktum,  Streusand  drüber. 


291 


Der  Fabrikant:  Ich  staune  über  diese  Milde. 
Bei  Hochverrat! 

Der  militärische  Leiter:  No  wissen  S', 
man  darfs  nicht  überspannen.  Das  Traurige  is,  daß 
die  Zivilgerichte  die  Bagasch  noch  unterstützen. 

Der  Fabrikant:  So  ein  Fall  is  mir  bekannt. 
Beim  Lenz  in  Traisen,  wo  so  ein  Kerl  ohnedem 
25  Kronen  pro  Woche  gehabt  hat,  klagen  zwei  auf 
Auflösung,  v^^eil  sie  zuerst  44  gehabt  haben.  Das 
Bezirksgericht  verurteilt  den  Lenz.  Wie  die  beiden 
seelenvergnügt  das  Gerichtsgebäude  verlassen  — 

Der  militärische  Leiter:  Der  Fall  is  mir 
bekannt  —  wern  s'  von  zwei  Schendarm  in  die  Fabrik 
gführt.  Dort  pelzt  ihnen  mein  Kamerad  zehn  Tag 
Arrest  auf  und  weiterarbeiten.  Ja,  die  Gerichte  sind 
eine  saubere  Staatseinrichtung,  das  muß  ich  schon 
sagen !  Zum  Glück  is  der  Lenz  Bürgermeister,  da 
kann  er  auch  selber  Arrest  geben.  So  hat  ers  mit 
die  Arbeiterinnen  gmacht,  die  hat  er  am  zweiten 
Weihnachtstag  mit  Patrouillen  abholen  lassen,  in 
die  Arbeit  und  hernach  in'n  Arrest. 

Der  Fabrikant:  Über  mich  haben  sie  sich 
einmal  wegen  schlechter  Behandlung  und  unzuläng- 
licher Bezahlung  bei  der  Gewerkschaft  beschwert. 
Ich  bitte  —  bei  38  bis  60  Heller  die  Stunde!  No  ich 
hab  mir  einen  Rädelsführer  kommen  lassen  und 
sag  ihm:  Ihr  habts  euch  beschwert,  aber  die  Hunds- 
peitsche ist  noch  da.  Und  zeig  auf  meinen  Arm. 
Sagt  der  Kerl:  Wir  sind  keine  Hunde.  No  zeig  ich 
halt  auf  meine  Revolvertasche  und  sag  ihm:  Für  Sie 
hab  ich  auch  noch  einen  Revolver!  Hat  er  was  — 
von  Menschenwürde  hat  er  was  gredt  oder  so. 
Also  der  Kerl  hat  es  richtig  so  weit  gebracht,  daß 
die  Beschwerdestelle  gesagt  hat,  die  Löhne  sind 
unzureichend ! 

Der  militärischeLeiter:Dais  doch  jeden- 
falls sofort  — 


19* 


292 


Der  Fabrikant:  Aber  natürlich,  er  is  ein- 
rückend gemacht  worn,  Ihr  Vorgänger  war  darin 
sehr  kulant.  Einen,  der  sich  auch  einmal  über  zu 
geringen  Lohn  beschwert  hat,  hab  ich  gepeitscht 
und  Ihr  Vorgänger  hat  ihm  dafür  drei  Wochen  Arrest 
gegeben. 

Der  militärische  Leiter:  Wern  S'  sehn, 
über  mich  wern  Sie  sich  auch  nicht  zu  beklagen 
haben.  Ich  sag  nur  so  viel,  die  Kerle  soU'n  froh 
sein,  daß  sie  in  keinem  Bergwerk  sind. 

DerFabrikant:  Ich  weiß,  das  Militärkommando 
Leitmeritz  hat  den  Grubenbesitzern  die  Lage  wesent- 
lich erleichtert.  Die  Belegschaften  sind  einfach  auf- 
merksam gemacht  worn,  daß  sie  auf  die  Kriegs- 
artikel vereidigt  sind  und  daß  das  Vorbringen  von 
Beschwerden  unter  Umständen  als  Verbrechen  der 
Meuterei  aufgefaßt  werden  kann,  in  welchem  Fall 
die  Rädelsführer  und  Anstifter  standrechtlich  zum 
Tod  verurteilt  werden  können.  Ja,  die  Gruben- 
besitzer — 

Der  militärische  Leiter:  Bei  der  Eibiswalder 
Glanzkohlengewerkschaft  in  Steiermark  müssen  s' 
Sonntagsschichten  machen,  nach  acht  Uhr  abends 
gibts  kein  Gasthaus  und  Kaffeehaus.  Dafür  gibts  bei 
fünf  Tag  Arrest  drei  Fasttag.  Unter  Eskorte  wern  s' 
von  der  Grube  in  den  Gemeindearrest  gführt, 
ein'  weiten  Weg.  In  Ostrau  hat  mas  gleich  bei 
Kriegsausbruch  zu  prügeln  angfangt,  aber  systematisch ! 
Auf  der  Bank  im  Wachzimmer,  von  zwei  Soldaten 
ghalten.  Der  Kerl,  der  nacher  ei'm  Abgeordneten  was 
erzählt  hat,  den  ham  s'  halt  noch  amal  prügelt.  Die 
was  eine  Beschwerde  vorbringen  —  einrückend 
gemacht,  auch  wenn  s'  nie  gedient  hab'n.  So  is! 

Der  Fabrikant  (seufzend):  Ja,  Grubenbesitzer 
müßt'  man  sein!  Die  können  durchhalten! 

Der  militärische  Leiter:  No  ganz  schutzlos 
is  heutzutag  ein  anderer  Unternehmer  auch  nicht! 
Die  Werkmeister  schaun  auch  schon  von  selbst  dazu. 


293 


Sie  ohrfeigen  ganz  tüchtig.  Für'n  Arrest  hab  ich 
immer  täglich  sechs  Stund  Spangen  vorgsehn  ghabt.  No 
und  wenn  s'  so  von  der  Arbeit  weg  mit  aufpflanzten 
Bajonett  durch  die  Straßen  gführt  wern,  das  is  schon 
ein  Exempel!  Ohne  Reinigung  vorher,  im  Arrest  die 
Haar  gschorn,  auch  wann  einer  nur  vierundzwanzig 
Stund  hat,  die  Menagekosten  vom  Lohn  abzogn  — 
schon  wcnns  von  Floridsdorf  in  die  Josefstadt  zum 
Rapport  müssen,  verlieren  s'  doch  'n  halben  Taglohn, 
no  und  gar  der  Verdienstentgang  bei  Arrest  und 
so  Sacherln,  und  was  die  Hauptsach  is,  wenn  auch 
nur  für  die  schwerern  Fälle  —  Einrückendmachen! 
Also  da  hat  sich  noch  keiner  von  die  Herrn  zu 
beklagen  ghabt  bitte! 

Der  Fabrikant:  Aber  bitte,  ich  will  ja  auch 
nichts  gesagt  haben.  Und  ich  bin  bekannt  dafür,  daß 
ich  die  militärische  Autorität  nur  im  äußersten  Notfall 
strapaziere.  Ich  verlasse  mich  lieber  auf  die  Selbsthilfe. 
Ich  sag,  solang  es  in  Güte  geht  —  (er  zeigt  auf  die 
Hundspeitsche.) 

(Verwandlung.) 

33.  Szene 

Zimmer  im  Hause  des  Hofrals  Schwarz-Gelber.  Spät  am  Abend. 
Hofrat  und  Hofrätin  Schwarz-Gelber  treten  ein. 

Er  (schwer  atmend) :  Gott  seis  getrommelt  und 
gepfiffen,  da  sind  wir  —  puh  — 

Sie:  Tut  sich  was,  Märtyrer  was  du  bist. 

Er:  Das  letzte  Mal  —  das  letzte  Mal  —  darauf 
kannst  du  dich  verlassen! 

Sie:  Ich  mit  dir  auch!  Darauf  kannst  du  Gift 
nehmen!  (Sie  beginnt  sich  zu  entkleiden.  Er  läßt  sich  in  einen 
Stuhl  fallen,  stützt  die  Stirn  in  die  Hand,  springt  wieder  auf 
und  geht  im  Zimmer  umher.) 

Er:  Warum  —  sag  mir  nur  bittich  warum  — 
warum,  nur  das  eine  sag  mir  hat  Gott  mich  mit  dir 
gestraft  —  grad  ich?  —  ausgerechnet  —  muß  dieses 


294 


Leben  führen  —  warum  —  hätt  nicht  können  ein 
anderer?!  —  Gerackert  hab  ich  mich  —  bis  in  die 
sinkende  Nacht  —  für  dich  —  du  bringst  mich  um 
mit  deiner  Kriegsfürsorg  —  Hilfskomitees  und  Zweig- 
stellen und  was  weiß  ich,  Konzerte  und  Nähstuben 
und  Teestuben  und  Sitzungen,  wo  man  herumsteht, 
und  jeden  Tag  Spitäler  —  Gott,  is  das  ein  Leben  — 
(auf  sie  losgehend)  was  —  was  willst  du  noch  von 
mir  —  hast  du  noch  nicht  genug  —  ich  —  ich  — 
bin  nicht  gesund  —  ich  bin  nicht  —  gesund  — 
Sie  (schreiend):  Was  schreist  du  mit  mir?  Ich  zwing 
dich?  Du  zwingst  mich!  Ob  ich  einen  Tag  Ruh 
gehabt  hätt  vor  dir!  —  Ich  —  hab  ich  dir  nicht  helfen 
müssen  treppauf  treppab  —  bis  sie  gesagt  haben, 
damit  sie  endlich  Ruh  haben  vor  dir  und  du  bist 
Vizepräsident  geworn!  Glaubst  du,  man  steht  nm  dich? 
Mir  verdankst  du  —  wenn  ich  nicht  fort  war  hinter 
ihm  hergewesen,  Exner  —  Gott,  was  hab  ich  treten 
müssen  —  Ich  wer  dir  sagen  was  du  bist!  Ein  Idealist 
bist  du!  Wenn  du  dir  einredst,  auf  andere  Art  wärst 
du  geworn  was  du  bist!  Auf  was  herauf?  Auf  dein 
Ponem  herauf,  was?  Auf  deinen  Tam  herauf,  was? 
Daß  dus  weißt,  mir  hast  du  zu  verdanken  deine 
ganze  Karrier,  mir,  mir,  mir  —  Liharzik  ist  tot  — 
heut  könntest  du  dort  stehn,  wo  er  war,  überall 
könntest  du  sein  —  ein  Potsch  bist  du !  die  gebratenen 
Tauben  werden  dir  ins  Maul  fliegen,  ausgerechnet  — 
ich  stoß  und  du  kommst  nicht  vom  Fleck  —  möchten 
möchtest  du  viel  und  zu  nix  hast  du  die  Gewure! 

Er:  Gotteswillen  bittich  —  schweig  —  in  meiner 
Stellung  —  riskier  ich  genug  — 

Sie:  Ich  pfeif  auf  deine  Stellung,  wenn  wir  nicht 
weiterkommen.  Stellung!  Auch  wer!  Weil  ich  gelaufen 
bin,  hast  du  e  Stellung!  Gerannt  bin  ich!  Bin  ich 
für  mich  gerannt?  Für  mich  hab  ich  Wege  gemacht? 
Darauf  antwort  mir! 

Er:  Nu  na  nicht. 


295 


Sie:  Hör  auf!  Ich  kann  dich  nicht  sehn!  Du  weißt 
am  besten,  wie  du  lügst.  Gott,  getrieben  hast  du, 
wenn  ich  nicht  heut  da  war  und  morgen  dort  — 
gcstuppt  hast  du  mich  —  wenn  Grünfeld  gespielt  hat, 
Hab  ich  reden  müssen  —  ausgestanden  hab  ich  — 
ich  hab  schon  nicht  mehr  gewußt,  is  Sitzung  bei  der 
Berchtold  oder  is  Tee  bei  der  Bienerth,  der  Blumen- 
tag hab  ich  p;eglaubt  is  für  die  Patenschaft  statt  für 
die  Flüchtlinge,  da  hats  geheißen  Korngoldpremier, 
fortwährend  Begräbnisse,  Preisreiten,  Wehrmann 
und  Wehrschild,  wie  sie  den  Kriegsbecher  angeregt 
haben,  gleich  warst  du  aufgeregt,  ich  kenn  dich  doch, 
aber  so  hab  ich  dich  noch  nicht  gesehn,  schon 
hast  du  dabei  sein  müssen,  warum,  ohne  dich  wär's 
nicht  gegangen,  ich  hab  dir  gesagt  laß  mich  aus, 
konträr,  gejagt  hast  du  mich,  in  die  Tees  und 
Komitees  hast  du  mich  förmlich  gestoßen,  gequält 
hast  du  mich  wegen  Lorbeer  für  unsere  Helden,  da 
bin  ich  gerannt,  dort  bin  ich  gerannt,  nix  wie  Hilfs- 
aktionen; zu  Gunsten  da,  zu  Gunsten  dort,  zu  wessen 
Gunsten,  frag  ich,  wenn  nicht  zu  deinen?  zu  meinen 
nicht!  An  den  heutigen  Tag  wer'  ich  zurückdenken  — 
Gott  —  von  einem  Spital  ins  andere  muß  man  sich 
schleppen  —  und  was  hat  man  davon?  Was  hat  man? 
Undank! 

Er:  Um  Gotteswillen,  hör  auf!  Wenn  dich  einer 
reden  hört,  möcht  er  sich  schöne  Begriffe  machen  von 
deiner  Nächstenliebe,  die  Gall  geht  einem  heraus  — 

Sie:  Vor  dir!  Kann  ich  dafür,  daß  sie  dich  heut 
übersehn  haben?  Schwören  kann  ich,  ich  hab  mit  dem 
Delegierten  gesprochen,  ich  hab  ihm  gesagt,  wenn  sie 
kommen,  hab  ich  ihm  gesagt,  soll  er  trachten,  daß  wir 
ganz  vom  slehn,  weil  wir  das  letzte  Mal  Pech  gehabt 
haben,  im  letzten  Moment  bab  ich  ihm  noch  einen  Stupp 
gegeben,  er  weiß,  daß  ich  Einfluß  hab  auf  Hirsch,  er  hat 
ihn  schon  lang  nicht  genannt  —  ich  hab  getan  was 
möglich  war,  ich  bin  fast  neben  der  Blanka 
gestanden,   wie  sie  dem  Blinden  gesagt   hat  es  i«: 


296 


für  das  Vaterland  —  auf  mich  willst  du  deine  Wut 
auslassen?  Kann  ich  dafür,  daß  sich  im  letzten 
Moment  Angelo  Eisner  vorgestellt  hat  mit  seinem 
Koloß,  wo  er  alles  verdeckt?  Pech  hast  du,  weil  er 
größer  is,  und  ich  muß  büßen!  Mir  —  mir  —  machst 
du  Vorwürfe  —  ich  —  ich  —  weißt  du  was  du 
bist,  weißt  du  was  du  bist  —  ich  —  eine  Bardach 
(kreischend)  bin  viel  ZU  gut  für  einen  Menschen  wie 
du  (sie  wirft  das  Mieder  nach  ihm)  —  du  —  du  Nebbich! 
Er  (stürzt  auf  sie  los  und  hält  sie):  Duuu!  —  mich 
reg  nicht  auf  —  mich  reg  nicht  auf,  sag  ich  dir  — 
ich  steh  für  nichts  —  ich  vergreif  mich  an  dir  —  was 

—  was  —  willst  du  von  mir  —  Ausraum,  der  du 
bist  —  von  dir  sprichst  du  nicht?  —  Dein  Ehrgeiz 
bringt  mich  ins  Grab!  —  hältst  du  Kinder,  wärest 
du  abgelenkt  —  schau  mich  —  an  —  grau  bin  ich 
geworn  durch  dich  (schluchzend)  —  ich  —  war  — 
bei  —  Hochsinger  —  das  Herz  is  —  nicht  mehr  — 
wie  es  sein  soll  —  du  bist  schuld  —  (brüllend)  jetzt 
sag  ich  dir  die  Wahrheit  —  weil  du  nicht  erreicht 
hast  —  eine  Flora  Dub  zu  sein!  —  für  Hüte  hätt 
ich  müssen  ein  Vermögen  —  woher  —  nehm  ich  — 
was  will  man  von  mir  — 

Sie  (in  Paroxysmus):  Mit  —  Flora  —  Dub!  — 
Du  wagst  es!  —  mich  in  einem  Atem  —  Flora  — 

—  mit  der  Dub!  —  mich  —  eine  geborene  Bardach  1 
Weißt  du,  was  du  bist  —  ein  Streber  bist  du! 
Aus  der  Hefe  empor!  Gelb  bist  du  vor  Ehrgeiz! 
Schwarz  wirst  du,  wenn  du  einmal  nicht  genannt 
wirst!  Wenn  du  an  Eisner  denkst,  wälzst  du  dich  im 
Schlaf!  Bin  ich  schuld,  daß  er  ein  Aristokrat  is? 
Geh  hin  zu  Fürstenberg  und  laß  dach  adaptieren! 

Er  (weicher  werdend):  Ida  —  was  hab  ich  dir 
getan  —  schau  —  laß  ein  vernünftig  Wörtl  — 
schau  —  Gotteswillen  —  was  —  was  bin  ich  — 
Hofrat  —  ich  —  lachhaft  —  ein  Jud  bin  ich!  — 
(Er  fällt  schluchzend  in  den  Stuhl)  —  Ausstehn!  —  Is 
das  —  ein  Leben  —  is  das   ein  Leben  —  immer 


297 


hinter  —  ganz  —  hinter  —  die  andern  —  auf 
Hirsch  angewiesen  sein  —  beim  letzten  —  letzten 

—  Preistreiben  —  reiten  —  man  hat  uns  — 
überhaupt  nicht  —  bemerkt  —  (gefaßter)  ich  hab  dich 
noch   gestoßen  —  die  Wydenbruck  hat  es  bemerkt 

—  sie  hat  Bemerkungen  gemacht  —  und  heut  —  der 
Skandal!  —  die  Leute  reden  —  ich  bin  fertig  — 
Spitzy  hat  gelacht  — 

Sie:  Laß  mich  aus  mit  Spitzy!  Der  hat  zu 
reden!  Spitzy  is  erst  durch  den  Weltkrieg  herauf- 
gekomrnen.  Nie  hat  man  früher  den  Namen  gelesen. 
Jetzt?  Übel  wird  einem  täglich  auf  jeder  Seite  von 
Spitzy! 

Er:  von  Spitzy!?  Er  ist  doch  noch  nicht  — 
das  fehlte  noch! 

Sie:  Ich  sag  übel  wird  einem  von  Spitzy. 

Er:  Er  drängt  sich  unter  die  Spitzen. 

Sie:  Auf  ihm  hat  man  gewartet!  Mir  scheint 
stark,  er  bildet  sich  ein,  er  is  Spitzer. 

Er:  Er  spitzt  auf  die  goldene. 

Sie:  Ich  hab  so  mit  dem  Delegierten  gesprochen. 
Er  hat  gesagt,  da  kann  man  nichts  machen,  das  is 
wieder  einmal  echt  wienerisch,  hat  er  gesagt,  bittsie  der 
Spitzy,  er  hat  die  Presse  und  außerdem  leistet  er 
für  die  Prothesen. 

Er:  Auf  den  Delegierten  soll  ich  sagen! 

Sie:  Ich  gift  mich  genug  über  ihm. 

Er:  Den  Unterschied  zwischen  der  Gartenbau 
heut  und  wie  der  Krieg  angefangen  hat,  möcht  ich 
Klavier  spielen.  Wenn  ich  zurückdenk,  damals  bei  der 
Schlacht  von  Lemberg,  du  weißt  doch,  wie  die  Presse 
das  Jubiläum  gefeiert  hat,  Weiskirchner  hatihrgratuliert, 
neulich  erst  sag  ich  zu  Sieghart  — 

Sie:  Du,  zu  Sieghart? 

Er:  Du  —  weißt — nicht  mehr,  wie  ich  mitSieghart 
gesprochen  hab?  Das  hat  die  Welt  nicht  gesehn!  Alle 
haben  gesehn  —  Du  weißt  nicht?  Wie  er  gekommen  is, 
wir  sollen  beitreten  zum  Subkomitee  in  die  Hilfssektion 


298 


—  du  weißt  doch,  er  hat  doch  die  Idee  gehabt  zu 
einer  Sammlung  »Kaviar  fürs  Volk«,  es  is  eigentlich 
eine  Anregung  von  Kulka  —  sag  ich  also  zu 
Sieghart,  Exzellenz,  sag  ich,  der  Delegierte  gefällt 
mir  etwas  nicht  und  der  Primarius  gefällt  mir  nicht 
und  die  ganze  Schmonzeswirtschaft  gefällt  mir  nicht. 
Er  schweigt,  aber  ich  hab  gesehn,  er  denkt  sich. 
Sag  ich  zu  ihm,  Exzellenz,  die  Zeit  ist  viel  zu  ernst. 
No  ich  kann  dir  nur  soviel  sagen,  er  hat  nicht  nein  gesagt. 
Wieso  das  kommt,  frag  ich.  Er  zuckt  mit  die  Achseln 
und  sagt,  Krieg  is  Krieg.  No  hab  ich  doch  gewußt, 
woran  ich  war.  Jetzt  brauch  ich  nur  — 

Sie:  Wenn  du  damals,  bei  der  konstituierenden 
Versammlung  für  die  Walhalla  nicht  wie  ein  Nebbich 
dagestanden  wärst,  wäre  die  Sache  schon  erledigt. 

Er:  Erlaub  du  mir,  grad  bei  solchen  Gelegen- 
heiten vermeid  ich  aufzufallen.  Alle  haben  sie  sich 
den  Hals  ausgereckt,  wie  er  von  der  Korrespondenz 
Wilhelm  gekommen  is  — 

Sie:  Und  ich  hab  dir  Zeichen  gemacht,  du 
sollst  auch! 

Er:  Nein  sag  ich  dir!  Da  kennst  du  mich  schlecht! 
Auf  geradem  Wege  gehts  nicht,  so  hör  zu  meinen  Plan. 
Mit  Eisner  wirst  du  sehn,  er  is  imstand  und 
geht  eines  schönen  Tages  hinauf  und  wird  sichs 
richten.    Aber     ich     hab     mir    fest    vorgenommen 

—  ich  wart  jetzt  nur  —  das  nächste  Mal  —  no  ich 
könnt  ihm  gut  schaden  —  er  hat,  aber  sag's  nicht,  er 
hat  eine  abfällige  Bemerkung  über  Hirsch  fallen  lassen! 

Sie:  Bittich  fang  dir  nichts  an!  Misch  dich 
in  nichts!  Ich  könnt  auch,  ich  halt  mich  genug  zurück, 
die  Dub  hat  etwas  über  die  Schalek  gesagt  —  daß  sie 
sich  patzig  macht  in  der  Schlacht  und  so  —  zur 
Odelga  könnt  ich  eine  Anspielung  machen,  Sonntag 
schätz  ich  kommt  sie  zum  Invalidentee  —  Sigmund 

—  hör  mich  an  —  weißt  du  was  —  sei  nicht  nervees 

—  du  bist  überanstrengt  —  ich  sag  dir,  wir  setzen  es 
durch !  Komm  zu  dir  —  ich  wett  mit  dir,  Freitag  is 


299 


eine  Geiegtiiheit  wie  sie  noch  nicht  da  war  —  die 
Jause,  du  weißt  doch,  für  unsere  Gefangenen  in  Ost- 
sibirien. Oder  hör  zu,  wart,  noch  vernünftiger,  Samstag, 
für  die  deutschen  Krieger!  Du  wirst  sehn,  paß  auf,  du 
kriegst !  Wenn  nicht  die  erste,  so  die  zweite.  Ich  garantier 
dir.  Bis  zum  Kabaree  vom  Flottenverein  warten  wir 
nicht!  Jetzt  zeig,  was  du  imstand  bist.  Nimm  dir  ein 
Beispiel  an  Haas,  an  ihm,  nicht  an  ihr  —  siehst 
du,  er  is  nur  ein  Goj,  aber  eine  Gewure  —  dir  gesagt! 
Jetzt  entscheidet  sich  alles.  Daß  du  mir  nicht  wieder 
wie  ein  Stummerl  dastehst,  hörst  du?  Sie  warten  bloß, 
daß  du  den  Mund  aufmachst.  So  wahr  ich  da  leb  — 
ich  kann  mir  nicht  helfen  —  aber  ich  hab  das  Gefühl, 
wir  sind  sowieso  vorgemerkt  — 

Er:  Glaubst  du  wirklich  —  das  war  ja  —  lang 
genug  hätt  man  sich  geplagt  —  aber  woher  glaubst  du? 

Sie:  Was  heißt  ich  glaub?  Ich  weiß!  Du  bist  der 
Meinung,  es  is  schon  alles  verpatzt.  Ich  sag  dir,  nix 
is  verpatzt!  Du  warst  von  jeher  ein  Pessimist  mit  dem 
Krieg.  Ich  kann  dir  nicht  alles  sagen,  aber  die  Frankl- 
Singer  von  der  »Sonn  und  Mon«  is  wie  du  weißt 
intim  mit  der  Lubomirska,  frag  mich  nicht.  Du  hättest 
das  Gesicht  von  der  Dub  sehn  solln,  wie  sie  gesehn 
hat,  ich  Sprech  mit  ihr.  Was  soll  ich  dir  sagen,  sie 
hat  sich  gejachtet.  Sogar  Siegfried  Löwy  hat  mit  dem 
Kopf  geschüttelt,  no  da  hab  ich  alles  gewußt.  Es  wird 
vielleicht  eines  der  größten  Errungenschaften  sein, 
wenn  mir  das  gelingt.  Nur  bei  der  Ausspeisung  dürfen 
sie  nichts  erfahren,  sonst  zerspringen  die  Patronessen, 
behauptet  Polacco.  Selbst  heut  hab  ich  das  Gefühl 
gehabt,  es  kann  nicht  mehr  lange  dauern.  Weißt  du, 
nämlich  wie  der  Lärm  war  —  wie  sie  alle  hinüber 
sind  —  zu  dem  sterbenden  Soldaten  —  du  weißl  doch, 
der  getrieben  hat,  weil  er  geglaubt  hat,  unten  steht 
seine  Mutter,  sie  haben  sie  nicht  herauflassen  wollen, 
es  is  verboten  wegen  der  Disziplin,  Hirsch  hat  noch 
gesagt,  er  wird  in  den  Annalen  fortleben,  er  gibt 
ihn   hinein  —  da    hab   ich   das   Gefühl   gehabt  — 


300 


nämlich,  wie  sie  so  gestanden  sind  —  da  hab  ich 
mir  eigens  achtgegeben,  ich  hab  hingeschaut  und 
da  hab  ich  deutlich  bemerkt,  wie  die  Palastdam.e 
hergeschaut  hat,  alle  sag  ich  dir  haben  sie  auf  uns 
gezeigt  —  ich  hab  dich  noch  aufmerksam  machen 
wolln  —  aber  da  hab  ich  ihn  beobachten  müssen, 
ob  er  nicht  vorgeht,  der  lange  —  und  dann  haben 
sie  noch  besprochen  —  grad  wie  Hirsch  die  Stimmung 
notiert  hat,  haben  sie  besprochen  wegen  dem  Konzert  für 
die  Witwen  und  V/aisen  —  da  hab  ich  wieder  das  Gefühl 
gehabt  —  ich  kann  mir  nicht  helfen  —  (dicht  bei  ihm, 
zischend)  wenn  du  nur  jetzt  nicht  wieder  bescheiden 
bist!  —  nur  jetzt  nicht!  —  meinetwegen  immer, 
aber  um  Gotteswillen  nicht  jetzt! 

Er  (eine  Weile  nachdenklicli,  dann  entschlossen):  Was 
haben  wir  morgen? 

Sie  (sucht  hastig  Einladungen  hervor):  Wien  für 
Ortelsburg  —  liegt  mir  stark  auf,  wir  gehn,  aber  wir 
müßten  auch  nicht.  Verwundetenjause  bei  Thury,  nicht 
der  Rede  wert,  aber  kann  nicht  schaden.  Konstituierende 
Sitzung  des  Exekutivkomitees  für  den  Blumenteufel- 
Rekonvaleszenten-Würsleltag  —  da  muß  ich  als 
Patroneß.  Aber  da,  wart,  Kriegsfürsorgeamt,  musi- 
kalischer Tee,  Fritz  Werner  singt,  ich  Sprech  sicher 
mit  ihm,   er   liat   auch   immer   größeren  Einfluß  — 

Er:  Sagst  du! 

Sie:  Wenn  ich  dir  sag! 

Er:  Einfluß,  lächerlich  — 

Sie:  So!  Also  kürzlich  hat  er  ihm  das  Bild 
schicken  müssen.  Er  is  ein  großer  Verehrer.  Er  hat 
schon  fufzigmal  »Husarenblut«  gesehen. 

Er:  Zufällig  kennt  er  ihn  nur  flüchtig. 

Sie:  Wenn  du  also  besser  informiert  bist!  Gut, 
nehmen  wir  schon  an,  Fritz  Werner  hat  nicht  Einfluß, 
was  is  aber,  jetzt  paß  auf,  was  is  mit  Spitzer?  Wenn 
ich  auf  keinen  halt,  auf  Spitzer  halt  ich!  Man 
brauch  nur  sehn,  was  sich  da  tut  jedesmal,  was 
sie    angeben,    wenn    er    kommt!    Spitzer    is    heut 


301 


maßgebend,  alles  spricht  nur  von  Spitzers  Karrier. 
Ich  sag  dir,  man  muß  das  Eisen  schmieden,  solang 
man  Gold  dafür  kriegt.  Nur  jetzt  keineVersäumnisse!  Du, 
hör  mich  an  —  was  nützt  das  alles  —  jetzt  nimm  dich 
zusamm,  sei  ein  Mann!  Mach  dich  beliebt!  Was  denkst 
du  so  nach?  Du  hasts  ja  bisher  getroffen,  warum 
niciit  weiter.  Also!  Jetzt  heißt  es  durchhalten! 

Er  (die  Stirn  in  der  Hand):  Das  heut  is  ZU  schnell 
vorübergegangen.  Man  hat  gar  nicht  können  zu  sich 
kommen.  Ich  war  heut  nicht  auf  der  Höhe.  Ja,  ich 
hab  gleich  gespürt,  etwas  is  nicht  in  der  Ordnung.  Von 
allem  Anfang  hab  ich  bemerkt,  sie  bemerken  uns 
nicht,  und  zum  Schluß,  wie  sie  uns  ja  bemerkt  hätten, 
war  ich  zerstreut  und  hab  es  nicht  bemerkt.  Ich  sag 
dir,  es  is  das  Herz  —  —  Hochsinger  is  unbedingt  für 
Schonen.  Schonen  sagt  er  und  wiederum  schonen. 
Aber  wie  soll  man  —  Gott  —  du  sag  mir  bittich, 
wie  war  das  eigentlich,  wie  sie  alle  mit  Spitzer 
geredet  haben,  wie  er  — 

Sie:  Mit  Spitzer?  Das  war  doch  nicht  heut!  Das 
v/ar  doch  Sonntag! 

Er:  Gotteswillen — ein  Kreuz  is  das  —  Sonntag — 
alles  geht  einem  durcheinander  im  Kopf  —  also  gut  — 
ärger  is  wenn  ich  Gottbehüt  vergessen  hätt  mit  Sieghart 
zu  sprechen.  Wie,  also  was,  also  sag  mir  —  mit 
Spitzer,  das  intressiert  mich  — 

Sie:  Sonntag?  No  ja,  da  war  es  doch  schon  auf 
ein  Haar  so  weit,  daß  der  Delegierte  —  ich  hab  schon 
geglaubt  —  hast  du  gezweifelt?  No  hörst  du,  das  is 
doch  so  klar,  wie  nur  etwas !  ?  Wenn  nicht  die  Schwester 
dazwischengekommen  war,  das  Skelett,  du  weißt  doch, 
die  den  Schigan  hat,  den  ganzen  Tag  pflegen,  über- 
haupt eine  bekannt  exzentrische  Person,  grad  wie  ich 
zum  Bett  hingehen  will,  Pech,  kommt  sie  daher, 
einen  Schritt  war  ich  — 

Er:  Moment!  Das  —  wart  —  wo  sind  sie  da 
gestanden?  Das  war  doch,  wo  die  Rede  war,  daß  man 


302 


wieder  sammeln  gehn  soll,  etwas  einen  Gardenientag, 
weiß  ich!  haben  sie  beschiossen  für  Wiener  Mode 
im  Hause  oder  — 

Sie:  Freilich,  Trebitsch  hat  noch  erzählt,  daß  er 
tausend  Kronen  anonym  gegeben  hat  — 

Er:  Bekannter  Wichtigmacher,  gibt  sich  jetzt  aus 
für  intim  mit  Reitzes  —  siehst  du,  jetzt  hab  ich, 
also  wart  —  ob  ich  weiß!  unterbrich  mich  nicht, 
da  war,  ich  wer  dir  sagen,  da  war  auch  die  Rede 
von  Aufnahmen  im  Spital,  für  den  Sascha-Film, 
wächst  mir  auch  schon  zum  Hals  heraus,  siehst  du, 
daß  ich  weiß?  Aber  nur  —  wo  sind  sie  gestanden? 
Die  Situation  —  wir  sind  nicht  durchgekommen,  so 
viel  weiß  ich  —  wir  sind  zurückgegangen  — 

Sie:  Du  kannst  dich  nicht  erinnern?  Ich  seh's 
vor  mir!  Bei  dem  Bett  von  dem  Soldaten  — 

Er:  Bei  dem  Bett  —  mit  der  Mutter  der? 

Sie:  Geh  weg,  das  war  doch  heut! 

Er:  Wart  —  der  Blinde! 

Sie:  Der  Blinde  von  der  Blanka?  Das  war 
doch  heut! 

Er:  Aber  wie  der  Salvator  — 

Sie:  Vom  Salvator  der  Blinde  —  das  war  doch 
Dienstag  in  der  Poliklinik!  Der  Blinde,  ich  seh  es  vor 
mir!  Damals,  du  weißt  doch  —  Hirsch  hat  sich  notiert — 

Er:  Entschuldige,  aber  das  war  bei  der  Staats- 
bahn beim  Labedienst!  Wo  sich  noch  die  Löbl-Speiser 
vorgedrängt  hat,  die  Geschiedene  — 

Sie:  Konträr,  grad  damals  is  es  sehr  günstig 
gestanden,  wenn  du  mir  nur  gefolgt  hättst,  ich  hab 
dir  noch  geraten,  mach  dich  an  an  Stiaßny. 

E  r :  An  Stiaßny?  Das  war  doch  beim  Wehrmann ! 
Siehst  du,  jetzt  verwechselst  du! 

Sie  (lauter):  Ich  verwechsel?  Du  verwechselst! 
Beim  Wehrmann!   Wer  redt   heut  vom  Wehrmann? 


303 


Er:  Also  wart  —  beim  Bett  —  übrigens  was 
gibst  du  Rebussen  auf,  sag  mir  den  Soldaten  und  fertig. 

Sie:  Grad  nicht!  Siehst  du,  wenn  ich  nicht  war 
mit  meinem  Gedächtnis  — 

Er  (lauter):  Laß  mich  aus  mit  deinem  Gedächtnis! 
Was  nutzt  mir  dein  Gedächtnis!  Ä  —  es  is  alles 
für  die  Katz! 

Sie:  Du  marterst  mich  —  ich  lauf  mir  die  Füße 
wund  —  soll  ich  dir  noch  helfen  erinnern! 

Er:  Schrei  nicht  —  ich  laß  alles  liegen  und 
stehn  —  ich  geh  morgen  nicht  —  du  kannst  allein 
gehn  ausspeisen  —  ich  hab  es  satt  —  der  ganze  Krieg 
kann  mir  gestohlen  wern!  — das  hat  uns  noch  gefehlt 

—  als  ob  früher  nicht  genug  Lauferei  war  —  geh  mir 
aus  den  Augen!  —  jetzt  reißt  mir  die  Geduld!  —  von 
mir  aus  soll  — 

Sie  (schreiend):  Du  schreist  mit  mir,  weil  du 
kein  Gedächtnis  hast!  Du  weißt  nicht  mehr,  wem 
du  grüßt!  Du  grüßt  Leute,  wo  es  nicht  nötig  is,  und 
wo  es  ja  nötig  is,  grüßt  du  nicht!  Jedesmal  am  Graben 
muß  ich  dich  stuppen!  Ich  hab  für  dich  gearbeitet  — 
du  —  du  weißt  du,  was  du  ohne  mich  bist?  Ohne 
mich  bist  du  ein  Tineff  für  die  Gesellschaft! 

E  r  (sich  die  Ohren  zuhaltend,  mit  einem  Blick  zum  Plafond) : 
Ordinär  — !  (nach  einer  Pause,  in  der  er  herumgegangen  ist) 
Möchtest  du  jetzt  also  die  Güte  haben?  —  Bist  du 
jetzt  vielleicht  beruhigt?  Also  sag  mir  — 

Sie:  Grad  sag  ichs  nicht  —  Sonntag  —  wie  sie 
alle  um  das  Bett  gestanden  sind  —  ich  bin  vorgegangen 

—  alle  sind  sie  — 

Er:  Moment!  Laß  mich  ausreden  —  im  ganzen 
Belegraum  — 

Sie  (schreiend):  Du  quälst  mich  aufs  Blut  — jetzt 
tust  du  als  ob  du  nicht  bis  drei  zählen  könntest  — 
ich  lauf  mir  die  Füße  wund  —  von  Pontius  zu 
Pilatus  — 


304 


Er:  Das  weiß  ich  zu  schätzen.  Leicht  is  es  nicht. 

Sie:  Also  gib  Ruh  und  bohr  nicht  in  mich  — 
daß  du's  endlich  weißt  und  frag  mich  nicht  mehr  —  ich 
hab  Recht  und  nicht  du  —  ich  hab  dir  gesagt,  Sonntag 
hat  man  uns  bemerkt,  wie  sie  beim  Bett  gestanden  sind — 

Er:  Noo-o!  Also  beim  Bett  —  mir  scheint,  du 
redst  dir  da  was  ein  — 

Sie:  So  wahr  ich  da  leb!  Beim  Bett  von  dem 
Soldaten,  wo  der  Primarius  alles  gezeigt  hat  — 

Er:  Ah  —  jetzt  weiß  ich!  Was  sagst  du  nicht 
gleich?  Der  mit  den  abgefrorenen  Füßen!? 

Sie:  Ja  —  und  mit  der  Tapferkeitsmedaille! 


111.  Akt 


Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  20 


T.  Szene 

Wien.    Ringstraßenkorso.    Sirk-Ecke.    Larven  und  Lemuren.    Es 
bilden  sich  Gruppen. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Venedig  bombardiert!  Schwere  Niederlage  der  Italiena! 

Ein  Armeelieferant:  Wenn  Sie  das  Abendblatt 
gelesen  hätten,  würden  Sie  keinen  Moment  zweifeln. 

Zweiter  Armeelieferant:  War  es  als  authen- 
tische Nachricht? 

Z  we  iter  Ze  itungsausruf  er:  Extraausgabee— ! 
100.000  tote  Italiena  bittee  — ! 

Erster  Armeelieferant:  Wenn  ich  Ihnen  sag, 
wörtlich:  Kramer  gastiert  ab  1.  in  Marienbad. 

DritterZeitungsausrufer:Krakujefazeropaat! 

Zweiter  Armeelieferant:  Gottseidank,  da 
bleibt  meine  Frau  länger. 

Erster:  Die  Göttergattin? 

Vierter  Zeitungsausrufer:  Zweate  Oflagee 
vom  Tagblaad!  Teitscha  Bericht! 

Ein  Offizier  (zu  drei  anderen):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grüß  dich  Powolny, 
also  du  —  du  bist  ja  politisch  gebildet,  also  was 
sagst  zu  Rumänien? 

Zweiter  Offizier  (mit  Spazierstock) :  Weißt,  ich 
sag,  es  is  halt  a  Treubruch  wie  Italien. 

Der  dritte:  Weißt  —  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  mullattiert  — !  Habts  das  Bild  vom  Schön- 
pilug  gsehn,  Klassikaner! 

E  i  n  M  ä  d  e  r  1 :  Achttausend  Russen  für  zehn  Heller ! 

EinMädchen  (sich  in  den  Hüften  wiegend,  vorsieh  hin) : 
Kroßa  italienischa  Ssick! 


20» 


308 


Ein  Weib  (puterrot,  im  Laufschritt):  Fenädig  pom- 
patiert ! 

Der  dritte  Offizier:  Was  ruft  die?  Venedig  — ? 

Der  zweite:  Bin  auch  erschrocken  —  bist 
auch  erschrocken   —   weißt  es  is   nur  das  andere. 

Der  dritte:  Ah  so. 

Der  vierte:  Geh  hast  denn  glaubt,  daß  die 
Eigenen  — 

Der  zweite:  Nein,  ich  hab  glaubt  italienische 
Flieger,  no  warum  — 

Der  erste:  Bist  halt  a  Hasenfuß.  Denkts  euch, 
gestern  hab  ich  a  Feldpostkarten  kriegt! 

Der  zweite:  Gwiß  vom  Fallota! 

Der  dritte:  Du  was  macht  er,  der  Fallota,  is  er 
noch  immer  so  ein  Denker?    Oder  erlebt  er  schon 
was?  No  ich  erleb  jetzt  auch  viel  im  KM. 
(Es  treten  auf  zwei  Verehrer  der  Reichspost.) 

Der  erste  Verehrer  der  Reichspost:  Wir 
haben  uns  mit  den  Forderungen,  die  Mars  uns  stellt, 
bereits  abgefunden.  Wir  haben  bisher  seine  Lasten 
tragen  können  und  sind  fest  entschlossen,  sie  willig 
weiter  zu  tragen  bis  zum  gedeihlichen  Ende. 

Der  zweite  Verehrer  der  Reichspost:  Der 
Krieg  hat  auch  seinen  Segen.  Er  ist  ein  gar  strenger  Lehr- 
meister der  Völker,  über  die  er  seine  Zuchtrute  schwingt. 

Der  erste:  Der  Krieg  ist  auch  ein  Spender 
von  Wohltaten,  ein  Erwecker  edelster  menschlicher 
Tugenden,  ein  prometheischer  Erringer  von  Licht  und 
Klarheit. 

Der  zweite:  Der  Krieg  ist  ein  wahrer  Lebens- 
spender und  Lichtbringer,  ein  machtvoller  Mahner, 
Wahrheitsverkündiger  und  Erzieher. 

Der  erste:  Welch  einen  Schatz  von  Tugenden, 
die  wir  schon  im  Sumpfe  des  Materialismus  und 
Egoismus  unseres  Zeitalters  erstickt  glaubten,  hat 
doch  dieser  Krieg  schon  gehoben. 

Der  zweite:  Hast  schon  Kriegsanleihe  zeichnet? 


ouy 


Der  erste:  Und  du? 

Beide:  Wir  haben  uns  mit  den  Forderungen, 
die  Mars  uns  stellt,  bereits  abgefunden.  (Ab.) 

Ein  alter  Abonnent  der  Neuen  Freien 
Presse  (im  Gespräch  mit  dem  ältesten):  Intressant  Steht 
heut  in  der  Presse,  die  morgige  Nummer  des 
ungarischen  Amtsblattes  wird  die  Verleihung  des 
Titels  eines  königlichen  Rates  an  den  Prokuristen 
von  Ignaz  Deutsch  &  Sohn  in  Budapest  Emil 
Morgenstern  verlautbaren. 

Der  älteste  Abonnent:  Was  jetzt  alles 
vorgeht!  (Ab.) 

Ein  Krüppel  (zwei  Stümpfe  und  ein  offener  Mund, 
in  der  ein'^n  Hand  Schuhbänder,  in  der  andern  Zeitungsblätter,  mit 
dumpfem  Trommelton):  Extrrasgabee !  Halb  Serrbien 
ganz  arrobat! 

Dvir  dritte  Offizier:  Ganz  Serbien  — ? 

Poldi  Fesch  (zu  einem  Begleiter):  Ich  sollte  heut 
mit  dem  Sascha  Kolowrat  drahn,  aber  —  (ab.) 

Der  vierte:  Das  is  noch  gar  nix,  habts 
ghört,  100.000  tote  Katzeimacher  haben  s'  gfangen! 
(Zwei  Invalide  humpeln  vorbei.) 

Der  zweite:  Nix  wie  Tachinierer  wo  ma  hin- 
schaut, unsereins  schämt  sich  schon,  in  Wien  zu  sein. 

Einrückende   älteren  Jahrgangs   ziehen    vorbei.    Man  hört  den 
Gesang :  In  der  Heimat,  in  der  Heimat  da  gibts  ein  Wiedersehen  — 

Der  dritte:  Wißts  was,  gehmr  zum  Hopfner! 

Der  vierte:  Heut  is  stier.  Immer  dieselben 
Menscher  — 

D  e  r  e  r  s  t  e  (indem  sie  abgehen) :  Weißt,  mit  Rumänien 
—  das  is  dir  also  kein  Gspaß  —  weißt,  aber  ich 
glaub  halt,   die  Deutschen   wern  uns  schon  —  (ab.) 

Fünfter  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee— ! 
Ssick  auf  allen  Linien!  Der  Vormarsch  der  Rumänen! 

(Man  hört  die  Fiakerstimme:  Im  Kriag  kriag  i's  Zehnfache!) 
(Verwandlung.) 


310 


2.  Szene 

Vor  unseren  Artilleriestellungen. 

Die  Schalek:  Steht  dort  nicht  ein  einfacher 
Mann,  der  namenlos  ist?  Der  wird  mir  mit  schlichten 
Worten  sagen  können,  was  zur  Psychologie  des 
Krieges  gehört.  Seine  Aufgabe  ist  es,  den  Spagat  am 
Mörser  anzuziehen  —  scheinbar  nur  eine  einfache 
Dienstleistung  und  doch,  welche  unabsehbaren  Folgen, 
für  den  übermütigen  Feind  sowohl  wie  für  das  Vater- 
land, knüpfen  sich  nicht  an  diesen  Moment!  Ob  er 
sich  dessen  bewußt  ist?  Ob  er  auch  seelisch  auf  der 
Höhe  dieser  Aufgabe  steht?  Freilich,  die  im  Hinter- 
land sitzen  und  von  Spagat  nichts  weiter  wissen  als 
daß  er  auszugehen  droht,  sie  ahnen  auch  nicht,  zu 
welchen  heroischen  Möglichkeiten  gerade  der  einfache 
Mann  an  der  Front,  der  den  Spagat  am  Mörser 
anzieht  —  (Sie  wendet  sich  an  einen  Kanonier)  Also  sagen 
Sie,  was  für  Empfindungen  haben  Sie,  wenn  Sie 
den  Spagat  anziehn? 

(Der  Kanonier  blickt  verwundert.) 

Also  was  für  Erkenntnisse  haben  Sie?  Schaun  Sie,  Sie 
sind  doch  ein  einfacher  Mann,  der  namenlos  ist, 
Sie  müssen  doch  — 

(Der  Kanonier  schweigt  betroffen.) 

Ich  meine,  was  Sie  sich  dabei  denken,  wenn  Sie  den 
Mörser  abfeuern,  Sie  müssen  sich  doch  etwas  dabei 
denken,  also  was  denken  Sie  sich  dabei? 

Der  Kanonier  (nach  einer  Pause,  in  der  er  die 
Schalek  von  Kopf  zu  Fuß  mustert):  Gar  nix! 

Die  Schalek  (sich  enttäuscht  abwendend):  Und 
das  nennt  sich  ein  einfacher  Mann!  Ich  werde  den 
Mann  einfach  nicht  nennen!  (Sie  geht  weiter  die  Front  ab.) 

(Verwandlung) 


311 


3.  Szene 

Isonzo-Front.   Bei  einem  Kommando. 
Die  Oberleutnants  Fallota  und  Beinsteller  treten  auf. 

Fallota  (essend):  Weißt,  ich  iß  a  Mehlspeis, 
magst  a  Stickl? 

Beinsteller  (nimmt):  Ah,  eine  Spehlmeis,  da 
gratulier  ich.  Du  Genußspecht. 

Fallota:  Weißt,  also  da  können  s'  sagen  was' 
wolln,  auf  die  Kunst  geben  s'  obacht  bei  uns,  daß  einer 
Sehenswürdigkeit  nichts  gschicht,  an  Denkmal  und 
so  Raritäten.  Da  lies  ich  grad  im  Deutschen  Volksblatt, 
schau  her,  aus  dem  Kriegspressequartier  wird  gemeldet: 
In  der  italienischen  und  französischen  Presse  wird 
die  tendenziöse  Unwahrheit  verbreitet,  daß  unsere 
und  deutsche  Truppen  in  den  besetzten  russischen 
Gebieten  griechisch-orthoxe  —  dodoxe  Heiligtümer, 
wie  Kirchen  und  Klöster,  zu  Restaurants,  Cafes  und 
Kinos  umgestalten.  Diese  Behauptung  ist  eine  frei 
erfundene  Verleumdung.  Es  ist  allbekannt,  daß 
unsere  Truppen  —  und  dasselbe  kann  von  unseren 
Verbündeten  festgestellt  werden  —  die  Kirchen  und 
Klöster  im  Feindesland  immer  mit  der  größten 
Pietät  schonen.  In  unserer  Armee  ist  die  Achtung 
der  religiösen  Zwecken  gewidmeten  Stätten  eine 
unumstößliche  Tatsache,  gegen  die  auch  in  diesem 
Kriege  sich  keiner  unserer  Soldaten  vergangen  hat. 
—  No  also,  schwarz  auf  weiß. 

Beinsteller:  Da  sieht  man,  wie  im  Krieg 
gelogen  wird. 

Fallota:  Weißt,  also  da  bin  ich  selbst  Zeuge, 
also  in  Rußland  war  ich  selbst  einmal  in  ein  Kino, 
was  früher  eine  Kirchen  war  —  also  ich  sag  dir,  nix 
merkt  man,  keine  Spur  von  einer  Verwüstung,  taarlos! 

B  e  i  n  s  t  e  1 1  e  r :  No  ja,  paar  jüdische  Friedhof  — 
das  hab  ich  gsehn  —  da  war  ein  bißl  ein  Durch- 
einander, da   hams  die  Grabsteiner  mitgehn  lassen. 


312 


Aber  wie's  in  Griechenland  mit  orthodoxe  Heilig- 
tümer is,  da  war  ich  nicht,  das  könnt  ich  nicht  sagen. 
Fallota:  Weißt,  wenns  überall  so  haklich 
warn  auf  die  Kunstwerk,  könntens  sich  gratulieren. 
Da  lies  ich  in  der  Zeitung,  schau  her,  die  Redaktion 
des  Journal  de  Geneve  — 

Beinsteller:  Ganef.   (Gelächter.) 

Fallota:  —  sammelt  also  Unterschriften  aller 
Schweizer  Bürger  auf  einer  Petition  an  Seine  Majestät, 
worin  an  dessen  Wohlwollen  und  Hochi^erzigkeit 
appelliert  wird,   um   den  Schutz  der  Kunst  verke  — 

Beinsteller:  Schmutz  der  Kunstwerke. 
(Gelächter.) 

Fallota:  —  in  den  von  den  verbündeten 
Truppen  besetzten  Gebieten  Italiens  zu  erreichen.  Dazu 
is  a  Anmerkung  der  Redaktion  —  du  großartig  schau 
her  — :  »Derartige  Petitionen  mögen  berechtigt  sein, 
wenn  die  Entente  Gebiete  besetzt.  Bei  uns  sind  sie 
überflüssig.  Denn  wir  sind  ein  Kulturvolk.« 

Beinsteller:  Natürlich  san  mr  a  Kulturvolk, 
aber  was  nutzt  das  —  wenn  mas  ihnen  auch 
hundertmal  sagt,  deswegen  plärren  s'  doch,  mir 
sein  die  Barbaren. 

Fallota:  Weißt,  mir  wern  's  ihnen  schon 
einidippeln.  Wenn  mr  nach  Venedig  einikommen 
mitn  Spazierstöckl! 

Beinsteller  (singt): 
In  Venedig  ziehn  wir  als  Sieger  ein, 
Wo  die  Gipsstatuen  und  Bilder  sein. 
Mit  den  schönen  Bildern  feuern  wir  dann  an. 
Und  als  Zeltblatt  dient  ein  echter  Tizian. 
Tschin!  Krach!  Tschindadra!  Handgranaten  her! 

Fallota:  Was  hast  denn  da  für  a  Lied,  das 
is  ja  großartig  — 


313 


Beinsteller:  Das  kennst  nicht?  Das  is  doch 
das  Offensivlied,  was  die  Einjährigen  Kaiserschützen 
singen.  Da  sind  noch  viele  Strophen,  eine  schöner 
wie  die  andere,  ich  hab's  wo,  ich  wer  dirs  abschreiben. 

Fillota:  Da  revanchier  ich  mich.  Kennst 
schon  den  Kalzelniacher-Marsch? 

Beinsteller:  Hab  davon  ghört,  in  der 
Kriegszeitung  der  k.  u.  k.  10.  Armee,  gleich  mit 
die  Noten  —  aber  die  Nummer  is  leider  vergriffen. 

Fallota:  Pomali,  kann  ich  auswendig,  hör 
zu.  Weißt,  was  »Tschiff  und  tscheff«  is? 

Beinstellei:  Aber  ja,  das  bedeutet  das 
Geräusch  beim  Repetieren  — 

Fallota:  No  und  »tauch«? 

Beinsteller:  Das  bedeutet  die  Schußdetonation 
des  Mannlicher-Gewehres. 

Fallota:  No  wennst  das  eh  weißt  —  also 
hör  zu: 

Tschiff,  tscheff,  tauch,  der  Wallisch  liegt  am  Bauch, 

Tschiff,  tscheff,  tauch,  der  Wallisch  liegt  am  Bauch. 

Wir  habn  sie  guat  getroff'n 

Die  andern  dö  san  gloff'n. 

Tschiff,  tscheff,  tauch,  der  Wallisch  liegt  am  Bauch. 

Könnan  nimma  Katzl  mach'n, 
Es  tuat  halt  gar  zviel  krach'n. 
Tschiff  — 

Den  Annunzio  und  Sonnino 
Den  machma  a  no  hino. 
Tschiff  — 

Den  Vittorio  Emanuele, 

Dem  gerb'  ma  jetzt  das  Felle. 

Tschiff  — 

Nun  werd'n  sie  fest  gedroschen 
Auf  ihre  freche  Goschen. 
Tschiff  — 


314 


Und  anstatt  Trieste, 
Da  kriagns  Hiebe  feste. 
Tschiff  — 

Und  im  Land  Tirol, 
Kriagns  a  den  Hintern  voll. 
Tschiff  — 

Niente  per  Villaco 
Du  talkatar  Macaco. 
Tschiff  — 

Nun  habn  sie  voll  ihrn  Hefn, 
Weil  wir  sie  alle  treffn, 
Tschiff  — 

Da  liegn  sie  nun  die  Schurken, 

Mit  eingedroschner  Gurken. 

Tschiff,  tscheff,  tauch,  der  Wallisch  liegt  am  Bauch. 

Beinsteller  (der  jede  Strophe  mit  Gesten  und  Inter- 
jektionen begleitet  hat,  hingerissen):  Tschiff,  tscheff,  tauch! 
Du  das  is  aber  schon  großartig!  Ah  —  ah  —  du  — 
na  hörst!  Weißt,  so  ein  Humor,  das  is  nur  auf  deutsch 
möglich,  das  ham  s'  nicht  in  ihnera  dalkerten  Sprach, 
das  bringen  s'  nicht  heraus! 

Fallota:  No  und  der  Humor  im  Felde  —  in 
der  Nummer  —  also  das  mußt  lesen! 

Beinsteller:  Pomali  —  kennst  das  schon? 
Ich  bin  nämlich  Sammler.  (Zieht  ein  Notizbuch  hervor) 
Du,  das  is  aus  der  Kriegszeitung  der  Heeresgruppe 
Linsingen:  »Ein  Glücklicher.«  Feldgrauer  (dessen 
Angebetete  seinen  Heiratsantrag  angenommen  hat): 
Glaub  mir,  Geliebte,  so  glücklich  hab  ich  mich  nicht 
mehr  gefühlt,  seit  ich  entlaust  worden  bin. 

Fallota  (wälzt  sich):  No  kennst  schon  das 
neue  Büchl  »Das  Lausoleum«  ? 

Beinsteller:  Natürlich. 

Fallota:  Momenterl  —  kennst  das  schon?  Ich 
bin  nämlich  Sammler.    (Zieht  ein  Notizbuch  hervor)    Du, 


315 


das  is  aus  der  Kriegszeitung  der  2.  Armee: 
»Weitermachen!«  Ein  Rekrut,  der  erst  seit  wenigen 
Wochen  im  Felde  ist,  muß  eine  Notdurft  verrichten  — 

Beinsteller:  Der  hats  aber  eilig,  hätt  nicht 
warten  können,  der  Schweinkerl. 

Fallota:  Wart,  der  Witz  kommt  erst.  Muß 
also  eine  Notdurft  verrichten  und  geht  auf  eine 
Latrine,  die  sich  unmittelbar  an  der  Dorfstraße 
befindet.  Da  gehn  zwei  Leutnants  vorbei.  Unser 
Rekrut  ist  erst  unschlüssig,  was  er  machen  soll. 
Schließlich  steht  er  auf  und  erweist  stramm  die 
vorschriftsmäßige  Ehrenbezeigung.  Lachend  erwidert 
da  der  eine  Offizier:  »Sitzenbleiben,  weitermachen!« 
Du,  das  war  was  für  die  Fannitant! 

Beinsteller  (wälzt  sich):  Momenterl  —  kennst 
das  schon?  Du,  das  is  aus  der  Kriegszeitung  der 
10.  Armee,  weißt,  mehr  ein  feiner  Witz,  Kindermund, 
aber  gspassig,  Alstern  »Kindermund.«  Ich  trage 
einen  Vollbart.  Ich  gehe  nun  eines  Tages  etwas 
spazieren  und  begegne  dabei  einem  allerliebsten 
Knirps  von  etwa  drei  bis  vier  Jahren.  Ich  sehe  mir 
den  jungen  Herrn  an  —  er  sieht  mich  an.  Plötzlich 
streckt  er  die  Hand  aus:  »Du  Mann«,  sagt  er, 
»warum  hast  du  so  viel  Haare  im  Gesicht?«   Zois. 

Fallota  (wälzt  sich):  Ja  der  Zois,  der  hat  halt 
einen  Humor! 

Beinsteller:  Der  regidiert  dir  die  Kriegs- 
zeitung, daß'  ein  Vergnügen  is.  Schon  sein  Name 
is  so  gspassig  —  Baron  Michelangelo  Zois  — 
Michelangelo  — 

Fallota:  Weißt  das  is  ein  Maler,  so  a 
italienischer,  weißt  der  Zois  is  aber  nicht  verwandt. 

Beinsteller:  Woher  denn,  mJt  an  Katzei- 
macher! 

(Verwandlung.) 


316 


4.  Szene 

In  Jena.  Zwei  Studenten  der  Philosophie  begegnen  einander. 

Der  erste  "Student  der  Philosophie: 
Ach  Junge  ich  sage  dir,  das  Leben  ist  doch  schön, 
der  Sieger  vom  Skagerrak  ist  Ehrendoktor  unserer 
Fakultät! 

Der  zweite:  Offenbar  wegen  seiner  Stellung 
zu  Goethe. 

Der  erste:  Nanu? 

Der  zweite:  Ja  Menschenskind  weißt  du  denn 
nicht,  er  hat  sich  doch  über  das  U-Boot-Gedicht 
von  Goethe  geäußert! 

Der  erste:  Wie,  Goethe  hat  prophetisch 
erkannt  — ? 

Der  zweite:  Nee,  nicht  Goethe  selbst,  ich 
meine  das  berühmte  Gedicht: 

Unter  allen  Wassern  ist  —  »U«. 

Von  Englands  Flotte  spürest  du 

Kaum  einen  Hauch  ... 

Mein  Schiff  ward  versenkt,  daß  es  knallte. 

Warte  nur,  balde 

R— U— hst  du  auch! 

Der  erste:  Gottvoll! 

Der  zweite:  Also  scheinbar  sagt  das  'n 
englischer  Kapitän,  aber  es  ist  doch  eigentlich  von 
Goethe,  nicht? 

Der  erste:  Na  und  Scheer? 

Der  zweite:  Scheer  hat  sich  darüber  begeistert 
geäußert,  er  findet  es  famos  und  wünscht,  daß  die 
Befürchtung  des  englischen  Kapitäns  bald  in  Erfüllung 
gehen  möge. 

Der  erste:  Hurra!  Ja  nun  verstehe  ich,  warum 
gerade  eine  so  klassische  Falkultät  wie  unser  Jena  — 
das  hätte  Schillern  gewiß  gefreut.  Unser  Rektor  hatte 
knapp  vorher  so  'nem  faulen  Friedensfatzke  das  Verbot 
des  Generalkommandos  vorgelesen,  worin  dem  Kunden 
das  Handwerk  gelegt  wird.  Hast  du  die  Rede  gelesen. 


317 


die  unser  Rektor  auf  der  Lautcrberger  Weltanschauungs- 
woche gehalten  hat?  Fein.  Ich  sage  dir,  es  geht 
vorwärts.  Wie  sagt  doch  Kluck?  Das  Haupt  der 
Feinde  in  das  Herz  zu  treffen,  ist  unser  Ziel!  Ja,  ja, 
nun  ist  also  Scheer  Doktor  in  Jena. 

Der  zweite:  Schiller  war  Feldscheer.  Dafür  hat 
Hindenburg  leider  gar  keine  Beziehung  zur  Schön- 
wissenschaft. 

Der  erste:  Nee.  Seitdem  ihn  damals  Königsberg 
zum  Doktor  der  Philosophie  honoris  causa  gemacht 
hat,  als  er  die  Panjebrüder  in  die  Tunke  setzte  — 
na  ja,  das  mußte  man  anstandshalber,  aber  sonst? 
Nie  hat  man  auch  nur  'n  Wort  von  ihm  gehört  — ■ 

Der  zweite:  Na  hin  und  wieder  doch  'ne 
Sentenz  wie  »Immer  feste  druff!«  oder  »Vorwärts!« 

Der  erste:  Ach,  das  wird  vielleicht  nicht  von 
ihm  sein. 

Der  zweite:  Aber  eben  jetzt  hat  er  das  Wort 
geprägt:  »Ich  warne  vor  den  Miesmachern.« 

Der  erste:  Da  hätte  höchstens  die  Universität 
Berlin  —  in  dem.  Wort  ist  so  gar  kein  deutscher  Zug. 

Der  zweite:  Ja  wie  hätte  er's  denn  sagen 
sollen? 

Der  erste:  Wie?  Ganz  einfach:  Ein  Hundsfott, 
wer  'n  Miesmacher  ist! 

Der  zweite:  Nun  ja  —  es  scheint  tatsächlich 
nur  die  Marine  in  der  Philosophie  verankert  zu  sein. 

Der  erste:  Oder  umgekehrt. 

Der  zweite:  Wieso? 

Der  erste:  Na  —  da  sieh  mal  (er  liest  eine 
Zeitungsnotiz  vor:)  In  Kiel  hat  ZU  Pfingsten  die 
Schopenhauer-Gesellschaft  getagt,  die  es  sich  zur 
Aufgabe  gestellt  hat,  die  Gedanken  dieses  großen, 
ebenso  populären  wie  verkannten  Philosophen  zu 
verbreiten  und  im  Bewußtsein  der  Menschen  zu 
vertiefen.  Den  Abschluß  der  Tagung  bildete  der 
Besuch  des  Kriegshafens,  wobei  die  kaiserliche 
Marine,    vertreten    durch  Korvettenkapitän   Schaper, 


318 


die  Teilnehmer  durch  Vortrag  und  unmittelbare 
Anschauung,  einschließlich  wiederholter  Tauchungen, 
über  die  Geheimnisse  eines  U-Bootes  größeren  Typs 
unterrichtete. 

Der  zweite:  Ich  wußte  nicht,  daß  Schaper 
Schopenhauerianer  ist. 

(Verwandlung.) 

5.  Szene 

Hermannstadt.  Vor  einem  versperrten  deutschen  Buchladen. 

Ein  preußischer  Musketier  (schlägt  an  die  Tür): 
Machen  Se  man  uff,  sonst  schlagen  mer  Ihnen  die 
Bude  ein  —  wir  Deutsche  haben  Hunger  nach  Büchern ! 

Der  deutsche  Buchhändler  (öffnet):  Aus 
Freude  über  diese  Drohung,  nicht  aus  Furcht 
gehorche  ich  ihr.  Mein  Ehrgeiz  als  deutscher  Buch- 
händler ist  es,  recht  viele  deutsche  Brüder  mit 
deutschen  Büchern  versorgen  zu  können.  Denn  für 
uns  Deutsche  ist  das  Beste  gerade  gut  genug.  Was,  da 
staunt  ihr  deutschen  Brüder,  so  fern  vom  deutschen 
Vaterlande  'nen  Laden  voll  guter  deutscher  Bücher  zu 
finden!  Stillen  Se  immer  mang  ungeniert  Ihren  echt 
deutschen  Bildungshunger,  während  ich  mich  stracks 
hinsetzen  will,  um  dem  Börsenblatt  für  den  deutschen 
Buchhandel  dieses  deutsche  Erlebnis  zu  berichten. 

(Verwandlung.) 

6.  Szene 

In  der  Viktualienhandlung  des  Vinzenz  Chramosta. 

Chramosta  (zu  einer  Frau):  Der  Schmierkas? 
Zehn  Deka  vier  Kronen!  —  Was,  zu  teuer?  Auf 
d'  Wochen  kost  er  sechse,  wanns  Ihna  net  recht 
is,  gehn  S'  um  a  Häusl  weiter  und  kaufn  S' 
Ihna  an  Dreck,  der  wird  nacher  bulliger  sein, 
Schamsterdiener!  —  (Zu  einem  Mann)   Wos  wolln  Sö? 


319 


Kosten  wolln  So?  So  Herr  So,  was  glaubn  denn  So? 
Jetzt  is  Kriag!  Wann  Ihna  a  Dreck  besser  schmeckt, 
probiern  S'  'n!  —  (Zu  einer  Frau)  Was  stessen  S' 
denn  umanand,  a  jeder  kummt  dran!  Wos  wolln  S'? 
A  Gurken?  Nach'n  Gwicht,  aber  dös  sag  i  Ihna 
glei,  zwa  Kronen  die  klanste!  —  (Zu  einem  Mann) 
Wos?  A  Wurscht?  Schaun  S'  daß  weiter  kummen 
So  Tepp,  wo  solln  mir  denn  jetzt  a  Wurscht  her- 
nehmen —  was  sich  die  Leut  einbilden,  wirklich  groß- 
artig! —  (Zu  einer  Frau)  Wos  Schaun  S'  denn?  Dös 
is  guat  gwogn,  's  Papier  wiegt  aa!  Jetzt  is  Krieg! 
Wann's  Ihna  net  recht  is,  lassen  S'  es  stehn, 
kummen  S'  mr  aber  net  mehr  unter  die  Augen,  So 
blade  Urschl,  dös  sag  i  Ihna!  —  (Zu  einem  Mann)  So, 
räsonniern  S'  da  net  allaweil  herum,  glauben  S'  i  hörs 
net?  So  kriagn  heut  überhaupt  nix  —  solche  Kund- 
schaften wia  So  aner  san  hob  i  scho  gfressn,  schaun  S' 
daß  außi  kummen!  —  (Zu  einer  Frau)  Der  Gmüs- 
salat  kost  zwölf  Kronen!  —  Wos?  Angschriebn?  ja 
angschriebn  san  acht  Kronen,  dös  kann  scho  sein, 
aber  kosten  tuat  er  halt  zwölfe.  Dös  san  meine  Höxtpreis, 
da  wird  net  a  luckerter  Heller  abghandelt!  Wann  S'  ihn 
heut  net  wolln,  kummen  S'  muring,  da  kost  er 
vierzehne,  habdjehre.  So  Drahdiwaberl  So  —  olstan, 
firti,  verstanden ?  (Murren  unter  den  Kunden.)  Wos  hör  i 
do?  Aufbegehren?  Wann  i  no  an  Muckser  hör,  loß 
i  olle  wias  do  san  einspirrn!  War  net  schlecht! 
Für  heut  könnts  gehn  olle  mitananda.  Gfreut  mi 
nimmer.  So  aner  notigen  Bagasch  verkauf  i  über- 
haupt nix!  (Die  Anwesenden  entfernen  sich  murrend.  Ein 
Marktamtskommissär  tritt  ein.) 

Der  Marktamtskommissär:  Revision! 

Chramosta  (verblüfft):  Refision  — ? 

Der  Marktamtskommissär:  Ich  bitte  um 
die  Faktura  vom  Gemüsesalat. 

Chramosta  (sucht  lange  herum,  überreicht  sie  zögernd) : 
Ja  —  dös  is  —  aber  net  —  maßgebend.  I  hob  extra 
no  zohln  müassn,  daß  i  's  überhaupt  kriag! 


320 


Der  Marktamtskommissär  (notiert):  Einkaufs- 
preis 4  Kronen  50  Heller.  Wie  ist  der  Verkaufspreis? 

Chramosta:  No  —  achtl  Können  S'  denn 
net  lesen?  Ja  glauben  denn  So,  unserans  kriagt  die 
Fiktualien  gschenkt?  Überhaupt  —  die  Preise  ham 
mir  zu  bestimmen,  mirken  S'  Ihna  dös!  Do 
san  mir  kompatent!  Wanns  meinen  Kunden  recht 
is,  gehts  die  Behörde  an  Schaß  an!    Jetzt  is  Kriag! 

Der  Marktamtskommissär:  Hüten  Sie  sich, 
in  diesem  Ton  fortzufahren!  Ich  mache  die  Anzeige 
wegen  Preistreiberei! 

Chramosta:  Wos?  So  Hund  So  elendiger! 
So  wolln  mi  umbringen?  I  bring  Ihna  um! 
(Er  schleudert  eine  auf  dem  Verkaufspult  stehende  Porzellan- 
schüssel mit  Streichkäse  im  Gewichte  von  zwölf  Kilogramm  auf 
den  Beamten,  ohne  ihn  zu  treffen.) 

Der  Marktamtskommissär:  Die  Folgen 
dieser  Handlungsweise  werden  Sie  sich  selbst  zuzu- 
schreiben haben! 

Chramosta:  Wos?  i — ?  So  Herr  —  hab  ich 
Ihna  vielleicht  beleidigt?  No  olstan!  Liaber  Herr, 
do  müassen  S'  früher  aufstehn!  Wer  san  denn  So? 
I  wir  Ihna  scho  zagn,  wer  i  bin  und  wer  So  san! 
Mi  wern  S'  net  aufschreiben  —  mi  net!  I  hob  Kriags- 
anleih  zeachnet,  wissen  S'  wos  dös  heißt?  Überhaupt  — 
wos  wolln  denn  So  bei  mir  hier  herin?  I  bin  Steuer- 
zahler, daß  S'  es  wissen!  I  scheiß  Ihna  wos!  Dös  hab  i 
scho  gfressen,  wann  aner  do  einakummt,  in  die  Preis 
umanandstierln  —  so  a  urtanärer  Mensch,  schämen 
S'  Ihna  —  wann  S'  net  auf  der  Stöll  mein  Logal 
verlassen,  bin  i  imstand  und  vergreif  mi  an  Ihna! 
(Er  ergreift  zwei  Messer.) 

Der  Marktamtskommissär  (zur Tür  retirierend): 
Ich  warne  Sie! 

Chramosta:  Wos,  warnen  a  no?  So  Amts- 
person So!  So  Hungerleider!  I  bring  Ihna  um! 
(Wirft  ihm  einen  Korb  mit  Haselnüssen  nach.)  A  SO  a  Beidll 
(Verwandlung.) 


321 


7.  Szene 


Zwei    Kommerzialräte   aus  dem   Hotel   Imperial    tretend.    Ein 
Invalide  humpelt  vorbei. 

Erster  Kommerzialrat  (sich  umsehend) :  Is  kein 
Wagen  da?  Schkandaal! 

Beide  (mit  ihren  Stöcken  auf  ein  vorüberfahrendes 
Automobil  zielend):  Auto  — ! 

Der  erste  (einem  Fiaker  nachrufend):  Sie  —  sind 
Sie  frei? 

Der  Fiaker  (achselzuckend):  Bin  bstöllt! 

Der  zweite:  Das  einzige  was  ma  noch  hat, 
daß  ma  überhaupt  noch  was  zum  essen  kriegt 
(sie  werden  von  Bettlern  aller  Art  umkreist)  —  Der  junge 
Rothschild  wird  auch  alt.  Er  kann  doch  höchstens 
—  wie  lang  is  das  her,  warten  Sie  — 

Der  erste:  No  is  das  eine  Stimmung  in  dem 
Wien?  Wissen  Sie,  was  die  Leut  sind?  Ich  wer  Ihnen 
sagen,  was  die  Leut  sind.  Kriegsmüde I  Das  sieht 
doch  ein  Blinder!  (Ein  blinder  Soldat  steht  vor  ihnen.) 
Schaun  Sie  schnell,  wer  is  die  was  jetzt  hereinkommt? 

Der  zv.'^eite:  Das  wissen  Sie  nicht?  — 
warten  Sie  —  das  is  doch  die  —  vom  Ballett,  wie 
heißt  sie  —  die  Speisinger!  wissen  Sie,  die  mit  dem 
roten  Pollack  I  —  Also  richtig,  was  sagen  Sie,  der 
alte  Biach  hat  Kriegspsychose! 

Der  erste:  Was  Sie  nicht  sagen.  Wieso  zeigt 
sich  das? 

Der  zweite:  Jedes  zweite  Wort  von  ihm  is 
aus  dem  Leitartikel  —  überspannt! 

Der  erste:  Überspannt  war  er  doch  immer. 
Zerreißt  sach  für  die  Nibelungentreue.  Schigan  I 

Der  zweite:  Noja  aber  so  wie  jetzt?  Er  is 
aufgeregt,  wenn  man  sich  nicht  gleich  erinnert.  Er 
redt  sich  ein,  die  Sticheleien  der  Entente  sind  auf 
ihm.  Außerdem  hat  man  Zeichen  von  Größenwahn 
konstatiert. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  31 


322 


Der  erste:  Wieso  zeigt  sich  das? 
Der  zweite:  Er  bildet  sich  ein,  er  is  Er. 
Der  erste:  Das  is  traurig. 
Der  zweite:    No  was   is,    no   harn  Sie  Ihren 
Buben  in  dem  Dingsda  —  Kriegsarchiv  untergebracht? 

Der  erste:  Ja,  aber  er  hat  doch  einen  Bruch, 
und  da  hoff  ich,  daß  sie  ihn  bald  wieder  auslassen. 
Er  will  höher  hinaus,  Sie  wissen  doch,  Ben  Tiber 
will  ihn  als  Dramaturg  nehmen.  Er  hat  einen  Bruch, 

Der  zweite:  Mein  Jüngster  hat  Talent.  Ich 
hoff  auch  —  Aber  jetzt  zitter  ich  nur,  daß  mir  das 
gelingt  mit  dem  Lepold  Salvator,  morgen  bin  ich  also 
in  Audienz  —  meine  Frau  kriegt  einen  Breitschwanz. 

(Eine   Bettlerin   mit   einem    Holzbein    und    einem    Armstumpf 
steht  vor  ihnen.) 

Beide  (mit  ihren  Stöcken  auf  ein  vorüberfahrendes 
Automobil  zielend) :  Auto  —  ! 

(Verwandlung.) 

8.  Szene 

Der  alte  Biach  erscheint  sinnend. 

Der  alte  Biach:  Die  Nase  der  Kleopatra 
war  eine  ihrer  größten  Schönheiten.  Sibyl  war  die 
Tochter  einesArbeiters. (Sich  vorsichtigumblickend)Tell  sagt, 
jeder  geht  an  sein  Geschäft  und  meines  ist  der  Mord, 
(Nach  einer  Pause,  mit  raschem  Entschluß  und  heftiger  Bewegung) 
Das  erste  muß  jetzt  sein,  daß  der  Reisende  die 
Fühlhörner  ausstreckt  und  die  Kundschaft  abtastet. 
(Mit  Genugtuung)  Iwangorod  röchelt  bereits.  (Mit  schlecht 
verhohlener  Schadenfreude)  Poincare  ist  erschüttert  und 
Lloyd-George  gedemütigt.  (Mit  Qewure)  Engländer  und 
Deutsche  werden  sich  in  Stockholm  begegnen,  (ab.) 

(Verwandlung.) 


323 


9.  Szene 

Kriegsarchiv. 
Ein  Hauptmann.    Die  Literaten, 

Der  Hauptmann:  Sie  da,  Sie  arbeiten  mir  also 
die  Belobungsanträge  aus,  als  Theaterkritiker  vom 
Fremdenblatt  wird  Ihnen  das  ja  nicht  schwer  fallen. 
—  No  und  Sie,  also  Ihr  Föleton  über  die  franzesische 
Büldhauerin,  Auguste,  wie  heißt  sie  nur,  also  so 
ähnlich  wie  Rodaun,  sehr  fesch  war  das  gschriebn, 
also  mit  Ihrer  Feder  wird  Ihnen  das  ja  nicht 
schwer  fallen,  das  Vorwort  für  unsere  grundlegende 
Publikation  »Unter  Habsburgs  Banner«,  aber  wissen  S', 
was  Packendes  muß  das  sein,  was  halt  ins  Gemüt  geht 
und  daß  S'  mir  also  naturgemäß  nicht  auf  Ihre  kaiser- 
liche Hoheit  die  durchlauchtigste  Frau  Erzherzogin 
Maria  Josef a  vergessen!  — Und  Sie,  Müller  Robert,  was 
is  denn  mit  Ihnen,  mir  entgeht  nichts,  Ihr  Artikel  damals 
übern  Roosevelt  war  sehr  frisch  gschrieben,  bißl  zu  viel 
Lob,  schaun  S'  also  daß  Sie  mir  den  Aufsatz  »Was 
erwarten  wir  von  -  unserem  Kronprinzen?«  bald 
abliefern!  Sie  haben  sich  ein  bißl  zu  stark  für  die 
Ameriganer  engagiert,  aber  das  soll  Ihnen  weiter 
nicht  schaden.  —  Sie,  was  is  denn  mit  dem  Doppelaar, 
is  der  noch  nicht  fertig?  Lassen  S'  an  frischen  Wind 
durch  die  stählernen  Schwingen  des  Doppelaars 
sausen!  —  Ja  aber  was  is  denn  mit  Ihnen  mein  Lieber? 
Seit  Sie  aus  dem  Hauptquartier  zurück  sind,  legen  Sie 
sich  auf  die  faule  Haut!  Sie  ham  sich  dort  ein  Leben 
angewöhnt!  Ich  will  Ihnen  aber  was  sagen.  Daß 
Seine  kaiserliche  Hoheit  der  durchlauchtigste  Herr 
Erzherzog  Friedrich  von  Ihren  Kriegsgedichten 
begeistert  ist,  kann  Ihnen  genügen,  mir  genügt 
das  noch  lange  nicht!  Also  schaun  S'  dazu,  daß 
der  Weihegesang  an  die  verbündeten  Heere  bald 
abgliefert  wird,  sonst  kommen  S'  mir  zum  Rapport!  — 
Na,  Werfel,  was  is  denn  mit'n  Aufruf  für  Görz? 
Nur   net   zu  gschwolln,   hören  S'?  Alles  mit  Maß! 

21* 


324 


Sie  haben  viel  z'v^iel  Gfühl,  das  is  mehr  fürs  Zivül. 
—  Na  ja  Sie  dort,  selbstverständlich!  Sie  san  ja  ein 
Expressionist  oder  was,  Sie  müssen  immer  eine 
Extrawurscht  haben.  Aber  das  nutzt  Ihnen  nix,  grad 
von  Ihnen  erwart  ich,  daß  die  Skizze  »Bis  zum 
letzten  Hauch  von  Mann  und  Roß«,  die  ich  Ihnen 
aufgegeben  habe,  endlich  in  Angriff  genommen 
wird,  fix  Laudon!  Der  »Durchbruch  bei  Gorlice« 
is  Ihnen  ja  nicht  übel  gelungen.  —  (Zu  einer  Ordonnanz, 
die  eben  eintritt)  Was  is  denn  scho  wieder?  Ah  richtig. 
(Er  übernimmt  Photographien)  Sehr  drastisch!  Das  sind 
nämlich  die  Aufnahmen  von  der  Hinrichtung  vom 
Battisti.  Ah,  ah,  unser  Scharfrichter  Lang  is  aber  zum 
Sprechen  ähnlich  getroffen!  Also  das  is  für  Sie  dort 
zum  Einreihen!  Beschreiben  S'  es  und  tun  S'  es  zu 
die  andern,  zu  die  tschechischen  Legionäre  und  die 
Ukrainer  und  so.  —  Und  das?  ja  wie  soll  man  denn 
das  rubrizieren?  Das  is  nämlich  das  prächtige 
Gedicht  über  den  Mullatschak  bei  Seiner  kaiserlichen 
Hoheit  dem  durchlauchtigsten  Herrn  Erzherzog  Max 
am  Monte  Fae,  das  is  ein  Fressen  für  unsere  Lyriker, 
passen  S'  auf: 

Am  Fae  der  Kommandant 
Hoheit  freundlich  und  charmant. 
Froh  begrüßt  er  seine  Gäste 
Und  bewirtet  sie  aufs  beste. 
Offen  hält  er  Küch'  und  Keller. 
Jeder  sitzt  vor  seinem  Teller. 

Ujegerl  aber  nacher  gehts  schief.  Da  is  dann  die 
gspaßige  Stelle,  wie's  immer  mehr  aufladnen,  bis  einer 
also  naturgemäß  nicht  mehr  weiter  kann  — 

Knöpft  sich  auf  und  macht  sich  los 
Das  Krawattl  und  die  Hos'. 

Na  und  am  End  wird  also  naturgemäß  gspieben. 
Das  is  gspaßig!    Und  was  da   noch   alles   passiert! 


325 


Doch  die  Ordonnanz,  schau,  schau, 
Hält  er  für  'ne  Kammerfrau  — 
Kneift  mit  zärtlichem  Verlangen 
Ihr  den  Arm  und  die  Wangen. 
Doch  darauf  für  alle  Zeiten 
Wollen  wir  den  Mantel  breiten. 

Sehr  gut!  Am  nächsten  Tag  wird  dann  also  natur- 
gemäß weitergsoffen.  ^^ 

Aus  dem  Faß  der  letzte  Tropfen. 
Was,  den  Magen  sie  zu  stopfen, 
Jeder  sich  aufs  Brot  geschmiert 
Und  an  Fetten  konsumiert  — 

no  das  kann  man  sich  ja  denken,  also  darüber 
versteht  sich  waren  dann  also  naturgemäß  die  Köche 
sehr  ärgerlich,  -  aber  die  kaiserliche  Hoheit  hat  a 
Freud  ghabt.  Na  und  wie  s'  nacher  in  ihre  Stellungen 
zruckkommen,  ujegerl  — 

Jeder  hat  mit  seinem  Affen 
Eine  schwere  Last  zu  schaffen. 

Ausgschaut  hams!  —  Also,  dieses  Gedicht  kommt 
schon  deswegen  für  das  Kriegsarchiv  in  Betracht, 
also  naturgemäß  nicht  bloß  wegen  dem  Humor  im 
Felde  und  weil  darin  die  Gastfreundlichkeit  Seiner 
kaiserlichen  Hoheit  gefeiert  wird,  sondern  auch 
deshalb,  weil  es  eine  Raridät  is!  Es  is  nämlich  in  der 
Frontdruckerei  im  schwersten  Trommelfeuer  gedruckt 
vvorn,  da  kriegt  man  einen  Reschpekt,  no  und  man 
muß  zugeben,  daß  es  ein  sehr  ein  geschmackvoller 
Druck  is.  —  Sie  Korpral  Dörm.ann,  da  nehmen 
S'  sich  ein  Beispiel,  geben  S'  Ihnerem  Musenroß  die 
Sporen,  seit  damals  wo  Sie  die  Russen  und  die  Serben 
in  Scherben  ghaut  ham,  sind  Sie  schweigsam  gworn. 
Was  is  denn?  Das  war  doch  so  kräftig: 
Und  einen  festen  Rippenstoß 
Kriegt  England  und  der  Herr  Franzos. 
Da  waren  S'  der  reine  Dörmann  in  Eisen! 


326 


Wir  werden  's  euch  schon  geben. 

Jetzt  sollt  ihr  was  erleben. 

Das  große  Maul  habt  ihr  allein, 

Wir  aber,  wir,  wir  pfeffern  drein. 
Alstern  —   pfeffern  S'  drein!   Was  san   S'  denn  so 
melankolisch?    Na  ja,    ich  kanns  Ihnen  nachfühlen, 
daß     Sie    sich     also     naturgemäß     lieber     draußen 
betätingern  möchten  als  wie  herint.    Das  is  zwider. 

,1  Dörmann: 

Ich  neid  es  jedem,  der  da  draußen  fiel. 

Die  Pflicht  allein  trennt  mich  vom  letzten  Ziel! 

Der  Hauptmann:  Das  is  brav,  wie  Sie  mit 
gutem  Beispiel  vorangehn.  —  No  und  Sie  Müller  Hans, 
bei  Ihnen  braucht  man  keine  Aufmunterung,  Sie 
sind  ja  eh  tüchtig.  Haben  S'  wieder  eine  Fleißaufgabe 
gmacht?  Da  schau  her,  »Drei  Falken  über  dem  Lovcen« ! 
Das  is  viel.  Ich  werde  nicht  verfehlen,  über  Sie  mit 
dem  Herrn  Generalmajor  zu  sprechen. 

Hans  Müller:  Wir  haben  die  größere  Süßig- 
keit der  Pflicht  erkannt,  wir  zerbrechen  unter  ansern 
Taktschritten  ein  unnützes  Leben,  das  dem  bunten 
Schein  näher  war  als  der  Wirklichkeit. 

Der  Hauptmann:  So  is  recht.  Aber  wissen  S', 
was  mich  intressieret?  Jetzt  möcht  ich  einmal  aus 
Ihrem  eigenen  Mund  eine  authentische  Auskunft 
darüber,  wie  Sie  bei  Kriegsausbruch  Ihren  Mann 
gstellt  hab'n.  Also  das  wunderschöne  Feuilleton  vom 
Cassian  im  Krieg,  also  wie  S'  da  das  Ohrwaschel 
auf  die  russische  Ebene  legen,  also  das  weiß  man, 
das  ham  S'  also  naturgemäß  in  Wien  g'schrieben, 
also  da  war'  mr  alle  paff  wie  S'  das  troffen  hab'n. 
Aber  beim  Kriegsausbruch  —  da  waren  S'  doch 
persönlich  zugegen,  in  Berlin?  Da  ham  S'  doch  also 
naturgemäß  die  Verbündeten  abpusselt  —  wissens  S' 
da  gibts  aber  Leut,  die  reden  herum,  daß  Sie  das 
auch  in  Wien  tan  hab'n,  auf  der  Ringstraßen,  der 
Fackelkraus  und  so,    wissen   S'  die  Leut  ham  halt 


327 


eine  böse  Goschen.  Jetzt  sagen  S'  mir  also,  wie  sich 
das  verhaltet  und  ob  Sie  damals  in  Berlin  oder  nur 
in  Wien  waren  —  das  is  doch  etwas,  was  also 
naturgemäß  für  das  Kriegsarchiv  wichtig  is! 

Hans  Müller:  Herr  Hauptmann  melde  ge- 
horsamst, männiglich  weiß,  daß  ich  den  Kriegs- 
ausbruch effektiv  in  Berlin  mitgemacht  habe  und 
daß  es  sich  genau  so  verhält,  wie  ich  es  in  meinem 
Feuilleton  »Deutschland  steht  auf«  am  25.  August  1914 
geschildert  habe.  Wir  standen  keines  Überfalls 
gewärtig,  an  der  Neustädtischen  Kirchstraße,  soeben 
war,  ich  sehe  es  vor  mir,  ein  russischer  Spion  vom 
Rachen  aer  Menge  verschlungen  worden  —  da  sehe  ich, 
wie  sich  ein  Zug  von  einfachen  Leuten,  unsere  gute 
schwarzgelbe  Fahne  vorantragend,  stracks  gegen  das 
Brandenburger  Tor  bewegt.  Sie  singen  unsere  geliebte 
Volkshymne.  Ich,  nicht  faul,  singe  mit.  »Gott  erhalte, 
Gott  beschütze«  singe  ich  laut  zur  nächsten  Strophe. 
Da  schaut  ein  Marschiernachbar  mich  eine  Sekunde 
herzlich  an,  dann  legt  er  seinen  Arm  unter  den 
meinen,  preßt  ihn  kameradschaftlich  an  sich  — 

Der  Hauptmann:  Aha,  Schulter  an  Schulter. 

Hans  Müller:  —  und  singt  nun  von  meinen 
Lippen  den  gleichen  Text  ab,  den  ich  selber  singe. 
Diesen  Wackeren  —  er  war  ein  schnauzbärtiger  Gesell, 
war  nicht  gerade  schön  und  auch  nicht  das,  was  man 
hochelegant  nennt  —  habe  ich  vor  der  österreichisch- 
ungarischen Botschaft  auf  den  Mund  geküßt. 

Der  Hauptmann:  Hörn  S'  auf!  Also  wann 
das  der  Szögyeny  vom  Fenster  gsehn  hat,  wird  er 
a  Freud  ghabt  hab'n. 

Hans  Müller:  Wahrscheinlich  klingt  das  in 
der  Nacherzählung  pathetisch  — 

Der  Hauptmann:  Ah  woher  denn. 

Hans  Müller:  —  und  der  Beifall  der  Ultra- 
ästheten dürfte  mir  dafür  nicht  beschieden  sein  — 
(Murren  unter  den  Literaten,  Oho-Rufe.) 

Der  Hauptmann:  Stad  sein! 


328 


Hans  Müller:  Aber  ich  weiß,  daß,  wenn  die 
Gioconda  dereinst  selbst  aus  ihrem  Rahmen  stiege 
und  mir  das  einzige  Lächeln  ihrer  Lippen  darböte, 
ihre  Umarmung  mich  nicht  so  im  Innersten  beglücken 
und  erschüttern  würde,  wie  der  Bruderkuß  auf  die 
Lippen  dieses  wunderbaren  deutschen  Mannes. 

Der  Hauptmann  (gerührt):  Das  is  brav  von 
Ihnen!  No  und  was  ham  S'  in  dera  großen  Zeit 
sonst  noch  erlebt? 

Hans  Müller:  Herr  Hauptmann  melde  gehor- 
samst, ewig  unvergeßbar  wird  mir  die  Sommermittags- 
stunde bleiben,  da  Männer  und  Frauen  im  königlichen 
Dom  zum  Altar  traten,  den  Gott  der  deutschen 
Waffen  anzurufen.  Auf  der  Empore  des  Domes  sitzt 
der  Kaiser,  aufrecht,  den  Helm  in  der  Hand.  Zu 
seinen  Füßen,  ein  schwarzes  Meer  — 

Der  Hauptmann:  Aha,  da  war  er  schon  in 
Konschtantinopel. 

Hans  Müller:  —  wogen  die  Gläubigen.  Die 
Orgel  braust  gewaltig  von  oben  herab,  durch  die 
Fenster  bricht  die  Sonne  i^'id  wie  ein  heiliger  Schrei 
hebt  sich  — 

Der  Hauptmann:  Is  scho  guat,  wissen  S'  die 
Stimmungsmalerei  intressiert  mich  weniger  als  was 
Sie  damals  persönlich  geleistet  hab'n. 

Hans  Müller:  Frauen  und  Männer  fassen 
sich  an  den  Händen,  die  Orgel  braust  — 

Der  Hauptmann:  Zur  Sache! 

Hans  Müller:  Zu  Befehl.  Ein  heißes  Würgen 
steigt  mir  in  die  Kehle,  noch  nehme  ich  mich  fest 
zusammen,  denn  ich  stehe  inmitten  von  lauter  tapferen, 
beherrschten  Männern,  und  in  diesen  Tagen  darf  man 
sich  nicht  als  Schwächling  zeigen.  Aber  jetzt  sehe 
ich  auf  den  Kaiser  Wilhelm,  der  wie  in  einem 
unbeschreiblichen  Übermaß  von  Erregung  den 
bleichen  Kopf  senkt,  tief  hinab,  die  erschütternden 
Klänge  läßt  er  über  seine  Stirn  hinziehen  — 

Der  Hauptmann:  Ah  ia  schaurija! 


329 


Hans  Müller:  —  mit  einer  inbrünstigen  Gebärde 
preßt  er  den  Helm  dicht  vor  seine  Brust.  Da  kann 
ich  mich  nicht  mehr  retten  — 

Der  Hauptmann:  Ja  was  is  Ihnen  denn 
gschehn? 

Hans  Müller:  —  ich  schluchze  laut  hinaus  — 

Der  Hauptmann:  Gehst  denn  net. 

Hans  Müller:  —  und  siehe,  die  tapferen 
Männer  neben  mir,  grauhaarig  und  beherrscht,  sie 
alle  schluchzen  ohne  Scham  mit  mir  mit.  Wissen 
sie  auch,  was  dem  armen  unmilitärischen  Gast  in 
ihrer  MÜte  das  Herz  aufwühlt?  Durch  den  Schleier 
der  jäh  hervorstürzenden  Tränen  sehe  ich  neben 
ihrem  edlen  Herrn  einen  anderen  stehen,  meinen 
eigenen  Kaiser,  meinen  ritterlichen,  alten,  gütigen 
Herrn  — 

Der  Hauptmann:  Net  plaazen  Müller! 

Hans  Müller:  —  imd  aus  tiefster  Seele 
mische  ich  jetzt  mein  Gebet  brüderlich  mit  dem 
ihren:  »O  Gott,  der  du  über  den  Sternen  bist,  segne 
in  dieser  Stunde  auch  Franz  Joseph  den  Ersten, 
segne  mein  altes,  teures  Vaterland,  daß  es  stark 
bleibe  und  blühe  —  für  und  für  —  segne  meine 
Brüder,  die  jetzt  für  unsere  Ehre  hinausziehen  zu 
Not  und  Tod,  segne  uns  alle,  unsere  Zukunft,  unsere 
Faust,  unser  Geschick  —  Herr  und  Gott,  der  du 
die  Lose  der  Menschen  und  Völker  in  deinen  Händen 
hältst,  aus  heißester,  inbrünstigster  Heimatliebe 
rufen  wir  alle,  alle  zu  dir .  .  .«  —  Herr  Hauptmann, 
melde  gehorsamst,  das  ist  der  Schluß  vom  Feuilleton. 

Der  Hauptmann:  Da  steckt  noch  eine  echte 
Empfindung  drin.  Sag'n  S',  was  zahlt  jetzt  die  Presse 
für  ein  Gebet  —  ah  —  für  a  Feuilleton  wollt  ich 
sag'en. 

Hans  Müller:  Herr  Hauptmann  melde 
gehorsamst,  200  Kronen,  aber  wahrlich,  ich  hätte  es 
auch  um  Gottes  Lohn  getan!  Hei. 


330 


Der  Hauptmann:  Nein,  Sie  hab'n  ja  mehr 
dafür  kriegt,  Ilinen  is  die  höchste  Ehre  zuteil  geworden, 
die  einem  Herrn  von  der  Presse  zuteil  werden  kann  — 
der  deutsche  Kaiser  hat  Sie  in  der  Wiener  Hofburg 
empfangen,  er  is  ein  Verehrer  Ihrer  Muse,  ich  verrat 
Ihnen  da  kein  Geheimnis,  man  munkelt  sogar,  daß 
Sie  den  Lauff  ausgstochen  haben.  Ich  benütze  die 
Gelegenheit,  Ihnen  dazu  meine  Gratulation  auszu- 
sprechen. Hörn  S',  wie  waren  die  Begrüßungsworte 
Seiner  Majestät,  Sie  hab'n  das  ja  so  schön  beschrieben  — 

Hans  Müller:  Der  Kaiser  kommt  mir  bis  an 
die  Tür  entgegen,  er  streckt  mir  die  Hand  hin, 
er  blickt  mich  aus  seinen  großen,  strahlenden  Augen 
mit  dem  gütigsten  Lächeln  an  und  sagt:  »Sie  haben 
uns  im  Kriege  eine  so  schöne  Dichtung  geschenkt  — 
was  dürfen   wir  im   Frieden  von  Ihnen   erwarten?« 

Der  Hauptmann:  Einen  schweinischen 
Schwank  —  hätten  S'  sagen  solln. 

Hans  Müller:  Herr  Hauptmann,  melde 
gehorsamst,  vor  dieser  Stimme  schwindet  sogleich 
jede  Befangenheit  —  aber  den  Mut  habe  ich  doch 
nicht  aufgebracht,  Herr  Hauptmann! 

Der  Hauptmann:  No  ja,  's  is  a  hakliche 
Situation.  Sagen  S'  mir  jetzt  nur,  was  hat  Ihnen  denn 
den  stärksten  Eindruck  am  deutschen  Kaiser  gmacht? 

Hans  Müller:  Herr  Hauptmann  melde 
gehorsamst  —  alles! 

Der  Hauptmann:  Und  sonst  nix? 

Hans  Müller:  Ich  bin  noch  so  erschüttert, 
daß  ich  nicht  imstande  wäre,  die  zaubervolle  Macht 
der  Persönlichkeit,  diese  ganz  selbstverständliche 
Würde,  die  Leuchtkraft  dieser  Augen,  die  einen 
nicht  loslassen  und  wie  der  Spiegel  einer  klaren, 
im  tiefsten  Sinne  sittlichen  Natur  — 

Der  Hauptmann:  Hörn  S'  auf!  No  also 
wissen  S'  —  daß  der  deutsche  Kaiser  auf  einen 
Brünner  Juden  hereinfallt,  das  is  schließlich  also  natur- 
gemäß kein  Wunder.  Aber  daß  ein  Brünner  Jud  auf 


1 


331 


den  deutschen  Kaiser  hereinfallt  —  das  is  unglaublich! 
(Eine  Ordonnanz  kommt  und  überbringt  einen  Brief.)  Was  is 
denn  scho  wieder?  (Er  liest.)  Also  da  legst  di  nieder.  Das 
betrifft  S  i  e  Müller.  (Müller  erschrickt.)  Der  Herr  General- 
major befiehlt,  daß  Sie  sofort  aus  dem  Kriegsarchiv 
zu  entlassen  sind.  (Müller  erbleicht.)  Es  ist  ein  Hand- 
schreiben Seiner  Majestät  des  deutschen  Kaisers  ein- 
gelangt, worin  er  ersucht,  daß  man  den  Dichter  der 
»Könige«  nicht  durch  Verwendung  im  k.  u.  k.  Kriegs- 
archiv seinem  eigenen  Schaffen  entziehen  möge. 
(Murren  unter  den  Literaten.)  Stad  sein!  —  Leben  S'  wohl, 
Müller!  Aber  wissen  S',  was?  (Mit  Rührung)  Die  drei 
Falken  über  dem  Lovcen  —  die  schreiben  S'  uns 
noch  fertig!  Und  wenn  Sie  dann  wieder  für  sich 
arbeiten  können,  und  sich  also  naturgemäß  auf  die 
Friedensproduktion  emsielln  —  dann  wern  S'  doch 
manchmal  an  die  Stunden  Ihrer  Dienstzeit  zurück- 
denken, dann  wern  S'  sagen  können:  schön  wars 
doch  —  und  sich  hoffentlich  auch  weiterhin  mit  dem 
Kriegsarchiv  verbunden  fühlen. 

Hans  Müller:  Auf  Gedeih  und  Verdeib! 

(Verwandlung.) 

10.  Szene 

Ein  chemisches  Laboratorium  in  Berlin. 

Der  Geheime  Regierungsrat  Professor 
Delbrück  (sinnend):  Die  englischen  Zeitungen  ver- 
breiten seit  einiger  Zeit  wieder  mal  allerlei  Mitteilungen 
über  den  angeblich  schlechten  Ernährungszustand 
der  deutschen  Bevölkerung.  Es  spricht  nicht  gerade 
für  die  große  Kriegsfreudigkeit  unter  dem  englischen 
Volke,  wenn  seine  Stimmung  immer  wieder  durch 
die  Verbreitung  solcher  Nachrichten  gehoben  werden 
muß,  die  allesamt  mit  den  Tatsachen  in  direktem 
Widerspruch  stehen.  Ärztlicherseits  wurde  ausdrücklich 
die  Bekömmlichkeit   der   gegenwärtigen   Kriegskost 


332 


festgestellt,  der  wir  es  zu  verdanken  haben,  daß  die 
Erkrankungen,  bei  Männern  wie  bei  Frauen,  in 
ständigem  Rückgang  begriffen  sind.  Von  den 
Säuglingen  gar  nicht  zu  reden,  für  die  in  völlig 
ausreichender  und  vorbildlicher  Weise  gesorgt  wird. 
Sogar  das  Wolffbüro  muß  zugeben,  daß  unsere 
Krankenhäuser  im  Kriege  weit  weniger  belegt  sind 
als  in  Friedenszeiten  und  daß  die  vereinfachte 
Lebensweise  für  viele  Personen  direkt  gesundheits- 
fördernde Vv'irkungen  gehabt  hat.  Und  nun  gedenke 
ich  in  der  66.  Generalversammlung  des  Vereines  der 
Spiritusfabrikanten  Deutschlands  auseinanderzusetzen, 
daß  wir  diesen  Erfolg  zuvörderst  der  Mineralnährhefe 
zu  verdanken  haben.  (Stellt  sich  in  die  Positur  des  Redners.) 
Der  Eiweißgehalt  der  Mineralnährhefe,  der  ihren 
Nährwert  bestimmt,  wird  vorzugsweise  durch  die 
Verwendung  von  Harnstoff  gewonnen.  Meine  Herrn! 
Wir  erleben  hier  einen  Triumph  des  reinen  Geistes 
über  die  rohe  Materie.  Die  Chemie  hat  das  Wunder 
bewirkt!  Eine  schon  19 15  begonnene  Arbeitseinrichtung 
wurde  aufs  neue  mit  großem  Erfolge  aufgenommen: 
die  Ersetzung  des  schwefelsauren  Ammoniaks  bei  der 
Erzeugung  der  Hefe  durch  Harnstoff.  Meine  Herrn! 
Ist  aber  der  Harnstoff  so  zu  verwenden,  so  liegt 
auch  die  Möglichkeit  vor,  in  derselben  Richtung  den 
Harn  und  die  Jauche  heranzuziehen.  (Ab). 
(Verwandlung.) 

11.  Szene 

Vereinssitzung  der  Cherusker  in  Krems. 

Pogatschnigg,  genannt  Teut:  — Wodan 
ist  mein  Schwurzeuge,  nicht  mehr  fern  sind  die 
Tage,  wo  wieder  Speise  und  Trank  reichlich 
vorhanden  sein  werden,  wo  uns  wieder  vom 
feisten,  knusperigen  Schwein  ein  artig  Lenden- 
stücklein erfreuen  wird,  mit  zartgebräunten  Erd- 
äpfeln, in  wirklicher  und  wahrhaftiger  Butter  duftig 


333 


gebraten,  kleine  zierliche  Gurken,  wie  sie  Znaims 
Wonnegefilden  holdselig  entsprießen,  dazu  ein  dunkler 
Gerstensaft  aus  Kulmbachs  bajuvvarischen  Gauen  (Heil- 
Rufe.  Es  klingt  wie  »Hedl!<)  —  ein  herzhaft  Brot,  aus  Roggen 
schmackhaft  geknetet  und  gebacken,  und  ein  leckerer 
Salat!  Stolze  Vindobona  am.  alten  Nibelungenstrom,  bis 
dahin  heißt  es  durchhalten!  (Rufe:  Wacker!)  Der  herrliche 
Angriff  auf  die  Welschen,  der  diese  Abruzzenschufte  aus 
Tirols  ewigen  Bergen  hoffentlich  für  immerdar  hinaus- 
befördert, ist  uns  gelungen!  (Rufe:  Hedl!)  Zuversichtlich 
erwarten  wir,  daß  auch  der  moskowitische  Bär  mit 
blutenden  Pranken  weidwund  heimschleicht!  Und  ihm 
nach  die  Knoblauchduftenden,  unsere  Kohnnationalen! 
Heil!  (Rufe:  Bravo!  Hedl!  Hoch  Teut!  Hoch  Pogatschnigg!) 
Eine  Stirn. me:  J idelach!  (Heiterkeit.) 
Frau  Pogatschnigg  (ergreift  das  Wort):  Nicht 
rasten  und  nicht  rosten,  lautet  ein  gutes  deutsches  Wort. 
Wie  sagt  doch  BarbaraWaschatko,  dieDeutschesteunter 
den  Deutschen,  in  der  Ostdeutschen  Post:  Strickend 
haben  wir  das  alte  Jahr  beendet,  strickend  fangen 
wir  das  neue  wieder  an.  Nie  sind  unsere  Gedanken 
mehr  bei  denen  draußen  im  Felde  als  jetzt,  wo 
Schnee  mit  Regen  und  Glatteis  abwechselt  und  wo 
wir  uns  fragen,  was  für  unsere  tapferen  Krieger  das 
Härteste  ist:  die  rote  Sonnenkugel,  die  Hornungs 
an  einem  kalten  Himmel  hängt,  oder  das  Wasser,  das 
unaufhörlich  und  trübselig  in  die  Schützengräben  rinnt 
—  tuk  tuk  tuk.  (Rufe;  Hedl!  Wacker!)  Aber  bei  uns  Frauen 
mischt  sich  nun  einmal  das  Lächeln  gern  unter  die 
Tränen,  und  selbst  im  Schmerz  zeigen  wir  noch  das 
Bedürfnis,  schön  zu  sein.  Schmückte  sich  nicht  auch 
Kleopatra  zum  Sterben?  (Rufe:  So  ist  es!  Wacker!  Hedl  Resitant!) 
Winfried  Hromatka  i.  a.  B.:  Ehrenfeste 
Bundesbrüder  und  Bundesschwestern!  Als  Vertreter 
der  Jungmannschaft  ist  es  nicht  nur  meine  Pflicht,  den 
Treuschwur  zu  erneuern,  wonach  wir  den  uns  auf- 
gezwungenen Kampf  bis  zum  siegreichen  Ende, 
scilicet  bis  zum  letzten  Hauch  von  Mann  und  Roß 


334 


durchführen  werden.  (Rufe:  Hedl!)  Denn,  Ehrenfeste, 
ein  deutscher  Friede  ist,  wie  unser  Altmeister  Hinden- 
burg  so  treffend  gesagt  hat,  kein  weicher  Friede. 
(Rufe:  Hurra!)  Nein,  es  ist  auch  unsere  Pflicht,  unserer 
Walküren  zu  gedenken,  welche  den  Heide«  trost- 
reich beistehen  und  als  deren  vornehmste  Vertreterin 
ich  meine  ehrenfeste  Vorrednerin  begrüßen  möchte. 
(Hedl !)  Dem  Feinde  Trutz,  aber  dem  schönen  Geschlechte 
Schutz!  Die  Resitant  lebe  hoch!  (Rufe:  Hurra!  Hedl 
Resitant!) 

Kasmader  (erhebt  sich):  Meine  ehrenfesten 
Bundesbrüder  und  Bundesschwestern!  Wir  haben  heute 
wahrhaft  zu  Herzen  gehende  deutsche  Worte  ver- 
nommen. Als  Vertreter  der  deutschen  Postler  m.öchte 
ich  eine  Anregung  geben  in  den  Belangen  der 
Selbstbeschränkung,  indem  daß  wir,  eingekreist  von 
britischem  Neid,  welschem  Haß  und  slawischer 
Arglist,  mehr  denn  je  auf  Selbstbefriedigung  im 
deutschen  Haushalt  angewiesen  sind.  (Rufe:  Wacker!) 
Ich  möchte  diesbezüglich  den  Vorschlag  machen, 
durch  Freigabe  der  weiblichen  Bediensteten  in 
deutschen  Haushaltungen  deutsche  Kämpfer  für 
das  Heer  frei  zu  bekommen  und  überdies  noch 
Mittel  für  padriotische  Scherflein  zu  gewinnen. 
Auch  werden  wohl  alle  deutschen  Frauen 
und  Mädchen  die  in  Kriegszeiten  innegehabten 
Stellen  um  so  lieber  den  heimkehrenden  Helden 
wieder  überlassen,  als  dieselben  ihnen  für  die 
Beschützung  des  deutschen  Herdes  diesbezüglich  zu 
größtem  Danke  verpliichtet  sind.  (Rufe:  Wacker!  Hedl!) 
Erst  wenn  dieselben  nicht  ausreichen,  ist  in  diesen 
Belangen  auf  die  weiblichen  Kräfte  zu  greifen.  Die- 
selben aber  würden  den  schönsten  Lohn  in  dem 
erhebenden  Gefühle  finden,  im  Hinterlande  auch 
ihr  Scherflein  zu  der  erreichten  Errungenschaft  beige- 
tragen zu  haben.  Denn  fürwahr,  ein  jedermann  nimmt 
mit  der  größten  Opferwilligkeit  hier  im  Hinterlande  an 
dem   Kampfe  teil.    Und   so   schließe  ich  denn  mit 


335 


der  Aufforderung  zum  Durchhalten,  die  ich  in  einem 
selbstverfaßten  Gedichte  niedergelegt  habe.  (Rufe: 
Hört!  Hört!) 

Gut  ist,  wenig  Seife  brauchen,  (Rufe:  Wacker!  Bravo 

Kasmader!) 
Besser  noch  ist,  gar  nicht  rauchen.  (Gelächter) 
Aber  weite  Kleider  tragen  (Rufe:  Pfui!) 
Öfter  gar  mit  vielen  Kragen, 

Hohe  Lederschuh'  am  Bein  (Rufe:  Pfui!  Welsche  Sitten!) 
Das  muß  wahrlich  auch  nicht  sein!  (Rufe:  Sehr  richtig!) 
Statt  darauf  das  Geld  zu  wenden, 
Soll  dem  Vaterland  man's  spenden.  (Rufe:  Hedl!  Hedl! 
Redner  wird  beglückwünscht.) 

Übel  hör  (erhebt  sich  und  liest  von  einem  Blatt): 
Wenn  ich  mir  etwas  wünschen  sollt. 
Ich  wüßt'  schon  lange,  was  ich  wollt! 
Ein  Knödel  müßt'  es  sein, 
Aus  Semmeln  gut  und  fein! 
(Heiterkeit.  Rufe:  Wir  auch!  Hedl!  Hedl!) 

Homolatsch  (erhebt  sich,  blickt  durch  seine  goldene 

Brille  starr  vor  sich  hin  und  spricht  mit  erhobenem  Zeigefinger): 

Mein  deitsches  Weip  —  mein  Heim  —  mein  Kind  — 

Mir  das  Liebste  —  auf  Erden  —  sind. 

(Setzt  sich  schnell  nieder.  Rufe:  Hedl!  Bravo  Homolatsch!  Hedl!) 

(Verwandlung.) 

12.  Szene 

Tanzunterhaltung  in  Hasenpoth.  Baltischer  Herr  und  baltische 
Dame  im  Gespräch. 

Herr:  Fräilen. 
Dame:  Was  mäinen  Se. 
Herr:  Se  tanzen  nich. 
Dame:  Näin. 
Herr:  Warum. 

Dame:  Tanz  ich,  so  schwitz  ich.  Schwitz  ich, 
so  stink  ich.  Tanz  ich  nicht,  schwitz  ich  nicht,  stink 

(Verwandlung.) 


336 


13.  Szene 

Revisionsverhandlung  des  Landgerichtes  Heilbronn. 

DerStaatsanwalt: Im  Juni  dieses  Jahres 

hat  die  Angeklagte  ein  Kind  geboren,  dessen  Vater 
ein  französischer  Kriegsgefangener  ist.  Der  Franzose, 
von  Beruf  Kellner,  ist  schon  seit  1914  in  Gefangen- 
schaft geraten.  Er  war  vom  Ende  1914  bis  1917  auf 
dem  Schloßgut.  Hier  wurde  er  mit  den  verschiedensten 
Arbeiten,  vor  allem  mit  Feld-  und  Gartenbestellung 
beschäftigt.  An  dieser  Betätigung  nahm  die  ange- 
klagte Freiin  selbst  regelmäßig  Anteil.  In  der  Ver- 
handlung vor  der  Strafkammer  versuchte  die  Ange- 
klagte, den  französischen  Vater  ihres  Kindes  der 
Vergewaltigung  zu  beschuldigen.  Damit  fand  sie 
beim  Gericht  allerdings  keinen  Glauben.  Auffällig 
war,  daß  die  Angeklagte  diese  Verteidigung  zum 
erstenmal  vorbrachte.  Die  Angabe  war  schon  deshalb 
hinfällig,  weil  der  gefangene  Franzose  nach  dem 
Eintritt  der  Schwangerschaft  noch  volle  sechs  Monate 
auf  dem  Schloßgut  beschäftigt  blieb.  So  kam  das 
Gericht  zur  Verurteilung  der  angeklagten  Freiin.  Sie 
erhielt  eine  Gefängnisstrafe  von  fünf  Monaten.  Wegen 
Fluchtverdachts  wurde  die  sofortige  Verhaftung  der 
Angeklagten  verfügt.  In  der  Urteilsbegründung  wurde 
betont,  daß  die  bei  der  Verhandlung  beliebte  Art  der 
Verteidigung  (Beschuldigung  des  Gefangenen,  er 
habe  ein  Verbrechen  begangen)  sowie  die  soziale 
Stellung  und  die  Erziehung  der  Angeklagten  er- 
schwerend in  Betracht  komme,  während  ihre  bis- 
herige absolute  Unbescholtenheit  und  ihre  Unwissen- 
heit in  geschlechtlichen  Dingen  als  Milderungsgrund 
angeführt  wurden.  —  Hoher  Gerichtshof!  Angesichts 
der  zum  Himmel  schreienden  Milde  dieses  Urteils 
kann  ich  es  mir  ersparen,  viel  Worte  zu  machen. 
In  materieller  Beziehung  ist  der  Tatbestand,  der 
naturwidrige  Verkehr  mit  einem  Kriegsgefangenen, 
hinreichend      klargestellt.        Es      erübrigt      sich, 


337 


die  unmoralische  Wirkung,  die  von  einem  so  empören- 
den Beispiel  ausgeht,  zu  kennzeichnen.  Ich  zweifle 
nicht,  daß  der  hohe  Gerichtshof  mit  mir  das  Gefühl 
teilen  wird,  vor  einem  Abgrund  zu  stehen,  vor  dem  die 
beleidigte  Sittlichkeit  sich  durch  nichts  retten  kann 
als  durch  die  Erkenntnis:  Wo  käme  das  Vaterland 
hin,  wenn  jede  deutsche  Hausfrau  so  tief  sänkel 
(Bewegung.)  In  diesem  Sinne  bitte  ich  den  hohen 
Gerichtshof,  die  Nichtigkeitsbeschwerde  der  Verteidi- 
gung zu  verwerfen,  dagegen  die  Strafe  auf  zwei 
Jahre  zu  erhöhen. 

(Der  Gerichtshof  zieht  sich  zur  Beratung  zurück.) 
Einer  aus  dem  Auditorium  (reicht  einem 
Nachbarn  die  Zeitung):  Kolossale  Erfolge  unsererBomben- 
flieger  nordwestlich  von  Arras  und  hinter  der  Cham- 
pagnefront. Insgesamt  wurden  während  der  letzten 
drei  Tage  und  Nächte  25.823  Kilogramm  Bomben 
abgeworfen. 

Der  Nachbar:  Die  moralische  Wirkung  war 
gewiß  nicht  geringer  als  die  materielle. 
(Verwandhing.) 

14.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Die  Entwicklung  der  Waffe 
bis  zu  Gas,  Tank,  Unterseeboot  und  120  Kilometer- 
Kanone  hat  es  so  weit  gebracht  — 

Der  Nörgler:  —  daß  die  Armee  wegen 
Feigheit  vor  dem  Feind  aus  dem  Armeeverband  zu 
entlassen  wäre.  Aus  dem  militärischen  Ehrbegriff 
heraus  müßte  die  Welt  für  alle  Zeit  zum  Frieden 
gelangen.  Denn  was  die  Eingebung  eines  Chemikers, 
die  doch  schon  die  Wissenschaft  entehrt,  mit  der 
Tapferkeit  zu  tun  haben  soll  und  wie  der  Schlachten- 
ruhm sich  einer  chlorreichen  Offensive  verdanken 
kann,  ohne  im  eigenen  Gas  der  Schande  zu  ersticken, 
das  ist  das  einzige,  was  noch  unerfindlich  ist. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  22 


338 


Der  Optimist:  Aber  ist  es  denn  nicht  gleich- 
giltig,  welche  Waffe  den  Tod  bringt?  Bis  wohin  gehen 
Sie  in  der  technischen  Entwicklung  der  Waffe  noch  mit? 

Der  Nörgler:  Keinen  Schritt  weit,  aber 
wenn's  denn  sein  muß,  bis  zur  Armbrust.  Natürlich  ist  es 
für  eine  Menschheit,  die  es  fürs  Leben  unerläßlich 
findet,  einander  zu  töten,  gleichgiltig,  wie  sie's 
besorgt,  und  der  Massenmord  praktischer.  Aber  ihr 
romantisches  Bedürfnis  wird  von  der  technischen  Ent- 
wicklung enttäuscht.  Es  sucht  seine  Befriedigung  doch 
nur  in  der  Auseinandersetzung  von  Mann  zu  Mann. 
Der  Mut,  der  dem  Mann  mit  der  Waffe  zuwächst,  mag 
auch  der  Quantität  gewachsen  sein;  er  entartet  zur 
Feigheit,  wenn  der  Mann  für  die  Quantität  nicht  mehr 
sichtbar  ist.  Und  er  wird  vollends  zur  Erbärmlichkeit, 
wenn  auch  für  den  Mann  die  Quantität  nicht  mehr 
sichtbar  ist.  So  weit  halten  wir.  Aber  es  wird,  in  jenem 
Ratschluß  des  Teufels,  der  in  Laboratorien  erforschlich 
ist,  noch  weiter  kommen.  Tanks  und  Gase  werden, 
nachdem  sich  die  Gegner  darin  einander  unauf- 
hörlich übertroffen  haben,  den  Bakterien  das  Feld 
räumen  und  man  wird  dem  erlösenden  Gedanken  nicht 
mehr  wehren,  die  Seuchen  statt  wie  bisher  nur  als  Folge- 
erscheinungen des  Kriegs  gleich  als  Kriegsmittel  zu 
verwenden.  Da  aber  die  Menschen  selbst  dann  der 
romantischen  Vorwände  für  ihre  Schlechtigkeit  nicht 
werden  entraten  können,  so  wird  der  Befehlshaber, 
dessen  Pläne  der  Bakteriologe  ins  Werk  setzt  wie  heute 
der  Chemiker,  noch  immer  eine  Uniform  tragen. 
Den  Deutschen  dürfte  der  Ruhm  der  Erfindung,  den 
andern  die  Schurkerei  der  Vervollkommnung  zu- 
zuschreiben sein,  oder  auch  umgekehrt  —  wie  es  Ihnen 
hoffnungsvoller  scheint. 

Der  Optimist:  Durch  ihre  hochentwickelte 
Kriegstechnik  haben  die  Deutschen  schließlich 
bewiesen  — 

Der  Nörgler:  —  daß  sich  die  Eroberungskriege 
und  Siegeszüge  Hindenburgs  von  denen  Josuas  doch 


339 


vorteilhaft  unterscheiden.  Dem  Zweck,  die  Feinde 
zu  vernichten  und  auszurotten,  ist  die  neuere  Methode 
besser  angepaßt  und  ein  Durchbruch  nach  »Ver- 
gasung« von  drei  italienischen  ßrip^aden  übertrifft 
eine  jener  entscheidenden  Wunderwafientaten  Jehovas. 

Der  Optimist:  Sie  wollen  also  eine  Ähnlich- 
keit des  neu-deutschen  und  des  alt-hebräischen 
Eroberungsdranges  behaupten? 

Der  Nörgler:  Bis  auf  die  Gottähnlichkeit! 
Es  sind  unter  den  Völkern,  die  eine  welthistorische 
Rolle  gespielt  haben,  die  beiden  einzigen,  die  sich 
der  Ehre  eines  Nationalgoltes  für  würdig  halten. 
Während  heute  alle  einander  gegenüberstehenden 
Völker  dieser  verrückten  Erde  nur  die  Ver- 
blendung gemeinsam  haben,  im  Namen  desselben 
Gottes  siegen  zu  wollen,  haben  die  Deutschen  wie 
einst  die  Hebräer  sich  auch  noch  ihren  Separatgott 
zugelegt,  dem  die  furchtbarsten  Schlachtopfer  dar- 
gebracht werden.  Das  Privileg  der  Auserwähltheit 
scheint  durchaus  auf  sie  übergegangen  und  unter 
allen  Nationen,  denen  die  Vorstellung,  eine  Nation 
zu  sein,  das  Hirn  verbrannt  hat,  sind  sie  diejenige, 
die  sich  am  häufigsten  agnosziert,  indem  sie  sich  unauf- 
hörlich selbst  als  die  deutsche  anspricht,  ja  »deutsch« 
für  ein  steigerungsfäiiiges  Eigenschaftswort  hält.  Aber 
der  Zusammenhang  zwischen  der  alldeutschen  und 
der  hebräischen  Lebensform  und  Expansionsrichtung 
auf  Kosten  der  fremden  Existenz  ließe  sich  noch 
ausbauen  und  vertiefen.  Nur  daß  die  alten  Hebräer 
doch  wenigstens  ihr  »Du  sollst  rieht  töten!«  im 
Munde  führten  und  zur  höheren  Ehre  Gottes  mit 
dem  Sittengesetz  Mosis  in  einen  so  grauenhaften, 
aber  immer  wieder  gefühlten  und  bereuten  Wider- 
spruch gerieten,  während  die  neuen  Deutschen  den 
Kant'schen  kategorischen  Imperativ  frisch  von  der 
Leber  weg  als  eine  philosophische  Rechtfertigung 
von  »Immer  feste  druff!«  reklamiert  haben.  In  der 
preußischen  Ideologie  ist  freilich  auch  der  Herr  der 

22» 


340 


Heerscharen  durch  landesübliche  Begriffsverknotung 
zum  Allerobersten  Kriegsherrn  und  Vorgesetzten 
Wilhelms  II.  ausgeartet. 

Der  Optimist:  Er  ist  eigentlich  nur  sein 
Verbündeter.  Wer  aber  außer  Ihnen  geriete  auf  den 
sonderbaren  Einfall,  einen  geistigen  Zusammenhang 
zwischen  Hindenburg  und  Josua  zu  entdecken? 

Der  Nörgler:  Schopenhauer:  der  die  Institution 
des  Separatgottes,  welcher  die  Nachbarländer  ver- 
schenkt oder  »verheißt'<,  in  deren  Besitz  man  sich 
dann  durch  Rauben  und  Morden  zu  setzen  hat,  des 
Nationalgotts,  dem  die  Lebensgüter  anderer  Völker 
geopfert  werden  müssen,  schon  als  gemeinsam 
befunden  hat.  Kant:  der  die  Anrufung  des  Herrn 
der  Heerscharen  durch  den  Sieger  als  eine  gut 
israelitische  Sitte  getadelt  hat  und  jenem  Wilhelm, 
der  den  Gedanken  hatte,  in  emem  Atemzuge  Kant 
und  den  Herrn  der  Heerscharen  anzurufen,  schon 
antizipando  übers  Maul  gefahren  ist.  Ich  werde 
eine  Gegenüberstellung,  wie  dieser  Kantianer 
sich  auf  seinen  Verbündeten  dort  oben  bombenfest 
verlassen  will  und  wie  Kant  ihn  ermahnt,  von 
solchem  Treiben,  das  mit  der  moralischen  Idee  des 
Vaters  der  Menschen  so  sehr  in  Widerspruch  stehe, 
abzulassen  und  den  Himmel  lieber  um  Gnade  für 
die  große  Versündigung  durch  die  Barbarei  des 
Kriegs  anzurufen  —  ich  werde  diese  vernichtende 
und  geradezu  ausrottende  Kontrastwirkung  demnächst 
und  zwar  unter  dem  Titel  »Ein  Kantianer  und  Kant« 
in  einem  Berliner  Vortragssaal  erproben. 

Der  Optimist:  Da  könnte  es  Ihnen  passieren, 
als  lästiger  Ausländer  ausgewiesen  zu  werden. 

Der  Nörgler:  Der  bleibe  ich  auch  im  Inland. 
Und  bliebe  bei  der  Überzeugung,  daß  nach  allem, 
was  wir  erlebt  haben,  »unser  Herrgott  entschieden 
mit  unserem  deutschen  Volke  noch  etwas  vor  hat«. 
Und  bliebe  dabei,  daß  sich  die  Wesensverwandtschaft 
der  beiden   »Völker   Gottes«    bis   in   die    äußersten 


341 


Lebenstatsachen,  in  welche  der  den  beiden  Kulturen 
eigentümliche  Verbindungsgeist  einer  geldromanti- 
schen Weltansicht  ausstrahlt,  noch  verfolgen  ließe. 
Sozusagen  bis  ins  dritte  und  vierte  Glied.  Denn  hier 
und  dort  wirken  sie  an  dem  Gesamtkunstwerk  einer 
Lebensanschauung,  nach  welcher  das,  was  der  Welt 
ist,  von  dem,  was  des  Geistes  ist,  betrieben  wird, 
so  daß  Kriege  wie  Geschäftsbücher  geführt  werden, 
nämlich  »mit  Gott«.  Und  die  alttestamentarische  Regle- 
mentsvorschritt des  »Aug  um  Aug,  Zahn  um  Zahn« 
ließe  sich  bis  in  ihre  buchstäbliche  Anwendung  als 
das  Leitmotiv  neudeutscher  Kriegführung  nachweisen, 
und  es  ist  gewiß  kein  Zufall,  daß  kürzlich  in  einer 
offiziellen  Verlautbarung  unseres  Kriegspressequartiers, 
das  so  gelehrig  ist  wie  der  dumme  August  hinter 
dem  Schulreiter,  jene  Formel  zur  Rechtfertigung 
von  Fliegerangriffen  dienen  konnte.  Sie  bringt  in 
Wahrheit  den  Begriff  der  »Repressalien«  zur  Geltung. 
Und  wer  außer  Ihnen  spürte  nicht  die  echt  biblische 
Monotonie,  mit  der  dieser  Vergeltungs-  und  Ver- 
nichtungsdrang in  den  täglichen  Berichten  von  der 
Sinai-Front  zum  Ausdruck  kommt? 

Der  Optimist:  Sinai-Front?  Von  der  liest 
man  doch  selten  genug. 

Der  Nörgler:  Täglich! 

(Verwandlung.) 

15.  Szene 

Eine  protestantische  Kirche. 

Superintendent  Falke: Dieser  Krieg 

ist  eine  von  Gott  über  die  Sünden  der  Völker  ver- 
hängte Strafe,  und  wir  Deutschen  sind  zusammen 
mit  unsern  Verbündeten  die  Vollstrecker  des  göttlichen 
Strafgerichts.  Es  ist  zweifellos,  daß  das  Reich  Gottes 
durch  diesen  Krieg  gewaltig  gefördert  und  vertieft 
werden  wird.  Und  man  muß  hier  klar  und  bestim^mt 
eingestehen :  Jesus  hat  das  Gebot  »Liebet  eure  Feinde !« 


342 


nur  tür  den  Verkehr  zwischen  den  einzelnen  Menschen 
gegeben,  aber  nicht  für  das  Verhältnis  der  Völker 
zueinander.  Im  Streit  der  Nationen  untereinander 
hat  die  Feindesliebe  ein  Ende.  Hierbei  hat  der 
einzelne  Soldat  sich  gar  keine  Gewissensbisse  zu 
machen!  Solange  die  Schlacht  tobt,  ist  das  Liebes- 
gebot Jesu  völlig  aufgehoben!  Es  gilt  nicht  für  die 
Stunde  des  Gefechtes.  Das  Gebot  der  Feindesliebe 
hat  für  uns  auf  dem  Schlachtfelde  gar  keine  Be- 
deutung mehr.  Das  Töten  ist  in  diesem  Falle  keine 
Sünde,  sondern  Dienst  am  Vaterlande,  eine  christliche 
Pflicht,  ja  ein  Gottesdienst!  Es  ist  ein  Gottesdienst 
und  eine  heilige  Pflicht,  alle  unsre  Gegner  mit 
furchtbarer  Gewalt  zu  strafen  und  wenn  es  sein 
muß,  zu  vernichten!  Und  so  wiederhole  ich  euch, 
solange  in  diesem  Weltkriege  die  Kanonen  donnern, 
hat  das  Gebot  Jesu  »Liebet  eure  Feinde!«  keine 
Geltung  mehr!  Fort  mit  allen  Gewissensbedenken! 
Aber  saget  mir:  Warum  wurden  so  viele  tausend 
Männer  zu  Krüppeln  geschossen?  Warum  wurden 
so  viele  hundert  Soldaten  blind?  Weil  Gott  dadurch 
ihre  Seelen  retten  wollte!  Schauet  um  euch  und  betet 
im   Angesicht   der   Wunder   des   Herrn:    Bring  uns, 


Herr,  ins  Paradies! 


(Verwandlung.) 


16.  Srene 

Eine  andere  protestantische  Kirche. 

Konsisto  rialrat  Rabe: Darum  mehr 

Stahl  ins  Blut!  Und  den  Zaghaften  sei  gesagt: 
Es  ist  nicht  nur  das  Recht,  sondern  unter 
Umständen  sogar  die  Pflicht  gegen  die  Nation, 
mit  Kriegsbeginn  Verträge  und  was  es  sonst 
auch  sein  mag,  als  Fetzen  Papier  zu  betrachten, 
den  man  zerreißt  und  ins  Feuer  wirft,  wenn  man  die 


343 


Nation  dadurch  retten  kann.  Krieg  ist  eben  die 
Ultima  ratio,  das  letzte  Mittel  Gottes,  die  Völker 
durch  Gewalt  zur  Raison  zu  bringen,  wenn  sie  sich 
anders  nicht  mehr  leiten  und  auf  den  gottgewollten 
Weg  führen  lassen  wollen.  Kriege  sind  Gottesgerichte 
und  Gottesurteile  in  der  Weltgeschichte.  Darum  ist 
es  aber  auch  der  Wille  Gottes,  daß  die  Völker  im 
Kriege  alle  ihre  Kräfte  und  Waffen,  die  er  ihnen  in 
die  Hand  gegeben  hat,  Gericht  zu  halten  unter  den 
Völkern,  zur  vollen  Anwendung  bringen  sollen. 
Darum  mehr  Stahl  ins  Blut!  Auch  deutsche  Frauen 
und  Mütter  gefallener  Helden  können  eine  sentimentale 
Betrachtungsweise  des  Krieges  nicht  mehr  ertragen. 
Wo  ihre  Liebsten  im  Felde  stehn  oder  gefallen  sind, 
wollen  auch  sie  keine  jammerseligen  Klagen  hören. 
Gott  will  uns  jetzt  erziehen  zu  eiserner  Willensenergie 
und  äußerster  Kraftentfaltung.  Darum  noch  einmal: 
Mehr  Stahl  ins  Blut! 

(Verwandlung.) 


17.  Szene 

Eine  andere  protestantische  Kirche. 

Pastor  Geier: Und  schauet  um  euch: 

Glänzende  Leistungen  des  deutschen  Tatengeistes 
reihten  sich  wie  die  Perlen  einer  schimmernden 
Schmuckkette  aneinander.  Er  schuf  sich  das  Wunder- 
werk des  U-Bootes.  Er  stellte  jenes  märchenhafte 
Geschütz  her,  dessen  Geschoß  bis  in  die  Äther- 
regionen des  Luftmeeres  aufsteigt  und  Verderben 
über  mehr  als  hundert  Kilometer  in  die  Reihen  des 
Feindes  trägt!  Aber  nicht  nur  daß  der  deutsche 
Geist  uns  mit  Waffen  versorgt,  er  wird  nicht  müde, 
auch  an  der  Schutz-  und  Trutzwehr  des  Gedankens 
zu  schaffen.  Wie  ich  euch  heute  mitteilen  kann,  arbeitet 
Schulze  in  Hamburg  im  Auftrage  unseres  Auswärtigen 


344 


Amtes  an  einer  grundlegenden  wissenschaftlichen 
Arbeit  über  »Leichen-  und  Grabschändungen  durch 
Engländer  und  Franzosen«,  eine  Arbeit,  die  zu 
internationalen  Propagandazwecken  verbreitet  werden, 
die  uns  die  Sympathien  des  neutralen  Auslandes  erobern 
soll  und  der  wir  nur  vom  Herzen  einen  Widerhall 
bei  den  noch  zweifelsüchtigen  Nachbarn  wünschen 
müssen.  Allüberall  in  deutschen  Gauen  erwachen 
die  Geister,  bereit,  für  unsere  gerechte  Sache  zu 
werben,  die  Trägen  zu  ermuntern,  die  Abtrünnigen 
zu  bekehren  und  uns  neue  Freunde  zu  gev/innen. 
Unsere  Regierung  hat  in  weiser  Voraussicht  erkannt, 
daß  die  Schweiz  nicht  nur  als  Durchgangsstation  für 
unsere  Bombentransporte  in  Betracht  kommt,  sondern 
auch  dankbar  dafür  sein  mag,  in  Wort  und  Bild 
der  Erkenntnis  der  Methoden  unserer  Kriegführung 
teilhaft  zu  werden.  Die  Versenkung  ungezählter 
Tonnen  von  Lebensmitteln  durch  unsere  U-Boote, 
in  Filmdarstellungen  vorgeführt,  ist  von  einer  derart 
packenden  Wirkung,  daß  das  neutrale  Publikum, 
zumal  die  Frauen,  die  ja  für  den  Verlust  solcher 
Schätze  besonders  empfänglich  sind,  ohnmächtig 
werden,  und  allmählich  bricht  sich  die  Einsicht  Bahn, 
daß  der  Schaden,  den  wir  unsern  Feinden  zufügen, 
nachgerade  unermeßlich  ist!  Das  deutsche  Wort  bleibt 
dabei  keineswegs  im  Hintertreffen.  »Champagne- 
schlacht« ist  der  Titel  einer  vom  Sekretariat  sozialer 
Studentenarbeit  in  Stuttgart  herausgegebenen  Bro- 
schüre, die  vornehmlich  den  Schweizer  Intellektuellen 
zugedacht  ist.  Nehmet  euch  die  Worte  zu  Herzen 
in  dem  herrlichen  Gedicht,  dem  Soldatengebet,  das 
ich  in  dieser  trefflichen  Propagandaschrift  gefunden 
habe,  welche  unsre  Regierung  bereits  nach  dem 
neutralen  Auslande  versandt  hat,  um  dort  Aufklärung 
über  deutsche  Eigenart  zu  verbreiten,  Verständnis 
für  deutsches  Wesen  zu  erwecken  und  so  allmählich 
zum  Abbau  des  Hasses,  mit  dem  man  uns  verfolgt, 
beizutragen: 


345 


Hört  ihr  die  Soldaten  beten? 
Unser  Gott  ist  unsre  Pflicht! 
Aus  den  Schlünden  der  Kanonen 
Unsre  stärkste  Liebe  spricht. 
Schießen  wir  ihm  die  Patronen- 
Vater-Unser  durch  den  Lauf, 
Und  ein  Kreuz  soll  darauf  thronen: 
»Bajonette  pflanzet  auf!« 

Kameraden,  laßt  Schrapnelle- 
Kugeln  als  Weihwasser  streun, 
Laßt  Granaten  Weihrauch  qualmen, 
Laßt  die  Sünden  uns  bereun: 
Unverschoßner  Minen  Psalmen 
Unterlassungssünden  sind; 
Wenn  die  erst  den  Feind  zermalmen, 
Löst  die  Sünde  sich  geschwind. 

Hängt  die  Kugel-Handgranaien- 
Rosenkränze  um  die  Brust. 
Wenn  die  Perlen  jäh  zerknallen. 
Stirbt  des  Feindes  Kampfeslust. 
Laßt  die  Wacht  am  Rhein  erschallen, 
Unsres  Zornes  Stoßgebet, 
Händefalten  wird  zum  Krallen, 
Wenn's  um  Gurkhagurgeln  geht. 
Wir  sind  einmal  Henkersknechte, 
Gott  hat  selbst  uns  ausgewählt! 

Und  so  schauet  denn  um  euch  und  betet  im 
Angesicht  der  Wunder  des  Herrn:  Bring  uns,  Herr, 
ins  Paradies! 

(Verwandlung.) 

18.  Szene 

Wallfahrtskirche. 

Der  Mesner:  Hier  sehen  Sie  ein  interessantes 
Weihegeschenk  für  unsere  Wallfahrtskirche,  das  zwei 
Soldaten  aus  Lana  verehrt  haben:  einen  Rosenkranz, 


346 


dessen  Korallen   aus  italienischen  Schrapnellkugeln 

bestehen.  Das  Material  für  die  Kettelung  stammt  von 

Drahtverhauen.  Das  Kreuz  ist  aus  dem  Führungsring 

einer   geplatzten   italienischen    Granate    geschnitten 

und  hat  drei  italienische  Gewehrkugeln  als  Anhängsel. 

Der  Christus  ist  aus  einer  Schrapnellkugel  gebildet. 

Auf   der   Rückseite    des    Kreuzes   steht   eingraviert: 

Aus  Dankbarkeit.  Zur  Eiinnerung  an  den  italienischen 

Krieg,   Cima  d'  Oro,    am   25.  7.  1917.   A.  St.    und 

K.  P.  aus  Lana.   Dieser  Rosenkranz  wiegt  mehr  als 

ein  Kilogramm,  erfordert  also  für  ein  längeres  Beten 

eine  starke  Hand.  Wollen  die  Herrschaften  vielleicht 

versuchen? 

Der  Fremde  (versucht  es):   Uff!  —  Nee,   nich 

zu  machen. 

(Die  Glocke  läutet) 

Der  Mesner:  Hören  Sie!  Zum  letztenmal! 
Gleich  wird  sie  abgenommen.  Man  macht  aus 
Schrapnellkugeln  Rosenkränze  und  dafür  aus  Kirchen- 
glocken Kanonen.  Wir  geben  Gott,  was  des  Kaisers, 
und  dem  Kaiser,  was  Gottes  ist.  Man  hilft  sich 
gegenseitig,  wie  man  kann, 

(Verwandlung.) 

19.  Szene 

Konstantinopel.   Eine  Moschee.   Man  hört  jenseits  des  Moschee- 
vorhanges lautes  Lachen. 

Eine  der  Stimmen:  Wat,  die  jroßen  Stroh- 
schlappen solln  wa  überziehn?  Nee  Menschenskind, 
das  is  doch  jottvoll! 

Zweite  Stimme:  Ach  sieh  dir  mal  den 
Koranonkel  an  — 

(Zwei  junge  Leute,  Vertreter  von  Berliner  Handelshäusern,  treten 

geräuschvoll  ein.   Sie  behalten  die  Hüte  auf  dem  Kopf.   Hinter 

ihnen,    mj.t    gesenktem    Haupt,    die    Hände    in    seinen    weiten 

Ärmeln  versteckt,  lautlos  gleitend,  der  Imam.) 

D  er  er  ste:Siehste,  SO  sieht 'ne  Moschee  aus  —  nu 
benimm  dir  Fritze  und  achte  auf  die  Jebräuche!  (Lachen.) 


347 


Der  zweite:  Also,  in  'ncr  Moschee  warn  wa 
und  'n  richtich  gehender  Imam  is  ooch  dabei  — 
jottvoll! 

Der  erste:  Famose  Chose! 

Der  zweite:  Vadrehter  Kram!  (Die  Hände  in 
den  Taschen,  füliren  sie  eine  Art  Schliuerpartie  auf  ihren 
Strohsclilappen  auf,  sie  verlieren  diese  beständig,  worüber  sie 
jedesmal  in  lautes  Lachen  ausbrechen.) 

Der  erste:  Weeßte,  wenn  wa  hier  mal  erst 
festen  Fuß  fassen,  wird  schon  'ne  tüchtje  Ordnung 
in  die  schlappe  Wirtschaft  kommen  —  wir  schaffen 
es!  (Er  stößt  den  andern)  Fritze,  falle  nich  — 

D  e  r  z  w  e  i  t  e :  Na,  stark  besucht  ist  det  Etablisse- 
mang  nu  jrade  nich,  Metro  is  voller.  Weit  und 
breit  nur  een  Mensch  und  selbst  der  ist  weiblichen 
Jeschlechts  —  (er  zeigt  auf  eine  Dame  und  stößt  den  andern) 
vorbeijelungen!  —  Aujust  mit  die  langen  Beene  — 
(Lachen.) 

Der  erste  (trällert):  Ja  so  'ne  Fahrt  am 
Bosporus  is  doch  fürwahr  'n  Hochjenuß  — 

Der  zweite  (will  losplatzen) :  Du  ahnst  es  nicht  — 
Ach  Jottejottejottedoch  —  Mensch  benimm  dir! 

Der  erste:  Du,  ist  heutVollmondoder  Halbmond? 
(Beide  platzen  los.) 

Der  zweite:  Jemütliches  Völkchen  das  —  nur 
'n  bisk'n  schlapp,  bisk'n  schlapp  —  na  wollen  ihnan  mal 
unter  die  Arme  greifen  und  etwas  Zucht  beibringen. 
Verloren  is  da  noch  nischt.  Wa  wolln  det  Kind  schon 
schaukeln.  (Lautes  Lachen.  Er  grüßt  den  Imam,  der  in  einiger 
Entfernung  steht,   parodistisch)   Tach ! 

Der  erste:  Morjen!  (Der  imam  versucht  öfter 
durch  Pantomime,  sie  auf  ihre  Kopfbedeckungen  aufmerksam 
zu  machen.)  Kick  mal  —  was  will  denn  der  ulkje 
Kunde? 

Der  zweite:  Der  Mann  ist  taubstumm  — 
(sie  lachen  und  stoßen  einander.) 

Der  Imam  (zu  der  Dame):  Sage  ihnen,  sie  seien 
im  Hause  des  Gebets. 


348 


Die  Dame  (sich  ihnen  nähernd):  Der  Imam  bittet 
mich,  Ihnen  zu  sagen,  Sie  seien  im  Hause  des  Gebets; 
wollen  Sie  darum  nicht  Ihre  Hüte  abnehmen? 

Der  erste:  Aber  jewiß  doch,  wenn's  ihm 
Spaß  macht  —  Morjen!  (Sie  grüßen  und  lachen.) 

Die  Dame:  Ich  würde  Ihnen  raten,  etwas 
leiser  zu  sein;  in  einer  Kirche  würden  Sie  doch 
auch  nicht  so  laut  lachen. 

Der  zweite  (laut  lachend):  Ja  aber  was  hat  denn 
dieses  hier  mit  'ner  Kirche  zu  tun? 

Die  Dame:  Es  ist  eben  ein  Gotteshaus. 

Der  erste:  Gottvoll  —  diese  varückte  Bude  hier? 

Die  Dame:  So  verletzen  Sie  wenigstens  nicht 
die  Gefühle  derjenigen,  denen  es  ihr  Heiligstes  ist! 

Der  zweite:  Ach,  den  Kismetknöppen  ist 
ja  doch  alles  wurscht.  Na  schön,  Morjen!  (Sie  gehen 
laut  lachend  und  polternd  ab.) 

Der  Imam  (zu  der  Dame):  Gräme  dich  nicht  um 
jener  Kinder  Torheit;  so  sicher,  wie  Gott  über  sie 
lächelt,  lasse  es  auch  uns  tun. 

Die  Dame:  Sie  meinen  es  nicht  böse. 

Der  Imam:  Gott  gab  dem  Europäer  die 
Wissenschaft,  dem  Orientalen  die  Majestät.  Jene 
sind  nicht  das,  was  einer  wird,  der  im  Schatten  des 
Höchsten  wandelt. 

(Verwandlung.) 

20.  Szene 

Redaktion  in  Berlin. 

Alfred  Kerr  (an  seinem  Schreibtisch,  ein  Rumänen- 
lied dichtend):    Ich  bin  .  .  .  fertig.    Das  heißt:    mein 
Rum  .  .  .  änenlied. 
(Er  liest  laut) 

In  den  klainsten  Winkelescu 
Fiel  ein  Russen-Trinkgeldescu, 

Fraidig  ibten  wir  Verratul  — 
Politescu  schnappen  Drahtul. 


349 


Alle  Velker  staunerul, 

San  me  große  Gaunerul. 
Ungarn,  Siebenbürginescu 

Mechten  wir  erwürginescu. 

Gebrüllescu  voll  Triumphal 
Mitten  im  Korruptul-  Sumpful 

In  der  Hauptstadt  Bukurescht, 
Wo  sich  kainer  Fiße  wäscht. 

Leider  kriegen  wir  die  Paitsche 
Vun  Bulgaren  und  vun  Daitsche; 

Zogen  flink-flink  in  Dobrudschul, 
Feste  Tutrakan  ist  futschul! 

Aigentlich  sind  wir,  waiß  Gottul, 

Dann  heraingefallne  Trottul, 
Halte  noch  auf  stolzem  Roßcu, 

Murgens  eiris  auf  dem  Poposcu! 

Ku . . .  unst  ist  mir  zugleich  M . . .  use  und  versorgt  mich  mit 
Bu . . .  utter.  Zu  diesem  Behu . . .  fe  habe  ich  nie  denVerdacht 
u  . . .  ungewaschener  Versfiße  gescheut.  Und  so  ist  mein 
Ru...hm  und]  auch   mein   Rumänenlied   entstanden. 

Denn  es  dichtet  Alfred  Kerrul 

täglich  was  sich  reimt  für  Scherul. 

Doch  er  ist  kein  solches  Rossul, 

sondern  kerrt  zurück  zu  Mossul. 

Ecco. 

(Verwandlung.) 

21.  Szene 

Ordinationszimmer  in  Berlin. 

Professor  Molenaar  (zum  Patienten):  Ja,  Sie  sind 
herzkrank.  Da  haben  Sie  kaum  Aussicht,  für  tauglich 
befunden  zu  werden,  'ne  schöne  Geschichte.  Nu  sehn 
Sie,  das  kommt  vom  Rauchen!  Trotz  aller  Verbote  des 
Oberkommandos  in  den  Marken  wird  fortgeraucht. 
Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir  durch  das 


350 


unmäßige  Rauchen  im  Allgemeinen  und  das  vorzeitige 
Qualmen  der  Jugendlichen  im  Besonderen  bis  jetzt 
mindestens  zwei  Armeekorpc  in  diesem  Kriege  ein- 
gebüßt haben.  Es  ist  erschreckend,  wie  viele  Männer 
in  verhältnismäßig  jungen  Jahren  herzkrank  sind  und 
dadurch  dem  Heeresdienste,  der  Ehe  und  der  Fort- 
pflanzung entzogen  werden.  Im  Interesse  unseres 
Heeresersatzes  wäre  ein  Verbot  des  Rauchens  bei 
uns  dringend  erwünscht.  Ob  der  Tabak  im  Kriege 
selbst,  etwa  bei  Sturmangriffen,  mehr  nützt  als 
schadet,  bleibe  dahingestellt,  so  viel  ist  aber  sicher, 
daß  Hunderte,  wenn  nicht  Tausende  von  Nichtrauchern 
die  Strapazen  des  Felddienstes  ebenso  gut  ausgehalten 
haben  wie  die  Raucher,  Hat  man  doch  auch  Jahrtausende 
lang  Krieg  geführt,  ohne  den  Tabak  zu  kennen. 
Nu  also,  warum  ist's  denn  damals  gegangen?  Was 
jetzt  auf  den  Schlachtfeldern  für'n  Rauch  ist,  das 
ist  nicht  zu  sagen!  Muß  das  sein?  Es  ist  bekannt, 
daß  hervorragende  Heerführer,  wie  der  Graf  v.  Haeseler, 
Conrad  v.  Hoetzendorf  und  Mackensen  ausgesprochene 
Tabakgegner  sind.  Und  haben  sie  die  Strapazen 
des  Felddienstes  nicht  ebenso  gut  ausgehalten  wie 
die  Raucher?  Ich  denke  da  an  Falkenhayn,  Boroevic 
und  Hindenburg.  Durch  den  Tod  fürs  Vaterland 
werden  erfahrungsgemäß  viele  junge  Leute  dem 
Heeresdienste  entzogen,  weshalb  es  gerade  im  Inter- 
esse des  Heeresersatzes  wie  der  demselben  dienenden 
Fortpflanzung  sehr  zu  beklagen  ist,  daß  die  Unsitte 
des  Rauchens  ein  Übriges  tut.  Sie  junger  Mann 
haben  sich  ein  Herzleiden  zugezogen,  weshalb  Sie 
kaum  Aussicht  haben  dürften  für  tauglich  befunden 
zu  werden.  Nehmen  Sie  sich  das  nicht  zu  Herzen. 
Es  kann  sich  ja  bessern.  Kriege  wirds  immer 
geben.  Freilich  scheint  auch  Ihre  Lunge  nicht  in 
Ordnung  zu  sein.  Atmen  Sie  auf!  (Er  horcht.)  Nee, 
nich  zu  machen.  Höchstens  für  die  Etappe,  20  Em 
sind  Sie  schuldig. 

(Verwandlung.) 


351 


22.  Szene 

Bureauzimmer  bei  einem  Kommando. 

Ein  Generalstäbler  (beim  Telephon):  — Servus, 
also  hast  den  Bericht  über  Przemysl  fertig?  —  Noch 
nicht?  Ah,  bist  nicht  ausgschlafen  —  Geh 
schau  dazu,  sonst  kommst  wieder  zu  spät  zum 
Mullattieren  —  heut  wird  aber  ja  mullattiert  —  Also 
hörst  du  —  Was,  hast  wieder  alles  vergessen?  —  Paß 
auf,  Hauptgesichtspunkte:  Während  unsere  Besatzung 
bekanntlich  durch  Hunger  —  jetzt  ganz  was  andreas  — 
der  Feind  unserer  Gewalt  gewichen  —  also  keines- 
wegs durch  Hunger  überwältigt,  Feind  hat  nie 
gehungert!  verstehst?  nur  wir!  Russen  hatten  immer 
genug  Proviant  —  konnten  sich  aber  gegen  den 
Elan  unserer  braven  Truppen  nicht  halten,  selbst- 
verständlich —  Gewalt  unseres  Angriffs  —  Ferner: 
Festung  vollkommen  intakt,  unversehrt  in  unsern 
Besitz  gelangt  —  modernste  Geschütze  —  Wie? 
m.an  kann  nicht  vergessen  machen?  altes  Graffeiwerk? 
Aber  nein,  jetzt  nicht  mehr  natürlich!  Alles  kann  man 
vergessen  machen,  lieber  Freund!  Also  hör  zu  und 
mach  kan  Pallawatsch  —  modernste  Festung  — 
Österreichs  alter  Stolz  —  unversehrt  zurückerobert. 
Nicht  durch  GewaH,  sondern  durch  Hunger,  ah  was 
red  ich,  nicht  durch  Hunger,  sondern  durch  Gewalt! 
No  wirst  scho  machen  —  wenns  nur  den  Leutein 
einleuchtet  —  jetzt  is  ja  eh  leicht  —  also  servus! 
Schluß!  (Ab.) 

(Zwei  alte  Generale  treten  auf.) 

Der  erste:  Ja,  die  Deutschen!  Jetzt  hams  den 
Falkenhayn  zum  Dokter  gmacht!  Sixt,  unsereins 
kommt  zu  so  was  nicht. 

Der  zweite:  Erlaub  du  mir,  der  Borevitsch  — 

Der  erste:  No  ja,  no  ja,  aber  unsereins  kommt 
zu  so  was  nicht, 

(Ein  Journalist  geht  vorbei.) 

Der    erste:     Hab    die    Ehre,     Herr    Doktor! 


352 


Der  Journalist:  Exellenz,  gut  daß  ich  Sie 
treff,  ich  brauch  Sie  wie  einen  Bissen  Brot  —  was 
is  mit  Brody? 

Der  erste:  Brody?  Was  soll  denn  mit 
Brody  sein? 

Der  Journalist:  No  wegen  der  Schlacht  bei 
Brody? 

Der  erste:  Ah,  a  Schlacht  is  bei  Brody? 
Hörst  auf! 

Der  zweite:  Marandjosef! 

Der  erste:  Also  eine  Schlacht.  Ah  so  was! 
No  und  da  wollen  S'  halt  wissen  —  (nach  einigem 
Nachdenlien)  No  wissen  S'  was?  Wer'  mr  scho  machen. 

Der  Journalist  (liastig):  Ich  kann  also  melden, 
noch  ist  Brody  in  unserem  Besitze  — ?  Oder  nein 
wissen  Sie  was,  ich  weiß  schon  ich  v/er'  melden 
Brody  is  so  gut  wie  entsetzt!  (Ab.) 

(Verwandlung.) 


23.  Szene 

Hauptquartier. 

Erzherzog  Friedrich  (ablesend): Und  so  — 

schließe  ich  mit  den  Worten:  Seine  Majestät  unser 
Oberster  Kriegsherr  lebe  hoch  hoch  —  (umblätternd) 

hoch.  (Hoch-Rufe.  Nach  einer  Pause,  in  welcher  er,  feixend  und 
die  Zähne  bleckend,  die  vor  ihm  stehende  Reihe  junger  Offiziere 
mustert,  an  deren  einem  sein  Blick  haften  bleibt)  Ah  —  das  is  — 
der  Buquoy!  Der  —  hat  schon  —  eine  Auszeichnung! 
(Nach  einer  Pause,  in  der  sein  Blick  weitergeht,  um  an  einem 
andern  haften  zu  bleiben)  Und  —  das  da  —  is  auch  — 
ein  Buquoy!  Der  —  hat  auch  eine  Auszeichnung! 
(Pause  des  Nachdenkens)  Jetzt  —  ham  —  zwei  Buquoys  — 
—  eine  Auszeichnung! 


353 


Der  Adjutant  (gelit  auf  den  Armeeoberkomman- 
danten zu  und  meldet):  Kaiserliche  Hoheit,  der  Rektor 
der  Wiener  Universiiät  mit  dem  Dekan  und  Prodekan 
der  philosophischen  Fakultät  warten  untertänigst  auf 
die  Erlaubnis,  Euer  kaiserlichen  Hoheit  das  Ehren- 
doktorat der  philosophischen  Fakultät  verleihen  zu 

dürfen. 

(Verwandlung.) 

24.  Szene 

Zvpei  Verehrer  der  Reichspost  treten  auf. 

Der  erste  Verehrer  der  Reichspost: 
Hast  schon  das  Buch  glesen  »Unsere  Dynastie  im 
Felde«?  Da  muß  man  tulli  sagen!  Es  zeigt  den 
unmittelbaren  Anteil,  den  die  Mitglieder  unseres 
angestammten  Herrscherhauses  an  diesem  Kriege 
nehmen,  in  einer  Reihe  anmutiger  Bilder  führt  es 
uns  alle  die  fürstlichen  Soldaten  vor,  die  draußen  im 
Felde  mit  dem  einfachen  Manne  Mühsal  und  Gefahr 
kameradschaftlich  teilen.  Mit  dem  allerhöchsten  Kriegs- 
herrn fängt  die  Reihe  an. 

Der  zweite  Verehrer  der  Reichspost: 
Hörst  net  auf,   Seine  Majestät  unser  erhabener  — ? 

Der  erste:  Weilst  mich  nicht  ausreden  lassen 
tust.  Wohl  verbieten  ihm  Alter  und  gesundheitliche 
Rücksichten,  hoch  zu  Roß  bei  seinen  Feldgrauen  zu 
weilen,  wie  er  es  in  früheren  Jahren  so  gern  — 

Der  zweite:    Hörst  net   auf  —  wann  denn? 

Der  erste:  Weilst  mich  nicht  ausreden 
lassen  tust.  Wie  er  es  in  früheren  Jahren  so  gern 
im  Manöver  tat.  Aber  inniger  kann  niemand 
mit  diesem  Kriege  verwoben  sein  als  dieser 
höchste  und  erste  Soldat  des  Reiches,  dessen 
Liebe  und  Sorge  bei  Tag  und  Nacht  draußen  im 
Feldlager  weilt,  bei  seiner  Armee,  die  in  all  ihrer 
Herrlichkeit  und  Schlagkraft  vornehmlich  seine 
Schöpfung  ist.  Von  diesem  Bewußtsein  sind  aber 
auch  alle  seine  Soldaten,  seine  Braven,  durchdrungen. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  23 


354 


mitten  im  Schlachtenbraus  spüren  sie  die  segnende 
Nähe  seiner  väterlichen  Fürsorge.  Also  verstehst,  also 
teilt  er  doch  mit  dem  einfachen  Manne  draußen  im 
Felde  kameradschaftlich  Mühsal  und  Gefahr?  No  bist 
vielleicht  ein  Tepp,  daß  d'  das  nicht  verstehst? 

Der  zweite:  No  und  w^as  is  nacher  mit'm 
Thronfolger?  Was  weiß  der  Verfasser  von  höchst- 
demseiben  zu  berichten? 

Der  erste:  Überaus  anziehende  Episoden. 
Kaltblütig  verweilte  er  auf  einer  vom  Feuer  der 
feindlichen  Artillerie  bestrichenen  Anhöhe,  lächelnd 
sprach  er  mit  den  Soldaten,   studierte  er  die  Karte. 

Der  zweite:  Sein  Humor  und  seine  gute 
Laune  wirkt  wie  elektrisierend  auf  seine  Umgebung. 

Der  erste:  In  der  Kriegsstimmung  der  Feuer- 
linie verzehnfacht  sie  sich.  Ein  Starkstrom,  vor  dem's 
keine  Stimulanten  gibt. 

Der  zweite:  Was  is  denn  mit  unserem 
Generalissimus  Erzherzog  Friedrich? 

Dererste:  Der  Schlachtendenker?  der  mit  dem 
Generalstabschef  Baron  Conrad  lange  Nächte  über 
die  Karten  gebückt  sitzt?  Unbegrenztes  Vertrauen 
haben  die  Truppen  zu  ihm.  »Unser  Feldmarschall 
wird's  schon  machen!«  sagen  sie. 

Der  zweite:  Natürlich,  er  wirds  schon  machen. 

Der  erste:  Weißt  wie  sie  ihn  nennen? 

Der  zweite:  Ihren  Soldatenvater  nennen  s'  ihn 
halt,  wie  denn  sonst? 

Der  erste:  So  is.  Der  Verfasser  des  Buches 
»Unsere  Dynastie  im  Felde«  —  du,  der  hat  dir  was 
erlebt!  Ich  stand  zufällig  in  der  Nähe,  sagt  er,  in 
einer  durch  einen  Hügel  gedeckten  kleinen  Gruppe 
in  Gesellschaft  eines  alten  Rauhbarts,  sagt  er,  aus 
der  im  Aussterben  begriffenen  Generation  der  in 
mehreren  Feldzügen  wetterhart  gewordenen  Veteranen, 
verstehst?  Auch  er  beobachtete  den  Generalissimus  in 
der  Ferne.  Ich  bemerkte  auf  seinen  harten  Zügen  — 

Der  zweite:  Du,  das  bitt  ich  mir  aus  — 


355 

Der  erste:  Aber  er  hats  doch  bemerkt,  nicht 
ich  — 

Derzweite:  No  aber  wer  hat  denn  harte  Züge? 

Der  erste:  No  der  ahe  Rauhbart! 

Der  zweite:  Ah  so,  der  alte  Rauhbart,  das 
is  was  andreas. 

Der  erste:  Also  der  Verfasser  des  Buches 
»Unsere  Dynastie  im  Felde«  hat  auf  den  harten 
Zügen  des  alten  Rauhbarts  eine  Bewegung  bemerkt, 
die  er  augenscheinlich  zu  unterdrücken  suchte.  Dann 
fuhr  er  mit  seinem  wetterfesten  Kavalleristenhand- 
schuh über  die  Augen,  in  welchen  etwas  Verdächtiges 
blinkte  — 

Der  zweite:  0ha,  Lichtsignale  oder  was, 
p.  V.  — ! 

Der  erste:  Weilst  mich  nicht  ausreden  lassen 
tust  —  herstellt!  Und  sagte  mit  einer  bei  ihm 
vorher  nie  wahrgenommenen  Rührung:  »Der  Soldaten- 
vater .   .  .«  (Er  schluchzt.) 

Der  zweite  (gleichfalls  bewegt):  No  was  is  mit'n 
Josef  Ferdinand? 

Der  erste:  Jedem  seiner  Soldaten  gehört  sein 
Herz  und  alle  Soldatenherzen  gehören  ihm.  Ein 
Feldherr  von  unvergleichlichem  Ruhme  und  ein 
schlichter,  treuer,  abgöttisch  geliebter  Soldaten- 
kamerad. So  wird  sein  Bild  weiterleben  in  der  unver- 
gänglichen Geschichte  dieses  Krieges. 

Der  zweite:  Das  is  schön.  Und  der  Peter 
Ferdinand? 

Der  erste:  No  also  —  kolossal.  Wie  er  den 
Feind  von  den  Höhen  wirft,  wie  er  im  Schneesturm 
eiserne  Wacht  hält  —  also  das  sind  Episoden  von 
mitreißender  Wucht  und  Größe. 

Der  zweite:  No  und  der  Erzherzog  Josef 
is  nix? 

Der  erste:  Der  Heldenhafte!  Die  Soldaten 
erzählen  sich,  er  sei  unverwundbar. 


23* 


356 


Der  zweite:  Geh! — Noja,  darum  hat  er  glaubt, 
daß  auch  seine  Soldaten  unverwundbar  sind,  und  hat 
sie  halt  bißl  mit  Maschingwehren  von  hinten  — 

Der  erste:  Halts  Maul.  Und  alle  beten  ihn  an, 
der  Ungar  wie  der  Schwab,  der  Rumäne,  der  Serbe  — 
alle,  wie's  da  sind. 

Der  zweite:  Was,  auch  der  Serbe? 

Der  erste:  No  und  ob!  Herzzerreißende  Szenen 
sollen  sich  abgspielt  haben.  Kaum  angedeutet  kann 
dies  werden. 

Der  zweite:   No  was  is  denn  mit'n  Eugen? 

Der  erste:  Der  edle  Ritter! 

Der  zweite:  No  und  der  Max? 

Der  erste:  No  halt  ein  Feschak! 

Der  zweite:  Und  der  Albrecht? 

Der  erste:  So  jung  wie  er  is,  er  teilt  schon 
mit  die  Soldaten  all  die  schweren  Mühseligkeiten, 
kotige  Wege,  durchnäßte  Kleider,  schlechte  Unterkunft, 
verdorbenes  Brot,  alles  teilt  er  mit  ihnen. 

Der  zweite:  Das  sind  die  Helden  der  Tat. 
Was  is  mit  den  Helden  der  Barmherzigkeit? 

Der  erste:  Hier  wird  der  unvergängliche  Ruhm 
geschildert,  den  sich  Erzherzog  Franz  Salvator  durch 
seine  organisatorische  Riesenleistung  für  das  Rote 
Kreuz  errungen  hat,  hier  wird  das  hehre  Beispiel 
geschildert,  mit  dem  die  Erzherzoginnen  Zita,  Marie 
Valerie,  Isabella,  Blanka,  Maria  Josefa,  Maria  Theresia, 
Maria  Annunziata  und  viele  andere  Mitglieder 
des  angestammten  Herrscheiiiauses  der  öffentlichen 
Wohltätigkeit  vorangingen.  Worte  glühender  Be- 
wunderung sind  dem  segensreichen,  aufopfernden 
und  heldenhaften  Walten  der  Erzherzogin  Isabella 
Maria  gewidmet. 

Der  zweite:  Was  is  denn  mit'n  Leopold 
Salvator? 

Der  erste:  Er  hat  sich  verdient  gemacht! 

Der  zweite:   Ein  paar  hast  noch  vergessen. 


357 


Der  erste:  Erzherzog  Karl  Stephan  entfaltet 
eine  rastlose  Tätigkeit,  Erzherzog  Heinrich  Ferdinand 
verrichtet  ermüdende  Melderitte,  ErzherzogMaximilian 
ist  eingrückt  und  gleich  den  Erzherzogen  Leo  und 
Wilhelm,  Franz  Karl  Salvator  und  Hubert  Salvator 
zum  Leutnant  ernannt  worden  und  alle  sind  uner- 
schrocken. 

D  e  r  z  w  c  i  t  e :  Fürwahr  ein  reicher  Lorbeerstrauß. 

Der  erste:  Das  Buch,  das  keinen  Anspruch 
auf  Vollständigkeit  erheben  kann,  wird  seinen  Ehren- 
platz in  der  Literatur  dieses  Krieges  behaupten. 

Der  zweite   (schluchzt) 

Der  erste:  Was  hast  denn? 

Der  zweite:  Ich  denk  an  das  Prothesenspital. 

Der  erste:  No  deshalb  mußt  doch  nicht 
weinen,  Krieg  is  Krieg  mei  Liaber  — 

Der  zweite:  Das  weiß  ich  doch  —  es  is  auch 
nicht  destwegen,  es  is  wegen  — 

Der  erste:    No  was  denn?   Was  hast  denn? 

Der  zweite  (weinend):  Weilst  mich  nicht  aus- 
reden lassen  tust.  Ich  denk  halt  allaweil  an  die  Erz- 
herzogin Zita  im  Prothesenspital!  Einen  Freudentag, 
der  so  manche  Stunde  des  Schmerzes  aufwiegt, 
brachte  den  Verwundeten  der  8.  Mai.  Oft  klang  es 
an  mein  Ohr:  »Wenn  nur  Erzherzegin  Zita  einmal 
käme!«  —  »Könnte  ich  doch  Erzherzogin  Zita  sehen!« 
Endlich  brach  der  ersehnte  Tag  an.  Freudige  Erregung 
vibrierte  durch  das  ganze  große  lichte  Haus.  Um 
3/4  10  Uhr  vormittags  fuhr  das  kaiserliche  Auto  vor, 
dem  die  Erzherzogin  entstieg.  Es  war  soeben  ein 
neuerTransport Verwundeter  angekommen  (er  schluchzt). 

Der  erste:  No  aber  deshalb  mußt  doch 
nicht  —  Krieg  is  Krieg,  mei  Liaber  — 

Der  zweite:  Das  weiß  ich  —  es  is  doch  nur 
wegen  der  Zita  —  Also  —  Mit  unvergleichlicher 
Anmut  richtete  die  junge  Erzherzogin  an  jeden  der 
Neuankömmlinge  das  Wort.  Es  strahlte  undleuchtete  auf 


358 


in  diesen  wettergebräunten  Gesichtern,  in  welchen 
das  Leid  und  der  Schmerz  so  manche  Furche  gezogen. 
Deutsche  und  Ungarn,  Polen  und  Tschechen,  Rumänen 
und  Ruthenen  fühlten  sich  wieder  inniger  verkettet 
durch  ein  neues  Band. 

Der  erste:  No  ja  schön  is  schon  mit  die 
Prothesen  — 

Der  zweite:  Die  gleiche  Freude  machte  ihre 
Herzen  rascher  schlagen.  Jedem  einzelnen  brachte 
die  hohe  Frau,  in  der  sie  die  gemeinsame  Landes- 
mutter erkannten,  warmes  Interesse  entgegen,  und 
wenn  Patienten  vorgeführt  wurden,  denen  beide  Füße 
durch  künstliche  ersetzt  waren,  mit  denen  sie  sich 
flott  vorwärts  bewegten  —  (er  weint.j 

Der  erste:  Hör  auf,  Krieg  is  Krieg! 

Der  zweite:  Aber  das  weiß  ich  doch  —  es  is 
ja  wegen  der  Zita !  Also  wie  sie  sich  flott  vorwärts- 
bewegten, folgte  der  Erzherzogin  Blick  ihnen  und 
man  sah  Freude  in  ihren  Augen  schimmern.  Und 
alle  vergaßen  ihre  Schmerzen,  ihr  Leid,  es  war 
der  Frühling,  das  Hoffen,  die  Freude  eingezogen. 
Als  Erzherzogin  Zita  das  Spital  gegen  1  Uhr  mittags 
verließ,  blieb  das  Leuchten  und  Strahlen  noch  auf 
den  Gesichtern,  stolze  Freude  in  den  Herzen. 

Der  erste:  Das  kann  ich  ihnen  nachfühlen. 
So  ein  Krieg  is  doch  eine  Passion.  Wann  einer  das 
Glück  hat  und  er  kommt  ins  Prothesenspital  und  es 
trifft  sich  grad,   daß   ihm  die  kaiserliche  Hoheit  — 

Der  zweite:  Ja  so  einer  kann  von  Glück 
sagen  —  aber  weißt,  es  is  und  bleibt  doch  eine  halberte 
Gschicht.  Denn  wanns  einen  nicht  vergunnt  is,  für 
das  angestammte  Herrscherhaus  zu  sterben  — ! 

Der  erste:  Ja,  mei  Liaber,  das  wird  nicht 
jedermann  zuteil!  Man  darf  nicht  unbescheiden  sein. 
Was  soll  denn  unsereins  sagen? 

(Verwandlung.) 


359 


25.  Szene 

Vor  dem  Kriegsministerium. 

Ein  junger  Mann:    Servus!  Wo  gehst  hin? 

Zweiter:  Hinauf. 

Erster:  Wozu? 

Zweiter:  Mirs  richten.  Und  du? 

Erster:  Ich  auch. 

Zweiter:  Gehn  mr  halt  mitanander.  (Ab.) 

(Verwandlung.) 

26.  Szene 

Ringstraße. 

Fünfzig  Drückeberger  (treten  auf,  die  alle 
mit  Fingern  auf  einander  zeigen):  Der  sollte  genommen 
wern! 

(Verwandlung.) 

27.  Szene 

Vor  dem  Kriegsministerium. 

Ein  junger  Mann:    Servus!  Wo  gehst  hin? 

Zweiter:  Hinauf. 

Erster:  Wozu? 

Zweiter:  Einfuhr.  Und  du? 

Erster:  Ausfuhr. 

Zweiter:  Gehn  mr  halt  mitanander.  (Ab.) 

(Verwandlung.) 

28.  Szene 

Landesverteidigungsministerium.  Ein  Hauptmann  sitzt  an  einem 
Schreibtisch.  Vor  ihm  steht  ein  Zivilist. 

Der  Hauptmann:  Alstern  ob  Sie  enthoben 
wern  können  oder  nicht,  das  können  S'  am  ein- 
fachsten aus  der  Verordnung  sehn,  ich  will  Ihnen 
da  entgegenkommen,  daß  Sie  sich  selber  überzeugen, 
alstern  hörn  S'  zu :  »Das  k.  k.  Ministerium  für  Landes- 
verteidigung   fand    mit    Erlaß    vom    12.    Juli    1915, 


360 


Nr.  863/XIV,  im  Einverständnis  mit  dem  k.  u.  k. 
Kriegsministerium  zu  verfügen,  daß  im  Hinblick  auf 
den  dermaligen  Kriegszustand  —  in  gleicher  Weise, 
wie  bereits  seinerzeit  mit  dem  Erlaß  des  genannten 
k.  k.  Ministeriums  vom  13.  Jänner  1915,  Dep.  XIV. 
Nr.  1596  ex  1914,  h.  o.  Erlaß  vom  18.  Jänner  1915, 
ZI.  1068,  hinsichtlich  der  Begünstigung  nach  §  31 
und  32  W.-G.  (als  Familienerhalter)  angeordnet  — 
auch  der  nach  §  109  I,  1.  Abs.  §  118  I  und  §  121  I 
W.-V.  I.,  im  Juni  1915  zu  erbringende  Nachweis 
des  Fortbestandes  der  die  Begünstigungen  nach 
§  30,  §  32  (als  Landwirt)  und  §  82  W.-G. 
(§  32  W.-G.  von  1889)  begründenden  Verhältnisse 
bis  auf  weiteres  aufgehoben  wird,  wobei  die 
bezeichneten  Begünstigungen  einstweilen  —  die 
Begünstigungen  nach  §  30  und  nach  §  32  mit  der 
gemäß  §  108  I,  zweiter  Absatz  W.-V.  I,  dem  termin- 
gemäß eibrachtenFortbestandsnach  weiszukommenden 
Wirkung  —  als  fortbestehend  anzusehen  sind.«  No 
alstern  —  jetzt  wem  S'  mich  aber  entschuldigen, 
andere  wollen  auch  drankommen,  nicht  wahr?  Also 
djehre,   djehre  —   (Der  Zivilist  verbeugt  sich  und  geht  ab.) 

(Verwandlung.) 


29.  Szene 

Innsbruck.    Ein  Restaurant.    An  einem  Tisch  drei  Damen,  die 

schwedisch  sprechen.   Von  einem  Nebentisch  stürzt  ein  Oberst 

mit  zorngerötetem  Kopf  auf  sie  los. 

Der  Oberst:  Ich  verbiete  Ihnen,  hier  englisch 
zu  sprechen!  (Seine  Gattin  will  ihn  auf  den  Sessel  zurückziehen.) 
Erlaube  mir  —  ich  als  Schwager  des  Generalstabs- 
chefs — 

Die  Oberstensgattin:  Aber  sie  sprechen  ja 
\iur  schwedisch! 

Der   Oberst:    Ah  so  —  (er  setzt  sich.) 

(Verwandlimg.) 


361 


30.  Szene 


Marktplatz  in  ürodno.    Die  Bevölkerung  ist  versammelt,  voran 
eine  Schar  von  Mädchen. 

Ein  Beamter  der  Stadthauptmaiinschaft 
(verkündet):  Einem  auf  einen  von  dem  Herrn  Ober- 
befehlshaber der  XII.  Armee  ausgesprochenen  Wunsch 
unter  Bezugnahme  auf  dessen  Verfügung  vom 
29.  April  1916,  Zahl  6106  ergangenen  Ersuchen  des 
Cheffs  der  deutschen  Verwaltung  zufolge  erläßt  der 
Stadthauptmann  den  Befehl,  daß  die  Mädchen 
angeleitet  werden,  die  deutschen  Offiziere  und 
Beamten  sou^ie  auch  die  einheimischen  Respekt- 
personen durch  Knicksen  zu  begrüßen.  (Die  Mädchen 
knicksen.  Respektpersonen  gehen  vorbei)  Knicksen!  (Die 
Mädchen  knicksen.  Deutsche  Beamte  gehen  vorbei)  Tiefer 
knicksen!  (Die  Mädchen  knicksen  tiefer.  Deutsche  Offiziere 
kommen)  Jetzt  am  tiefsten  knicksen!  (Die  Mädchen 
knicksen  am  tiefsten.) 

(Verwandlung.) 

31.  Szene 

Briefzensur  bei  einem  deutschen  Frontabschnitt. 

Der  Zensuroffizier:  Nee,  heute  ist  aber 
mächtich  viel  zu  tun!  Ich  habe  seit  neun  Uhr 
1286  Karten  und  519  Briefe  zensuriert  und  die 
meisten  waren  an  Otto  Ernst.  Wer  noch  heute 
drankommen  will,  möge  mirs  ohne  An-  und  Unter- 
schrift vorlesen.  Meine  Sehkraft  ist  alle.  (Sie  lesen  der 
Reihe  nach  vor  und  erhalten  den  Zensursteinpel.) 

Ein  Hauptmann:  Eine  Gnade  Gottes,  ein 
unschätzbarer  Segen  sind  Ihre  Werke  für  uns 
Deutsche  in  dieser  schweren  Zeit!  Sie  sind  für 
mich  die  Bestätigung,  die  Verkörperung  des 
männlich-deutschen  Glaubens  der  Gegenwart.  Darum 
kann  ich  nicht  anders,  ich  muß  Ihnen,  gerade  Ihnen 
mein  Herz  ausschütten. 


362 


Ein  Flieger:  Ohne  Phrasen  dreschen  zu 
wollen:  Ihr  Buch  war  mit  das  Schönste,  Tiefste  und 
Erhebendste,  was  ich  seit  Jahren  gelesen  habe. 

Ein  Vizeieldwebel:  hmigeu  Dank  für  den 
»Gewittersegen«,  der  mich  erfrischt  und  erquickt 
hat.  Der  Teufel  hole  alle  Flaumacher  und  Nörgler! 
Wie  hat  das  Buch  mir  und  allen  in  Feldgrau  aus 
der  Seele  gesproclien! 

Ein  Unteroffizier:  Heute  haben  wir  Oster- 
sonntag. Am  Nachmittage  wollen  uns  benachbarte 
Unterstände  besuchen,  und  zur  Feier  des  Tages 
wird  Ihr  »Sonntag  eines  Deutschen«  vorgelesen.  Das 
soll  uns  die  schönste  Osterfeier  ersetzen! 

Ein  Landsturmmann:  In  den  Freistunden 
findet  ein  richtiges  Wettlesen  statt.  Jeder  möchte 
zuerst  dieses  oder  jenes  Ihrer  Bücher  lesen,  und 
da  wir  bisher  drei  Stück  erhielten,  muß  hübsch 
gewartet  werden,  bis  ein  Kamerad  das  Buch  zu 
Ende  hat. 

Bedienung  der  9  cm-Geschütze,  genannt 
»Die  Sturmkolonne«  (unisono):  Unser  Dienst  läßt 
es  nicht  immer  zu,  daß  alle  daran  teilnehmen,  und 
so  lesen  wir  Ihren  Roman  doch  lieber  einzeln. 

Sechzehn  Kraftfahrer:  Sechzehn  Kraftfahrer 
der  10.  Armee  haben  mit  Entzücken  Ihren  »Offenen 
Brief  an  Annunzio«  gelesen  —  er  drückt  in  Worten 
unsere  Gefühle  aus! 

Ein  Oberleutnant:  Jede  tapfere  Zeile  zündet 
wie  eine  pünktlich  krepierende  Granate. 

Ein  Flieger-Beobachter:  Gerade  Sie,  der 
Sie  sich  als  Lebensbejaher  erwiesen,  sind  ein  Erlöser 
in  diesem  Stumpfsinn  des  täglichen  Einerlei. 

Ein  Leutnant:  Ich  habe  wieder  mal  herzliche 
Freude  über  Ihren  Humor  und  hoffe,  daß  die 
Wirkung  auch  im  Granatfeuer  nicht  nachläßt. 


363 


Ein  Militär  musiker:  über  die  Zeit  der 
Trennung  sollen  meiner  lieben,  armen,  unglücklichen 
Braut  Ihre  so  wunderbar  heilkräftigen,  tröstlichen 
Werke  hinweghelfen. 

Ein  Gefreiter:  Sie  können  mit  Ihrer 
von  Gott  gesegneten  Feder  unserm  Vaterlande  mehr 
nützen  als  mit  dem  Bajonett. 

Ein  Soldat:  Ihre  jedes  brave  Herz  erhebenden 
Gedichte  werden  bestehen,  solange  die  Welt 
deutsche  Treue  und  englische  Falschheit  kennt. 

Ein  Stabsarzt:  Ich  las  Ihren  offenen  Brief 
an  d'  Annunzio.  Mir  aus  dem  Herzen  gesprochen! 
Ich  kämpfe  mit  dem  Messer,  Sie  mit  der  Feder, 
jeder  nach  seinen  Kräften.  Die  Hauptsache  ist,  daß 
wir  durchdringen.  Gott  strafe  England! 

Ein  Kanonier:  Ich  habe  mir  den  Kopf 
zerbrochen,  wie  ich  Ihnen  durch  Taten  Dank 
abstatten  könnte. 

Ein  Kompagnieführer:  Ihr  ausgezeichneter 
Humor  half  uns  über  m.anche  trübe  Stimmung 
hinweg  und  förderte  den  Unternehmungsgeist. 

Ein  Offizier-Stellvertreter:  Wir  lagen 
im  Schützengraben,  Ob  noch  ein  Angriff  zu 
erwarten  sei,  konnte  niemand  sagen;  doch  übten 
wir  die  größte  Wachsamkeit.  Um  unsere  Nerven, 
die  wieder  einmal  ihr  Teil  erhalten  hatten,  etwas  zu 
beruhigen,  krochen  wir  in  den  Unterstand,  wo  ich, 
um  uns  auf  andere  Gedanken  zu  bringen,  etwas 
vorlesen  mußte.  Ich  wählte  Ihre  Plauderei  »An  die 
Zeitknicker«,  die  auch  viel  Anerkennung  fand. 
Eben  wollte  ich  die  »Anna  Menzel«  beginnen,  als 
wir  zu  unsern  Zügen  gerufen  wurden  mit  der 
Meldung:  am  Waldrande  habe  man  feindliche  Schützen 
erkannt.  Der  Tanz  begann.  Immer  mehr  Angreifer 
kommen  aus  dem  Walde  hervor.  Unser  Maschinen- 
gewehr, welches  sich  zwischen  meinem  und  dem 
ersten  Zug  befand,  fängt  nun  auch  an  mitzuwirken. 


364 


Ebenso  war  unsere  Artillerie  auf  der  Hut  gewesen 
und  sandte  nun  gruppenweise  ihre  Schrapnells 
auf  den  Gegner.  Mir  fiel  die  Unruhe  meiner 
Leute  auf;  der  Gegner  hatte  schon  teilweise  den 
Drahtverhau  erreicht.  Unter  meinen  Leuten  waren 
sehr  viel  junge  Krieger,  die  heute  zum  erstenmal 
im  Feuer  standen.  Was  konnte  ich  als  Zugsführer 
anderes  tun  als  ihnen  zurufen,  ruhig  zu  feuern? 
In  diesem  AugenbHck  dachte  ich  an  die  Worte  aus 
der  Mahnung  an  die  Zeitknicker:  »Ruuuhig,  nur 
immm-mer  ruuuhig!«  Gebückt  von  Mann  zu  Mann, 
von  Gruppe  zu  Gruppe  kriechend,  rief  ich  ihnen  zu. 
Die  Wirkung  war  bald  zu  merken.  Die  Feinde,  die 
schon  im  Begriff  waren,  unsern  Drahtverhau  zu 
überwinden,  wurden  von  den  nun  sichtbar  ruhig 
feuernden  Schützen  niedergeknallt.  Der  Angriff  war 
glatt  abgewiesen;  wir  hatten  nur  v/enig  Verluste. 
So  ist  es  uns  geglückt,  dem  Gegner  wieder  mal  eins 
auf  die  Nase  zu  geben  dank  unserer  Wachsamkeit 
und  dem  ruhigen  Feuern  der  Schützen,  das  ich 
wiederum  in  erster  Linie  Ihrer  Erzählung  verdanke. 
Sie  hat  eine  ungeahnte  Wirkung  gehabt! 

Ein  Pionier:  Von  der  Walstatt  aus  entbiete 
ich  Ihnen,  großer  Meister  und  Freund  der  Jugend, 
meine  herzlichsten  Grüße!  Möge  es  uns  bald  vergönnt 
sein,  den  schon  aus  vielen  Wunden  blutenden  Feind 
röchelnd  zu  unseren  Füßen  zu  sehen.  Heil  dem 
Künstler,  dessen  Feuergeist  für  seines  Volkes  Ehre 
ficht! 

Ein  Kriegsfreiwilliger:  In  der  Telephonbude 
liegt  ein  Buch  von  Otto  Ernst.  Die  Sonnenflecke  spielen 
über  die  Seiten.  Ich  hab'  so  'ne  Freud'  an  Ihnen 
gehabt,  so  'ne  Freud'  überhaupt  bekommen  am  Morgen, 
daß  ich  ein  Ventil  haben  muß  für  all  den  Frühlings- 
übermut in  mir.  Fortlaufen,  durch  den  Wald  laufen, 
in  die  Welt  laufen  möcht'  ich!  Verflucht,  das  möchte 
ich,  wenn  ich  nicht  meinen  Posten  hätt'!  Was  denn 
dann    tun?     Singen!     Jawohl,     das     hilft     immer! 


365 


Gleich  will  mir  niclil  einfallen,  was  nun  am  besten 
zu  schmettern  war'.  Husch  —  da  ist  der  Gedanken- 
blitz —  schwupp,  da  liegt  der  Befehlsblock!  Raus 
mit  dem  Bleistift  —  Otto  Ernst  soll  einen  Gruß 
haben!  Guten  Morgen,  Otto  Ernst!  Wissen  Sie  auch, 
daß  Sie  ein  ganz  alter  Bekannter  von  mir  sind? 
Jawohl,  Sempersjung,  das  sind  Sie! 

(Ein  Generalmajor  erscheint.) 

Der  Zensuroffizier:  Ah,  auch  Herr  General? 

Der  Generalmajor  (liest):  Gestern  habe  ich  mich 
an  Ihrer  »Weihnachtsfeier«  erquickt.  Leider  habe  ich 
in  Ihren  Büchern  nicht  finden  können,  ob  Sie  — 
wenn  Sie  sich  mal  zur  Arbeit  stärken  müssen  — 
dies  mit  Rot-  oder  Weißwein  tun.  (Lachen.)  Bei  Ihren 
prächtigen  Charaktereigenschaften  und  Ihrem  Humor 
würde  ich  (als  Mecklenburger ! !)  auf  Rotwein  schließen  I 
Eins  aber  weiß  ich:  sollte  es  im  Himmel  Sofaplätze 
geben,    dann  bekommen  Sie  einen  solchen! 

(Immer    neue    Offiziere    und    Soldaten   aller   Waffengattungen 
erscheinen.) 

Der  Zensuroffizier:  Nee  Kinder,  morjen 
ist  auch  'n  Tach! 

(Verwandlung.) 

32.  Szene 

Eine  stille  Poetenklause  im  steirischen  Wald. 

Ein  Kernstoc k-V e r e  h  r e r :  Pst  —  leise  — 
da  sitzt  er,  ganz  versunken  — 

Ein  zweiter  Kernstock-Verehrer:  Von 
hier  aus  sendet  er  seine  Lieder  ins  Land,  Lieder 
von  kraftvoller,  dabei  doch  sinniger  und  oft  unbe- 
schreiblich zarter  Eigenart,  Lieder  — 

Der  erste:  Ei,  es  sollte  mich  wundern,  wenn 
er  nicht  eben  — 

Der  zweite:  So  scheint  es.  Still!  Alle  seine 
Hörer   werden,    entflammt   an   seiner   Flamme,   das 


366 


Empfangene  dereinst  als  Lehrer  tausendfältig  weiter- 
geben und  in  die  Herzen  einer  neuen  Jugend  wird 
versenkt  werden,  was  dieser  eine  Mann  auf  seiner 
waldumrauschten,  einsamen  Burg  in  jahrzeiintelanger 
Arbeit  ergründete. 

Der  erste:  Fürwahr,  der  Pfarrherr  von  der 
Festenburg  ist  ein  Mann,  der  mit  feuriger,  begnadeter 
Zunge  alle  lebendigen  Schönheiten  der  Gotteswelt 
zu  preisen  versteht.  Still! 

D  e  r  z  w  e  i  t  e :  Pst — es  scheint  über  ihn  gekommen 
zu  sein.  Wird  es  ein  Gedicht  oder  ein  Gebet? 

Kernstock  (murmelt) : 

Bedrängt  und  hart  geängstigt  ist 
Dein  Volk  von  fremden  Horden, 
Durch  Übermut  und  Hinterlist 
Mit  Sengen  und  mit  Morden. 

Der  erste:  Ei  das  kenne  ich  schon.  Das  ist 
ja  das  Gebet  vor  der  Hunnenschlacht. 

Kernstock  (murmelt)  : 

O  Herr,  der  uns  am  Kreuz  erlöst, 

Erlös'  uns  von  der  Hunnenpest! 

Kyrie  eleison! 

Der  zweite:  Kein  Wunder,  daß  er  die  Berufung 
nach  Wien  angenommen  hat.  Geadelt  durch  seinen 
Priesterberuf,  muß  er  auch  als  Mensch  die  allertiefste 
und  nachhaltigste  Wirkung  auf  seine  jugendlichen 
Zuhörer  ausüben. 

Kernstock  (murmelt): 
Mit  uns  sind  die  himmlischen  Scharen  all, 
Sankt  Michel  ist  unser  Feldmarschall. 

Der  erste:  Einen  Augenblick  lang  wird  ja 
der  Pfarrherr  von  der  Festenburg  gezögert  haben, 
seine  verträumte,  stille  Poetenklause  im  steirischen 
Wald  mit  dem  Lärm  der  Großstadt  zu  vertauschen. 
Einen  Augenblick  lang  nur  — 


367 


Kernstock  (murmelt) : 
Da  winkte  Gott  —  der  Rächer  kam, 
Das  Racheschwert  zu  zücken 
Und,  was  dem  Schwert  entrann,  im  Schlamm 
Der  Sümpfe  zu  ersticken. 

Der  zweite:  Dann  aber  wird  wohl  die 
Erkenntnis  in  ihm  gesiegt  haben,  welch  hoher 
Beruf  sich  ihm  hier  erschließt,  welch  neue  Möglich- 
keiten ethischer,  künstlerischer,  kulturfördernder 
Betätigung  sich  ihm  in  Wien  bieten.  Und  die 
Stimme  dieser  Erkenntnis  wird  bald  die  Oberhand 
gewonnen  haben  über  das  verlockende  Rauschen 
der  Tanuenforste  um  die  Festenburg. 

Beide:  Still! 

Kernstock  (wie  überwältigt) : 

Steirische  Holzer,  holzt  mir  gut 

Mit  Büchsenkolben  die  Serbenbrut! 

Steirische  Jäger,  trefft  mir  glatt 

Den  russischen  Zottelbären  aufs  Blatt! 

Steirische  Winzer,  preßt  mir  fein 

Aus  Welschlandfrüchtchen  blutroten  Wein! 

Der  erste:  Es  ist  nichts  Neues,  aber  es  reißt 
immer  von  Neuem  fort.  Der  Augenblick  ist  da.  Wenn 
wir  ihn  jetzt  beim  Wort  nehmen  und  ihm  als 
schwärmerische  Jünglinge  unsere  Stammbücher 
hinhalten,  so  wär's  eine  Erinnerung  fürs  Leben. 

Der  zweite:  Fürwahr,  das  wollen  wir! 
(Verwandlung.) 

33.  Szene 

Bei  einem  Abschnittskommando. 
Die  Schalek:  Als  wir  vom  Kriegspressequartier 
gestern  in  die  Stellungen  kamen,  erlebte  ich  etwas 
Seltsames.  Allnächtlich  marschieren  die  alten  Arbeiter 
mit  ihren  Tragtieren  durch  die  Feuerlinie,  um  den 
Proviant  zu  den  Stellungen  zu  bringen.  Ich  war 
gerade  in  diesen  Anblick  versunken.  Da  unterbrach 


368 


der   Kommandant   meine   andächtige   Bewunderung 
durch    den    kräftigen  Zuruf:    »Ihr    Hornviecher,    ihr 
gottverdammten!    Werds   auseinanderrücken!    Müßt 
ihr  von  einer  Granate  alle  gleichzeitig  hin  werden?« 
Das  galt  natürlich  nicht  uns  vom  Kriegspressequartier, 
sondern  den   alten  Arbeitern,   und  er  entschuldigte 
sich    auch    gleich    darauf,    denn    er    begrüßte    uns 
lachend  mit   den  Worten:    »Entschuldigen   Sie   den 
temperamentvollen    Empfang!«     Ich    kann    nur    bei 
allem     Mitleid     mit     jenen     armen     alten     Helden 
konstatieren,  daß  ich  der  Schneid  und  der  Liebens- 
würdigkeit  der  Offiziere    meine  Anerkennung   nicht 
versagen  kann.  Ein  unvergeßliches  Bild  bot  sich  uns. 
Alle  Herren  waren  zu  unserem  Empfange  versammelt. 
Sonst  hockt  jeder  wohlgedeckt  oder  er  schläft,  jedenfalls 
hütet  er  sich  sehr,    hier   offen   spazieren   zu  gehen. 
Aber  weil  der  erste  Kriegsberichterstatter  angekündigt 
worden    ist,    sitzen    die   Herren   gemütlich   wie   im 
Rathauskeller   beisammen   und  erwarten  uns.   Mehr 
als  das.   Man  hatte  mit  der  Beschießung  gewartet, 
bis    wir    oben    angelangt    waren,     weil    sonst    das 
Vergeltungsschießen  uns  den  Weg  recht  unangenehm 
hätte  gestalten  können.  Dieses  Verfahren  hatte  also 
nicht  nur  für  uns  von  der  Presse,  sondern  auch  für 
die  Offiziere  die  Annehmlichkeit,  daß  sie  sich  einmal 
im  Freien  zeigen  konnten,  und  es  hätte  schließlich  auch 
den  armen  alten  Arbeitern  einen  gefahrlosen  Marsch 
gesichert,  wenn  sie  gleichen  Schritt  mit  dem  Kriegs- 
pressequartier gehalten  hätten  und  mit  dem  Proviant 
nicht  später  angekommen   wären  als  wir.    Ich  kann 
aber  daraus  den  Schluß  ziehen,    daß   es   ihnen    bei 
einiger  Einteilung   ganz   gut   ginge,   nämlich   wenn 
jeden  Tag  Pressebesuch    bei   den   Stellungen    wäre, 
und   daß   dann   die  Gefahren   der  Kriegführung  für 
die  Offiziere,   für   die   Mitglieder   des  Kriegspresse- 
quartiers und  last  not  least  für  den  einfachen  Mann 
wesentlich  abgeschwächt  wären. 
(Verwandlung.) 


369 


34.  Szene 


Berlin,  Tiergarten. 

Ein  Austauschprofessor  und  ein  nalionalliberaler  Abgeordneter 

treten  auf. 

Der  Austauschprofessor:  Wir  führen  einen 
Verteidigungskrieg.  Molti^e  hat  zu  'nem  amerikanischen 
Aushorcher  gesagt,  daß  unser  Generalstab  niemals 
irgendwelche  raubgierige  militärische  Eroberungs- 
pläne gehegt  hat,  von  denen  unsere  Feinde  immerzu 
schwatzen.  Wie  hätten  wir  einen  Krieg  gegen  so 
überlegene  Kräfte,  sagte  er,  wie  diejenigen  unserer 
mächtigsten  Militär-  und  Seenachbarn  es  sind,  in 
frivoler  Weise  herbeiwünschen  können! 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  Sehr 
richtig,  und  wir  haben  den  festen  Willen,  heraus- 
zuholen aus  diesem  Kriege,  was  unsere  Heere  und 
was  unsere  blauen  Jungens  herausholen  können, 
und  nicht  zu  ruhen,  bis  Englands  Weltmachtsdünkel 
vollständig  niedergebeugt  ist.  Heute  ist  der  Moment 
gekommen,  wo  das  Ergebnis  des  Krieges  nur  der 
Friede  sein  kann,  der  uns  eine  Erweiterung  unsrer 
Grenzen  in  Ost  und  West  und  Übersee  bringt, 
wo  deutsche  Weltpolitik  das  Gebot  der  Stunde 
sein  muß. 

Der  Austauschprofessor:  Sehr  richtig,  der 
englische  Weltm.achtsdünkel  muß  gebrochen  werden 
und  wer  an  unserer  Friedfertigkeit  zweifelt,  der  soll 
uns  von  einer  andern  Seite  kennen  lernen!  Der 
Deutsche  hat  keine  andere  Sehnsucht,  als  im  Lande 
zu  bleiben  und  sich  redlich  von  seinen  Kolonien 
zu  nähren.  Dafür  geben  wir  doch  der  Welt  unsre 
Bildung! 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  Ja,  für 
unsere  kulturelle  Eigenart  hat  die  Welt  bisher  zu 
wenig  Verständnis  gehabt  und  das  wollen  wir  ihr 
jetzt  mal  gründlich  einbläuen. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  24 


370 


Der  Austauschprofessor:  Bis  dahin  wird's 
leider  noch  lange  Weile  haben,  und  daran  ist  aus- 
schließlich Amerika  schuld.  Moltke  hat  zu  jenem 
Amerikaner  gesagt,  der  Krieg  werde  so  lange  dauern, 
bis  Amerika  aufhören  werde,  Waffen  und  Munition  für 
unsere  Feinde  zu  liefern.  Moltke  gibt  ja  zu,  daß  diese 
Lieferungen  das  Werk  eines  Privatkonzerns  seien, 
aber  er  ist  überrascht,  daß  so  viele  Amerikaner 
wegen  materieller  Vorteile  einen  unneutralen  Handel 
zu  treiben  gewillt  sind  und  daß  die  Regierung  dem 
kein  Ende  bereitet.  Daß  die  deutschen  Waffenfabriken 
selbst,  im  Frieden,  an  unsre  Feinde  geliefert  haben, 
sei  ja  etwas  ganz  anderes.  Das  tut  die  Waffenindustrie 
allerorten.  Wir  waren  also  in  derselben  Lage  wie 
unsere  Gegner,  der  Unterschied  liegt  nur  darin,  daß 
wir,  sagt  Moltke,  gezwungen  waren,  uns  selbst  zu 
helfen,  während  für  unsre  Feinde  außer  unseren 
Waffenfabrikanten  noch  die  amerikanische  Industrie 
einsprang. 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  Ja,  das 
habe  ich  gelesen.  In  der  gleichen  Zeitungsnummer 
wird  auch  von  der  sogenannten  »Enthüllung«  des 
,World'  Notiz  genommen,  daß  wir  gleichfalls 
Versuche  gemacht  hätten,  aus  Amerika  Munition  zu 
bekommen.  Und  das  nennen  die  naiven  Leutchen 
'ne  Enthüllung!  Gottvoll!  Als  ob  das  nicht  selbst- 
verständlich wäre. 

Der  Austauschprofessor:  Jewiß  doch,  und 
da  wir  nichts  bekommen  haben,  haben  wir  wohl  ein 
heiliges  Recht,  uns  wenigstens  über  Neutralitätsbruch 
zu  beklagen! 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  Jewiß 
doch,  und  umsomehr,  als  keiner  vorliegt.  Denn  sehen 
Sie,  die  Vereinigten  Staaten  erklären  ausdrücklich, 
es  liege  im  Wesen  ihrer  Neutralität,  daß  sie  uns 
ebenso  gern  Waffen  und  Munition  verkaufen  würden 
wie  unsern  Feinden.    Und  warum   sollten  wir  von 


371 


dieser  Neutralität  nicht  Gebrauch  machen,  wenn  uns 
die  Fabriken  liefern  wollten?  Das  ist  auch  der 
Gedankengang  der  .Frankfurter  Zeitung',  die  die 
famose  Enthüllung  des  ,World*  bespricht.  Bedauerlich 
ist  dabei  eben  nur,  daß  wir  die  Munition,  die  wir 
aus  Amerika  haben  wollen,  nicht  von  den  dortigen 
deutschen  Fabriken,  weder  von  den  deutsch- 
amerikanischen noch  von  den  reichsdeutschen 
Fabriken  beziehen  können,  die  an  unsre  Feinde 
liefern. 

Der  Austauschprofessor:  Wie?  Deutsche, 
reichsdeutsche  Unternehmungen  sind  das?  Nicht 
englische? 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  I  wo, 
von  den  englischen  sollen  es  etliche  verweigert  haben. 
Na,  vermutlich  würden  die  uns  auch  nichts  liefern. 
Das  ist  eben  das  Pech,  die  feindlichen  liefern  uns  nichts 
und  die  deutschen  haben  sich  schon  an  unsre  Feinde 
vergeben.  Nun  ja,  eine  Fabrik  als  solche  muß  ja 
nicht  das  Neutralitätsprinzip  wahren.  Die  deutschen 
Fabrikanten  verletzen  es  doch  gewiß  nicht,  wenn  sie 
Waffen  an  unsere  Feinde  liefern! 

Der  Austauschprofessor:  Nee.  Aber  —  ja  — 
doch  —  ach  is  das  'n  Wirrwarr  1  Man  vertauscht  in 
diesem  Kriege  alle  Begriffe.  Wenn  nur  schon  Friede 
wäre,  da  könnte  man  sich  wenigstens  selbst  wieder 
vertauschen  lassen  und  alles  wäre  in  Ordnung. 

Der  nationalliberale  Abgeordnete:  Na 
beruhigen  Sie  sich.  Es  ist  dafür  gesorgt,  daß  die 
Bäume  nich  in  den  Himmel  wachsen.  Die  Debatte 
dürfte  bald  überholt  sein.  Zum  Glück  wird  ja 
Amerika  in  den  Krieg  eintreten,  und  da  werden 
unsere  Landsleute  drüben  wohl  oder  übel  sich 
besinnen  müssen  und  werden  statt  an  unsre  Feinde 
an  Amerika  Waffen  liefern. 

Der  Au  stau  seh  Professor:  So  muß  es  kommen! 

(Verwandlung.) 


24* 


372 


35.  Szene 

Berliner  Vortragssaal. 

Der  Dichter: 

—  Und  ob  jeder  Schritt  über  Fleischfetzen  steigt, 
Kartätschen  und  Stacheldraht: 

Die  befohlene  Linie  wird  erreicht  — 
Schwatzt  nicht  von  Heldentat! 
Wir  tun  unsre  Pflicht,  das  genügt. 

(Rufe:  JawoU!) 

—  Über  Kampfbefehle,  jäh  belebende, 
Schmettern  die  Geschütze  ihre  schwebende 

Sphärenmusik. 

(Rufe:  So  ist  es!) 

—  Marsch  marsch,  ruft  Gott,  schützt  euer  Land, 
Schützt  eurer  Kinder  Vaterland! 

(Lebhafter  Beifall.) 

—  Unsre  grauen  Kähne 
Haben  weiße  Zähne. 

Die  blitzen  los  auf  jeden  Schuft, 
Der  nach  des  Kaisers  Flagge  pufft, 
Unterm  deutschen  Himmel. 

(Stürmischer  Beifall.  Bravo-Rufe.) 

ll  Der  Kaiser,  der  die  Flotte  schuf, 

*'  Der  steht  mit  Gott  im  Bunde  —  (Rufe:  So  ist  es?) 

Denn  das  ist  Deutschlands  V/eltberuf : 

Es  duckt  die  Teufelshunde. 

Unsre  blauen  Jungen 

Haben  rote  Zungen; 

Die  zischen  durchs  Kanonenrohr, 

Dann  fliegt  der  Feind  durchs  Höllentor 

Unterm  deutschen  Himmel. 

(Stürmischer  Beifall.) 


373 


Sprung!  Vorwärts  marsch!  Herausausdem Bau! 

Durch!  Durch!  Knirscht's,  knattert  's  im  Draht- 
verhau, 
Und  Lerchenjubel  im  Blauen. 
Nur  hurra,  hurra!  schweig,  Wehgekreisch! 
Marsch  marsch, blankes  Eisen, insFeindesfleisch! 
Und  Lerchenjubel  im  Blauen. 
(Donnernder  Beifall.) 
—  —  Kriegsgenossen,  laßt  uns  singen: 
Sei  geheiligt,  Graus  auf  Erden! 
(Nicht  endenwoilender  Beifall.  Rufe:  Hoch  Dehmel!) 
(Verwandlung.) 

36.  Szene 

Wiener  Vortragssaal. 

Der  Nörgler: 

Mit  der  Uhr  in  der  Hand. 

»Eines  unserer  Unterseebote  hat  am  17.  Sep- 
tember im  Mittelmeer  einen  vollbesetzten 
feindlichen  Truppentransportdampier  versenkt. 
Das    Schiff   sank   innerhalb     43    Sekunden.« 

Dies  ist  das  Aug  in  Aug  der  Technik  mit  dem  Tod. 
Will  Tapferkeit  noch  Anteil  an  der  Macht? 
Hier  läuft  die  Uhr  ab,  aller  Tag  wird  Nacht. 
Du  mutiger  Schlachtengott,  errett  uns  aus  der  Not! 

Nicht  dir,  der  du  da  dumpf  aus  der  Maschine  kamst, 

ein  Opfer  war  es,  sondern  der  Maschine! 

Hier  stand  mit  unbewegter  Siegermiene 

ein  stolzer  Apparat,  dem  du  die  Seele  nahmst. 

Dort  ist  ein  Mörser.  Ihm  entrinnt  der  arme  Mann, 
der  ihn  erfand.  Er  schützt  sich  in  dem  Graben. 
Weil  Zwerge  Riesen  überwältigt  haben, 
seht  her,  die  Uhr  die  Zeit  zum  Stehen  bringen  kann! 


374 


Geht  schlafen,  überschlaft's.  Gebt  Gnade  euch  und  Ruh. 
Sonst  sitzt  euch  einst  ein  Krüppel  im  Büro, 
drückt  auf  den  Taster,  hebt  das  Agio, 
denn  grad  flog  London  in  die  Luft,  wie  geht  das  zu ! 

Wie  viel  war's  an  der  Zeit,  als  jenes  jetzt  geschah? 
Schlecht  sieht  das  Aug,  das  giftige  Gase  beizen. 
Doch  hört  das  Ohr,  die  Uhr  schlug  eben  dreizehn. 
Unsichtig  Wetter  kommt,  der  Untergang  ist  nah. 

Entwickelt  es  sich  so  mit  kunterbunten  Scherzen  — 
behüte  Gott  den  Gott,  daß  er  es  lese! 
Der  Fortschritt  geht  auf  Zinsfuß  und  Prothese, 
das  Uhrwerk  in  der  Hand,  die  Glorie  im  Herzen. 

Ein  Zuhörer  (zu  seiner  Gattin):  Man  kann 
sagen  auf  ihm  was  man  will  —  eine  Feder  hat  er! 

(Verwandlung.) 

37.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Patriot:  Kein  Badezimmer  in  Downing 
Street!  Also  was  sagen  Sie! 

Der  Abonnent:  Was  soll  ich  sagen,  es 
rieselt  im  Gemäuer. 

Der  Patriot:  Kein  Badezimmer  in  Downing 
Street ! 

Der  Abonnent:  No  und  wem  haben  wir 
diese  befremdliche  Entdeckung  zu  verdanken?  Ihm! 

Der  Patriot:  Natürlich,  aber  eigentlich  hat 
Frau  Lloyd  George  diese  befremdliche  Entdeckung 
gemacht,  das  muß  man  zugeben. 

Der  Abonnent:  Noja,  aber  er  hat  gebracht! 

Der  Patriot:  No  und  wissen  Sie,  was  daraus 
mit  zwingender  Logik  folgt? 

Der  Abonnent:  Er  schreibt  ja  ausdrücklich, 
die  britischen  Premierminister,  die  seit  hundert  und 


375 


mehr  Jahren  in  Downing  Street  residieren,  haben 
also  auf  den  Luxus  eines  Bades  entweder  verzichtet 
oder  eine  öffentliche  Badeanstalt  aufsuchen  müssen. 

Der  Patriot:  Recht  geschiehts  ihnen,  denen 
Schmutzianen,  ich  hab  a  Freid. 

DerAbonnent:  Und  bitte,  nicht  wie  bei  uns, 
wegen  dem  Krieg  —  nein,  über  hundert  Jahr  haben 
sie  dort  die  Schweinerei  anstehn  lassen! 

Der  Patriot:  Asquith  hat  dort  mit  seiner 
Familie  neun  Jahre  lang  verlebt. 

DerAbonnent:  So  hat  er  also  neun  Jahr 
nicht  gebadet,  er  und  die  ganze  Familie. 

Der  Patriot:  No,  das  kann  man  nicht  sagen. 
Vielleicht  ham  sie  eine  öffentliche  Badeanstalt  t)esucht. 

DerAbonnent:  Bitte,  das  wurde  nie  gemeldet ! 
Oder  ham  Sie  je  gelesen  — 

Der  Patriot:  Nicht  daß  ich  mich  erinner. 

Der  Abonnent:  No  also! 

Der  Patriot:  Aber  wissen  Sie  was  doch 
möglich  is?  Gut,  es  is  kein  Badezimmer  in  Downing 
Street.  Gut,  es  is  nachgewiesen,  sie  sind  auch  nie 
in  eine  öffentliche  Badeanstalt  gegangen  —  aber 
daraus  folgt  doch  noch  nicht,  daß  sie  überhaupt 
nicht  gebadet  haben  seit  hundert  Jahr? 

Der  Abonnent:  Wieso?  Mir  scheint  Sie 
sind  etv/as  e  Skeptiker! 

Der  Patriot:   Schaun   Sie   her,   die  Lloyd 
George  hat  es   entdeckt,   schreibt   er,   wie   sie   ein- 
gezogen sind.   No  wenn  sie   so   etwas   entdeckt  — 
was  wird  sie  tun  künftig? 

Der  Abonnent:  Weiß  ich?  Mei  Sorg! 

Der  Patriot:  Sie  wird  tun,  vermut  ich,  was 
höchstwahrscheinlich   auch  die  Asquith  getan  hat  — 

Der  Abonnent:  No  was  hat  sie  getan? 

Der  Patriot:  Was  sie  getan  hat?  Sie  hat 
getan,  vermut  ich,  was  höchstwahrscheinlich  alle  getan 
haben  was  dort  gewohnt   haben   seit   hundert  Jahr. 

DerAbonnent:   No  was   ham   sie   getan ? 


376 


Der  Patriot:  Was  sie  getan  harn?  No  is 
in  Schönbrunn  ein  Badezimmer? 

Der  Abonnent:  Was  denn  is  dort?! 

Der  Patriot:  No  —  ich  hab  mir  sagen 
lassen  —  also  ich  will  ja  nichts  gesagt  haben  — 
aber  nehmen  wir  an  —  also  hat  sich  der  Kaiser  seit 
hundert  Jahr  nicht  gebadet  oder  glauben  Sie,  daß 
er  ins  Zentralbad  geht? 

Der  Abonnent:  Schöner  Patriot  was  Sie  sind! 
Aber  wie  kommt  das  zu  dem,  sagen  Sie  lieber  was 
sie  in  Downing  Street  getan  haben. 

Der  Patriot:  Was  sie  getan  haben?  Schon 
der  einfache  Laie  muß  das  erkennen  —  sie  ham 
der  Schickse  geschafft,  daß  sie  ihnen  Wasser  holt 
und  ham  sie  geschickt  um  e  Schaff  und  dadarin 
ham  sie  sich  gebadet! 

Der  Abonnent  (hält  sich  die  Ohren  zu) :  Ich 
kann  so  etwas  nicht  hören!  Sie  nehmen  einem  die 
letzte  Illusion! 

Der  Patriot:  Bitte,  das  is  nur  eine  Vermutung. 
Ich  glaub  ja  auch  eher,  daß  er  recht  hat  —  daß  sie 
also  entweder  überhaupt  nicht  gebadet  haben  oder 
gezwungen  waren,  eine  öffentliche  Badeanstalt  auf- 
zusuchen. 

Der  Abonnent:  Und  ich  sag  Ihnen,  sie  ham 
überhaupt  nicht  gebadet!  Punktum.  Poincare  ist 
erschüttert  und  Lloyd  George  gedemütigt.  Engländer 
und  Deu-sche  werden  sich  in  Stockholm  begegnen. 

Der  Patriot:  Was  heißt  das?  Wie  kommt 
das  zu  dem?  Sie  kommen  mir  schon  vor  wie  Biach. 

Der  Abonnent:  Sie,  das  sollten  Sie  aber 
ja  wissen,  so  schließt  doch  ein  Leitartikel! 

Der  Patriot:  Natürlich  —  ich  weiß  doch! 
Wissen  Sie  was  ich  glaub?  Es  rieselt  im  Gemäuer. 

Der  Abonnent:  Wem  sagen  Sie  das!  Aber 
nicht  von  der  Wasserleitung!  In  der  ganzen  Entente 
hörich  is  kein  Badezimmer. 


377 


Der  Patriot:  No  das  is  übertrieben,  haben 
Sie  nicht  gelesen  die  Zarin  in  der  Badewanne? 

Der  Abonnent:  No  ja,  aber  sie  hat  sie 
bekanntlich  mit  Rasputin  teilen  müssen! 

Der  Patriot:  Wissen  Sie,  worauf  ich 
gespannt  bin? 

Der  Abonnent:  Worauf?  ich  bin  gespannt. 

Der  Patriot:  Ob  in  Downing  Street  ein 
Klosett  is!  Oder  ob  sie  seit  hundert  Jahren 
gezwungen  waren,  entweder  auf  den  Luxus  zu 
verzichten  oder  eine  öffentliche  Bedürfnisanstalt 
aufzusuchen.  Gott  strafe  England. 

Der  Abonnent:  Ma  werd  doch  da  sehn.  (Ab.) 
(Verwandlung.) 

38.  Szene 

In  einem  Coupe. 

Ein  Geschäftsreisender:  Köstlich  ist  die 
neue  Operette  »Ich  hatt  einen  Kameraden«. 

Zweiter  Geschäftsreisender:  Kenne  ich. 
Vertrete  den  Honigfliegenfänger  »Hindenburg«. 
Marke:   »Einen  bessern  findst  du  nicht«.   Und  Sie? 

Der  erste:  Diana-Kriegs-Schokolade.  Auf- 
machung mit  den  Bildern  unsrer  Heerführer.  Ver- 
kosten Sie  mal  —  (Öffnet  den  Musterkoffer.)  Vordem  war 
ich    Verkaufskanone    bei    verschiedenen    Brancher:. 

Der  zweite:  Ich  bin  so  frei.  (Er  ißt.)  Außer- 
ordentlich wohlschmeckend.  Nährmittelpräparate  ver- 
trete ich  übrigens  auch.   Zum  Beispiel   Hygiama  — 

Der  erste:  Was,  Sie  vertreten  Hygiama? 
Allerlei  Hochachtung! 


378 


Der  zweite  (öffnet  den  Musterkoffer):  Verkosten 
Sie  mal  — 

Der  erste:  Ich  greife  zu.  Ach,  mit  'ner 
Gebrauchsanweisung.  (Er  ißt  und  liest): 

Verfolgst  du  kämpfend  den  Franzosen, 
So  gib  ihm  tüchtig  auf  die  Hosen, 
Begegnest  du  dem  Söldner-Britten, 
So  reguliere  ihn  mit  Tritten, 
Siehst  du  von  weitem  schon  den  Ruß, 
So  vorbereite  dich  zum  Schuß. 
(Zu  große  Nähe  mußt  du  meiden, 
Weil  Mitbewohner  ihn  begleiten). 

Gelungen! 

Doch  ist  zu  diesen  Heldentaten 

Vorherige  Kräftigung  anzuraten. 

Stockt  einmal  Zufuhr  von  Provifint, 

Bewahr  als  eisernen  Bestand 

Hier  diese  Schachtel  m.it  Tabletten, 

Die  dich  vor  dem  Verhungern  retten. 

Gebrauche  sie  nur  in  der  Not, 

Verzehre  sie  nicht  wie  das  Brot, 

Laß  langsam  sie  im  Mund  zerfließen, 

Du  stärkst  dich  und  kannst  dabei  schießen. 

Sie  stillen  Hunger  dir  und  Durst, 

Ersetzen  Fleisch  und  Brot  und  Wurst, 

Genieße  sparsam  Stück  für  Stück, 

Kehr  siegreich  und  gesund  zurück. 

Wir  wären  dir  zu  Dank  verpflichtet. 

Schriebst  du  uns,  was  du  ausgerichtet. 

Dr.  Theinhardts  Nährmittel-Gesellschaft 
Stuttgart-Cannstatt. 

Die  Verse  sind  nicht  weniger  bekömmlich  als  die 
Ware.  Famose  Aufmachung!  Wir  Deutsche  sind  nu 
mal  das  Volk  der  Dichter,  nee  da  könn'  se  nischt 
dawider. 


379 


Der  zweite:  Nich  wahr?  Ja,  das  solln  se 
uns  nachmachen  mit  ihrem  britischen  Krämergeist! 
Das  ist  made  in  Germany,  auch  wenns  just  nicht  drauf 
steht,  's  ist  alles  da,  in  zugkräftiger  Verbindung. 
Fürs  Vaterland  und  fürs  Geschäft,  und  wenn  es  mal 
uffs  Janze  jeht,  auch  die  Kunst  im  Dienst  des  Kauf- 
manns steht!  Sehn  Se,  da  mach  ich  fix  selbst  nen 
Reim  druff. 

Der  erste:  Sollten  die  köstlichen  Verse  von 
Ihnen  sein? 

Der  zweite:  Ach  nee,  meine  Firma  beschäftigt 
nur  erstklassige  Dichter.  Augenblicklich  bin  ich  nicht 
mal  in  der  Lage,  Ihnen  Bescheid  zu  geben. 

Der  erste:  Darf  man  auf  Presber  raten  oder 
etwa  auf  Bewer? 

Der  zweite:  Ich  kann's  wahrhaftich  nich 
sagen.  Jedenfalls  freut  es  unsre  Feldgrauen.  Wenn 
der  Deutsche  Ernst  macht,  dann  darf  auch  der 
Humor  in  seine  Rechte  treten.  Schießt  sich  leichter 
und  erhält  gesund.  Ist  von  Ihrer  Firma  schon  einer 
gefallen? 

Der  erste:  Gewiß,  unser  jüngerer  Scheff  hat 
den  Heldentod  fürs  Vaterland  erlitten.  Da  haben  Sie 
die  Anzeige. 

Der  zweite  (liest):  » — Sein  weiter  kaufmännischer 
Blick  ließ  ihn  früh  die  großen  Kampfesziele  erkennen 
und  freudig  zog  er  hinaus  pro  gloria  et  patria.  Nun 
hat  ihm  die  Norn  die  Wege  verlegt,  die  treue  Liebe 
in  rastloser  Arbeit  für  ihn  geebnete.  Donnerwetter! 
Aufmachung  imposant! 

(Verwandlung.) 

39.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Worüber  denken  Sie  nach? 
Übe.  ein  Sprachproblem? 


380 


Der  Nörgler:  Jawohl.  Ich  habe  heute  gelesen, 
daß  die  Deutschen  die  feindlichen  Vorstellungen 
genommen  haben.  Da  fiel  mir  eben  ein,  daß  sie 
auch  die  eigenen  genommen  haben  und  vollständig 
unbrauchbar   gemacht.     Es  sind   noch  Trichter   da. 

Der  Optimist:  Wie  meinen  Sie  das?  Sachlich 
oder  wörtlich? 

Der  Nörgler:  So  und  so,  also  wörtlich.  Ich 
glaube,  Schopenhauer  hätte  über  die  Welt  als  Wille 
zur  Macht   und  deutsche  Vorstellung  nachgedacht. 

Der  Optimist:  Na  aber  Nietzsche? 

Der  Nörgler:  Hätte  den  Willen  zur  Macht 
mit  Bedauern  als  falsche  Vorstellung  zurückgezogen. 

(Verwandlung.) 


40.  Szene 

Das  deutsche  Bad  Groß-Salze.  Vorn  ein  Kinderspielplatz.  Ausblick 
in  eine  Allee,  vor  deren  Eingang  rechSs  eine  Tafel:  »Macht 
Soldaten  frei!«,  links  eine  Tafel:  »Für  Verwundete  kein  Zutritt.< 

Links  die  Villa  Wahnschaffe,  ein  mit  Zacken,  Zinnen  und 
Türmchen  verziertes  Gebäude,  von  dessen  Giebel  eine  schwarz- 
rotgoldene und  eine  schwarzweißrote  Fahne  flattern.  Unterhalb 
des  Giebels  in  einer  Nische  die  Büste  Wilhelms  II.  Über  dem 
Eingang  eine  Inschrift  mit  den  Worten:  »Mit  Herz  und  Hand 
für  Gott,  Kaiser  und  Vaterland!«  Ein  karges  Vorgärtchen,  in 
welchem  Figuren  von  Rehen  und  Gnomen  aufgestellt  sind, 
mitten  unter  ihnen  eine  alte  Ritterrüstung.  Vor  dem  Eingang, 
rechts  und  links  zwei  Modelle  von  Mörsergeschossen,  das 
eine  mit  der  Inschrift:  »Immer  feste  druff!«,  das  andere  mit: 
»Durchhalten!*.  Die  Spitzbogenfenster  an  der  Front  haben 
Butzenscheiben. 

Kommerzienrat  Ottomar  Wilhelm  Wahnschaffe  tritt  aus  der  Villa 

und  singt  das  folgende  Couplet,  dessen  musikalisches  Nachspiel 

zu  jeder  Strophe  von  einem  unsichtbaren  Chor  mitgesungen  wird, 

der  das  Gelächter  des  Auslands  vorstellt. 


381 


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Nachspiel 


ufemuriJ  l^i 


Ob  unter  See,  ob  in  der  Luft, 

wen  Kampf  nicht  freut,  der  ist  ein  Schuft. 

Doch  weil  das  Schuften  ich  gewohnt, 

so  schuft'  ich  nicht  bloß  an  der  Front, 

ich  kämpf  auch  schneidig  und  gewandt 

und  halte  durch  im  Hinterland, 

ich  schufte  früh,  ich  schufte  spat, 

die  Schufte  das  erbittert  hat. 

Nur  feste  druff!   Ich  bin  ein  Deutscher! 

Im  Frieden  schon  war  ich  ein  Knecht, 

drum  bin  ich  es  im  Krieg  erst  recht. 

Hab  stets  geschuftet,  stets  geschafft, 

vom  Krieg  alleine  krieg'  ich  Kraft. 

Weil  ich  schon  vor  dem  Krieg  gefrohnt, 

hat  sich  die  Front  mir  auch  gelohnt. 

Leicht  lebt  es  sich  als  Arbeitsvieh 

im  Dienst  der  schweren  Industrie. 

Heil  Krupp  und  Krieg!   Ich  bin  ein  Deutscher! 


382 


Ich  scheue  keine  Müh'  und  Plag', 
zu  wenig  Stunden  hat  der  Tag. 
Daß  fester  steh  am  Rhein  die  Wacht, 
hab'  ich  die  Nacht  zum  Tag  gemacht. 
Weil  vor  dem  Krieg  ich  nicht  geruht, 
drum  gibt  es  Krieg  und  uns  gehts  gut. 
Wir  schlagen  uns  mit  Vehemenz 
und  schlagen  kühn  die  Konkurrenz. 
In  Not  und  Tod:  Ich  bin  ein  Deutscher! 

Ich  geb'  mein  deutsches  Ehrenwort: 
wir  Deutsche  brauchen  mehr  Export. 
Um  an  der  Sonne  'nen  Platz  zu  haben, 
gehn  wir  auch  in  den  Schützengraben. 
Zu  bessrer  Zukunft  Expansionen 
hilft  uns  so  unbequemes  Wohnen. 
Einst  fragt'  ich  nicht  nach  Gut  und  Geld, 
der  neue  Deutsche  ist  ein  Held. 
Der  neue  Deutsche  ist  ein  Deutscher! 

Krieg  dient  uns,  damit  Waffen  sind, 
wir  drehn  den  Spieß,  wer  wagt  gewinnt. 
Das  Lebensmittel  ist  uns  Zweck, 
drum  nehmen  wir  vorlieb  mit  Dreck. 
Wir  mischen  Handel  mit  Gebet, 
die  Kunst  im  Dienst  des  Kaufmanns  steht. 
Es  war  einmal,  doch  jetzt  ist's  aus, 
Walhalla  ist  ein  Warenhaus. 
Für  Ideale  lebt  der  Deutsche! 

In  solchem  Leipziger  Allerlei 

lebt  es  sich  fromm,  jedoch  nicht  frei. 

Fehlt  es  dann  aber  auf  dem  Tisch, 

lebt  es  sich  fröhlich,  doch  nicht  frisch. 

Lebt  von  der  Hand  sichs  nur  zum  Mund, 

so  ist  das  Leben  ungesund. 

Denn  mehr  noch  von  dem  Mund  zur  Hand 

hält  durch  des  Deutschen  Vaterland. 

Von  Idealen  lebt  der  Deutsche! 


383 


Für  dies  Prinzip,  und  es  ist  gut, 
sciiwimml  heute  der  Planet  in  Blut. 
Für  Fertigware  und  Valuten 
muß  heut'  die  ganze  Menschheit  bluten. 
Nehmt  Gift  für  Brot,  gebt  Gold  für  Eisen 
und  laßt  den  deutschen  Gott  uns  preisen! 
Gebt  Blut  —  habt  ihr  das  nicht  gewußt?   — 
für  Mark:  das  ist  kein  Kursverlust! 
Darum  erhofft  Profit  der  Deutsche! 

Steht  unsre  Sache  mal  so  so, 

gibt  Wahrheit  uns  das  Wolffbüro. 

Doch  geht  die  andre  Wahrheit  aus, 

verköstigen  wir  uns  doch  im  Haus. 

Fehlt  selbst  das  Fremdwort  Surrogat, 

wir  Deutsche  wissen  dennoch  Rat. 

Wir  setzen  prompt  an  seinen  Platz 

das  gute  deutsche  Wort  Ersatz. 

Auf  deutsch  gesagt:  Ich  bin  ein  Deutscher! 

Der  Hungerplan  wird  ausgelacht, 

den  Willen  haben  wir  zur  Macht. 

Im  U-Boot  sitzend  lachen  wir 

und  sagen  einfach:  Machen  wir; 

um  Zeit  zu  sparen,  auch:  m.  w. 

Die  Schiffahrt  lernt  man  auf  der  Spree. 

Was  nützt  den  Feinden  alle  List, 

die  Mahlzeit  machen  wir  aus  Mist. 

Nicht  unterkriegt  der  Krieg  den  Deutschen! 

Und  wenn  die  Welt  voll  Teufel  war', 

die  Fibel  sagt:  Viel  Feind,  viel  Ehr. 

Drum:  Deutschland  über  alles  setzt 

sich  kühn  hinweg  zuguterletzt. 

Weil  bei  uns  alles  schneidig  ist, 

die  ganze  Welt  uns  neidig  ist. 

Gott  weiß  allein,  wir  sind  so  brav, 

wir  wünschen,  daß  er  England  straf. 

Beim  deutschen  Gott,   ich  bin  ein  Deutscher! 


384 


Wir  preisen  Gott  auf  unsre  Weise 

wie  vor  dem  Krieg  zum  alten  Preise. 

Zur  Ehre  Gottes,  des  gerechten, 

woll'n  wir  auch  gern  im  Schatten  fechten. 

Gäb's  alleweil  nur  Sonnenschein, 

man  könnt'  des  Lebens  sich  nicht  freun. 

Das  wahre  Glück  bringt  Schießen  nur, 

drum  gaudeamus  igitur. 

Ein  muntrer  Bursche  bleibt  der  Deutsche! 

Das  eine  aber  weiß  ich  nur, 

wir  Deutsche  haben  mehr  Kultur. 

Kultur,  bei  allen  andern  Gaben, 

ist  mit  das  Beste,  was  wir  haben. 

Wir  schwärmen  für  die  Schlachtenlenker, 

doch  sind  wir  auch  das  Volk  der  Denker. 

Gern  woU'n  für  Schillern  und  selbst  Goethen 

wir  ein  »Denn  er  war  unser«  beten. 

Mit  Bildung  schmückt  sein  Heim  der  Deutsche! 

Deutsch  ist  das  Herz,  deutsch  der  Verstand, 
mit  Gott  für  Krupp  und  Vaterland! 
Die  Grenzen  sichert  Hindenburch, 
im  Innern  halt  ich  selber  durch. 
Wir  Deutsche  haben  zu  viel  Glück; 
gehn  wir  bescheiden  drum  zurück, 
nimmt  man,  des  Sieges  sich  zu  freun, 
die  eigne  Siegfriedstellung  ein. 
Hurra!  sagt  in  dem  Fall  der  Deutsche! 

Wir  sagen  stolz:  Viel  Feind,  viel  Ehr'l 

Belegte  Brötchen  gibts  nicht  mehr. 

Und  mangels  derer  unentwegt 

die  Welt  mit  Bomben  wird  belegt. 

Uns  hilft  die  deutsche  Wissenschaft 

nebst  Gott,  der  eben  England  straft 

und  der  den  Menschen  nur  erschuf, 

zu  dreschen  immer  feste  druff. 

Denn  Gottes  Ebenbild  ist  nur  der  Deutsche! 


385 


Noch  lieber  laßt  uns  als  den  Feind 
die  Phrase  dreschen,  die  uns  eint. 
Am  Ende  wird  die  Wahrheit  stehn: 
Der  Kampf  wird  bis  zum  Ende  gehn! 
Wir  sorgen,  daß  uns  nicht  entgeh' 
das  erzne  Becken  von  Briey. 
Der  Friede  uns  nicht  intressiert, 
eh  wir  die  Welt  nicht  annektiert. 
Die  wenigstens  gehört  dem  Deutschen! 

Es  geht  uns  doch  nur  um  die  Ehr'. 

Nein,  Belgien  geben  wir  nicht  her! 

Wir  halten  rein  das  Ehrenkleid; 

in  Ehre  wissen  wir  Bescheid. 

Der  Endsieg  unser  Recht  beweist: 

die  Welt  wird  von  uns  eingekreist! 

So  muß  und  wird  es  uns  gelingen, 

die  Pofelware  anzubringen. 

Ja,  made  in  Germany  ist  doch  der  Deutsche! 

Nur  weil  man  etwas  Sonne  braucht, 

haben  wir  die  Welt  in  Nacht  getaucht. 

Mit  Gift  und  Gasen,  Dunst  und  Dämpfen 

woll'n  bis  zum  jüngsten  Tag  wir  kämpfen. 

Denn  bis  wir  Gottes  Donner  hören, 

muß  unsrer  uns  Ersatz  gewähren. 

Drum  überall  und  auf  jeden  Fall 

braust  unser  Ruf  wie  Donnerhall. 

Ist  das  nicht  praktisch  von  dem  Deutschen? 

Schon  brennt  die  Erde  lichterloh 
dank  unserm  Fenriswolff-Büro. 
Solang  es  andere  Völker  gibt, 
ist  leider  unsres  nicht  beliebt. 
Wo  man  nichts  auf  die  Waffe  setzt, 
wird  unsre  Leistung  unterschätzt. 
Die  Welt  will  weniger  Krawall, 
und  unsrer  braust  wie  Donnerhall. 
So  hört  man  überall  den  Deutschen! 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  25 


386 


Nach'm  Krieg  wird  noch  mehr  Arbeet  sein 

und  noch  mehr  Krieg  und  noch  mehr  Pein. 

Wie  freue  ich  mich  heut'  schon  drauf, 

die  Liebe  höret  nimmer  auf. 

Ach,  wenn  nur  schon  der  Friede  war', 

damit  ich  seiner  müde  war' ! 

Es  gilt  die  Technik  auszubaun. 

Zum  U-Boot  haben  wir  Vertraun. 

Den  Fortschritt  liebt  nun  'mal  der  Deutsche! 

Wir  woll'n  die  Wehrpflicht  dann  verschärfen, 

die  Kleinen  lehren  Flammen  werfen. 

Wir  woll'n  indes  auch  für  die  Alten 

die  Kriegsdienstleistung  beibehalten. 

Was  wir  gelernt,  nicht  zu  verlernen, 

laßt  uns  vermehren  die  Kasernen. 

Die  Welt  vom  Frieden  zu  befrein, 

steht  fest  und  treu  die  Wacht  am  Rhein 

Aus  der  Geschichte  lernt  der  Deutsche! 

Und  wenn  die  Welt  voll  Teufel   war', 

und  wenn  sie  endlich  menschenleer, 

wenn's  endlich  mal  verrichtet  ist 

und  jeder  Feind  vernichtet  ist, 

und  wenn  die  Zukunft  ungetrübt, 

weil  es  dann  nur  noch  Preußen  gibt  — 

nee,  darauf  fall'n  wir  nicht  herein! 

Fest  steht  und  treu  die  Wacht  am  Rhein! 

Und  weiter  kriegt  und  siegt  der  Deutsche!  cAb.) 

Nachdem    er    abgegangen    ist,    erscheint    seine    Gattin,    Frau 

Kommerzienrat    Auguste  Wahnschaffe   mit   ihren    Kindern,   die 

sich  sogleich    auf   dem  Spielplatz  verlieren,   um  sich  mit  einem 

Kriegsspiel  zu  beschäftigen. 

Frau  Kommerzienrat  Wahnschaffe:  Ich 
habe  nur  zwei  Kinder,  die  leider  noch  nicht  miütär- 
tauglich  sind,  umsoweniger  als  das  eine  zu  unserem 
Leidwesen  ein  Mädchen  ist.  So  muß  ich  mir  mit 
'nein  Ersatz  behelfen.  indem  ich  mich  der  Vorstellung: 


387 


hingebe,  daß  mein  Junge  schon  an  der  Front  war,  aber 
selbstverständHch  bereits  den  Heldentod  gefunden  hat, 
ich  müßte  mich  ja  in  Grund  und  Boden  schämen, 
wenn's  anders  der  Fall,  wenn  er  mir  etwa  unver- 
wundet heimgekehrt  wäre.  Keinesfalls  dürfte  er  mir  in 
der  Etappe  sein,  wiewohl  sich  ja  auch  dorthin  eine  Kugel 
leicht  verirrt.  Diese  Vorstellung,  die  mit  der  beste  Trost 
ist,  den  ich  habe,  und  die  ich  gegen  jeden  Zweifel 
behaupte,  indem  ich  den  Zweifel  mühelos  abweise, 
diese  Vorstellung  befestige  ich  in  der  Zeit,  die 
Ottomarchen  zu  schaffen  hat.  Ich  bin  also  eigentlich 
immer  beschäftigt,  bis  auf  die  halbe  Stunde,  die  sich 
Manne,  der  soeben  schaffen  gegangen  ist,  zum 
Essen  Zeit  nimmt.  Was  nun  dieses  Essen  anlangt,  so 
behelfe  ich  mir  als  tüchtige  Hausfrau  auch  hier  mit 
Vorstellungen.  Heut  waren  wir  in  diesem  Punkte 
gut  versorgt.  Es  gab  allerlei.  Wir  hatten  da  eine 
bekömmliche  Brühe  aus  Hindenburg-Kakao-Sahne- 
Suppenwürfel  »Exzelsior«,  einen  schmackhaften 
Falschen  Hasen-Ersatz  mit  Wrucken-Ersatz,  Kartoffel- 
puffer aus  Paraffin  und  'nen  Musbrei  nach  Haus- 
mannsart, versteht  sich  alles  auf  der  Bratpfanne 
»Obu«  bereitet,  und  zum  Schlüsse  Schillerlockenersatz, 
der  uns  trefflich  gemundet  hat.  Eine  deutsche  Hausfrau 
weiß,  was  sie  ihrem  Gatten  in  dieser  ernsten,  aber  großen 
Zeit  schuldig  ist.  Zwar  Manne  machte  Männchen, 
weil  er  seine  leckern  Hausmacher-Eiernudeln  nicht 
bekam.  Is  nich;  so  mußte  er  sich  dreinfinden.  Was 
uns  anfangs  sehr  abging,  war  Margarineersatz,  aber 
da  wir  Obu  haben,  so  fehlt  es  uns  jetzt  an  nichts 
mehr.  In  der  Hausfrauenvereinigung  haben  wir 
neulich  einstimmig  beschlossen,  daß  die  Mineral- 
nährhefe, deren  Eiweißgehalt  vorzugsweise  durch 
die  Verwendung  von  Harnstoff  gewonnen  wird,  in 
Bezug  auf  Nährwert  der  Brauereihefe  gleichkommt 
und  darum  nicht  mehr  ausschließlich  an  die  Volksküchen 
verteilt  werden  dürfe.  Es  ist  heute  Mode,  den  breiten 
Schichten  der  Bevölkerung  entgegenzukommen.  Diese 


25* 


388 


einseitige  Bevorzugung  muß  ein  Ende  iiaben.  Die 
bürgerliclien  Kreise  wollen  auch  leben.  Die  Mies- 
macher, die  selbst  hier  was  dawider  haben,  wenden 
ein,  dafl  das  Ding  einen  Heringsgeruch  und  einen 
Petroleumgeschmack  habe  und  dadurch  imstande  sei, 
Ekel  zu  erregen.  Wir  deutschen  Hausfrauen  wissen 
aber  Bescheid  und  wir  hoffen,  daß  sich  diese  Eigen- 
tümlichkeiten beim  Kochen  vollständig  verlieren 
werden,  ja  wir  sind  überzeugt,  daß  die  Mineral- 
nährhefe den  Speisen  einen  feinen  Wohlgeschmack 
verleiht.  Ist  das  Mittachbrot  vorbei,  so  kommt 
wieder  die  Sorge  um's  Amdbrot.  Zum  Amdbrot  gibts 
heut  wie  immer  Eintopfgericht,  zur  Abwechslung 
aber  Leberwurst  aus  Stärkekleister  und  rotgefärbtem 
Gemüse  und  als  Käseersatz  Berliner  Quark  mit 
Paprikaersatz,  auch  erproben  wirheutedas  vielgerühmte 
Alldarin  mit  Eiersatz  Dottofix  aus  Schlemmkreide 
mit  Backpulver  und  etwas  Salatfix,  ein  köstlicher 
Zusatz,  den  ich  dem  Salatin  wie  dem  Salatol  beiweitem 
vorziehe.  Denn  für  den  deutschen  Familientisch  ist 
das  Beste  gerade  gut  genug  und  es  ist  alles  da,  nich 
so  wie  bei  arme  Leute.  Zur  Vesper  versuchten  wir 
gestern  Deutschers  Teefix  mit  Rumaroma  und  waren 
recht  angenehm  überrascht.  Zwar  die  Kinderchen 
machten  Radau,  weil  sie  ihre  Rumgranaten  Marke 
»Unsern  Kriegern  stets  das  Beste«  nicht  hatten. 
Manne  bekam  sein  Eichelwasser,  das  beinahe  so 
schmackhaft  ist  wieTutti-Gusti-Kaffe  Marke  Schützen- 
graben, der  ja  nun  alle  ist.  Leider  aber  mußten 
wir  uns  ohne  Süßstoffwasserersatz  behelfen,  so  daß  die 
Spritze  leer  neben  jestanden  hat.  Ich  wollte,  einer 
raschen  Eingebung  folgend,  sie  mit  Wasserstoffersatz 
füllen,  um  Manne  die  Vorstellung  zu  erhalten;  es  hieße 
aber  den  Gatten  betrügen  und  wenn  mal  ein  Schritt 
vom  Wege  getan  ist,  so  folgt  bald  der  zweite  nach. 
So  tat  Jch's  denn  nicht.  Die  schönen  Zeiten  sind  nu 
mal  vorbei,  wo  man's  noch  bequem  hatte  und  einfach 
zu  spritzen  brauchte,  um  den  Kriegskaffee-Ersatz  zu 


389 


versüßen.  Da  man  aber  sonst  überhaupt  nicht  wüßte, 
daß  es  jetzt  durchzuhalten  gilt,  so  nehmen  wir 
solch  kleine  Entbehrungen  gern  in  Kauf.  Umso 
lieber,  als  man  ja  anderes  jetzt  gar  nicht  in  Kauf 
nehmen  kann,  so  daß  wir  das  viele  Geld,  das  Manne 
verdient,  glatt  zurücklegen  können.  Der  faule  Friede 
kommt  früh  genug,  wo  man's  wieder  für  Tand  aus- 
gibt. Hoffentlich  aber  wird  der  Krieg  noch  lange 
genug  dauern,  daß  auch  darin  ein  Wandel  zum 
Bessern  eintritt.  In  der  letzten  Tagung  der  Vater- 
landspariei  hat  Manne  beantracht,  daß  der  Krieg,  den 
britischer  Neid,  französischer  Revangschedurst  und 
russische  Raubgier  uns  aufjezwungen  haben,  auch 
nach  Friedensschluß  fortgesetzt  werden  soll,  und 
mit  diesem  Antrach  'ne  erdrückende  Mehrheit  erzielt. 
Nun  heißt  es  durchhalten  und  je  länger  je  lieber.  Wir 
schaffen  es.  Kein  Tag,  der  nicht  'ne  Nachricht  brächte, 
die  das  Herz  lauter  schlagen  ließe.  Wie  sagt  doch 
Emmi  Lewald?  »Dreitausend  tote  Engländer  vor  der 
Front!  Keine  Symphonie  klänge  mir  jetzt  schöner! 
Wie  das  angenehm  durch  die  Nerven  rinnt,  fröhlich, 
hoffnungerweckend.  Dreitausend  tote  Engländer  vor 
der  Front!  —  bis  in  die  Träume  klingt  es  nach  und 
surrt  wie  eine  schmeichelnde  Melodie  ums  Haupt.« 
Bei  Velhagen  &  Klasing  ruft  sie  es  aus.  Ich  fühle 
auch  so.  Lliid  wie  liebe  ich  die  wundervolle 
Anny  Wothe,  die  ihre  prächtige  Soldatenfrau  dem 
Manne  die  Geburt  eines  gesunden  Jungen  mitteilen 
läßt:  »Jott  sei  Dank  wieder  een  Soldat!  Der  Junge 
soll  Willem  heißen,  er  soll  einmal  so  fest  werden 
wie  unser  Kaiser  und  druffschlagen,  dat  de  Stücken 
man  so  fliegen.  Die  andern  Jungen  aber,  sie  beten 
alle  Dage,  du  solltest  recht  ville  Franzosen  dot- 
schlagen.  Ik  bete  ooch,  aber  nicht  um  dein  Leben. 
Det  steht  bei  Gott.  Ik  beet,  det  du  ordentlich  deine 
Pflicht  tust,  det  du  nicht  zuckst,  wenn  die  Kugel 
kommt,  un  det  du  ruhig  stirbst,  wenn  et  sein  muß, 
vor  unser  Vaterland,    un  unsern  Kaiser,  un  nich  an 


390 


uns  denkst.  Und  wenn  du  vor  deinen  Hauptmann 
sterben  kannst,  so  denke  ooch  nicht  an  uns.  Die 
fünfe  grüßen  dir  mit  mir.  Bei  der  Taufe  von  Willem 
wollen  sie  Heil  dir  im  Siegerkranz  singen,  womit 
ik  verbleibe  deine  treue  Jattin!«  —  Ach  weiß  Jott,  der 
einzige  Grund,  warum  ich  meinem  Jatten  nicht  auch 
so  schreiben  kann,  ist,  daß  er  leider  nicht  im  Felde 
ist,  weil  er  zum  Glück  unabkömmlich  ist,  und  ferner, 
daß  ich  nur  einen  Sohn  habe,  denn  das  jüngste  ist 
wie  gesagt  leider  'n  Mädchen.  Für  das  Opfer,  fürs 
Vaterland  kein  Opfer  bringen  zu  können,  müssen 
einen  die  geschäftlichen  Erfolge  entschädigen.  Wahn- 
schaffe hat  soeben  eine  wirklich  interessante  Kriegs- 
neuheit geschaffen,  die  schon  in  Deutschland  und 
in  dem  mit  uns  Schulter  an  Schulter  kämpfenden 
Östreich-Ungarn  patentamtlich  geschützt  ist  und 
deren  Vertrieb  an  tüchtige  Herren  gegen  hohe  Provision 
vergeben  wird.  Es  ist  »Heldengrab  im  Hause«,  zugleich 
Reliquienkästchen  und  Photographieständer  und  bietet 
somit  nicht  nur'n  artiges  Schmückedeinheim,  sondern 
auchreligiöseErhebung.  Es  berührt  mich  wehmütig,  (laß 
wir  selbst  leider  füifo  zeitgemäßen  Totenkult  im  Zimmer 
keine  Verwendung  haben.  Meine  Kinder,  nicht 
alt  genug,  um  schon  für  den  Kaiser  sterben  oder 
sich  sonst  für  das  Vaterl^ind  opfern  zu  können, 
iiaben  aber  leider  auch  den  Nachteil,  daß  sie  nicht 
erst  nach  Kriegsausbruch  zur  Welt  gekommen  sind. 
Sonst  sollte  mir  der  Junge  Warschau  heißen  und  das 
Mädchen  Wilna  oder  er  Hindenburg  und  sie  Zeppeline! 
Denn  daß  der  Junge  Willem  heißt,  hat  sich  auch 
vor  dem  Krieg  von  selbst  verstanden,  ich  sehe  darin 
keine  besondere  patriotische  Huldigung.  Ach,  da 
kommen  sie  ja  gelaufen,  die  niedlichen  Jöhren! 
"Was  is'n  los?  Spielt  ihr  denn  nich  Weltkrieg? 

Willichen  (veeinend):  Muttelchen,  Mariechen  will 
nich  dot  sein! 

Mariechen:  Wir  haben  Einkreisung  jespielt, 
denn  Weltkrieg,  und  nu  — 


391 


Willichen  (weinend):  Ich  wollte  doch  nur 'nen 
Platz  an  der  Sonne,  da  — 

Mariechen:  Er  lügt! 

Willichen:  Ich  hab  ihren  Punkt  erfolgreich 
mit  Bomben  belegt   und   nu   will   se  nich  dot  sein! 

Mariechen  (weinend):  Nee,  is  nich,  is  ne 
feindliche  Lüge,  echt  Reuter!  Zuerst  hat  er  meine 
Vorstellung  genommen  und  nu  kommt  er  von  der 
Flanke!  Ich  habe  den  Angriff  mühelos  abjewiesen 
und  nu  sagt  er  — 

Willichen:  Mariechen  lügt!  Ihr  Gegenangriff 
ist  in  unserem  Feuer  zusammengebrochen.  Jetzt  sind 
übahaupt  die  letzten  Engländernester  gesäubert. 
Fünf  der  Unsrigen  sind  nicht  zurückgekeiirt. 

Mariechen:  Bei  Smorgon  erhöhte  Gefechts- 
tätigkeit. 

Willichen:   Wir  haben  Gefangene  gemacht. 

Mariechen:  Wir  haben  eine  gewisse  Anzahl 
Gefangener  eingebracht.  Die  in  unserem  Feuer 
gebrochenen  Angriffswogen  mußten,  viele  Leichen 
auf  unserem  Gelände  zurücklassend,  in  Unordnung 
zurückfluten. 

V/il liehen:  Das  ist  die  schonungslose  Methode 
der  Russen,  die  bei  ihren  Offensiven  die  Massen 
vorwärtstreiben.  Die  Stellungen  blieben  in  unseren 
Händen.  Wir  haben  Volltreffer  erzielt. 

Marieclien:  Ich  bin  zur  Offensive  übergegangen. 

Willichen:  Ich  bereite  mich  auf  einen  dritten 
Winterfeldzug  vor. 

Mariechen:  's  ist  ja  gottvoll!  Fatzke! 

Willichen:  Na  wart,  ik  kämpfe  bis  zum 
Weißbluten! 

Mariechen:  Du  farbiger  Engländer  und 
Franzose  du ! 

Willichen:  Es  gelang  dem  Russen,  in  unseren 
Gräben  erster  Linie  Fuß  zu  fassen,  aber  ein  von  uns 
bei  Tagesanbruch  ausgeführter  Gegenangriff  — 

Mariechen:  —  warf  ihn  wieder  hinaus. 


392 


Wil liehen:  Mehrere  Gegenangriffe,  die  der 
Feind  im  Laufe  des  Nachmittags  versuchte  — 

Mariechen:  —  wurden  durch  einen  kühnen 
Handstreich  vereitelt.  (Sie  schlägt  ihn.) 

Willichen:  Sie  lügt!  Das  sind  übrigens  die 
typischen  Anfangserfolge  jeder  Offensive.  (Er  schlägt  sie.) 

Mariechen:  Man  hüte  sich,  die  optimistischen 
Voraussichten  über  die  Offensive  zu  übertreiben. 

Willichen:  Beim  letzten  Luftangriff  auf  die 
Festung  London  — 

Mariechen:  —  habe  ich  sogleich  Repressalien 
geübt!  Karlsruhe  — 

Willichen:  Ja,  drei  Zivilisten  sind  tot,  darunter 
ein  Kind.  Der  militärische  Schade  ist  unbedeutend. 
Es  ist  immer  dasselbe. 

Mariechen:  Na  und  du?  Zwei  Zivilisten  und 
eine  Frau!  Der  militärische  Schade  ist  unbedeutend. 
Es  ist  immer  dasselbe. 

Willichen:  Sie  hat  die  Flagge  des  Roten 
Kreuzes  nicht  respektiert!  Es  ist  immer  dasselbe. 

Mariechen:  Er  auch  nicht!  Es  ist  immer  dasselbe. 

Willichen:  Wer  hat  angefangen? 

Mariechen:  Ich  auch  nicht! 

Frau  Kommerzienrat  Wahnschaffe  (die  bis 
jetzt  leuchtenden  Auges  zugehört  hat):  Mariechen,  sei  du 
man  ganz  stille,  Vater  sagte,  ihr  dürftet  V/eltkrieg 
spielen,  aber  die  Grenzen  der  Humanität  müßtet  ihr 
einhalten.  Willichen  kann  keiner  Fliege  'n  Haar 
krümmen,  er  schützt  seinen  Besitzstand  so  gut  er 
kann.  Er  führt  einen  heiligen  Verteidigungskrieg. 

Willichen  (weinend):  Ich  habe  es  nicht  gewollt. 

Mariechen:  Wer  denn? 

W  i  1 1  i  c  h  e  n  :  Immer  feste  druff !  (Er  schlägt  sie.) 
Icli  habe  einen  Volltreffer  erzielt. 

Mariechen  (schlägt  ihn):  Komm  nur  in  meine 
Riegelstellung ! 

Frau  Kommerzienrat  Wahnschaffe:  Laß 
doch  Puppe! 


393 


Willichen:  Wart  man,  ik  hol  meinen  Flammen- 
werfer ! 

Frau  Kom  m  erzien  r  at  Wahnschaffe: 
Kinderchen  spielt,  aber  haltet  die  Grenzen  ein!  Wenn 
Willichen  weiter  so  brav  ist,  bringt  ihm  Papelchen 
das  Eiserne  Kreuz  aus  dem  Kontor  mit. 

Willichen:  Hurra!  Da  haste  mein  belgisches 
Faustpfand!  (Er  stürmt  sich  auf  Mariechen  und  verprügelt  sie, 
Marieclien  weint.) 

Frau  Kom  m  e  r  zienr  at  Wahnschaffe: 
Willichen,  immer  human!  Vergiß  deine  gute  Erziehung 
nicht!   (Sie  geht  mit  einem  Taschentuch    auf   Mariechen   zu.) 

Nu,  Kinder,  nu  geht  in  die  Stellung  zurück, 

Doch  zuvor  putz  ich  dir  noch  die  Nase. 

Mariechen  (weinend): 

Der  Bengel  beschießt  meine  Zuckerfabrik 

Und    verwendet   giftige    Gase  I 
(Sie  erhebt  sich  und  schlägt  Willichen  in  die  Flucht.) 

Willichen:  Der  Rückzug  ist  nur  strategisch. 
(Im  Laufen)  In  Erwartung  dieses  Angriffes  war  die 
Räumung  des  der  beiderseitigen  Umfassung  aus- 
gesetzten Bügens  seit  Jahren  ins  Auge  gefaßt  und 
seit  Tagen  eingeleitet  worden.  Wir  kämpften  den 
Kampf  daher  nicht  bis  zur  Entscheidung  durch  und 
führten  die  beabsichtigten  Bewegungen  aus.  Der 
Feind  konnte  sie  nicht  hindern.  (Aus  der  Entfernung) 
Hurra,  ich  nehme  die  Siegfriedstellung  ein! 
(Zwei  Invaliden  humpeln  vorbei,    in    die    Richtung  zur  Allee.) 

Frau  Kommerzienrat  V/ ahnschaffe: 
Nun  muß  ich  aoer  zum  Rechten  sehn.  Wir  scheuem 
heute  mit  dem  Seifenersatzpräparat  »Kriegskind«. 
(Sie  erblickt  die  Invaliden.)  Schon  wieder!  Das  ist  denn 
doch  zu  lästich!  Wenn  die  jetzt  die  Tafel  nicht  wahr- 
nehmen, mache  ich  die  Anzeige  beim  Ortsvorsteher. 
(Die  beiden  bleiben  vor  der  Tafel  stehen  und  kehren  um.) 

Der  eine:  Also  wohin? 

Der  andere:  Zurück  ins  Feld.  Dahin  lassen 
sie  einen.  (Sie  humpeln  ab.) 


394 


(Eine  Bonne  kommt  mit  einem    dreijährigen    Knaben,    der   in 
der  Nase  bohrt.) 

Die  Bonne:  Fritze,  sciiämst  du  dich  nicht? 
Na  wart,  das  sag  ich  Hindenburch! 

(Fritze  zieht  erschrocken  den  Finger  zurück.) 

(Manschen  begegnet  Trudehen.) 

Hänschen:  Gott  strafe  England! 
Trudehen   (ihn  fest  anschauend  :  Er  Strafe  es! 

(Sie  gehen  Schulter  an  Schulter  ab,    indem    sie   Lissauers   Haß- 
gesang anstimmen.) 

(Hans  Adalbert,  3  Jahre,  begegnet  Annemariechen,  2'/2  Jahre.) 

HansAdalbert:  Ich  höre,  du  hast  Kriegs- 
anleihe gezeichnet. 

Annemariechen:  Gewiß,  ich  hielt  mich  für 
verpflichtet.  Den  Gesprächen  der  Erwachsenen  entnahm 
ich  die  ganze  Größe  der  Bedeutung  der  Kriegsanleihe, 
und  nun  bestand  ich  darauf  (sie  stampft  und  gestikuliert 
heftig)  Kriegsanleihezeichnung  nicht  etwa  nur  zu 
spielen,  sondern  mit  ihr  auch  Ernst  zu  machen.  Auf 
meinen  dringenden  Wunsch  entnahmen  die  Eltern 
meiner  Sparbüchse  den  ganzen  Inhalt,  657  M,  und  — 

Hans  Adalbert:  Mit  oder  ohne  Lombardierung? 

Annemariechen:  Natürlich  mit! 

Hans  Adalbert:  Donnerwetter! 

Annemariechen:  Es  soll  dir  und  jedermann 
ein  Beispiel  sein. 

Hans  Adalbert:  Ein  Hundsfott,  wer  anders 
denkt!  (Ab.) 

(August  und  Guste  treten  auf.) 

Guste:  In  zwei  Monaten  ist  England  auf  die 
Knie  gezwungen. 

August:  Glaubst  du?  Ich  bin  kein  Flaumacher, 
aber  was  sagst  du  zu  Amerika? 

Guste:  Na  die  Kunden  kenn'  wa  doch! 

August:  Unsre  Stimmung  ist  ernst,   aber  — 

Guste:  —  zuversichtlich!  (Ab.) 


395 


(Eine  Bonne  kommt  mit  einem   dreijährigen    Mädchen,   da?   in 
der  Nase  bohrt.) 

Die  Bonne:  Mieze  —  wart,  wenn  das  der 
jroße  Jeneralstab  sieht! 

(Mieze  zieht  erschrocl<en  den  Finger  zurück.) 

(Klaus  begegnet  Dolly.) 

Klaus:  Wir  waren  einjekreist,  das  eri<ennt 
doch  heute  schon  jedes  Kind. 

Dolly:BritischerNeid,französischerRevangsche- 
durst  und  russische  Raubgier  —  da  weiß  man  doch 
Bescheid.  Die  Frage  nach  der  Kriegsschuld  beantwortet 
sich  von  selbst.  Deutschland  wollte  'nen  Platz  an  der 
Sonne. 

Klaus:  Europa  war  ein  Pulverfaß. 

Dolly:  Der  belgische  Vertrag  war  ein  Fetzen 
Papier.  (Ab.) 

(Walter  begegnet  Marga.) 

Marga:  Mein  Vater  hat  den  Protest  der 
93  Intellektuellen  unterschrieben.  Er  sagte  aber,  er 
habe  ihn  nicht  gelesen,  er  wolle  blind  unterschreiben. 
Und  dein  Vater? 

Walter:  Mein  Vater  hat  ihn  gelesen. 

Marga:  Und  was  sagte  er? 

Walter:  Er  unterschreibe  doch.  (Ab.) 

(Paulchen  begegnet  Paulinchcn.) 

Paulchen:  Bethman  Hollweg  ist  offenbar  für 
'nen  Verzichtfrieden  zu  haben. 

Paulinchen:  Das  kann  Tirpjtz  pipe  sein. 

Paulchen:  Mir  auch.  Und  du? 

Paulinchen:  Ausjeschlossen!  Ist  ja  zum 
Schießen!  (Ab.) 

(Jochen  und  Suse  treten  auf.) 

Jochen:  Was  wir  vor  allem  brauchen,  ist 
Übasee.  Ich  sage  dir,  wenn  wir  mit  dem  Welthandel 
nicht  vorwärtskommen,  hat  Deutschland  in  diesem 
Krieg  schlecht  abjcschnitten. 


396 


Suse:  Olle  Kamellen,  Wir  müssen  Festland 
annektieren.  Wir  brauchen  Belgien  als  Fliegerbasis 
und  etwa  noch  das  Erzbecken  von  Briey,   sonst  — 

Jochen:  Du  sprichst  vom  Minimum.  (Ab.) 

(Eine  Mutter  mit  ihrem  Töchterchen,  neben  ihr  ein  Herr.) 

Die  Mutter:  Na  Elsbeth,  willst  du  nich  spielen  ? 

Das  Töchterchen:  Nee. 

Die  Mutter:  Na  spiel  doch  Kind. 

Das  Töchterchen:  Nee. 

Die  Mutter:  Was  das  Kind  für 'ne  komische 
Mentalität  hat!  Warum  nur  nicht? 

Das  Töchterchen:  Das  haben  wir  eben  vor 
den  Engländern  voraus  und  darum  sind  sie  neidisch 
auf  uns. 

Die  Mutter:  Ach  hören  Sie  nur  —  was  denn 
Kinding?  warum  sind  denn  die  Engländer  neidisch 
auf  uns  —  na  sag  das  mal  dem  Onkel,  Elsbethchen! 

Das  Töchterchen:  Die  Engländer  sind 
neidisch  auf  uns,  weil  wir  im  Begriffe  sind,  aufwärts 
zu  steigen,  sie  aber  abwärts.  Das  kommt  daher,  weil 
die  Deutschen  nach  der  Arbeit  noch  weiter  arbeiten, 
die  Engländer  sich  aber  an  Spiel  und  Sport  erfreuen. 

Die  Mutter:  Goldene  Worte,  Elsbeth.  Nee,  du 
mußt  wirklich  nicht  mehr  spielen,  Elsbeth.  So  'n 
Kind  beschämt  einen. 

Der  Herr:  Kindermund. 

Die  Mutter:  Das  will  ich  der  B.  Z.  mitteilen! 

Der    Herr;    Nee,    besser   für   die   Sammlung 
»Das  Kind  und  der  Krieg«,  Kinderaussprüche,  Auf- 
sätze, Schilderungen  und  Zeichnungen.  (Ab.) 
(Ein  Vater  mit  seinem  Söhnchen.) 

Sohn:  Vata,  im  B.  T.  steht  'ne  W.T.B.-Meldung, 
daß  durch  den  Krieg  eine  sehr  erfreuliche  Abnahme 
der  Säuglingssterblichkeit  stattjehabt  hat,  wenigstens 
in  den  deutschen  Städten,  für  das  offene  Land 
lägen  entsprechende  Statistiken  noch  nicht  vor, 
na   und   daß   dort   die    Verhältnisse    noch    günstjer 


397 


liegen,  kann  man  sich  ja  denken.  Der  Krieg  sei  über- 
haupt 'ne  Quelle  der  Verjüngung  jeworden.  Vala,  ik 
begreife,  daß  durch  den  Krieg  die  Säuglinge  nich  alle 
jeworden  sind,  da  sie  ja  noch  nicht  in  dem  Alter 
sind,  um  sich  dem  Vaterlande  nützlich  zu  machen, 
aber  erkläre  mir  Vata,  wie  es  kommt,  daß  der  Krieg 
die  Säuglingssterblichkeit  geradezu  herabsetzt? 

Vater:  Der  durch  den  Krieg  bedingte  Ausfall 
in  den  Geburtenziffern  — 

Sohn:  Ach  quatsche  nich,  da  müßten  ja  eher 
weniger  Säuglinge  als  mehr  — 

Vater:  Halte  die  Schnute.  Der  durch  den  Krieg 
bedingte  Ausfall  in  den  Geburtenziffern  wurde  jeden- 
falls durch  die  bessere  Erhaltung  des  Aufwuchses 
wenigstens  teilweise  ausgeglichen. 

Sohn:  Ach  Unsinn,  im  Krieg  herrscht  doch 
'ne  Lausewirtschaft,  wie  sollte  denn  da  der  Aufwuchs 
besser  erhalten  werden  als  im  Frieden?  Wo  nehmt 
ihr  denn  die  Milch  her? 

Vater:  Wülste  man  stille  sein,  du  Dreikäsehoch  I 

Sohn:  Is  nich!  So  kannste  mich  nich  mehr 
nennen  — 

Vater:   Wülste  gleich  —  warum   denn  nich? 

Sohn:  Drei  Käse!  Ja  Menschenskind,  ik  bin 
alt  genug,  um  schon  vajessen  zu  haben,  wie  hoch 
'n  einziger  ist! 

(Der  Vater  gibt  ihm  eine  Maulschelle.  Ab.) 

(Ein  anderer  Vater  mit  seinem  Söhnchen.) 

Vater:  Jawoll  mein  Junge,  immer  feste  —  wie 
sagt  doch  Schiller,  ans  Vaterland  ans  teure  schließ 
dir  an ! 

Sohn:  Vata  — 

Vater:  Nanu? 

Sohn:  Vata,  is  denn  det  Vataland  jetzt  auch 
teurer  jeworden? 

Vater  :Unerschwinglich,Junge,  unerschwinglich! 

(Verwandlung.) 


398 


41.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Die  Neue  Freie  Presse  hebt 
mit  Recht  hervor,  wie  vornehm  es  vom  Grafen 
Berchtold  ist,  daß  er  nun  selbst  an  die  Front  abgeht, 
um  mit  dem  Säbel  in  der  Hand  jenem  Erbfeind, 
der  seiner  Politik  die  größten  Schwierigkeiten  bereitet 
hat,  Aug  in  Aug  gegenüberzutreten. 

Der  Nörgler:  Sie  meinen  den  treulosen 
Bundesgenossen,  den  der  Conrad  schon  seit  Jahren 
überfallen  wollte?  Was  aber  den  Berchtold  anlangt, 
so  ist  es  wirklich  fair  von  ihm  und  jetzt  kann  in 
der  Tat  eine  Wendung  zu  unsern  Gunsten  ein- 
treten, wiewohl  ich,  wie  Sie  wissen,  über  die  Mög- 
lichkeit der  Verwendung  von  Säbeln  in  diesem 
Krieg  sehr  pessimistisch  denke.  Sollte  aber  der 
Berchtold  wider  Erwarten  keine  Gelegenheit  und 
den  Erbfeind  nicht  zu  Gesicht  bekomm.en,  weil  der- 
selbe den  Stabsfressereien  der  k.  u.  k.  Armee  nicht 
zugezogen  wird,  so  hat  unser  ehemaliger  Minister 
des  Äußern  jedenfalls  seine  Pflicht  erfüllt;  denn  er 
hat  sich  ja  gestellt. 

Der  Optimist:  Ich  sehe,  Sie  bleiben  Ihrer 
Gewohnheit,  alles  niederzureißen,  selbst  vor  den 
heroischen  Vorbildern  unserer  kriegerischen  Epoche 
treu.  Hier  haben  Sie  es  in  der  , Woche',  den 
Grafen  Berchtold  in  feldmäßiger  Adjustierung. 
Dieses  Bild  — 

Der  Nörgler:  —  ist  der  Kriegsgrund. 

Der  Optimist:  Wieso?  Die  Photographie 
wurde  doch  später  als  das  Ultimatum  — 

Der  Nörgler:  Gewiß,  ein  andres  öster- 
reichisches Antlitz,  eh  sie  geschehn,  ein  anderes  zeigt 
die  vollbrachte  Tat;  und  doch  sind  beide  identisch. 
Die  Serben  konnten  das  Uhimatum  nicht  annehmen, 
weil  ihnen  die  Photographie  vorgeschwebt  hat.  Die 
Furcht    Österreichs,     daß     sie    es     vielleicht    doch 


399 


anneliinen  würden,  war  ganz  fjrundlos.  Auch  an 
eine  ^  Lokalisierung«  des  Kriegs,  die  Österreich  erhofft 
hatte,  weil  es  ungestört  von  der  Welt  Serbien 
trischacken  wollte,  war  nicht  zu  denken,  denn  die 
Welt  sah  dieses  Antlitz  im  Traum. 

Der  Optimist:  Ich  verstehe  Sie  wieder 
einmal  nicht. 

Der  Nörgler:  Da  tun  Sie  recht  daran.  Aber 
das  Plateau  von  Doberdo,  wo  hunderttausend  Leben 
verwelkt  und  verwestsind,  ist  trotzdem  eine  Freudenau! 

Der  Optimist:  Ich  verstehe  Sie  nicht.  Diese 
Photographie  sagt  Ihnen  also  — 

Der  Nörgler:  —  daß  ein  Renngigerl  die 
Welt  in  den  Tod  geführt  hat! 

Der  Optimist:  Nun  beginne  ich  Sie  zu 
verstehen,  kber  das  hat  er  doch  nicht  mit  vollem 
Bewußtsein  getan! 

Der  Nörgler:  Nein,  sonst  wäre  er  keines 
und  sonst  hätte  er's  nicht  getan.  Das  Nieder- 
schmetternde ist,  daß  er  nicht  bei  vollem  Bewußt- 
sein war.  Und  daß  dieses  Argument  ein  Milderungs- 
grund für  Staatsmänner  ist  und  für  Staatsoberhäupter, 
die  doch  schon  von  Gesetzeswegen  für  ihre  Handlungen 
nicht  verantwortlich  gemacht  werden  können.  Sie 
waren  alle  nicht  bei  vollem  Bewußtsein.  Österreich 
kann  nichts  dafür!  Es  hat  sich  bloß  von  Deutsch- 
land Mut  machen  lassen,  dieses  in  den  Krieg  zu 
zerren.  Und  Deutschland  hat  Österreich  in  jenen  Krieg 
getrieben,  den  es  nicht  gewollt  hat.  Die  dort  sind 
die  verfolgende  Unschuld  und  mir  san  eh  die  reinen 
Laniperln.  Beide  können  nichts  dafür. 

Der  Optimist:  Dieses  Gesicht  spricht  wirklich 
für  ein  gutes  Gewissen. 

Der  Nörgler:  Das  ein  sanftes  Ruhekissen 
abgeben  würde,  wenn  im  Stabsquartier  nicht  ohnehin 
ein  solches  vorhanden  wäre.  .Aber  man  ist  vor  dieser 
schlichten  Uniform  überzeugt,  daß  der  Mann  auch  im 
Schützengiaben  vorlieb  nehmen  würde.  Ein  schlichter, 


400 


wenngleich  beherzter  Zugsführer,  ein  Wiener  Biz,  der 
mit  den  Händen  an  den  Hüften,  zwinkernd  »Schau  mir 
insAugee!«  zum  Erbfeind  sagt,  der  nur  herkommen 
soll,  wann  ersieh  traut.  Der  einfache  Staatsmann  an  der 
Front,  ohne  Ohrringeln,  aber  mit  Armbanduhr,  statt  des 
Säbels  eventuell  ein  Spazierstöckl,  statt  der  Virginier 
das  goldene  Vließ,  das  aber  wie  gesagt  vom  reinen 
Lamperl  bezogen  ist.  Er  meint's  nicht  so,  aber  er 
stellt,  wenn's  sein  muß,  seinen  Mann,  und  dank 
seiner  eigenen  Entschließung  vom  August  1914  muß 
es  bekanntlich  sein.  Alles  in  allem,  weit  entfernt 
von  Hochmut  und  von  Schwäche,  weiter  als  von 
der  Front;  kein  Tachinierer,  aber  ein  Feschak. 

Der  Optimist:  Diese  Photographie  — 

Der  Nörgler:  —  ist  dem  Verbrecheralbum 
der  Weltgeschichte  entnommen  und  wird  bei  der 
Verhandlung  vor  dem  Weltgericht  bei  der  Agno- 
szierung der  Kriegsurheber  gute  Dienste  tun.  Das 
Original  wird  natürlich  wegen  Unverantwortlichkeit 
oder  verminderter  Zurechnungsfähigkeit  freigesprochen 
werden. 

Der  Optimist:  Wie  wird  sich  die  erweisen 
lassen? 

Der  Nörgler:  Es  wird  unter  anderm  fest- 
gestellt werden,  daß  ein  harmloser  Rennstall- 
besitzer das  Grey'sche  Angebot  an  die  öster- 
reichisch -  ungarische  Monarchie,  zur  Erlangung 
der  von  ihr  angeblich  gewünschten  Genugtuung 
Belgrad  und  noch  etliche  serbische  Orte  zu 
besetzen,  zwischen  seinen  Rennprogrammen  versteckt 
hatte.  Denn  England  wollte  wirklich  die  »Lokali- 
sierung«, die  sich  Österreich  auf  andere  Weise 
erhofft  hat,  weshalb  es  den  einzigen  Ehrenmann 
dieses  Kriegs  den  »Lügen-Grey«  nennen  ließ.  Die 
Photographie  wird  zur  Entlastung  des  Täters  bei- 
tragen, aber  zur  Überführung  seiner  sämtlichen 
Landsleute.  Sie  rechtfertigt  in  ihrer  vollkommenen 
Schamlosigkeit    die    aggressiven   Absichten   unserer 


401 


Feinde  für  den  Fall,  daß  wir  wirklich  einen  heiligen 
Verteidigungskrieg  geführt  haben  sollten.  Denn  wenn 
es  selbst  bewiesen  wäre,  daß  wir  ein  Recht  hatten, 
uns  an  Serbien  zu  vergreifen,  weil  die  ungarischen 
Schweine  den  serbischen  den  Markt  gesperrt  hatten, 
so  würde  noch  immer  dieses  Dokument  aufstehn 
und  gegen  uns  zeugen! 

Der  Optimist:  Ich  bitte  Sie  —  eine  Photo- 
graphie! Eine  zufällige  Aufnahme!  Da  haben  wir 
im  Krieg  noch  ganz  andere  Bilder  zu  sehen 
bekommen. 

Der  Nörgler:  Sie  meinen  alle  die  andern, 
die  im  Weltkrieg  gelächelt  haben.  Die  Heerführer, 
die  vor  den  Wunden  ihrer  Mannschaft  verbindlich 
gelächelt  haben.  Ach,  dieses  Lächeln  im  Krieg  war 
erschütternder  als  das  Weinen !  Der  Photograph  mußte 
sie  nicht  erst  bitten,  ein  freundliches  Gesicht  zu 
machen,  sie  fanden  ohnehin  die  Welt  in  Ordnung. 
Der  Erzherzog  Friedrich,  harmlos,  als  ob  er  nicht 
bis  drei  Galgen  zählen  könnte;  Karl  Franz  Josef, 
der  Frontlächler,  der  dem  Heldentod  nicht  gram 
sein  kann  und  dem  die  große  Zeit  wie  ein  Walzer- 
traum vergeht;  der  deutsche  Kronprinz,  weit  und 
breit  beliebt  als  das  »lächelnde  Mosquito«,  und  alle 
die  andern  Lächler.  Schreibtafel  her,  ich  muß  mirs 
niederschreiben,  daß  einer  lächeln  kann,  und  immer 
lächeln,  und  doch  ein  General  sein!  Und  dann  die 
Damen  dieser  Feldredoute!  Zum  Beispiel  die  Erz- 
herzogin Augusta,  die  Soldatenmutter,  die,  nach- 
dem der  Soldatenvater  seine  Söhne  mit  Maschinen- 
gewehren vorgetrieben  hat,  den  Menschen  rasch  noch 
vor  dem  Heldentod  antritt  und  ihm  als  ein  Symbol 
hingebender  Vaterlandsliebe  vorschwebt.  Gegen 
diese  Verschärfung  der  Pflicht,  für  die  ungarische 
Sache  zu  sterben,  gibt  es  keinen  Schutz  und  es  ist 
ein  Schauspiel,  von  dem  sich  der  Genius  der  Mensch- 
heit, wenn's  noch  einen  solchen  gibt,  zwar  abwendet, 
aber  die  Ansichtskartenindustrie  profitiert. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  26 


402 


DerOptimist:  Die  aufopfernde  Tätigkeit  der 
Rote  Kreuz-Schwestern  dient  doch  in  erster  Linie  dem 
Zweck,  vor  der  Operation  eines  Schwerverwundeten  — 

Der  Nörgler:  —  sich  mit  ihm  photographieren 
zu  lassen. 

Der  Optimist:  Solche  Photographien  sind 
gestellt ! 

Der  Nörgler:  Dann  ist  die  Verächtlichkeit 
umso  besser  getroffen.  Auch  die  Photographie 
Berchtolds  ist  nur  gestellt,  um  die  abgründige 
Leere  dieser  Visage  sinnfällig  zu  machen  —  die 
Leere,  in  die  wir  alle  gestürzt  sind  und  die  uns  ver- 
schlungen hat. 

Der  Optimist:  Sie  übertreiben.  Ich  gebe  zu, 
daß  diese  Photographie  uns  zwar  nicht  schmeichelt  — 

Der  Nörgler:  Ausgestellt  vor  den  Leichen- 
feldern, deren  Hintergrund  das  sympathische  Modell 
selbst  beigestellt  hat,  trifft  sie  uns  tödlich.  Ich  denke 
sie  mir  als  einziges  Lichtbild  in  diesen  unsäglichen 
Finsternissen  und  habe  die  tröstende  Gewißheit, 
daß  diese  Züge  des  österreichischen  Antlitzes  seine 
letzten  sind.  Wie  wär's,  wenn  wir  es  mit  dem  Bilde 
jener  ungezählten  Märtyrer  konfrontierten,  die  in 
Sibirien  warten  oder  in  französischen  Munitions- 
fabriken geschunden  werden,  die  auf  Asinara  leben 
oder  die  vom  Todeszug  aus  der  serbischen  Gefangen- 
schaft in  die  italienische  am  Straßenrand  verwest 
sind.  Einer  steht  schon  als  Skelett  da  und  öffnet 
noch  den  Mund  wie  ein  verhungerter  Vogel.  Dies 
Bild  hat  ein  Menschenange  geschaut  und  ich  schaue 
es  wieder.  Wie  wär's,  wenn  wir  es  diesem  lächelnden 
Berchtold  verführten  und  alles  Grausen  einer  Evakua- 
tion  und  alle  lebendig  Begrabenen  und  lebendig 
Verbrannten,  die  Schändungen  halbmassakrierter 
Frauen,  die  von  mitleidigeren  Mördern  erschossen 
werden!  Ward  nichts  dergleichen  für  Welt  und  Haus 
photographiert?  Und  Berchtold,  lächelnd,  ward  auf- 
genommen, als  er's  mit  dem  Feind  aufnehmen  wollte ! 


403 


Der  Optimist:  Aber  bedenken  Sie,  er  ist 
doch  nicht  verantwortlich  — 

Der  Nörgler:  Nein,  nur  wir  sind  es,  die  es 
ermöglicht  haben,  daß  solche  Buben  nicht  verantwort- 
lich sind  für  ihr  Spiel.  Wir  sind  es,  daß  wir  in  einer 
Welt  zu  atmen  ertragen  haben,  welche  Kriege  führt,  für 
die  sie  niemanden  verantwortlich  machen  kann.  Ver- 
antwortlich für  das  einzige,  was  wirklich  verantwortet 
werden  muß:  die  Verfügung  über  Leben,  Gesund- 
heit, Freiheit,  Ehre,  Besitz  und  Glück  des  Neben- 
menschen. Größere  Kretins  als  unsere  Staatsmänner 
sind  doch  — 

Der  Optimist:  —  die  unserer  Feinde? 

Der  Nörgler:  Nein,  wir  selbst.  Mit  unseren 
Feinden  haben  wir  nur  die  Dummheit  gemeinsam, 
einen  und  denselben  Gott  für  den  Ausgang  des 
Kriegs  verantwortlich  zu  machen,  statt  uns  selbst 
für  den  Entschluß,  ihn  zu  führen.  Was  die  Staats- 
männer der  Feinde  betrifft,  so  können  sie  nicht 
dümmer  sein  als  die  unseren,  weil  es  das  in  der 
Natur  nicht  gibt. 

Der  Optimist:  An  den  unseren  läßt  sich 
allerdings  die  Wahrnehmung  machen  — 

Der  Nörgler:  —  daß  wir  uns  die  Kriege 
ersparen  würden,  wenn  wir  sie  an  die  Front  schickten, 
also  dorthin,  wohin  der  Berchtold  oder  seinesgleichen 
nie  gelangen  wird.  Noch  weiter  aber  als  diese  von 
der  Front  sind  wir  von  einer  Einrichtung  des  Staats- 
lebens, wie  sie  die  Spartaner  gekannt  haben,  die 
bekanntlich  auch  solche  Durch-  und  Durchhalter 
waren  wie  wir.  Sie  setzten  ihre  Kretins  auf  dem 
Taygetus  aus,  während  wir  sie  an  die  Spitze  des 
Staats  und  auf  die  verantwortlichen  diplomatischen 
Posten  stellen. 

Der  Optimist:  Dort  sind  sie  dann  freilich 
in  manchen  Fällen  — 

Der  Nörgler:  —  nicht  verantwortlich! 
(Verwandlung.) 


26* 


404 


42.  Szene 

Während   der   Somme-Schlacht.    ParKtor   vor  einer  Villa.    Eine 

Kompagnie,   mit  todesgefaßten   Mienen,   marschiert  vorbei,   in 

die  vordersten  Oräben. 

Der  Kronprinz  (am  Parktor,  Tennisanzug,  winkt 
ihnen  mit  dem  Rakett  zu):  Machts  bravl 

(Verwandlung.) 

43.  Szene 

Kriegsministerium.     Ein    Zimmer    an    der    Ringstraßenfront, 

Ein  Hauptmann  sitzt  an  einem  Schreibtisch.  Vor  ihm  steht  ein 

Zivilist  in  tiefer  Trauer. 

Der  Hauptmann:  Alstern  was  wolln  S'  denn 
noch?  Eine  Evidenzhaltung  is  in  solchen  Fällen  ein 
Ding  der  Unmöglichkeit.  Wir  können  doch  net  wissen, 
ob  einer  tot  is  oder  verwundet  in  Gefangenschaft 
geraten?  Da  müssen  S'  ins  italienische  Kriegs- 
ministerium gehn  mein  Lieber I  Na  alstern!  Was 
sollen  wir  denn  noch  alles  tun?  Es  ist  doch  einfach 
unglaublich,  was  die  Leut  von  uns  verlangen! 

Der  Zivilist:  Ja  —  aber  — 

Der  Hauptmann:  Lieber  Herr,  ich  kann 
Ihnen  nicht  mehr  sagen.  Außerdem  is  gleich  drei  Uhr, 
da  muß  doch  ein  Einsehn  sein,  die  Amtsstunden 
sind  beendet.  Das  is  doch  wirklich  großartig.  — 
No  alstern,  was  is  denn?  —  Alstern  schaun  S', 
privat  kann  ich  Ihnen  das  eine  sagen :  Sie  ham  jetzt 
sechs  Wochen  von  Ihrem  Sohn  nix  ghört,  nehmen 
Sie  also  getrost  an,  daß  er  tot  is. 

Der  Zivilist;  Ja  —  aber  — 

Der  Hauptmann:  Da  gibts  kein  Aber. 
Wo  kämen  wir  hin,  wenn  wir  in  solchen  Fällen  — 
Sie  können  sich  doch  denken,  daß  so  etwas 
tausendmal  vorkommt!  Jetzt  is  Krieg,  mein  lieber 
Herr!  Da  muß  der  Staatsbürger  schon  auch  ein  bißl 
was  dazu  tun!  Schaun  S'  uns  an,  die  wir  hier 
sitzen!  Wir  stehen  hier  auf  unserem  Posten!  Und 
außerdem,    lieber   Herr   —    also    Sie    werden    doch 


405 


wohl  wissen  —  aber  das  sag  ich  Ihnen  wieder 
privat  und  ganz  unverbindlich  — ,  daß  es  für  einen 
Soldaten  keinen  höheren  Ehrgeiz  und  keinen 
schöneren  Lohn  geben  kann  als  für  das  Vaterland 
zu  sterben.  Also  djehre  djehre  — 

(Der  Zivilist  verbeugt  sich  und  geht  ab.) 

(Verwandlung.) 

44.  Szene 

Kastelruth.  Nachts  nach  einem  Abschiedsfest  der  Offiziere  einer 
Maschinengewehrabteilung.  Einige  liegen  unter  dem  Tisch. 

LeutnantHelwig:  Noch — was  —  zum  essen  I 
Wein  herl 

Die  Kellnerin:  Es  geht  schon  auf  zwei, 
Herr  Leutnant,  die  Küche  — 

Leutnant  Helwig:  Wein  her  —  sag  ich! 

Die  Kellnerin:  Is  schon  Schluß,  Herr  Leut- 
nant —  nix  mehr  da ! 

Leutnant  Helwig:  Du  —  Fähnrich  — !  (Er 
entreißt  dem  diensthabenden  Fähnrich  die  Dienstpistole  und 
erschießt  die  Kellnerin.) 

Die  Kellnerin:   Jesus   Maria!  (Sie  stürzt  hin.) 

Ein  anderer  Leutnant:  Aber  Helwig  — 
was  machst  denn?  Is  der  Mensch  unvorsichtig! 
Dafür  kannst  Zimmerarrest  kriegen! 

(Verwandlung.) 

45.  Szene 

Ein  Wiener  Nachtlokal.  In  der  Nacht  nach  der  zweiten  Einnahme 
von  Czernowitz  durch  die  Russen.  Offiziere,  Buffetdamen,  Lebe- 
männer, Herren  vom  Roten  Kreuz,  polnische  Legionäre,  Personal, 
Mitwirkende.  Die  Salonkapelle  Nechwatal  und  die  Zigeunerkapelle 
Miskolczy  Jancsi. 

Rolf  Rolf,  der  Stegreifdichter  (ist  soeben, 
halb  singend,  mit  der  Konzeption  eines  Gedichtes  beschäftigt, 
das  sich  auf  hingeworfene  klassische  Zitate  und  Huldigungen 
für  anwesende  Truppengattungen  aufbaut): 


406 


Die  Legionäre  haben  viel  geleistet  — 
Das  liegt  schon  so  in  der  Natur. 

Rufe:  Bravo!  Bravo! 

Und  sehn  Sie  —  wenn  ich  das  betrachte  — 

So  fällt  mir  vom  Herzen  eine  Last  — 

Wenn  ich  sage  —  zu  der  Dame  dorten  — 

Du  doch  Diamanten  und  Perlen  hast! 

Und  hier  —  zu  diesem  deutschen  Soldaten 

Sag  ich:  Es  zogen  nach  Frankreich  zwei  Grenadier'. 

Heut  aber  —  das  muß  ich  schon  sagen  — 

Ist  es  —  fürwahr  —  doch  sehr  —  stier! 

Gelächter.  Rufe:  Oho!  Bravo!  Bravo!  Beim  Eintreten  zweier 
Offiziere  intoniert  dieSalonkapelle:  Wir  sind  vom  k.  u.  k.  Infanterie- 
Regiment    Hoch-  und  Deutschmeister   Nr.  4.    Alles   singt   mit. 

Frieda  MoreUi,  die  Sängerin  (tritt  auf 
und  singt,  die  Hände  abwechselnd  vom  Busen  in  die  Richtung 
zum  Publikum  führend): 

Ja,  mein  Herz  gehört  nur  Wien! 
Doch  sehr  schön  ist  auch  Berlin! 
Denn  sehn  Sie,  so  ein  Leudenant  — 

(die  Oberlippe  streichend) 
So  indresant  und  auch  charmant, 
Ich  geb  ihm  gern  ein  Rangdewu, 
Doch  noch  lieber  —  hab  ich  Ruh. 
Denn  ach,  denn  ach,  denn  ach. 
Man  wird  so  leicht  ja  schwach. 
Ja  drum  sag  ich,  mein  Herz  gehört  Wien, 
Doch  sehr  schön  ist  auch  Berlin ! 

Rufe :  Bravo !  Bravo  ! 

Eine  Stimme:  Rosa,  wir  fahren  nach  Lodz! 

(Die  Musik  intoniert  diese  Melodie,  um  nach  einiger  Zeit  in 
die  Melodie:  >Der  guate  alte  Herr  in  Scliönbrunn«  überzugehen.) 

Ein  ungarischer  Viehhändler  (zum 
Besitzer  des  Nachtlokals) :  Ober  dos  is  jo  glänzend  WOS 
hier  olles  geboten  wird! 


407 


Der  Besitzer  des  Nachtlokals:  Ja,  ich 
schmeichle  mir  ein  erstklassiges  Ensemble  zu  haben. 
Jeder  Besucher  meiner  Lokalitäten  wird  zugeben 
müssen,  daß  die  Bezeichnung  »42-Mörser-Programm« 
auf  dem  Plakat  nicht  zu  viel  versprochen  hat. 

Der  Viehhändler:  Ober  nain,  42  Mörser  is 
Kinderipiel  gegen  so  ein  Progromm! 

Der  Besitzer:  Der  Feind  selbst  müßte 
zugeben,  es  is  ein  Bombenerfolg. 

Der  Viehhändler:  Wos  Bomben!  Bomben 
sind  Krepierln  gegen  solche  Schloger! 

Der  Besitzer:  Herr  Kommerzialrat,  zum 
Dank  für  die  so  schmeichelhafte  Anerkennung 
werde  ich  mir  sogleich  erlauben,  eine  separate 
Huldigung  darzubringen. 

(Die  Musik  intoniert  den  Rakoczy-Marsch,  um,  nachdem  der 
Viehhändier  eine  Cnampagnerflasciie  zerschlagen  hat,  in  den 
Radetzkymarsch  überzugehen,  während  dessen  einer  der  Offiziere 
eine  C ha npagnerf lasche  zerschlägt,  worauf  der  Prinz  Eugen-Marsch 
intoniert  wird,  um  in  die  Volkshymne  überzugehen.  Sämtliche 
Gäste  und  Animiermädchen  erheben  sich  von  ihren  Plätzen  und 
bleiben  auch  während  des  sich  anschließenden  »Heil  dir  im 
Siegerkranz«  und  der  abschließenden  >Wacht  am  Rhein«  stehen. 
Das  Oarderobepersonal  und  die  Toiiettefrau  sind  im  Saal 
erschienen  und  nehmen  an  der  Huldigung  teil ) 

Ein  Getreidehändler  (ruft  in  den  Saal) : 
Es  lebe  die  Nibelungentreiei 

Alle:  Hurra!  Hurra!  Hurra! 

Der  Besitzer  (zu  einem  Stammgast) :  Ist  Ihnen 
der  Herr  bekannt,  was  jetzt  gerufen  hat? 

Der  Stammgast:  Selbstredend,  das  is  doch 
der  Kammerrat  Knöpfelmacher! 

(Der  Besitzer  stürzt   auf  die  Zigeunerkapelle  los,    die  nunmehr 
»Ich  hatt'  einen  Kameraden«  intoniert.) 

Ein  betrunkener  Funktionär  des 
Roten  Kreuzes:  Sie  —  bringen  Sie  noch  einen 
Whisky  mit  Soda  und  eine  Tra  —  Trabucco  mit 
Spitz,  Du  —  (Aufstoßen.) 

Ein  Kollege:  Geh,  was  hast  denn? 


408 


Der  Funktionär:  Dort  siech  ich  einen 
Verwundeten  von  uns  —  den  Mann  schick  ich 
morgen  nach  Neuhaus  —  den  Mann  schick  ich 
morgen  zur  Konschtatierung  — 

Der  andere:  Geh  laß'n  gehn! 

Der  Funktionär:  Erlaube  mir  —  das  gibts 
nicht  —  den  schick  ich  an  die  —  (Aufstoßen)  Front! 

Ein  Offizier  (zu  einem  zweiten):  Was  steht 
heut  im  Bericht? 

Der  zweite:  Nix  Neues. 

Der  erste:  No  ja,  aber  Czernowitz! 

Der  zweite:  No  das  is  doch  nix  Neues. 

Ein  Regimentsarzt  (zu  einem  andern) : 
Oiweh,  da  schau  her,  der  dort  in  der  zweiten  Loge. 
Dem  hab  ich  gestern  einen  C-Befund  gegeben. 
Heut  draht  er  schon.  Mieser  Baldower,  aber  so  viel 
Zehner  möcht  ich  haben,  wie  dem  sein  Alter 
Tausender. 

Der  Kollege:  Ich  versteh  dich  nicht, 
da  bin  ich  ganz  anders.  Von  mir  kommt  keiner 
zur  Konschtatierung.  Ausnahmen  kann  man  ja 
machen.  Aber  im  allgemeinen,  das  is  doch  einmal 
ein  Gefühl,  das  man  hat,  wenn  man  die  Burschen 
so  vor  sich  zittern  sieht.  Wie  einer  anfängt  zu 
zittern,  ruf  ich  schon  »Tauglich!«  Da  kann  er  Gift 
drauf  nehmen.  Umsomehr,  wo  wir  doch  jetzt  nicht 
unter  50  o/o  gehn  dürfen,  da  wird  das  eo  ipso 
erschwert  mit  den  Ausnahmen.  Besonders  bei  der 
Neunerkommission  von  der  K-Musterung. 

Der  Regimentsarzt:  Du,  was  ich  dir 
erzählen  wollte.  Gestern  war  eine  Hetz  im  Spital! 
Die  Schwester  Adele  hat  nämlich  noch  immer  eine 
kolossale  Angst  vor  mir  und  laßt  dir  die  Leibschüssel 
fallen  von  einem  Bosniaken  mit  Beckenschuß.  Hättest 
die  Freud  sehn  solin,  was  die  andern  ghabt  haben. 
Das  war  dir  ein  Gekicher!  No,  bis  ich  aber  dazwischen 
gefahren  bin!  Man  muß  den  Weibern  imponieren. 
Gestern  war  überhaupt  ein  Tag  bei  uns  — 


409 


Der  Kollege:  Bei  uns  is  das  auch  so. 
Der  Ehrgeiz  von  so  einer  Aristokratin  is  mir 
unverständlich.  Die  andern  machen  Wäschekammer, 
Servieren  und  so.  Die  aber  reißen  sich  förmlich  um 
die  Leibschüsseln. 

Der  Regimentsarzt:  Ich  muß  gestehn, 
im  Anfang  hat  mich  das  gereizt,  so  zu  sehn,  wie  so 
feine  Mädeln  —  aber  man  wird  auch  gegen  das 
abgestumpft.  Ich  hab  nachgedacht  —  warum  tun 
sie  das?  No  ja,  sie  wolln  sich  betätigen  — 
Patriotismus  und  so.  Wo  hab  ich  nur  gelesen,  daß 
gerade  wir  Ärzte  dagegen  sein  müßten,  wegen  dem 
Chok.  den  das  weibliche  Nervensystem  bekommt, 
und  weil  sie  für  die  Ehe  verdorben  wern.  Probleme! 
Meschugge  wird  man  sein  und  sich  um  Probleme 
kümmern  im  Krieg.  Wir  Praktiker  — 

Der  Kollege:  Was  ich  sagen  wollte,  gestern 
war  ein  Tag  bei  uns,  wo  man  wirklich  geglaubt  hätt, 
man  is  in  kan  Spital,  sondern  in  an  Narrenhaus. 
Postarbeit!  Fünf  Fälle  mit  Zitterneurose  hab  ich  an 
die  Front  gschickt. 

Der  Regimentsarzt:  No  und  ich  fünf 
Darmverwachsungen  und  drei  Tabes.  Ich  sag  jedem 
ins  Gesicht:  Schwindel!  Er  kann  doch  keine  Antwort 
geben,  also  ist  der  Schwindel  so  gut  wie  bewiesen. 
(Die  Salonkapelle  intoniert  den  Prinz  Eugen-Marsch.) 

Der  Kollege:  Jetzt  fang  ich  mir  noch  andere, 
da  sind  vor  allem  die  typischen  Schußverletzungen 
der  linken  Hand  —  ich  wüßt  auch  wirklich  nicht, 
wie  man  es  anders  machen  sollt,  wenn  einem  der 
Oberstabsarzt  fortwährend  am  Gnack  sitzt  und  dem 
der  Teisinger  auf  dem  Puckel. 

Der  Regi  in  en  tsarzt:  Ja,  es  is  ein  Kreuz. 
Gestern  hab  ich  einer  wunderschönen  Nephritis  mit 
akuter  Herzschwäche  einen  A-Befund  gegeben.  No 
also  daß  sie  singend  in  den  Krieg  ziehn,  davon  hab 
ich  bisher  wirklich  nicht  -'iel  bemerkt.  Sehr  animiert 
is  1  eut  das  Lokal  — 


410 


Der  Kollege:  Es  geht.  Es  is  unglaublich, 
wie  man  verroht.  Man  kommt  faktisch  gar  nicht 
mehr  dazu,  human  zu  sein. 

Der  Regimentsarzt:  Ein  guter  Arzt,  hat 
es  immer  geheißen  für  den,  der  zu  Füßen  Nothnagels 
gesessen  is,  hat  vor  allem  ein  guter  Mensch  zu  sein. 
Ja,  das  verlernt  man  gründlich,  ich  gesteh  es  offen, 
und  das  ist  das  erste  was  man  im  Krieg  verlernt. 
Konträr,  ein  guter  Militärarzt  darf  gar  kein  guter 
Mensch  sein,  sonst  kann  er  schaun,  wie  er  vorwärts 
kommt,  das  heißt  in  den  Schützengraben.  No  über 
mich  wird  sich  der  Teisinger  in  dem  Monat  nicht 
beschweren  können.  Ich  liefer  ihm,  ohne  daß  er 
bestellt.  Von  mir  aus! 

Der  Kollege:  ßitt  dich,  wenn  ma  oben  paar 
hundert  Ruthenen  so  an  einem  Vormittag  hat  baumeln 
gsehn  und  unten  paar  hundert  Serben  wie  ich,  gwöhnt 
sich  der  Mensch  an  alles.  Was  is  das  einzelne  Menschen- 
leben wert?  Du  kennst  doch  den  Fall,  einer  schreibt 
an  seine  Eltern,  sie  sollen  unbesorgt  sein,  für  den 
Notfall  hat  er  ein  weißes  Tuch  immer  bei  sich  — 
der  Brief  kommt  an  mit  dem  Vermerk  — 

Der  Regimentsarzt:  Ich  weiß:  Absender 
standrechtlich  erschossen.  Bei  uns  is  Ärgeres 
vorgekommen. 

Der  Kollege:  Und  bei  uns ?  Ich  schau  nicht 
rechts,  ich  schau  nicht  links,  ich  schau  vorwärts ! 
Man   müßt   sich    umbringen.   Man  will  aber  leben. 

(Alles   ist   aufgestanden.    Die   Salonkapelle   spielt    »O  du    mein 

Österreich«,  um  sodann  in  die  Melodie    »Da  habts  mein  letztes 

KranU  überzugehen.) 

Der  Regimentsarzt:  Sehr  animiert  is  heut 
das  Lokal. 

Der  Kollege:  Ja,  wahrscheinlich  wegen 
Czernowitz. 

Der  Regimentsarzt:  Wieso?  Weil  die 
Russen  — 


411 


Der  Kollege:  Ja  so  — nein  —  oder  doch. 
Oder  —  ich  versteh  das  nicht  —  Schau  die  Paula 
an,  bei  dem  Deutschmeisteroberleutnant.  Die 
assentieret  ich  sofort. 

Der  Regimentsarzt:    Du  fliegst  auf  die? 

(Rufe:  Tango!    Gegenrufe:  Pfui!    Nieder   mit   Tango!    Walzer! 
Das  is ein deutsclies Lokal !  Einerruft:  Wonstep  !  Antwort:  Tepp!) 

Ein  Betrunkener:  Gott  —  strafe  —  Spielts 
Walzer,  Scheißkerln,  mir  san  in  Wean! 

Der  Besitzer  (auf  den  Stammgast  einsprechend): 
Wissen  Sie,  wer  der  Fähnrich  is,  der  jetzt  herein- 
gekommen is?  Sehn  Sie,  das  wissen  Sie  nicht.  Das 
is  der,  von  dem  man  doch  gelesen  hat,  russische 
Soldaten  haben  ihn  mit  Strickleitern  aus  einem  Sumpf 
gerettet.  Jetzt  kommt  er  jede  Nacht  zu  uns! 

(Verwandlung.) 


46.  Szene 

Nacht.  Der  Graben.  Es  regnet.  Menschenleer.  Vor  der  Pestsäule. 
Man  kann  in  eine  Seitengasse  blicken. 

Der  Nörgler  (tritt  auf): 

So  merk'  ich  wieder,  wie's  von  unten  regnet. 

Aus  Schlaf  und  Schlamm  die  alte  Schlamperei, 

sie  spricht  den  schlaff  zerlassenen  Dialekt 

des  letzten  Wieners,  der  ein  Pallawatsch 

aus  einem  Wiener  ist  und  einem  Juden. 

Hier  ist  das  Herz  von  Wien  und  in  dem  Herzen 

von  Wien  ist  eine  Pestsäule  errichtet. 

(Er  bleibt  vor  der  Pestsäule  stehen.) 

Dies  Wiener  Herz,  es  ist  aus  purem  Gold, 
drum  möchte  ich  es  gern  für  Eisen  geben! 
O  ausgestorbene  Welt,  das  ist  d'e  Nacht, 
der  nichts  mehr  als  der  jüngste  Tag  kann  folgen. 


412 


Verschlungen  ist  der  Mißton  dieses  Mordens 
vom  ewigen  Gleichmaß  sphärischer  Musik. 
Der  letzte  Wiener  röchelt  noch  im  Takt 
und  läßt  die  Seele  irdischen  Behagens 
rauschend,  den  letzten  Regen  dieser  Welt 
durchdringend,  auf  das  nasse  Pflaster  fließen. 

(Er  blickt  in  die  Seitengasse  und  gewatirt  dort  einen  Betrunkenen, 
der  mitten  auf  der  Straße  ein  Bedürfnis  verrichtet.) 

Hier  steht  er,  eine  Säule  seiner  selbst, 
in  riesenhafter  Unzerstörbarkeit! 
Er  kann  nicht  untergehn,  es  überlebt 
dies  Wahrzeichen  der  staubgebornen  Lüge 
das  Ende  aller  Schöpfung  und  er  weiß, 
nur  er  allein  ist  von  dem  allen  übrig, 
das  Sterben  geht  ihn  einen  Schmarren  an, 
sein  innerstes  Bedürfnis  muß  er  stillen, 
es  bleibt  die  Spur  von  seinen  Erdentagen, 
und  dieses  ist  der  Weisheit  letzter  Schluß. 
Und  gierig  lausch'  ich  seinem  letzten  Willen, 
er  hat  dem  Kosmos  noch  etwas  zu  sagen  — 

Der  Betrunkene  (steht unverändert  da  und  spricht 
in  rhythmischer  Begleitung,  immer  wiederholend): 
Ein  Genuß!  —  Ein  Genuß!  —  Ein  Genuß! 


IV.  Akt 


415 


1.  Szene 

Wien.  Riiigstraßenkorso.  Sirk-Ecke.  Larven  und  Lemuien.  Alles 
erscheint  Arm  in  Arm  zu  fünft.  Grundlose  Fröhlichkeit  wechselt 
mit  dumpf  brütendem  Schweigen.  Ein  Knäuel  von  Böcken  steht 
da,  je  zwei  Stirn  an  Stirn,  einander  anstarrend,  wie  durch  ein 
Geheimnis  miteinander  verbunden.  Soweit  die  Masse  in  Bewegung 
ist,  zieht  sie  durch  ein  Spalier  von  Zivil,  Krüppeln,  Invaliden, 
deren  Köpfe  und  GliedniaÜen  in  unaufhörlichen  Zuckungen 
begriffen  sind,  von  Fragmenten  und  Freaks  aller  Arten,  Bettlern  und 
Bettlerinnen  aller  Lebensalter,  von  Blinden  und  von  Sehenden,  die 
mit  erloschenen  Blicken  die  bunte  Leere  betrachten.  Dazwischen 
gebückte  Gestalten,  die  das  Trottoir  nach  Zigarrenresien  absuchen. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Extraausgabee  — ! 
Varnichtete  Niedalage  der  Italiena! 

ZweiterZeitungsausrufer:  Extraausgabee  —  ! 
Die  ameril<:anisclie  Note  von  Wülson! 

Ein  Offizier  (zu  drei  anderen):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grtiß  dicli  Powolny, 
also  du  -  du  bist  ja  politisch  gebildet,  also  was 
sagst  zu  Amerika? 

Zweiter    Offizier:  (mit  Spazierstock) :  Pluff! 

Der  dritte:  Weißt  —  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  mullattiert  — !  Habts  das  Bild  vom  Schönpflug 
gsehn,  Klassikaner! 

Der  erste:  Weißt,  ich  glaub,  es  is  nur  eine 
amerikanische  Reglam  oder  halt  so  w?.s. 

Der  vierte :  AGschäft wollen  s' machen  einfach, 
steht  heut  in  der  Zeitung.  Für  ihnern  Pusiness! 

Der  dritte:  Weißt,  wann  s'  rüsten,  rüsten  s' 
gegen  China. 

Der  zweite:  Woher  denn,  gegen  Japan! 

Der  dritte:  Oder  gegen  Japan  natürlich, 
das  is  doch  dasselbe,  weißt  ich  verwechsel  die  immer. 


416 


Der  zweite:  Pluff  sag  ich.  Erstens  können  s' 
niclit  wegen  die  U-Boot  — 

Der  vierte:  Natürlich,  jetzt  wo's  noch  dazu 
verschärft  sein. 

Der  zweite:  No  weißt  und  wenn  s'  schon 
herüberkommen  —  mit  denen  ihre  Divisionen  wird 
ein  Regiment  von  uns  spielend  fertig,  aber  spielend 
mein  Lieber  —  rrtsch  obidraht. 

Derdritte:  Höchste  Zeit,  wann  amal  Frieden  is. 

Der  zweite:  Erlaub  du  mir! 

Der  dritte:  No,  daß  man  wieder  in  die 
Gartenbau  kann! 

Der  zweite:  Ah  so,  das  is  was  andreas. 

Der  erste:  Also  du,  du  bist  doch  politisch 
gebildet,  also  ich  lies  da  immer,  sie  machen  eine 
Blockade,  du  was  is  das? 

Der  zweite:  Weißt  das  is  so  —  also  wir  und 
die  Deutschen  wir  sind  ein  Block,  den  s'  nicht 
besiegen  wern,  no  und  dafür  sperrn  s'  uns  halt  die 
Lebensmitteln  und  so. 

Der  erste:  Ah,  so  is  das  —  du  is  das  wahr, 
daß  die  Sozi  schuld  sind  an  dem  Hofverrat  von  die 
Böhm?  —  Du  —  mir  scheint  —  das  Mensch  kenn 
ich,  schau  —  du  was  is  das  eigentlich  Belange? 

Der  dritte:  Herstellt  —  das  is  die  von 
gestern  —  ein  Gustomenscherl  —  warts,  ich  —  (ab.) 

Die  andern  (ihm  nachrufend):  Kommst  also 
nacher  zum  Hopfner! 

Dritter  Zeitungsausrufer:  Tagblaad!  Un- 
widastehliches  Vurdringen  unsara  Truppeen! 

Eine  Komtesse  (einen   der  Offiziere  bemerkend,  zn 

ihrer  Begleiterin):  Schau,  die  vielen  Auszeichnungen, 
der  hat  sich  gewiß  gut  geschlagen!  Ich  hab's  rasend 
gern,  wenn  sich  die  Leut  gut  schlagen.  (Ein  blinder 
Soldat  in  zerlumpter  Uniform  in  einem  Rollwagen  erscheint.) 
Wie  ich  noch  im  Palffy-Spital  war  — 


417 


Ein  Intellektueller  (zu  seinem  Begleiter):  Ich 
versicher  Sie,  solange  die  Feinde  eine  Mentalität 
haben  —  (ab.) 

Ein  Automobil    hält    vor   dem    Hotel  Bristol.     Ein  Riesenbaby 
lehnt  darin. 

Poldi  Fesch  (erscheint  am  Wagenschlag):  L'exacti- 
tude  la  politesse  des  rois.  Du,  noch  eine  Minute,  ich 
hab  meine  Gründe. 

Das  Riesenbaby:  Wie  viel  Gedecke? 
Kommt  sie? 

Poldi  Fesch:  Qui  vivra  verra.  Ich  bin  heut 
kolossal  montiert,  wiewohl  ich  gestern  verloren  hab  — 
im  Chapeau  —  zu  blöd  —  also  seitdem  ich  den 
großen  Verlust  damals  an  der  Südwestfront  gehabt 
hab,  is  mir  das  nicht  passiert. 

Das  Riesenbaby:  Ich  versteh  dich  wirklich 
nicht,  warum  du  dich  mit  solche  Leute  —  das  ist 
doch  keine  Klasse! 

Poldi  Fesch:  Erlaub  du  mir  —  dafür  wird 
morgen  wieder  mit  dem  Sascha  Kolowrat  gedraht  — 
übrigens  —  da  mußt  du  noch  viel  lernen,  bevor 
du  mich  —  du  wie  alt  bist  du? 

Das  Riesenbaby:  Zwauundzwanzig. 

Poldi  Fesch:  Also  da  red  nicht  —  ein  erst- 
klassiges Tripot,  sag  ich  dir!  Solang  ich  hier  hocken 
muß,  bin  ich  angewiesen.  Aber  da  kannst  du  Gift  drauf 
nehmen  —  ich  wart  nur  auf  denMoment,  wo  der  Frieden 
unterschrieben  is,  selbstredend  wird  es  eine  partie 
remis  —  so  oder  so,  wie  immer  die  Entscheidung  fällt, 
so  bin  ich  der  erste,  der  mit'n  Orient  nach  Paris 
kommt!  —  Jetzt  können  wir  schon  herein  Burscherl  — 
(er  winkt.  Der  Hotelneger  öffnet  den  Wagenschlag.) 

Das  Riesent)aby:  Du  ich  flieg  kolossal  auf 
die  Lona,  glaubst  du,  wird  sich  da  was  machen  lassen? 

Poldi  Fesch:  Qui  vivra  verra.  (Ab.) 

Aite  Männer   ziehen    vorbei.   Man   hört   den   Gesang:    In   der 
Heimat,  in  der  Heimat,  da  gibts  ein  Wiedersehen  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  27 


418 


Ein  Berliner  Exporteur  (mit  Importe  im  Mund, 
zu  seinem  Begleiter):  Ach,  unsere  Jungens  Überwinden 
diese  Eindrücke  spielend.  Einer  unserer  hervor- 
ragendsten Professoren  hat  festjestellt,  die  psychische 
Ümschaltung  tritt  schon  in  der  Etappe  ein.  Ihr  hier 
seid  ja  im  Hinterland  lausiger  als  wir  an  der  Front! 
Nee  Kinderchens,  bei  euch  siehts  nich  nach  nem 
Siegfrieden  aus!  Is  det  ne  Stimmung  in  eurem  lieben 
Wien?  Da  staunt  der  Fachmann  und  der  Laie  wundert 
sich.  Nee,  hätt  ich  mir  doch  anders  vorjestellt.  Ihr 
faulen  Brieder  macht  ja  nen  Klamauk  um  den  Frieden, 
als  ob  ihrs  jaarnich  erwarten  könntet  — !  (Ab.) 

Ein  Passant   geht  auf  einen  andern  mit  aufgehobenen  Händen 
zu  und  deutet  auf  den  Zigarettenrest,   den  dieser  im  Mund  hat. 

Eine  Offiziersgattin  (zu  ihrem  Begleiter):  Dort 
stehn  s'  schon  angestellt  für  morgen.  Von  mir  aus 
könnte  der  Krieg  noch  zehn  Jahr  dauern,  mein 
Mann  schickt  mir  alles,  was  ich  brauch  —  (ab.) 

Ein  Spaziergänger:  Hält  man  sich  nicht  an 
die  Vorschriften,  muß  man  zahlen.  Hält  man  sich  ja 
an  die  Vorschriften,  is  man  zum  Tod  verurteilt. 

Ein  zweiter:  Wieso? 

Der  erste:  No  ham  Sie  nicht  heut  gelesen, 
intressant,  ein  Professor  verhungert? 

Der  zweite:  Wieso  ein  Professor? 

Der  erste:  Mittelstand.  Er  hat  sich  nicht 
verschaffen  können  im  Schleichhandel,  er  hat  gelebt 
nach  der  Rationierung. 

Der  zweite:  Schigan.  (Ab.) 

Erster  Verehrer  der  Reichspost:  Wenn 
jetzt  die  Offensive  kommt,  dann  paß  auf  —  rrtsch 
obidraht ! 

Zweiter  Verehrer  der  Reichspost:  Und 
nacher  mit  die  Juden  —  ramatama!  (Ab.) 

Ein  EigenbröHer:  Sehn  Sie,  gestern  hab 
ich  hier   im  Rostraura    vorzüglich    gegessen.    Wann 


419 


aber  wird  endlich  diese  Bezeichnung  »Bristol«  ver- 
schwinden? Unsere  Sprache  muß  von  diesen 
welschen  Bezeichnungen  gesäubert  werden!  Früher, 
ja,  da  hab  ich  10  Prozent  genommen,  jetzt  nehm  ich 
grundsätzlich  nur  40  vom  Hundert. 

Sein  Begleiter:  Da  haben  Sie  recht.  Da  — 
schaun  Sie  sich  die  an  — 

Der  Eigenbrötler:  No  wenn  Sie  einen 
Gusto,  pardon  einen  Geschmack  haben  —  gehn  Sie 
ihr  nach,  vielleicht  gibt  sie  Ihnen  ihre  Anschrift.   (Ab.) 

(Eine   korpulente   Dame   in   Rote   Kreuz -Tracht    mit    Lorgnon 
entsteigt   einem  Elektromobil.) 

Lenzer  v.  Lenz  brück  (in  Rittmeisteruniform): 
Küß  die  Hände,  gnädigste  Kommerzialrätin  —  Wie, 
noch  nicht  auf  die  Länder?  Eine  Sensation  für  Wien! 
Kann  Ihnen  gar  nicht  sagen,  wie  famos  Ihnen  die 
Tracht  steht! 

Frau  Back  v.  Brünnerherz:  No  und  Ihnen 
doch  auch!  Gehn  Sie  herein  frühstücken?  Mein 
Mann  wartet. 

Lenzer  v.  Lenzbruck:  Der  Göttergatte? 
Rasend  gemütlich!  Also  daß  Sie  sich  entschlossen 
haben  zu  pflegen,  ist  die  größte  Sensation  von  Wien! 

Frau  Back  v.  Brünnerherz:  Ich  bin  sehr 
zufrieden,  wir  können  dadurch  das  Auto  behalten, 
zwei  Jahre  hat  mein  Mann  darum  gekämpft,  so  hab 
ich  micn  schließlich  entschlossen  zum  Roten  Kreuz  zu 
gehn.  Ihnen  kann  ich  ja  sagen,  es  is  mehr  pro  forma 
und  wegen  dem  guten  Ton.  Nämlich  ich  pflege  — 

Lenzer  v.  Lenzbruck:  Also  doch! 

Frau  Back  V.  Brünnerherz:  Wiesoo,  ich  pflege 
nur  hinzufahren,  wenn  ich  grad  Lust  hab.  Jetzt 
wo  der  Krieg  sich  sowieso  seinem  Ende  zuneigt, 
stehts  so  nicht  mehr  dafür.  Gestern  hat  mich  die 
Annunziata  angesprochen  — 

Lenzer  v,  Lenzbruck  (faltet  die  Hände):  Bitti 
bitti  erzählen,  Baronin  — ! 


27* 


420 


Frau  Back  v.  Brünnerherz:  Ich  protz  nicht 
gern,  soll  Ihnen  mein  Mann  erzählen.  Apropos,  ich 
hab  gelesen,  Sie  sind  doch  Rittmeister  geworn,  ich 
gratuliere.  Wissen  Sie,  daß  Sie  viel  fescher  sind 
wie  in  Zivil?  Wahrscheinlich  gehn  Sie  deshalb  in 
Uniform  herum!  No  hab  ich  erraten?  Die  Männer! 

Lenzer  v.Lenzbruck  (geschmeichelt):  FindenSie? 

Frau  Back  v.  Brünnerherz:  Und  das 
Verdienstkreuz!  Sigilaudis!  Da  schauts  her! 

Lenzer  v.  Lenzbruck  (abwehrend):  Nicht  der 
Rede  wert. 

Frau  Backv.  Brünnerherz:  Fehlt  nur  noch  — 
no  Sie  sind  imstand  und  gehn  noch  an  der  Front! 
Waren  Sie  schon  einmal? 

Lenzer  v.  Lenzbruck:    No   kann   ich  denn? 

Frau  Back  v.  Brünnerherz:  Wieso? 

Ein  Blumenweib:  Veigerl! 

Lenzer  v.  Lenzbruck:  Der  Verwaltungsrat 
laßt  mich  doch  nicht!  Ich  hab  aufgedraht  —  (beide  ab.) 

Ein  Herr:  Ja  richtig,  sagen  Sie,  was  macht 
denn  eigentlich  Ihr  Freund,  der  Maler?  Der  hat 
doch  einen  leichteren  Dienst? 

Zweiter  Herr:  No  eigentlich  ja.  Zuerst  hat  er 
Qrabkreuze  gezeichnet  — 

Der  erste:  No  also! 

Der  zweite:  Aber  da  wars  auf  einmal  aus  mit 
der  Herrlichkeit  und  er  hätte  in  ein  Marschbataillon  — 

Der  erste:  Oivve,  no  und  —  ? 

Der  zweite:  No  und  da  ist  eine  glückliche 
Wendung  eingetreten.  Es  hat  sich  nämlich  heraus- 
gestellt, daß  der  Hauptmann  kunstsinnig  ist. 

Der  erste:  No  und? 

Der  zweite:  No  und  jetzt  zeichnet  er  nackte 
Weiber  für  den  Hauptmann. 

Der  erste:  No  also! 


421 


(Storm  kommt.) 

Fräulein  Löwenstamm:  Da  kommt  der 
Storm ! 

Fräulein  Körmendy:  Und  noch  dazu  in 
Uniform ! 

Ein  Herr  steigt  aus  einem  Wagen. 

Der  Fiaker  (die  Hand  aufhaltend):  Aber  gnä  Herr, 
WOS  gebn  S'  mr  denn  do?  (Die  Hand  umdrehend) 
Schaun  S'  iier  —  dö  Narben! 

(Verwandlung.) 

2.  Szene 

Der  Optimist  ur.d  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Gehen  Sie  bald  wieder  in 
die  Schweiz? 

Der  Nörgler:  Von  Herzen  gern,  wiewohl 
man  sicher  sein  kann,  das  Publikum,  dem  man 
hier  entflieht,  dort  anzutreffen.  Nun,  wenigstens 
verliere  ich  das  Milieu  nicht  ganz  aus  den  Augen, 
wenn  ich  an  dem  Drama  dieses  Untergangs  arbeite. 
In  Bern  ist  man  wieder  in  Wean,  ein  verwesender 
Staat  exportiert  seine  Fäulnisprodukte,  Falloten  und 
Diplomaten,  Schieber  und  Schreiber,  deren  unge- 
hindertes Reisen  sich  von  selbst  versteht  und  die 
für  die  Hassenswürdigkeit  dieses  weltaufreizenden 
Staatsgebildes  noch  die  Schweizer  Propaganda 
besorgen.  Aber  unsereins  hat's  nicht  so  leicht 
und  die  Formalitäten,  die  nötig  sind,  um  weg- 
zukommen, hindern  mich  daran. 

Der  Optimist:  Ja,  die  Paßgeschichten.  Ein 
Amt  weiß  nicht,  was  das  andere  verlangt.  Aber 
schließlich,  Krieg  ist  — 

Der  Nörgler:  Krieg,  das  ist  ja  bekannt.  Aber 
noch  lästiger  als  sich  von  diesem  Staat  etwas  verbieten 
zu  lassen,  ist,  sich  von  ihm  etwas  erlauben  zu  lassen.  Und 
dann  muß  man  ja  einen  »triftigen  Grund«  angeben. 


422 


Der  Optimist:  Nun,  und  Sie  haben  keinen? 

Der  Nörgler:  Eine  Fülle.  Die  Aussicht  in  der 
Schweiz  ein  Butterbrot  zu  bekommen,  möchte  ich 
nicht  geltend  machen.  Eher  schon  die  Summe  aller 
Gründe:  das  Bewußtsein,  in  Österreich  zu  leben.  Die 
Behörden  würden  sich  Schreibereien  ersparen,  wenn 
man  vor  der  Ausreise  einen  triftigen  Grund  anführen 
müßte,  um  hier  zu  bleiben.  Aber  ein  triftiger  Grund, 
um  auf  und  davon  zu  gehen,  ist  allein  schon  die 
Frage,  ob  man  einen  hat.  Sie  ist  allerdings  nicht 
bloß  ein  triftiger  Grund  zur  Ausreise  — 

Der  Optimist:  Sondern? 

Der  Nörgler:  Zur  Auswanderung. 

Der  Optimist:  Sie  werden  also  leicht  einen 
finden.  Wofür  würden  denn  Sie  mit  Ihrer  Dialektik 
keinen  triftigen  Grund  finden! 

Der  Nörgler:  Zur  Rückkehr. 

(Verwandlung.) 

3.  Szene 

Ein  Bahnhof  bei  Wien. 

Eine  fünfhundertköpfige  Herde  steht  vor  dem  herabgelassenen 

Kassenschalter  seit  zwei  Stunden. 

Ein  Wiener:  In  zehn  Minuten  kummt  er. 

Ein  zweiterWiener  (zum  Portier; :  Bitt  schön 
wann  kummt  er  denn? 

Der  Portier:  No  so  um  a  siebene  kummt 
er  gern. 

Ein  dritter:  No  aber  jetzt  is  eh  scho  drei- 
viertel auf  acht. 

Der  Portier:  Richti,  do  schau.  No  heut  hot 
er  eh  zwarahalb  Stund  Verspätung.  Is  eh  ongschrieben. 

Der  Nörgler:  Kann  man  sich  darauf  verlassen? 

Der  Portier  (gereizt):  Ah  wos,  wos  waß  denn  i, 
die  wissen  an  Dreck,  und  wonn  s'  wos  wissen,  wern  s' 
es  do  net  dem  Publikum  auf  d'  Nosn  binden! 

Der  Nörgler:  Ja  aber  warum  denn  nicht? 


423 


Der  Portier:  Weil  s'  selber  an  Dreck  wissen! 

Der  Nörgler:  Aber  es  is  doch  angeschrieben. 

Der  Portier:  Jo,  ongschrieben,  ongschrieben, 
aber  kummen  tut  er  deßtwegen  halt  do  später! 

Der  Nörgler:  Is  das  die  Regel? 

Der  Portier:  Na,  a  Regel  is  grad  net,  aber 
dös  müßt  rein  a  Ausnahm  sein,  daß  er  pünktlich 
nach  der  Verspätung  kummt. 

Der  Nörgler:  Ja,  aber  warum  wird  denn  dann 
die  Verspätung  angeschrieben? 

Der  Portier:  Weil  dös  eben  ka  Mensch  net 
wissen  kann.  Dö  draußt  mölden  's  net  herein  und 
dö  herint  sogen  nix. 

E  i  n  V  i  e r t e  r :  Mir  scheint  gar,  jetztn  kummt  er! 

Der  Portier:  No  olstan,  sehn  S',  dös  is  rein 
der  reine  Zufall. 

Der  Nörgler:  Ja,  aber  wie  kommt  denn  das? 

Der  Portier:  Mei  liaber  Herr,  do  nutzt  ka 
Nürgeln,  da  müassn  S'  wem  ondern  frogen.  Dös  san 
halt  die  Verspätungen!  Wir  herint  kriagn  kane 
Möidung  nicht  und  dö  draußt  sogen  nix  —  ietzn  bei 
dem  Verkehr  kann  ma  halt  nix  machn,  jetzt  is  Kriag! 

Ein  fünfter:  Der  Zug  kommt! 

Ein  sechster:  Der  Kassier  schloft! 

Rufe:  Was  is  denn?!  —  Aufmachen!  —  (Der 
Nörgler  schlägt  mit  dem  Stock  auf  den  Schalter.)  So  is  recht! 

(Der   Schalter   geht   in   die  Höhe.    Das   österreichische   Antlitz 

erscheint.  Es  ist  von  außerordentlicher  Unterernährtheit,  jedoch 

von  teuflischem  Behagen  gesättigt.  Ein  dürrer  Zeigefinger  scheint 

hin-  und  herfahrend  alle  Hoffnung  zu  nehmen.) 

Das  österreichische  Antlitz:  Wird  kane 
Koaten  ausgeben!  Wird  kane  Koaten  ausgeben! 

(Murren,  das  sich  zum  Tumult  steigert.  Es  bilden  sich  Gruppen.) 

Ein  Eingeweihter:  Kummts,  i  zeig  enk  ein 
Hintertürl!  Da  brauch'  mr  überhaupt  kane  Koaten! 
^AUe  ab  durch  das  Hintertürl.) 

(Verwandlung.) 


424 


4.  Szene 

Kohlmarkt.  Vor  dem  Schaufenster  einer  Büderhandhitig. 

Margosches:  Eines  unserer  gediegensten 
Geschäfte  für  Künste  und  so. 

Wolffsohn:  PräChtich!  (Er  betrachtet  die  Auslage.) 
Was  mir  in  eurem  lieben  Wien  sympathisch  auffällt, 
ist,  daß  ihr  noch  im  vierten  Kriegsjahr  an  den 
Sinnbildern  der  Nibelungentreue  festhaltet.  Überall 
sieht  man  doch  euern  guten  alten  Kaiser  Schulter 
an  Schulter  mit  dem  unsern;  er  will  nicht  loskommen, 
denn  er  kann  nicht,  sie  sind  unzertrennlich.  Ach 
und  da  ist  ja  S.  M.  im  Reichstach,  die  historische 
Sitzung,  in  der  er  das  Schwert  zieht.  Na  wissen 
Se,  lieber  Kommerzialrat,  das  war  'n  Tach!  —  Wer 
ist  denn  der  olle  Dicke  da? 

Margosches:  Das  is  doch  der  Erzherzog 
Friedrich ! 

Wolffsohn:  Ttichtjer  Mann! 

Margosches:  Sehn  Sie  sich  an,  das  ganze 
Erzhaus ! 

Wolffsohn:  Sieh  mal,  lauter  Charakterköpfe, 
jeder  'ne  Nummer.  Ach,  und  da  habt  ihr  sogar  das 
schöne  Bild,  wie  unser  Kaiser  weint. 

Margosches:  No  und  das  Bild,  wo  unser 
Kaiser  weint?  Dorten! 

Wolffsohn:  Nicht  doch,  das  is  nur  'n 
Schangerbild,  er  könnte  auch  beten.  Aber  der  unsre 
ist  an  der  Front  bei  seinen  Soldaten  und  da  hat 
denn  der  Maler  richtje  Tränentropfen  rinjemalt. 

Margosches:  Das  da  is  eines  der  greßten 
Malereien,  »Die  große  Zeit«.  Da  is  auch  unser 
Kaiser  mitten  drin  in  der  Schlacht! 

Wolffsohn:  Ja,  so  siehste  aus.  Mächtich 
intressant.  Da  reiten  se  alle  feste  druff,  euer  alter 
Kaiser  und  S.  M.,  unser  Hindenburch  und  euer 
Hützendorf  —  da  könnte  sich  manch  ein  Drücke- 
berger 'n  Beispiel  nehmen. 


425 


Margosches:  Kennen  Sie  das  hier,  Herr 
Kommerzienrat?  Das  hab  ich  mir  sagen  lassen,  soll 
von  Theodor  Körner  sein. 

Wolffsohn:  Doch.  Ist  ja  berühmt!  'ii 
stimmungsvolles  Bild,  'n  prächtjer  Junge.  (Er  liest) 
»Vater,  ich  rufe  dich,  's  ist  ja  kein  Kampf  um  die 
Güter  der  Erde!«  (im  Abgehn.)  Ja,  ich  sage  Ihnen, 
siegen  müssen  wa,  siegen!  Denn  geht  die  Valuta 
von  alleine  in  die  Höhe. 

(Verwandlung.) 


5.  Szene 

Zwei  Dichter  im  Gespräch. 

Der  Dichter  Strobl:  —  Und  all  das  Grün 
mit  Mondlicht  durchwirkt,  weit  hinaus  ergossen,  bis 
zu  fernen,  weißglänzenden  Häusern  und  dunklen 
Bergen,  wie  Eichendorffs  allerholdseligstes  Somm.er- 
nachtsgedicht  .  .  .  (versinkt  in  Träumerei)  Wie  ich  wieder 
aus  dem  dunklen  Saal  auf  die  Terrasse  trete,  hat  der 
Fähnrich  sein  großes  Taschenmesser  in  der  Hand, 
schneidet  ein  Stück  Geselchtes  herunter  und  sagt  so 
beiläufig  und  obenhin:  »Mit  diesem  Messer  hab  ich 
ein  paar  Katzeimachern  den  Hals  abgeschnitten.« 
(Nach  einer  Pause,  versonnen)  War  ein  braver  Junge! 

Der  Dichter  ErtI:  Welch  ein  Erleben!  Ich 
beneide  Sie.  (Er  sinnt.)  Ich  habe  einen  Plan  fjefaßt. 
Ich  werde  vorschlagen,  die  siebente  Kriegsanleihe 
»Wahrheilsanleihe«  zu  nennen. 

Der  Dichter  Strobl:  Fürwahr  ein  sinniger 
Gedanke.  Aber  warum? 

Der  Dichter  Ertl:  Weil  unser  Sieg  der 
Wahrheit  endlich  doch  zu  ihrem  Rechte  verhelfen 
muß  und  wird!  Weil  die  Bedingung  erfolgreicher 
Friedensverhandlungen  die  Wahrheit  sein  muß, 
nämlich :    amtliche  Richtigstellung   aller  Lügen   und 


426 


Verleumdungen,  mit  denen  unwürdige  Machthaber 
und  Zeitungsschreiber  der  Ententeländer  ihre  eigenen 
Völker  und  die  Welt  betrogen,  vergiftet  und  mißleitet 
haben.  (Strobl  drückt  ihm  stumm  die  Hand.  Sie  schreiten  fürbaß.) 

(Verwandlung.) 

6.  Szene 

Kommers.  Hindenburg-Feier. 

Ein    A.  H.: Bierehrliche    Seelen!    So 

beherziget  denn,  was  euch  die  Deutsche  Korpszeitung 
ans  Herz  legt.  (Liest  vor.)  Und  die  Möglichkeit  des 
Vieltrinkens  und  des  Vieltrinkenlassens  ist  auch 
notwendig.  Verbieten  wir  das  Resttrinkenlassen,  so 
kann  jederzeit  jeder  trinkfeste  Fuchs  jeden  weniger 
vertragenden  Korpsburschen  in  Grund  und  Boden 
trinken,  und  die  Autorität  ist  hin,  oder  aber  wir 
schaffen  die  Bieiehrlichkeit  und  damit  die  Grundlage 
jeder  Kneipgemütlichkeit  ab.  Verbieten  wir  das 
Vollpumpen,  so  geben  wir  ein  Erziehungsmittel  aus 
der  Hand.  (Rufe:  »So  ist  es!«  »Tempus  für  Platz  und  Stoff!«) 
Ich  bitte,  diese  Worte  nicht  aus  dem  Zusammenhang 
gerissen  zu  zitieren.  Unser  Korpsleben  soll  doch 
eine  Kette  von  Erziehungsversuchen  darstellen.  Und 
jeder  Korpsstudent  wird  bestätigen,  daß  er  nie  mehr 
im  Leben  so  deutlich,  so  ungeschminkt,  so  unglaub- 
lich grob  manchmal  die  Wahrheit  zu  hören  bekam 
wie  im  Korps.  Und  wie  kam's,  daß  er  sich  das 
gefallen  ließ?  So  lächerlich  es  klingt:  infolge  der 
Kneipe!  Die  Kneipe  ist  für  uns,  was  der  vielgelästerte 
Kasernenhofdrill,  der  Parademarsch  für  den  Soldaten. 
(Rufe:  Hurra!)  So  wie  dort  das  hundertmal  wiederholte 
»Knie  beugt!«  nacheinander  Faulheit,  Wurstigkeit, 
Trotz,  Wut,  Schlappheit  und  Ermattung  überwindet 
und  aus  dem  Gefühl  hilfloser  Ohnmacht  und  völliger 
Willenlosigkeit  vor  dem  Vorgesetzten  die  Disziplin 
hervorgehen  läßt  (Rufe:  Hurra!)  —  SO  bietet  bei  uns  das 
»Rest  weg!«  dem  Älteren  vor  dem  Jüngeren  immer 


427 


eine  Gelegenheit,  seine  unbedingte  Überlegenheit 
zu  zeigen,  zu  strafen,  Abstand  zu  wahren,  die  Atmo- 
sphäre zu  erhalten,  die  für  das  ständige  Erziehungs- 
werk des  Korps  unbedingtes  Erfordernis  ist,  wollen 
wir  nicht  Klubs  werden.  (Rufe:  Beileibe  nich!)  Das 
»Rest  weg«  ist  natürlich  nicht  immer,  nicht  bei 
jedem  angebracht,  aber  es  muß  über  der  Kneipe 
schweben  wie  das  »Knie  beugt ! «  über  jedem 
Kasernenhof! 

Alle:  Hurra!  Hurra  I  Hurra!  (Anstoßen)  Rest  weg! 

Ein  Fuchs  (schwingt  das  Hindenburg-Heft  der 
(Jugend'  und  singt  nach  der  Melodie  >Als  die  Römer  frech 
geworden«): 

Darauf  hat  er  kurz  besonnen, 
Gleich  den  Feldzugsplan  begonnen. 
Schon  im  Eisenbahncoupe 
Sprach  er:  »In  den  Narewsee!« 

Und  kaum  daß  er  angekommen, 
Sind  die  Russen  schon  geschwommen 
In  dem  See  bei  Molch  und  Lurch. 
Ja,  so  war  der  Hindenburch ! 

Dreimal  so  zu  Frosch  und  Unke 
Tauchte  er  sie  in  die  Tunke. 
Jeder  Tümpel,  Sumpf  und  Teich 
War  verrußt  bis  an  das  Aich  ! 

Alle:  Hindenburch  Hurra!  Hurra!  Hurra  I 
Rest  weg ! 

(Verwandlung) 

7.  Szene 

Ärzteversammlung  in  Berlin. 

Ein  Psychiater: Meine  Herrn!    Der 

Mann  ist  der  eigenartigste  Fall,  der  mir  bis  heute 
untergekommen  ist.  Ein  gütiges  Geschick  hat  mir  ihn 
aus  der  Schutzhaft  zugeführt.  Da  es  offenbar  so  viele 
Jahre  Zuchthaus  gar  nicht  gibt,   als   der   Mann   für 


428 


seine  Verbrechen  zu  erwarten  gehabt  hätte,  so  mußte 
man  nolens  volens  an  die  Psychiatrie  appellieren. 
Hier  ist  mal  ein  Fall,  wo  nicht  gefragt  werden  muß, 
ob  der  Verbrecher  für  die  Tat  subjektiv  verantwortlich 
ist,  vielmehr  ist  die  Tat  selbst  der  Beweis  für  die  auf- 
gehobene Verantwortlichkeit.  Um  Ihnen,  meine  Herrn, 
gleich  die  volle  Anschauung  der  Unzurechnungs- 
fähigkeit des  Patienten  zu  vermitteln,  will  ich  nur 
hervorheben,  daß  der  Mann  coram  publico  die  Ansicht 
ausgesprochen  hat,  daß  die  Ernährungslage  Deutsch- 
lands ungünstig  sei!  (Bewegung.)  Mehr  als  das:  Der 
Mann  zweifelt  am  Endsieg  Deutschlands!  (Unruhe.) 
Aber  nicht  genug  daran  —  der  Mann  behauptet 
dieUnzweckmäßigkeit  des  verschärften  U-Bootkrieges, 
ja  des  U-Bootkrieges  überhaupt  —  denn  ich  habe 
mich  sogleich  überzeugt,  daß  er  die  Waffe  als  solche 
ablehnt  und  zwar  nicht  nur  weil  er  sie  für  unzweck- 
mäßig, sondern  weil  er  sie  geradezu  für  unsittlich 
hält!  (Erregte Zurufe.)  Meine  Herrn,  wir  als  Männer  der 
Wissenschaft  haben  die  Pflicht,  kaltes  Blut  zu  bewahren 
und  dem  Gegenstand  unsrer  Entrüstung  nur  als 
einem  Objekt  unsrer  Forschung  gegenüberzustehn, 
sine  ira,  jedoch  cum  studio.  (Heiterkeit.)  Meine  Herrn, 
ich  erfülle  hier  die  traurige  Pflicht,  Ihnen  ein 
volles  Bild  der  Geistesverwirrung  des  Patienten  zu 
entwerfen  und  ich  muß  Sie  bitten,  weder  diesen 
Unglücklichen  noch  auch  mich  als  den  zufälligen 
Demonstranten  einer  abscheuerregenden  Form  von 
Irresein  verantwortlich  zu  machen.  Seine  Verantwort- 
lichkeit ist  durch  die  Krankheit,  meine  durch  die 
Wissenschaft  aufgehoben.  (Rufe:  >So  ist  es!«)  Meine 
Herrn,  der  Mann  leidet  an  der  fixen  Idee,  daß  Deutsch- 
land durch  eine  »verbrecherische  Ideologie«,  wie  er 
den  hehren  Idealismus  unsrer  Obrigkeiten  nennt,  dem 
Untergang  entgegengetrieben  werde,  er  findet,  daß 
wir  verloren  sind,  wenn  wir  uns  nicht  auf  dem 
Höhepunkte  unsres  Siegeslaufs  für  geschlagen  erklären, 
daß  unsreRegierunfr,unsre  militärischen  Machthaber  — 


429 


beileibe  nicht  die  englischen  (Oho!-Rufe) — Schulddaran 
tragen,  daß  unsre  Kinder  sterben  müssen!  (Pfuü-Rufe.) 
Schon  durch  die  Behauptung,  daß  unsre  Kinder  sterben 
müssen,  daß  also  unsre  Ernährungslage  ungünstig  sei, 
wäre  ja  die  SinnesverwirrungdesMannes  glatt  bewiesen. 
(Rufe:  »So  ist  es!«)  Ich  habe  Ihnen  nun,  meine  hochverehrten 
Kollegen  von  derinterncnMedizin,  denFall  entwickelt, 
damit  Sie  den  Versuch  machen  mögen,  auf  den 
Patienten  durch  Mitteilung  Ihrer  Erfahrungen  über 
den  Gesundheitszustand  der  deutschen  Bevölkerung 
im  Kriege  einzuwirken.  Von  der  Art  seiner  Reaktion 
erhoffe  ich  mir  eine  Vervollständigung  des  klinischen 
Bildes,  wenn  nicht  dessen  Berichtigung  nach  jener 
Richtung,  in  der  sich  vielleicht  doch  die  kriminelle 
Verantwortlichkeit  nachweisen  ließe,  da  man  ja  nichts 
unversucht  lassen  darf  —  in  der  Hoffnung  also,  daß 
der  Patient  unter  der  Einwirkung  Ihrer  maßgebenden 
Darlegungen  sich  zu  Äußerungen  hinreißen  lassen 
werde,  die  uns  die  Entscheidung  nach  der  einen 
oder  der  andern  Richtung  leichter  machen.  (Ein  Ruf: 
»Wir  wolln  det  Kind  schon  schaukeln!«) 

Der  Irrsinnige:Wenn  unter  Ihnen  einervonden 
93  Intellektuellen  ist,  verlasse  ich  den  Saal!  (Oho!-Rufe.) 

Der  Psychiater:  Ich  will  hoffen,  meine 
Herrn,  daß  Sie  diesen  Ausbruch  weniger  als  Insulte, 
denn  als  Symptom  werten  werden.  Ich  selbst  habe, 
wie  Sie  alle  wissen,  jenen  Protest,  der  als  ein  Mark- 
stein aus  großer  Zeit  in  den  Annalen  fortleben  wird, 
unterzeichnet,  und  ich  bin  stolz  darauf.  Ich  bitte 
nunmehr  den  verehrten  Kollegen  Boas,  einen  Versuch 
mit  dem  Patienten  vorzunehmen. 

Professor  Boas  (tritt  vor):  Ich  habe  schon 
wiederholt  die  Erklärung  abgegeben  und  ich  bekräftige 
aufs  neue,  daß  eine  Beeinträchtigung  unsrer  Volks- 
gesundheit durch  die  Einschränkung  der  Lebens- 
mittel nicht  stattgefunden  hat.  (Rufe:  »Hört!  Hört!«)  Als 
Tatsache  kann  betrachtet  werden,  daß  wir  mit  der 
Hälfte  der  früher  verbrauchten   Eiweißration   unsrer 


430 


Nahrung,  ohne  Beeinträchtigung  von  Kraft  und 
Arbeitsfähigkeit  auskamen,  ja  sogar  unser  Gewicht 
und  körperliches  Wohlbefinden  noch  steigern  konnten. 

Der  Irrsinnige:  Sie  versorgen  sich  vermut- 
lich  im   Schleichhandel!  (Erregte  Zurufe.) 

Der  Psychiater:  Meine  Herrn,  bedenken 
Sie  den  Geisteszustand  —  bitte  Herr  Kollege,  wie 
steht  es  mit  der  Säuglingssterblichkeit,  ein  Punkt, 
der  in  der  Phantasie  unsres  Patienten  ständig 
wiederkehrt. 

Professor  Boas:  Es  hat  sich  gezeigt,  daß 
von  einer  ungünstigen  Einwirkung  der  Ernährungs- 
verhältnisse auf  die  Säuglingssterblichkeit  keine 
Rede  sein  kann. 

Der  Irrsinnige:  —  sein  darf,  mein  Herr! 
(Rufe:  >Maul  halten!«) 

Der  Psychiater:  Was  erhoffen  Sie  sich, 
Herr  Kollege,   von  einer  Fortsetzung  des  Krieges? 

Professor  Boas:  Wir  haben  mit  steigender 
Wohlhabenheit  und  Zunahme  der  Luxusernährung 
Raubbau  an  unsrer  Gesundheit  getrieben;  jetzt 
haben  Millionen  von  Menschen  unter  dem  Druck  der 
Entbehrungen  den  Weg  zur  Natur  und  Einfachheit 
der  Lebensführung  zurückzufinden  gelernt.  Sorgen 
wir  dafür,  daß  die  heutigen  Kriegslehren  unsrer 
zukünftigen  Generation  nicht  wieder  verloren  gehen. 
(Rufe:  Bravo!) 

Der  Irrsinnige:  Der  Mensch  hat  ganz  recht  — 
die  vom  Kurfürstendamm  haben  vor  dem  Krieg 
zu  viel  gefressen.  Sie  fressen  aber  auch  jetzt  noch  zu  viel. 
Da  hat  sich  die  Ernährungslage  tatsächlich  gar  nicht 
verschlechtert.  Was  aber  die  zukünftige  Generation 
der  übrigen  Bevölkerung  anlangt,  jener  Kreise,  die 
nicht  Boas  wegen  Fettleibigkeit  konsultieren  —  was 
die  zukünftige  Bevölkerung  Deutschlands  anlangt, 
so  sehe  ich  sie  rhachitisch  zur  Welt  kommen! 
Kinder  als  Invalide!  Wohl  denen,  die  im  Krieg 
gestorben  sind  —  die  im  Krieg  geboren  sind,  tragen 


431 


Prothesen!  Ich  prophezeie,  daß  der  Wahnsinn  des 
Durchhaltens  und  der  elende  Stolz  auf  die  Verluste 
der  Andern,  der  deutsche  Männer  ebenso  auszeichnet, 
wie  deutsche  Megären  die  Begeisterung  für  den  Helden- 
tod ihrer  Söhne  —  daß  dieser  perverse  Geistes- 
zustand einer  Gesellschaft,  die  in  einer  organisierten 
Glorie  atmet  und  sich  von  Selbstbetrug  nährt, 
ein  verkrüppeltes  Deutschland  hinterlassen  wird! 
(Pfui-Rufe!)  Was  diesen  Boas  betrifft,  so  fordere  ich 
ihn  auf,  zu  bestreiten,  daß  bisher  rund  800.000  Personen 
der  Zivilbevölkerung  Hungers  gestorben  sind,  im 
Jahre  1917  allein  um  50.000  Kinder  und  127.000  alte 
Leute  mehr  als  im  Jahre  1913;  daß  im  Haibjahr  1918 
mehr  Deutsche  —  um  70  Prozent  mehr  —  an  Tuber- 
kulose starben  als  damals   im   ganzen   Jahr!    (Rufe: 

»Schluß!  Schluß!«  »Jemeinheitl«) 

Der  Psychiater:  Sie  sehen  meine  Herrn, 
wie  es  um  den  Mann  steht.  Ich  danke  dem  verehrten 
Kollegen  Boas  und  ersuche  nunmehr  Herrn  Kollegen 
Zuntz,  einen  Versuch  anzustellen.  Ich  bitte  den  ver- 
ehrten Kollegen,  sich  dahin  zu  äußern,  ob  die  deutsche 
Lcistungsfähigkeit,dieses  kostbarste  Nationalgut,durch 
die  Ernährung  auch  nur  im  mindesten  gelitten  hat. 

Professor  Zuntz:  Verminderte  Leistungs- 
fähigkeit kommt  bei  der  jetzigen  Ernährung  nicht 
in  Furage.  Allerdings  wird  in  weiten  Kreisen  eine 
Unterernährung  dadurch  herbeigeführt,  daß  die  Leute 
keine  Lust  haben  zur  Aufnahme  ausreichender  Mengen 
der  wenig  konzentriert  vegetabilischen  Nahrungsmittel. 

Der  Psychiater:  Wenn  ich  den  verehrten 
Kollegen  recht  verstehe,  so  hätte  es  sich  die  Be- 
völkerung selbst  zuzuschreiben.  Denn  zu  einer 
Unterernährung  läge  objektiv  keine  Ursache  vor? 

Professor  Zuntz:  Nein. 

Der  Psychiater:  Aber  die  Unterernährung, 
soweit  sie  herbeigeführt  wird  oder  sagen  wir:  wenn 
sie  überhaupt  herbeigeführt  wird,  hat  keine  nach- 
teiligen Folgen? 


432 


Professor  Zuntz:  Nein. 

Der  Psychiater  (zum  irrsinnigen):  Darauf  wissen 
Sie  wohl  nichts  zu  erwidern? 

Der  Irrsinnige:  Nein. 

Der  Psychiater:  Zu  allem  hat  er  seine 
koddrige  Schnauze,  aber  da  schweigt  er  betroffen! 
Ich  danke  dem  verehrten  Kollegen  Zuntz  und  ersuche 
nunmehr  Rosenfeld-Breslau,  den  wir  als  Gast  der 
Berliner  Falkuliät  zu  begrüßen  die  Ehre  haben,  einen 
Versuch  anzustellen. 

Professor  Rosenfeld,  Breslau:  Unsre 
Bevölkerung  ist  bei  aller  Unterernährung  gesünder 
geworden  und  die  große  Angst  um  die  Unter- 
ernährung hat  sich  als  müßig  erwiesen.  Im  Gegenteil: 
die  Überernährung  der  Friedenszeit  stellt  eine 
größere  Gefährdung  des  Lebens  dar  als  die 
Kostknappheit  der  Kriegsjahrc.  Die  Statistik  hat 
gezeigt,  daß  in  der  weiblichen  Bevölkerung  fast  alle 
Krankheiten  in  den  Kriegsjahren  weniger  Todesfälle 
gezeitigt  haben  als  im  Frieden.  Jedenfalls  können 
wir  unsre  Betrachtungen  dahin  zusammenfassen, 
daß  die  Kriegskost  die  Widerstandsfähigkeit  des 
Volkes  weder  gegen  die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Krankheiten  noch  gegen  Erkrankungen  noch  gegen 
Anstrengungen  in  irgendeinem  erkennbaren  Maße 
herabgesetzt  hat. 

Der  Irrsinnige:  Nur  gegen  die  Verlogenheit 
der  Professoren!   (Lebhafte  Entrüstungsrufe.) 

Eine  Stimme:  Machen  Sie  sich  hier  nicht 
unnütz! 

Zweite  Stim.me:  Rraus  mit  dem  Kerl! 

Dritte  Stimme:  Da  müßt 'n  Schutzmann  ran! 

Der  Vorstand  des  Ärzteausschusses  von 
Groß-Berlin:  Ich  benütze  die  Gelegenheit  dieses 
Skandals,  um  meine  Stimme  zu  einem  nachdrücklichen 
Appell  zu  erheben.  Kollegen!  Ihr  seid  die  Beichtväter 
eurer  Kranken,  ihr  habt  die  vaterländische  Pflicht, 
mündlich  und  in  jeder  andern  Form  aufklärend  und 


433 


belehrend  zum  Durchhalten  zu  ermutigen!  Den  Klein- 
mütigen müßt  ihr  aufs  schärfste  entgegentreten! 
Unbegründete  und  oft  böswillig  oder  leichtfertig 
verbreitete  ungünstige  Gerüchte  weiset  zurück!  Wir 
Heimgebliebenen  können,  sollen  und  werden  durch- 
halten! Kollegen!  Die  einfache  Lebensweise  und 
Kost,  das  Maßhalten  in  der  Aufnahme  von  Eiweiß- 
körpern und  Fett  ist  vielen  gesundheitsdienlich 
gewesen ! 

Der  Irrsinnige:  Den  Wucherern  und  den 
Ärzten!   (Rufe:  »Das  ist  Unjebühr!<    »Rraus  mit  dem  Kerllc) 

Der  Vorstand  des  Ärzteausschusses  von 
Groß- Berlin:  Schulärzte  haben  einwandfrei  fest- 
gestellt — 

Der  irrsinnige:  —  daß  Deutschland  erfolgreich 
mit  Lügen  belegt  worden  ist!  (Pfui-Rufe!) 

Der  Vorstand  des  Ärzteausschusses  von 
Groß-Berlin  :  —  daß  die  erste  Jugend  keine  gesund- 
heitliche Schädigung   gegen   früher   erkennen   läßt! 

Der  Irrsinnige:  Die  Zunahme  der  Sterblichkeit 
beträgt  nur  37  Prozent!  (Rufe:  >Maul  halten!«  •-. Vaterlands- 
loser Jeselle!«) 

Der  Vorstand  des  Ärzteausschusses  von 
Groß-Berlin:  Die  Kindersterblichkeit  ist  zurück- 
gegangen. Erst  kürzlich  hat  ein  erster  Fachmann 
nachgewiesen,  daß  es  den  Säuglingen  noch  nie  so  gut 
gegangen  ist  wie  jetzt.  (Rufe:  >So  ist  es!«)  Die  Kranken- 
häuser sind  weniger  überfüllt  als  früher. 

Der  Irrsinnige:    Weil    alle    tot   sind!    (Lärm.) 

Eine  Stimme:    Das  soll  der  Kerl  beweisen! 

Der  Irrsinnige:  Die  Berichte  mancher  Anstalts- 
ärzte klingen  verzweifelt,  wenn  sie  den  Hunger  der 
Insassen  schildern,  die  weggeworfene  Kohlstrünke 
und  allerlei  Unverdauliches  zu  verschlingen  suchen, 
um  nur  die  Hungerqual  zu  stillen.  Der  von  einem 
Siechenhaus  eingeforderte  Bericht  lautet  lakonisch: 
Die  Insassen  sind  alle  gestorben.  —  Die  aber  lebend 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  28 


434 


hier  versammelt  sind,  sind  zu  Gutachten  kommandiert 
worden  und  werden  erst  nach  dem  unvermeidlichen 
Zusammenbruch  der  Lüge  und  des  Reichs  den  Mut 
zur  Wahrheit  finden!  Dann  aber  wird  es  zu  spät  sein 
und  kein  Geständnis  wird  ihnen  die  Verachtung  des 
Auslands  ersparen.  Denn  die  deutsche  Wissenschaft 
ist  eine  Prostituierte,  ihre  Männer  sind  ihre  Zuhälter! 
Was  hier  versammelt  ist,  um  im  Dienste  der  großen 
Lüge  des  Generalstabs  das  Kindersterben  in  Abrede 
zu  stellen  und  aus  schwarz  weiß  zu  machen,  trägt 
mehr  Blutschuld  als  jene,  die  rot  gemacht  haben!  Die 
93  Intellektuellen,  die  da  einst  ausriefen  »Es  ist  nicht 
wahr!«  und  »Wir  protestieren!«,  die  das  Pathos  der  Lüge 
mit  ihrem  Protest  gegen  die  deutsche  Ehre  eröffnet 
haben,  und  jene,  die  zu  ihnen  gestoßen  sind,  haben 
die  deutsche  Kultur  von  Goethe  und  Kant  und  allen 
guten  Geistern  Deutschlands  weiter  abgezogen  als 
selbst  die  romantischen  Mordbrenner,  unter  deren 
Zwang  sie  lügen!  Unter  der  Hand  solcher  Ärzte  wird 
die  Welt,  die  vom  deutschen  Wesen  angesteckt  zu 
werden  fürchtet,  an  ihm  sicher  nicht  genesen  —  und 
daß  bei  so  viel  Professoren  das  Vaterland  verloren 
ist,  sagt  ein  deutscher  Reim!  (Es  erhebt  sich  ein  unge- 
heurer Lärm.  Man  hört' die  Rufe:  »Es  ist  nicht  wahr!«  und  >Wir 
protestieren!«  Einige  Professoren  wollen  sich  an  dem  Irrsinnigen 
vergreifen  und  werden  von  anderen  zurückgehalten.) 

Der  Psychiater:  Meine  Herrn!  Wir  waren 
soeben  Zeugen  des  wildesten  Ausbruches  eines  Vater- 
landshasses, der  unmöglich  auf  deutschem  Boden 
gewachsen  sein  kann.  Die  Reaktion  des  Patienten 
auf  die  Experimente  der  verehrten  Kollegen  Boas, 
Zuntz  und  Rosenfeld-Breslau,  und  namentlich  auf 
die  gehalt-  und  lichtvollen  Darlegungen  des  verehrten 
Vorstandes  des  Ärzteausschusses  Groß-Berlin,  für  die 
ich  dem  verehrten  Kollegen  noch  wärmstens  danken 
muß,  hat  mir  klar  bewiesen,  daß  der  Mann  nicht 
geistesgestört,  sondern  von  der  Entente  bezahlt  ist! 
Wir  haben  es  mit  einem  akuten  Fall  von  Northcliffe- 


435 


Propaganda  zu  tun,  deren  chronische  Ausbreitung 
zu  verhindern  gerade  die  Ärzteschaft  Groß-Berlins 
verpflichtet  ist.  Schon  hat  das  Gift  des  Pazifis- 
mus auch  in  gesunde  Hirne  Eingang  gefunden, 
und  der  zu  weit  getriebene  Idealismus  der  Kriegs- 
gegner ermutigt  Weichlinge  und  Drückeberger  zu 
einem  Verhalten,  das  mit  das  schlimmste  Übel  ist, 
an  dem  der  deutsche  Volkskörper  krankt.  Tritt  dazu 
noch  eine  verbrecherische  Propaganda,  so  ist  alsbald 
ein  Zustand  geschaffen,  der  danach  angetan  ist,  knapp 
vor  dem  Endsieg  unsern  Unternehmungsgeist  zu 
lähmen.  Es  ist  der  Geist  der  Flaumacherei,  der  dem 
Feind  den  Rücken  stärkt  und  uns  die  Schwingen 
lähmt  in  einem  Verteidigungskrieg,  den  britischer  Neid 
(Ein  Zwischenruf:  >Britischer  Krämergeist!«),  französischer 
Revanchedurst  (Zwischenrufe:  >Und  russische  Raubgier!«) 
—  und  russische  Raubgier  uns  aufgezwungen 
haben.  Hier  haben  wir  einmal  einen  typischen  Fall 
vor  uns.  Ich  kann  nicht  umhin  zu  betonen,  daß 
der  Mann  mir  von  vornherein  bedenklich  war, 
und  nunmehr  habe  ich  die  Überzeugung  gewonnen, 
daß  wir  es  mit  einem  ganz  schweren  Jungen  zu 
tun  haben.  So  spricht  kein  Geisteskranker,  meine 
Herrn,  so  spricht  ein  Vateriandsverbrecher!  Ich 
kann  Ihnen,  meine  Herrn,  des  weiteren  verraten, 
daß  der  Mann  durch  sein  reueloses  Verhalten  während 
der  Schutzhaft,  wo  er  die  empörenden  Angriffe 
gegen  alles  was  dem  Deutschen  heilig  ist  fortsetzte, 
ja  sich  sogar  zu  einer  abfälligen  Bemerkung  über 
das  Wolffsche  Büro  hinreißen  ließ  (Bewegung)  —  die 
Aufmerksamkeit  der  höchstenKreise  erregt  hat  und  daß 
sogar  eine  Persönlichkeit,  die  uns  allen  ehrwürdig  ist 
(Die  Versammelten  erheben  sich)  —  unser  Kronprinz,  die 
Äußerung  getan  hat,  man  sollte  dem  Kerl  eins  in 
die  Fresse  hauen.  (Rufe:  »Hurra!«)  Es  wird  von  der  Ent- 
schließung der  betreffenden  höchsten  Stelle  abhängen, 
ob  eine  solche  Remedur,  die  etwa  als  Strafverschärfung 
in  Aussicht  zu  nehmen  wäre,  zur  Anwendung  gelangen 


28* 


436 


soll.  Unsres  Amtes,  meine  Herrn,  ist  es,  uns  glatt  für 
inkompetent  zu  erklären,  da  die  medizinische  Wissen- 
schaft mit  diesem  Fall  nichts  zu  schaffen  hat,  und  ihn 
der  Obhut  der  maßgebenden  kriminellen  Faktoren 
zu   übergeben.   (Öffnet  die  Tür  und  ruft)  Schutzmann! 

Schutzmann  Buddicke  (erscheint):  Im  Namen 
des  Gesetzes  —  na  kommen  Se  man  miti 

(Ab  mit  dem  Irrsinnigen.  Die  Versammelten  erheben  sich  und 
stimmen  die  Wacht  am  Rhein  an.) 


8.  Szene 

Weimar.  Frauenklinik. 

Professor  Henkel:  Ist  nichts  mehr  zum 
operieren  da?  Seine  Hoheit  wird  gleich  da  sein 
und  ich  habe  ihm  zugesagt  —  ich  wollte  ihm 
Gelegenheit  geben,  mal  einer  Operation  als  Zuschauer 
beizuwohnen.  Also? 

Professor  Busse:  Wir  haben  nichts. 

Henkel:  Wir  müssen  aber  noch  etwas  operieren. 

Busse:  Es  ist  nichts  da. 

Henkel:  Sie  haben  doch  noch  einen  Fall. 
Bringen  Sie  den  mal  rein. 

Busse:  Aber  —  die  Patientin  hat  gerade 
gefrühstückt. 

Henkel:  Das  macht  nichts.  (Die  Patientin  wird 
hereingebracht.  Zu  einem  Assistenten)  Bereiten  Sie  den 
Fall  vor  und  pumpen  Sie  ihr  den  Magen  aus. 

Die  Patientin  (wehrt  sich  in  großer  Erregung): 
Nein  —  nein  —  ich  —  will  nicht  — 

Henkel:  Keine  Faxen!  Die  blamiert  einen  noch 
vor  Seiner  Hoheit!  (Der  Prinz  zu  Lippe  erscheint  mit  Ge- 
folge. Begrüßungszeremonie.  Die  Operation  wird  vorgenommen.) 
Es  geht  sehr  schön,  Hoheit  —  da  —  so  — 


437 


Eine  Schwester  (zupft  den  Assistenten  am  Rock): 
Ach  —  Himmel  — 

Henkel:  Was  is'n  los?  (Der  Assistent  gibt  eine 
Kampferinjektion.) 

Der  Assistent:  Herr  Professor  — 

Henkel  (abwinkend):  Pst  — 

Der  Prinz  zu  Lippe  (zu  Henkel):  Da  haben 
Sie  ganz  ausgezeichnet  operiert,  ich  werde  das  sofort 
meiner  Schwester  mitteilen. 

(Verwandlung.) 


9.  Szene 

Bei  einer  deutschen  Reserve-Division. 

Ein  Oberst  (diktiert):  Von  einem  französischen 
Arbeitstrupp  am  Hindernis  Planquadrat  4674  wurden 
durch  den  (jrabenbeobachter  Gefreiten  Bitter,  7.  Komp., 
R.- Inf.- Regt.  271,  mit  drei  Schuß  zwei  Franzosen 
niedergeschossen.  Ich  spreche  dem  Gefreiten  Bitter 
für  die  gute  Leistung  meine  Anerkennung  aus. 

(Verwandlung.) 


10.  Szene 

Isonzofront.    Bei  einem  Brigadekommando.    Nach  Tisch. 

Die  Schalek  (steht  umgeben  von  Offizieren):  Schritt 
für  Schritt  bin  ich  jetzt  die  Front  am  Isonzo  längs 
des  Görzer  Abschnittes  abgegangen.  Alles  haben  sie 
mir  gezeigt!  Also  was  ich  da  erlebt  hab!  Die  im 
Hinterland    sitzen,     können     sich     das    gar     nicht 


438 


vorstellen.  Nach  langem  Bitten  bekam  ich  also 
die  Erlaubnis  mitzugehen.  Ich  fühlte,  wie  die  Frei- 
willigkeit die  Last  erschwert.  Daß  ich  nicht  mitgehen 
muß,  verursacht  den  Innern  Hader.  Zur  angegebenen 
Stunde,  um  5  Uhr  nachmittags,  melde  ich  mich 
beim  General  als  abmarschbereit.  Ich  bitte  darum, 
mit  einem  Herrn  gehen  zu  dürfen,  der  ohnedies 
heute  in  Stellung  muß.  Durch  mich  soll  keiner 
gefährdet  werden,  von  dem  es  der  Dienst  nicht 
verlangt!  Ein  blutjunger  Leutnant,  der  über  die  sich 
eröffnende  Abwechslung  seelenvergnügt  ist,  biegt  mit 
mir  am  Fuße  des  Berges  ab,  den  wir  umgehen,  um 
ihn  dann  von  der  Flanke  anzufassen.  Vorher  bekomme 
ich  den  Befehl,  punkt  9  Uhr  wieder  an  der  Aus- 
gangsstelle zu  sein.  Tiu,  tiu,  tiuuu  —  geht  es  uns 
von  der  Seite  an.  Und  plaudernd  bummelten  wir 
durch  die  Mondnacht  wiederum  heim.  Abev  dann! 
Beim  Artilleriebeobachter  der  Podgora  bin  ich 
gesessen,  atemlos  harrend,  was  sich  in  seinem 
Abschnitte  begeben  würde.  Nun,  eine  Bejahung  der 
Instinkte,  eine  Betonung  der  Persönlichkeit  hat  Platz 
gegriffen,  wie  sie  nie  vordem  hätte  gezeigt  werden 
dürfen.  Oberhalb  der  Parkmauer  des  Schlosses  bin 
ich  beschossen  worden.  Wir  stehen  da,  ohne  Regung. 
Mag  der  Feind  uns  sehen!  Kein  Wort  haben  wir 
noch  gesprochen.  Jetzt  sehe  ich  ihn  an.  Dünn  ist 
er  und  blaß.  Nicht  viel  über  Zwanzig.  Etwas  Sonder- 
bares geht  in  mir  vor.  Ich  sehe  den  Leutnant  an; 
Volksschullehrer  ist  er  in  einem  ungarischen  Dorf. 
Und  wie  ein  blendendes  Licht  steigt  in  mir  eine 
Erkenntnis  auf.  Während  des  Trommelfeuers  auf  dem 
San  Michele  erleuchtet  ein  neues  Verstehen  jede 
Windung  meines  Gehirns.  Der  Leutnant  ahnt  nicht, 
wie  seine  Haltung  auf  meine  Erkenntnis  wirkt.  Er 
sieht  mich  an  und  lächelt.  Er  fühlt,  daß  ich  mit  ihm 
denke,  unsere  Nerven  schwingen  während  des 
Trommelfeuers  im  Takt.  Es  klingt  wie  eine  Solo- 
nummer im  Orchester  .  .  Tk,  tk,  tk  —  geht  es  los  .  . 


439 


Der  erste  Ton  ists  des  Morgens,  wenn  ich  um 
halb  vier  aufstehe,  um  in  die  Stellung  zu  gehen  .  , 
Tiu,  tiu,  tiu  —  tk,  tk,  tk  —  kings!  .  .  Aber  auch 
nicht  der  Gedanke  daran,  daß  man  ungehorsam  sein, 
den  Befehl  mißachten  könnte,  kommt  einem  von 
uns  beiden  in  den  Sinn.  Die  ungeheure  Triebkraft 
eines  Befehls  verspüre  ich  jetzt  am  eigenen  Leib. 
Der  Leutnant  bleibt  stehen.  Eine  Nachtigall  lockt  und 
die  Akazien  duften  betäubend.  Jetzt  freilich  kommt  es 
von  der  andern  Seite;  nicht  mehr  so  peitschend 
und  eilig,  sondern  langsam  brüllend,  fast  hohnvoll 
singend.     Der   Leutnant   zerrt    mich   an   die   Wand. 

Wu  —  wu  —  wu Ein   Blindgänger   war's  .  . 

Kein  Gedanke  daran,  stehen  zu  bleiben  oder  Deckung 
zu  suchen.  Befehl:  Um  neun  Uhr  stellig  zu  sein. 
Zum  erstenmal  kann  ich  ganz  mit  der  Mannschaft 
fühlen.  Was  für  eine  Erleichterung  ist  ein  Befehl! 
Wunderbar  leicht  kommt  man  durchs  Feuer,  wenn 
der  Befehl  es  heischt.  V/ohl  jenem  Volk,  das  im 
Befehl  leben  dürfte,  vertrauend,  gläubig,  daß  der 
Befehl  auch  der  richtige  sei,  von  den  Besten  der 
Besten  ersonnen ;  so  wie  es  hier  der  vorwärtsdrängende 
und  jeden  Rückfall  abschneidende,  das  Eigentum 
schützende  Befehl  vom  Isonzo  ist!  Verwundete  holen 
uns  ein  .  .  Einer  ist  taubstumm  geworden.  Er  winkt 
und  deutet,  was  ihm  geschah  .  .  Die  Autos  warten 
und  bald  sind  wir  im  Quartier.  Der  Tisch  ist  gedeckt 
und  in  dampfenden  Schüsseln  wird  das  Mahl  auf- 
getragen. In  jedem  Auge  steht  noch  der  Abglanz 
des  Erlebnisses.  Aber  wir  essen  ganz  tüchtig  und 
schlafen  prächtig  und  nächsten  Mittag  spielt  die 
Militärmusik  bei  der  Offiziersmesse  auf.  Wir  haben 
ja  den  benötigten  Graben.  Im  Freien  wird  gespeist, 
die  Spargel  schmecken  gar  köstlich  und  süße  Walzer- 
melodien wetteifern  mit  dem  Kuckuck  und  mit  dem 
Specht .  .  In  Rom  erfährt  Salandra  wohl  nichts,  als  daß 
er  heuie  einen  Graben  verlor.  Nun,  das  Trommel- 
feuer   auf     dem     Monte    San    Michele     hatte     ich 


440 


hinter  mir.  Am  nächsten  Tag  aber  gings  nöch  einmal 
hinaus.  Interessant  sind  die  Verwundetenzüge.  Die 
Leichtverletzten  nehmen  noch  Haltung  an  und 
salutieren,  andere  heben  matt  den  Blick  und  ver- 
suchen, mit  der  Hand  nach  der  Mütze  zu  fahren, 
viele  aber  liegen  unbeweglich,  haben  den  Mantel 
übers  Gesicht  gezogen  und  sehen  und  hören  nichts  .  . 
Das  Gefecht  ist  zu  Ende.  Wir  können  also  gehn. 
Andern  Tags  dachte  ich,  ach  was,  den  Monte 
San  Michele  lä8t  du  heute  rechts  liegen.  Heute  führt 
mich  mein  Weg  zurNachbardivision,zu  den  ungarischen 
Truppen  des  Heeres.  Leichengeruch  weht  über  die 
Straße  weg.  Kein  Korso  einer  Großstadt  ist  so 
menschenbelebt  wie  diese  granatenbestrichene  Straße. 
Hier  liegen  seit  acht  bis  zehn  Monaten  zwischen 
den  Stellungen  ganz  mumifizierte,  durchlöcherte 
Leichen  .  .  Die  Gräben  sind  eng,  fast  nur  manns- 
breit und  die  Leute  schlafen  langausgestreckt  auf 
ihrem  Grunde.  Man  steigt  über  sie  weg,  aber  sie 
wachen  nicht  auf  .  .  Sechs  Einschläge  zählen  wir 
und  eine  rasche  Aufnahme  gelingt  .  .  Ich  darf  durch 
einen  Panzerschild  hinausschauen  und  den  Trichter 
bestaunen . .  Beim  Bataillonskommandaiiten  bekomme 
ich  ein  Glas  Eierschnaps.  Das  tut  wohl.  Die  Nerven 
vibrieren  doch  von  dem  ewigen  Krachen  ringsum. 
»Decken  Sie  frisches  Zeitungspapier  auf«,  ruft  der 
gastfreie  Offizier.  (Offenbar  eine  Galanterie  für  mich.) 
Sechs  Schüsse  —  sechs  Volltreffer  .  .  Platte  auf  Platte 
fülle  ich  mit  Bildern  für  die  Zukunft  .  .  Und  dann 
zurück  hieher.  Beim  Brigadier  wartet  ein  Frühstück 
auf  uns;  dankbar  nehme  ich's  an.  Das  war  aber  ein 
Frühstück  — !  Weil  mich  Cadorna  heute  wiederum 
verschonte,  weil  die  Granate  wiederum  gerade  um 
ein  Viertelstündchen  zu  spät  kam,  gab's  eine  Flasche 
echten  Champagners  und  als  besonderen  Lohn  eine 
Dose  wirklichen  Kaviars.  Knusprige  Kipfel  und  bunte 
Blumen,  Radieschen  und  ein  Damastgedeck  —  solche 
Kontraste  gibt's  nur  an  der  Front! 


441 


Die  Offiziere:  Weil  sie  Cadorna  heute 
wiederum  verschonte,  weil  die  üranate  wiederum 
gerade  um  ein  Viertelstündchen  zu  spät  kam  — 


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gab's  Blumen,  Kipfel,  Kaviar, 

so  muß  es  sein,  das  ist  doch  klar. 

Wir  sind  die  bessern  Herrn  vom  Stab, 
in  diesem  Punkt  geht  uns  nix  ab. 

Wir  gehn  nicht  in  den  Schützengraben, 
weil  s'  dorten  keinen  Schampus  haben. 

Statt  Kaviar  auf  Butterbrot 
gibt's  nix  als  einen  Heldentod. 

Wir  fressen,  die  dort  müssen  zahl'n. 
Fürs  Vaterland  is's  schön  zu  falTn. 


442 


Und  das  weiß  heut  doch  jedes  Kind: 
Wir  fall'n  nur,  wenn  wir  b'soffen  sind. 

Cadorna,  der  hat  uns  schon  wieder  verschont. 

[:  Sehn  S',  solche  Kontraste  gibt's  nur  an  der  Front!:] 

(Verwandlung.) 


11.  Szene 

Divisionskommando. 

Ein  Kommandant:  Exzellenz,  gerade  dieses 
Unternehmen  war  mangels  entsprechender  Artillerie 
aussichtslos.  Der  Feind  hat  geradezu  ein  Scheiben- 
schießen auf  die  abgelassenen  Pontons  und  deren 
Besatzungen  veranstaltet.  Hunderte  von  Leichen 
sind  an  jenem  Tag  im  San  versunken  und  dann 
mußten  wir  doch  die  Forcierung  des  Flusses  auf- 
geben. Wir  stehen  jetzt  vor  derselben  Situation. 

Der  Kaiserjägertod:  Sie  müssen  unbedingt 
aushalten. 

Der  Kommandant:  Exzellenz,  die  Truppen 
erfrieren  in  den  von  Grundwasser  erfüllten  eisigen 
Löchern. 

Kaiserjägertod:  Wie  hoch  schätzen  Sie  die 
voraussichtlichen  Verluste? 

Der  Kommandant:  4000. 

Kaiserjägertod:  Die  Truppen  sind  befehls- 
gemäß zu  opfern. 

Der  Kommandant:  Wenn  sie  herauskommen 
werden,  waten  sie  bis  zu  den  Knieen  im  Schnee 
und  sollen  dabei  eine  überhöhende  Stellung  des 
Feindes  angehen. 

Kaiserjägertod:  Haben  Sie  denn  keinen 
Feldkuralen,  der  die  Leute  aufpulvern  könnte?  Die 
Offensive  darf  um  keinen  Preis  verzögert  werden! 


443 


Der  Kommandant:  Exzellenz,  es  liegt  ja 
so  viel  Schnee,  daß  ein  ganzes  Regiment  auf- 
gerieben wird. 

Kaiserjägertod:  Ein  Regiment?  Was  macht 
mir  ein  Regiment! 

Der  Kommandant:  Die  Leute  stehen  mit 
hungrigem  Magen  im  Wasser.  Sie  kämpfen  verzweifelt 
gegen  die  gewaltigen  unausgesetzten  Anstürme  der 
Russen. 

(Der  Kaiserjägertod  wird  zum  Telephon  gerufen.) 

Kaiserjägertod:  Was?  Ablösung  oder  Ver- 
stärkung? Herr  Oberst,  Sie  haben  auszuhalten  bis 
auf  den  letzten  Mann,  ich  habe  keine  verfügbare 
Mannschaft,  und  ein  Zurück  kenne  ich  nicht,  koste 
es  was  es  will!  Was?  Einen  Tag  Ruhe  wollen  s' 
zum  Trocknen  der  Kleider?  Was  sagen  Sie?  Ihre 
armen,  braven  Tiroler  liegen  erschossen  draußen  und 
schwimmen  im  Wasser?  (Brüllend.)  Zum  Erschießen  sind 
sie  da !  Schluß !  —  So  und  Ihnen  habe  ich  nichts  anderes 
zu  sagen.  Die  Truppen  haben  in  ihren  Stellungen 
auszuharren,  es  geht  um  meine  Existenz!  (Ab.) 

Ein  Major  (zum  Kommandanten):  Da  ist  nichts 
zu  machen,  Exzellenz  pflegt  eben  seine  Kerntruppen 
wegen  ihrer  vorzüglichen  Eigenschaften  gerade  bei 
den  schwierigsten  Aufgaben  einzusetzen.  Exzellenz 
ist  ein  überaus  energischer,  zielbewußter,  impulsiver 
General,  derstrengdienstfordernd,  persönlich  tapfer, von 
seinen  Untergebenen  unbedingte  Aufopferung  verlangt. 

(Verwandlung.) 

12.  Szene 

Rückzug.  Eine  Ortschaft. 

Kaiserjägertod  (zu  einem  Obersten):  Niemand 
darf  austreten  und  niemand  darf  sich  etwas  kaufen! 
(Aus  einem  Geschäft  tritt  ein  hungernder  Soldat,  der  ein  Stück 
Brot  in  der  Hand  hält.  Kaiserjägertod  züchtigt  ihn  mit  der 
Reitpeitsche.)    Herr  Oberst,    was    führen    Sie    hier    für 


444 


einen  Sauhaufen,  lassen  Sie  jeden  Mann,  der  aus- 
getreten ist,  drei  Stunden  anbinden!  Verlautbaren 
Sie,  daß  auf  Leute,  die  beim  Vormarsch  oder 
Rückzug  zu  den  Bauern  Brot  und  Milch  kaufen 
gehn,  geschossen  werden  soll!  (Er  reitet  ab.  Da  und  dort 
verlassen  Leute  die  Einteilung.  Die  Offiziere  schießen  der 
Mannschaft  nach.  Panik.  Schreckensrufe:  >Die  Russen  kommen!«) 
Oberleutnant  Gerl  (stellt  sich  in  Positur):  Ihr 
könnts  krepieren  vor  Hunger,  ich  werde  aber  noch 
immer  etwas  zum  essen  haben! 
(Verwandlung.) 

13.  Szene 

Spital  neben  einem  Divisionskommando.  Man  hört  die  Regiments- 
musik lustige  Weisen  spielen. 

Ein  Schwerverwundeter  (wimmert):  Nicht 
spieln  —  nicht  spieln! 

Ein  Wärter:  Stadsein!  Das  is  die  Tafelmusik 
vom  Exzellenzherrn  Feldmarschalleutnant  von  Fabini! 
Die  wird  er  euretwegen  net  aufhören  lassen,  was 
glaubts  denn?! 

(Die  Tür  geht  auf.   Man  hört  Gesang:   Ja   so   ein  Räuscherl  is 
mir  lieber  als  wiara  Krankheit,  wiara  Fieber.) 

(Verwandlung.) 

14.  Szene 

Bei  einer  deutschen  Reserve-Division. 

Ein  Oberst  (diktiert):  —  Jetzt  den  Schluß 
vom  Tagesbefehl.  Notiz!  Aus  der  Masurischen  Wasch- 
anstalt in  Lötzen  hat  Herr  General  von  Schmettwitz 
drei  weiße  Stehkragen,  Marke  Maingau,  Weite  42  Zenti- 
meter, ohne  Zeichnung  zurückerhalten,  die  ihm  nicht 
gehören.  Dagegen  fehlen  drei  weiße  Stehkragen, 
Weite  43  Zentimeter,  zwei  davon  gezeichnet  v.  Seh., 
und  alle  drei  mit  grauem  Faden  im  hinteren  Knopfloch 
versehen.  Um  Austausch  wird  gebeten, 

(Verwandlung.) 


445 


15.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Vor  einem  möchte  ich  Sie 
warnen:  zu  generalisieren. 

Der  Nörgler:  Sie  meinen,  ich  solle  mich 
hüten,  jeden  Schurken  für  einen  General  zu  halten? 

Der  Optimist:  Nein,  Sie  sollten  nicht  die 
Fülle  der  Beispiele  von  Pflichterfüllung  und  von 
Opfermut  übersehen  —  auch  bei  den  Offizieren  — 

Der  Nörgler:  Man  darf  nicht  generalisieren. 
Da  doch  jene  Beispiele  in  ihrer  Fülle  offenbar  gar 
nicht  zu  übersehen  sind,  so  bleibt  nichts  übrig,  als 
sein  Augenmerk  auf  die  Ausnahmen  zu  heften. 
Wollte  man  statt  dessen  auf  solche,  die  im  Krieg  ihre 
Ehrenhaftigkeit  nicht  verloren  haben,  aufmerksam 
machen,  so  würde  man  das  Selbstverständliche  hervor- 
heben und  der  Institution  vollends  nahetreten,  indem 
man  den  Eindruck  erweckte,  als  ob  die  Ehren- 
haftigkeit eine  Ausnahme  sei.  Gerade  indem  man 
auf  die  Schurken  hinweist,  bleibt  man  frei  von  dem 
Vorwurf,  zu  generalisieren,  den  nur  die  Geti  offenen, 
nicht  die  andern  erheben  können.  Nahetreten  möchte 
ich  keinem  einzigen,  nur  der  ganzen  Institution,  indem 
ich  weniger  zu  ihren  Gunsten  gelten  lasse,  daß  sie  einen 
Ehrenmann  nicht  verdirbt  als  zu  ihren  Ungunsten,  daß 
sie  einen  Schwächling  in  einen  Schurken  verwandelt. 
Glauben  Sie  ja  nicht,  daß  ich  diese  feigen  Philister, 
die  jetzt  die  Machtgelegenheit  benützen,  um  sich 
für  ihr  Minus  an  Mannheit  an  der  Mannschaft  zu 
rächen,  für  bewußte  Tyrannen  halte.  Sie  vergießen 
nur  Blut,  weil  sie  keines  sehen  können  und  es  nie 
gesehen  haben,  sie  handeln  im  Rausch  des  Erlebnisses, 
plötzlich  ihre  eigenen  Vorgesetzten  zu  sein  und 
einmal  Dinge  tun  zu  dürfen,  für  die  sie  nicht 
in  ihrer  Persönlichkeit,  nur  in  der  Gelegenheit  die 
unentbehrliche  »Deckung«  finden.  Und  die  meisten 
dieser  Schubbjacks    werden    dereinst   nicht   einmal 


446 


zu  fassen  sein,  weil  sie  bei  ihrem  Handeln  von 
jenem  Kodex  gedeckt  waren,  der  ihnen  alles 
das  erlaubt  und  gebietet,  was  ihnen  bis  dahin  das 
Strafgesetzbuch  verboten  hat :  vom  Reglement.  Groß 
war  die  Zeit,  in  der  einer  für  Rauben,  Morden  und 
Schänden  mit  dem  Verdienstkreuz  davonkam,  und 
für  die  Bestellung  dieser  Taten  mit  dem  Maria- 
theresienorden! 

DerOptimist:  Man  darf  nicht  generalisieren. 
Erst  heute  habe  ich  gelesen,  daß  sich  die  Mannschaft 
mit  den  Offizieren,  die  ihr  frisches  Herzblut  dem 
Vaterlande  opfern,  durch  eine  oft  bis  zur  Freund- 
schaft gesteigerte  Kameradschaft  — 

Der  Nörgler:  —  angebunden  fühlt. 

(Verwandlung.) 


16.  Szene 

Frachtenbahnhof  in  Debreczin.  Ein  Waggon,  von  Posten  bewacht. 

Mit  Kreide  angeschrieben:   40  Mann,  6  Pferde.  Neugierige  im 

Umkreis. 

Ein  Posten    (zur  Bevölkerung) :    Gehts  weg  da! 

Oberleutnant  Beinsteller:  Wie  lang  hängen 
die  jetzt  drin? 

Leutnant  Sekira:  Erst  anderthalb  Stunden. 

Beinsteller:  Also  noch  eine  halbe  Stund! 
Wie  viel  sinds? 

Sekira:  20. 

Beinsteller:  Also  noch  Platz  für  20!  Den 
Frontschweinen  gehts  zu  gut. 

Sekira:  Ich  hab  s'  eh  schon  trocken  rasiern 
lassen  und  nacher  geohrfeigt.  Wenn  das  Anbinden 
verboten  wird,  weiß  ich  schon  was  ich  mach.  In  ein 
Schilderhäusl  —  und  nacher  drin  mit  Stacheldraht 
so  umatum,  daß  der  Kerl  nur  habtacht  stehn  kann! 

(Verwandlung.) 


447 


17.  Szene 

Wiener  Magistrat. 

Der  Beamte  (zu  einer  vor  ihm  stehenden  Partei): 
Also  wann  S'  aufs  Land  gehn  wolln  —  das  wem  mr 
o^leich  haben,  da  brauchen  S'  sich  nur  nach  der  folgenden 
Vurschrift  zu  richten,  passen  S'  auf  (er  liest,  wobei  er 
ein  bestimmtes  Wort  besonders  lebendig  hervorhebt,  aber 
unaufhörlich  mit  dem  Zeigefinger  der  rechten  Hand  eine 
Bewegung  vornimmt,  die  jede  Hoffnung  abzuweisen  scheint): 
»Personen,  die  im  Jahre  1917  ihren  Wohnort  vor- 
übergehend in  ein  Heilbad  oder  auf  die  Dauer  von 
mindestens  vier  Wochen  in  einen  Kurort  oder  in 
eine  Sommerfrische  verlegen,  haben  bis  längstens 
1.  Juni  bei  der  Bezirksbehörde  ihres  ständigen 
Wohnortes  mittelst  des  dort  erhältlichen  amtlichen 
Formulars  eine  Abmeldung  zu  erstatten,  in  der  der 
Name,  der  ständige  Wohnort,  der  Ort  des  Sommer- 
aufenthalts, der  Tag  des  voraussichtlichen  Eintreffens, 
die  Anzahl  der  Begleitpersonen  und  die  beabsichtigte 
Dauer  des  Aufenthalts  anzugeben  sind;  eine  gleich- 
lautende, zweite  Ausfertigung  dieser  Abmeldung  ist 
der  Bezirksbehörde  des  gewählten  Sommeraufenthalts 
zuzusenden.  Die  Personen  haben  noch  vor  der  Abreise 
bei  ihrer  Brotkartenausgabestelle  den  Lebensmittel- 
kartenabmeldeschein zu  beheben  und  sohin 
den  Bezug  derjenigen  Lebensmittel,  deren  Verkauf 
rayoniert  ist,  gegen  Bestätigung  auf  dem  Lebens- 
mittelkartenabmeldeschein bei  der  betreffenden 
Verschleißstelle  abzumelden.  Der  Verschleißer 
rayonierter  Lebensmittel  hat  eine  Liste  zu  führen,  in 
welcher  Name,  Wohnort,  Tag  der  Abreise  und  Zahl 
der  Begleitpersonen  der  sich  Abmeldenden  sowie  die 
Menge  der  in  Abfall  kommenden  Lebensmittel  ein- 
zutragen sind;  diese  Liste  ist  derjenigen  Stelle,  von 
der  die  Zuweisung  rayonierter  Lebensmittel  erfolgt, 
am  Ende  jeder  Woche  vorzulegen.  In  dem  Heilbad,  dem 
Kurort  oder  der  Sommerfrische  haben  sich  die  Personen 


448 


unter  Vorweisung  des  Lebensmittelkarten- 
abmeldescheines (Die  Partei  verschwindet)  bei  der 
Brotkartenausgabestelle  sowohl  nach  dem  Eintreffen 
als  auch  vor  dem  Verlassen  dieser  Orte  zu  melden. 
Die  Ausfolgung  von  Lebensmittelkarten  darf 
im  Orte  des  Sommeraufenthalts  sowie  nach  der 
Rückkehr  im  ständigen  Wohnort  nur  auf  Grund  des 
mit  den  entsprechenden  Amtsvermerken  versehenen 
Lebensmittelkartenabmeldescheines 
erfolgen.  Die  politischen  Bezirksbehörden  sind 
ermächtigt  worden,  den  Einkauf  von  Lebensmitteln 
durch  die  Fremden  zu  rayonieren  und  außerdem 
die  Verabfoigung  von  Speisen  in  den  Speise- 
wirtschaften der  Heilbäder,  Kurorte  und  Sommer- 
frischen zu  regeln.  Gastwirtschaften  haben  auf  die 
Mehrzuweisung  von  Lebensmitteln  für  die  Verpflegung 
von  Heilbäder-  und  Kurortebesuchern  sowie  Sommer- 
frischlern im  Allgemeinen  nur  dann  Anspruch,  wenn 
sie  den  erhöhten  Bedarf  durch  Abgabe  der  von  den 
Kostteilnehmern  eingezogenen  Kartenabjchnitte  nach- 
weisen. Für  Ausflügler,  die  nur  auf  kurze  Zeit 
Heilbäder,  Kurorte  und  Sommerfrischen  besuchen, 
können  besondere  Verpflegsvorsorgen  nicht  getroffen 
werden.  Weiters  sind  die  politischen  Bezirksbehörden 
ermächtigt  worden,  den  Besuchern  von  Heilbädern, 
Kurorten  und  Sommerfrischen  zur  Verhinderung  des 
Hamsterns  von  Lebensmitteln  den  unmittelbaren 
Einkauf  gewisser  Lebensmittel  beim  Produzenten 
zu  verbieten.«  —  Na  alstern,  jetzt  wissen  S'  es,  jetzt 
können  S'  —  (er  blickt  auf)  Wo  is  denn  der  hin  ver- 
schwunden? (F.rsuchtauf  dem  Boden.)  Sie  Herr,  warten  S' 
auf  den  Lebensmittelkartenabmeldeschein !  (Kopf- 
schüttelnd) Mirkwirdiger  Mensch  das.  Was  sich  die 
Leut  herausnehmen  !  (Er  sucht  weiter.  Dann  erhebt  er  sich.) 
Der  hats  net  erwarten  können.  Am  End  is  er  gar 
schon  am  Land! 

(Verwandlung.) 


449 


18.  Szene 


>X''ohnimg  der  Familie  Durchhalter. 

Die  Mutter:  Ziagts  z'haus  die  Sandalen  aus, 
man  hört  sein  eigenes  Wort  nicht! 

Ein  Kind:  Mutter,  gibt's  heut  wieder  nix 
z'  essen? 

Die  Mutter:  Du  frecher  Bub,  ich  werd  dir 
lehren  —  (sie  will  auf  ihn  losgehen.  Es  läutet.)  Das  is  der 
Vater!  Er  hat  sich  angstellt  um  Wrucken,  hoffentlich  — 

(Man  hört  das  Klappern  von  Sandalen.  Der  Vater,  in  Papier- 
anzug, erscheint  in  der  Tür.) 

Die  Kinder:  Vater,  Brot! 

Der  Vater:  Kinder,  Rußland  verhungert! 

(Verwandlung.) 

19.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Abonnent:  No  jetzt  wern  wir  doch 
schon  bald  Getreide  aus  der  Ukraine  haben. 

Der  Patriot:  Der  Czernin  hat  eine  Gewure! 
Jetzt  ham  wir  den  Brotfrieden!  Und  jetzt  solln  sie 
probiern,  uns  auszuhungern. 

(Verwandlung.) 

20.  Szene 

Sofia.   Ein  Bankett  deutscher  und  bulgarischer  Schriftleiter. 

Der  deutsche  Gesandte  Graf  Oberndorff 
(erhebt  sich):  Meine  verehrten  Gäste!  Ich  freue  mich 
jedesmal,  wenn  mir  vergönnt  ist,  hier  im  Hause,  über 
dem  das  schwarz-weiß-rote  Banner  weht,  deutsche 
und  bulgarische  Freunde  zu  gemütlichem  (jedanken- 
austausch  zu  vereinen.  Heule  aber  freue  ich  mich 
ganz  besonders.  Denn  Sie,  meine  verehrten  Herren 
von  der  deutschen  und  bulgarischen  Presse,  darf  ich 
als  —  Kollegen  willkommen  heißen. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  29 


450 


Rufe:  Bravo!  Prösterchen,  Hv'^rr  Kollege! 

Der  deutsche  Gesandte:  Ja,  mögen  wir 
auch  ein  oder  das  andere  Mal  etwas  an  einander 
auszusetzen  haben,  wie  das  zwischen  Zunftgent  sen 
vorkommen  kann,  Diplomatie  und  Presse  gehören 
eng  zusammen. 

Rufe:  Bravo!  Bravo! 

Der  deutsche  Gesandte:  Kein  guter  Journalist 
ohne  diplomatisches  Empfinden,  und  kein  brauch- 
barer Diplomat,  der  nicht  mit  einem  vollen  Tropfen 
Druckerschwärze  für  seinen  Beruf  gesalbt  wäre. 

Rufe:  Famos! 

Der  deutsche  Gesandte:  Ich  sage  Beruf, 
das  Wort  ist  zu  gering.  Es  ist  eine  Kunst,  eine  hohe 
Kunst,  die  wir  ausüben,  und  das  Instrument,  auf 
dem  wir  spielen,  ist  das  edelste,  das  sich  denken 
läßt,  es  ist  die  Seele  der  Völker! 

Rufe:  So  ist  es! 

Der  deutsche  Gesandte:  Was  Diplomatie 
und  Presse  geeinigt  vermögen,  hat  uns  dieser  Welt- 
krieg gezeigt. 

Rufe:  Jawoll! 

Der  deutsche  Gesandte:  Vom  Feinde  soll 
man  lernen.  Wenn  wir  die  Reihe  der  diplomatischen 
Größen  der  Anktankte  an  unserem  Sinn  vorüber- 
ziehen lassen  und  dabei  Namen  wie  Times  und 
Reuter,  Matin,  Havas,  Nowoje  Wremja  hören,  nicht 
zu  gedenken  der  kleinen  Satelliten  in  Rom,  Bukarest, 
Belgrad,  dann  müssen  wir  gestehen,  daß  hier  ein 
Bund  auftrat,  der  Erfolge  aufweisen  kann.  Erfolge 
an  Lüge  und  Verblendung  — 

Rufe:  So  ist  es! 

Der  deutsche  Gesandte:  —  Wut  und  Haß, 
wie  sie  die  Welt  nie  zuvor  gesehen.  Ja,  es  ist  ein 
mächtiger  Bund  und  schreckhaft  anzuschauen,  und 
dennoch  nur  ein  künstlich  aufgetriebener  Koloß,  der 


451 


eines  Tages  bersten  wird.  Denn  es  fehlt  ihm  der 
Leben  spendende  und  erhaltende  Geist,  die  Wahrheit. 
Die  ficht  auf  unserer  Seite. 

Rufe:  Jawoll! 

Der  deutsche  Gesandte:  Mit  ihr  und  für  sie 
streiten  Sie,  meine  Herren  von  der  bulgarischen  und 
deutschen  Presse,  in  der  stolzen  Erkenntnis,  daß 
jeder  Erfolg,  den  die  Wahrheit  erringt,  auch  einen 
Erfolg  für  unsere  gemeinsame  Sache  bedeutet.  Ja, 
an  dem  Tag,  an  dem  den  Völkern,  die  man  gegen 
uns  in  einen  vergeblichen  Kampf  treibt,  endlich  die 
Schuppen  von  den  Augen  fallen,  am  Tage,  an  dem 
sie  erkennen  werden,   wie  wir  wirklich  dastehen  — 

Rufe:  Hurra! 

Der  deutsche  Gesandte:  —  wie  unüber- 
windlich gerüstet  von  innen  und  von  außen,  an  dem 
Tage  endet  der  Weltkrieg!  (Setzt  sich.  Allgemeines 
Anstoßen.) 

Rufe:  Hurra!  —  Pröstchen  Herr  Kollege!  — 
Herr  Graf,  Pupille! 

Kleinecke-Berlin:  Mir  scheint,  Herr  Kollege, 
die  Balkanonkels  machen  flau.  Haben  Se  bemerkt, 
keen  Ton  — ! 

Steinecke-Hannover:  Ist  mir  nicht  entgangen. 
Na  und  wenn  schon.  Oberndorff  war  famos. 

Kleinecke-Berlin:  Eine  Poenkte  neben  der 
andern.  Der  Mann  ist  in  der  Tat  mit  'nem  vollen 
Tropfen  Druckerschwärze  jesalbt. 

Steinecke-Hannover:  Der  Mann  ist  mit 
der  beste  Redner,  den  wa  jetzt  haben.  Die  Wahrheit, 
die  ficht  auf  unserer  Seite  —  wie  schlicht  und  wahr 
zugleich! 

Kleinecke-Berlin:  Ja,  seit  dem  Tage,  da  wir 
melden  konnten,  französische  Flieger  hätten  Bomben 
auf  Nürnberch  jeworfen.  Das  war  der  Anfang. 

Steinecke-Hannover:  Ja,  seit  damals  stehn 
wa  im  Kampf  gegen  die  Lügen  unserer  Feinde. 


29* 


452 


Kleinecke-Berlin:  Was  Diplomatie  und  Presse 
geeinigt  vermögen,  hat  uns  dieser  Weltkrieg  gezeigt, 
den  britischer  Neid,  französischer  Revangschedurst 
und  russische  Raubgier  uns  aufgezwungen  haben. 
Goldene  Worte. 

Steinecke-Hannover:  Es  erinnert  an  das 
treffende  Wort  eines  großen  Kollegen.  Wie  sagt  doch 
Ernst  Posse?  Der  Krieg  hat  offenbart,  welche  Macht 
der  moderne  Zeitungsschreiber  in  der  Hand  hält. 
Man  denke  sich,  sagt  Ernst  Posse,  wenn  man  kann,  die 
Zeitung  weg  in  diesem  internationalen  Aufruhr  der 
Gemüter;  wäre  ohne  sie  der  Krieg  überhaupt  möglich 
geworden,  möglich  in  seinen  Entstehungsursachen, 
möglich  auch  in  seiner  Durchführung? 

Kleinecke-Berlin:  Wie  wahr!  Ernst  Posse 
schaltet  sogar  die  Diplomatie  aus. 

Steinecke-Hannover:  Er  spricht  eben  als 
Journalist.  Oberndorff  ist  Diplomat  und  gibt  darum 
der  Presse,  was  der  Presse  ist. 

Kleinecke-Berlin:  Nu  sagen  Sie  aber  Kollege, 
diese  faulen  Balkanfritzen  — 

Steinecke-Hannover:  Ach,  das  wolln  wa 
uns  nich  anfechten  lassen.  Gucken  Se  mal,  Oberndorff 
trinkt  uns  zu  — 

Beide:  Herr  Graf,  Pupille! 
(Verwandlung.) 

21.  Szene 

Ministerium  des  Äußern. 

H  a  y  m  e  r  1  e  (zu  einem  Redakteur) :  Wenn  er  das 
erlebt  hätt  der  Selige,  daß  ich  über  seinen  Todestag 
einen  Artikel  in  die  Neue  Freie  Presse  schreib  —  die 
Freud,  was  er  ghabt  hätt!  Ich  bin  zur  Zeit  im  Felde 
und  eigens  hereingekommen  —  denn  draußen 
hab    ich    keine   Ruh    zum    Schreiben.    Aber    da    is 


453 


mir  gleich  lieber,  ich  diktier's  Ihnen.  Also  —  ich 
denks  wie  heut.  Also  —  ich  war  Ihnen  also  dankbar, 
wenn  Sie  nachstehende  Zeilen  in  Ihr  geschätztes 
Blatt  aufnehmen  wollten. 

Ich  hatte  die  Ehre,  seit  Ende  Januar  1914  als 
k.  u.  k.  Botschaftsrat  in  Berlin  unter  dem  Befehle 
Sr.  Exzellenz  des  Grafen  Szögyeny-Marich  zu  stehen. 

Näheres  über  die  Zeit  kurz  vor  Ausbruch  des 
Weltkrieges  zu  sagen,  liegt  nicht  in  meiner  Absicht, 
noch  bin  ich  dazu  berechtigt;  ich  möchte  nur  eine 
für  den  großen  Staatsmann  charakteristische  und 
zugleich  ehrende  Episode  erwähnen. 

Es  war  am  Abend  der  Kriegserklärung  zwischen 
Serbien  und  der  k.  u.  k.  Monarchie. 

Ich  war,  mit  der  Bitte  um  eine  Unterschrift, 
noch  um  1/2  9  Uhr  abends  zu  Sr.  Exzellenz  aus  der 
Kanzlei  hinuntergekommen. 

Der  Botschafter  war  eben  im  Begriffe,  aus  dem 
Eßzimmer  in  sein  Schlafzimmer  zurückzukehren. 

Als  er  mich  sah,  trug  er  mich,  seiner  Gewohnheit 
gemäß,  auch  dann  immer  zuerst  seine  Besucher  oder 
Beamten  zu  fragen,  ob  etwas  Neues  los  sei,  selbst 
dann,  wenn  er  selbst  Wichtiges  mitteilen  wollte: 
»Was  gibt's  Neues?«  Auf  meine  Antwort,  mir  sei 
nichts  Wichtiges  bekannt,  sah  mich  der  alte  Herr 
mit  einem  ganz  eigentümlichen,  halb  stolzen,  halb 
wehmütigen  Blicke  an  —  Wissen  S',  so  kwieß  — 
und  sagte,  mir  tief  ergriffen  die  Hand  reichend: 
»Soeben  haben  wir  Serbien  den  Krieg  erklärt.« 

Der  Redakteur:  Herr  Botschaftsrat  haben  das 
also  um  V29  Uhr  abends  noch  nicht  gewußt?  Aber 
die  Bevölkerung  scheint  bereits  informiert  gewesen 
zu  sein? 

Haymerle:  Warten  S'.  Buchstäblich  in  dem 
gleichen  Augenblicke  ertönte  bereits  in  der  Moltke- 
straße  (die  zwischen  dem  Botschaftspalais  und  dem 
preußischen  Kriegsministerium  hindurchführt),  ein 
donnerndes  vielfaches  Hoch  und  gleich  darauf  wurde 


454 


unsere  geliebte  Volkshymne  von  Hunderten  von 
Menschen  aller  Stände  —  Offiziere,  Herren  im 
Zylinder,  Damen  in  Abendtoilette  — 

Der  Redakteur:  Intressant,  also  sie  haben 
sich  schon  massiert. 

Haymerle:  Frauen  aus  dem  Volke,  Arbeiter, 
Soldaten  und  Kinder  — 

Der  Redakteur:  Wie,  auch  Kinder? 

Haymerle:  Naturgemäß.  Oh  Kinderln  sind  oft 
gscheit!  Er  speziell  war  immer  ein  großer  Kinderfreund! 
Also  -wo  sind  wir  —  angestimmt,  und  alles  rief  wie 
aus  einem  Munde  nach  dem  Botschafter.  »Ans 
Fenster«,  »ans  Fenster«,  »er  soll  sich  zeigen«, 
»wir  wollen  ihn  sehen!« 

Der  Redakteur:  Offenbar  hat  das  Volk  nicht 
so  sehr  aus  Information  wie  aus  Instinkt  gehandelt. 

Haymerle:  Versteht  sich.  Es  fühlte  eben 
bereits  damals  mit  dem  der  großen  Menge  eigenen 
Spürsinn  das  deutsche  Volk,  wie  innig  die  beiden 
Reiche  in  Not  und  Tod  mit  einander  verbunden  sein 
sollten. 

Se.  Exzellenz  war  so  tief  ergriffen,  daß  ich  nur 
mit  Mühe  ihn  dazu  bewegen  konnte,  ans  Fenster 
seines  Schreibzimmers  zu  treten. 

Graf  Szögyeny  war  so  erschüttert,  daß  er  der 
begeisterten  Menge  nur  mit  der  Hand  seinen  Dank 
zuwinken  konnte.  Doch  Tränen  rannen  ihm  über  die 
Wangen.  Und  ich  schäme  mich  nicht,  einzugestehen, 
daß  auch  mir  —  (mit  tränenerstickter  Stimme)  der  im 
Hintergrund  stehend  diesen  erhebenden  Moment 
miterleben  durfte,  die  schweren  Tränen  rannen. 

Für  den  Botschafter  war  es  aber  wohl  der  größte 
und  schönste  Moment  seines  schicksalsschweren 
Lebens,  als  der  bedeutende  Staatsmann  kurz  vor  dem 
Scheiden  aus  seinem  seit  zweiundzwanzig  Jahren 
innegehabten  Amte  noch  erleben  konnte,  welche  für 
unser  geliebtes  Vaterland  unschätzbaren  Früchte  — 
(kann  vor  Rührung  nicht  weitersprechen.) 


455 


Der  Redakteur  (ero:riffen) :  Herr  Botschaftsrat, 
fassen  Sie  sich,  wir  von  der  Presse  empfinden  ganz  mit 
Ihnen!  Das  weitere  mach  ich  in  der  Redaktion.  Ich  ersehe 
aus  Ihrer  bewegten  Schilderung,  daß  schon  vor  Beginn 
des  Weltkrieges  Tränen  vergossen  wurden.  Wenn  es 
auch  glücklicherweise  nur  Freudentränen  waren,  so  hct 
die  Diplomatie  damit  doch  die  Aufgabe,  die  weiterhin 
den  Völkern  überlassen  war,  intuitiv  vorgezeichnet. 
Aber  glauben  Sie  mir,  Herr  Botschaftsrat  —  die 
Journalistik  ist  nicht  unbeteiligt  beiseite  gestanden. 
Ein  von  Natur  liberaler  Beruf,  hat  sie  im  Gegenteil 
alles  dazu  beigetragen,  den  Tränen,  die  seit  jenem 
großen  Moment  geflossen  sind,  freien  Lauf  zu  lassen. 

Haymerle  (ergriffen):  Wir  danken  es  Ihnen. 

(\^erwandiung[.) 

22.  Szene 

In  der  fönten  Stube  bei  Wahnschaffes. 

Frau  Pogatschnigg:  Also  ich  kann  nur 
sagen,  daß  »Heldengrab  im  Hause«  bei  uns  die 
weiteste  Verbreitung  gefunden  hat  und  alles 
begeistert  ist. 

Frau  Wahnschaffe  (bescheiden  abwehrend):  Ach, 
das  war  ja  nur  für  die  Toten.  Aber  jetzt  hat  Manne 
das  Heldenkissen  erfunden,  das  schönste  Geschenk 
für  unsere  heimkehrenden  Krieger,  um  auszuruhn 
von  ihren  Taten.  Es  enthält:  1.  die  sinnreiche  Anrede: 
Siegreiche  Krieger.  2.  Das  eiserne  Kreuz.  3.  Den 
Namen  des  Kriegers,  von  einem  Eichenkranz  umgeben 
als  Sinnbild  deutscher  Stärke.  4.  Deutsche  und  öster- 
reichische Fähnchen  als  Zeichen  der  Bundestreue  — 

Frau  Pogatschnigg:  Wacker! 

Frau  Wahnschaffe:  5.  Willkommen  in  der 
Heimat!  M.  3,50. 

Frau  Pogatschnigg:  Preiswert.  Was  gibt 
es  in  Kinderbüchern  und  Kinderspielen  Neues  bei 
euch  im  Reich? 


456 


Frau  Wahnschaffe:  Wir  spielen  Weltkrieg. 

Frau  Pogatschnigg:  Wie? 

Frau  Wahnschaffe:  Wir  spielen  Weltkrieg, 
ein  zeitgemäßes  Bilderbuch  für  unsre  Kleinen.  Nun 
und  von  richtich  gehenden  Spielen  —  na  der 
42  cm  Brummer,  aber  der  ist  ja  eigentlich  von  euch  — 
warten  Sie  —  ach  ja,  kennt  ihr  »Verteilung  der 
Beute  «? 

Frau  Pogatschnigg:  Ja,  aber  da  ist  man 
bei  uns  wenig  befriedigt,  ich  weiß  nicht,  wie  das 
kommt. 

Frau  Wahnschaffe:  Ach,  's  ist  doch  'n 
entzückendes  Spiel.  Meine  Jöhren  sind  ganz  selig. 
Ja,  für  uns  Deutsche  ist  das  Beste  — 

Frau  Pogatschnigg:  — gerade  gut  genug. 
Wir  haben  dafür  jetzt  den  »Russentod«,  etwas 
Erstklassiges. 

Frau  Wahnschaf fe:    Das   muß   fein   sein. 

Frau  Pogatschnigg:  Der  »Russentod«, 
eine  sinnreiche  Erfindung  der  Gräfin  Taaffe,  ist  ein  für 
Groß  und  Klein  interessantes  Geduldspiel,  ein  Erzeugnis 
der  Verwundeten  des  Roten  Kreuz-Lazaretts  auf  der 
Prager  Kleinseite,  wo  die  Gräfin  als  Oberschwester 
Samariterdienste  versieht.  In  einem  sehr  geschmackvoll 
ausgeführten  Osterei  erscheint  eine  Miniaturfestung 
mit  Drahthindernissen  und  Sumpf  dargestellt,  nebst 
kämpfenden  verbündeten  und  russischen  Soldaten. 
Durch  Schütteln  des  Eies  müssen  die  Verbündeten 
in  die  Festung  hereingebracht  und  die  Russen  in 
den  Sumpf  getrieben  werden. 

Frau  Wahnschaffe:  Etsch! 

Frau  Pogatschnigg:  Der  »Russentod«  bildet 
ein  geeignetes  Ostergeschenk  nicht  nur  für  die 
Jugend,  sondern  auch  für  die  Soldaten  in  den 
Spitälern,  denen  es  eine  angenehme  Zerstreuung 
und  spannende  Unterhaltung  bietet.  Das  »Russentod«- 
Osterei,  in  sehr  geschmackvoller  schwarz-gelb-seidener 


457 


Ausführung,  kostet  K  3-60  und  ist  in  der 
Prager  Zentralverkaufsstelle  des  Kriegsfürsorgeamtes 
erhältlich. 

Frau  Wahnschaffe:  Zu  niedlich.  Und  wie 
fein  die  hochgeborne  Samariterin  den  Geschmack  der 
Verwundeten  berücksichtigt  hat!  Ja  der  östreichische 
Adel!  Da  ist  denn  doch  noch  bei  aller  Schlappheit 
mehr  Grazie  als  bei  uns,  das  muß  sogar  ich  zugeben. 
Wie  ist  das  also,  liebe  Pogätschnigg  —  man  schüttelt 
das  Ei  und  denn  müssen  unsre  Braven  in  die 
Festung,  die  Russen  aber  in  den  Sumpf  —  etsch! 
Das  ist  ja  das  Ei  des  Columbus! 

Frau  Pogätschnigg:  Die  Gräfin  ist  seit 
dieser  Erfindung  der  Gegenstand  von  Huldigungen 
der  Gesellschaft.  Und  Sie  im  Reich  —  haben  Sie 
nichts  dergleichen  an  die  Seite  zu  stellen? 

Frau  Wahnschaffe:  Na,  ich  sollte  eigentlich, 
was  Wahnschaffe  schafft,  nicht  anpreisen  —  Sie  wissen 
ja,  Eigenlob  —  aber  ich  kann  nicht  umhin,  Ihnei 
den  neuen  Kriegsspielkreisel  wärmstens  zu  empfehlen. 
Dieses  neue  Spiel  darf  in  keinem  deutschen  Hause 
fehlen  und  gewährt  in  jeder  Familie,  jeder  Gesellschaft, 
bei  jeder  Gelegenheit  eine  spannende  Unterhaltung  für 
Jung  und  Alt.  Zunächst  wird  von  jedem  Teilnehmer 
ein  Einsatz  in  die  Kasse  gemacht.  Sodann  wird  der 
Kreisel  von  jedem  Teilnehmer  der  Reihe  nach  mit  den 
Fingern  in  kreisende  Bewegung  versetzt.  Die  Buch- 
staben und  Zahlen  haben  nachstehende  Bedeutung: 
R.  g.O:  Rußland  —  gewinnt  nichts.  E.v.  Vi:  England  — 
verliert  den  ganzen  Einsatz.  F.  v.  V2 :  Frankreich  — 
verliert  den  halben  Einsatz.  T.  g.  V3 :  Türkei  — 
gewinnt  ein  Drittel  von  der  Kasse.  Ö.  g.  V2 :  Öster- 
reich —  gewinnt  die  Hälfte  von  der  Kasse.  D.  g.  a. : 
Deutschland  über  alles  —  gewinnt  die  ganze  Kasse. 

Frau  Pogätschnigg:  Bravo!  Wenn  aber 
Österreich  die  Hälfte  der  Kasse  gewonnen  hat,  wie 
kann  dann  Deutschland  über  alles  verfügen?  Nimmt 
denn  Deutschland  auch  — 


458 


Frau  Wahnschaffe:  Nanu  ihr  oberfaulen 
Östreicher,  das  paßt  euch  wieder  mal  nicht  —  das 
ist  also  der  Dank,  daß  wir  euch  so  oft  aus  dem 
Dreck  rausgezogen  haben !  Die  letzte  Offensive 
ist  euch  wieder  rnal  glücklich  vorbeigelungen! 

Frau  Pogatschnigg  (drückt  ihr  die  Hand):  Sie 
haben  mich  überzeugt.  Österreich  gewinnt  zwar  nur 
die  Hälfte  von  der  Kasse,  aber  —  ich  bin  eine 
deutsche  Hausfraul  (Sie  gehen  Schulter  an  Schulter, 
»Deutschland,  Deutschland  über  alles«  singend,  ab.) 

(Verwandlung.) 

23.  Szene 

Drei    deutsche   Modedamen    bei    Betrachtung   eines    deutschen 
iModejournals. 

Erste  deutsche  Modedame:  Sieh  mal, 
4393,  Kostüm  »Glockenelfe«  aus  hellila  Seidenstoff. 
Bauschender,  in  Zacken  geschnittener  Rock;  eine 
Glocke  als  Kopfputz  —  das  ist  mein  Fall  für  den 
Karneval ! 

Zweite  deutsche  Modedame:  Nicht  doch, 
4389,  Kostüm  »Mörsergeschütz«  aus  glattem  Satin, 
mit  Mörserapplikationen;  ein  großes  Mörsermotiv 
als  Kopfputz  —  das  ist  mein  Fall.  Und  wir  sind 
doch  mitten  im  Karneval! 

Dritte  deutsche  Modedame:  Man  tut  ein 
Übriges.  Man  bringt  ein  Opfer.  Man  ,;iacht  aus 
einem  Glockenkostüm  ein  Mörserkostüm. 

(Verwandlung.) 

24.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Patriot:  Was  sagen  Sie  zur  Übertreibung, 
mit  der  in  den  feindlichen  Ländern  die  versuchte 
Meuterei  von  drei,  sage  drei  deutschen  Matrosen 
beurteilt  worden  ist? 


459 


Der  Abonnent:  Da  gibt  es  nur  eine  Antwort: 
Eine  große  Meuterei  in  der  englisciien  Flotte. 

Der  Patriot:  Wo,  wieso? 

Der  Abonnent:  In  Spithead  in  the  Nore. 

Der  Patriot:  Was  Sie  nicht  sagen  —  da 
war  eine  Meuterei  ? 

Der  Abonnent:  Und  was  für  eine!  Meuterei 
is  gar  kein  Ausdruck!  Die  Meuterei  ergriff  fast  die 
ganze  Flotte  des  Admirals  Duncan.  Die  Meuterer 
blockierten  die  Themse  mit  sechsundzwanzig  Kriegs- 
schiffen. 

Der  Patriot:  Hören  Sie  auf,  wo  steht  das, 
was  war  das  für  eine  Meuterei? 

Der  Abonnent:  Die  Meuterei  schien  das 
Vorspiel  einer  Revolution  zu  sein. 

Der  Patriot:  Was  Sie  nicht  sagen!  Was  für 
eine  Revolution,  was  für  eine  Meuterei?! 

Der  Abonnent:  Was  für  eine  Meuterei?  Die 
Meuterei,  an  die  der  geehrte  Einsender  erinnert! 

Der  Patriot:  Ja  richtig  —  aber  wann  war  das? 

Der  Abonnent:  In  den  letzten  Jahren. 

Der  Patriot:  Davon  hat  man  doch  gar  nie 
etwas  gehört?  Jetzt  kommt  das  heraus?  Sagen  Sie 
bittsie  wann  war  das? 

Der  Abonnent:  1797. 

Der  Patriot:  No  —  das  is  doch  aber  nicht 
in  den  letzten  Jahren!? 

Der  Abonnent:  Bitte,  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts! 

Der  Patriot:  No  —  aber  was  ham  wir 
davon? 

Der  Abonnent:  No  —  es  redt  sich  herum! 

Der  Patriot:  No  ja,  wenn  es  noch  dazu  wahr 
is!  Wissen  Sie,  wenn  es  auf  die  Stimmungen  der 
Entente  wirkt,  möcht  ich  mich  freun,  besonders 
wenn  zum  Beispiel  in  Frankreich  — 


460 


Der  Abonnent:  No  was  wolln  Sie  haben  — 
in  Frankreicli  is  die  französische  Revolution  au«^- 
gebrochen! 

Der  Patriot:  Hören  Sie  auf  —  wo  steht  das?! 

(Verwandlung.) 

25.  Szene 

Mittagtisch  bei  Hindenburg  und  Ludendorff. 

Hindenburg  (drückt  Paul  Goldmann  die  Hand): 
Ah,  da  sind  Sie  ja. 

Paul  Goldmann  (beiseite):  Eine  Löwenpranke. 
Er  begrüßt  mich  mit  der  herzgewinnenden  Güte,  die 
ihm  eigen  ist. 

Ludendorff  (drückt  Paul  Goldmann  die  Hand): 
Ah,  da  sind  Sie  ja. 

Paul  Goldmann  (beiseite):  Sein  Aussehen  ist 
unverändert  das  gleiche  wie  vor  einem,  vor  zwei, 
vor  drei  Jahren,  nur  daß  sein  Charakterkopf  noch 
durchgeistigter  geworden  ist. 

Hindenburg  und  Ludendorff  (beiseite):  Er 
hat  sich  nicht  verändert. 

|Sie  nehmen  Platz,  Goldmann  sitzt  zwischen  ihnen.  Sie  sprechen 
von  rechts  und  links  abwechselnd  auf  ihn  ein.) 

Hindenburg  (seufzend):  Jetztheißtesdurchhalten. 

Ludendorff  (seufzend):  Es  ist  schwer,  aber 
es  muß  gelingen. 

Hindenburg:  Es  steht  alles  gut. 

Ludendorff:  Die  Lage  berechtigt  zur  größten 
Zuversicht. 

Hindenburg:  Überwintern  müssen  wir  freilich, 

Ludendorff:     Den     Termin     des     Friedens 
bestimmen  können  wir  natürlich  nicht. 
^Goldmann  nickt  nach  beiden  Seiten  und  macht  sich  Notizen.) 

Paul  Goldmann  (zu  sich):  Über  das  Wann 
des  Friedens  bestimmte  Angaben  zu  machen  ist 
natürlich  unmöglich.  Aber  vielleicht  über  das  Wie  —  ? 


461 


ich  werde  jetzt  eine  Frage  stellen,  die  wohl  jedem 
daheim  am  Herzen  liegen  mag.  (Laut.)  Durch  welche 
Mittel  wird  der  Friede  am  sichersten  herbeigeftihrt? 

Hindenburg:  Der  Friede  wird  umso  eher 
herbeigeführt  werden 

Ludendorff:  je  günstiger  unsere  Kriegslage 
wird.  Noch  steht  die  Tat 

Hindenburg:  über  dem  Wort. 

Ludendorff:   De  ;halb  sollten  wir  jetzt  nicht 

Hindenburg:  vom  Frieden  sprechen.  Den 
Anfang 

ludendorff:  scheinen  die  Russen  machen 
zu  wollen. 

(Es   tritt    eine    Pause    ein,    während    welcher    sich    Qoldmann 
Notizen  macht.) 

Paul  Goldmann  (zu  sich):  Was  im  Anschluß 
hieran  über  den  Frieden  gesprochen  wurde,  entzieht 
sich  in  seinen  Einzelheiten  der  Veröffentlichung. 
Nur  so  viel  darf  vielleicht  mitgeteilt  werden,  daß 
Hindenburg  und  Ludendorff  einen  Frieden  wünschen, 
der  möglichst  sichere  und  stabile  Verhältnisse  schafft, 
einen  solchen  Frieden,  der  uns  gesicherte  Grenz- 
verhältnisse und  eine  freie  wirtschaftliche  Betätigung 
in  der  Welt  und  auf  dem  Weltmeer  bringt. 

Ludendorff:  Fahren  Sie  fort! 

Paul  Goldmann:  Gestatten  Sie  noch  — 

Ludendorff:  Ach  so  —  Hindenburg,  fahren 
wir  fort! 

Hindenburg  und  Ludendorff:  Ich  bin 
der  Meinung,  daß  die  Ansichten  über  den  Frieden 
nicht  unveränderlich  sein  können,  da  sie  von  der 
Kriegslage  abhängen. 

Hindenburg:  Auch  über  die  Lage  an  der 
Westfront  kann  ich  mich 

Ludendorff:  mitvollerBeruhigung  aussprechen. 


462 


Paul  Goldmann:  V/as  ist  von  dem  Obersien 
Kriegsrat  zu  erwarten,  den  die  Entente  jetzt  einzu- 
setzen im  Begriffe  ist?  (Zu  sich)  Hindenburg  lacht.  (Er 
notiert  dies  und  legt  dann  den  Finger  auf  die  elsaß-lothringische 
Frage.) 

Ludendorff:  Für  die  Franzosen  mag  es  eine 
elsaß-lothringische  Frage  geben 

Hindenburg:  für  Deutschland  gibt  es  keine. 

Paul  Goldmann:  No  und  was  ist  mit  Amerika? 

Hindenburg:  Die  Reklame 

Ludendorff:  mit  der  Amerika  seine  Kriegs- 
leistungen ankündigt 

Hindenburg:  ist  imposant  und  des  Landes 
würdig,  das  einen  Barnum 

Ludendorff:  hervorgebracht  hat.  Nun  wollen 
wir  erst  einmal  abwarten 

Hindenburg:  ob  die  Leistungen  selbst  ebenso 
imposant  sein  werden. 

Ludendorff:  Na  und  wenn  schon  —  erstens 
haben  die  Amerikaner  ihr  Heer  gegen  Japan  auf- 
gestellt — 

Hindenburg:  zweitens  leiden  sie  an  Tonnage- 
mangel — 

Ludendorff:  drittens  haben  wir  die  U-Boote. 

Hindenburg  und  Ludendorff:  Kurzum,  das 
große  amerikanische  Heer  steht  noch  in  nebelhafter 
Ferne. 

PaulGoldmannrIch  habe  eine  Frage  auf  dem 
Herzen,  die  an  das  Problem  des  U-Bootkrieges  streift. 

Ludendorff:  Na,  Hindenburg,  wolln  Se  mal 
alleene  antworten? 

Hindenburg:  Nee. 

Ludendorff:  Wir  haben  nie  daran  gedacht, 
daß  unsere  U-Boote  England  in  ein  paar  Monaten 
aushungern  würden.  Unser  Ziel  war  nicht,  England 
auszuhungern,  sondern  es  zum  Frieden  geneigter 
zu  machen. 


463 


Paul  Goldmann:  Na  schön,  unterhalten  wir 
uns  jetzt  mal  von  den  Operationen  in  Italien, 

Hindenburg:  Im  Wetteifer  mit  unseren 
Deutschen  haben  sich  die  österreichisch-ungarischen 
Soldaten  tapfer 

Ludendorff:  geschlagen. 

Paul  Goldmann:  Von  allen  Kriegsschau- 
plätzen war  schon  die  Rede,  ich  vermisse  jetzt  nur 
noch  den  Balkan. 

Hindenburg  (ihn  beruhigend):  Die  Lage  dort  ist 

Ludendorff:  unverändert. 

Paul  Goldmann  (zu  sich):  Ich  bin  beruhigt. 
Das  Mittagessen  war  von  militärischer  Einfachheit, 
wenngleich  der  Kaffee  aus  echten  Bohnen. 

(Hindenburg   und  Ludendorff  erheben   sich.     Paul  Goldmann 
bleibt  sitzen.) 

Hindenburg  (sich  von  dem  Gaste  verabschiedend, 
halb  zu  Ludendorff  gewendet):  Wenn  wir  noch  eine 
Zeitlang  Kraft  und  Geduld  haben,  bringen  wir's  zum 
guten  Ende.  (Sich  zu  Goldmann  wendend)  Das  Sagen  Sie 
in  Österreich-Ungarn  mit  einem  schönen  Gruß  von  mir! 

(Goldmann  ist  aufgestanden  und  wartet  zögernd.) 

Ludendorff  (auf  ihn  zutretend,  jedes  Wort  betonend): 
Sie  sind  heute  vielleicht  zum  letztenmal  bei  uns 
gewesen. 

Paul  Goldmann  (beiseite):  Die  Abschiedsworte 
des  Generalquartiermeisters  spielen  darauf  an,  daß 
ich  bisher  in  jedem  Kriegsherbst  einmal  an  der  Tafel 
des  Feldmarschalls  habe  sitzen  dürfen. 

(Verwandlung.) 

26.  Szene 

Semmering.     Auf  dem  Hochweg. 

Der  kaiserliche  Rat:  —  Also  was  soll  ich 
Ihnen  sagen  die  zehn  Waggon  sind  mir  nur  so  in  die 
Hand  geflogen.  In  Marienbad  also  was  soll  ich  Ihnen 


464 


sagen  man  kriegt  alles,  nur  natürlich  fufzn  Mal  so 
teuer  aber  was  schadt  das?  Gediegen  —  auf  der 
Südbahn,  wie  ich  hinkomm,  alles  gesteckt  voll,  lauter 
Soldaten  und  so,  ein  Geschrai  und  ein  Gedränge, 
Menschen  sag  ich  Ihnen  so  etwas  war  noch  nicht 
da  —  no  was  heißt  das,  i  c  h  wer  nicht  Platz  kriegen, 
also  was  soll  ich  Ihnen  sagen  bin  ich  einfach  mitten 
durchgegangen  und  von  vorn  herein  und  von  hinten 
herum,  hat  der  Verkehrsbeamte  gesagt  ich  soll  mich 
verlassen,  er  versorgt  mich,  hab  ich  das  Gepäck  einem 
Soldaten  gegeben,  also  was  soll  ich  Ihnen  sagen  ein 
Coup^  ganz  allein  bis  herauf  am  Semmering,  die  Leute 
sind  am  Korridor  gestanden  wie  die  Häringe  —  phü 
die  Hitze  —  (zieht  eine  Düte  hervor)  Billig  — !  vom  Zuckerl- 
könig!  das  Stück  zwei  Kronen,  ein  Preis  wo  jeder 
staunen  muß.  Was  sagen  Sie  zum  heutigen  Bericht? 

Der  alte  Biach:  Das  kann  nicht  ohne  Rück- 
schlag auf  die  Stimmungen  der  Entente  bleiben. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  weiß  nicht  —  ich 
kann  mir  nicht  helfen  —  der  heutige  Bericht  — 
also  was  sagen  Sie  zu  Luzk? 

Der  alte  Biach:  Zunehmendes  Schwäche- 
gefühl in  der  Entente. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wieso? 

Der  alte  Biach:  Die  Entente  verbirgt  sich 
noch  hinter  großen  Worten,  aber  sie  fühlt  bereits 
ihre  Schwäche. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  Luzk? 

Der  alte  Biach:  Der  Friede  sichert  ein 
Frühstück  ohne  Rußland. 

Der  kaiserliche  Rat:  Erklären  Sie  — 

Der  alte  Biach:  In  Milliarden  ausrechnen 
können  wir  das  nicht.  Es  gibt  jedoch  Milliarden, 
die  sich  nicht  zahlen  lassen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Allesgeht,  wenn  man  will. 

Der  alte  Biach:  Hundert  Milliarden  Mark  im 
Jahr  sind  ein  Ungetüm  von  Leviathan,  an  dem  nichts 
klein  ist. 


465 


Der  kaiserliche  Rat:  Wo  nehmen  Sie  die 
Milliarden  her?  Heutzutag  ! 

Der  alte  Biach:  Die  Zeiten  sind  hart. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  also  was  folgt 
daraus? 

DeralteBiach:  Kerenski  hat  gesagt,  Rußland 
ist  erschöpft. 

Der  kaiserliche  Rat:  So.  Aber  Luzk  —  ? 

Der  alte  Biach:  Die  Schlacht  am  oberen 
Isonzo  hat  erst  heute  früh  begonnen  und  wir  möchten 
ihrem  Verlauf  nicht  vorgreifen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  mein  aber  Luzk  —  I 

Der  alte  Biach:  Wir  wollen  nicht  in  Zukunfts- 
träumen schwelgen,  doch  ein  solcher  Beweis  wäre 
des  Einsatzes  wert. 

Der  kaiserliche  Rat:  Luzk  — ! 

Der  alte  Biach:  Wir  spüren  aus  den  Worten 
des  Kriegspressequartiers  den  Anhauch  des  Geschicht- 
lichen. Nun  werden  sie  schreien  nach  der  amerika- 
nischen Unterstützung,  nach  diesem  Irrlicht  der 
Entente,  dem  sie  nacheilt  und  das  sie  immer  tiefer 
hineinführt  in  den  Sumpf,  in  Niederlage  und  Ver- 
derbnis. 

Der  kaiserliche  Rat:  Selbstredend,  aber — 

Der  alte  Biach:  Aber  schon  jetzt  empfinden 
wir  den  Geist  des  Sieges  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Nu  na  nicht.  Das 
heißt  —  unten!  Aber  oben?? 

Der  alte  Biach  (ausbrechend):  Das  erste  muß 
jetzt  sein,  daß  der  Reisende  die  Fühlhörner  aus- 
streckt und  die  Kundschaft  abtastet. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  leuchtet  mir  ein, 
aber  — 

Der  alte  Biach:  Wenn  wir  die  Bilanz  ziehen, 
so  ergibt  sich  noch  immer  zu  unseren  Gunsten  ein 
Plus  von  zirka  40.000  Mann. 

Der  kaiserliche  Rat:  Unten!  Aber  oben—?? 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  30 


466 


DeralteBiach:  Man  vernimmt  den  Kanonen- 
donner und  weiß,  wie  viele  von  den  Toten,  Ver- 
wundeten und  Gefangenen  auf  die  Lastenseite  zu 
verrechnen  sind. 

Der  kaiserliche  Rat:  Also  nehmen  Sie 
schon  an  — 

Der  alte  Biach:  London  und  Paris  dürften 
heute  recht  verdrossen  sein.  Konsols  sind  auf  dem 
Tiefstand. 

Der  kaiserliche  Rat:    No  ja,  der  Krieg  — 

Der  alte  Biach:  Der  Krieg  schlägt  die  Völker 
dreifach:  Schlechtes  Geld,  Mangel  und  Höchstpreise. 

Der  kaiserliche  Rat:  In  dem  Punkt  — 
wer  sich  — 

Der  alte  Biach:  Wer  sich  in  die  Italiener 
hineindenkt  — 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und? 

Der  alte  Biach:  Schrecken  dürfte  sich  bereits 
unter  den  Bewohnern  ausbreiten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  fürchte  stark. 

Der  alte  Biach:  Ohne  die  Möglichkeiten 
schon  jetzt,  ehe  das  Werk  vollendet  ist,  in  den 
Einzelheiten  und  in  den  Details  zu  erörtern  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Was  halten  Sie  von 
den  Konferenzen  in  Rom? 

Der  alte  Biach:   Kühle  Aufnahme  in  Paris. 

Der  kaiserliche  Rat:  Erinnern  Siesich  noch  — 
damals  —  bei  der  Affaire  mit  der  Lusitania  — 

Der  alte  Biach  (unwillig  den  Kopf  hin  und  her 
bewegend):   Übertreibung  der  ganzen  Angelegenheit. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wissen  Sie,  was  uns 
gesund  war?  Wie  damals  wo  es  geheißen  hat  — 
Gott  das  waren  doch  Zeiten  —  Umfassung  der 
russischen  Truppen  durch  die  deutsche  Armee  — 

Der  alte  Biach  (rabiat):  —  und  Hereinwerfen 
in  die  masurischen  Sümpfe. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  Rumänien? 


467 


Der  alte  Riach:  Geputzte  Frauen  saßen  an 
den  Tischen  in  öen  hellerleuchteten  Sälen  der 
Bukarester  Hotels.  Wir  können  uns  vorstellen  — 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  was  war  da? 

Der  alte  Biach:  Die  bemalten  Weiber  in 
Bukarest  erbleichen. 

Der  kaiserliciic  Rat:  Das  sind  Schmonzes. 

Der  alte  Biach:  Schrecken  breitet  sich  aus 
über  die  Stadt.  Die  Fenster  haben  gezittert  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Nu  na  nicht.  Aber 
was  ham  wir  zu  erwarten? 

Der  alte  Biach:  Beginn  einer  großen  Zeit. 
Die  Blicke  der  Völker  nach   dem  Westen  gerichtet. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wenn  Sie  das  sagen, 
glaubt  man  e  Titel  von  ihm  zu  hören  mit  Untertitel 
im  Abendblatt.  Aber  — 

Der  alte  Biach:  Die  Frauen  von  Paris  horchen 
nach  dem  Osten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wieso? 

Der  alte  Biach:  Frauen  mit  verweinten  Augen 
sind  in  den  Straßen  von  Paris  zu  sehen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Bittsie,  wir  ham  auch 
nix  zu  lachen. 

Der  alte  Biach  (mit  Elan):  Hymnen  tönen  im 
Herzen.  Der  Philosoph  Fichte  war  zum  Landsturm 
eingerlickt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wie  kommen  Sie 
dadarauf? 

Der  alte  Biach  (fabulierend):  Er  machte  seine 
Übungen  gemeinsam  mit  Buttmann,  Rühs  und  dem 
Theologen  Schleiermacher.  Buttmann  und  Rühs 
konnten  nicht  erlernen,  rechts  und  links  zu  unter- 
scheiden. Diese  Zeit,  die  so  viel  Ähnlichkeit  mit 
unserer  hat,  reizt  die  Neugierde,  und  vielleicht  kann 
die  Vergangenheit  auf  die  Frage  antworten:  Wie  ist 
der  Verlauf  von  wirtschaftlichen  Krisen,  die  von 
einem  Kriege  hervorgerufen  werden?  Der  Vergleich 

30* 


468 


führt  zu  auffallenden  Übereinstimmungen  bis  in  die 
Einzelheiten.  Erleben  wir  jetzt  nicht  das  Schöpfungs- 
wunder in  der  Stickstoffindustrie? 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  versteh.  Aber 
wissen  Sie,  was  wir  braucheten? 

Der  alte  Biach  (stürmisch):  Starke  Männer, 
die  alles  von  sich  werfen  und  sich  den  Trieben  der 
Gegenwart  hingeben  wie  die  Braut  dem  Bräutigam. 

Der  kaiserliche  Rat:  Je  nachdem. 

Der  alte  Biach:  Der  Krieg  hat  besondere 
Absatzstockungen  und  der  Friede  auch,  und  so 
schwingen  die  Einflüsse  fort  und  der  Wechsel 
braucht  eine  Leitung  des  Staates,  die  in  das  Volk 
hineinhorcht  und  aus  ihm  heraushört  und  in  den 
zittrigen  Augenblicken  dieser  Veränderung  in  den 
Bedürfnissen  und  in  der  Erzeugung  auf  der  Höhe 
ihrer  Pflicht  ist.  Das  Jahr  der  Erfüllung  kommt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ob  Sie  da  nicht  bißl 
übertreiben  — ? 

Der  alte  Biach  (frohlockend):  Herrlich  ist  alles 
geworden,  frei  ist  das  Land,  zurückgeworfen  sind  die 
Feinde,  ausgemerzt  die  serbischen  Truppen,  zerstört 
die  russischen  Festungen. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  —  no!  Und  Luzk?! 

Der  alte  Biach  (betroppezt,  doch  gefaßt):  Trauer- 
fahnen müssen  herausgehängt  werden.  Aber  wozu 
solche  Äußerlichkeiten? 

Der  kaiserliche  Rat:  Jetzt  sprechen  Sie 
wieder,  wie  wenn  ma  scho  ganz  — 

Der  alte  Biach  (aufatmend):  Rußland  gebeugt, 
Serbien  zertreten,  Italien  beschämt!  Die  Menschheit  ist 
für  Jahrzehnte  entlastet,  das  Bohren  in  den  Nerven 
wird  nicht  mehr  empfunden  werden,  und  das  muß 
ein  Wohlgefühl  verbreiten  und  die  Einleitung  zu 
Abschnitten  sein,  in  denen  das  Staunen  über  die 
wirtschaftliche  Entfaltung  uns  wieder  gefangennimmt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Apropos  gefangen- 
nimmt. Bei  Luzk  — 


469 


Der  alte  Biach:  Der  Geschichtsforscher  wird 
nach  Mitteilungen  über  die  Aufnahme  der  Nachrichten 
von  dem  Siege  in  Ostgalizien  suchen,  ob  nicht 
Freudenfeuer  auf  den  Spitzen  der  Berge  angezündet, 
brennende  Kerzen  in  die  Fenster  der  Häuser  gestellt 
wurden  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Gestatten  Sie  eine 
Laienfrage.  Wo  nehmen  Sie  die  Kerzen  her? 

Der  alte  Biach:  —  ob  nicht  berauschende 
Musik  die  Stimmungen  ausgedrückt  habe  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  sind  Schmonzes 
über  Tarnopol.  Bleiben  wir  bei  Tachles  über  Luzk! 

Der  alte  Biach  (nachdenklich):  Der  verstorbene 
Generalsekretär  der  Österreichisch-ungarischen  Bank, 
Wilhelm  v.  Lucam,  ist  nahezu  vergessen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Traurig. 

Der  alte  Biach:  Der  jetzige  Gouverneur, 
Herr  v.  Popovics,  hat  eine  Vergangenheit,  die  zu 
einer  Zukunft  berechtigt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Schön.  Aber  warum 
sagen  Sie  das? 

Der  alte  Biach:  Wir  stellen  uns  den  Offizier 
und  den  Soldaten  vor,  der  von  Cattaro  über  Geröll 
und  Felsblöcken,  in  den  höheren  Lagen  über  Eis 
und  Schnee,  beständig  von  den  Geschossen  des 
Feindes  bedroht,  auf  den  Lovcen  gestiegen  ist.  Er 
muß  ein  anderer  geworden  sein. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  glaub  auch.  Aber 
mir  imponiert  nur  Ihre  lebhafte  Phantasie  — 

Der  alte  Biach:  Die  Einbildungskraft 
schwelgt  in  der  Vorstellung  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Moment.  Sie  springenauf 
die  Österreichisch-ungarische  Bank  und  von  da  auf  den 
Lovcen.  Mich  intressieret  aber  Ihre  Ansicht  über  Luzk — 

Der  alte  B i a c h  (scheu) :  Wir  möchten  in  den 
Erinnerungen  nicht  zurückgreifen  auf  Tyrtäus. 

Der  kaiserliche  Rat:  Warum  nicht,  tun  Sie 
sich  keinen  Zwang  an. 


470 


Der  alte  Biach  (stichelnd):  Clemenceau  wird 
verwundert  sein. 

Der  kaiserliciie  Rat:    Das  gönn  ich  ihm! 

Der  alte  Biach  (tändelnd):  Der  russische  Dichter 
Puschkin  heiratete  ein  junges  Mädchen  aus  einer 
vornehmen  Familie.  Natalie  Goncharow  war  gefall- 
süchtig und  der  Dichter  eifersüchtig.  Der  Sohn  des 
niederländischen  Gesandten  in  Petersburg,  Baron 
George  Heckeren,  reizte  durch  seine  Werbungen  um 
die  Gunst  der  schönen  Frau  den  Verdacht  des 
Mannes  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  erinner  mich. 
Puschkin  is  nebbich  im  Zweikampf  gelötet  worn. 
Aber  worauf  wolln  Sie  hinaus? 

Der  alte  Biach  (sinnierend):  Die  Nachwelt  hat 
ihn  nicht  vergessen,  und  bei  der  Enthüllung  seines 
Denkmals  wurde  Dostojewski  eingeladen,  die  Gedenk- 
rede zu  halten.  Er  sagte,  der  innerste  Gedanke  der 
russischen  Volksseele  ist:  Dulde!  Der  Bericht  der 
deutschen  Obersten  Heeresleitung  erzählt,  daß  die 
Verluste  des  Feindes  bei  Postawy  — 

Der  kaiserliche  Rat:  No  ja,  aber  bei  Luzk 
schätz  ich  — 

Der  alte  Biach:  Die  Spaziergänger  auf  den 
Straßen  streifen  sich  gegenseitig  mit  den  Blicken 
und  wollen  in  den  Augen  die  Gedanken  über 
Durazzo,  Verdun  und  die  Champagne  lesen. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  über  Stanislau 
doch  auch!  Was  sagen  Sie  zu  Stanislau? 

Der  alte  Biach  (mit  Überzeugung):  Stanislau  ist 
ein  Rufzeichen,  das  den  Übermut  des  Generals  Brussilo  w 
dämpfen  und  ihn  erinnern  muß,  wie  vergänglich  an 
dieser  Stelle   russische  Eroberungen   gewesen  sind. 

Der  kaiserliche  Rat:  Und  was  sagen  Sie  zu 
Brody? 

Der  alte  Biach  (kleinlaut):  Brody  ist  ein  Schmerz. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  Görz? 

Der  alte  Biach  (obenhin):  Görz  ist  ein  Hautritz. 


471 


Der  kaiserliche  Rat:  Glauben  Sie  mir,  es 
kommt  immer  anders  wie  man  sich  vorstellt. 

Der  alte  Biach:  Die  Linien  und  die  Flächen 
sind  in  der  Wirklichkeit  vom  Körper  nicht  zu  trennen, 
und  dennoch  arbeitet  das  Denkvermögen  mit  ihnen 
und  baut  Sätze  auf  mit  unbedingter  Wahrheit,  obgleich 
die  Breite  und  Tiefe  vernachlässigt  werden.  Die 
Schlachten  an  der  Somme  sind  eine  der  schlimmsten 
Enttäuschungen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Aber  schließlich  — 
die  Leute   müssen   doch  wissen,    was   sie   wollen!? 

Der  alte  Biach:  Vielleicht  wird  sich  die 
Erkenntnis  verstärken,  daß  es  auch  im  Völkerdasein 
nichts  ganz  Gradliniges  gibt  und  daß  tiberall  die 
Kreuzungsflächen  sich  schneiden. 

Der  kaiserliche  Rat:  Moment.  Die 
Diplomaten  der  Entente  — 

Der  alte  Biach  (lebhaft):  Die  Diplomaten  der 
Entente  sind  wie  die  Söhne  des  Noah,  welche  die 
Blöße  ihres  trunkenen  Vaters  zugedeckt  haben. 

Der  kaiserliche  Rat:  Gelungen.  Aber  seit 
Rumänien  — 

Der  alte  Biach  (übersprudelnd):  Als  die  Kriegs- 
erklärung in  Bukarest  beschlossen  worden  ist,  haben 
sich  die  Führer  der  Entente  benommen,  als  hätten 
sie  Dämpfe  von  indischem  Hanf  eingeatmet. 

Der  kaiserliche  Rat:  Meschugge.  Aber  was 
wolln  Sie  heut  von  Bratianu? 

Der  alte  Biach:  Bratianu  wird  jetzt  böse 
Nächte  haben. 

Der  kaiserliche  Rat:    Wieso   glauben  Sie? 

Der  alte  Biach:  Wenn  eine  Schraube  auf 
die  Offensive  gestellt  ist  und  zur  Defensive  umgedreht 
werden  soll,  kann  sie  leicht  brechen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Glaub  ich  auch.  No 
aber  in  Wien  wird  sich  doch  heut  etwas  tun  — I 


472 


Der  alteBiach:  In  den  Straßen  von  Bukarest 
werden  jetzt  manche  herumgehen  mit  dem  Zweifel 
im  Herzen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Erlauben  Sie,  wir 
können  — 

Der  alte  Biach:  Wir  können  uns  die  Wirkung 
auf  das  rumänische  Volk  vorstellen. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  aber  das  is  doch 
schon  alles  vorbei  ~  jetzt  hat  ma  doch  wieder  andere 
Sorgen  — ! 

Der  alte  Biach  (gedeftet):  Die  Sorge  beginnt 
wieder. 

Der  ka  iser  liehe  Rat:  Sie,  jetzt  hören  Sieschon— ! 

Der  alte  Biach:  Jetzt  hören  sie  schon 
den  Kanonendonner  von  Tutrakan  und  oilistria  in  den 
Straßen  von  Bukarest. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  is  doch  aber  eine 
erledigte  Sache  — ! 

Der  alte  Biach:  So  endet  der  erste  Abschnitt 
eines  Krieges,  für  dessen  Ausgelassenheit  in  den 
Beweggründen  und  in  den  Formen  jedes  Maß  fehlt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  wer  Ihnen  sagen, 
v/as  Sie  sich  vorstellen,  das  — 

Der  alte  Biach  (bestimmt):  Das  kann  in  England 
nicht  ohne  Eindruck  bleiben. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sagt  Er  1  Heut  hat  ma 
doch  wirklich  andere  Sorgen  wie  Tutrakan!?  Der 
bulgarische   Sieg   hat   damals  Aufsehn   gemacht  — 

Der  alte  Biach  (vibrant) :  —  weil  er  mit  solcher 
Frische  aus  dem  Handgelenk  gekommen  ist. 

DerkaiserlicheRat:  Was  heut  intressiert  — 
is  Luzk! 

Der  alte  Biach  (schäkernd):  Beim  Melkender 
Kuh  denkt  Vroni,  ob  es  nicht  schön  wäre  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Lassen  Sie  mich  aus! 


473 


Der  alte  Biach  (versunken):  Alix  von  Hessen 
ist  der  Mädchenname  der  Kaiserin  Maria  Feodorowna. 
Sie  war  noch  in  der  Baumschule  des  Lebens  und 
bereits  in  der  Rinde  gekerbt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Biach,  was  is  Ihnen? 

Der  alte  Biach  (wehmütig):  Was  ist  aus  Alix, 
die  auch  nicht  beten  darf,  wie  die  verstorbene 
Mutter  sie  es  gelehrt  hatte,  geworden,  nachdem  sie 
hinausgestoßen  wurde  in  die  düstere  Verlassenheit 
an  der  Seite  eines  Zarenthrones. 

Der  kaiserliche  Rat:  Meine  Sorg!  Was 
intressieren  Sie  sich? 

Der  alte  Biach:  Der  Anlaß  zu  dieser  Frage 
ist  die  eigentümliche  Meldung,  daß  die  Kaiserin  bis 
in  die  vordersten  Linien  der  russischen  Front,  wo 
die  deutschen  Stellungen  bereits  in  Sicht  waren, 
gegangen  sei. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und? 

Der  alte  Biach  (sinnend):  Vielleicht  sind  auch 
jüngere  und  ältere  Männer  aus  Hessen  in  den  Schützen- 
gräben gewesen,  die  Maria  Feodorowna  bei  dem 
Besuche  auf  dem  Schlachtfelde  gesehen  hat;  vielleicht 
hat  ein  Zufall  es  gefügt,  daß  es  Freunde  aus  der  Jugend- 
zeit waren,  Söhne  oder  Gatten  ihrer  Gespielinnen, 
Nachbarskinder  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Vielleicht.  Das  müßte 
aber  schon  e  besonderer  Zufall  sein! 

DeralteBiach:  —  und  jedenfalls  Landsleute 
und  Deutsche. 

Der  kaiserliche  Rat:  Also  Deutsche  jedenfalls. 
Aber  ausgerechnet  Söhne  und  Gatten  ihrer  Ge- 
spielinnen? Also  so  müssen  Sie  sich  das  nicht  vor- 
stellen, daß  sich  die  grad  vorn  in  die  Schützengräben 
hereinlegen  wern  —  und  Nachbarskinder  hat  sie  wahr- 
scheinlich überhaupt  keine  gehabt  und  wenn  ja  und 
wenn  sie  zufällig  wirklich  vorn  waren  in  die  Schützen- 
gräben, sagen  Sic  mir  bittsie  wie  soll  sie  sie  erkennen 


474 


nach  so  viele  Jahr  und  auf  die  Entfernung?!  Aber  — 
warum  lassen  Sie  sich  das  so  nah  gehn? 

Der  alte  Biach  (elegisch):  Alix  stand  am 
Rande  des  russischen  Drahtverhaues  und  schaute 
hinüber  nach  Wiesen  und  Feldern,  die  nur  wenige 
Meter  von  ihr  entfernt  gewesen  sind  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Ausgerechnet!  So  nah 
wird  ma  sie  gehn  lassen!  Und  wo  sind  da  Wiesen 
und  Felder,  wie  stellen  Sie  sich  das  vor?!   Wo  — 

Der  alte  Biach  (träumerisch):  —  wo  eiti  Windstoß 
manchen  Laut  zu  ihr  hinübertragen  könnte,  der  ihr 
trotz  aller  Wandlungen  vertraut  bleiben  mußte. 

Der  kaiserliche  Rat:  Biach,  Sie  sind  etwas 
ein  Phantast! 

Der  alte  Biach  (beharrend;:  Alix  lebt  noch  in 
der  Kaiserin  Maria  Feodorowna. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sagen  Sie  bittsie  Sie 
sind  doch  ein  vernünftiger  Mensch  —  was  geht  Sie 
Alix  an?! 

Der  alte  Biach  (teilnehmend) :  Sie  ist  eine 
unglückliche,  gebrochene  Frau,  beständig  von  einem 
Kummer  gequält,  der  sich  in  ihren  Kopf  hineinbohrt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sagen  Sie  mir  nur 
um  Gottesv/illen  —  was  geht  das  Sie  an?! 

Der  alte  Biach:  Mit  gerungenen  Händen 
hat  sie  zum  Himmel  aufgeschrien. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wieso,  was  is  ihr 
passiert? 

Der  alte  Biach  (schmerzlich,  doch  mit  verhaltener 
Gewure):  Den  Namen  konnten  die  Russen  ihr  ausziehen, 
als  wäre  er  nur  ein  Kleid.  Ein  Gebetbuch  konnten  sie 
ihr  aufzwingen,  aber  das  deutsche  Gemiet  war  nicht 
aus  ihr  herauezureißen.  Eine  Spur  von  Alix  muß 
noch  vorhanden  sein. 

Der  kaiserliche  Rat:No  nehmen  Sie  schon 
an!  Aber  woher  wissen  Sie,  was  in  Alix  vorgeht? 


475 


Der  alte  Biach  (verloren):  Und  schaute  hinüber 
zu  den  Deutschen,  wo  auch  kostbares  Blut  iließt, 
und  dachte  vielleicht  an  ihre  Großmutter. 

Der  kaiserliche  Rat:  Vielleicht.  Warum  sagt 
sie  aber  dann  nicht,  sie  solln  aufhören  mit  dem  Krieg? 

Der  alte  Biach  (bitter):  Weil  die  Kaiserin 
Maria  Feodorowna  der  Alix  nicht  zu  viel  nachgeben 
darf.  Sie  schaute  hinüber  und  auf  ihren  verschlossenen 
Lippen   mochte   das   Wort  vom   Frieden  schweben. 

Der  kaiserliche  Rat:  Aber  glauben  Sie 
wirklich,  daß  man  sie  direkt  in  der  Schlacht  hinein- 
geführt haben  wird?  Vielleicht  — 

Der  alte  Biach  (versonnen):  Vielleicht  haben  sie 
den  Ausschnitt  eines  Salonkrieges  für  sie  hergerichtet. 
Das  langsame  Abklingen  der  Krise  mag  in  Petersburg 
nach  dem  Aufschäumen  des  Erfolges  noch  nicht 
erkannt  werden.  Der  Zar  hört  auf  sie,  und  Alix,  die 
weggetauft  wurde,  ist  ihm  mehr  als  Maria  Feodorowna. 

Der  kaiserliche  Rat:  Warum  hat  sie  sich 
wegtaufen  lassen?  No  also  schön,  wenn  Sie  das 
glücklich  macht,  stelln  Se  sach  vor. 

Der  alte  Biach  (entschlossen):  Stellen  wir  uns 
das  Hauptquartier  des  Zaren  vor,  wenn  die  Nach- 
richten kommen. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  was  ham  Sie  schon 
davon?!  Aber  wegen  Alix  will  ich  Sie  aufmerksam 
machen  —  sie   heißt  gar  nicht  Maria  Feodorowna  1 

Der  alte  Biach  (pikiert):  Das  sind  Sticheleien. 

Der  kaiserliche  Rat:  So  wahr  ich  da  leb,  sie 
heißt,  v.äe  heißt  sie  nur,  sie  heißt  Alexandra  Feodorowna! 

Der  alte  Biach  (mißmutig):  E  Druckfehler. 

DerkaiserlicheRat:  Apropos,  was  sagen  Sie 
zu  Nikolajewitsch?  Dem  is  auch  schon  mies. 

Der  alte  Biach  (schadenfroh):  Da  kommen  die 
Stiche  in  der  Leber  und  es  melden  sich  die 
Erscheinungen  einer  verderbten  Galle. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  sind  auch  Sticheleien. 
Aber  was  nutzt  das  alles  —  Brussilow  is  gesund! 


476 


Der  alte  Biach  (verklärt):  Die  Einnahme  von 
Bukarest  bringt  uns  einen  jener  seltenen  Augenblicke, 
in  denen  der  Mensch  glaubt,  die  Schwingen  des 
Talents  über  sich  rauschen  zu  hören. 

Der  kaiserliche  Rat:  Was  heißt  Talent,  das 
war  schon  genial!  No  aber  —  Brussilow  is  e  Hund? 
Was  möchten  wir  heute  drum  geben  — I  Also  wenn 
die  Nachricht  — 

DeralteBiach  (ekstatisch) :  Wenn  die  Nachricht 
kommt,  daß  die  Siege  in  Rumänien  die  verbündeten 
Truppen  bis  in  die  Palästestraßen  von  Bukarest 
geführt  haben,  so  beugen  wir  uns  in  Ehrfurcht  vor 
dem  menschlichen  Geiste. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ja,  die  ham  damals 
gut  abgewirtschaftet,  der  rumänische  König  und  sie! 

Der  alte  Biach  (phantasierend):  Wer  spricht 
von  den  Verschollenen  und  vielleicht  ist  ihre  einzige 
Spur  ein  Parfüm,  der  noch  an  der  Wandverkleidung 
der  Zimmer  haftet,  irgend  ein  verstreutes  Merkmal 
des  einstigen  Luxus  und  des  Übermutes. 

Der  kaiserliche  Rat:  Meine  Sorg.  Der  Sieg  — 

Der  alte  Biach  (entschieden):  Der  Sieg  hat  ein 
Bedürfnis  befriedigt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Lassen  Sie's  gut  sein, 
was  möchten  wir  heute  — 

Der  alte  Biach  (bedächtig):  Wir  möchten  heute 
zu  den  mächtigen  Herren  vom  Rat  der  Vier  sprechen. 

Der  kaiserliche  Rat:  Von  Ihnen  wern  sie 
sich  zureden  lassen!  Was  Sie  sich  einbilden! 

Der  alte  Biach  (einschmeichelnd):  Wir  möchten 
nicht  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Ob  Sie  möchten  oder 
nicht  möchten,  liegt  dem  Rat  der  Vier  stagelgrün  auf. 

Der  alte  Biach  (eifernd):  Weil  sie  die  Ein- 
bildungen und  die  Stimmungen  nicht  geschont  und 
mit  solchen  Reizungen  die  Luft  zum  Atmen  vergiftet 
haben.  Die  Begehrlichkeit  ist  jedoch  auch  in  den 
Berechnungen  — 


477 


Der  kaiserliche  Rat:  No  passen  Sie  auf,  sie 
kommen  noch  bis  Konstantinopel. 

Der  alte  Biach  (leidenschaftlich):  Die  Hagia 
Sophia  ist  die  Fata  Morgana  für  die  russische 
Vergrößerungspolitik.  Das  Versprechen  der  Beihilfe 
zur  Verwirklichung  dieses  Spiegelbildes  ist  der 
Nasenring,  an  dem  die  englische  Politik  den 
russischen  Bären  führte  und  noch  führt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sie  mir  scheint 
Sie  ham  etwas  einen  Pick  auf  England. 

Der  alte  Biach  (kategorisch):  England  ist  nicht 
bedroht.  Teil  sagt,  jeder  geht  an  sein  Geschäft 
und  meines  ist  der  Mord. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ihres? 

Der  alte  Biach:  Seines! 

Der  kaiserliche  Rat:  Seines? 

Der  alte  Biach:  Teils! 

Der  kaiserliche  Rat:  Wieso  Teils? 

Der  alte  Biach:  Englands! 

Der  kaiserliche  Rat:  Is  denn  England 
Teil?  England  is  doch  konträr  Geßler  und  Deutsch- 
land is  Teil!    Teil  sagt,  ich  lebte  still  und  harmlos. 

Der  alte  Biach:  Sie? 

Der  kaiserliche  Rat:  Er! 

Der  alte  Biach:  Er? 

Der  kaiserliche  Rat:  Teil! 

Der  alte  Biach:  Wieso  Teil? 

Der  kaiserliche  Rat:  No  Deutschland!  Man 
hat  ihm  doch  hörich  in  ein  Drachengift  verwandelt 
die  Milch! 

Der  alte  Biach  (bitter):  Das  ist  Verderbtheit. 

Der   kaiserliche   Rat:    Da   ham  Sie  recht. 

Deralte  Biach  (dumpf):  Wir  können  uns 
vorstellen,  wie  er  dort  sitzt  auf  der  Regierungsbank, 
im  Palaste  des  Monte  Citorio,  ein  düsterer,  schweig- 
samer Mensch. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wer?  Gar  ka  Spur! 


478 


Der  alte  Biach:  Spuren  von  Gedrücktheit 
werden  erkennbar.  DieNeutralen  werden  nachdenklich. 

Der  kaiserliche  Rat:  Also  gut.  Aber  vielleicht — 

Der  alte  Biach:  Vielleicht  geht  jetzt  schon 
ein  Flüstern  durch  die  englische  Gesellschaft,  daß 
der  Krieg  sich  nicht  mehr  bezahlt  macht.  Die  Politik 
der  Einkreisung  ist  zahlungsunfähig. 

Der  kaiserliche  Rat:  Davon  bin  ich  über- 
zeugt. Aber  Lloyd  George  — 

Der  alte  Biach:  Lloyd  George  hat  jedoch 
die  Politik  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Geben  Sie  ihrn  Elzes. 
Was  sagen  Sie  zu  Rußland? 

Der  alte  Biach  (schwer):   Im   Flügel  ist  Blei. 

DerkaiserlicheRat:  Was  kauf  ich  mr  dafür. 

Der  alteBiach(mehrzu  sich):  Schreckliche  Zeiten! 

Der  kaiserliche  Rat:  Wem  sagen  Sie  das? 

Der  alte  Biach:  Man  kann  sich  vorstellen, 
wie  die  Bomben  herunterdonnern. 

Der  kaiserliche  Rat:  Schön.  Aber  was 
hani  wir  davon? 

Der  alte  Biach  (zufrieden):  Verdrossenheit  in 
der  Entente. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sie  spielen  darauf  an, 
daß  Lloyd  George  broiges  wird  mit  Clemenceau. 
Wenn   das  Deutschland  gelingt  —  schön.    Aber  — 

Der  alteBiach  (nicht  ohne  Tarn) :  Lloyd  George 
können  wir  uns  vorstellen,  wie  er  von  seinem  Kirchen- 
stuhle sich  erhebt  und  als  Prediger  zu  reden  beginnt, 
weil  nach  den  Worten  der  Heiligen  Schrift  der  Geist 
des  Herrn  über  ihn  gekommen  ist.  Das  ist  bei 
Clemenceau  undenkbar. 

Der  kaiserliche  Rat:  Reden  wir  vonTachles  — 

Der  alte  Biach:  Präsident  Wilson  hat  einmal 
gesagt,  ich  lege  das  Ohr  auf  den  Boden  und  horche 
auf  die  Wünsche  des  Landes. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sie?  Ja  so  Wilson! 
No  was  hats  ihm  genützt? 


479 


Der  alte  Biach  (achselzuckend):  Wilson  ist 
vielleicht  ein  Reisender,  der  den  Zug  versäumt  hat. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  verdrießt  die  Firma. 

Der  alte  Biach  (eindringlich):  Lloyd  George 
hat  jedoch  einen  Beweggrund  für  seine  Politik,  der 
nicht  minder  wichtig  ist. 

Der  kaiserliche  Rat:  Man  kann  sich  vorstellen. 

Der  alte  Biach:  Wir  können  uns  vorstellen, 
welchen  Eindruck  die  Nachricht  in  Wien  hervorrufen 
würde,  daß  eine  große  Schlacht  in  Gloggnitz  oder 
Neunkirchen  stattfinde. 

Der  kaiserliche  Rat:  Gott  soll  schützen. 
Aber  was  halten  Sie  von  — 

Der  alte  Biach  (geheimnisvoH':  Es  rieselt  im 
Gemäuer. 

Der  kaiserliche  Rat:  Habachaachgehört. 
Ich  mein  aber,  was  halten  Sie  von  Luzk? 

Der  alte  Biach  (betroppezt) :  Wir  müssen  uns 
in  Rußland  hineindenken. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  was  kommt  schon 
dabei  heraus?  Schaun  Sie,  Luzk  — 

Der  alte  Biach  (feurig):  Die  Psychologie  der 
Angriffsschlacht  ist  wichtig. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wo  steht  das? 

Der  alte  Biach  (betamt):  Ein  Soldat  steht  in 
den  Bergen  bei  Asiago  auf  der  Wache. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  — ? 

Der  alte  Biach  (verdrossen):  Das  ist  Entartung. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wieso?  Die  Entente  — 

DeralteBiach  (broiges) :  Die  Entente  will  kränken. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wie  versteh  ich  das? 

Der  alte  Biach  (ächzend) :  Was  hat  die 
Monarchie  Wilson  getan,  daß  er  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Moment  — 

Der  alte  Biach  (stöhnend):  Was  hat  die 
Monarchie  England  getan,  daß  six.  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Jetzt  handelt  es  sich 
aber  — 


480 


Der  alte  Biach  (aufschreiend) :  Was  hat  die 
Monarchie  Serbien  getan,  daß  es  — 

Der  kaiserliche  Rat:  No  no  beruhigen 
Sie  sich  schon! 

Der  alte  Biach:  Die  Entente  weiß,  daß  sie 
uns  nicht  mit  den  Waffen  besiegen  kann,  aber 
(zwinkernd)  sie  stichelt. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  wird  ihr  einen  Tineff 
nützen.  Wissen  Sie  was  man  heut  schon  sagen  kann? 

Der  alte  Biach  (dezidiert):  Voraussichtlicher 
Heldentod  der  Besatzung  von  Kiautschau. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  is  passee!  Intressant 
steht  heut  in  der  Presse:  Die  Entscheidung  der  Krise 
bevorstehend. 

Der   alte   Biach:    Wahrscheinlich    morgen. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  ham  Sie  gelesen: 
Die  Abreise  des  Grafen  Clzernin  nach  Bukarest? 

Der  alte  Biach:  Übermorgen  Samstag. 

Der  kaiserliche  Rat:  Wissen  Sie  was  das  be- 
deutet? Die  Annäherung  zum  Frieden.  No  und  wodurch? 

Der  alte  Biach:  Durch  die  heutemitgeteilteNote. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ich  konstatiere:  Leichte 
Entspannung  der  Krise. 

Der  alte  Biach:  In  den  gestrigen  Londoner 
Blättern. 

Der  kaiserliche  Rat:  Bewegte  Zeiten. 

Der  alte  Biach:  Deren  Merkmale  in  den 
vorliegenden  Nachrichten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Grad  les  ich  da  den 
Artikel:  Die  Räumung  Asiagos.  Wissen  Sie,  von  wem? 

Der  alte   Biach:  Von  der  Zivilbevölkerung. 

Der  kaiserliche  Rat:  Der  Untertitel  is  die 
Hauptsache,  weil  man  da  ganz  genau  erfährt.  Aber 
manchmal  genügt  ein  Satz  — 

Der  alte  Biach  (tändelnd):  Sibyl  war  die 
Tochter  eines  Arbeiters. 

Der  kaiserliche  Rat:  Sie,  wenn  Sie  wüßten, 
wie  mies  mir  is. 


481 


Der  alte  Biacli  (gereizt):  Das  ist  ein  Henim- 
bohren  in  der  offenen  Wunde. 

DcrkaiserlicheRat:  Passen  Sie  auf,  ich  sag 
Ihnen,  Sie  wem  sehn,  die  Situation  — 

Der  alte  Biach  (herb) :  Das  ist  ein  Hissen 
der  Pestflagge,  des  Bankerotts. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  was  sagen  Sie  dazu, 
daß  wir  zurückgeworfen  sind? 

Der  alte  Biach:  Sie  tändeln  mit  dem  Krieg. 

Der  kaiserliche  Rat:  Konträr,  es  scheint  ihnen 
blutiger  Ernst  zu  sein  —  wenn  man  bedenkt,  wo 
wir  stehn  —  wir  sind  doch  heute  weit    entfernt  — 

Der  alte  Biach:  Weit  entfernt  von  Hochmut 
und  von  Schwäche. 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  war  doch  ganz 
am  Anfang!?  Gott  waren  das  Zeiten,  gar  nicht  denken 
soll  ma  — ! 

Der  alte  Biach  (fest):  Ein  Anzug  kostet  zwei- 
tausend, eine  Lokomotive  sechzigtausend  Rubel. 

Der  kaiserliche  Rat:  Bei  uns  — ?  Das  war 
doch  billig!  Aber  sagen  Sie  mir  nur,  wer  brauch 
jetzt  eine  Lokomotiv?  Waggons  brauch  man ! 

Der  alte  Biach: LaienfragenundLaienantworten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Bitt  Sie,  erinnern  Sie 
einen  nicht! 

Der  alte  Biach  (unerbittlich):  Wenn  der  Vertrag 
über  den  Sonderfrieden  unterzeichnet  wird,  ist  Lloyd 
George  verloren   und  vielleicht    auch    Clemenceau. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  wir? 

Der  alte  Biach  (einlenkend):  W^ir  müssen  uns 
in  die  Entente  hineindenken. 

Der  kaiserliche  Rat:  Weit  gebracht.  Stellen 
wir  uns  vor  — 

Der  alte  Biach  (mit  Genugtuung):  Stellen  wir 
uns  vor,  daß  die  Gefangenen  zurückkehren,  eine 
Million,  vielleicht  noch  mehr  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Es  können  doch 
höchstens  schätz  ich  alles  in  allem  fufzntauscnd  sein ! 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  31 


482 


Der  alte  Biach  (bechowet):  —  darunter  meistens 
junge  Leute,  gehärtet  im  Klima  von  Sibirien. 

Der  kaiserliche  Rat:  No  und  wie!  Aber 
jetzt  halten  wir  vorläufig  bei  Luzk  —  der  heutige 
Bericht  —  also  lassen  Sie  ein  vernünftig  Wörtl 
mit  sich  reden  — 

Der  alte  Biach  (abtastend):  Hier  fällt  uns 
vor  allem  das  Wörtchen  »noch«  auf  und  das  Auge 
bohrt  sich  förmlich  hinein  in  den  Bericht  und  man 
kann  sich  vorstellen  — 

Der  kaiserliche  Rat:  So  wahr  ich  da  leb 
das  war  das  erste  was  ich  früh  sie  is  noch  gelegen 
zu  ihr  gesagt  hab  sie  hat  noch  gesagt  Sprech  mit 
Biach!  Sehn  Sie,  Sie  sind  auch  ein  Pessimist  geworn. 
Nach  meiner  Ansicht  —  was  soll  ich  Ihnen  sagen  — 
Luzk  —  schließlich  —  also    was   is   Ihre   Ansicht? 

Der  alte  Biach  (schlicht):  Die  Familie  Brodsky 
ist  eine  der  reichsten  in  Kiew.  (Ausbrechend)  Dadaran 
glaub  ich  und  dadavon  geh  ich  nicht  ab! 

Der  kaiserliche  Rat:  Moment.  Wie  kommt 
das  zu  dem? 

Der  alte  Biach  (erregt):  Das  wissen  Sie  nicht? 
das  wissen  Sie  nicht?  also  den  Anfang  vom  heutigen 
Leitartikel  ham  Sie  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Gott  richtig,  natürlich  — 
nur  so  aus  dem  Zusammenhang  heraus  war  es  mir  bißl 
fremd  —  ich  kenn  doch  jeden  Satz  auswendig  — 
wie  er  in  die  Stimmungen  hereinkommt  —  heut  gibt 
er  es  ihnen  ordentlich,  er  stichelt  gegen  Wilson  und 
er  tändelt  mit  Czernin.  Aber  offen  gestanden  —  die 
Geschichte  mit  Luzk  gefällt  mir  etwas  nicht. 

Der  alte  Biach  (schwärmend):  Die  Nase  der 
Kleopatra  war  eine  ihrer  größten  Schönheiten. 

Der  kaiserliche  Rat:  Ihnen  gesagt. 

Der  alte  Biach  (erregt):  Das  wissen  Sie  nicht? 
das  wissen  Sie  nicht?  also  den  Anfang  vom  gestrigen 
Leitartikel  — 


483 


Der  kaiserliche  Rat:  Gott richtig,natürlichdas 
war  doch  so  packend  —  aber  —  Luzk  gefällt  mir  nicht! 
Es  is  natürlich  ein  prima  strategischer  Rückzug  — 
aber  — 

Der  alte  B lach  (bündig):  Ein  Volk  muß  essen. 

DerkaiserlicheRat:  Selbstredend,  aber  wie 
kommt  das  zu  — 

Der  alte  Biach  (erregt) :  Das  wissen  Sie  nicht? 
das  wissen  Sie  nicht?  also  den  Schluß  vom  heutigen  — 

Der  kaiserliche  Rat:  Gott  richtig,  natürlich  — 

Der  alte  Biach  (bitter,  jedoch  mit  edlem  Anstand): 
Das  Schicksal  des  Blattes  ist  es  schon  wiederholt 
gewesen,  daß  die  Persönlichkeiten,  die  ihm  angehören, 
die  Mitarbeiter  und  Korrespondenten,  von  den 
Wirkungen  der  Weltbegebenheiten  unmittelbar  und 
persönlich  getroffen  Ä^erden. 

Der  kaiserliche  Rat:  Selbstredend  kommt  aber 
dabei  immer  ein  großer  Kowed  für  das  Blatt  heraus. 
Aber  wissen  Sie,  wenn  man  die  heutige  Situation  be- 
trachtet, welcher  Gedanke  sich  auch  dem  einfachen 
Laien  aufdrängt?  Einen  Bismarck  braucheten  wir! 

Der  alte  Biach  (kategorisch):  Ein  Demosthenes 
wäre  nötig,  um  Einsicht  und  Klarheit  zu  schaffen. 
Wir  hoffen,  daß  unser  Ministerium  des  Äußern  die 
Angehörigen  der  Monarchie  mit  allem  Nachdruck 
schützen  werde. 

Der  kaiserliche  Rat:  Moment.  Wenn  noch  — 

Der  alte  Biach  (resigniert):  Wenn  noch  Raum 
wäre  für  einen  Gentz  in  der  heutigen,  so  stark 
veränderten  Gesellschaft,  würde  er  boshaft  lächeln. 

Der  kaiserliche  Rat:  Intressant.  Aber  warum 
soll  nicht  Raum  se'n? 

Der  alte  Biach  (resolut):  Ein  Talent  wird  immer 
Raum  finden.  Beethoven  war  auch  ein  Teilnehmer 
des  Kongresses  durch  eine  Kantate,  Wiens  glor- 
reichster Augenblick. 

Der  kaiserliche  Rat:  Was  nutzt  das  alles, 
man  is  doch  schon  sehr  betroppezt! 

31* 


484 


DeralteBiach  (mit  einem  Bück  gen  Himmel; ;  Wo 
ist  heute  ein  Fichte,  der  die  gebeugten  Seelen  wieder 
aufrichten,  dem  deutschen  Volke  ein  Lehrer  und 
Wegweiser  zugleich  sein  könnte! 

Der  kaiserliche  Rat:  Das  is  aber  jo  wehr! 
(auf  die  Uhr  sehend)  Gott  halber  acht! 

Der  alte  Biach  (im  Abgehn^dumpi):  Iwangorod 
röchelt  bereits. 

(Verwandlung.) 

27.  Szene 

Berliner  Tiergarten. 

Padde:  Die  gefilmte  Schlacht,  die  gefilmte 
Majestät  des  Sterbens  und  des  Todes!  Daß  die 
Engländer  eine  unwissende  und  ungebildete  Gesell- 
schaft sind,  wissen  wir  ja;  der  vorliegende  Fall 
zeigt  aber  auch,  bis  zu  welcher  Gefühlsroheit 
Neid  und  Lüge  führen. 

Kladde:  Wäre  es  nicht  erwünscht,  daß 
man  auch  dem  Deutschen  hinter  der  Front  solche 
lebenswahre  Bilder  der  jüngsten  Ereignisse 
vorführte?  An  Gelegenheiten,  die  geeignete  Bilder 
zur  Aufnahme  bieten,  dürfte  kein  Mangel  sein. 
Die  Taten  unserer  Soldaten,  im  Bilde  vorgeführt, 
gäben  wahrhaftig  Stoff  genug  für  mehr  als  einen 
Film,  und  das  Volk,  das  am  Bilde  manchmal  mehr 
hängt,  als  am  Worte,  würde  solchen  Vorführungen 
ein  gewaltiges  Interesse  entgegenbringen,  auch  wenn 
wir  auf  die  Ausschmückungen  im  Interesse  nationaler 
Selbstverhimmelung,  die  Engländer  und  Franzosen 
nötig  haben  mögen,  gern  verzichten. 

Padde:  Machen  wir.  Was  sagen  Sie  zum 
Hias?  Unter  dem  Krachen  aller  Feuerwaffen 
und  mit  Sturmgeschrei  ging  gestern  abend  »Der 
Hias«,  ein  feldgraues  Spiel  in  drei  Akten,  über  die 
Bretter  des  Berliner  Theaters.  Der  Zettel  verschwieg 


485 


den  Namen  des  Verfassers;  aber  ein  Feldgrauer 
soll  das  Stück  geschrieben  haben,  und  Feldgraue 
(Offiziere  und  Mannschaften  Berliner  und  bayrischer 
Ersatz-Truppenteile,  unter  denen  gewiß  einige  von 
schauspielerischer  Herkunft  waren)  führten  es  auf. 
Für  die  Frauenrollen  stellten  sich  Frauen  der 
Aristokratie  zur  Verfügung. 

Kladde:  Wacker! 

Padde:  Das  Stück  gab  Gelegenheit,  Lager- 
leben und  blutige  Kämpfe  mit  erstaunenswertem 
Naturalismus  vorzuführen.  Die  echten  Soldaten  auf 
der  Bühne  spielten,  als  ob  sie  an  der  Front  wären. 
Dort,  wo  die  kriegerischen  Vorgänge  der  technischen 
Mittel  der  Bühne  spotteten  — 

Kladde:  —  sprang  der  Film  ein. 

Padde:  Na  sehn  Sie,  treffen  wa  ooch!  Und  der 
Apparat  rollte  (im  letzten  Akte)  eine  Reihe  von 
geschickt  in  die  Szene  des  Stückes  eingelegten 
Schlachtbildern  ab.  Erhöht  wurde  der  Eindruck  durch 
den  Lärm  der  Maschinengewehre  und  Handgranaten 
und  durch  das  Ächzen  und  Stöhnen  der  Gefallenen. 

Kladde:    Ein    Kulturskandal    erster    Güte  — 

Padde:  Wie? 

Kladde:  —  ist  die  englische  Denkmünze  auf 
die  Seeschlacht  im  Skagerrak. 

Padde:  Ach  so. 

Kladde:  Nachdem  die  Engländer  ihre 
schwere  Niederlage  vom  Skagerrak  auf  dem 
Piipier  allmählich  in  einen  Sieg  umgemodelt  haben, 
setzen  sie  diesem  Lügenverfahren  dadurch  die  Krone 
auf,  daß  sie  eine  Denkmünze  auf  die  Seeschlacht 
prägen.  »Der  ruhmreichen  Erinnerung  derer,  die  an 
jenem  Tage  fielen«! 

Padde:  Ja,  sie  treiben's  doli.  Wir  Deutsche 
brauchen  keene  Denkmünzen ! 

Kladde:  Im  Vergleich  mit  neueren  deutschen 
Denkmünzen  kann  diese  englische  als  gedankenarm  und 


486 


unkünstlerisch  bezeichnet  werden.  Der  Text,  der  nichts 
von  Sieg  enthält,  ist  für  englische  Verhältnisse  ziemlich 
bescheiden.  Die  Denkmünzen  sollen  käuflich  sein  — 
die  goldene  zu  230  Mk.,  und  der  Gesamtertrag  soll 
den  Hinterbliebenen  der  gefallenen  Seeleute  zukommen. 
So  verabscheuungswürdig  diese  englische  Verlogenheit 
auch  ist,  kann  man  es  nicht  in  Abrede  stellen,  daß 
sie  System  hat  und  sicher  auch  Erfolg  haben  wird, 
denn  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  auch  auf 
diesen  englischen  Schwindel  wieder  eine  ganze  Menge 
neutraler  Untertanen  hereinfallen  wird. 

Padde:  Marke  Lügen-Grey.  Wir  hätten  jetzt 
eine  Gelegenheit  zu  'ner  Denkmünze!  Kaiser 
Wilhelm  als  Feldarbeiter.  Bekanntlich  reiste  der 
Kaiser  an  die  Ostfront.  Seine  schlesischen  Truppen 
erfreute  Seine  Majestät  durch  persönliche  Anerkennung 
und  durch  seinen  Dank  für  ihre  Tapferkeit.  Des  freute 
sich  ganz  Schlesien.  Aber  ganz  Schlesien  freute  sich 
noch  über  etwas  anderes. 

Kladde:  Weiß  schon.  Das  lassen  Sie  mich 
erzählen.  Was  rennt  das  Volk,  was  läuft  die 
Schar  hinaus  auf  die  abgemähten  Felder?  Den 
Kaiser  zu  sehen.  Nachmittags  zwischen  5  und  7  Uhr 
ist  es.  Munteres  Volk  bringt  die  kostbaren  Ährengarben 
auf  bereitstehende  Wagen.  Plötzlich  ruhen  alle  Hände, 
Stille  tritt  ein,  alle  Mützen  fliegen  vom  Kopfe, 
Staunen  ergreift  alle:  Der  Kaiser  kommt! 

Padde:  Er  ist  schon  da,  zieht  den  Rock  aus 
und,  hastenichgesehn,  in  Hemdärmeln  beginnt  des 
Deutschen  Reiches  Oberhaupt  mit  Hand  anzulegen  an 
die  Feldarbeit.  Auf  dem  mit  goldenen  Getreidegarben 
besäten  durchfurchten  Boden  unseres  lieben  Vater- 
landes erheitert  das  durch  die  Sorgen  der  Kriegs- 
jahre tief  durchfurchte  Antlitz  Seiner  Majestät  munteres 
Lächeln. 

Kladde:  Wie  ist  das?  —  Na,  jedenfalls  'n 
herzerquickendes  Momentchen. 


487 


Padde:  Er  hilft  selbst,  mit  höchsteigener 
Person,  den  »von  oben«  gespendeten  Segen  für  sein 
Volk  einzuheimsen. 

Kladde:  Wie  der  Herr,  so  der  Knecht.  Dem 
Kaiser  tun  es  seine  Begleiter,  hohe  Herren  und  Offiziere, 
nach.  »Siehst  du  da  nicht  auch  unsern  Reichskanzler 
bei  der  Feldarbeit?«  —  »Wahrhaftig,  er  ist's.« 

Padde:  Das  lassen  Sie  mich  mal  fortsetzen. 
Von  der  Stirne  heiß,  rinnen  muß  der  Schweiß  bei 
solcher  Arbeit.  Überrascht  schaut  das  zuschauende 
Volk,  wie  Seine  Majestät  den  von  der  Stirne  perlenden 
Schweiß  mit  dem  Hemdärmel  ein  übers  andre  Mal 
abwischt;  denn  in  brennender  Sonnenhitze  mit  der 
Garbengabel  Wagen  vollzuladen,  wenn  auch  mit  auf- 
gestreiften Hemdärmeln,  macht  schwitzen -undDurst! 

Kladde:  Weiß  Gottchen. 

Padde:  Und  so  haben  wir  wieder  das  schöne 
Bild:  Seine  Majestät  sitzt  mitten  in  seinem  ihm  treu 
ergebenen  oberschlesischen  Volk  auf  — 

Kladde:  Wie? 

Padde:  —  auf  das  er  sich  verlassen  kann, 
sitzt  auf  — 

Kladde:  Wie? 

Padde:  —  auf  einem  Feldrain  und  trinkt  aus 
einem  gewöhnlichen  Kruge  frisches  Wasser.  —  Na? 
Da  staunt  der  Fachmann  und  der  Laie  wundert  sich. 
Das  war  'n  Vorwurf  für  'ne  Denkmünze! 

Kladde:  —  den  uns  die  Engländer  machen 
könnten  —  nee,  nachmachen  könnten!  Wenn  sie 
könnten! 

Padde:  Was  Denkmünze!  Das  sollte  jefilmt 
werden ! 

Kladde:  Ja  richtig,  hören  Sie  mal,  in  den 
nächsten  Tagen  wird  in  den  Kinos  der  höchst- 
interessante  Film:  Die  Sommeschlacht,  das  größte 
Ereignis  in  diesem  Kriege,  dem  Publikum  vorgeführt. 


488 


Padde:  Dieser  Film  kann  in  der  Tat  das 
größte  Ereignis  in  diesem  Kriege  genannt  werden. 
Es  ist  dies  die  erste  und  zugleich  die  letzte 
Aufnahme,  die  das  Archiv  des  Generalstabes  für  das 
Publikum  freigibt.  Der  Film  ist  im  größten  Kampf- 
gewühl zustandegebracht  worden.  Vier  Operateure 
sind  bei  der  Aufnahme  des  Films  gefallen,  aber 
immer  wieder  traten  neue  an  ihre  Stelle,  bis  endlich 
das  ganze  Werk  vollendet  war,  das  unseren  Nach- 
kommen den  Ruhm  der  heldenmütigen  Kämpfer 
künden  soll.  iVlit  atemloser  Spannung  machen  wir 
Sprengung  und  Erstürmung  eines  Blockhauses  und 
nach  mächtigem  Trommelfeuer  einen  Sturmangriff 
von  nervenerschütternder  Eindruckskraft  mit.  Wir 
sind  mitten  drin  in  den  gewaltigen  Erdfontänen  von 
Minensprengung  und  Einschlägen  schwerster  Kaliber 
und  in  den  weißen  Rauchschwaden  der  Handgranaten 
und  bewundern  fast  noch  mehr  als  den  Todesmut 
der  Truppen  —  den  Mann  oder  die  Männer,  die  im 
Geschoßhagel  und  Feuerregen  die  Ruhe  gehabt 
haben,  in  vorderster  Linie,  mit  eisernem  Pflichtgefühl 
auch  dem  Befehl  zu  gehorchen,  die  Kurbel  des 
kinematographischen  Apparates  zu  drehen.  Auf  allen 
Seiten  sieht  man  die  höchste  Anspannung  aller  Kräfte, 
das  Ausnützen,  aber  auch  Abnützen  der  menschlichen 
Energie  —  wir  sehen  den  siegenden  Tod ! 

Kladde:  Dieser  Film  wird  sicher  in  allen  Kinos 
Deutschlands  großen  Anklang  finden.  Wie  hieß  es 
doch  jüngst  so  schlagend  in  einem  kiiegspresse- 
amtlichen  Bericht  unsrer  östreichischen  Bundes- 
brüder? Unsere  Sturmtrupps  rücken  vor  — 

Padde:  —  unmittelbar  gefolgt  von  unsern 
Filmtrupps.  So  soll  es  sein.  Der  siegende  Tod! 
Das  sollen  uns  die  Vettern  überm  Kanal  mal  nach- 
machen! Da  staunt  der  Fachmann  — 

Kladde:  —  und  der  Laie  wundert  sich. 

(Verwandlung.) 


489 


28.  Srene 

Kino. 

Auf  dem   Progranmi:    »Ach,    Amalia,    was   hast   du  gemacht?« 

und  der  Detcktivsclilager    »Mir  kommt  keiner  aus«.    Die  Musik 

spielt  > Puppchen,  du  mein  Augenstern«. 

Der  Kinoregisseur  (tritt  vor):  Nun  folgt  die 
erste  Vorführung  des  großen  Sommefilms.  Sie 
werden  in  diesem  Film  die  Sommehelden  zu  selien 
bekommen,  blühende  Jugend  und  ergraute  Männer 
in  gleicher  Weise  verwittert  und  kampfgestählt 
stürzen  und  springen,  stürmen  und  kämpfen  zwischen 
fliegenden  Feuern  und  hagelnden  Geschoßen,  und 
schwankem,  von  Minen  zerstäubtem  Erdreich,  in  der 
zermalmenden  Werkstatt  des  brüllenden,  unsichtbaren 
Krieges.  In  drei  Teilen  entrollen  sich  Szenen  der  furcht- 
baren Herbstschlacht  1916,  mit  der  die  große  Hoffnung 
der  Feinde  ins  Grab  sank.  Imponierend  dröhnen  die 
Tritte  unübersehbarer  deutscher  Reservisten.  Im  Feuer 
der  eigenen  Landsleute  bringen  deutsche  Krieger  behut- 
sam französische  Frauen,  Greise  und  Kinder  in  Sicher- 
heit. Wo  vordem  blühende  Dörfer  sich  hinzogen,  wo  alte 
malerische  Städte  in  ihrer  historischen  Schönheit  das 
Auge  erfreuten  —  Bapaume  und  Peronne  und  wie  sie  alle 
heißen  —  sind  nunmehrTrümmerhaufen,  zerschossen  in 
Schutt  und  Staub  durch  die  Ententebatterien.  Und  dann 
flimmert  auf  zuckenden  Bildern,  dank  einzig  da- 
stehendem Mute  tapferer  Kinooperateure,  deren  vier 
in  treuer  Pflichterfüllung  bei  den  Aufnahmen  den 
Heldentod  fanden,  ein  erhabenes  Beispiel  zielbewußter 
Exaktheit:  »Das  Divisionskommando  hat  um  8  Uhr 
30  Minuten  die  Sprengung  und  den  Sturm  befohlen!«  — 
Alles  ist  bereit  gestellt.  —  Die  Sturmtruppen  fiebern. 
—  Die  Ungeheuer  moderner  Kriegsmaschinen  öffnen 
ihre  blitzenden  Mäuler,  die  furchtbarsten  Waffen 
unseres  technischen  Zeitalters  spielen  auf  —  aber 
dahinter  stehen  die  Menschenleiber,  die  den  toten 
Maschinen  Leben  einhauchen.  Über  Minenfelder, 
Hindernisse,  durch  sprengstoffsciiwangere  Gassen  des 


490 


Todes  hinein  zum  heißen  Nahkampfe!  —  Die  Hand- 
granate mäht!  .  .  .  Von  Graben  zu  Graben  in  die 
Hauptstellung  hinein!  Die  eigene  Artillerie  schöpft 
Luft  und  streut  Entsetzen  in  die  feindlichen  Reserven, 
Graben  auf  Graben  wird  erobert.  Dieser  Film  reiht 
sich  zu  den  schönsten,  zu  den  eindrucksvollsten  aus 
dem  jetzigen  Weltkriege. 

Eine  weibliche  Stimme:  Emil,  benimm  dir! 

(Verwandlung.) 


29.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Also  die  harmlosen  Parodien 
auf  Goethes  »Über  allen  Gipfeln«,  die  jetzt  bei  uns 
und  in  Deutschland  im  Schwang  sind,  in  Deutsch- 
land wegen  der  U-Boote  und  bei  uns  wegen  der 
Kipfel  —  das  bringt  Sie  auch  schon  aus  Rand 
und  Band? 

Der  Nörgler:  Das  tut  es.  Mit  der  Kriegs- 
dichtung wollen  wir  uns  abfinden.  Die  Gegen- 
wartsbestie, wie  sie  gemütlich  zur  todbringenden 
Maschine  greift,  greift  auch  zum  Vers,  um  sie  zu 
glorifizieren.  Was  in  dieser  entgeistigtesten  Zeit 
zusammengeschmiert  wurde  —  es  ergäbe  täglich  eine 
Million  Tonnen  versenkten  Geistes,  die  wir  einmal 
an  den  geschädigten  Genius  der  Menschheit  werden 
zurückzahlen  müssen;  und  hierin  war  nicht  nur  die 
Schuld  der  vielen  Schreiber  enthalten,  die  auf  die 
Fahne  der  Bestialität  spekuliert  haben,  sondern 
auch  der  wenigen  Dichter,  die  sich  von  ihr  fortreißen 
ließen.  Aber  sehen  Sie:  wenn  zugunsten  Deutsch- 
lands nichts  weiter  geltend  gemacht  würde,  als  daß 
auf  seinem  Boden  das  Gedicht  Ȇber  allen  Gipfeln 
ist  Ruh'«  gewachsen  ist,  so  würde  das  wahre  Prestige, 
auf  das  es  schließlich  mehr  ankommt  als  auf  jene 
zeitgebundenen    Vorurteile,    zu    deren    Befestigung 


491 


Kriege  geführt  werden,  heil  aus  der  Affäre  hervor- 
gehen. Was  unsere  Lage  vor  dem  Wellgericht 
gefährden  könnte,  wäre  eine  einzige  vom  Ankläger 
enthüllte  Tatsache.  Daß  nämlich  dieses  Zeitalter, 
das  als  verstunkene  Epoche  preiszugeben  und  glatt 
aus  der  Entwicklung  zu  streichen  wäre,  um  die 
deutsche  Sprache  wieder  zu  einer  gottgefälligen  zu 
machen,  sich  nicht  damit  begnügt  hat,  unter  der 
Einwirkung  einer  todbringenden  Technik  literarisch 
produktiv  zu  sein,  sondern  sich  noch  an  den  Heilig- 
tümern seiner  verblichenen  Kultur  vergriffen  hat,  um  mit 
der  Parodie  ihrer  Weihe  denTriumph  seiner  Unmensch- 
lichkeit zu  begrinsen.  In  welcher  Zone  einer  Mensch- 
heit, die  sich  doch  überall  mit  dem  Mund  gegen 
ein  Barbarentum  sträubt,  dessen  die  Hand  sich 
beschuldigt,  wäre  ein  Satanismus  möglich,  der  das 
heiligste  Gedicht  der  Nation,  ein  Reichskleinod, 
dessen  sechs  erhabene  Zeilen  vor  jedem  Windhauch 
der  Lebensgemeinheit  bewahrt  werden  müßten,  der 
Kanaille  preisgab!  Wo  in  aller  Welt  ließe  sich  so 
wenig  Ehrfurcht  aufbringen,  den  letzten,  tiefsten 
Atemzug  eines  Dichters  zu  diesem  entsetz- 
lichen Rasseln  umzuhöhnen?  Die  Ruchlosigkeit  des 
Einfalls,  der  den  Sieg  jener  Richtung  bedeutet,  die 
mit  dem  Abdruck  von  Klassiker-Zitaten  auf  Klosett- 
papier eingesetzt  hat,  übertrifft  alles,  was  uns  das 
geistige  Hinterland  dieses  Krieges  an  Entmenschung 
vorgeführt  hat.  Bei  Goethe!  Es  ist  der  Augenblick, 
aus  einer  Parodie  ein  großes  Gedicht  des  Abschieds 
zu  machen. 

Der  Optimist:  Glauben  Sie  mir,  zwei  fleisch- 
lose Tage  in  der  Woche  sind  ein  größeres  Übel, 
und  dennoch  muß  auch  dies  ertragen  werden. 

Der  Nörgler:  Gewiß.  Aber  sieben  geist- 
lose —  da  halte  ich  nicht  durch!  Und  ich  sehe 
aus  dieser  Unterernährung  keinen  rettenden  Ausweg. 
Die  kriegerische  Verblödung  der  Menschheit,  der 
Zwang,    der  die   Erwachsenen   in   jene  Kinderstube 


492 


zurückführt,  in  der  sie  noch  das  schaurige  Erlebnis 
haben,  keine  Kinder  mehr  vorzufinden  —  ja,  uns  hier, 
die  wir  die  Versuchsstation  des  Weltuntergangs 
bewohnen,  hat  die  Entwicklung  dort,  wo  sie  uns 
haben  wollte! 

Der  Optimist:  Solange  Krieg  ist,  muß  alle 
Geistigkeit  auf  ihn  eingestellt  sein. 

Der  Nörgler:  Sie  befähigt  uns  eben  noch, 
die  Begriffe  »Menschenmaterial«,  »durchhalten«, 
»Scherflein«,  »Hamstern«,  »Mustern«,  »Nachmustern«, 
»Tachinierer«,  »einrückend  gemacht«,  kurz  den  ganzen 
ABC-Befund  unseres  Zustandes  in  seiner  abgründigen 
Tiefe  zu  erfassen,  ohne  doch  die  völlige  Aussichts- 
losigkeit eines  Tuns  ermessen  zu  können,  zu  dem 
wir  uns  innerhalb  dieses  Mechanismus  verurteilen 
ließen.  Aber  die  feigen  Büromörder,  die  unsere 
Zukunft  an  ihr  Fibelideal  verraten  haben  — 

Der  Optimist:  Sie  glauben  also  wirklich, 
daß  der  Weltkrieg  von  ein  paar  bösen  Menschen 
beschlossen  worden  ist? 

Der  Nörgler:  Nein,  sie  waren  nur  die  Werk- 
zeuge des  Dämons,  der  uns  und  durch  uns  die 
christliche  Zivilisation  in  den  Ruin  geführt  hat.  Wir 
müssen  uns  aber  an  sie  halten,  da  wir  den  Dämon, 
von  dem  wir  gezeichnet  sind,   nicht  fassen  können. 

Der  Optimist:  Wie  würden  wir  denn  aus- 
sehen, wenn  wir  von  einem  Dämon  gezeichnet  sind! 

Der  Nörgler:  Wie  vom  Schönpflug. 

Der  Optimist:  Sollten  wir  so  talentlos 
gezeichnet  sein? 

Der  Nörgler:  Eben.  Doch  diese  Talentlosigkeit 
hat  tiefere  Bedeutung.  Wir  hängen  genau  so  in  der 
Luft,  wenn  wir  zu  stehen  vermeinen,  und  stehen 
genau  so,  wenn  wir  glauben,  wir  seien  im  Fort- 
schreiten begriffen.  Die  grundlose  Feschität,  die 
dieses  neuwienerische  Dasein  so  beliebt  macht  wie 
die  Figuren  jenes  teuflischen  Antitalents,  die  tiefe 
Unfähigkeit,  im  Raum  zu  stehen,  die  die  niedrigste 


493 


Kunst  und  das  niedrigste  Leben  zu  vollkommener 
Deckung  bringt,  diese  Leichenstarre  der  Lebendig- 
keit —  das  ist  es,  was  nocii  unscrn  Untergang  zum 
stehenden  Motiv  des  kolorierten  Mißhumors  macht. 
Ich  ziehe  die  Luftlinie  von  einem  verknödellen 
Leben,  von  einem  Punkt  der  Entwicklung,  wo  Lehar- 
töne  und  Schönpflugfarben  uns  bedrohen,  zu  einem 
Ultimatum,  mit  dem  ein  bodenloser  Kretinismus  die 
Welt  aulfordert,  den  k.  k.  Misthaufen  abzuräumen, 
zu  dessen  Prestige  er  ausgerückt  ist.  Und  ich  lechze 
der  Stunde  entgegen,  da  es  geschehn  sein  wird  — 
mag  nachher  das  herausgeforderte  Weltgewissen  als 
die  Machtfratze  eben  jenes  Siegerwahns  triumphieren, 
der  uns  hier  unser  Leben  vernichtet  hat.  Möglich, 
daß  das  mitteleuropäische  Verbrechen  so  groß  war, 
noch  die  Welt  zu  korrumpieren,  die  da  auszog,  es  zu 
züchtigen.  Was  immer  geschehe  —  Österreicher 
zu  sein  war  unerträglich! 

Der  Optimist:  Die  österreichisch-ungarische 
Monarchie  ist  eine  historische  Notwendigkeit. 

L^er  Nörgler:  Vielleicht,  weil  dieser  ganze 
nationale  Gemischtwarenkram,  der  uns  in  kulturelle 
Schmach  und  materielles  Elend  gebracht  hat,  in 
irgendeinem  verfluchten  Winkel  der  Erde  verwahrt 
sein  muß.  Aber  diese  Notwendigkeit  wird  sich  durch 
alle  revolutionären  und  kriegerischen  Versuche,  ihn 
los  zu  werden,  abschwächen,  und  gelingt  es  diesmal 
nicht,  erweist  sich  der  k.  k.  Gedanke  zunächst  als 
unausrottbar,  so  wirds  neue  Kriege  geben.  Aus 
Prestigerücksichten  hätte  diese  Monarchie  längst 
Selbstmord  begehen  müssen. 

Der  Optimist:  Wäre  dem  Kaiser  Franz 
Joseph  ein  längeres  Leben  beschieden  gewesen,  so 
wäre  der  Zusammenhalt  — 

Der  Nörgler:  Ehrfürchtiger  Schauder  läßt 
mich  vor  der  Konsequenz  dieses  Gedankens  zurück- 
beben,  ehe  Sie   ihn  zu  Ende   gedacht   haben.   Aber 


494 


Sie  übersehen  dabei,  daß  jenem  ja  tatsächlich  ein 
längeres  Leben  beschieden  war  und  daß  trotzdem  — 

Der  Optimist:  Der  Kaiser  ist  doch  voriges 
Jahr  gestorben  — ? 

Der  Nörgler:  Woher  wissen  Sie  das? 

Der  Optimist:  Ich  verstehe  Sie  nicht  —  er 
hat  doch  gelebt  bis  — 

Der  Nörgler:  Woher  wissen  Sie  das? 

Der  Optimist:  Ja,  spielen  Sie  vielleicht  auf 
die  in  der  Entente  beliebten  Scherze  an,  daß  in 
Österreich-Ungarn  eine  Zucht  von  Kaisern  bestehe 
und  daß  immer  ähnlich  aussehende  — 

Der  Nörgler:  Da  könnte  schon  etwas  dran 
sein.  Wissen  Sie,  wenn  ich  mich  auch  entschließen 
könnte,  an  den  Tod  Franz  Josephs  zu  glauben, 
keineswegs  glaube  ich,  daß  er  je  gelebt  hat. 

Der  Optimist:  Erlauben  Sie  einmal,  diese 
siebzig  Jahre  sind  doch  nicht  in  Abrede  zu  stellen? 

Der  Nörgler:  Ganz  und  gar  nicht,  sie  sind 
ein  Alpdruck  von  einer  Trud,  die  dafür,  daß  sie 
uns  alle  Lebenssäfte  und  dann  noch  Gut  und  Blut 
abgezogen  hat,  uns  das  Glücksgeschenk  zukommen 
ließ,  in  der  Anbetung  eines  Idols  von  einem  Kaiser- 
bart grundsätzlich  zu  verblöden.  Nie  zuvor  hat  in 
der  Weltgeschichte  eine  stärkere  Unpersönlichkeit  ihren 
Stempel  allen  Dingen  und  Formen  aufgedrückt,  so  daß 
wir  in  allem  was  uns  den  Weg  verstellte,  in  allen  Miseren, 
Verkehrshindernissen,  im  Querschnitt  jedes  Pechs 
diesen  Kaiserbart  agnoszierten.  Sie  war  die  ange- 
stammte Schlamperei,  die  das  Justament  zum  funda- 
mentum  regnorum  erkoren  hatte,  sie  war  das  graue 
Verhängnis,  das  sich  durch  die  Zeiten  frettet  wie  ein 
chronischer  Katarrh.  Ein  Dämon  der  Mittelmäßigkeit 
hatte  unser  Schicksal  beschlossen.  Nur  er  vertrat 
diesen  Anspruch,  die  Welt  mit  unserer  nationalen 
Mordshelz  zu  belästigen,  begründet  in  der  Gott- 
gewolltheii  des  Pallawatsch  unter  Habsburgs  Szepter, 
dessen  Mission  es  schien,  als  Damoklesschwert  über 


495 


dem  Weltfrieden  zu  schweben.  Er  ermöglichte  dieses 
budgetprovisorische  Gebilde,  dessen  ewiges  Völker- 
problem nur  durch  die  innere  Amtssprache  des 
Rotwelsch  »tunlichst«  zu  lösen  war  und  dessen  Ver- 
ständigung durch  ein  Kauderwelsch  versucht  werden 
mußte,  wie  es  die  hohnlachende  Epoche  noch  nicht 
gehört  hatte.  Eine  siebzigjährige  Gehirn-  und 
Charaktererweichung  der  nur  um  solchen  Preis  und 
selbst  dann  nicht  zu  verbindenden  Völker  ist  der 
Inhalt  der  so  regierten  Tage,  eine  Verflachung,  Ver- 
schlampung und  Korrumpierung  aller  Edelwerte 
eines  Volkstums,  die  in  der  Weltgeschichte  ohne 
Beispiel  ist  und  zumal  ohne  Beispiel  durch  die 
Verlogenheit,  mit  der  dank  dem  einzigen  Fortschritt 
dieser  Zeit,  nämlich  der  entwickelten  journalistischen 
Technik,  ein  Schein  vor  ein  Unwesen  gestellt  und 
die  Legende  der  Gemütlichkeit  über  eine  tödliche 
Realität  der  Leere  gebrehet  werden  konnte.  Welch 
unerbittliche  Berichtigung  und  gleichwohl  Bestätigung 
eines  zwischen  Fibel  und  Presse  orientierten  Denkens, 
daß  ein  blutiges  Fanal  am  Aufgang  wie  am  Abgang 
dieser  gemütlichen  Majestät  errichtet  war! 

Der  Optimist:  Wie?  Der  Friedenskaiser 
katexochen,  der  in  seiner  sprichwörtlichen  Leut- 
seligkeit alles  für's  Kind  getan  hat,  der  ritterliche 
Monarch,  der  gute  alte  Herr  in  Schönbrunn,  dem 
nichts  erspart  geblieben  ist  —  so  sprechen  Sie  über 
ihn,  und  noch  dazu,  wo  er  tot  ist? 

Der  Nörgler:  Er  ist  tot?  Nun,  abgesehn 
davon,  daß  ich  es,  selbst  wenn  ichs  wüßte,  nicht 
glaubte,  muß  ich  Ihnen  schon  sagen,  daß  es  vor  dem 
Weltgericht  wirklich  keine  Würschtel  gibt;  daß  es 
da  einmal  keine  Protektion  gibt,  aber  auch  keine 
Pietät;  daß  man  es  sich  dort  wirklich  nicht  richten 
kann  und  vor  allem,  daß  dort  der  Tod  nicht  so  sehr 
einen  Strafausschließungsgrund  als  eine  Voraus- 
setzung für  das  Urteil  bildet.  Auch  möchte  ich 
glauben,daß  es  gottgefälliger  ist,  der  Majestät  des  Todes 


496 


an  den  Gräbern  von  zehn  Millionen  Jünglingen  und 
Männern  Ehrfurcht  zu  bezeigen,  von  hunderttausenden 
Müttern  und  Säuglingen,  die  Hungers  sterben 
mußten  —  als  vor  dem  einen  Grab  in  der  Kapuziner- 
gruft, das  eben  jenen  Greis  bedeckt,  der  das  alles 
reiflich  erwogen  und  mit  einem  Federstrich  herbei- 
geführt hat;  und  daß  vor  jener  Instanz  auch  das 
Qualenantlitz  der  überlebenden  Menschheit  gegen 
den  einen  Toten  unerbittlich  zeugen  müßte.  Denn 
dieses  blutgemütliche  Etwas,  dem  nichts  erspart 
blieb  und  das  eben  darum  der  Welt  nichts  ersparen 
wollte,  justament,  sollen  s'  sich  giften  —  beschloß 
eines  Tages  den  Tod  der  Welt. 

Der  Optimist:  Aber  Sie  glauben  doch  nicht, 
daß  der  Kaiser  den  Krieg  gewollt  hat?  Er  soll  ja 
geäußert  haben,  daß  man  ihn  drangekriegt  hat! 

Der  Nörgler:  So  ist  es.  Das  gibt  es.  Ich 
meine  nicht  ihn,  den  man  drankriegen  konnte.  Ich 
meine  die  den  Wahnsinn  dieser  monarchischen  Weiten 
erschöpfende  Möglichkeit,  daß  man  ihn  und  uns 
drankriegen  konnte.  Ich  meine  jenen  blutdürstigen 
Dämon  seines  verfluchten  Hauses,  dessen  Walten 
sich  justament  in  diesem  Kaiserbart  manifestierte  und 
in  einer  Gemütlichkeit,  die  eben  das  Blut,  das  sie 
nicht  sehen  konnte,  vergossen  hat.  Ich  weiß  nicht,  wer, 
ich  weiß  nur,  was  uns  regiert  hat;  und  daß  dieser 
Lemurenstaat  durch  sieben  Dezennien  der  Welt  das 
Schaustück  eines  als  Thron  kachierten  Leibstnhls  bot, 
worauf  sich  die  legendäre  Dauerhaftigkeit  eines 
Nichtvorhandenen  breitmachte.  Von  ihm  in  persona 
v/eiß  ich  nur,  daß  er  mittelmäßig  war  und  in  Formen 
erstarrt.  Aber  eben  diese  Gaben  mußten  im  Verein  mit 
den  tödlichen  Giften  der  Zeit  und  dieses  national 
verwirrten  Landes  ein  übermäßiges  Unglück  herauf- 
beschwören. Der  finstere  Franz  Ferdinand,  dessen 
Wille  es  gebannt  hätte  —  denn  nicht  was  einer 
will,  bloß  daß  er  etwas  will,  vermöchte  dieses 
Chaos  zu  hemmen  — ,  war  nur  bestimmt,  über  seinem 


497 


Ende  die  schadenfrohen  Flammen  aus  dem  monarchi- 
schen Hexenkessel  aufschlagen  zu  lassen.  Wenn  man 
diesen  Franz  Joseph,  dem  nichts  erspart  geblieben  ist 
außer  der  Persönlichkeit  —  wenn  man  ihn  nicht  zum 
Weltkrieg  drangekriegt  hätte,  er  wäre  mit  einer  reinen 
Freude  an  der  wohlerhaltenen  k.  k.  Jammerwelt  ge- 
storben. Dem  Nachfolger  war  es  zuzutrauen,  daß  er  sie 
unblutig  zurechtgesetzt  hätte.  Das  ist  jenem  —  dank 
den  für  Thronfolgerreisen  vorgesehenen  Sicherheits- 
maßnahmen —  denn  doch  erspart  geblieben.  Er  hat 
es  vorgezogen,  ihr  durch  den  Weltkrieg  und  die 
unausbleibliche  Niederlage  ein  vollkommenes  Ende 
zu  bereiten. 

Der  Optimist:  Er  hat  sich  nicht  anders  zu 
helfen  gewußt. 

Der  Nörgler:  Gewiß  nicht,  man  hat  ihn 
drangekriegt,  während  die  mehr  aktive  Rolle  des 
Bundesgenossen  diesen  zu  festem  Draufgehn  ver- 
anlaßt hat. 

Der  Optimist:  Worauf  spielen  Sie  mit  Ihrer 
Bemerkung  über  die  für  Thronfolgerreisen  vorge- 
sehenen Sicherheitsmaßnahmen  an? 

Der  Nörgler:  Darauf,  daß  man  bezüglich  des 
Ergebnisses  der  Sarajewoer  Reise  in  Sicherheit  war. 

Der  Optimist:  Das  sind  Legenden.  Gewiß 
ist  es  erstaunlich,  daß  der  mächtigste  Mann  der 
Monarchie  keinen  vermehrten  Schutz  für  diese  Reise 
durchsetzen  konnte,  aber  — 

Der  Nörgler:  — es  ist  begreiflich.  Denn  als 
er  sich  darum  bemühte,  war's  nicht  mehr  bei  seinen 
Lebzeiten.  Ein  Mächtiger,  der  dahin  ist,  hat  keinen 
Einfluß. 

Der  Optimist:  Er  wurde  aber  doch  erst 
ermordet,  nachdem  — 

Der  Nörgler:  —  seine  Bemühungen  erfolg- 
los geblieben  waren,  ganz  richtig.  Also,  wenn  Sie 
auf  der  Chronologie  bestehen:  ein  Mächtiger  kann 
alles,  nur  nicht  verhindern,  daß  er  umgebracht  wird. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  32 


498 


Der  Optimist:  Sie  wollen  gewiß  nicht 
behaupten,  daß  Franz  Joseph,  dem  nichts  erspart 
geblieben  ist,  seinen  Neffen  aus  dem  Weg  räumen 
ließ.  Dagegen  ließe  sich  wohl  beweisen,  daß  er  die 
Nachricht  von  der  Ermordung  — 

Der  Nörgler:  —  mit  einem  nassen,  einem 
heitern  Auge  aufgenommen  hat.  Aus  allerhöchstem 
Ruhebedürfnis  wurde  die  Trauerfeier  eingeschränkt 
und  der  Weltkrieg  eröffnet.  Die  Menschheit  hat  ein 
Begräbnis  erster  Klasse  erhalten. 

Der  Optimist:  Die  Ermordung  eines  Thron- 
folgers ist  doch  ein  hinreichender  Grund  — 

Der  Nörgler:  —  das  Angenehme  mit  dem 
Nützlichen  zu  verbinden.  Daß  die  Spekulation  miß- 
glückt ist  und  Österreich  auf  der  Suche  nach  dem 
verlorenen  Prestige  in  Verlust  geriet,  ist  ein  anderes 
Kapitel.  Vor  dem  Weltgericht  wird  noch  nach  dem 
dolus  eventualis  judiziert. 

Der  Optimist:  Aber  Sie  werden  doch 
schließlich  nicht  die  persönlichen  Eigenschaften  des 
Monarchen  — 

Der  Nörgler:  Die  interessieren  mich  wenig. 
Er  war  wohl  nur  ein  Pedant  und  kein  Tyrann, 
nur  kalt  und  nicht  grausam.  Wäre  ers  gewesen, 
so  hätte  er  vielleicht  noch  in  hohem  Alter  so 
viel  Geisteskraft  gehabt,  sich  nicht  drankriegen 
zu  lassen,  sondern  zu  wissen,  was  er  wagen  konnte. 
Er  hat  nur  die  Knöpfe  auf  der  Uniform  gezählt  — 
und  eben  darum  mußte  sie  sich  bewähren.  Er  war 
ein  unermüdlicher  Arbeiter  und  hat  unter  den  Hin- 
richtungsakten einmal  auch  einen  unterschrieben,  der 
die  Menschheit  fällte.  Sie  alle  haben  es  nicht  gewollt. 
Aber  da  wir  andern  es  ganz  gewiß  nicht  gewollt 
haben,  müssen  wir  uns  doch  an  sie  halten.  Der 
imperatorische  Beruf  bringt  es  eben  mit  sich,  daß 
wir  einem,  der  seine  Ruh  haben  will  und  zu  diesem 
Behufe  einen  Weltkrieg  anfängt,  die  volle  welt- 
gerichtliche  Verantwortung   aufpelzen,    ja    daß    wir 


499 


einen  pensionierten  Landbriefträger,  der  sich  per  Zufall 
als  Vampir  betätigt,  für  eine  Maske  ansehen.  Ein 
sterbender  Christ  darf  die  Gefahr,  seiner  Pfründe 
verlustig  zu  gehen,  für  kein  größeres  Übel  halten  als  die 
Gefährdung  seiner  sämtlichen  Nebenmenschen,  und 
sein  Seelenheil  nicht  mit  dem  Unheil  Aller  belasten.  So 
glaube  ich  doch  mindestens,  daß  der  Genius  seines 
Hauses  an  dieser  Entschließung  beteiligt  war  und 
gewiß  an  der  Möglichkeit,  daß  ein  paar  phantasiearme 
Schurken  ihn  jenes  Manifest  unterschreiben  lassen 
konnten,  das  mit  vollendeter  Stilkunst  ein  blutiges 
Alterserlebnis  einem  friedliebenden  Greis  zuschiebt, 
der  sich  nicht  anders  zu  helfen  weiß.  Der,  den 
man  drangekriegt  hat,  hat  alles  reiflich  erwogen. 
Es  ist  halt  ein  echt  österreichisches  Pech,  daß  das 
Ungeheuer,  das  diese  Katastrophe  heraufführen  sollte, 
die  Züge  eines  guten  alten  Herrn  trägt.  Er  hat  alles 
reiflich  erwogen,  aber  er  kann  nichts  dafür:  und  das 
eben  ist  die  letzte,  grausigste  Tragödie,  die  ihm 
nicht  erspart  geblieben  ist.  Daraus  habe  ich  ein 
Lied  gemacht,  das  so  lang  ist  wie  sein  Leben,  eine 
unendliche  Melodie,  die  ich  ihm  in  den  Mund  lege, 
wenn  er  in  meinem  Weltkriegsdrama  auftritt.  Ich 
habe  dieses  tragische  Couplet  wie  einen  großen  Teil 
des  Dramas  im  Jahre  1915,  also  noch  bei  seinen 
Lebzeiten,  geschrieben  —  wenn  Sie  es  denn  wirklich 
wahr  haben  wollen,  Sie  Phantast,  daß  jetzt  ein  Karl 
und  kein  Franz  Joseph  mehr  über  uns  waltet. 

Der  Optimist:  Werden  Sie  ihm  nicht 
wenigstens  als  dern  ritterlichen  Monarchen  und  als 
Kinderfreund  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen? 

Der  Nörgler:  Nein,  denn  die  Szene,  wie  er, 
da  er  zum  erstenmal  die  Nachbarschaft  der  Gemahlin 
Franz  Ferdinands  an  der  Hoftafel  dulden  muß,  ihr 
den  Rücken  zukehrt  und  auf  die  Mahnung  seiner 
Tochter,  sich  doch  schandenhalber  auch  einmal  nach 
links  zu  wenden,  justament  und  mit  jähem  Ruck 
es   erst   zu   voller  Anschauung  bringt:    diese    Szene 

32« 


500 


kommt  im  Drama  nicht  vor.  Auch  die  Szene  nicht, 
wie  er  in  Weißenbach  sich  von  einem  allerliebsten 
vierjährigen  Knirps  ein  Begrüßungssprüchlein  anhört 
und  dann  — 

Der  Optimist:  —  als  ein  vorbildlicher 
Urgroßpapa,  jedoch  elastischen  Schrittes  auf  das 
Pauxerl  zugeht  und  ihm  ein  Zwickerl  gibt? 

Der  Nörgler:  —  nein,  sich  salutierend, 
wirklich  salutierend,  abwendet:  diese  Szene  kommt 
auch  nicht  vor.  Nur  das  Couplet  kommt  vor.  Aber  seien 
Sie  ganz  beruhigt.  Wäre  er  ein  Privatmann,  dem 
die  häßlichsten  Eigenschaften  nachgewiesen  werden 
könnten,  und  etwa  einer,  dessen  Gemeinschaft  eine  in 
Hysterie  verirrte  Gattin  als  Kreuz  durchs  Leben 
schleppen  mußte  —  der  Tod  gliche  alle  Rechnung  aus 
und  der  Rest  wäre  Schweigen.  In  der  Weltgeschichte 
macht  kein  Zeitpunkt  die  Verantwortlichkeit  erlöschen 
und  da  muß  auch  der  beste  alte  Herr  noch  nach  seinem 
Tod  in  der  Gestalt  auftreten,  zu  der  ihn  einmal  der 
Fluch  seines  Hauses  verdammt  hat.  Ich  lasse  nicht 
Franz  Joseph,  sondern  den  leibhaftigen  habsburgischen 
Dämon  auftreten.  Ein  Lemur  erscheint  uns  und 
sich  selbst  im  Schlafe.  Siebzig  Jahre  singen  ihr  Miserere, 
und  da  sind  schließlich  auch  alle  Vorgänger  mit 
inbegriffen,  die  Kanaille  die  Franz  heißt  —  der 
Spielbergprofos  — ,  und  so  weiter  die  ganze  Ahnen- 
galerie zurück  bis  ins  Stammschloß,  aus  dem  man 
der  Sippe  nie  die  Einreise  nach  Österreich  hätte 
bewilligen  sollen. 

Der  Optimist:  Wann  wird  Ihr  Drama  erscheinen? 

Der  Nörgler:    Wenn  der  Feind  besiegt  ist. 

DerOptimist:  Wie  ?  Sie  glauben  also  doch  — 

Der  Nörgler:  —  daß  Österreich  in  einem  Jahr 
nicht  mehr  besteht!  Ich  hatte  das  Manuskript  in  das 
Stammland  der  Habsburger,  in  die  Schweiz  gebracht  — 

Der  Optimist:  Um  es  in  Sicherheit  zu 
bringen? 


501 


Der  Nörgler:  Nein,  um  es  auszuarbeiten. 
Ich  habe  es  wieder  zurückgebracht;  denn  ich  fürchte 
mich  nicht  vor  dem  Feind.  Er  hat  in  seiner  Blut- 
wirtschaft eine  solche  Schlamperei  einreißen  lassen, 
daß  ich  dieses  Manuskript  schon  zweimal  über  die 
Grenze  und  wieder  zurückbringen  konnte.  Immer- 
hin kann  es  jetzt  nicht  erscheinen.  Das  würde  dem 
Autor  doch  wohl  die  Freiheit  kosten  und  wenn  die 
Generaille  vor  Schluß  der  Vorstellung  noch  Appetit 
auf  eine  Diktatur  bekäme,  sogar  jenen  Kopf,  den  er 
sich  trotz  den  Offensiven  des  Schwachsinns  durch 
einen  vierjährigen  Krieg  hindurch  bewahrt  hat.  Es 
wird  erscheinen,  wenn  dieses  technoromantische 
Abenteuer,  die  Menschheit  durch  die  Quantität  heraus- 
zufordern, von  der  größeren  Quantität  erstickt  ist. 
Wenn  der  glorreiche  Unfug,  der  in  der  Stunde,  da 
wir  hier  sprechen,  für  nichts  und  wieder  nichts 
tausende  Menschen  in  Leichname  oder  Krüppel  ver- 
wandelt, beendet  und  nicht  mehr  vom  verblöden- 
den Basiliskenblick  eines  Kriegsüberwachungsamtes 
behütet  sein  wird.  Kurzum,  wenn  die  Schalek  ihr 
letztes  Wort  gesprochen  hat. 

Der  Optimist:  Was  haben  Sie  gegen  die 
Schalek? 

Der  Nörgler:  Nichts  als  daß  der  Weltkrieg 
sie  gezwungen  hat,  von  mir  überschätzt  zu  werden. 
So  muß  ich  sie  für  die  eigenartigste  Erscheinung  dieser 
Apokalypse  halten.  Wenn  aber  der  tragische  Karneval 
verrauscht  ist  und  ich  ihr  beim  Katzenjammer  unsres 
Tages  irgendwo  im  Hinterland  begegne,  werde  ich 
sie  für  eine  Frau  halten. 

Der  Optimist:  Sie  haben  nun  einmal  die 
heillose  FähigKeit,  das  Kleinste  — 

Der  Nörgler:    Ja,  die  habe  ich  nun  einmal. 

Der  Optimist:  Und  daraus  wird  wohl  das 
ganze  Drama  entstanden  sein.  Aus  diesem  unseligen 
Hang,  die  kleinen  Erscheinungen  und  die  großer 
Tatsachen  zu  verbinden. 


502 


Der  Nörgler:  Ganz  gemäß  dem  satanischen 
Verhängnis,  das  uns  von  den  kleinen  Tatsachen  zu  den 
großen  Erscheinungen  der  realen  Tragödie  geführt  hat. 
Die  meine  läßt  uns  an  den  Formen  und  fönen  einer 
Welt  mit  ihr  selbst  zugrundegehen.  Sie  werden  mir 
die  Frage,  was  ich  gegen  den  Benedikt  habe,  nicht 
schuldig  bleiben. 

Der  Optimist:  Und  Sie  mir  nicht  die  Antwort. 

Der  Nörgler:  Er  ist  nur  ein  verantwortlicher 
Redakteur  des  Weltkriegs,  Er  ist  nur  ein  Zeitungs- 
herausgeber und  triumphiert  dennoch  über  unsere 
geistige  und  sittliche  Ehre.  Seine  Melodie  allein  hat 
mehr  Opfer  gefordert  als  der  Krieg,  den  sie  erregt 
und  befeuert  hat.  Der  gellende  Ton  des  Schlacht- 
bankiers, der  der  Welt  an  die  Tasche  und  an  die 
Gurgel  fuhr,  ist  die  elementare  Begleitung  dieser 
blutigen  Aktion,  Auch  der  orts-  und  zeitferne  Leser 
wird  fühlen,  daß  wir  hier  Besonderes  durchlitten 
haben.  Ich  lasse  an  dieser  Sprache,  in  der  der  alt- 
jüdische Sinn  der  neudeutschen  Handlung  sich  rabiat 
zur  Geltung  bringt,  einen  alten  Abonnenten  sterben. 
Sie  überwältigt  das  Leben,  und  da  tritt  denn  der 
erlösende  Gehirnschlag  ein. 

Der  Optimist:  Um  das  zu  verstehen,  muß 
ich  schon  auf  Ihre  Tragödie  warten.  Sie  kommt  also 
heraus  — 

Der  Nörgler:  —  wenn  die  andere  zu  Ende 
ist.  Eher  ist  es  nicht  möglich.  Auch  sie  ist  nicht  fertig, 
und  ich  brauche  eben  meinen  Kopf,  um  sie  fertig 
zu  bringen. 

Der  Optimist:  Da  wäre  wohl  nur  Ihre 
Freiheit  bedroht. 

Der  Nörgler:  Solange  Wien  im  Hinterland 
liegt.  Hochverrat,  Verbrechen  gegen  die  Kriegsmacht, 
Majestätsbeleidigung,  Beleidigung  von  Dörrgemüse- 
spekulanten und  sonstigen  Persönlichkeiten,  die  nur 
das  Objekt  und  nie  das  Subjekt  einer  strafbaren 
Handlung   sein   können   und   bei  Abwicklung  ihrer 


503 


Wachergeschäfte  vom  Ehrfurchtsparagraphen  ge- 
schützt sind  —  nun,  die  allerhöchste  Majestät,  die 
Österreich  hat,  ist  ja  doch  der  Galgen!  Er  ist 
aber  nicht  nur  ein  Inventarstück  des  spanischen 
Zeremoniells,  sondern  auch  ein  wichtiges  Requisit 
meiner  szenischen  Handlung.  Bedenken  Sie,  daß 
unter  dem  Arn>eeoberkommando  des  Erzherzogs 
Friedrich  allein  —  den  ich  für  ein  noch  ausgiebigeres 
Phantom  halte  als  die  Schalek  —  11.400,  nach  einer 
andern  Version  36.000  Galgen  errichtet  worden 
sind.  Einer,  der  nicht  bis  drei  zählen  konnte! 
Und  eine  kriegerische  Erscheinung,  vor  deren 
Tatenruhm  Napoleon  als  der  erste  Defaitist 
erscheint  —  im  Martialischen  wie  im  Erotischen 
wahlverwandt  und  verbündet  jenem  Scheusal  von 
einem  Barbarenkaiser,  dem  Imperator  der  geistigen 
Knödelzeit,  der  kerne  Quantität  von  Fleisch  und 
Blut  unberührt  lassen  konnte  und  dazu  seinen  eigenen 
Schenkel  klatschend  schlug  und  sein  gröhlendes 
Wolfslachen  ertönen  ließ :  so  lachte  der  Fenris- 
wolf,  als  die  Welt  in  Flammen  aufschlug.  Zwischen 
assyrischen  Backsteinen  und  Generalstabskarten, 
zwischen  aller  Halbwissenschaft,  die  das  stundenlang 
stehende  Gefolge  peinigte,  immer  wieder  mit  obszönen 
Scherzen  um  Körperformen  kreisend.  Sich  weidend 
an  der  Verlegenheit,  wenn  er  auf  der  Jagd  oder  bei 
offiziellstem  Anlaß,  durch  einen  Hieb  auf  den  Hintern, 
durch  einen  Tritt  aufs  Bein,  durch  eine  Frage  nach 
seinem  Sexualgeschmack  den  Partner  überraschte. 
Das  waren  die  Blutgebieter.  Der  eine  im  Format 
dem  öden  Sinn  dieses  Weltmords  gewachsen,  verant- 
wortlich für  die  Tat;  der  andere  mit  ahnungslosem 
Behagen  in  der  Wanne  eines  Blutmeers  plätschernd. 
Dieser  Heros,  der  »Bumsti!«  rief,  als  er  im  Kino 
Soldaten  fallen  sah,  dieser  Ehrendoktor  der  Philosophie, 
dieser  Kretin  war  der  Marschall  unseres  Verhängnisses. 
So  verschieden  beide,  dennoch  Busenfreunde,  sich 
begegnend    in    einer    Kennerschaft,    im    Austausch 


504 


feinschmeckerischer  Wahrnehmungen,  und  wenn's  die 
Formen  der  Germania  und  der  Austria  betraf,  in 
einem  Seufzer  über  den  Wandel  der  Zeiten.  Das  tritt, 
wie  es  leibt  und  lebt,  aus  der  Kriegsgarderobe  gleich 
in  die  kulturhistorische  Erscheinung,  weist  auf  die 
Quantität  der  Zeit,  in  Freuden  und  Leiden;  und  zur 
stündlich  empfundenen  Qual  wird. das  Bewußtsein, 
von  solchem  Minus  regiert  zu  sein,  und  das  Wissen  um 
die  niedrigste  Lebensart,  die  an  höchster  Stelle  sich 
auslebend  der  leidenden  Menschheit  spottet,  zur 
Mitschuld.  Maitressen  und  Hausmeisterinnen  konnten 
sich  über  den  intimen  Einfluß  unterhalten,  wenn  die 
wehrlose  Mannheit  sich  ans  Ende  aller  Lebenslust 
zerren  ließ,  geweihte  Bündnisse  reiner  Herzen  blutig 
zerrissen  wurden  und  Unschuldige  in  der  letzten 
Stunde  vor  dem  Galgen  nach  einem  Gnadenblick 
bangten.  Wissen  Sie,  wofür  wir  jetzt  büßen?  Für 
die  Ehrfurcht,  zu  der  uns  solche  Gestalten  heraus- 
gefordert haben! 

DerOptimist:  Aber  das  österreichische  Antlitz 
ist  doch  noch  ein  anderes  als  das  preußische. 

Der  Nörgler:  Das  österreichische  Antlitz  ist 
jederlei  Antlitz.  Es  lauert  hinter  dem  Schalter  der 
Lebensbahn.  Es  lächelt  und  greint  je  nach  Wetter. 
Doch  dieser  Gorgonenblick  hatte  die  Kraft,  was 
er  ansah,  in  Blut  oder  in  Dreck  zu  verwandeln. 
Wo  hätten  wir  es  nicht  geschaut?  Stand  es 
nicht  vor  dem,  der  ratsuchend  in  ein  Amt  kam 
und  Unrat  fand?  Muß  ich  es  in  den  Aborten  der 
Wiener  Kriminalität  aufspüren,  in  den  Wanzen-  und 
Bazillenräumen  der  Wiener  Garnisonsarreste,  an  den 
verv/ahrlosten  Spiialsbetten,  wo  graduierte  Profosen 
und  akademische  Henkersknechte  nervenkranken 
Soldaten  mit  Starkstrom  zusetzten,  um  den  Verdacht, 
sich  von  der  Front  zu  drücken,  auf  sie  abzuwälzen? 
War  es  nicht  in  jeder  Schmach  und  Unappetit- 
lichkeit jeder  Amtshandlung  und  vor  allem  in  der 
Gerechtsame  jener  Feldgerichte,  deren  eines  die  noch 


505 


über  den  Justizmord  unsittliche  Forderung  aufgestellt 
hat,  daß  der  österreichische  Staatsbürger  seinen 
Behörden,  diesen  Behörden,  »mit  Ehrfurcht  und 
Liebe  zu  begegnen  habe«?  Und  solche  Härte  noch 
verschärft  durch  die  Gewißheit,  daß  hier  nicht 
Naivität,  sondern  ein  Justament  der  Schurkerei 
am  Werke  war  und  die  diabolische  Lust  einer 
letzten  Belastungsprobe  auf  unsere  Geduld.  Das 
von  der  italienischen  Regierung  längst  verbotene 
Experiment  der  Hundsgrotte  ist  von  der  österreichi- 
schen tagtäglich  Millionen  Menschen  zugemutet 
worden,  und  das  Antlitz  zwinkerte  bei  dem  gelungenen 
Gspaß,  um  nach  eingetretener  Erstickung  in  voller 
Heiligkeit  zu  erglänzen.  Das  österreichische  Antlitz, 
mit  dem  zugekniffenen  linken  Auge,  hat  man  in 
diesen  vier  Jahren  Schulter  an  Schulter  neben  dem 
mehr  martialischen  Gesicht  so  oft  in  den  Schau- 
fenstern gesehn,  daß  es  wohl  vierzig  Friedensjahre 
brauchen  wird,  um  die  Erinnerung  loszuwerden. 
Nein,  es  ist  nicht  wie  das  preußische,  wenngleich  es 
jedem  gleicht  und  alles  ist,  nur  eben  nicht  das,  was 
die  Feuilletonisten  singen  und  sagen.  Zumal  aber 
ist  es  das  des  Henkers,  Des  Wiener  Henkers,  der 
auf  einer  Ansichtskarte,  die  den  toten  Baitisti  zeigt, 
seine  Tatzen  über  dem  Haupt  des  Hingerichteten 
hält,  ein  triumphierender  Ölgötze  der  befriedigten 
Gemütlichkeit,  der  »Mir-san-mir«  heißt.  Grinsende 
Gesichter  von  Zivilisten  und  solchen,  deren  letzter 
Besitz  die  Ehre  ist,  drängen  sich  dicht  um  den 
Leichnam,  damit  sie  nur  ja  alle  auf  die  Ansichts- 
karte kommen. 

Der  Optimist:  Wie?  So  eine  Ansichtskarte 
gibt  es? 

Der  Nörgler:  Sie  wurde  von  amtswegen  her- 
gestellt, am  Tatort  wurde  sie  verbreitet,  im  Hinter- 
land zeigten  sie  »Vertraute«  Intimen,  und  heute  ist 
sie  als  ein  Gruppenbild  des  k.  k.  Menschentums  in 
den  Schsafeiibtern  aller  feindlichen  Städte  ausgestellt, 


506 


ein  Denkmal  des  Galgenhumors  unserer  Henker, 
umgewertet  zum  Skalp  der  österreichischen  Kultur. 
Es  war  vielleicht  seit  Erschaffung  der  Welt  zum 
erstenmal  der  Fall,  daß  der  Teufel  Pfui  Teufel!  rief. 

Der  Optimist:  Aber  die  Zeugen  der  Hin- 
richtung haben  sich  doch  nicht  absichtlich  mitphoto- 
graphieren  lassen?! 

Der  Nörgler:  Es  bildeten  sich  Gruppen. 
Und  zwar,  um  nicht  nur  bei  einer  der  viehischesten 
Hinrichtungen  dabei  zu  sein,  sondern  auch  dabei 
zu  bleiben;  und  alle  machten  ein  freundliches 
Gesicht.  Dieses,  das  österreichische,  ist  auch  auf 
einer  andern  Ansichtskarte,  der  unter  vielen  ähn- 
lichen eine  nicht  geringere  kulturhistorische  Bedeutung 
zukommt,  in  zahlreichen  Soldatentypen,  die  zwischen 
zwei  hängenden  Rutheninnen  Schulter  an  Schulter 
die  Hälse  recken,  um  nur  ja  ins  Dokument 
zu  kommen.  Gott  weiß,  an  welcher  satanischen 
Blähung  eines  Generals,  den  vielleicht  ein 
Zwischenfall  beim  »Sautanz«  zu  einer  furiosen 
Aufarbeitung  von  »Wird  vollzogen«  gestimmt  hatte, 
die  beiden  unglücklichen  Frauen  gestorben  sein 
mögen. 

Der  Optimist:  Ja,  ja,  von  Ihnen  wird  es 
einmal  heißen,  daß  ein  Vogel,  der  sein  eigenes 
Nest  — 

DerNörgler:  —  niederreißt  anstatt  ein  fremdes 
aufzubauen,  ich  weiß  schon.  Mit  dieser  Ansicht  würde 
man  gewiß  den  Vogel  auf  den  Kopf  treffen.  Aber 
mit  Unrecht,  da  er  eben  in  Erfüllung  der  sittlichen 
Aufgabe  gehandelt  hat,  vor  der  eigenen  Tür  zu  kehren. 
Diese  schmutzige  Welt  behauptet  von  dem,  der  ihr 
den  Schmutz  wegräumt,  er  hätte  ihr  ihn  gebracht. 
Mein  Patriotismus  —  eben  ein  anderer  als  der  der 
Patrioten  —  vertrüge  es  nicht,  einem  feindlichen 
Satiriker  die  Arbeit  zu  überlassen.  Das  hat  meine 
Haltung  während  des  Krieges  bestimmt.   Ich  würde 


507 


einem  englischen  Satiriker,  der  uns  mit  Recht  unmög- 
lich fände,  raten,  sich  um  die  Angelegenheiten  seines 
eigenen  Landes  satirisch  zu  bemühen.  Allerdings 
gibt  es  keinen  englischen  Satiriker. 

Der  Optimist:  Shaw. 

Der  Nörgler:  Nun  eben.  Aber  selbst  der 
betätigt  jenen  echten  Patriotismus,  der  es  vorzieht, 
seine  Landsleute  zu  tadeln  statt  sie  zu  betrügen. 
Doch  wem  die  allgemeinen  Dinge  über  die  staat- 
lichen gehen,  der  muß  die  Gemeinheit  der  Dinge, 
die  Abscheulichkeit  dieser  Kriegswelt  an  den 
nächstliegenden  Beispielen  darstellen  und  die 
Aussage  eines,  der  in  ihrer  Atemnähe  lebte,  wird 
unverdächtig  sein. 

Der  Optimist:  Sie  sind  aber  ein  unerbitt- 
licher Staatsanwalt. 

Der  Nörgler:  Gegen  solche  Staaten. 

Der  Optimist:  Wenns  nach  Ihnen  ginge, 
wäre  Österreich  längst  zum  Tod  verurteilt. 

Der  Nörgler:  Leider  wird  es  das  erst  sein, 
nachdem  es  die  Österreicher  zum  Tod  verurteilt 
hat,  und  nicht  schon  vorher.  Hier  denke  ich  an 
die  überlebenden  Österreicher,  die  dank  der  Zu- 
ständigkeit zur  Monarchie  einem  Schicksal  entgegen- 
gehen, das  sie  als  Volk  nicht  verdient  haben.  An 
den  andern,  die  sich  gegen  solche  Zuständigkeit 
gewehrt,  oder  zumeist  nicht  einmal  das  getan  haben, 
hat  Österreich  selbst  ja  die  Todesstrafe  noch  bei 
seinen  Lebzeiten  vollzogen. 

Der  Optimist:  Und  glauben  Sie,  daß  der- 
gleichen bei  den  Feinden  nicht  vorgekommen  ist? 
Die  Engländer  haben  auch  ihre  Hochverräter  hin- 
gerichtet. Denken  Sie  an  Casement. 

Der  Nörgler:  Ich  besitze  von  diesem  Fall 
keine  Ansichtskarte.  Abgesehen  davon,  daß  Casement 
von  einem  Gerichtshof  zum  Tode  verurteilt  und  hierauf 


508 


erschossen  worden  ist,  während  mit  Battisti  der 
kürzere  Prozeß  gemacht  wurde,  indem  man  ihn 
gefangen  und  aufgehängt  hat,  nachdem  man  ihn 
allerdings  noch  zur  Verschärfung  der  Todesstrafe 
gezwungen  hatte,  das  Gotterhalte  stehend  anzu- 
hören —  dürften  bei  der  Hinrichtung  Casements,  die 
England  ja  nicht  als  Kirmes  gefeiert  hat,  kaum  amtliche 
Photographien  hergestellt  worden  sein.  Bilder,  die 
nicht  nur  eine  Galgenprozedur,  sondern  auch  die 
bestialische  Assistenz  als  Triumph  verewigen,  Bilder, 
die  einen  strahlenden  Henker  im  Kreise  animierter 
oder  verklärt  blickender  Offiziere  zeigen,  dürften 
selbst  in  der  Heimat  der  farbigen  Engländer  schwerlich 
aufgetrieben  werden.  Ich  aber  möchte  speziell  einen 
Preis  aussetzen  auf  die  Agnoszierung  des  gräßlichen 
Klotzes  von  einem  k.  u.  k.  Oberleutnant,  der  sich 
direkt  vor  einen  hängenden  Leichnam  gestellt  und 
seine  aussichtslose  Visage  dem  Photographen  dar- 
geboten hat,  und  auch  jener  dreckigen  Feschaks, 
die  heiter  wie  an  der  Sirk-Ecke  versammelt  sind 
oder  mit  Kodaks  herbeieilen,  um  nicht  nur  in 
betrachtender,  nein  in  photographierender  Stellung 
auf  das  Bild  zu  kommen,  in  dem  der  sogenannte 
Seelsorger  in  der  Runde  von  hundert  erwartungsvollen 
Teilnehmern  nicht  fehlen  darf.  Denn  es  wurde  nicht 
nur  gehängt,  es  wurde  auch  gestellt;  und  photo- 
graphiert  wurden  nicht  bloß  die  Hinrichtungen, 
sondern  auch  die  Betrachter,  ja  sogar  noch  die 
Photographen.  Und  der  besondere  Effekt  unserer 
Scheußlichkeit  ist  nun,  daß  jene  feindliche  Propa- 
ganda, die  statt  zu  lügen  einfach  unsere  Wahrheiten 
reproduziert  hat,  unsere  Taten  gar  nicht  erst  photo- 
graphieren  mußte,  weil  sie  zu  ihrer  Überraschung 
unsere  eigenen  Photographien  von  unsern  Taten 
schon  am  Tatorte  vorgefunden  hat,  also  uns  »als  Ganze«, 
all  in  unserer  Ahnungslosigkeit  —  die  wir  nicht  spürten, 
daß  kein  Verbrechen  uns  so  vor  der  Umwelt  entblößen 
könnte   wie   unser  triumphierendes  Geständnis,   wie 


509 


der  Stolz  des  Verbrechers,  der  sich  dabei  noch 
»aufnehmen«  läßt  und  ein  freundliches  Gesicht  macht, 
weil  er  ja  eine  Mordsfreud  hat,  sich  selbst  auf 
frischer  Tat  erwischen  zu  können.  Denn  nicht  daß 
er  getötet,  auch  nicht  daß  er's  photographiert  hat, 
sondern  daß  er  sich  mitphotographiert  hat;  und  daß 
er  sich  photographierend  mitphotographiert  hat  — 
das  macht  seinen  Typus  zum  unvergänglichen  Licht- 
bild unserer  Kultur.  Als  ob,  was  wir  getan  haben, 
nicht  für  sich  selbst  sprechen  würde!  Die  Auditoren 
der  Hölle,  die  sich  durch  ihre  Leistungen  vom  Zwang 
zum  Heldentod  befreit  haben  wie  nu-r  die  Dichter 
des  Kriegs,  haben  wahrlich  ganze  Arbeit  geleistet.  Aber 
nach  dem  Henker  mußte  noch  der  Photograph  heran. 
Nein,  die  für  ein  k.  u.  k,  Kriegsarchiv  gestellten 
Gruppen  behaften  die  Erinnerung  an  Österreich  mit 
einem  Schandfleck,  der  in  Äonen  nicht  untergehn  wird ! 

Der  Optimist:   Von  all  dem  hat  sicher  der 
Kaiser  Franz  Joseph  nichts  gewußt. 

Der  Nörgler:  Er  hat  seit  jeher  nur  gewußt, 
daß  sein  Henker  den  letzten,  einzigen  und  wahren  Hort 
der  Zentralgewalt  bedeute.  Als  ihr  leuchtendes, 
lachendes  Symbol,  in  voller  Kaffeesiederwürde  und 
Weltrichiergemütlichkeit  steht  jener  da,  weit  entfernt 
von  Hochmut  und  von  Schwäche,  denn  mir  wcrn 
kan  Richter  brauchen,  wohl  aber  einen  Scharfrichter. 
Der  Optimist:  Er  als  ritterlicher  Monarch  — 
Der  Nörgler:  —  hat  schon  in  seiner  Jugend 
die  Abordnung  der  Mütter,  Gattinnen  und  Töchter 
von  Mantua,  die  in  Trauerkleidern  für  ihre  Söhne, 
Gatten  und  Väter  um  Abwendung  der  Galgenstrafe 
herangewallt  kamen,  abgewiesen.  Doch  haben  sie 
nachher  die  Henkerrechnung  bezahlen  müssen. 
Das  Andenken  Österreichs  ist  bis  heute  in  jenen 
Gegenden  unverwischt  und  das  weltgeschichtliche 
Motiv  der  '^Treulosigkeit«  mag  seine  Erklärung  in 
dem  nachzilternden  Grausen   finden,    mit  dem  man 


510 


dort  noch  jetzt  von  jenen  Taten  spricht,  und  in  der 
diplomatischen  Überlieferung:  »la  corde  savonnee«, 
diese  Spezialität,  sei  der  einzige  österreichische  Export- 
artikel gewesen.  In  hoc  sigrip  wollte  es  siegen!  Seine 
letzte  Henkerrechnung  wirdÖsterreich  selbst  bezahlen. 

Der  Optimist:  Wie  das?  Wann? 

Der  Nörgler:  Nach  seiner  Hinrichtung! 

(Verwandlung.) 


30.  Szene 

Standgericht. 

Hauptmann-Auditor  Dr.  Stanislaus 
V.  Zagorski  (verkündet  das  Urteil.  Man  hört  die  folgenden 
Sätze,  die  er  besonders  betont) : 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  der  Angeklagte 

Hryb  26  Jahre  alt  und  des  Lesens  und  Schreibens 
unkundig  ist,  somit  keine  Bildung  hat,  sowie  ange- 
sichts dessen,  daß  die  Schuld  des  Angeklagten  Hryb 
dem  Standgericht  die  kleinste  mit  Rücksicht  auf  die 
Sciiuld  der  anderen  Mitangeklagten  zu  sein  schien, 
hat  das  Standgericht  beschlossen,  daß  die  gegen  den 
Angeklagten  Hryb  gemäß  §444  M.-St.-P.-O.  ausge- 
sprochene Todesstrafe  dieser  Angeklagte  als  erster 
abzubüßen  hat. 

Die  über  den  Angeklagten  Struk  ver- 
hängte Todesstrafe  soll  derselbe  als  zweiter  abbüßen, 
weil  seine  Schuld  im  Verhältnis  zur  Schuld  des  Erst- 
angeklagten krasser  ist. 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  der  Angeklagte 

Maeyjiczyn  durch  längere  Zeit  mit  den  Russen  in 
Verbindung  gestanden  ist,  wurde  beschlossen,  daß 
er  als  dritter  die  Todesstrafe  abzubüßen  hat. 

—  —  Unter  einem  wurde  beschlossen,  daß 
dieser  Angeklagte  in  Würdigung  der  ihm  zur  Last 
gelegten  Tat  die  Todesstrafe  als  vierter  in  der  Reihe 
abzubüßen  hat. 


511 


Die  über  ihn  gemäß   §  444  M.-St.-P.-O. 

verhängte  Strafe  soll  Angeklagter  Dzus  als  fünfter 
verbüßen,  weil  seine  lügnerische  Verteidigung  darauf 
hinwies,    daß   er  den   Russen   vollauf   ergeben  war. 

—  —  und  hat  diese  Strafe  in  Würdigung 
seiner  Handlungsweise  als  sechster  abzubüßen. 

—  —  Die  Todesstrafe  hat  der  Angeklagte 
Kowal  als  der  siebente  abzubüßen. 

—  —  Nachdem  dem  Fedynyczyn  zwei  straf- 
bare Handlungen  zur  Last  fallen,  soll  er  die  Todes- 
strafe als  achter  verbüßen. 

—  ~  Mit  Rücksicht  auf  die  Schwere  der  dem 
Fedor  budz  zur  Last  gelegten  Tat  soll  derselbe  die 
Strafe  als  neunter  abbüßen. 

Die    auferlegte   Strafe    hat   Petro    Dzus 

als  zehnter  abzubüßen,  mit  Rücksicht  auf  die  Schwere 
seines  Verschuldens. 

hat  das  Standgericht  angenommen,  daß 

seine   Schuld   die   größte  ist  und  daß    er   eben   die 
gegen    ihn   verhängte  Todesstrafe  als   letzter   abzu- 
büßen hat.  Die  Verhandlung  ist  geschlossen. 
(Die  Delinquenten  werden  abgeführt.) 

Ein  Offizier:  Gratuliere.  Das  war  saftig. 
Spürt  ma  halt  gleich,  daß  du  ein  Advokat  bist.  Du, 
wieviel  Todesurteil'  hast  eigentlich  schon  hinter  dir? 

Zagorski:  Das  is  akkurat  das  hunderste  — 
also  das  heißt  das  hundertzehnte. 

Die  Offiziere:  Gratulieren!  Jubiläum!  Ja 
warum  sagst  das  nicht? 

Zagorski:  Danke,  danke !  Und  jeder  Exekution 
hab  ich  persönlich  beigewohnt,  das  kann  ich  mit 
Stolz  sagen.  Und  wie  oft  hab  ich  noch  bei  den 
Exekutionen  fremder  Todesurteile  assistiert! 

Zweiter  Offizier:  Geh.  Da  überanstrengst 
dich  aber!  Nimmst  es  zu  gewissenhaft. 

Zagorski:  Ja  das  is  ein  aufreibender  Dienst ! 


512 


Erster:  Weißt,  er  is  halt  ein  gelernter  Jurist 
das  is  nicht  aso  — 

Zagorski:  No  ja,  da  muß  man  so  ein  Todes- 
urteil sorgfältig  begründen  —  ein  Vergnügen  ist 
das  nicht. 

Zweiter:  Ujegerl,  da  ham  wir  schon  Schererein 
ghabt,  früher  mit  dem  Obersten!  Der  war  dir  ein 
geschworener  Feind  vom  Standrecht.  Er  hat  immer 
gsagt,  das  is  eine  verbohrte  juristische  Klügelei. 
Einfach  niederm.achen!  hat  er  gsagt. 

Erster:  No  das  is  nix  gegen  den  Ljubicic, 
weißt,  elftes  Korps  wo  ich  war.  Der  hat  doch  den 
Wild,  da  erinner  ich  mich,  der  Wild  hat  doch  zwischen 
Weihnachten  und  Silvester  1914  zwölf  p.  v.  hängen 
lassen,  an  einem  Tag  sechs.  Der  sagt,  er  braucht 
überhaupt  kein  gerichtliches  Urteil  als  K- Offizier. 
Er  hat  auch  viel  abstechen  lassen. 

Zweiter:  No  und  der  Lüttgendorff!  Der  hat 
auch  immer  gsagt,  er  braucht  kein  Gericht,  dafür  hat 
ers  abgekürzte  Verfahren,  hat  er  gsagt.  Einmal  hat 
er  drei  Kerle,  weil  s'  bsoffen  warn,  durch'n  Korprai 
abstechen  lassen.  Das  war  in  Schabatz,  zum  aller- 
höchsten Geburtstag,  ich  denk's  wie  heut.  Und  fesche 
Bastonnaden  hats  geben  und  schöne  Evakuierungen! 
No  und  Brandlegungen,  da  muß  man  schon  tulli  sagen! 
V/eißt  damals  in  Syrmien,  wie's  jedes  zweite  Haus 
niederbraniit  habn!  Also  da  hat  er  amal  ein  Exempel 
schtatuiernv/olln.da  habn  s' ein  ganzes  Dorf  ausghoben 
zum  Niedermachen,  weißt  mit  hochschwangere  Frauen 
und  so,  alle  habn  s'  zu  Fuß  bis  nach  Peterwardein 
müssen.  Ob  s'  nacher  alle  niedergmacht  habn,  weiß  ich 
nicht.  Jedenfalls  habn  s'  bei  der  Nacht  bei  die 
Niedergmachten  bleiben  müssen,  die  Angehörigen 
und  so,  die  was  frei  kommen  sind.  Weißt,  die 
ungarischen  Gendarmeriewachtmeister,  die  Komman- 
danten der  Streifabteilungen,   habn   die   Strafsachen 


513 


gern  im  ab'kürzten  Verfahren  erledigt,  die  Leichen 
sind  alle  liegen  blieben,  von  die  Lehrer,  Geistlichen, 
Crtsnotäre,  Förster  und  so. 

Erster:  No  bei  die  Internierungen  hat  mehr 
herausgschaut! 

Zweiter:  Das  war  später,  wo  sie  's  dann 
plangemäß  ausgerottet  habn.  Dafür  waren  aber  auch 
die  ungarischen  Lager  erstklassig  eingerichtet. 
Hunger,  Stockhieb  und  Flecktyphus  —  das  gibt 
scho  was  aus  bei  die  Serben! 

Dritter  Offizier:  No  ja,  aber  alles  was  recht  is, 
ein  Justizverfahren  is  das  halt  doch  nicht  mehr. 

Zweiter:  No  ja  natürlich,  das  is  mehr  admini- 
strativ. Daß  du  aber  nicht  glaubst  —  weißt  beim 
Lüttgendorff  war  jeder  Fall  mit  einem  Dienstzettel 
belegt:  Justifizierung  verfügt!  No  für  eine  Ver- 
handlung wie  bei  uns  hier,  war  dir  der  Lüttgen- 
dorff halt  zu  nervös.  Mit  die  Richter  hat  er  gschimpft, 
ujegerl!  Da  hats  immer  gheißen:  Hofrat!  Bandler! 
Patzer!  Weißt,  gleich  aufhängen  war  ihm  das  Liebste, 
natürlich  nur  bei  mildernde  Umstand,  sonst  hat  er 
hauptsächlich  mit  'n  Bajonett  arbeiten  lassen. 

Erster:  Habts  ihr  schon  amal  an  Nazarener 
ghabt? 

Zweiter:  Was  is  das?  So  was  gibts  doch 
nicht  mehr! 

Erster:  Aber  ja,  Nazarener,  weißt,  das  sind 
so  Kerle,  die  sich  aus  Religion  weigern,  ein  G'wehr 
zu  nehmen,  eh  scho  wissen.  Da  hab  ich  einmal  einen 
solchen  Kerl  ghabt,  der  war  a  Landwirt  und  is  als 
Fuhrmann  verwendet  worn.  Seine  bisherige  Aufführung 
war  eine  gute,  also  nach  der  Konduite  war  er  unbe- 
scholten und  bis  auf  das,  daß  er  beim  Formieren 
ka  G'wehr  nicht  hat  nehmen  wolln,  is  eigentlich  nix 
gegen    ihn    vorglegen.     Aber    wie    er    so   vor    uns 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  33 


514 


gstanden  is,  hat  er  mir  halt  einen  höchst  ungünstigen 
Eindruck  gmacht.  NämHch  wie  er  schon  gewußt 
hat,  daß  er  zum  Tod  verurteilt  wird,  hat  er,  aber 
weißt  ohne  die  geringste  Reue  zu  zeigen,  also  hat 
er  dir  einfach  erklärt,  er  nimmt  's  Gwehr  auch 
dann  nicht,  wann  er  dafür  erschossen  wird.  Also  da 
hats  naturgemäß  auch  keine  Gnadengründe  gegeben 
bei  solcher  Verstocktheit!  No  der  Stöger-Steiner  hat's 
naturgemäß  bestätigt,  wegen  dem  höchst  ungünstigen 
Eindruck,  den  der  Mann  gmacht  hat.  Aber  jetzt  — 
das  war  dir  a  hakliche  Gschicht.  Später  hat  nämlich 
der  Oberst-Auditor,  weißt  der  Barta,  gsagt,  im 
Bericht  an  den  Obersten  Militärgerichtshof  —  daß  das 
Urteil  auf  einen  unliebsamen  Versehn  beruht  hat.  Weil 
angeblich  nur  auf  gewalttätige  Widersetzung  Todes- 
straf  is  und  das  KM  hat  halt  schon  1914  für  die 
Nazarener  vorgsorgt,  daß  sie  ohne  Waffen  in  die 
Front  einzuteilen  sind  und  erst  nach  'm  Krieg 
militärgerichtlich  abgeurteilt  wern.  Aber  der  Erlaß  is 
halt  bei  uns  erst  nach  der  Hinrichtung,  1916,  einglangt, 
kann  man  halt  nix  machen.  Der  Barta  hat  drei  Wochen 
Profosenarrest  kriegt. 

Zweiter:  Das  war  ihm  unterm  Lüttgendorff 
nicht  passiert.  Da  war  so  a  Nazarener  —  (Geste) 
rrtsch  obidraht,  mei  Lieber! 

Zagorski:  Ja,  unsereins  hat  nicht  so  freie 
Hand  als  Jurist,  verstehst  du.  Ich  laß  mir  Zeit  — 
no  und  ich  hab  doch  schon  mehr  geleistet  wie  sogar 
der  Wild! 

Zweiter:  No  ja  du! 

Zagorski:  Mein  intressantester  Fall  war  in 
Munkacs,  das  war  im  Herbst  1914  —  da  war  man 
noch  mit  Leib  und  Seele  dabei.  Da  waren  drei 
galizischeFlüchtlinge,  einPfarrer  Roman  Beresowszkyi, 
ein  gewisser  Leo  Koblanskyi  und  der  Ssemen  Zhabjak, 
die  hab  ich  natürlich  zum  Tod  verurteilt,  no  und  in 
Vollzug  gesetzt  — 


515 


Zweit  er:  Hast  dabei  auch  so  schön  arranschiert  — 
nach  der  Reih  —  ? 

Zagorski:  Woher  denn,  die  haben  ja  alle 
drei  lesen  und  schreiben  können  und  außerdem 
waren  s'  alle  gleich  schuldig  —  das  heißt,  wenn 
mans  genau  nimmt,  waren  s'  alle  unschuldig. 

Erster:  Unschuldig  —  waren  s',  wieso? 

Zagorski:  Ja,  das  is  eben  das  Intressante. 
Die  Sache  ist  nämlich  vom  Militärgericht  in  Stryi 
wieder  aufgenommen  worden,  und  da  stellt  sich 
heraus,  daß  sie  unschuldig  sind. 

Die  Offiziere:  Das  is  a  Pech. 

Zagorski  (lachend):  Wieso?  Der  ukrainische 
Nationalrat  hat  sich  doch  über  mich  beim  AOK 
beschwert!  No  da  könnts  euch  denken  — 

Erster:  Ah  so!  No  was  warst  damals? 

Zagorski:  Oberleutnant. 

Erster:  Und  wann  bist  du  Hauptmann  gworn? 

Zagorski:  No  v/ie  sich  herausgestellt  hat, 
daß  sie  unschuldig  waren! 

Zweiter:  Glaubst,  daß  da  also  ein  direkter 
Zusammenhang  is  —  daß  man  dir  aiser  quasi 
hat  eine  Genugtuung  geben  woUn? 

Zagorski:  Das  will  ich  nicht  grad  behaupten, 
so  feinfühlig  sind  sie  beim  AOK  nicht  —  aber 
durch  die  Beschwerde  is  man  auf  mich  aufmerksam 
geworden,  da  hat  man  gesehn,  was  ich  für  eine 
Arbeitskraft  bin,  no  und  dann  —  wenn  sich  eine 
p.  u.- Nation  über  unsereinen  beschwert!  Verstehst, 
wenn  ein  Ruthene  uns  schaden  kann,  so  schadet 
er  uns  nicht  durch  eine  Beschwerde,  sondern 
höchstens  dadurch,  daß  er  noch  am  Leben  is. 


33» 


516 


Dritter:  No  glaubst  am  End  —  daß  die  elf, 
was  wir  heut  verurteilt  ham,  auch  unschuldig  sind? 
Also  wenn  mas  genau  nimmt,  bewiesen  is  eigent- 
lich nur  — 

Zagorski:  — daß  sie  Ruthenen  sind.  No  das 
wird  doch  genügen!  Ein  Uhr  —  gehmr  in  die  Menage. 

(Verw:indlung.) 


31.  Szene 

Schönbrunn.  Arbeitszimmer.  Der  Kaiser  sitzt  vor  dem  Schreib- 
tisch und  schläft.  Ihm  zur  Seite  steht  je  ein  Kammerdiener. 

Der  rechte  Kammerdiener:  Arbeit'  scho 
wieder  unermüdlich. 

Der  linke  Kammerdiener:  Jetzt  is  drei- 
viertel auf  neun,  sieben  Minuten  vor  halber  zehn  fangen 
die  Audienzen  an,   das  is  ein  rechtes  Kreuz  is  das. 

Der  rechte:  Pst  —  hör  zu  —  der  Weiland 
sagt  was  — 

Der  Kaiser  (spricht  aus  dem  Schlaf) :  Justament 
nicht  —  grad  nicht  —  ich  mach  keinen  Frieden  mit 
die  Katzeimacher  —  mei  Ruh  will  i  haben  —  man  hat 
mich  drangekriegt  —  es  war  sehr  schön  —  gehts 
weg  —  's  zweite  Knopfloch  is  um  ein  Millimeter  zu 
hoch  —  was?  Der  Franz  is  wieder  da?  —  schmeiß'n 
außi  —  es  hat  mich  sehr  gefreut  —  der  Rudolf  soll 
net  alleweil  mit  die  Fiaker  —  ghört  sich  denn  das? 
—  mir  bleibt  doch  nichts  erspart  —  warten  solln  s', 
ich  fang  erst  dreizehn  Minuten  vor  dreiviertel  an  — 
was  sagst  Kathi?  Bist  gscheit,  daß  d'  die  Preißn 
nicht  schmecken  kannst  —  das  is  ein  Elend  — 
man  hat  mich  drangekriegt  —  no  ja,  kann  man  halt 
nix  machen  —  (er  erwacht)  Was  —  was  wollts  denn  — 
ich  —  unterschreib  eh  schon.  (Der  linke  Kammerdiener 
reicht  die  Feder.  Der  Kaiser  unterschreibt  mehrere  Aktenstücke.) 
Du,  wer  kommt  denn  heut? 


517 


Der  rechte:  Majestät,  der  Emanuel  Edier 
von  Singer   für  die  Erhebung  in  den  Adelsstand  — 

Der  Kaiser:  Ah  der  Mendl,   das    is    gscheit. 

Der  linke:  Und  dann  der  Riedl  fürn  Franz 
Josefs-Orden. 

Der  Kaiser:  Ah  der  Riedl,  das  gfreut  mich, 
wie  gehts  ihm  denn  dem  Riedl? 

Der  rechte:  Er  is  nicht  mehr  der  Alte.  Letzte 
Wochn  soll  er  g'legen  sein.  Es  is  unsicher,  ob  er 
heut  kommt. 

Der  Kaiser:  Was,  war  net  schlecht,  so  ein 
junger  Mensch ! 

Der  linke:  Ja,  Majestät,  um  dreißig  Jahr 
jünger  wie  Majestät,  aber  was  Rüstigkeit  anbelangt  — 

Der  Kaiser:  Ja,  da  hast  recht  —  du  Ketterl, 
wie  gehts  denn  dem  Beck? 

Der  rechte:  Ujegerl  Majestät !  (Er  kopiert  die 
Haltung  eines  zitterigen  Greises). 

Der  Kaiser:  Was,  mit  seine  84  Jahr,  der 
Bua  soll  sich  schämen  —  (er  lacht  und  bekommt  einen 
Hustenanfall,  die  Kammerdiener  halten  ihn.)  Is  SCho  guat. 
(Der  linke  Kammerdiener  verläßt  das  Zimmer.)  Wohin 
gehst  denn? 

Der  rechte:  Er  holt  nur  's  Pulver. 

Der  Kaiser:  Ich  brauch  kein  Pulver,  justament 
nicht  — 

Der  linke  (kommt  mit  dem  Pulver  und  gibt  es  ihm  ein): 
Grad  hör  ich  — 

Der  Kaiser  (nimmt  das  Pulver):  Man  hat  mich 
drangekriegt. 

Der  linke:  Grad  hör  ich  Majestät,  daß  der 
Riedl  krankheitshalber  verhindert  is. 

Der  Kaiser:  Horts  auf.  M4r  bleibt  doch 
nichts  erspart. 

Der  rechte  (zum  linken):  Uje,  jetzt  kommt  das 
lebenslängliche  Couplet,  das  kennen  mr  eh. 


(Der   Kaiser    schläft    wieder    ein.    Die    beiden    Kammerdiener 
entfernen  sich  auf  Zehenspitzen.  Schlafend  singt  er  das  folgende) 


fe^i  j  j  Ij     h^ 

^W 

^J   y    .    .H^^l    !J  r  j    .^ 

i!;  •    j^j     '    • 

L.  ■          "r            1       "^ 

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^^!i  ^  1  f^ 

^^ 

Ij   f  J  M 

Wie  ich  zur  Welt  bin  'kommen, 
da  war  a  Schlamperei. 
Ich  hab  mir  vorgenommen, 
mir  is  alles  einerlei. 
An  Pallawatsch  hats  'geben 
von  einer  eigenen  Art. 
Was?  Ich  soll  in  das  Leben? 
Mir  bleibt  doch  nichts  erspart. 


Als  Bub  spiel  ich  Theater: 
von  Barrikaden  schauen  s'  zu. 
Ich  spiel,  hilf  Himmelvater, 
»Wirrwarr«  von  Kotzebue. 
Das  Volk,  es  schreit  sich  heiser, 
noch  fehlt  des  Kaisers  Bart  — 
da  bin  ich  schon  der  Kaiser. 
Mir  bleibt  doch  nichts  erspart. 


Diyi 


Nach  Ruh  nur  allweil  lechz'  ich, 
daß  ich  von  nix  nix  weiß, 
denn  spiel  ich  Sechsundsechzig, 
den  Preis  gewinnt  der  Preiß'. 
Ja,  das  muß  ich  doch  sagen, 
das  Glück  war  mit  mir  hart. 
Mein  Reich  lag  mir  im  Magen 
und  mir  blieb  nichts  erspart. 


Ich  kann  mich  nicht  erinnern, 
daß  ich  erlebt  nicht  hätt' 
im  Äußern  und  im  Innern 
ein  Kreuz  und  halt  ein  Gfrett. 
Der  Sohn,  die  Frau,  der  Otto 
bis  in  die  Gegenwart 
bleibt  meines  Lebens  Motto: 
Mir  bleibt  doch  nichts  erspart. 


Nur  Pech  in  der  Verwandtschaft  — 

längst  hätte  ich  es  satt, 

hätt'  ich  nicht  die  Bekanntschaft 

mit  ihr,  der  Kathi  Schratt. 

Mit  ihr  allein  ich's  aushalt, 

obschon  sie  schon  bejahrt 

und  kostspielig  der  Haushalt  — 

auch  ihr  bleibt  nix  erspart. 


Doch  find  ich,  sie  und  alles 
in  Österreich  war  sehr  schön. 
Das  Reich  hat  zwar  den  Dalles, 
doch  hoff  ich,  's  wird  schon  gehn. 
Die  Ehre  ist  oft  bitter, 
von  Gold  die  Schande  starrt. 
Ich  mach  den  Jud  zum  Ritter  — 
er  hat  sich  was  erspart. 


520 


Nur  Ärger,  nix  als  Kummer, 
oft  krieg  ich  eine  Wut. 
In  Ischi  nur,  im  Summer, 
da  g'freut  mich  mancher  Jud. 
Der  denkt,  wie  er  nur  Geld  krieg' 
was  der  zusammenscharrt 
in  diesem  säubern  Weltkrieg! 
Hätt'  ich  mir  den  erspart! 


Nur  einem  Freudenfeste 

hab  ich  einst  beigewohnt: 

das  war  der  Fall  des  Este  — 

der  hat  sich  doch  gelohnt!  (Er  erwacht.) 

Wie  man  es  hinterbracht  hat 

ganz  schonend  mir  und  zart, 

mein  linkes  Aug'  gelacht  hat: 

Schaut's,  der  bleibt  uns  erspart! 


Es  war  sehr  schön,  so  meint'  ich 

und  grüßte  alle  Leut, 

leutselig  lacht'  und  weint'  ich, 

es  hat  mich  sehr  gefreut. 

Recht  g'schichts  ihm,  schmecks,  nun  büß'  er, 

weil  auf  mein'  Tod  er  g'wart'. 

Der  Geizhals  war  kein  Grüßer 

hat  am  Gemüt  gespart. 


Ein  freudiges  Erlebnis 
für  mich  und  für  das  Land 
war  das  spanische  Begräbnis 
des  Neffen  Ferdinand. 
Wir  folgten  unsrem  Hasse 
auf  lustiger  Leichenfahrt. 
Begräbnis  dritter  Klasse  — 
da  blieb  mir  was  erspart. 


521 


Die  G'schichte  war  erledigt, 
erlöst  hat  uns  der  Tod. 
Für  den  Verlust  entschädigt 
hab  ich  das  Reich  durch  Not. 
War'  das  Malheur  nicht  gschehen 
durch  Geistesgegenwart, 
war'  ein  Malheur  geschehen! 
So  blieb  es  uns  erspart. 


Laßt  Gott  uns  dafür  preisen! 

Mein  Kreuz  ist  endlich  rot. 

Gold  geben  sie  für  Eisen, 

Gift  nehmen  sie  für  Brot.  (Er  schläft  ein.) 

Nachdem  ich  so  viel  Leid  trug, 

mein  Reich  liegt  aufgebahrt. 

Das  Volk  sein  Scherflein  beitrug, 

auch  ihm  bleibt  nichts  erspart! 


Doch  spür  ich  keine  Reue, 

doch  geb  ich  keine  Ruh. 

Durch  Nibelungentreue 

drückt  mich  nicht  mehr  der  Schuh. 

Der  Wilhelm,  hätt'  Geduld  er! 

Der  Treubund  ist  sehr  hart. 

Jetzt  drückt  mich  nur  die  Schulter. 

Da  wird  mir  nix  erspart! 


Die  Schulter  statt  zu  stützen, 
sie  drückt  mich  noch  zu  Tod, 
und  zu  den  faulsten  Witzen 
gehört  der  Nibelungen  Not. 
Das  Schicksal  hat,  man  weiß  es, 
mich  oft  und  oft  genarrt  — 
sein  Essen,  ach  der  Preiß'  es 
von  meinem  Munde  spart! 


522 


Was  hab  ich  von  dem  Bund  doch! 
Es  geht  mir  glorreich  schlecht. 
Beim  deutschen  Gott,  kein  Hund  doch 
so  länger  leben  möcht'! 
Ach  ums  Panier  der  Treue 
haben  wir  uns  schön  geschart  — 
der  Freund  frißt  meine  Säue, 
mir  bleibt  ein  Dreck  erspart. 


Es  ist  ein  Bund  des  Pferdes 

mit  einem  Reiter  toll 

und  für  den  Schutz  des  Herdes 

verlangt  er  hohen  Zoll. 

Das  Volk,  es  preist  das  Deutsche. 

Es  war  sehr  schön  beim  Start. 

Mich  aber  peitscht  die  Peitsche  — 

das  Ziel  bleibt  mir  erspart. 


In  dem  Kalkül  ein  Loch  ist: 
der  Preiß',  er  macht  mir  heiß. 
Hoch  ruft  das  Volk,  doch  hoch  ist 
von  allem  nur  der  Preis. 
Ein  Roß  nicht  ahnen  kunnte, 
wohin  es  ging'  der  Fahrt. 
Der  Preiß',  man  wanen  kunnte, 
der  bleibt  mir  nie  erspart! 

Wie  immer  ich  mich  wende, 
ich  sitz  dem  Reiter  auf 
und  kehr  mit  blutiger  Lende 
von  seinem  Siegeslauf. 
Der  Preiß'  sitzt  mir  im  Nacken, 
die  Treu  er  mir  bewahrt. 
Mein  Thron  ist  seine  Tacken, 
kein  Tritt  bleibt  mir  erspart. 


523 


Nicht  endet  meine  Klage, 
nicht  endet  mein  Verdruß, 
auf  meine  alten  Tage 
ich  holienzollern  muß! 
Wozu,  das  möcht'  ich  fragen, 
hab  so  ich  mich  gepaart  — 
nur  um  wiederamal  zu  sagen: 
mir  bleibt  doch  nichts  erspart? 


Was  sind  denn  das  für  Sachen? 
Bin  ich  nicht  Herr  im  Haus? 
Da  kann  man  halt  nix  machen. 
Sonst  schmeißt  er  mich  hinaus. 
War'  ich  im  Sommer  sieben 
gefolgt  dem  Eduard, 
so  wäre  mir  geblieben 
so  mancherlei  erspart. 


Mit  Hurra  gehts  herunter 
bis  auf  den  Kladderadatsch. 
Jetzt  geht  der  Wiener  unter! 
Wir  heißen  's  Pallawatsch. 
In  diesem  Weltenkriege 
krieg  ich  den  schoflen  Part 
und  wie  ich  immer  siege, 
der  Sieg  bleibt  mir  erspart. 


In  der  Geschichte  steht  es, 
was  immer  mir  geschah. 
Seit  siebzig  Jahren  geht  es 
in  einem  Pfui  k.  k. ! 
Mit  Justament  regier  ich 
auf  eine  eigene  Art, 
und  meine  Völker  führ  ich, 
daß  uns  ka  Hetz  erspart. 


524 


Ihr  dürft  noch  lang  nicht  hoffen 

aufs  End  von  mein'  Couplet. 

Es  hat  noch  Katastrophen  — 

Euer  Gnaden  wissen  eh. 

Mir  wem  kan  Richter  brauchen 

nach  dieser  Praterfahrt! 

Wenn  erst  die  Trümmer  rauchen, 

wird  am  Tabak  gespart. 


In  der  Geschichte  steht  es, 
was  immer  mir  geschieht, 
und  wie  man  immer  dreht  es, 
sie  bleibt  das  Weltgericht. 
Den  Narren  gab  ich  Titel 
dem  Volk  des  Kaisers  Bart. 
Die  blutigsten  Kapitel 
hab  ich  mir  aufgespart. 


Mir  war  seit  Kindesbeinen 
schon  alles  einerlei. 
Doch  g'freut  mich  heut  wie  keinen 
die  blutige  Schlamperei! 
Heut  bin  ich  ja  noch  rüstich, 
noch  rüst  ich  nicht  zur  Fahrt, 
noch  nicht  für  alles  büßt  ich, 
noch  viel  bleibt  euch  erspart! 


Noch  bisserl  Blut  sehn  will  ich, 
man  nimmt  an  Weisheit  zu, 
und  justament  erst  spiel  ich 
Wirrwarr  von  Kotzebue! 
Noch  bin  ich  ja  der  Alte, 
Lorbeer  den  Kopf  behaart. 
Dem  Volk  mich  Gott  erhalte! 
Ihm,  dem  ja  nichts  erspart. 


525 


Erhalt'  er  mich  in  Plagen! 

Noch  ists  nicht  an  der  Zeit, 

»Es  war  sehr  schön«  zu  sagen, 

»es  hat  mich  sehr  gefreut*. 

Die  Welt  muß  erst  verzweifeln, 

worauf  ich  gnädig  wart. 

Dann  fragen  s'  mich  bei  den  Teufeln, 

ob  mir  noch  was  erspart! 

Und  der  nur  Ruh  wollt  haben, 
geht  endlich  selbst  zur  Ruh. 
Doch  eh'  sie  mich  begraben 
und  eh'  der  Sarg  fallt  zu  — 
»So  jung  noch,  soll  ich«,  frag  ich, 
»schon  auf  die  letzte  Fahrt?« 
Und  noch  einmal  g'schwind  sag  ich: 
Mir  bleibt  doch  nichts  erspart! 
(Die  beiden  Kammerdiener  nähern  sich  auf  Zehenspitzer.) 
(Verwandlung.) 

32.  Szene 

Kragujevac,  Militärgericht. 

Der  Oberleutnant-Auditor  (hinausrufend): 
Solln  sich  aufhängen!  (zum  Schriftführer)  Sind  die  drei 
Todesurteile  ins  Reine  geschrieben?  Die  über  die 
drei  Burschen  aus  Karlova  mein  ich,  die  Gewehre 
gehabt  haben. 

Der  Schriftführer:  Jawohl,  aber  (zögernd) 
da  —  möchte  ich  auf  einen  Umstand  aufmerksam 
machen,  da  —  hab  ich  die  Entdeckung  gemacht  — 
daß  sie  erst  achtzehn  Jahre  alt  sind  — 

Der  Oberleutnant- Auditor:  Nun  und? 
Was  woHen  Sie  damit  sagen? 

Der  Schriftführer;  Ja  —  da  dürfen  sie 
aber  —  nach  dem  Militärstrafgesetz  nicht  hingerichtet 
werden  —  da  muß  das  Urteil  —  auf  schweren  Kerker 
abgeändert  werden  — 


526 


Der  Oberleutnant-Auditor:  Geben  S'  her! 
(Er  liest.)  Hm.  Da  wem  wir  nicht  das  Urteil,  sondern 
das  Alter  abändern.  Es  sind  sowieso  stattliche 
Burschen.  (Er  taucht  die  Feder  ein.)  Da  schreiben  wir 
halt  statt  achtzehn  einundzwanzig.  (Er  schreibt.)  So, 
jetzt  kann  man  sie  ruhig  aufhängen. 

(Verwandlung.) 

33.  Szene 

Ischler  Esplanade.  Eine  teilnehmende  Gruppe  umgibt  den  alten 
Korngold. 

Der  alteKorngold  (händeringend):  Er  is  doch 
nicht  gesund!  Er  is  doch  nicht  gesund!  (Wird  von  der 
Gruppe  abgeführt.) 

Ein  Kurgast  (spricht  einen  andern  an):  No  Sie 
wern  mir  doch  sagen  können,  Sie  sind  doch  intim 
in  Theaterkreise,  also  is  es  wahr  was  man  hört 
oder  is  es  bloß  ein  Gerücht? 

Der  andere:  Der  alte  Biach? 

Der  erste:  Konträr,  der  junge  Korngold! 

Der  andere  (ernst):  Es  is  wahr. 

Dererste:  Hören  Sie  auf  —  also  den  jungen  — 
Korngold  —  ham  sie  genommen? 

Der  zweite:  Wenn  ich  Ihnen  sag!  Was  sagen 
Sie  z.u  Biach?  (Beide  ab.) 

Dritter  Kurgast  (kopfschüttelnd  zu  seinem 
Begleiter):  Einen  Mozart!  Und  wo  er  doch  bei  der 
Presse  is! 

Vierter  (sich  umsehend):  Ein  Racheakt.  (Beide  ab.) 

(Fräulein  Löwenstamm  und  Fräulein  Körmendy  treten  im  Dirndl- 
kostüm auf.) 

Fräulein  Löwenstamm:  Es  hat  aufgehört 
zu  regnen! 

Fräulein  Körmendy:  Also  was  is?  Gehts 
ihr  nactimittag  am  Nussensee? 


527 


Fräulein  Löwen  stamm:  Wenn  es  so  bleibt,  ja, 
sonst  selbstredend  zu  Zauner!  Was  is  abends? 
Gehts  ihr?  Wir  ham  Sitze,  der  Schalk  dirigiert  von  der 

Oper.    (Ein    anderes    Dirndl   geht    vorbei.)     Du    —    SChaU 

dir  sie  jetzt  an  — ! 

FräuleinKörmendy:  Möcht  wissen,  worauf 
herauf  sie  so  herumgeht. 

Fräulein  Löwenstamm:  Ihr  Bruder  verehrt 
doch  die  Wohlgemuth! 

Fräulein  Körmendy:  Dort  kommt  der 
Bauer  mit  dem  Lehar.  (Ab.) 

Bob  Schlesinger  (Janker,  nackte  Knie) :  Was  da 
hergemacht  wird!  Wetten,  nächste  Woche  is  er  ent- 
hoben! Ein  Wort  wenn  ich  dem  Hans  Müller  sag! 

Baby  Fanto  (Tenniskostüm):  Aber!  Ein  Wort 
vom  Papa!  In  unserem  Haus  in  Baden  verkehrt 
doch  bekanntlich  das  ganze  Aokah!  Der  Arz 
wälzt  sich,  wenn  der  Tury  einen  Witz  macht,  und  ich 
kopier  ihm  die  Konstantin. 

(Ein  Hofwagen  fährt  vorbei.  Sie  grüßen.) 

Bob  Schlesinger:    Ich   glaub,   er  war  leer. 

Baby  Fanto:  Ich  glaub,  der  Salvator,  (Ab.) 

Ein  alter  Abonnent:  Was  sagen  Sie  zum 
jungen  Korngold? 

Der  älteste  Abonnent:  Das  kann  in 
England  nicht  ohne  Eindruck  bleiben.  (Ab.) 

(,Man  hört  von  ganz  fern  die  Rufe  des  alten  Korngold.) 
(Verwandlung.) 

34.  Szene 

Wachstube. 

Der  Inspektor:  Aha,  da  is  sehe  wieder  so  a 
syphilitischer  Schlampen!  Und  verlaust  is'! 

Ein  Wachmann:  Die  kenn  i  eh.  Die  is  wegen 
Diebstahl  abgstraft  und  wegen  Vagabundasch  war's 
aa  eingliefert.  Im  Spital  war  s'  eh  scho. 


528 


Der  Inspektor:  Wie  alt  bist  denn?  Wem 
ghörst  denn? 

Die  Siebzehnjährige:  Der  Vater  is  eingrückt, 
die  Mutter  is  gstorben. 

Der  Inspektor:  Seit  wann  bist  denn  bei 
dem  Leben? 

Die  Siebzehnjährige:  Seit  1914. 

(Verwandlung.) 

35.  Szene 

Ei«  Berliner  Nachtlokal. 

Eine  gröhlende  Stimme  (aus  dem  Hintergrund): 
Das  Dünnbier  ist  ein  scheußliches  Geschlampe 

Und  als  Getränk  mau  mau! 
Gießt  du  davon  zuviel  in  deine  Wampe, 
Dann  wird  dir  tlau ! 
Bringt  Burgeff-Grün,  ihr  Hundejungen!   Friedelchen 
bleib  man  da,  süße  Toppsau  —  bewahre  Sitzfleisch  — 
ihr  Vatalanusverräter  —  wat?  —  nu  mal  rin  in  die 
Sommeschlacht  — 

Frieda  Gutzke  (spuckt  ihm  auf  die  Glatze) :  Hopla, 
Vata  siehts  ja  nich  —  (geht  nach  vorn.) 

(Sally   Katzenellenbogen,   Export,   Frankfurt  a./O.   tippt  seinem 
Nachbarn,   dem   Rechtsanwalt  Krotoschiner  II  an  die  Schulter.) 

Katzenellenbogen:  Wie  sagt  doch  Nietzsche? 
Jehst  du  zum  Weibe,  vajiß  de  Peitsche  nich! 

Krotoschiner  II:  Na  hörn  Se  mal,  lassen  Se 
mich  man  bloß  mit  dem  Mann  zufrieden,  der 
Mann  is  mir  nich  maßgebend,  der  hat  doch 
bekanntlich  'n  böses  Ende  jenommen.  Oberfauler 
Kunde,  sage  ich  Ihnen.  Kenn  Se  Dolorosa? 

Katzenellenbogen:  Nee.  Sitzt  dort  nich 
Hertha  Lücke  vom  Palais  de  danx,  Kantstraße  fünfzehn 
Belletahsche,  Kurfürst  achthundertvierundfunfzigtau- 
sendsiebenhundertsiebenundfunfzig? 


529 


Krotoschiiier  II:  Acli  Unsinn,  Jejenteil,  das  ist 
Gerda  Mücke  vom  Lindenkasino,  Leibnizstraße  neun- 
undfunfzig  zwei  Treppen,  Lützoo  neunhundertsieben- 
undfunfzigtausendachtliundertdreiundfunfzig.Teelefonn 
mit  Warmwasser,  Luftschiff  im  Hause,  zu  jedem 
Appartemang  'n  Kuiturbatt,  tipptopp  I  Kann  famos 
pieken! 

Katzenellenbogen:  Jewiß  doch,  mit  das 
schickste  Mädchen,  das  wa  jetzt  in  Berlin  haben  — 
un  wissen  Se,  wer  neben  sitzt?  Motte  Mannheimer, 
Kunststück    —    wickelt    se   alle    in    blaue   Lappen. 

(Die  Musik  spielt  das  Lied   »Ach   Puppe  sei  nicht  so  neutral !«) 

Frieda  Gutzke  (geht  vorbei  und  sagt  zu  Katzenellen- 
bogen): Na  horste,  sollst  nich  so  neutral  sein  —  was 
sitzt  ihr  beiden  denn  so  miesepetrich  da,  halli  hallo 
hopsaßa  —  (zu  Krotoschincr  II;  na  Puppe?  Oller  mit'n 
Kneifer ! 

Krotoschiner  II:  Totschick !  Na  komm  mal  ran. 

Frieda  Gutzke:  Nich  zu  machen,  schließt 
von  selbst  —  weeßte,  der  Rittergutsfritze,  der 
Pommernhengst,  immer  mit'n  roten  Kopp,  guckt 
rüber  —  andermal  —  du  schenk  mr'n  braunen  Lappen, 
ik  will  Hindenburch  benageln.  (Sie  geht  nach  hinten.) 

Die  gröhlende  Stimme: 
Und  was  das  Schönste  ist  bei  dieser  Schose: 

Das  Reichsbekleidungsamt 
(Frieda  Guizke  singt  mit)  Gibt   uns   pro  Jahr  bloß 

eine  Unterhose  — 
Verdammt!  Verdammt! 

(Verwandlung.) 

36.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Nörgler:  Dasnenne  ich  einmal  Propaganda 
für  eine  gute  und  gerechte  Sache! 

Der  Optimist:  Was  ist  es  denn? 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  34 


530 


Der  Nörgler:  Ein  Aufruf,  der  lautet 
»Schluß  der  Kriegsanleihezeichnung!«  Ein  gutes  Wort 
zu  rechter  Zeit. 

Der  Optimist:  Es  freut  mich,  daß  Sie  so 
einsichtsvoll  denken.  Alles  Gerede  von  einem  Ver- 
ständigungsfrieden hat  sich  eben  als  müßig  erwiesen. 

Der  Nörgler:  Es  ist,  wie  Sie  sagen.  Und 
immer  klarer  stellt  sich  heraus,  daß  Deutschland 
recht  behalten  wird:  Der  Krieg  wird  militärisch 
entschieden  werden. 

Der  Optimist:  Daß  Sie  das  sagen!  Darin 
stimmen  wir  einmal  — 

Der  Nörgler:    -  vollkommen  überein. 

Der  Optimist:  Ich  hoffe  Sie  auch  zu  meiner 
Ansicht  über  patriotische  Jugenderziehungzu  bekehren. 
In  diesem  Punkte  kann,  da  es  sich  eben  darum  handelt, 
alle  Gedanken  auf  den  Endsieg  einzustellen,  gewiß 
nicht  genug  geschehen.  Ich  habe  Ihnen  aber  den 
Jahresbericht  der  Kaiser  Karls-Realschule  mitgebracht, 
damit  Sie  sich  überzeugen,  daß  die  Mittelschüler 
durchaus  nicht  zur  Beschäftigung  mit  kriegerischen 
Themen  gezwungen  werden.  Es  wird  ihnen  vielmehr, 
in  den  meisten  Fällen  jedenfalls,  die  Alternative 
gelassen.  Zum  Beispiel  in  der  V.  b  Klasse:  »Eine 
Ferienwanderung«  oder  »Kriegsmittel  neuester  Zeit«. 
In  der  VI.  a:  »Warum  ist  Lessings  Minna  von 
Barnhelm  ein  echt  deutsches  Lustspiel?«  oder 
»Durchhalten!«   Was  würden  Sie  wählen? 

Der  Nörgler:  Durchhalten! 

Der  Optimist:  Da  haben  wir  zum  Beispiel: 
»Gedanken  nach  der  achten  Isonzoschlacht«  oder 
»Herbstwanderung«.  Dann  »Inwiefern  vermag  das 
Klima  die  geistige  Entwicklung  der  Menschheit  zu 
beeinflussen?«  oder  »Unser  Kampf  gegen  Rumänien«. 

Der  Nörgler:  Hier  wählte  ich,  um  mir's  leichter 
zu  machen,  beide  Themen  auf  einmal. 

Der  Optimist:  »Die  Hauptgestalten  in  Goethes 
Egmont«  oder  »Der  verschärfte  U-Bootkrieg«. 


531 


Der  Nörgler:  Ich  würde  sagen,  daß  wenn  der 
verscliärite  U-Bootkrieg  nicht  hinzugetreten  wäre, 
die  Deutschen  mit  Goethes  Egmont  England  auf 
die  Knie  gezwungen  hatten. 

Der  Optimist:  Sie  sind  ein  Optimist.  Dann 
hätten  wir  noch:  »Schicksal  des  Menschen,  wie 
gleichst  du  dem  Wind!  (Goethe)«  oder  >,Wir  und  die 
Türken  —  einst  und  jetzt«. 

Der  Nörgler:  Hier  wählte  ich  ganz  bestimmt 
beide  Themen;  denn  mir  scheint,  als  ob  mir  just 
aus  der  Verknüpfung  ein  artiges  Stück  von  einem 
Aufsatz  gelingen  sollte. 

Der  Optimist:  Wie  stellen  Sie  sich  zu  der 
Alternative:  »Meine  Gedanken  vor  Radetzkys  Stand- 
bild« oder  »Seine  Handelsflotte  streckt  der  Brite 
gierig  wie  Polypenarme  aus  und  das  Reich  der  freien 
Amphitrite  will  er  schließen  wie  sein  eignes  Haus 
(Schiller)«. 

Der  Nörgler:  Was  das  zweite  Thema  anlangt, 
so  würfe  ich  es  dem  Deutschprofessor  an  den  Kopf, 
würde  ihm  raten,  für  seinen  pädagogischen  Zweck 
lieber  Lissauer  zu  zitieren,  und  ihm  beweisen,  daß 
ich  auch  die  Anfangsstrophe  des  Schillerschen 
Gedichtes  kenne:  »Edler  Freund!  Wo  Öffnet  sich 
dem  Frieden,  wo  der  Freiheit  sich  ein  Zufluchtsort? 
Das  Jahrhundert  ist  im  Sturm  geschieden,  und  das 
neue  öffnet  sich  mit  Mord.« 

Der  Optimist:  Und  das  erste  Thema,  »Meine 
Gedanken  vor  Radetzkys  Standbild«? 

Der  Nörgler:  Würde  ich  ohneweiters  und  mit 
Erfolg  bearbeiten,  denn  ich  habe  vor  Radetzkys 
Standbild  meine  eigenen  Gedanken.  Zum  Beispiel, 
daß  dort  schon  mehr  Schieber  vorbeigekommen  sind, 
als  für  den  Nachruhm  Conrads  von  Hötzendorf 
unbedingt  erforderlich  war. 

Der  Optimist:  Da  bemerke  ich  eben  —  der 
Jahresbericht  verzeichnet:  »An  die  Schülerbibliothek 
wurden    2    Exemplare    Schalek,    ,Tirol    in    Waffen' 


34* 


532 


geschenkt  von  ürätinBienerth-Schmerling,  1  Exemplar 
von  der  Verfasserin  an  die  Lehrerbibliothek.«  Na,  das 
ist  gewiß  gut  gemeint,  aber  — 

Der  Nörgler:  Sie  sind  ein  Nörgler.  Die  heran- 
wachsende Generation  kann  nicht  früh  genug  erfahren, 
wie  man  Schützengräben  ausputzt.  Ist  denn  kein 
Aufsatz  da,  der  solche  Anregungen  schon  unmittel- 
bar verwertet? 

Der  Optimist  (blättert):  Etwa  der  da,  fü^  die 
Vl.b:  »Welcher  von  unseren  Feinden  scheint  mir 
der  hassenswerteste?«  ^  • 

Der  Nörgler:  Das  Thema  ist  so  anziehend, 
daß  es  keiner  Alternative  bedurft  hat.  Aber  es  läßt 
ja  selbst  eine  zu,  die  allerdings  schwierig  genug  ist. 

Der  Optimist:  Und  wie  hätten  Sie  gewählt? 

Der  Nörgler  (nachdenkend):  Warten  Sie  —  nein, 
ich  wäre  nicht  imstande,  zu  einer  endgültigen  Ent- 
scheidung zu  kommen. 

Der  Optimist:  Wenn  Sie  sich  streng  an  das 
Aufsatzthema  halten,  das  da  den  Sextanern  der 
Kaiser  Karls-Realschule  gestellt  wird  — 

Der  Nörgler:  —  so  sage  ich:  Östei reich! 
Wenn  ich  aber  wieder  auf  diese  Annonce  hier  blicke, 
so  erscheint  mir  der  Militarismus  unserer  Jugend- 
erziehung als  ein  Kinderspiel  gegen  das  ausge- 
wachsene Vorbild. 

Der  Optimist  (liest):  »Verkaufs-Kanone, 
Christ,  militärfrei,  repräsentabel  und  doch  dezent, 
bisher  Reklame-Akquisiteur  für  Ost-  und  West- 
deutschland und  Berlin  mit  effektiven  Erfolgen 
und  nur  prima  Referenzen,  sucht  Generalvertretung 
eines  ausdehnungsfähigen  kapitalskräftigen  Unter- 
nehmens —  — «  Nun  und? 

Der  Nörgler:  Da  weiß  ich  als  Patriot,  welcher 
von  unseren  Feinden  mir  der  hassenswerteste  scheint! 

(Verwandlung^.) 


b'66 


37.  S^ene 

Deutsches  Hauptquartier. 

Wilhelm  II.  (zu  seinem  Gefolge):  Morjen,  meine 
Herrn! 

Die  Generale:  Morjen  Majestät! 

Wilhelm  II.  (in  Positur,  mit  Autblick  zum  Himmel): 
Es  hat  unser  Herrgott  entschieden  mit  unserem 
deutschen  Volke  noch  etwas  vor.  Wir  Deutsche, 
die  wir  noch  Ideale  haben,  sollen  für  die  Herbei- 
führung besserer  Zeiten  wirken.  Wir  sollen 
kämpfen  für  Recht,  Treue  und  Sittlichkeit.  Mit  den 
Nachbarvölkern  wollen  wir  in  Freundschaft  leben, 
abv.r  vorher  muß  der  Sieg  der  deutschen  Waffen 
anerkannt  werden.  Es  hat  das  Jahr  1917  mit  seinen 
großen  Schlachten  gezeigt,  daß  das  deutsche  Volk 
einen  unbedingt  sicheren  Verbündeten  in  dem  Herrn 
der  Heerscharen  dort  oben  hat.  Auf  den  kann  es 
sich  bombenfest  verlassen,  ohne  ihn  wäre  es  nicht 
gegangen.  Was  noch  vor  uns  steht,  wissen  wir  nicht. 
Wie  aber  in  diesen  letzten  vier  Jahren  Gottes  Hand 
sichtbar  regiert  hat,  Verrat  bestraft  und  tapferes 
Ausharren  belohnt,  das  habt  ihr  alle  gesehen,  und 
daraus  können  wir  die  feste  Zuversicht  schöpfen, 
daß  auch  fernerhin  der  Herr  der  Hee; scharen  mit 
uns  ist.  Will  der  Feind  den  Frieden  nicht,  dann 
müssen  wir  der  Welt  den  Frieden  bringen  dadurch, 
daß  wir  mit  eiserner  Faust  und  mit  blitzendem 
Schwerte  die  Pforten  einschlagen  bei  denen,  die 
den  Frieden  nicht  wollen.  Ein  Gottesgericht  ist  über 
die  Feinde  hereingebrochen.  Der  völlige  Sieg  im 
Osten  erfüllt  mich  mit  tiefer  Dankbarkeit.  Er  läßt 
uns  wieder  einen  der  großen  Momente  erleben,  in 
denen  wir  ehrfürchtig  Gottes  Walten  in  der  Geschiente 
bewundern  können.  (Mit  erhobener  Stimme)  Welch  eine 
Wendung  durch  Gottes  Fügung!  Die  Heldentaten 
unsrer  Tr^ippen,  die  Erfolge  unsrer  großen  Feld- 
herren,  die  bewunderungswürdigen  Leistungen    der 


0Ö4 


Heimat  wurzeln  letzten  Endes  in  den  sittlichen 
Kräften,  die  unserm  Volk  in  harter  Schule  anerzogen 
sind,  im  kategorischen  Imperativ!  Glauben  sie  noch 
immer  nicht  genug  zu  haben,  dann  weiß  ich,  werdet 
ihr  —  (Der  Kaiser  macht  eine  soldatische  Bewegung,  die  ein 
grimmiges  Lächeln  auf  den  Gesichtern  seiner  Mannen  hervorruft.) 
Der  sichtbare  Zusammenbruch  des  Gegners  war  ein 
Gottesgericht.  Unsern  Sieg  verdanken  wir  nicht  zum 
mindesten  den  sittlichen  und  geistigen  Gütern,  die 
der  große  Weise  von  Königsberg  unserm  Volke 
geschenkt  hat.  Gott  helfe  weiter  bis  zum  endgültigen 
Siege ! 

(Der  Kaiser  streckt  die  rechte  Hand  vor,  die  Generale  und  Offiziere 
küssen  sie  der  Reihe  nach.  Er  stößt  während  des  Folgenden, 
in  der  Erregung  wie  in  der  Belustigung,  einen  Ton  aus,  der 
wie  das  Bellen  eines  Wolfes  klingt.  Im  Moment  der  Erregung 
bekommt  er  einen  roten  Kopf,  der  Ausdruck  wird  der  eines 
Ebers,  die  Backen  sind  aufgeblasen,  wodurch  die  Schnurrbart- 
enden völlig  senkrecht  aufstehen.) 

Erster  General:  Majestät  sind  nicht  mehr 
das  Instrument  Gottes  — 

Wilhelm  II,   (prustend  und  pfuchzend):  Ha  — 

Der  General:  —  sondern  Gott  ist  das  Instru- 
ment Eurer  Majestät! 

Wilhelm  II.  (strahlend):  Na  's  is  gut.  Ha  —  I 

Zweiter  General:  Wenn  wa  jetzt  mit  Gott 
und  Gas  durchbrechen,  so  haben  wir  das  ausschließlich 
Eurer  Majestät  genialer  strategischer  Umsicht  zu 
danken. 

Wilhelm  II.  (tritt  an  die  Generalstabskarte  heran) : 
Ha  —  Von  hier  bis  hier  sind  fünfzehn  Kilometer, 
da  werfe  ich  fünfzig  Divisionen  hinein !  Kolossal  —  was? 
(Er  blickt  um  sich.  Beifälliges  Murmeln.) 

Dritter  General:  Majestät  sind  ein  Welt- 
wunder strategischen  Weitblicks! 

Vierter  General:  Majestät  sind  nicht  nur 
der  größte  Redner,  Maler,  Komponist,  Jäger,  Staats- 
mann,   Bildhauer,    Admiral,    Dichter,    Sportsmann, 


535 


Assyriologe,  Kaufmann,  Astronom  und  Theaterdirektor 
aller  Zeiten,  sondern  auch  —  sondern  auch  (er  beginnt 
zu  stottern)  — 

Wilhelm  II.:  Nanu? 

Der  General:  Majestät,  ich  fühle  mich  außer- 
stande, die  Liste  der  Meisterschaften  zu  erschöpfen, 
die  Majestät  auszeichnen. 

Wilhelm  II.  (nickt  befriedigt) :  Na  Und  ihr  andern? 
(Sie  lächeln  verlegen.)  Was,  ihr  verfluchten  Kerls,  wollt 
ihr  euern  Obersten  Kriegsherrn  —  ha  —  auslachen? 
Ich  werde  euch  —  Seckendorff! 

(Er  gellt  auf  einen  Adjutanten  zu  und  tritt  ihm   öfter  auf  den 
Rist  des  Fußes.) 

Der  Adjutant  (hüpft  verlegen) :  Majestät  — 
Majestät  — 

Wilhelm  II:  Ha  —  Hacken  zusammen- 
schlagen! —  Na  's  is  gut,  Seckendorff,  habe  Sie 
bloß  'n  bisken  pisacken  wollen.  Sekt! 

Ein  Offizier:  Zu  Befehl!  (Ab.) 

Wilhelm  IL:  Kaviar!  (Ein  Offizier  will  abgehen.) 
Ha  halt!  Es  ist  des  Deutschen  unwürdig,  reichlich 
zu   leben!  —  Kaviar!  (Der  Offizier  ab.) 

Vierter  General:  Majestät  — 

Wilhelm  11:  Na  was  is'n  los? 

Der  General:  Majestät  —  sind  auch  der 
feinste  Gourmand  aller  Zeiten! 

Wilhelm  II.  (strahlend):  Na  's  is  gut.  (Sekt  und 
geröstete  Kaviarschnitten  werden  gebracht.  Er  trinkt.)  Das  ist 
ja  französischer  Sekt!  Pfui  Deibel! 

Ein  Offizier  (klebt  eine  Eükette  >Burgeff-Qrün«  auf): 
Nein  Majestät,  es  ist  deutscher  Sekt! 

Wilhelm  II.:  Das  ist  ja  ein  famoser  deutscher 
Sekt!  —  Ha  —  Hahnke,  möchten  wohl  auch  Sekt  — ? 
Hurra  —  (er  schwippt  den  Rest  auf  das  Gefolge  und  lacht 
dröhnend.) 

Die  Generale  (sich  tief  verbeugend):  Zu  gnädig. 
Euer  Majestät! 


536 


Wilhelm  II.  (schmiert  mit  dem  Zeigefinger  der 
rechten  Hand  den  Kaviar  und  die  Butter  von  einer  Schnitte 
herunter  und  streicht  sie  sich  in  den  Mund):  Ha  —  Hahnke» 
möchten  wohl  auch  Kaviar  haben  — ?  (Er  wirft  das 
leere  Stück  Brot  unter  die  Generale  und  lacht  dröhnend,  wobei 
er  sich  mit  der  rechten  Hand  auf  den  Schenkel  schlägt.) 

Die  Generale  (sich  tief  verbeugend):  Zu  gnädig, 
Euer  Majestät! 

Wilhelm  II.  (sich  an  einen  Adjutanten  wendend) : 
Ha  —  Duncker,  nu  sagen  Se  mal,  was  ist  Ihr 
Geschmack  in  der  Liebe?  Sind  Sie  mehr  für  Dicke 
oder  für  Dünne?  (Duncker  lächelt  verlegen.  Wilhelm  II.  zur 
Umgebung.)  Er  schwärmt  für  Dicke.  Er  liegt  gern  weich. 

Die  Generale:  Köstlich,  Euer  Majestät! 
(Der  Kaiser  lacht  wie  ein  Wolf.) 

Wilhelm  II.  Ha  —  Krickwilz!  (indem  er  ihn  in 
den  Bauch  pufft)  Wie  macht  der  Hahn? 

Krickwitz  (kräht):    Kikeriki   —   Kikeriki   — 

Vierter  General  (zu  seinem  Nachbar):  S.  M.  ist 
ein  Gott. 

Wilhelm  II:  Ha  —  Flottwitz  —  gucken  Se 
mal  dorthin,  was  dort  los  ist  —  (Der  Admiral  dreht  sich 
um.  Der  Kaiser  pirscht  sich  an  ihn  heran  und  schlägt  ihm  mit  aller 
Wucht  auf  den  Hintern.  Der  Admiral  krümmt  sich  vor  Schmerzen.) 

Wilhelm  II:  Sind  Sie  verrückt  geworden? 
Pissen  Se  mir  doch  nicht  immer  auf  die  Stiebein! 
(Zum  Generalarzt  Martius)  Ha  —  Martius,  gucken  Se 
mal  dorthin,  was  dort  los  ist.  (Der  Generalarzt  dreht  sich 
um.  Der  Kaiser  pirscht  sich  an  ihn  heran,  springt  dann  auf 
ihn  los  und  greift  ihm  mit  der  Rechten  zwischen  die  Beine. 
Der  Generalarzt  taumelt  vor  wahnsinnigem  Schmerz  und  hält 
sich  an  einem  Stuhl  fest.  Er  ist  kreidebleich.  Der  Kaiser  bricht 
in  ein  tolles  Gelächter  aus  und  wendet  sich  dann,  wie  er  die 
Wirkung  seines  Zugriffs  bemerkt,  erzürnt  ab.  Mit  rotem  Kopf  und 
aufgeblasenen  Backen,  prustend  und  pfuchzend):  Kerls  sind 
ZU  dösig  —  ha  —  keen  Humor  bei  die  Kerls! 


I 


537 


Die  Generale:  Köstlich,  Euer  Majestät, 
köstlich! 

Der  erste  General  (zu  den  andern):  Amor  et 
deliciae  huniani  generis. 

(Verwandlung.) 


38.  Srene 

Winter  in  den  Karpathen.  Ein  Mann  an  einen  Baum  gebunden. 

Kompagnie führer  Hiller:  Wie  viel  Grad 
hats  woll? 

Ein  Soldat:  An  die  30. 

Hill  er:  Na,  denn  könnt  ihr'n  losbinden. 
(Die  Soldaten  tun  es.  Der  Mann  —  Füsilier  Helnihake  —  bricht 
ohnmächtig  zusammen.  Hiiler  schlägt  ihm  mit  der  Faust  mehrmals 
ins  Gesicht.)  Nu  mal  ins  Erdloch  neben!  (Es  geschieht.) 
Aber  ist  es  denn  auch  feucht  und  stinkend  genug? 

Der  Soldat:  Jawohl. 

Hiller:  Fiebert  woll  schon  tüchtich? 

Der  Soldat:  Jawohl. 

Hill  er:  Doppelposten  —  nu  mal  ran  —  das 
Schwein  bekommt  nichts  zu  fressen  und  zu  saufen. 
Darf  auch  weder  tags  noch  nachts  austreten.  (Lachend) 
Hat  er  denn  freilich  auch  nich  nötich!  Also  wie  gestern. 
V.^er  was  dawider  hat,  den  zerschmettere  ich!  (Er  geht 
mit  den  Leuten  ab.  Zwei  Soldaten  bleiben  vor  dem  Erdloch 
zurück.  Man  hört  Wimmern.) 

Der  zweite  Soldat:  Meinst  du  nicht  auch, 
daß  wir  gottgefälliger  handelten,  wenn  wir  statt 
seiner  —  ihn  — ? 

Der  erste:  Jawohl. 

Der  zweite:  Zwei  sind  schon  tot.  Thomas, 
den  er  bei  ebensolcher  Kälte  gezwungen  hat,  sich 
nackt  auszuziehen,  und  Müller,  der  krank  auf  Wache 
mußte.  Noch  fünf  andere  hat  er  —  (Man  hört  Stöhnen. 


538 


Es  klingt  wie  »Durst!«)  Ach  was  —  das  halte  ein  anderer 
aus!  Ich  will  ihm  einen  Schneeball  an  den  Mund 
halten.  (Er  kriecht  in  das  Erdloch  und  kehrt  weinend  zurück.) 
Noch  nicht  zwanzig  Jahre  alt  —  freiwillig  ins  Feld 
gegangen   —  !  (Hiller  erscheint  mit  Leuten.) 

Hiller:  Ich  habe  mir  die  Sache  überlegt.  Ich 
will  mal  sehn  —  der  Kerl  soll  rauskommen !  — 
Na  wirds? 

Der  zweite  Soldat:  Er  —  kann  wohl  nicht 
mehr,  Herr  Leutnant. 

Hiller:  Was  is'n  los?  'raus  mit  dem  Mistvieh! 
(Einige  Soldaten  zerren  Helmhake  heraus  und  schleifen  den  Reglosen 
wie  ein  Stück  Vieh.)  So  siehste  aus.  Ach  die  Drecksau 
verstellt  sich  ja  bloß,  trampelt  ihn  doch  in  den 
Hintern!  (Er  tritt  ihn  mit  dem  Stiefelabsatz.)  Willst  du 
laufen,  du  Schwein!?  Ist  denn  das  Aas  noch  nicht 
verreckt?! 

Der  zweite  Soldat  (beugt  sich  zu  dem  Miß- 
handelten nieder,  den  er  berührt,  streckt  seine  Hände  wie 
abwehrend  zu  Hiller  empor  und  sagt) :   Soeben. 

(Verwandlung.) 

39.  Szene 

Ebenda  im  Unterstand  Hillers. 

Unterarzt  Müller:  Tod  durch  Erfrieren. 
Wiederbelebungsversuche  vergebens.  Das  Bedenk- 
lichste ist,  daß  er  keine  Verpflegung  bekommen  hat. 

Hill  er:  Wir  müssen  die  Sache  so  deichseln, 
daß  uns  keiner  an  den  Wagen  fahren  kann. 

Müller:  Kein  Zweifel,  das  Menschenmaterial 
ist  erschöpft  und  krank.  Nichts  als  Konservensuppe 
und  die  ist  gesundheitsgefährlich.  Es  zeigt  sich 
ein  direkter  Erschöpfungswahnsinn.  Die  Leute  buddeln 
im  Schnee  und  springen  wie  die  Besessenen  herum. 

Hiller:  Ich  gebe  ja  selbst  zu,  daß  Hunger, 
Schläge  und  Anbinden  nicht  mehr  zureichen,  um 
den  Kampfesmut   zu   beleben.   Was   soll   man   tun? 


539 


Was  Helmhake  betrifft,  so  kann  ich  sagen,  daß  ich 
alles  Erdenkliche  getan  habe.  Dem  Vater  schreibe 
ich  so: 

Werter  Herr  Helmhake! 

Hierdurch  erfülle  ich  die  traurige  Pflicht,  Sie 
von  dem  plötzlichen  Ableben  Ihres  Sohnes,  des 
Gardefüsiliers  Carl  Helmhake,  in  Kenntnis  zu  setzen. 
Der  Arzt  stellte  blutigen  Dünndarmkatarrh  fest. 

Während  seiner  kurzen  Krankheit  ist  Ihrem 
Sohne  die  bestmöglichste  körperliche  und  ärztliche 
Pflege  zuteil  geworden. 

Wir  verlieren  in  dem  Dahingeschiedenen  einen 
tüchtigen  Soldaten  und  guten  Kameraden,  dessen 
Verlust  wir  schmerzlich  betrauern.  Seine  Überreste 
ruhen  auf  dem  Friedhofe  in  Dolzki. 

(Verwandlung.) 


40.  Szene. 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Lesen  Sie,  mit  welch 
erhebenden  Worten  die  Waffenbrüderliche  Ärzte- 
tagung eröffnet  wurde:  Ein  wohltuendes  Gefühl,  ein 
erhebendes,  echt  bundesbrüderliches  Bewußtsein  soll 
es  für  uns  alle  sein,  daß  wir  in  dem  Momente,  wo 
draußen  an  unseren  Fronten  noch  der  Kampf  wütet, 
hier  mit  kaiserlicher  Erlaubnis  darüber  beraten  dürfen, 
wie  am  besten  und  erfolgreichsten  für  unsere  sieg- 
reichen Krieger  vorgesorgt  werde,  um  die  Schäden 
an  ihrer  Gesundheit  durch  sachgemäße  Pflege  wieder 
zu  tilgen  und  zu  beraten,  wie  den  siech  gewordenen 
Helden  frische  Arbeitskraft,  neuer  Lebensmut  — 

Der  Nörgler:  Todesmut! 

(Verwandlung.) 


540 


41.  Szene 


Ein  Militärspital.     Rekonvaleszente,    Verwundete    aller    Grade, 
Sterbende. 

Ein  Generalstabsarzt  (öffnet  die  Tür):  Aha,  da 
sind  s'  ja  alle  schön  beisamm,  die  Herrn  Tachinierer. 
(Einige  Kranke  bekommen  schwere  Nervenzustände.)  Aber 
gehts,  nur  kein  Aufsehn.  Das  wem  wir  gleich 
haben  —  Momenterl!  (Zu  einem  Arzt.)  No  wird's? 
Wo  bleibt  denn  heut  der  Starkstrom?  Gschwind, 
daß  mr  die  Simulierer  und  Tachinierer  heraus- 
kriegen. (Die  Ärzte  nähern  sich  einigen  Betten  mit  den 
Apparaten.  Die  Kranken  bekommen  Zuckungen.)  Der  dort, 
das  is  ein  besonders  verdächtiger  Fall,  der  Fünfer! 
(Der  Kranke  beginnt  zu  schreien.)  Da  hilft  nur  ein  Mittel, 
das  verordnen  wir  im  äußersten  Fall.  Ins  Trommel- 
feuer! Jawohl,  das  Beste  wäre,  alle  Nervenkranken 
in  einen  gemeinsamen  Caisson  stecken  und  dann 
einem  schönen  Trommelfeuer  aussetzen.  Dadurch 
würden  s'  ihre  Leiden  vergessen  und  wieder  frcnt- 
diensttaugliche  Soldaten  wern!  Da  wern  euch  schon 
die  Zitterneurosen  vergehn!  (Er  schläft  die  Tür  zu. 
Ein  Kranker  stirbt.  E:  erscheint  der  Kommandant  Oberstleutnant 
Vinzenz  Demmer  Edler  von  Drahtverhau.) 

Demmer  von  Drahtverhau:  Ah,  heut  wird 
zur  Abwechslung  wieder  einmal  schlampert  salutiert! 
Ja  die  Herrschaften  machen  sichs  halt  im  Hinterland 
kommod  in  die  Betten.  Aber  grad  diesbezüglich 
bin  ich  heut  unter  euch  erschienen.  Sie  Regimentsarzt 
pulvern  S'  die  Leut  auf,  daß  s'  jetzt  zuhören,  ich  habe 
eine  wichtige  beispielgebende  Mitteilung  zu  machen. 
Es  handelt  sich  um  die  neuen  Vurschriften  wegen 
dem  Salutieren,  aber  nicht  wegen  dem  Salutieren  hier 
in  der  Anstalt,  sondern  wenn  die  Leut  wieder  aufstehn, 
daß  s'  sich  in  der  Zwischenzeit  gewöhnen,  bevor  s' 
wieder  einrückend  gemacht  wern.  Also  aufpassen ! 
(liest  vor)    Direktive,     Ehrenbezeigungen   betreffend: 

Die  Ehrenbezeigung  muß  stets  mit  voller 
Strammheit     bei     Annahme     der     vorgeschriebenen 


541 


Haltung  geleistet  werden;  jedem  Vorgesetzten  und 
Höheren  ist  die  vorgesciiriebene  Ehrenbezeigung  zu 
leisten,  wenn  sich  dieser  nicht  mehr  als  30  Schritt 
vom  Untergebenen  oder  Niederen  befindet.  Dieselbe 
ist  durch  ungezwungene  Erhebung  des  rechten  Armes 
gegen  den  Kopt,  die  Hand  mit  der  inneren  Fläche 
derai-t  seitwärts  des  rechten  Auges  gegen  das  Gesicht 
gewendet,  daß  die  Spitzen  der  geschlossenen  Finger 
den  Schirm  der  Kopfbedeckung  (bei  Kappen  oiine 
Schirm  den  Rand  der  Kappe)  berühren,  zu  leisten. 
Bei  Begegnung  des  zu  Begrüßenden,  oder  geht  der 
zu  Begrüßende  an  dem  Grüßenden  vorüber,  ist  die 
Ehrenbezeigung  so  zu  leisten,  daß  diese  drei  Schritt 
vor  dem  zu  Begrüßenden  vollzogen  ist,  sie  endet, 
sobald  sich  der  Begrüßte  drei  Schritte  entfernt  hat. 
Trägt  der  Soldat  etwas  in  der  rechten  Hand, 
so  salutiert  er  mit  der  linken,  hat  ei  in  beiden 
Händen  etwas,  so  leistet  er  die  Ehrenbezeigung 
durch  eine  stramme  Kopfwendung.  Letzteres  gilt  auch 
bei  allen  Gelegenheiten  des  Grußes.  Beim  Begegnen 
einesVorgesetzten  oder  Höheren  hat  der  Soldat  es  zu  ver- 
meiden, näher  als  einen  Schritt  an  demselben  voriiberzu- 
kommen.  Andere  eingerissene  Arten  derSalutierungen, 
wie  zum  Beispiel  Erheben  der  rechten  Hand  mit  der 
Fläche  nach  rechts  auswärts,  die  Finger  gespreizt  und 
Antippen  des  Kappenschirmes  mit  dem  Zeigefinger 
womöglich  vor  der  Nase,  Leistung  der  Ehrenbezeigung 
mit  der  Zigarette  oder  Zigarre  (kurzer  Pfeife,  soge- 
nannter Nasenwärmer)  in  der  zum  Gruß  erhobenen 
Hand  oder  gar  im  Munde,  dann  Leistung  der  Ehren- 
bezeigung im  Freien  mit  unbedecktem  Kopfe,  die 
Kappe  in  der  Hand  durch  eine  Verbeugung,  sind 
streng  untersagt  und  werden  solche  Militärpersonen, 
welche  die  Ehrenbezeigung  nicht  nach  der  Vorschrift 
leisten  oder  diese  —  sei  es  aus  was  immer  für  einem 
Grunde  —  unterlassen,  einer  strengen  Ahndung  unter- 
zogen; Urlauber  nebst  Anzeige  an  ihr  vorgesetztes 
Kommando  einrückend  gemacht.  — 


542 


Alstern,  merkts  euch  das,  wer  nicht,  die  Hand 
mit  der  inneren  Fläche  derart  seitwärts  des  rechten 
Auges  gegen  das  Gesicht  gewendet,  daß  die  Spitzen  der 
geschlossenen  Finger  den  Schirm  der  Kopfbedeckung 
(bei  Kappen  ohne  Schirm  den  Rand  der  Kappe) 
berühren,  den  rechten  Arm  ungezwungen  gegen  den 
Kopf  erhebt,  kann  dazu  gezwungen  wern!  Merkts 
euch  das!  Das  is  beispielgebend!  Was  die  andern 
Salutiervurschriften  betrifft,  nämlich  die  was  noch  für 
die  Anstalt  gelten,  solang  ihr  hier  herumliegts,  so  müßts 
ihr  auch  mit  gutem  Beispiel  vorangehn  und  ich  brauch 
euch  nicht  erst  einschärfen,  daß  ihr  unbeschadet  eurer 
p.  t.  Krankheiten  jeder  vurschriftsmäßig  zu  salutieren 
habts,  wenn  einVurgesetzter  hereinkommt.  Jetzt  habts 
ihr  keine  Kappen,  aber  a  Stirn  hat  a  jeder  und  so 
wirds  ihm  auch  net  schwer  fallen  die  Hand,  wann 
er  a  Hand  hat,  an  die  Stirn  z'  führen,  verstanden? 
Also  —  rechts  schaut!  Sie,  was  is  denn  dort  — 
der  dort  von  Bett  5  —  mir  scheint,  der  kanns  net 
erwarten,  daß  er  wieder  zum  Marschbaon  —  (der 
Regimentsarzt  macht  ihm  eine  Mitteilung)  Ah  SO  —  no  ja 
—  also  von  mir  aus  —  aber  im  allgemeinen  — 
also  daß  mir  das  nächste  Mal  alles  in  Ordnung  is! 
Sie  überhaupt  Regimentsarzt  schaun  S'  mir  daß 
die  Leut  hinauskommen!  Sie  sind  ohnedem 
schlecht  angschriebn  oben  —  machen  S'  mr  keine 
Spomponadeln  und  treiben  S'  nicht  die  Humanität 
auf  die  Spitze!  Was  ein  patriotischer  Arzt  ist,  hat 
ein  Frontlieferant  zu  sein!  Nehmen  S'  sich  ein 
Beispiel  am  Dr.  Zwangler,  der  hat  einem  Zitterer 
einen  Fetzen  in  den  Mund  gsteckt  und  ihn  mit 
zwei  elektrischen  Behandlungen  B  -  Befundtauglich 
gemacht.  Oder  der  Dr.  Z Wickler!  Der  hat  einen 
Ehrgeiz,  von  dem  stammt  bekanntlich  die  Idee,  die 
Geschlechtsteile  zu  faradisieren,  er  will  halt  möglichst 
viele  und  rasche  Erfolge  erzielen,  und  es  gelingt  ihm! 
Nehmen  S'  sich  ein  Beispiel!  Jetzt  muß  man  halt 
bißl    anfauchen!     Bei    die    Deutschen    hams    den 


543 


Sinusstrom  —  mir  san  ja  eh  die  reinen  Lamperlnl 
Humanität  hin,  Humanität  her,  das  is  ja  alles 
recht  schön,  aber  wie  reimt  sich  das  mit  dem 
Patriotismus?  Jetzt  is  Krieg  und  da  ist  es  die 
oberste  Pflicht  des  Ärztestandes,  mit  gutem  Beispiel 
voranzugchn  und  das  Menschenmaterial  aufzufüllen. 
Der  Oberstr.bsarzt  beklagt  sich,  daß  Sie  den  medizi- 
nischen Standpunkt  hervorkehren.  Er  hat  Ihnen 
kollegial  begreiflich  zu  machen  gesucht,  daß  ein 
C-Befund  in  den  Schützengraben  ghört,  er  sagt,  daß 
das  immer  ein  Gwirks  mit  Ihnen  is.  Da  möcht  ich 
Sie  nur  fragen  —  haben  Sie  vielleicht  Lust,  in  ein 
Fleckspital  nach  Albanien  abzugehn?  Na  alstern!  Vom 
medizinischen  Standpunkt  können  S'  ja  von  mir  aus 
recht  haben  —  wie  neulich  wo  Sie  sich  kapriziert 
haben,  weil  also  der  Mann  Lungenbluter  is  und 
Familienvater  und  so  —  aber  hier  ist  ausschließ- 
lich der  militärische  Standpunkt  maßgebend!  Die 
Verantwortung  übernehmen  wir!  Oder  der  Nieren- 
kranke —  hammcr  ein  Gspaß  ghabt  —  tun  S'  Ihnen 
nix  an !  Der  Mann  hat  seine  fünfzig  Schuß  zu 
machen,  nacher  kann  er  hin  sein  I  Der  Aller- 
höchste Dienst  erfordert,  daß  jeder,  der  gehn  kann, 
nicht  länger  hier  herumliegt,  als  wie  unbedingt 
nötig  ist  —  die  Schkrupeln  heben  Sie  sich  für 
den  Frieden  auf !  Solange  das  Vaterland  in  Gefahr 
ist,  hat  jeder  auf  seinem  Posten  zu  stehn,  wie  ich 
selbst,  da  kenn  ich  keinen  Unterschied,  krutzitürken  I 
—  Jetzt  wem  die  Feldwebeln  die  Salutierübungen 
mit  euch  vornehmen,  und  daß  ich  von  kein' 
Anstand  hör  also  —  über  mich  hat  sich  noch  keiner 
zu  beklagen  ghabt  —  ja  wenn  statt  meiner  der 
Medinger  von  Minenfeld  hier  regieren  tat  oder 
der  Gruber  von  Grünkreuz,  ujegerl !  Was  wollts 
haben?  Zu  essen  habts,  Suppen,  feins  Dörrgemüse 
und  a  Schalerl  Tee  a  no,  da  hat  sich  noch 
keiner  beschwert.  No  ja  die  Zeit  wird  euch  lang, 
bis    ihr    wieder    hinauskommts,    um    euch    gut    zu 


544 


schlagen.  Aber  eben  dafür  sind  die  Salutierübungen! 
Und  die,  denen  es  nicht  vergönnt  ist,  die  was  also 
nicht  mehr  hinauskönnen,  um  sich  gut  zu  schlagen, 
für  das  Vaterland,  für  die  hat  das  Vaterland 
vorbildlich  gesorgt.  6  Heller  per  Tag,  ohne  was 
arbeiten  zu  müssen,  no  is  das  vielleicht  nix?  No 
und  wenn  einer  brav  is,  kriegt  er  sogar  eine  Prothesen 
und  nachher  wenn  er  mit  gutem  Beispiel  vorangeht, 
wird  er  zu  seinem  Ersatzkörper  zurückinstradiert. 
Mir  San  ja  eh  die  reinen  Lamperln  —  könnts  eh 
noch  froh  sein,  daß  mr  nicht  bei  die  Deutschen 
sein,  sonst  müßt  ich  euch  habtacht  liegen  lassen! 
Das  bißl  Salutieren,  bevor  einer  wieder  hinaus- 
kommt, hat  noch  keinen  umbracht.  So  —  gut  is 
für  heut!  (Ab.) 

(An  einem  Bett  nimmt  der  Feldwebel  Salutie''r;bunpen  vor.  An 
einem  andern  ist  der  Feldl<iirat  besciiäftigt.) 

(Verwandlung.) 


42.  Srene. 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräcli. 

Der  Optimist:  Die  bekannte  Frage  »Was 
suchen  wir  in  Albanien  ?«  — 

DerNörgler:  —  kann  ich  Ihnen  beantworten. 
Die  Malaria. 

Der  Optimist:  Glauben  Sie,  daß  in  Albanien 
nichts  anderes  zu  holen  ist? 

Der  Nörgler:  O  ja,  auch  Fleckt^'phus. 

Der  Optimist:  Dort  unten  aber  — 

Der  Nörgler:  —  ist's  fürchterlich. 

Der  Optimist:  Albanien  diente  uns  doch 
vorwiegend  als  — 

DerNörgler:  —  Strafkolonie.  »Nach  Albanien 
mit  ihnen!«  war  eine  Verschärfung  dei  Ehre,  fürs 
Vaterland  zu  sterben. 


545 


Der    Optimist:     Wenn    wir   nach    Albanien 
gehn,  so  ist  eines  sicher  — 
Der  Nörgler:  Der  Tod. 

Der  Optimist:  Unter  unsern  Truppen  in 
Albanien  herrschte,  und  dafür  bürgt  schon  der  Name 
Pflanzer-Baltin    — 

Der  Nörgler:  —Ein  Massensterben. 

Der  Optimist:  Wir  hatten  bekanntlich  große 
politische  Interessen   in  Albanien   und  außerdem  — 

Der  Nörgler:  Verwanzte  Baracken. 

Der  Optimist:  Aber  unsere  Offiziere  in 
Skutari  sollen  sehr  gut  untergebracht  gewesen  sein 
und  waren  bekannt  durch  — 

Der  Nörgler:  Hurentreiben. 

Der  Optimist:  Was  die  Sanitätsverhältnisse 
in  Albanien  betrifft,  die  Sie  in  so  düsteren  Farben 
schildern,  so  habe  ich  mir  im  Gegenteil  sagen 
lassen,  daß  die  Feldspitäler  leer  standen. 

Der  Nörgler:  Weil  man  die  Malariakranken 
ohne  Behandlung  sterben  ließ. 

Der  Optimist:  Der  Armeesanitätschef  der 
Armeegruppe  Albanien  hat  sich  im  Gegenteil  da- 
gegen gesträubt  — 

Der  Nörgler:  —  daß  die  Kranken  im 
Sommer  abgeschoben  werden. 

Der  Optimist:  Er  war  aber  dafür  bekannt, 
daß  er  gesunde  Soldaten  — 

Der  Nörgler:  —  ohne  Aburteilung  erschießen 
ließ,  wenn  sie  Konserven  stahlen. 

Der  Optimist:  Es  wurde  immerhin  dafür 
gesorgt  — 

Der  Nörgler:  —  daß  für  die  Offiziere  ein 
Feldkino  errichtet  werde. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  35 


546 


Der  Optimist:  Der  Krankenabschub,  von 
dem  Sie  sprechen,  ist  tatsächlich  durchgeführt 
worden,  allerdings  erst  — 

Der  Nörgler:  —  bei  der  Flucht. 

Der  Optimist:  Sie  mein.en  den  strategischen 
Rückzug.  Was  die  Transportmittel  anlangt,  die 
dabei  in  Verwendung  kamen,  so  war  es  freilich 
schwer,  die  ungeheuren  Massen  Kranker  — 

Der  Nörgler:  —  die  es  bis  dahin  nicht 
gegeben  hat,  zu  übersehen. 

DerOptimist:  Man  half  sich  aber,  indem  man, 
da  die  paar  Spitalschiffe  zum  Abtransport  nicht 
ausreichten,  in  Automobilen  — 

Der  Nörgler:  —  die  Offiziersbagage  des 
Armeekommandos  beförderte. 

Der  Optimist:  Was  meinen  Sie? 

Der  Nörgler:  Ich  meine  die  gestohlenen 
Möbel. 

Der  Optimist:  Ach  so.  Die  kranken  Mann- 
schaften freilich  — 

Der  Nörgler:  —  hatten  durch  Dreck  und 
Kot  zu  marschieren. 

Der  Optimist:  Es  war  ihnen  aber  gestattet  — 

Der  Nörgler:  —  am  Straßenrand  liegen  zu 
bleiben,  um  eine  längere  Ruhe  zu  finden. 

Der  Optimist:  Dies  geschah  ausnahms- 
weise, ohne  daß  — 

Der  Nörgler:  —  ohne  daß  Kaisers  Geburts- 
tag oder  ein  Jubiläum  des  Regierungsantrittes  voran- 
gegangen war.  Denn  sonst  pflegt  der  Rückzug  einer 
österreichischen  Armee,  speziell  ein  albanisches 
Schrecknis  tausendfältigen  Qualentods  in  Hunger 
und  Dreck,  mit  einem  dynastischen  Datum  verknüpft 
zu  sein ;  als  ob  es  nicht  selbst  eines  wäre. 

Der  Optimist:  Wie  das? 


547 


Der  Nörgler:  Seit  Belgrad  hat  das  Bedürfnis 
österreichischer  Generale,  nebst  ihrer  eigenen  ver- 
brecherischen Dummheit  Seiner  Majestät  auch  noch 
eine  Stadt  zu  Füßen  zu  legen,  aus  der  sie  am 
nächsten  Tag  wieder  heraus  müssen,  dort  unten 
Feste  gefeiert. 

Der  Optimist:  Sie  scheinen  nicht  zu  wissen, 
daß  derartige  Gelegenheiten  dem  Opfermut  des 
Frontkämpfers  zugleich  ein  Ansporn  und  eine 
Entschädigung  sind.  Wenn  es  auch  in  der  weiteren 
Entwicklung  eines  solchen  Ereignisses,  das  im 
Kalender  des  Vaterlands  rot  angestrichen  ist,  an 
Transportmitteln,  Labestationen,  Verpflegung  und 
Unterkunft  gemangelt  haben  mag  —  Krieg  ist 
Krieg  — ,  so  ist  doch  nicht  zu  leugnen  — 

Der  Nörgler:  —  daß  der  persönliche  Train 
des  Armeekommandanten  fünfundzwanzig  Fuhrwerke 
betrug,  für  die  ein  Hauptmann  zu  sorgen  hatte. 

Der  Optimist:  Woher  weiß  man  das? 

Der  Nörgler:  Aus  dem  Tagebuch  eines 
Arztes,  der  in  Albanien,  wo  es  keine  Gesunden  gab, 
keine  Kranken  für  sein  Spital  bekommen  konnte. 

Der  Optimist:  Es  muß  nicht  so  arg  gewesen 
sein,  wenn  er  selbst  davongekommen  ist.  Wie  ist 
er  denn  zurückgelangt? 

Der  Nörgler:  Fieberkrank,  in  einem  Last- 
automobil, hoch  oben  auf  der  Kiste,  die  das  Klavier 
der  Korpsmesse  enthielt,  gestohlen  bei  — 

Der  Optimist:  Nun,  wenn  ich  auch  leider 
zugeben  muß,  daß  die  Frage,  was  wir  in  Albanien 
suchen,  durch  die  Ereignisse  in  ziemlich  ungünstigem 
Sinne  beantwortet  worden  ist,  wiewohl  wir  doch 
unstreitig  in  Albanien  große  politische  Interessen 
haben,  so  sollten  Sie  doch  nie  vergessen,  das  Letzte, 
was  dem  Stabsoffizier  geblieben  ist,  ist  — 

Der  Nörgler:  Sein  Klavier! 

(Verwandlung.) 


35* 


548 


43.  Szene 

Kriegspressequartier. 

Ein  Hauptmann  (zu  einem  von  den  Journalisten): 
Dokterl,  heut  gibts  keine  Wurschteln,  heut  müssn  S' 
einen  Artikel  schreiben,  was  sich  gewaschen  hat, 
und  zwar  Hygienische  Betrachtungen.  Alstern 
notiern  S'  Ihnen  die  Richtlinien.  (Er  liest  ab) 

Der  Siegeszug  in  Galizien,  die  Eroberung  von 
Lemberg  waren  mitbestimmend  für  die  weitere 
Entwicklung  der  Hygiene  bei  unserer  Armee.  Was, 
da  schaun  S'I 

Der  Journalist:  Is  denn  Lemberg  schon 
wieder  noch  in  unserem  Besitz? 

Der  Hauptmann:  Wie  Sie  das  ausführen,  is 
Ihre  Sache.  Solange  in  den  Karpathen  das  heiße 
Ringen  währte,  gab  es  also  naturgemäß  weniger 
Möglichkeit  für  die  Organisation  hygienischer  Detaü- 
arbeit.  Unter  dem  schweren  Drucke  der  allgemeinen 
Situation  konnte  die  Sorge  um  den  einzelnen  Mann 
nicht  in  dem  gewünschten  Maße  zur  Geltung  kommen. 
Die  Parole  war:  Durchhalten  um  jeden  Preis,  ohne 
Rücksicht  auf  den  einzelnen  Mann,  welcher  in  der 
Front  nur  so  lange  von  Bedeutung  war,  als  er  kämpfte. 
Es  war  in  jener  schweren  Zeit  nicht  anders  möglich. 
Da  waren  s'  halt  alle  verlaust.  Jetzt,  wo  wir  aus'n 
Wasser  sind,  kann  die  Hygiene  beispielgebend  ein- 
setzen. In  jenen  schweren  Tagen  wurde  die  Saat 
gelegt  für  ein  großzügiges  Wirken  zur  Erhaltung 
des  Mannes,  welcher  so  schwer  zu  kämpfen  und 
zu  leiden  hatte.  In  den  Sonnentagen  der  Wieder- 
eroberung Lembergs  kam  der  Keim  zur  ungehemmten 
Entfaltung.  Das  Gefühl  unendlicher  Dankbarkeit  für 
die  heldenmütigen  Kämpfer,  das  Bewußtsein,  nach 
schweren  Verlusten  unbedingt  mit  jedem  Mann  haus- 
halten zu  müssen,  gaben  Veranlassung,  mit  allen  Kräften 
und  allen  Mitteln  zur  Erhaltung  der  Gesundheit  und 
Leistungsfähigkeit  des  einzelnen  Mannes  zu  wirken. 


549 


Jetzt  erzählen  S',  wie  wir  mit  der  Cholera  fertig  gworn 
sind.  So  wurde  hygienisches  Denken  und  Schaffen 
innig  und  überall  mit  der  ärztlichen  Tätigkeit  verwoben. 
Aber  jetzt!  Jetzt  kommt  der  Entlausungsdienst!  Jeder 
Mann  bekam  etwa  alle  vier  Wochen  ein  Bad  oder 
wissen  S'  was,  jede  zweite  Woche.  Die  Arbeit  war 
überall  eine  systematische.  Die  Desinfektion  war 
eine  Prophylaxe  gegen  die  durch  Kontakt  übertrag- 
baren Infektionskrankheiten.  Großartig,  was?  Das  is 
von  einem  Oberstabsarzt!  Der  verstehts!  Das  regel- 
mäßige Bad,  oft  gewürzt  durch  Kinovorstellungen,  hatte 
einen  hohen  seelischen  Einfluß  auf  die  Mannschaften, 
hob  ihre  Leistungsfähigkeit  und  Dienstfreude.  Ein 
wichtiger  Schritt  nach  vorwärts  zur  Erhaltung  des 
Mannes.  Ich  gib  Ihnen  nur  die  Richtlinien,  das 
Weitere  is  Ihre  Sache.  Doch  es  gab  kein  Stillstehen. 
Die  Front  is  mit  der  Zeit  zu  einem  Erholungsheim 
ausgebaut  worn.  Oft  waren  s'  in  sonniger  Wald- 
gegend, Freibad  hätten  s'  g'habt  und  Sonnenbad 
und  es  war  gedacht,  diese  Einrichtung  auch  durch 
Unterricht  und  Musik,  Bibliothek,  Sport  und  Theater 
auszugestalten,  wo  Gelegenheit  gewesen  wäre, 
manches  wichtige  volkshygienische  Problem  der 
jetzt  so  empfindlichen  und  aufnahmsfähigen  Soldaten- 
seele näherzubringen,  als  elementare  soziale  Vorarbeit 
für  die  Zukunft.  Das  Projekt  harrt  noch  der  Ver- 
wirklichung! Wenn  ruhigere  Zeiten  kommen,  wird 
es  unsere  erste  Arbeit  sein.  Das  müssen  S'  sehr 
schön  herausarbeiten.  Wir  sehen,  daß  ein  Teil  der 
Maßnahmen  darauf  hinzielt,  dem  Mann  in  der  Front 
eine  Heimat  zu  schaffen.  Der  stete  fürsorgliche, 
kameradschaftliche  Kontakt  zwischen  Offizier,  Arzt 
und  Mann  schafft  den  Boden  für  ein  günstiges 
Gedeihen. 

Der  Journalist:  Der  Infektionskrankheiten, 
Herr  Hauptmann? 

Der  Hauptmann:  Machen  S'  keine  Gspaß. 
Die   enge   Zusammengehörigkeit  zwischen   Offizier, 


550 


Arzt  und  Mann  ist  nicht  vielleicht  ein  Problem,  das 
erst  der  Realisierung  harrt.  Der  Arzt  ist  nicht  mehr 
allein  »Doktor«,  sondern  er  ist  bestimmt,  über  seine 
rein  ärztliche  Tätigkeit  hinaus,  den  Mann  in  jenem 
körperlichen  und  seelischen  Gleichgewicht  zu  erhalten, 
welches  für  Siegerringen  und  Leidertragen  dauernden 
Rückhalt  bietet.  Die  Zugänge  an  Infektionskrankheiten 
sind  seit  Monaten  nur  mehr  vereinzelt.  Einzig  und 
allein  die  Geschlechtskrankheiten  sind  es,  die  uns 
noch  Sorge  bereiten.  (Kichern.)  Ihre  erfolgreiche 
Bekämpfung  ist  jedenfalls  das  allerv/ichtigste  Problem, 
das  uns  bisher  entgegengetreten.  Und  doch  dürfen 
wir  wegen  der  scheinbaren  Aussichtslosigkeit  des 
Kampfes  gegen  die  Geschlechtskrankheiten  die 
Hände  nicht  in  den  Schoß  legen.  (Heiterkeit.) 
Bedenken  wir,  daß  sich  während  dieses  Feldzuges 
wohl  schon  eine  namhafte  Anzahl  Soldaten  venerisch 
infiziert  haben,  bedenken  wir,  daß  die  Volkszahl 
ohnehin  unmittelbar  durch  den  Krieg  einen  Verlust 
an  vielen  im  kräftigsten  Mannesalter  stehenden 
Soldaten  eingebüßt  hat,  so  ist  es  klar,  daß  wir  mit 
allen  Mitteln  den  durch  die  Geschlechtskrankheiten 
bedingten  Schäden  entgegentreten  müssen.  Wenn 
auch  die  zur  Erhaltung  des  Mannes  geleistete  Arbeit 
schon  dem  Volke  zugutekommt,  so  ist  die  Bekämpfung 
der  Geschlechtskrankheiten  ein  wichtiges  Postulat 
zur  Erhaltung  des  Volkes.  Der  große  Ernst  der 
Sachlage  erfordert,  überall  tunlichst  gleichsinnig 
und  rücksichtslos  energisch  einzugreifen.  Von  den 
Maßnahmen  zur  Erhaltung  des  Mannes  und  im 
weiteren  Sinne  zur  Erhaltung  des  Volkes,  die  unter  der 
Ägide  unseres  Armeekommandanteii  Sr.  Exzellenz  des 
Generalobersten  von  Böhm-Ermolli  ergriffen  wurden 
und  auch  den  Stempel  der  Persönlichkeiten  unseres 
Arm.eesanitätschefs  sowie  des  Chefs  der  Quartier- 
meisterabteilung tragen,  gehört  nebst  den  prophylak- 
tischen Stationen  und  dem  Zentralspital  mit  erst- 
klassigem   Personal   und  therapeutischem   Rüstzeug 


551 


eine  Einrichtung,  durch  die  wir  speziell  unentwegt 
werden  wirken  können  für  die  Erhaltung  des  Mannes 
und  für  die  Wiedererstarkung  des  Volkes,  eine 
Einrichtung,  in  der  die  Sonnentage  der  Wieder- 
eroberung Lembergs  reichliche  Früchte  getragen: 
Wir  haben  —  und  das  können  S'  grad  so  schreiben, 
wie  ichs  sag  und  wie  ichs  vom  Oberstabsarzt  hab  — 
wir  haben  Bordelle  mit  einwandfreiem  Material  unter 
strengster  militärischer  Kontrolle  etabliert. 

(Verwandlung.) 


44.  Szene 

Armee-Ausbildungsgruppe  Wladimir- Wolinsky. 

Ein  Hauptmann  (diktiert  einer  Schreibkraft) : 

Es  ist  der  gesamten  Mannschaft  an  drei  auf- 
einanderfolgenden Tagen  zu  verlautbaren,  daß 
venerische  Erkrankungen  als  Selbstbeschädigungen 
kriegsgerichtlich  belangt  werden,  und  um  dieser 
Verfügung  Nachdruck  zu  verleihen,  sind  in  jedem 
einzelnen  Falle  die  erkrankten  Leute  beim  A.  A.Grp. 
Kmdo.  vorzustellen. 

Für  die  in  letzter  Zeit  vorgekommenen  Erkran- 
kungen, welche  nachgewiesener  Maßen  künstlich 
erzeugt  oder  absichtlich  herbeigeführt  wurden,  wird 
angeordnet,  daß  die  Betreffenden  körperlich  zu 
züchtigen  sind,  und  wird  die  Prügelstrafe,  mit  fünf 
Stockstreichen  beginnend,  täglich  um  einen  Streich 
erhöht  und  so  lange  verabreicht,  bis  die  Krankheits- 
symptome erlöschen. 

Die  erste  Züchtigung  ist  heute  um  2*^  nachm. 
an  nachfolgenden  Leuten  durchzuführen.  —  Da 
haben  S'  den  Zettel,  schreiben  S'  es  ab. 

Vollzugsorgan  ist  der  Profoß,  dem  zwei  kräftige 
Leute  der  technischen  Kompagnie  zur  Verfügung 
zu  stellen  sind.     * 

(Verwandlung.) 


552 


45.  Szene 

Bei  Graf  Dohna-SchJodien.  Um  ihn  zwölf  Verlreter  der  Presse. 

Ein  Vertreter  der  Presse:  Wir  schätzen 
uns  glücklich,  Herr  Graf,  aus  dem  Munde  eines 
unserer  unsterblichsten  Helden  eine  authentische 
Schilderung  der  glorreichen  Fahrt  mit  der  »Möwe« 
zu  empfangen,  von  der  noch  die  Kinder  und  Kindes- 
kinder den  Enkeln  in  den  fortlebenden  Annalen 
erzählen  werden.  (Sie  setzen  die  Bleistifte  an.) 

Dohna:  Meine  Herrn,  ich  bin  ein  Mann 
der  Tat  und  nicht  der  vielen  Worte.  Als  wesentlich 
mögen  Sie  das  Folgende  festhalten.  Auf  Grund  der 
eingegangenen  Aufklärungsnachrichten  hatte  ich  mir 
für  meine  Fahrt  einen  ziemlich  genauen  Plan  gemacht. 
Ich  hatte  denn  auch  gleich  am  ersten  Tage  das 
Glück,  einen  großen  Dampfer  zu  sichten.  Es  war 
dies,  wie  bereits  bekannt,  der  Dampfer  Voltaire. 
Ich  ließ  die  Nacht  vergehen,  ehe  ich  mich  an  den 
Voltaire  heranmachte. 

Eine  Stimme  aus  der  Gruppe:  Bravo! 

Dohna:  Später  konnte  ich  dann  den  Voltaire 
unschädlich  machen.  Ich  kreuzte  dann  etwa  zehn  Tage 
im  Nordatlantischen  Ozean,  konnte  aber  in  den 
ersten  drei  Tagen  kein  weiteres  Schiff  sichten;  später 
jedoch  habe  ich  jeden  Tag  etwa  einen  Dampfer 
abtun  können.  Die  Schiffe  hatten  sämtlich  wertvolle 
Ladung,  zum  Teil  Kriegsmaterial;  eines  von  ihnen 
hatte  eine  Ladung  von  1200  Pferden. 

Ein  Vertreter  der  Presse:  Richtich  gehende 
Pferde?  1200  Pferde,  Herr  Graf? 

Dohna:   1200  — !   (Gebärde  des  Unterlauchens.) 

Die  Vertreter  der  Presse  (durcheinander): 
Donnerwetter  noch  mal !  —  Richtich  gehende  Pferde  I  — 
Hurra!  —  Schneidiger  Rekord!  —  Elegant! 


V.  Akt 


1.  Szene 

Abend.  Sirk-Ecke.  Naßkalt.  Es  regnet  von  unten.  Tonloses  Starren 
des  Rudels  Böcke.  Spalier  der  Verwundeten  und  Toten. 

Stimme  eines  Zeitungsausrufers:  Der 
Aabeend,  Aachtuhrblaad! 

Ein  Offizier  (zu  drei  anderen):  Grüß  dich 
Nowotny,  grüß  dich  Pokorny,  grüß  dich  Powolny, 
also  du  —  du  bist  ja  pohtisch  gebildet,  also  was 
sagst  zu  Bulgarien? 

Zweiter  Offizier  (mit  Spazierstock):  Weißt,  ich 
sag,  gar  net  ignorieren ! 

Der  dritte:  Weißt  —  also  natürlich. 

Der  vierte:  Ganz  meine  Ansicht  —  gestern 
hab  ich  mullattiert  — !  Habts  das  Bild  vom  Schönpflug 
gsehn,  Klassikaner! 

Stimme  eines  Zeitungsausrufers:  Friedens- 
versuche der  Eenteentee ! 

Dtr  dritte:  Stier  is  heut. 

Der  erste:  Weißt,  im  KM  hat  heut  der 
Schlepitschka  von  Schlachtentreu  gesagt,  wir  nähern 
uns  dem  Riesen  mit  Friedensschritten  —  oder  nein, 
wir  nähern  uns  dem  Frieden  mit  Riesenschritten,  du 
is  das  wahr?  Das  is  doch  optimistisch? 

Der  zweite:  Pessimistisch  ist  das. 

Der  erste:  Pessimistisch.  Weißt,  er  hat  gesagt, 
in  der  Türkei  is  ein  kranker  Mann,  dann  kommen 
wir  dran,  du  also  wieso? 

Der  zweite:  Er  meint  halt  die  Lage  und  so. 

Der  erste:  Ah  so. 


556 


Der  dritte:  Heut  sind  keine  Menscher. 
Der  zweite:  Der  Fallota  kommt  heut. 

Qreise  ziehen  vorbei.    Man  hört  den  Gesang:    !n  der   Heimat, 
in  der  Heimat,  da  gibts  ein  Wiedersehen  — 

Poldi  Fesch  (zu  seinem  Begleiter) :  Morgen  wird 
mit  dem  Sascha  Kolowrat  gedraht  —  (ab.) 

(Man  hört  die  Fiakerstimme:  Im  Kriag  kriag  i's  Fuchzichfache!) 

Der  vierte:  Wißts  ihr,  wie  s'  ihn  drin  nennen 
im  KM  den  Fallota?  Held  nennen  s'  ihn. 

Der  erste:  Wieso? 

Der  vierte:  No  verstehst  nicht,  er  war  doch 
an  der  Front!  Er  sagt,  dort  war  ihm  lieber. 

Der  erste:  No  solln  s'  ihn  nicht  zrückhalten. 
Leben  und  leben  lassen!    No  is  doch  wahr? 

(Turi  und  Ludi  erscheinen.) 

Turi:  Du  Ludi,  spielt  der  Rudi  Nyäri  nur  im 
Lurion?  (Ab.) 

Fallota  (tritt  auf):  Grüß  euch! 

Der  erste:  Grüß  dich  Held! 

Alle:  Grüß  dich  Held! 

Fallota:  Wieso  Held?  Pflanzts  wem  andern! 

Ein  Blumen weib:  Veigerl ! 

Der  vierte:  No  du  wie  is  gegangen?  Bist 
froh?  Erzähl  beim  Hopfner! 

Der  erste:  Aber  ja,  kommst  mit,  bist  a 
Fesch ak  — 

Der  zweite:  No  wie  wars  draußen? 

Fallota:  Fesch  wars. 

Der  dritte  (versunken):  Der  Strich  is  wie  aus- 
gestorben. 

Der  erste:  No  du,  wie  gehts  also? 

Fallota:  Man  lebt. 

Zwei  Beinstümpfe  in  einer  abgerissenen  Uniform  treten  in  den  Weg. 

Der  zweite:  Kommts  weg  da,  nix  wie 
Tachinierer!  (Ab.) 


i 


557 


Stimme  eines  Zeitungsausrufers:  Extra- 
ausgabee  — !  Die  Millionenverluste  der  Eenteentee ! 

Eine  flüsternde  Stimme:  Komm  her,  ich 
sag  dir  was. 

Stille.  Plötzlich  ein  brausender  Ruf,  donnerhallartig :  Hoooch  ! 
Hierauf :  Schleeschaak  —  !  Der  Ruf  scheint  von  der  Gegend  des 
Operngebäudeszudringen.  Ein  Wagenschlag  fällt.  DannScIi  VC  eigen. 

(Verwandlung.) 

2.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Nörgler: 

»Gott,  wer  darf  sagen:  schlimmer  kanns  nicht  werden? 

's  ist  schlimmer  nun,  als  je. 

Und  kann   noch   schlimmer  gehn;    's  ist  nicht  das 

Schlimmste, 
Solang  man  sagen  kann:  dies  ist  das  Schlimmste.« 

Kinder,  die  Gesichter  haben,  als  hungerten  sie 
schon  ein  Menschenalter  —  und  noch  kein  Ende! 
Aber  das  Schlimmste  ist  in  diesem  Bericht  über  eine 
Nervenheilanstalt  enthalten.  Einer  sitzt  da  im  blau- 
gestreiften Kittel  und  büßt  die  Glorie  von  Asiago, 
wo  er  von  einer  Granate  verschüttet  wurde,  mit 
unheilbarer  Schwermut.  Einem  steckt  die  Kugel  im 
Kopf;  um  den  wahnsinnigen  Schmerzen  zu  entgehen, 
mußte  er  Morphinist  werden.  Abends  brüllt  er  ver- 
zweifelt nach  der  Pflegerin  und  alle  beginnen  vor 
Aufregung  zu  weinen.  Ein  hirnkrankes  Kind  schreit, 
zwei  Monate  nach  dem  Heldentod  geboren,  den  die 
schwangere  Mutter  erwartet  hat.  Eine,  deren  Söhne 
heil  zurückgekehrt  sind,  hat's  nicht  abgewartet  und 
ist  vorher  wahnsinnig  geworden.  Doch  wer  darf  sagen: 
schlimmer  kanns  nicht  werden? 

Der  Optimist:  Ja,  es  ist  nicht  zu  leugnen, 
der  Krieg  greift  in  die  Lebensverhältnisse  eines  jeden 
ein.  Wie  lange,  glauben  Sie,  wird  es  noch  dauern? 


558 


Der  Nörgler:  Wir  werden  jedenfalls  bis  zum 
letzten  Hauch  von  Mann  und  Roß  lügen.  Ob  auch 
kämpfen,  ist  eine  andere  Frage.  Es  scheint,  daß  wir 
dem  deutschen  Druck  durch  etwas  Nibelungenuntreue 
entweichen  wollen.  Wir  werden  uns  an  Deutschland 
dafür,  daß  es  uns  nicht  verhindert  hat,  es  in  den 
Krieg  zu  treiben,  durch  ein  bisserl  Verrat  rächen. 
Wer  würde  aber  nicht  jede  Schmach  des  Vaterlands 
jener  der  Menschheit  vorziehen,  mit  der  sie  sich 
durch  jede  Minute  eines  fortgesetzten  Krieges  belädt! 
Zum  Glück  verlängern  ihn  nicht  mehr  unsere  Siege, 
sondern  verkürzen  ihn  schon  unsere  Niederlagen. 
Sagte  ich  Ihnen  nicht  einst,  daß  der  Durchbruch  bei 
Gorlice,  die  ihm  verdankte  Fristerstreckung  des 
Zusammenbruchs,  mit  Millionen  Menschenleben 
bezahlt  würde?  Dies  war  ehedem  paradox,  aber  nun 
bestätigt  es  die  große  Zeit. 

Der  Optimist:  Nun,  was  die  Größe  dieser  Zeit 
betrifft,  so  muß  selbst  ich  zugeben,  daß  sie  seit 
dem  Ultimatum  an  Serbien  nicht  erheblich  gewachsen 
ist.  Darin  behalten  Sie  wohl  recht,  daß  alles  an  ihr  so 
klein  ist,  wie  Sie  es  immer  gesehen  haben.  Oder 
man  könnte  vielmehr  sagen,  daß  eine  große  Zeit  ein 
kleines  Geschlecht  gefunden  hat. 

Der  Nörgler:  Das  ist  ein  Pech.  Aber  auf 
welche  Wahrnehmungen  stützen  Sie  Ihre  Ansicht? 

Der  Optimist:  Ich  wollte  es  Ihnen  nicht 
sagen,  aber  ich  habe  heute  eine  Annonce  entdeckt, 
die  in  den  Tagen,  wo  die  Zeitung  vorne  Generalstabs- 
berichte von  so  gewichtigem  Inhalt  bietet,  immerhin 
zu  denken  gibt. 

Der  Nörgler:  Wie  kann  man  nur  in  den  Tagen, 
wo  die  Zeitung  vorne  Generalstabsberichte  von  so 
gewichtigem  Inhalt  bietet,  Augen  für  eine  Annonce 
haben? 

Der  Optimist:    Urteilen  Sie  selbst. 


559 


Der  Nörgler  (liest): 

Mein  Pipihendi ! 
Flast  Du  mich  lieb?  Sehr  lieb?  Wie  sehr  lieb? 
Werde  warten,  bis  Du  schreibst  oder  kommst. 

Mitzi. 

Sehen  Sie,  die  Zeit  hat  noch  Liebe.  Und 
ich  hatte  geglaubt,  nur  ihr  Haß  sei  gewachsen 
und  mit  ihm  ihr  Hunger.  Was  aber  die  Dumm- 
heit anlangt,  so  tritt  sie  nur  klarer  in  den 
Dimensionen  hervor,  die  ich  ihr  längst  zuerkannt 
habe.  Wollen  Sie  das  österreichische  Antlitz  sehen? 
Es  ist  zwar  durch  eigene  Schuld  unterernährt,  aber 
es  spiegelt  sich  geistig  in  dem  Knödel,  den  diese 
Ansichtskarte  als  ein  Idealbild  der  Wiener  Phantasie 
darbietet.  Ich  revanchiere  mich,  der  Text  dürfte  von 
jenem  Pipihendi  sein. 

Der  Optimist  (h'est): 

Wenn  ich  mir  etwas  wünschen  sollt, 
Ich  wüßt'  schon  lange,  was  ich  wollt! 
Ein  Knödel  müßt'  es  sein, 
Aus  Semmeln  gut  und  fein! 

Der  Nörgler:  Treuland- Verlag!  Es  spricht  zum 
Herzen  und  sagt  den  Leuten  mehr  als  »Nur  wer  die 
Sehnsucht  kennt«.  Im  Jahr  1914  hat  sich  diese  Bevöl- 
kerung zu  einer  Romantik  des  Knödelideals  verurteilt 
und  ich  könnte  es  weltgerichtsordnungsmäßig  be- 
weisen, daß  die  Epoche,  die  eine  solche  Ansichtskarte 
ermöglicht  hat,  identisch  sein  muß  mit  der  Epoche, 
deren  letzter  realer  Besitz  die  Fliegerbombe  war. 
Wären  die  Machthaber,  die  ja  so  gottverlassen  sind, 
nichts  zu  haben  als  die  Macht,  wären  sie  fähig, 
solche  Zusammenhänge  zu  erfassen,  so  wäre  der 
Krieg  nie  begonnen  worden  oder  längst  beendet. 

Der  Optimist:  Dazu  besteht  vorläufig  keine 
Aussicht,  jetzt  kommt  die  fünfte  Musterung. 


560 


Der  Nörgler:  Denn  der  Mensch  könnte  sonst 
vergessen,  wozu  ihn  Gott  erschaffen  hat. 

Der  Optimist:   Das  wäre? 

Der  Nörgler:  Damit  er  vor  der  Assent- 
kommission  erscheine.  Sie  waren  nackt,  und  sie 
schämten  sich  nicht. 

(Verwandlung.) 

3.  Szene 

Vor  dem  Parlament. 
Einige  Herrenhausmitglieder  haben  soeben  das  Haus  verlassen 
und  sind  unterhalb  der  Pallas  Athene  in  einer  Debatte  begriffen. 
Eine  Elektrische  ist  stehen  geblieben,  aus  der  von  beiden  Seiten 
Gliedmaßen  heraushängen.  In  einem  unbeschreiblichen  Tumult 
gellender  Beschimpfungen,  Flüche  und  unartikulierter  Laute 
wird  aus  dem  Beiwagen  durch  den  Knäuel  von  Tornistern, 
Rucksäcken  und  zusammengequetschten  Leibern,  durch  den 
Pferch  einer  unterernährten,  ungewaschenen  und  abgerissenen 
Menschheit  eine  Frau  gezerrt,  die  soeben  vor  Hunger  zusammen- 
gebrochen ist. 

Pattai:  Was  ich  ihm  erwidert  habe,  davon 
nehme  ich  kein  Jota  zurück  —  das  kann  er  sich  ein- 
rahmen lassen,  der  Lammasch!  Wir  sind  die  Sieger, 
und  wir  verlangen  auch  die  Palme! 

(Verwandlung.) 

4.  Szene 

Ministerium  des  Äußern. 

Graf  Leopold  Franz  Rudolf  Ernest 
Vinzenz  Innoeenz  Maria  (siehtin  den  Taschenspiegel): 
Gut  schaun  mr  aus.  Wenn  ich  das  geahnt  hätt, 
hätt  ich  mich  gegen  das  Ultimatum  ausgesprochen! 

Baron  Eduard  Alois  Josef  Ottokar 
Ignazius  Eusebius  Maria:  Was  hast  denn? 

Der  Graf:  Gut  schaun  mr  aus.  Wenn  man 
Krieg  führen  will,  hätt  man  das  voraussehn  müssen! 


I 


;61 


Der  Baron:  Ich  versteh  dich  nicht.  Was  willst 
denn  noch?  Grad  les  ich,  die  Piffkes  haben  wieder 
viertausend  Tonnen  versenkt  und  wir  waren  auch 
nicht  faul.  Fünf. 

Der  Graf:  Tausend? 

Der  Baron:  Tonnen ! 

Der  Graf:  Pflanz  wem  andern.  Wenn  uns 
nicht  die  Schweiz  herausreißt  — 

Der  Baron:  Was?  Du  hoffst  jetzt  noch  auf 
die  Neutralen? 

Der  Graf:  Noch  nie  hab  ich  den  Kurier  mit 
solcher  Spannung  erwartet.  Ich  bin  rasend  neugierig. 

Der  Baron:  Ja  was  is  denn? 

Der  Graf:  Aber  da  sitzt  man  und  wartet  und 
wartet  —  auf  unsere  Leut  in  Bern  is  eben  kein  Verlaß! 
Meiner  Seel,  wenn  ich  hier  nicht  unentbehrlich  war, 
ich  setzet  mich  auf  und  geholfen  war  uns.  Ich  hab 
mir  das  entetiert.  Auf  Schritt  und  Tritt  is  man 
gehandicapt.  Charmante  Einrichtung  dieser  Krieg. 
Aber  ich  garantier  dir,  das  wird  jetzt  anders  wern  1 

Der  Baron:  Du  warst  immer  ein  rasender 
Optimist.  Was  stellst  dir  denn  vor,  daß  die  in  Bern 
machen  können? 

Der  Graf:  No  ich  habs  ihnen  doch  genau 
aufgsch rieben!  Aber  nein,  die  müssen  Bridge  spielen 
den  ganzen  Tag  —  und  bei  der  Nacht,  da  weiß  man 
eh  was  sie  tun.  Übrigens  haben  s'  dazu  auch  am 
Tag  Zeit. 

D  e  r  B  a  r  0  n :  No  no,  bist  du  aber  auf  einmal  — 
Schau,  schickt  man  wieder  Leut  hinaus,  was  nicht 
von  der  Gesellschaft  sind,  können  s'  nicht  einmal 
repräsentieren. 

Der  Graf:  Laß  mich  aus  —  jede  Woche  beim  KM 
für  ein'  Juden  um  ein'  kontumazfreien  Grenzüberlritt 
penzen,  damit  s'  in  Bern  ihre  Bridgewurzen  haben, 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  36 


562 


dazu  is  man  ihnen  gut!  Und  die  Hitscherln,  die 
ich  hinausprotegieren  muß!  Ich  sag  dir,  seit  der  Bubi 
Legationsrat  is,  is  er  rein  zu  gar  nix  mehr  zu 
brauchen.  Paß  auf,  wenn  der  Bubi  und  der  Affi 
nach  Wien  kommen,  wer'  ich  ihnen  zeigen,  wie  viels 
gschlagen  hat.  Ich  sag  ihnen  ins  Gsicht,  Burscherln, 
wer'  ich  ihnen  sagen,  ihr  seids  ja  furchtbar  charmant, 
aber  im  Ernstfall  is  eben  kein  Verlaß  auf  euch. 
Lächerlich.  Der  Krieg  hat  uns  noch  gfehlt!  Weißt, 
jetzt  wär's  rasend  tentant,  die  ganze  Geschichte 
einfach  hinzuschmeißen. 

Der  Baron:  Aber  du  hoffst  doch  auf  die 
Neutralen ! 

Der  Graf:  Ich  sag  dir,  die  Neutralen  sind 
die  schwerste  Enttäuschung.  Holland  laßt  uns  über- 
haupt im  Stich  — 

Der  Baron:  Ich  weiß  nicht  wie  du  mir  auf 
einmal  vorkommst.  Rasend  komisch  is  das.  Von  uns 
allen  warst  du  der  Zuversichtlichste.  Vom  ersten  Tag 
an.  Wie  der  Berchtold  damals  zu  uns  gsagt  hat: 
Jetzt  hat  die  Armee  ihren  Willen!  —  da  haben  deine 
Augen  noch  mehr  geleuchtet  wie  die  seinigen,  um 
den  Hals  wärst  ihm  gfallen.  Das  Ultimatum  is  prima, 
das  war  dein  zweites  Wort  —  rasend  vernünftig  — 
Geh,  erinnerst  dich  nicht? 

Der  Graf:  Geh,  erinner  mich  nicht!  Das 
Ultimatum  war  saublöd.  So  können  wir  nicht  weiter 
existieren.  Wenn  die  Schweiz  diesesmal  versagt,  dann 
weiß  ich  schon  nicht  —  ich  bin  deschperat !  No  aber 
morgen  —  also  ich  erwart  den  Kurier  mit  einer 
Spannung  wie  noch  nie!  (Sieht  in  den  Taschenspiegel.) 
Gut  schaun  mr  aus. 

Der  Baron:  Ja,  Fixlaudon,  was  erwartest 
denn  diesesmal  eigentlich  so  bsonderes? 

Der  Graf:  Tepp  —  eine  Colgate  — !! 

(Verwandlung.) 


563 


5.  Szene 

Bei  Udine. 

Zwei  Generale,  jeder  in  einem  über  und  über  bepackten  Automobil, 

von  verschiedenen  Seiten. 

Der  erste  General:  Jetzt  fahr  i  's  letzte  Mal. 
Mehr  is  nicht  zu  holen. 

Der  zweite  General:  Mehr  is  nicht  zu  holen. 

Der  erste:  Schad,  so  ein  reiches  Land! 

Der  zweite:  Ja,  die  Deutschen! 

Der  erste:  Mir  san  wieder  amol  zu  spät  kommen. 

Der  zweite:  Ja,  die  Deutschen! 

Der  erste:  Praktisch  san  s',  das  muß  ihnen 
der  Neid  lassen.  Beuteoffizier'  ham  s',  da  is  alles 
urganisiert.  Mit  Sammeltranspurte.  Unsereins  muß 
sich  alles  kleinweis  zsammklauben. 

Der  zweite:  Sie  ham  halt  a  Urganisation. 
Wie  s'  nach  Udine  kommen  sein,  ham  sie  's  gleich 
einteilt  in  Udine  S  und  Udine  N.  In  Udine  S  war 
Seide,  das  hat  also  den  Deutschen  ghört. 

Der  erste:  In  Udine N  war  nix.  Das  hat  also 
uns  ghört. 

Der  zweite:  Und  über  die  Demarkationslini 
derf  naturgemäß  unsereins  nicht  hinüber. 

Der  erste:  Traurig. 

Der  zweite:  Traurig. 

Der  erste:  Die  deutschen  Seidenhändler  waren 
früher  da  als  wie  unsere  Vorhut. 

Der  zweite:  Und  die  deutschen  Beuteoffizier 
san  gschwinder  wie  bei  uns  die  galoppierende 
Schwindsucht.  Da  kriegt  man  an  Reschpekt! 

Der  erste:  No,  aber  an  Wein  ham  die  Eigenen 
doch  kriegt.   Der  is  noch  heut  nicht  verschwunden. 

Der  zweite:  Aber  dafür  die  Eigenen  im  Wein. 
Das  war  der  reine  Russentod! 

Der  erste:  Hast  was?  Bißl  a  herrenloses  Gut? 

Der  zweite:  Haßt  net  vül,  halt  so  paar  kleine 
Erinnerungen  an  die  Front,  no  was  halt  net  niet-  und 
nagelfest  war. 


36* 


564 


Der  erste:  I  hab  heut  drei  Teppiche,  30  Kilo 
Reis,  bißl  a  Fleisch,  zwa  Sack  Kaffee,  drei  Tür- 
füllungen und  vier  Heiligenbilder  requiriert,  schön 
gmalen,  nach  der  Natur! 

Der  zweite:  I  hab  heut  ein  Grammophon, 
20  Kilo  Makkaroni,  bißl  a  Kupfer,  5  Kilo  Käs,  zwa 
Dutzend  Sardinenbüchsen  und  paar  Bildein,  in  Öl ! 
Servus.  (Er  fährt  ab.) 

Der  erste:  Servus.  —  Dort  siech  ich  einen 
Infanteristen  von  uns  im  Feld,  der  nimmt  einen 
Kolben  Kukuruz!  Wart  Kerl,  stehlen!  (Er  steigt  ab 
und  gibt  ihm  eine  Ohrfeige.) 

(Verwandlung.) 

6.  Szene 

Etappe  Fourmies. 

Landwehrmann  Lüdecke:  Na,  wenn  auch 
die  Miesmacher  von  beiden  Seiten  kommen,  von 
der  Front  und  vom  Hinterland,  wir  in  der  Etappe 
werden  uns  den  Krieg  doch  nicht  verekeln  lassen. 
Bei  uns  sauft  und  hurt  man  ganz  tüchtig,  da  deutet 
nichts  auf 'nen  Verzichtfrieden.  DerKronprinz  hat  einen 
richtiggehenden  Harem,  er  hat  neulich  einen  famosen 
Zuwachs  bekommen  und  die  Eltern,  die  was  dawider 
hatten,  egal  abschieben  lassen.  Die  Sache  im  Westen 
wird  gemacht.  Und  schließlich,  was  will  denn  das  Hinter- 
land? Wir  schicken  ihm  ja,  was  wir  können.  Ich  höre, 
daß  bei  Wertheim  schon  die  Kriegsbeute  von  Lille 
verkauft  wird.  Da  muß  ich  nachhause  schreiben, 
wie  fein  wir  hier  jetzt  raus  sind.  (Er  schreibt)  8.  Mai. 
Lieber  Freund!  Ich  bin  dem  Requisitionsdienst  der 
Etappe  Fourmies  zugeteilt.  Wir  nehmen  der 
französischen  Bevölkerung  alles  Blei,  Messing, 
Kupfer,  Kork,  Öl  u.  s.  w.,  Kronleuchter,  Kochherde 
fort,  und  alles,  was  von  fern  und  nah  zusammen- 
kommt, wandert  nach  Deutschland.    Oft  ist  es  sehr 


565 


unangenehm,  den  jungen  Frauen  ihre  Hochzeits- 
geschenke wegzunehmen,  aber  die  Kriegsnotwendig- 
keit zwingt  uns  dazu.  Zusammen  mit  einem  meiner 
Kameraden  habe  ich  neulich  einen  hübschen  Fang 
gemacht.  In  einem  vermauerten  Zimmer  fanden  wir 
fünfzehn  Musikinstrumente  aus  Kupfer,  ein  ganzes 
Orchester,  ein  ganz  neues  Fahrrad,  150  Bettlaken 
und  Handtücher  und  sechs  kupferne  Kronleuchter, 
die  allein  ein  Gewicht  von  25  Kilogramm  ausmachen; 
außerdem  noch  ein  Menge  anderer  Gegenstände. 
Du  kannst  dir  die  Wut  der  alten  Hexe  vorstellen, 
der  die  Sachen  gehörten;  ich  habe  sehr  gelacht. 
Alles  zusammen  hatte  einen  Wert  von  mehr  als 
10.000  Mark.  Einige  Ballen  Schafwolle  und  viele 
andere  Gegenstände.  Der  Kommandant  war  sehr 
zufrieden,  und  wir  sollten  sogar  eine  Belohnung 
bekommen.  Vielleicht  auch  noch  dazu  das  Eiserne 
Kreuz.  Und  dann  gibt  es  hier  junge  Mädchen,  die 
hübsch  zu  entjungfern  sind.  Es  grüßt  Dich  — 

(Verwandlung.) 

7.  Szene 

Zirkus  Busch,  Monstrevcrsammlung  für  einen  deutschen 
Frieden. 

Pastor  Brüstlein  (mit  ausgestrecktem  Arm): 
—  Im  Westen:  Longwy  und  Briey!  Und  die  vlämische 
Küste  wird  nicht  wieder  herausgegeben!  (Dröhnender 
Beifall.)  Im  Osten  die  bekannte  Festungslinie,  die 
Ostpreußen  nie  mehr  bedrohen  darf,  muß  in  irgend- 
einer Form  in  unsrer  Hand  bleiben!  (Lebhafter  Beifall.) 
Kurland  und  ein  Stück  von  Litauen  wird  nicht  wieder 
herausgegeben!  (Donnernder  Beifall.)  Verbunden  sind 
mit  Kurland:  Livland  und  Esthland.  (Die  rechte  Hand 
vorgestreckt.)  Dort  flattert  die  Notflagge!  Da  müssen 
wir  helfen. 

(Rufe:  Hurra!  Hurra!  Hurra!  Redner  tritt  ab.  Die  Versammlung 
stimmt  das  Lied  an:  >Ein'  feste  Burg  ist  unser  Gott«.) 


566 


Hauptschriftleiter  Maschke:  Verehrte 
Volksgenossen  1  Ich  werde  mich  kurz  fassen.  Ich 
habe  nur  eine  Forderung,  die  uns  alle  beseelt, 
vorzubringen:  Fort  mit  dem  Weltgewissen!  (Hurra-Rufe.) 
Hinweg  mit  dem  Weltbrüdergeist!  Das  deutsche 
Machtgewissen  allein  sei  unser  Gebieter  und  Führer! 
Sein  Losungswort  lautet:  Mehr  Macht!  Mehr  deutsche 
Macht!  Wen  sein  Weltgewissen  oder  sein  Verant- 
wortlichkeitsgefühl gegenüber  der  Menschheit  etwas 
anderes  reden  oder  schreiben  läßt,  als  was  des 
deutschen  Schwertes  Machtsprache  gebietet  —  der  ist 
und  bleibt  ein  armseliger  politischer  Träumer,  ein 
trüber  Wolkenwandler!  (Dröhnender  Beifall.) 

Ein  Mißvergnügter:  Ich  will  der  geehrten 
Versammlung  nur  eines  zu  bedenken  geben.  Die 
Schädigung  der  Volksmoral  durch  den  Krieg  hat 
kürzlich  der  Finanzminister  durch  den  Hinweis  auf 
die  glänzenden  Siegestaten  unseres  Heeres  zu 
beschönigen  gesucht.  In  der  Bibel  aber  heißt  es: 
Was  hülfe  es  ihm,  wenn  er  die  ganze  Welt  gewänne, 
und  nähme  doch  Schaden  an  seiner  Seele!  Mit 
dieser  Auffassung  der  Bibel  deckt  sich  die  Auffassung 
der  modernen  Kultur,  nämlich,  daß  die  moralische 
Zersetzung  des  Volkskörpers  durch  Betrug,  Diebstahl 
und  Schwindel  von  dem  Ruhm  der  Waffen  nimmer- 
mehr vergoldet  werden  kann.  Große  Staatsinstitute 
wie  die  Post  sind  zu  Diebeshöhlen  geworden, 
ganze  Klassen  der  Bevölkerung  in  den  bodenlosen 
Abgrund  geschleudert,  alles  aus  der  unersättlichen 
Gier  nach  Gewinn  —  (Rufe:  Rraus  mit  dem  Kerl!  Redner 
wird  hinausgeworfen.) 

Professorpuppe:  Meine  verehrten  Anwesen- 
den! Ich  werde  mich  kurz  fassen,  denn  die  Richt- 
linien für  einen  deutschen  Frieden  stehen  so  klar 
vor  unser  aller  Augen,  daß  wir  sie  mit  Händen  greifen 
können.  (Tut  es.)  Eine  Versöhnung  Frankreichs  durch 
Güte  ist  unmöglich.    (Rufe:  Unmöglich!)    Wir  müssen 


567 


Frankreich  so  ohnmächtig  machen,  daß  es  niemals 
wieder  angreifen  kann!  (Dröhnender  Beifall.)  Dazu  ist 
notwendig,  daß  unsre  Westgrenze  weiter  vorge- 
schoben wird,  die  nordfranzösischen  Erzlager  müssen 
uns  zufallen!  (Lebhafter  Beifall.)  Das  ehemalige  Belgien 
darf  militärisch,  politisch  und  wirtschaftlich  nicht  mehr 
aus  der  Hand  gelassen  werden!  Wir  brauchen  ferner 
ein  großes  afrikanisches  Kolonialreich!  (Dröhnender 
Beifall.)  Um  dieses  sicherzustellen,  benötigen  wir 
Flottenstützpunkte!  Eine  unerläßliche  Bedingung  ist 
die  Vertreibung  Englands  aus  den:  Mittelmeer,  aus 
Gibraltar,  Malta,  Cypern,  Ägypten  und  seinen  neuen 
Eroberungen  im  Mittelmeer!  (Rufe:  Gott  strafe  England!) 
Dazu  käme  natürlich  eine  Kriegsentschädigung 
(Orkanartiger  Beifall)  —  namentlich  in  der  Weise,  daß  die 
Feinde  gezwungen  würden,  einen  erheblichen  Teil 
ihrer  Handelsflotte  uns  zur  Verfügung  zu  stellen, 
uns  Gold,  Nahrungsmittel  und  Rohstoffe  zu  liefern. 

(Rufe:   Hurra!)    Ferner  —  — 

(Verwandlung.) 


8.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch, 

Der  Optimist:  Was  lesen  Sie  da? 

Der  Nörgler:  Hören  Sie.  Ein  Irrsinniger 
auf  dem  Einspännergaul.  Eine  aufregende  Straßen- 
szene hat  gestern  abend  an  der  Kreuzung  der  Alser- 
und  Landesgerichtsstraße  eine  geraume  Zeit  lang  unter 
den  vielen  Vorübergehenden  großes  Aufsehen  erregt. 
Gegen  halb  8  Uhr  fuhr  ein  Einspännerwagen  mit 
zwei  Damen  als  Fahrgästen  und  Gepäck,  das  auf 
dem  Bocke  verstaut  war,  in  der  Universitätsstraße 
gegen  die  Alserstraße.  Als  der  Wagen  im  langsamen 
Tempo  zur  Kreuzung  der  Aiser-  und  Landesgerichts- 
straße  fuhr,  kam  ein  junger  Mann  in  Infanteristen- 
uniform plötzlich  im  Laufschritt  auf  die  Straße  und 


568 


stürzte  sich  dem  Einspännerrosse  entgegen;  er  faßte 
es  an  dem  Zügel  und  wollte  das  Pferd  anhalten. 
Der  Kutscher  war  überrascht,  die  beiden  Insassen 
waren  erschrocken.  Der  Kutscher  schlug  mit  der 
Peitsche  auf  das  Pferd  ein,  um  es  zu  schnellerem 
Trabe  zu  veranlassen  und  dem  jungen  Menschen 
zu  entkommen;  das  Pferd  lief  auch  schneller,  da 
sprang  der  junge  Mensch  wieder  an  den  Gaul  heran 
und  schwang  sich  auf  ihn.  Mit  der  bloßen  Hand 
trieb  er  das  arme  Tier  zu  noch  schnellerem  Laufe 
an,  indem  er  dabei  wiederholt  »Hurra!«  schrie.  Nun 
hatte  der  Kutscher  die  Lenkung  über  das  Pferd  ganz 
verloren  und  der  sonderbare  Reiter  ließ  den  Gaul 
ganz  umkehren.  Im  Galopp  kam  das  Tier  mit  dem 
schleudernden  Wagen  gegen  die  Kreuzung.  Das 
Abenteuer  hätte  noch  schlimm  enden  können,  wenn 
nicht  an  der  Kreuzung  ein  Sicherheitswachmann  das 
Pferd  am  Zügel  gefaßt  und  zum  Stehen  gebracht 
hätte.  Der  Wachmann  zog  den  Reiter  wieder  auf 
den  Boden  herab.  Kutscher  und  Fahrgäste  atmeten 
auf.  Um  den  Wagen  sammelte  sich  gleich  eine  große 
Menge  an.  Der  junge  Mann,  der  offenbar  geistes- 
gestört ist,  wurde  der  irrenärztlichen  Behandlung 
übergeben. 

Der  Optimist:  Nun?  Eine  Winzigkeit  aus 
der  lokalen  Chronik.  Warum  befassen  Sie  sich  mit 
so  etwas?  Jetzt  gibt  es  doch  gewiß  größere  Themen. 
Harden  — 

Der  Nörgler:  Das  dringendste  ist  aber  doch 
die  Frage,  wann  endlich  der  Wachmann  kommt.  Wenn 
man  einmal  einen  braucht,   ist  natüdich   keiner  da! 

Der  Optimist:  Ja,  aber  warum  regt  Sie 
das  auf?  Dieser  alltägliche  Übelstand! 

Der  Nörgler:  Ich  sage  Ihnen,  bei  solchen 
lokalen  Unfällen  gibts  keine  Rettung.  Der  sonderbare 
Reiter  sitzt  nicht  ab.  Außer  —  wenn  der  Policeman 
kommt! 


569 


Der  Optimist:  Icii  verstehe  Sie  nicht.  Sie 
sind  der  richtige  Wiener  Raunzer.  Weltpolitik  ist 
doch  wichtiger. 

Der  Nörgler:  Aber  ein  Umweg,  um  den 
Dingen  auf  den  Grund  zu  kommen.  Derlei  liegt  mir 
zu  fern.  Höchstens,  daß  m.ich  Japan  interessiert. 

D  e  r  O  p  t  i  m  i  s  t :  Es  ist  bezeichnend,  was  Ihnen 
am  nächsten  liegt.  Und  warum  Japan? 

Der  Nörgler:  Da  —  hören  Sie  —  Die 
chinesisch -japanische  Militärkonvention. 
Volle  Herrschaft  Japans  in  China.  Der  »Shanghai 
Gazette«  zufolge  haben  die  geheimen  Abmachungen 
der  eben  zustandegekommenen  Militärkonvention 
zwischen  Japan  und  China  folgenden  Inhalt:  Die 
chinesische  Polizei  wird  von  Japan  neu  organisiert. 
Japan  übernimmt  die  Leitung  sämtlicher  chinesischer 
Arsenale  und  Werften.  Japan  erhält  das  Recht,  in 
allen  Teilen  Chinas  Eisen  und  Kohle  zu  fördern. 
Japan  erhält  alle  Privilegien  in  der  äußeren  und  in 
der  inneren  Mongolei,  ferner  in  der  Mandschurei. 
Schließlich  sind  eine  Anzahl  von  Maßnahmen 
getroffen,  die  das  Finanz-  und  Ernährungswesen 
Chinas  japanischem  Einfluß  unterwerfen.  —  O  ich 
interessiere  mich  für  Weltpolitik! 

Der  Optimist:  Ja  was  geht  uns  denn  aber 
Japan  an?  Das  Verhältnis  zwischen  Japan  und  China 
scheint  Ihnen  — 

Der  Nörgler:  —  ausgebaut  und  vertieft! 

(Verwandlung.) 

9.  Szene 

Ischler  Esplanade.  Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Patriot:  Es  wurde  im  vollen  Einvernehmen 
der  Entschluß  gefaßt,  das  bestehende  Bündnis- 
verhältnis auszubauen  und  zu  vertiefen. 

Der  Abonnent:  Also  mit  einem  Wort: 
Ausbau  und  Vertiefung  des  Bündnisses. 


570 


Der  Patriot:  Hiebei  ergab  sich  volles  Ein- 
vernehmen in  allen  diesen  Fragen  und  der  Entschluß, 
das  bestehende  Bündnisverhältnis  auszubauen  und 
zu  vertiefen. 

Der  Abonnent:  Also  mit  einem  Wort: 
Ausbau  und  Vertiefung  des  bestehenden  Bündnis- 
verhältnisses. 

Der  Patriot:  In  welcher  Form  der  Ausbau 
und  die  Vertiefung  des  Bündnisses  geschehen  sollen, 
wird  heute  noch  nicht  mitgeteilt. 

Der  Abonnent:  Der  Krieg  hat  jedoch  den 
Ausbau  und  die  Vertiefung  des  Bündnisses  zur 
Notwendigkeit  gemacht. 

Der  Patriot:  In  welcher  Richtung  der 
Ausbau  und  die  Vertiefung  sich  vollziehen  sollen, 
wird  in  der  amtlichen  Mitteilung  nicht  angedeutet. 

Der  Abonnent:  Gewi (3  wird  es  der  Wunsch  der 
beiderseitigen  Generalstäbe  sein,  den  Vorteil,  den  die 
Monarchie  und  Deutschland  durch  den  Grundsatz 
hatten,  der  im  Kriege  Schulter  an  Schulter  genannt 
wurde,  auszubauen  und  zu  vertiefen. 

Der  Patriot:  Haben  Sie  Mitteilungen  von 
unterrichteter  Seite? 

Der  Abonnent:  Ich  kann  Ihnen  nur  soviel 
sagen.,  wir  müssen  an  dem  Defensivbündnis  festhalten 
und  fiir  einen  Ausbau  und  eine  Vertiefung  dieses 
Bündnisses  nur  andere  Vorbedingungen  schaffen. 

Der  Patriot  (nach  einer  Pause):  Was  sagen  Sie 
zu  Ausbau  und  Vertiefung  des  Bündnisses  mit 
Deutschland? 

Der  Abonnent:  Die  von  den  Mittelmächten 
geschaffenen  Tatsachen  sollen  durch  Ausbau  und 
Vertiefung  zu:  Regel  für  die  Zukunft  erhoben  werden. 

Der  Patriot:  Wir  brauchen  nur  den  Ereig- 
nissen des  Krieges  zu  folgen,  um  zu  verstehen, 
warum  der  Ausbau  und  die  Vertiefung  des  Bünd- 
nisses unvermeidlich  geworden  sind. 


571 


Der  Abonnent:  Die  Einheit  der  Front  für  die 
Mittelmächte  ist  eine  zureichende  Ursache  für  die 
militärische  Vertiefung  des  Bündnisses. 

Der  Patriot:  No  und  der  Ausbau? 

Der  Abonnent:  Der  Plan,  den  Mittelmächten 
die  Rohstoffe  auch  nach  dem  Kriege  zu  entziehen, 
wird  mit  der  Nachricht  vom  wirtschaftlichen  Ausbau 
des  Bündnisses  beantwortet.  Der  Ausbau  des  Bünd- 
nisses mit  Deutschland  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  — 

Der  Patriot:  Der  Ausbau  und  die  Vertiefung 
des  Bündnisses  zwischen  der  Manarchie  und  Deutsch- 
land haben  einen  Zusammenhang  mit  der  polnischen 
Frage.  Da  liest  man  aber  Nachrichten  über  gefälschte 
deutsche  Friedensangebote.  Was  ist  wahr? 

Der  Abonnent:  Wahr  ist  der  Ausbau  und 
die  Vertiefung  des  Bündnisses  zwischen  der  Monarchie 
und  Deutschland.  Sag  ich  Ihnen! 

Der  Patriot:  Ihnen  gesagt!  Sie  scheinen  auf 
die  amtliche  Mitteilung  anzuspielen,  daß  bei  der 
Kaiserzusammenkunft  im  deutschen  großen  Haupt- 
quartier der  Ausbau  und  die  Vertiefung  des  zwischen 
Deutschland  und  Österreich-Ungarn  bestehenden 
Bündnisses  abgeschlossen  worden  ist. 

Der  Abonnent:  Wissen  Sie  was  die  Folge 
sein  wird?  Die  Welt  wird  damit  rechnen  müssen, 
daß  England  mit  seinen  vierhundert  Millionen 
Einwohnern  die  Beziehungen  zu  den  Vereinigten 
Staaten  ausbaut  und  vertieft,  um  seine  Überlegenheit 
in  der  Versorgung  mit  Rohstoffen  noch  zu  vermehren. 
Alles  machen  sie  uns  nach. 

Der  Patriot:  Selbstredend.  Welchen  Einfluß 
könnten  die  Nachrichten  über  den  Ausbau  und  die 
Vertiefung  des  Bündnisses  auf  die  Politik  der  Entente 
haben?  Die  Wirkung  dürfte  nachhaltig  sein. 

Der  Abonnent:  Der  Schluß  ist  gerechtfertigt, 
daß  der  wesentliche  Zweck  des  Ausbaues  und  der 
Vertiefung  in  der  Öffentlichkeit  richtig  erkannt 
worden  ist. 


572 


Der  Patriot:  Was  Sie  nicht  sagen!  Ich  hab 
stark  den  Eindruck,  in  dieser  letzten  Stunde  der 
Monarchenbegegnung  fühlten  alle  Zeugen  dieses 
historischen  Ereignisses,  daß  das  Bündnis  zwischen 
beiden  Mittelmächten  in  des  Wortes  wahrster 
Bedeutung  vertieft  worden  ist.  Nämlich  die  Grund- 
lagen einer  wesentlichen  Vertiefung  — 

Der  Abonnent:  Apropos,  der  Ausbau  der 
Technischen  Hochschule  — 

Der  Patriot:  Der  Ausbau  des  Bündnisses 
dürfte  die  polnische  Frage  — 

Der  Abonnent:  Der  Ausbau  des  Bündnisses 
wird  die  Entente  — 

Der  Patriot:  Der  Ausbau  und  die  Vertiefung 
des  Bündnisses  mußten  unter  solchen  Umständen 
die  Entente  überraschen. 

Der  Abonnent:  Kunststück,  auf  der  Börse 
wurde  die  große  Bedeutung  des  politischen  und 
militärischen  Ausbaues  des  Bündnisses  eingehend 
besprochen.  Insbesondere  wurde  hervorgehoben,  daß 
die  Vertiefung  — 

Der  Patriot:  Es  ist  anzunehmen,  daß  jetzt  auch 
die  Besprechungen  über  die  zur  Vertiefung  und  zum 
Ausbau  des  Bündnisses  zu  treffenden  Vereinbarungen 
beginnen  werden.  Was  speziell  den  Ausbau  des 
wirtschaftlichen  Bündnisses  mit  Deutschland  anlangt, 
so  hat  doch  soeben  — 

Der  Abonnent:  Deshalb  ist  es  von  besonderem 
Interesse,  zu  hören,  was  dieses  hervorragende  Mitglied 
des  Kabinetts  Wekerle  über  die  Beschlüsse  betreffend 
den  Ausbau  des  wirtschaftlichen  Bündnisses  mit 
Deutschland  sagt. 

Der  Patriot:  Der?  No  der  hat  doch  schon 
immer  eine  Vertiefung  des  Wirtschaftsverhältnisses 
angestrebt! 

Der  Abonnent:  Die  Welt  hörte  die  Verkün- 
digung, daß  der  Entschluß  gefaßt  worden  sei,  das 
Bündnis  auszubauen  und  zu  vertiefen. 


573 


Der  Patriot:  Die  Vertiefung  des  Bündnisses 
werden  die  Monarcliie  und  Deutschland  nach  dem 
Kriege  als  Bedürfnis  empfinden. 

Der  Abonnent:  Nutzt  nix,  Sicherheit  kann  nur 
werden  durch  Ausbau  und  Vertiefung  des  Bündnisses. 

Der  Patriot:  No  aber  —  Budget,  Anleihen 
und  Steuern  können  nicht  warten,  bis  das  Bündnis  mit 
Deutschland  politisch,  militärisch  und  wirtschaftlich 
ausgebaut  ist. 

Der  Abonnent:  In  Besprechung  der  Vertiefung 
des  Bündnisses  der  Mittelmächte  hat  er  ja  erklärt  — 

Der  Patriot:  Sie  meinen  Friedjung.  Aber 
Friedjung  konträr  schloß  doch  mit  einem  dreifachen 
Hoch  und  Eljen  auf  den  Ausbau  des  Bündnisses 
der  beiden  Mittelmächte  mit  der  Türkei ! 

Der  Abonnent:  No  und  was  is  mit  der 
Vertiefung?  Die  erste  Frage  galt  der  Vertiefung  des 
Bündnisses  der  Mittelmächte, 

Der  Patriot:  Aber  das  is  doch  ganz  etwas 
anderes!  Da  war  vom  Ausbau  des  österreichisch- 
ungarisch -  deutschen  Bündnisses  in  militärischer 
Beziehung  die  Rede. 

Der  Abonnent:  No  ja,  aber  die  Vertiefung 
des  Bündnisses  auch  in  militärischer  Hinsicht  ist 
darum  eine  unbedingte  Notwendigkeit. 

Der  Patriot:  Ich  weiß  nur,  wie  sich  Wekerle 
und  Tisza  über  die  Vertiefung  des  Bündnisses  — 

Der  Abonnent:  Es  sind  nämlich  Äußerungen 
von  einer  Seite  gefallen,  die  gegen  eine  Vertiefung 
des  Bündnisses  Bedenken  hegte. 

Der  Patriot:  Apropos,  da  fällt  mir  ein,  was 
sagen  Sie  zum  Ausbau  des  Sieges  von  Noyon? 

Der  Abonnent:  No  haben  Sie  gelesen  Burian 
über  die  Vertiefung  des  Bündnisses? 

Der  Patriot:  No  haben  Sie  gelesen  über  die 
Beratungen  in  Salzburg  über  den  Ausbau  des 
Bündnisses? 


574 


Der  Abonnent:  Bitte,  da  war  nur  von  den 
leitenden  Auffassungen  bei  der  wirtschaftlichen 
Vertiefung  des  Bündnisses  die  Rede! 

Der  Patriot:  Der  deutsche  Kaiser  hat  aber  dem 
Hetman  nachgerühmt,  daß  er  schon  begonnen  hat. 
die  Ukraine  zu  einem  neuen  geordneten  Staatswesen 
auszubauen. 

Der  Abonnent:  Bitte,  drauf  hat  aber  der 
Hetman  sofort  der  Hoffnung  Ausdruck  gegeben,  daß 
die  Beziehungen  zwischen  dem  mächtigen  deutschen 
Reiche  und  der  Ukraine  sich  immer  mehr  vertiefen 
werden! 

Der  Patriot:  Sagt  er!  Wissen  Sie,  vertiefen  is 
riskant.  Haben  Sie  nicht  gelesen  aus  Berlin,  wie  aus 
dem  Haag  gemeldet  wird,  daß  aus  London  gemeldet 
wird,  sie  melden  aus  Turin,  daß  die  italienische  Börse 
seit  der  deutsch-österreichischen  Kaiserzusammenkunft 
flau  ist  und  man  glaubt,  daß  die  Italiener  durch  die 
Tiefe  des  Bündnisses  sehr  enttäuscht  sind? 

Der  Abonnent:  No  wie  tief  is  es  schon! 
Trotzdem  bin  ich  überzeugt,  weil  Sie  von  Haag 
sprechen,  die  Einrichtung  der  Schiedsgerichte  wird 
nach  dem  Kriege   stark   ausgebaut  werden  müssen. 

Der  Patriot:  Meglich,  Vorläufig  sind  erst 
Verhandlungen,  die  von  dem  Grundgedanken  aus- 
gehen, das  Bundesverhältnis  zu  vertiefen,  und  die 
sind  zurzeit  noch  im  Flusse. 

Der  Abonnent:  Dafür  sind  die  Abwehr- 
maßregeln in  unablässigem  Ausbau  begriffen. 

Der  Patriot:  Die  Abwehrmaßregeln  gegen 
die  Diebstähle  an  Postgütern?  weiß  ich!  Was  nutzt 
das  aber?  Grad  jetzt,  in  den  Zeiten  des  Ausbaues 
und  der  Vertiefung,  haben  die  Eisenbahndiebstähle 
so  überhand  genommen. 

Der  Abonnent:  Ein  Ausbau  der  Bestimmungen 
über  die  Versicherung  des  Reisegepäcks  ist  heute 
umso  dringlicher,  als  — 


575 


(Der  alte  Biach  kommt  atemlos.) 

Der  alte  Biach:  Wissen  Sie  was  passiert  is? 
Ausgebaut  und  vertieft! 

Der  Abonnent:   No  das  is  doch  nix  Neues? 

Der  alte  Biach:  Wenn  ich  Ihnen  sag,  das 
Bündnis  is  ausgebaut  und  vertieft!  Aber  — 

Der  Patriot:  No  wasis?  Kommen  Sie  zu  sich^ 

Der  alte  Biach:  Das  hat  noch  gefehlt  — 

Der  Abonnent:  Was  ham  Sie? 

Der  alte  Biach:  Gotteswillen  —  das  is  nicht 
so  einfach  —  passen  Sie  auf  —  es  is  nämlich  auch 
ausgelegt  worn!  Wissen  Sie  schon  den  Unterschied 
zwischen  der  Fassung  in  Wien  und  der  Fassung  in 
Berlin?  (Außer  Fassung)  Eine  genaue  Prüfung  des  Textes 
der  in  Wien  und  Beilin  veröffentlichten  Mitteilung 
zeigt  einen  Unterschied,  der  in  die  Augen  springt. 

Der  Patriot:  Wieso? 

Der  alte  Biach:  Bitte,  die  beiden  Communiques 
sind  in  den  Sätzen,  in  den  Ausdrücken  und  in  den 
spärlichen  Mitteilungen  gleichlautend  — 

Der  Abonnent:  No  also! 

Der  alte  Biach:  —  mit  einer  einzigen  Aus- 
nahme. Gappend)  In  Wien  und  Berlin  wird  gesagt  — 
In  Wien  und  Berlin  wird  erzählt  —  In  Wien  und 
Berlin  wird  mitgeteilt  —  Da  ist  volle  Gleichheit  im 

Inhalte  und  in  der  Form wird  mit  Genugtuung 

aufgenommen  werden.  Denn  nichts  kann  wichtiger 
sein  als  der  Felsblock  —  nichts  kann  das  Gefühl 
der  Sicherheit  mehr  befestigen  — 

Der  Patriot:   No  also,   was  wolln  Sie,  mehr? 

Der  Abonnent:  No  sehn  Sie,  wo  is  also  der 
Unterschied  —  Sie  machen  sich  Gedanken  — 

Der  alte  Biach  (mit  wachsendem  Paroxysmus): 
Was  nutzt  das  alles  —  das  in  Wien  veröffentlichte 
Communique  sagt,   die  Zusammenkunft  der  beiden 


576 


Kaiser  habe  auch  festgesteüt,  "»daß  die  erlauchten 
Monarchen  an  ihren  im  Mai  gefaßten  bündnis- 
vertiefenden Beschlüssen  festhalten«.  Das  in 
Berlin  veröffentlichte  Communique  sagt,  die  Zu- 
sammenkunft habe  »auch  die  gleiche  und 
treueste  Auslegung  des  Bündnisses  fest- 
gestellt«. Wenn  der  Satz  über  das  Festhalten  an 
den  Maibeschlüssen,  betreffend  die  Vertiefung  des 
Bündnisses,  im  Wiener  Communique  in  ein  Verhältnis 
gebracht  wird  zu  dem  Satze  über  die  gleiche  und 
treueste  Auslegung  des  Bündnisses  im  Berliner 
Communique,  so  ergibt  sich  kein  Widerspruch, 
sondern  nur  die  Tatsache,  daß  in  jeder  der  beiden 
Mitteilungen  von  etwas  anderem  gesprochen  wird. 

Der  Abonnent:  No  also! 

Der  alte  Biach:  Die  gleiche  und  treueste 
Auslegung  des  Bündnisses  kann  nicht  im  Gegen- 
satze zu  den  Maibeschlüssen  über  die  Vertiefung 
des  Bündnisses  sein  und  diese  wäre  undenkbar 
ohne  die  gleiche  und  treueste  Auslegung  des 
jetzigen  Bündnisses. 

Der  Patriot:  Natürlich. 

Der  alte  Biach:  Aber  dem  deutschen  Publikum 
wird  etwas  mitgeteilt,  was  das  Wiener  Communique 
nicht  sagt,  und  umgekehrt.  Es  handelt  sich  um 
Erklärungen,  die,  nebeneinandergestellt  und  in  einem 
und  demselben  Communique  veröffentlicht,  nichts 
Auffallendes  hätten.  Sie  fallen  nur  auf,  weil  in 
einem  Communique  vom  Festhalten  an  der  Bündnis- 
vertiefung nichts  zu  lesen  ist  und  in  dem  anderen 
wieder  nichts  von  der  gleichen  und  treuesten 
Auslegung  des  jetzigen  Bündnisses.  Mitteilungen 
über  die  Zusammenkunft  der  Kaiser  pflegen  im 
Einvernehmen  verfaßt  und  dem  Publikum  zugänglich 
gemacht  zu  werden.  Graf  Burian  war  somit  einver- 
standen mit  dem  Hinweise  auf  die  gleiche  und 


577 


Ireueste  Auslegung  des  Bündnisses  und  Graf 
Herlling  hat  der  Feststellung  zugestimmt,  daß  die 
beiden  Kaiser  an  ihren  im  Mai  gefaßten  bündnis- 
vertiefenden Beschlüssen  festhalten.  Beide  Staats- 
männer sprechen  aus  beiden  Communiques  und 
keiner  von  ihnen  kann  über  die  Zusammenkunft 
sagen,  was  der  andere  nicht  billigt. 

Der  Abonnent:  Selbstredend. 

Der  alte  Biach:  Aber  die  Ungleichheit  der 
Fassung  dürfte  trotzdem  nicht  grundlos  sein.  Die 
Andeutung  ist  zu  erkennen,  daß  die  Monarchie  bei 
der  Vertiefung  des  Bündnisses  nach  den  im  Mai 
gefaßten  Beschlüssen  die  polnische  Frage  zur  Lösung 
bringen  will.  Graf  Burian  hat  sie  schon  im  Juni 
damit  in  Zusammenhang  gebracht.  Deshalb  wird  die 
Vertiefung  des  Bündnisses  im  Wiener  Communiqu^ 
unterstrichen.  Das  Berliner  Communiquö  spricht  von 
der  gleichen  und  treuesten  Auslegung  des 
jetzigen  Bündnisses.  Es  will  dessen  Bestand  und 
Wirkung  in  keine  Abhängigkeit  von  den  schwebenden 
Fragen  des  Ausbaues  sowie  von  der  austro- 
polnischen  Lösung  bringen. 

Der  Abonnent:  Das  is  doch  klar,  die  Vertiefung 
kann  ausgelegt,  aber  der  Ausbau  kann  nicht  vertieft 
werden.  Also  ich  versteh  nicht,  warum  Sie  sich 
Sorgen  machen  — 

Der  alte  Biach:  Auch  die  treueste  Aus- 
legung des  Bündnisses  ist,  wie  das  Berliner 
Communique  sagt,  in  der  Monarchie  und  in 
Deutschland  gleich.  Graf  Burian  will  die  Vertiefung 
des  Bündnisses  und  Graf  Hcrtling  auch.  (Er  beginnt 
zu  stampfen.)  Der  deutsche  Reichskanzler  will  aber 
das  jetzige  Bündnis^  selbst  wenn  es  nicht  vertieft 
werden  könnte.  Die  Monarchie  teilt  diese  Ansicht. 
Die  Grundauffassungen  über  das  Zusammenstehen 
kommen  aus  Notwendigkeiten.  (Schon  mit  ermattender 
üewure)   Die  treueste  Auslegung  des  Bündnisses  ist 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  37 


578 


wechselseitige  Unterstützung  an  den  Fronten  gegen 
den  Feind.  Das  tut  die  Entente;  das  sollten  die 
Mittelmächte  tun.  (Erschöpft  beginnt  er  zu  taumeln.  Der 
Abonnent  und  der  Patriot  stützen  ihn.) 

Der  Patriot:  Aber  sie  tun  es  doch  —  kommen 
Sie  zu  sich  —  es  wird  sich  schon  alles  aufklären  — 
beruhigen  Sie  sich   —   man  wird  doch  da  sehn  — 

Der  aite  Biach:  Es  is  ein  Unterschied  —  es  is 
ein  Unterschied  —  Sie  glauben  vielleicht  es  is  kein 
Unterschied,  aber  ich  sag  Ihnen  es  is  j  a  ein  Unter- 
schied —  (er  weint.) 

Der  Patriot:  Natürlich  is  ein  Unterschied  — 
regen  Sie  sich  um  Gotteswillen  nicht  auf  —  man 
sieht  doch,  es  is  ein  Unterschied! 

Der  Abonnent:  Zu  was  regen  Sie  ihn  noch 
mehr  auf?  Es  is  kein  Unterschied! 

Der  Patriot:  Es  is  kein  Unterschied? 

Der  alte  Biach  (stöhnend):  Es  —  is  —  kein  — 
Unterschied  — ? 

Der  Abonnent:  Also  das  wissen  Sie  noch  nicht? 
Also  hören  Sie  zu!  Aus  Berlin  wird  gemeldet, 
gegenüber  gewissen  Auffassungen  in  der  Presse  wird 
in  hiesigen  informierten  Kreisen  betont,  daß  bis  heute 
eine  amtliche  Erklärung  über  Einzelheiten  der 
Besprechungen  im  Großen  Hauptquartier  nicht 
veröffentlicht  wurde.  Von  einem  Unterschied  zwischen 
dem  deutschen  und  österreichischen  amtlichen  Bericht 
über  die  Zusammenkunft  könne  keine  Rede  sein. 

(Der  alte  Biach  sinkt  um.) 

Der  Abonnent:  Gotteswilien  —  ihm  is  etwas 
nicht  wie  ihm  sein  sollte  — 

Die  Kurgäste  (massieren  sich):  Was  is  geschehn? 
—  Biach  is  unwohl  — 

Der  Patriot:  Niix  —  er  hat  sich  aufgeregt  — 


579 


Der  alte  Biach  (stöhnend):  Alles  —  umsonst  — . 
Es  is  —  kein  —  Unterschied.  Die  —  ganze  —  Müh  — 

Der  Abonnent:  Gotteswillen  —  wenn  ich 
geahnt  hätte  —  schrecklich! 

Der  Patriot:  Daß  ihm  das  so  nah  geht! 

Der  Abonnent:  No  ja,  ich  bitt  Sie,  es  is 
keine  Kleinigkeit. 

(Es  bilden  sich  Gruppen.) 

Die  Kurgäste:  Biach  gefällt  mir  etwas 
nicht  —  man  sollte  um  den  Dokter  schicken  — 
man  sollte  um  die  Frau  laufen  —  gestern  war 
er  doch  noch  —  ich  hab  ihn  noch  gekannt,  wie 
er  — 

Der  Patriot:  Wissen  Sie,  was  ich  glaub? 
(sich  vorsichtig  umsehend)  Er  hat  ihn  am  Gewissen! 

Der  Abonnent:  Versündigen  Sie  sich  nicht!  — 
Hören  Sie,  er  sagt  etwas  — 

Der  alte  Biach  (stöhnend):  Ausgebaut  —  und  — 
vertieft  — 

Der  Abonnent:  Hören  Sie  nur  — 

Der  alte  Biach  (verklärt):  Die  Nase  der 
Kleopatra    —   war  eine  ihrer  größten  Schönheiten. 

Der  Abonnent:  Er  phantasiert. 

Der  alte  Biach  (sich  groß  aufrichtend):  Es  — 
rieselt  —  im  —  Gemäuer. 

Der  Patriot:  Er  prophezeit. 

Der  alte  Biach  (sinkt  zusammen):  Das  —  is  — 
der  Schluß  —  vom  —  Leitartikel. 

Der  Abonnent  (aufschluchzend):  Biach  — ! 

(Er  stirbt.  Die  Beiden  verharren  erschüttert.  Schweigende  Gruppe 
der  Kurgäste.) 

Der  Abonnent:   Schad  um  ihm. 
Der  Patriot:  Er  hat  es  überstanden. 

(Verwandlung.) 


37* 


580 


10.  Szene 


Berlin,  Weinrestaurant  in  der  Passage.  Man  hört  ein  Orchestrion, 
welches  abwechselnd  die  Lieder  spielt:  >Eniil  du  bist  eene  Pflanze« 
und  »Sie  sind  doch  bekannt  mein  Lieber  als  Schieber,  als  Schieber«. 
Das  passierende  Publikum  besteht  aus  zumeist  älteren  Strichjungen 
mit  großen  Pranken.  Ein  Zeitungshändler  ruft  den  »Heiratsonkel« 
aus.  Ein  Ausrufer  ladet  in  Kastans  Panoptikum. 

(Zwei  freisinnige  Politiker,  Zulauf  und  Ablaß,  sitzen  an  einem 

Tisch.    Beide    haben    niedrigen   Stehkragen    mit    übereinander- 

Ijegenden  Enden,  Fertigmasche  und  Hornkneifer.) 

Ablaß  (erhebt  sein  Olas) :  Auf  die  VerfassungS- 
reform!  Pupille! 

Zulauf   (erhebt  sein  Glas):   Pupille! 

Ablaß:  Hörn  Se  mal  Zulauf,  dieses  Wort 
»Neuorientierung«  behagt  mir  nu  ganz  und  gar  nich. 

Zulauf:  Nanu? 

Ablaß:  Ich  würde  »Neuaufmachung«  vor- 
schlagen. 

Zulauf:  Famos!  Pupille! 

Ablaß:  Pupille! 

Zulauf:  Hörn  Se  mal  Ablaß,  haben  Se  heut 
schon  den  roten  Tach  jelesen? 

Ablaß:  Doch. 

Zulauf:  Hörn  Se  mal  Ablaß,  haben  Se 
heut  schon  das  B.  T.  gelesen?  Da,  'n  WTB  — 
(zieht  die  Zeitung  hervor.) 

Ablaß:  Nee. 

Zulauf:  Ist  aber  mächtich  intressant,  hörn  Se 
mal:  Brüssel  23.  Juli  (Wolff).  Dem  alten  auch  in 
der  Geschichte  Flanderns  von  Fürsten  und  ihren 
Vertretern  geübten  Brauche  folgend,  nahm  der 
Generalgouverneur  am  11.  Juli,  dem  vaterländischen 
Gedenktage  des  flämischen  Volkes,  um  ihn  der 
Erinnerung  der  Mit-  und  Nachwelt  einzuprägen, 
Anlaß  zu  einem  besonderen  Gnadenakte  und  entsprach 
der  Bitte  von  3000  zur  Feier  des  Gülden-Sporen- 
Festes  in  Antwerpen  versammelten  Flamen. 

Ablaß:  Sieh  mal  an! 


581 


Zulauf:  Der  Generalgouverneur  wollte  im  Hin- 
blick darauf,  daß  der  Erinnerungstach  des  flämischen 
Freiheitekampfes  sich  zum  erstenmal  seit  seinem 
Amtsantritt  jährt,  ihm  in  diesem  Jahre  durch  Maß- 
nahmen zur  Durchführung  der  flämischen  Volksrechte 
besondere  Bedeutung  verleihen. 

Ablaß:  Fein! 

Zulauf:  Demgemäß  wandelte  der  General- 
gouverneur die  vom  Feldgericht  des  Gouvernemangs 
Antwerpen  über  fünf  Flamen  verhängte  Todesstrafe 
in  lebenslängliche  Zuchthausstrafe  um.  —  Na  wat 
sagen  Se  nu? 

Ablaß:  Doli! 

Zulauf:  Wat?  Ja  's  weht  ne  andere  Luft  jetzt. 
3000  Flamen  auf  die  Bitte  von  ftinfen  begnadicht! 

Ablaß:  Ach,  Unsinn! 

Zulauf:  Doch.  Nee  —  ach  so  —  na  ejal. 
Jedenfalls,  Begnadijung  is  Begnadijung.  Die  Kerls 
haben  doch  nu  wenigstens  lebenslänglich.  Tja,  die 
Volksrechte  werden  eben  jetzt  mal  gründlich  durch- 
jeführt. 

Ablaß:  Kein  Zweifel,  daß  es  sich  der  Mit- 
und  Nachwelt  einprägen  wird. 

Zulauf:  'ne  schöne  Handlung.  Und  zur 
Erinnerung,  daß  es  der  erste  Erinnerungstach  des 
flämischen  Freiheitskampfes  unter  deutscher  Herr- 
schaft ist! 

Ablaß:  Kalassal ! 

Zulauf:  Wat?  Na  —  Pupille!  Auf  die 
deutsche  Freiheit! 

Ablaß:  Ich  tue  Ihnen  Bescheid.  Die  deutsche 
Freiheit!  Pupille! 

Zulauf  (nach  einer  Pause) :  Na,  morjen  sind  wa 
bei  Hindenburch  und  Ludendorff. 

Ablaß:  Morjen?  Morjen  sind  wa  doch  bei 
Schneider-Duncker ! 

Zulauf:  Vormittach  sind  \va  bei  Schneider- 
Duncker? 


582 


Ablaß:  Nee,  abends!  Vormittach  sind  wa  doch 
bei  Hindenburch  und  Ludendorff. 

Zulauf:  Richtich.  Na  und  fünfzehn  Minuten 
sind  jedem  von  uns  zujemessen.  Schlag  11  müssen 
wa  antreten. 

Ablaß:  Nackt? 

Zulauf:  Nee,  Frack! 

(Verwandlung.) 


11.  Szene 

Kriegsgeneral  Versammlung  des  sozialdemokratischen  Wah'.vereins 
des    Großberliner    Riesenwahlkreises    Teltow- Beskow- Storkow- 
Charlottenburg. 

Genosse  Schliefke  (Teltow):  —  —  Als 
Generalredner  der  Kriegsgeneralversanimlung  des 
sozialdemokratischen  Wahlvereins  des  Groß- 
berliner Riesenwahlkreises  Teltow-Beskovv-Storkow- 
Charlottenburg  fasse  ich  mithin  zusammen:  Wenn 
preußische  Sozialdemokraten  der  Einladung  in  das 
Reichsamt  des  Innern  folgen  und  der  Kaiser  an  dieser 
Besprechung  teilnimmt,  so  ist  dies  keine  Verletzung 
sozialdemokratischer  Grundsätze.  Auch  der  Genosse 
David  handelte  korrekt,  wenn  er  der  Einladung  des 
Kronprinzen  folgte.  Die  Sozialdemokratie  ist  eine 
revolutionäre  Partei  (Oho!-Rufe)  —  sie  muß  deshalb 
auch,  wenn  es  die  veränderten  Verhältnisse  erfordern, 
mit  alten  Traditionen  brechen  — 

Ein  Zwischenrufer:  Bei  Hof? 

Schliefke:  —  ich  meine  mit  ihren  eigenen 
Traditionen!  Sie  muß  in  ihren  eigenen  Reihen 
revolutionieren.  Sie  ist  eben  eine  durch  und  durch 
revolutionäre  Partei!   (Lebhafte  Zustimmung.) 

(Verwandlung.) 


583 


12.  Szene 

Bad  Gastein.  Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Ab onnent:  Ich  bin  Überzeugt,  daß  durch  den 
Ausbau  des  Bündnisses  — 

Der  Patriot:  Ich  zweifle  nicht,  daß  dann  der 
Abbau  des  Hasses  — 

Der  Abonnent:  Vermuthch  würde  durch  die 
Vertiefung  des  Bündnisses  — 

Der  Patriot:  Ich  glaube,  daß  dadurch  eine 
Erhöhung  der  Preise  — 

Der  Abonnent:  Ohne  Zweifel  könnte  der 
Abbau  der  Preise  — 

Der  Patriot:  Mir  scheint,  daß  dafür  eine 
Erhöhung  des  Hasses  — 

Der  Abonnent:  Ich  glaube  aber,  daß  ein 
Ausbau  der  Preise  — 

Der  Patriot:  Ich  meine,  daß  dadurch  eine 
Vertiefung  des  Hasses  — 

Der  Abonnent:  Vermutlich  würde  durch  eine 
Erhöhung  des  Bündnisses  — 

Der  Patriot:  Mir  scheint,  daß  dadurch  ein 
Ausbau  des  Hasses  — 

Der  Abonnent:  Anderere- eits  bin  ich  überzeugt, 
daß  sich   durch  einen  Abbau  des  Bündnisses  — 

Der  Patriot:  —  unschwer  eine  Vertiefung 
der  Preise  herbeiführen  ließe. 

(Verwandlung.) 

13.  Szene 

Bureauziminer  bei  einem  Kommando. 

Ein  Generalstäbler  (beim Telephon):  —  servus 

—  aber  nein  —  ich  bins,  der  Kobatsch  —  der  Peham 
is  auf  Urlaub  —  Also  hörst  —  natürlich,  a  Massa 
Tote  —  danke,  man  lebt  —  Weißt  wegen  der  phan- 
tastischen Gefangenenziffern,  was  die  Russen  angeben 

—  no  mußt  halt  schreiben,  woher  können  s'  denn  das 


584 


so  genau  wissen,  das  laßt  sich  doch  gar  nicht 
zählen!  —  Was?  —  Noja,  das  is  wirklich  schwer 
den  Leuten  plausibel  z'machen.  Weißt,  mußt  halt 
sagen,  solange  sich  die  Angaben  in  bescheidenen 
Grenzen  bewegt  haben,  also  täglich  10.000,  da  hat 
mas  hingehn  lassen,  aber  wo's  amal  hundert- 
tausend übersteigt,  also  das  geht  nicht!  —  Was?  — 
Noja,  mußt  halt  schreiben,  daß  man  das  doch  gar 
nicht  zählen  kann  und  so,  wo  also  so  viel  sein!  — 
Was?  Wir  zählen  selber  immer?  Noja,  wir,  wir,  aber 
der  Feind,  das  is  doch  was  andreas!  —  Was?  Was 
wern  s'  sagen?  Der  Feind  kann,  wann  s'  so  zuströmen, 
nicht  so  schnell  zählen,  aber  wir  können  leichter  unsere 
Verluste  zählen  — ?  Herstellt  pomali,  wir  harn  ja 
gezählt  und  wir  sind  eben  nach  genauer  Berechnung 
auf  eine  weit  geringere  Ziffer  gekommen,  verstehst! 
Die  Hauptsach  is,  du  sagst  immer:  phantastische 
Gefangenenziffern  —  du,  das  is  sehr  wichtig,  daß  d' 
das  sagst.  No  wirst  scho  machen  —  wann  drauf  steht 
»amtlich«,  so  is's  eh  scho  die  halberte  Wahrheit  und 
die  andere  Halbscheid  machst  halt  dazu,  bist  ja  ein 
gscheiter  Bursch,  also  servus  servus  —  Schluß! 

(Verwandlung.) 

14.  Szene 

Schlachtfeld  bei  Saarburg. 

Hauptmann  Niedermacher:  Immer  wieder 
zögern  unsre  Jungens.  Jeder  von  ihnen  weiß  längst, 
daß  General  Ruhmleben  bei  einer  Besprechung  der 
Kampflage  den  prägnanten  Befehl  gegeben  hat, 
Kriegsgefangene,  ob  verwundet  oder  unverwundet, 
mit  Gewehrkolben  oder  Revolver  niederzumachen 
und  Verwundete  auf  dem  Feld  zu  erschießen,  wie 
die  Lügenpropaganda  unsrer  Feinde  behauptet. 

Major  Metzler:  Ruhmleben  handelt  getreu 
der  alten  Devise  unsres  obersten  Kriegsherrn:  Pardon 


585 


wird  nicht  gegeben,  Gefangene  werden  nicht  gemacht! 
S.M.  hat  überdies  befohlen,  Spitalschilfe  zu  versenken, 
und  da  werden  wir  uns  zu  Lande  nicht  beschämen 
lassen ! 

Niedermacher:  Ich  habe  den  Brigadebefehl 
über  die  Erledigung  der  Kriegsgefangenen  von 
Mund  zu  Mund  an  die  Kompagnie  weiter  gegeben. 
Aber  immer  wieder  zögern  die  Kerls, 

Metzler:  Das  wollen  wir  doch  mal  sehn,  da 
gibts  ja  Gelegenheit.  (Er  stößt  einen  anscheinend  toten 
französischen  Unteroffizier  mit  dem  Fuß  an.)  Na  also,  der  Öffnet 
noch  die  Augen.  (Er  winkt  zwei  Soldaten  heran.  Sie  zögern.) 
Ist  euch  der  Brigadebefehl  nicht  bekannt?  (Die  Soldaten 
schießen.)  Da  hockt  einer  —  mir  scheint  gar,  der 
trinkt  Kaffee!  (Er  winkt  einen  Soldaten  heran.)  Hör  mal 
Niedermacher,  du  magst  die  Angelegenheit  indessen 
erledigen,  ich  muß  bei  mir  zum  Rechten  sehn. 
(Ab.  Der  Verwundete  fällt  vor  Niedermacher  auf  die  Knie  und 
hält  die  Hände  flehend  empor.) 

Niedermacher  (zu  dem  Soldaten,  der  zögert): 
Gefangene  werden  nicht  gemacht! 

Der  Soldat:  Eben  noch  habe  ich  ihn  verbunden 
und  gelabt,  Herr  Hauptmann  — ! 

Niedermacher:  Er  wird  dir  dafür  die  Augen 
ausstechen  und  die  Kehle  durchschneiden.  (Der  Soldat 
zögert.  In  Rage:)  Sie  schießen  heimtückisch  von  hinten 
und  von  oben.  Schießt  sie  von  den  Bäumen  wie  die 
Spatzen,  hat  der  General  gesagt.  Alles  muß  zusammen- 
geschossen werden,  hat  der  General  gesagt.  Soll 
ich  es  dir  befehlen,  Kerl?  Zwanzig  sind  heute  erlegt 
worden,  und  du  Kerl  hast  Bedenken?  Bist  du  ein 
deutscher  Mann?  Das  wirst  du  zu  verantworten  haben! 
Muß  man  denn  für  euch  Hosenscheißer  immer  selbst 
zugreifen?  Da  —  sieh  her,  wie  mans  macht! 
(Er  erschießt  den  knieenden  Verwundeten.) 

(Verwandlung.) 


586 


15.  Szene 


Bei  Verdun.  Deutsche  Gefangene  sind  aufgestellt.  Französische 
Uateroftiziere  erteilen  Faustschläge,  Reitpeitschenhiebe  und 
Kolbenstöße.  Jene  werden  weiter  getrieben.  Verwundete  sinken 
ermattet  nieder.  Einem  quillt  Blut  aus  Mund  und  Nase.  Nachdem 
der  Zug  vorbei  ist,  erscheint  der  General  Gloirefaisant.  Er  winkt 
und  gefangene  Offiziere  werden  vor  ihm  im  Parademarsch  vorbei- 
geführt. Einem  schlägt  ein  französischer  Offizier  mit  der  Reit- 
peitsche auf  die  Schenkel. 

General  Gloirefaisant  (zu  einem  Hauptmann): 
Zu  viel  Gefangene!  Meine  Nettoyeurs  liegen  auf  der 
faulen  Haut.  Uns  fehlt  ein  Roland  Campbell,  dieser 
vorbildliche  Lehrer  für  Bajonettübungen.  Er  macht 
das  Blut  der  Jugend  gerinnen  durch  seine  Bered- 
samkeit über  die  Methoden  des  Angriffs,  um  die 
Leber,  die  Augen  und  die  Nieren  des  Feindes  zu 
durchstoßen.  Wie  sagte  er  doch?  »Ihr  könnt  einem 
Deutschen  begegnen,  der  sagt:  , Mitleid,  ich  habe 
zehn  Kinder!'  .  .  .  Tötet  ihn,  er  könnte  noch  zehn 
bekommen.«  Verlaß  ist  nur  auf  unsere  Schwarzen. 
Ihre  Rucksäcke  mit  abgeschnittenen  Ohren  und 
Köpfen,  von  denen  die  Lügenberichte  der  Boches 
erzählen,  sind  unwiderlegliche  Trophäen.  Wir  sollten 
uns  von  unsern  Hilfstruppen  nicht  beschämen 
lassen.  (Ab.) 

Hauptmann  de  Massacre:  Man  kann  es 
ihm  nicht  recht  machen. 

Oberst  Meurtrier:  Wie?  So  wenig  Gefangene? 
Zv/anzig?  Ich  glaubte,  daß  Sie  eine  ganze  Kompagnie 
haben ! 

de  Massacre:  Ich  hatte  sie.  Aber  die 
übrigen  sind  da  unten  im  Schützengraben  verreckt. 
Ich  habe  meinen  Leuten  den  Befehl  erteilt,  180  mit 
dem  Bajonett  niederzumachen.  Die  braven  Jungen 
zögerten  wohl,  aber  ich  stellte  ihnen  kurzen  Prozeß 
in  Aussicht  und  da  gings  mit  Halsabschneiden  und 
Bauchaufschlitzen. 

Meurtrier  (ungehalten):  180?  Das  ist  zu  viel! 
Das  wäre  selbst  dem  General  zu  viel!  Ich  rate  Ihnen, 


587 


über  diese  Sache  nicht  zu  sprechen,  wenn  Sie  nicht 
riskieren  wollen,  aus  der  Liste  der  Ehrenlegion 
gestrichen  zu  werden. 

de  Massacre  (selbstbewußt):  Ich  glaube  im 
Gegenteil,  Herr  Oberst,  daß  ich  in  einigen  Tagen 
das  Kreuz  der  Ehrenlegion  tragen  werde!  Und  dann 
bekomme  ich  das  Regiment  von  Korsika.  Meine 
Taten  eröffnen  mir  die  Bahn  und  mein  Ziel  soll 
der  Ausgangspunkt  der  gloire  sein. 

(Vei  Wandlung.) 

16.  Szene 

Kriegspressequartier  in  Rodaun. 

D  i  e  S C h  a  1  e  k  (zu  einem  Kameraden):  Die  208  Leiclien- 
photographien  legitimieren  mich  wohl  zur  Genüge  vor 
der  Nachwelt;  sie  wird  nicht  zweifeln,  daß  ich  mitten 
drin  war  im  heroischen  Erleben.  Damit  Sie  sich  aber 
ein  Beispiel  nehmen,  damit  Sie  sehn,  was  wirkliche 
Schlachtcnschilderung  ist,  will  ich  Ihnen  nur  die 
Kernsätze  aus  meinem  nächsten  Feuilleton  vorlesen. 
Ich  gehe  davon  aus,  wie  aus  70  Batterien  in  vier 
Gruppen  geschossen  wird,  eine  beledert  die  Infanterie, 
die  zweite  die  Artillerie,  die  dritte  die  Reserve- 
Stellungen  und  die  vierte  sperrt  die  Anmarschwege, 
verstehn  Sie,  also  hören  Sie  zu: 

Die  Hauptfrage  ist:  \Vie  und  wo  und  wann 
kann  abgeriegelt  werden. 

Beinahe  wie  ein  eingelerntes  Theaterstück  rollt 
sich  das  ab. 

Waldkämpfe  sind  das  Schauerlichste  im 
Schauerlichen. 

Man  hält  sich  für  umzingelt  und  inzwischen 
hat  anderswo  die  emgetroifene  Verstärkung  bereits 
»ausgeputzt«. 

Der  Kamerad:  Ausgeputzt? 


588 


Die  Schalek:  Hören  Sie  zu  —  Der  Tote  ist  tot. 
Nur  der  lebend  Gebliebene  gewinnt  den  Ruhm. 

Der  Kamerad:  Glänzend! 

Die  Schalek:  In  einen  sechsspännigen  Muni 
tionswagen  geht  ein  Volltreffer. 

Der  Kamerad:  Ssss ! 

Die  Schalek:  Viele  von  den  Leuten  fliegen 
in  Stücken  in  die  Wipfel  hinauf. 

Die  Feinde  werfen  Handgranaten  und  es 
entspinnt  sich  ein  rasendes  Handgemenge;  mit 
Dolchen,  Kolben,  Messern,  Zähnen  wird  gerauft. 

Fliegen  die  Granaten  zu  weit,  so  werden  die 
Kappen  geschwenkt  und  den  Geschossen  Ver- 
beugungen gemacht. 

Der  Kamerad:  Ein  Genrebild. 

Die  Schalek:  »Habe  die  Ehre«  rufen  sie  ihnen 
nach.  Und  zwischendurch  wird  darüber  geschimpft,  daß 
die  Russen  ausgerechnet  am  Gagetag  losgegangen  sind. 

Der  Kamerad:  Ausgerechnet. 

Die  Schalek:  »Wollen  die  unserem  Ärar  die 
Löhnungen  ersparen?  Gerade  hätte  die  Auszahlung 
beginnen  sollen!« 

Der  Kamerad:   Humor  im  Felde. 

Die  Schalek:  Warum  soll  er  nicht  in  seine 
Rechte  treten?  Hören  Sie  zu. 

Der  Oberleutnant  Radoschewitz  ist  jetzt  ganz 
ruhig.  Seine  innere  Krisis  ist  vorbei. 

Der  Kamerad:  Sic  nennen  ihn? 

Die  Schalek:  Warum  nicht,  wenn  er  geleistet 
hat?  Hören  Sie  zu. 

Welche  Freude!   Eine  Kiste  deutscher  Eier  — 

Der  Kamerad:  Das  glaub  ich! 

Die  Schalek:  Lassen  Sie  mich  ausreden. 

Welche  Freude!  Eine  Kiste  deutscher  Eier- 
granaten ist  dort,  das  sind  kleine  Wurfgeschosse,  die 
man  wie  Steine  schleudern  kann. 

Der  Kamerad:  Ah,  so  is  das! 


589 


Die  Schalek:  Einer  hat  einen  Armschuö 
bekommen,  einem  ist  das  Trommelfell  geplatzt.  Der 
Oberleutnant  ist  wie  taub.  Er  taumelt.  Einer  neben 
ihm  hat  einen  Nervenchok. 

Feldwebel  Janoszi  brlillt  eine  Rede. 

Der  Kamerad:  Sie  nennen  ihn? 

Die  Schalek:  Warum  nicht,  das  stille  Helden- 
tum des  einfachen  Mannes  — ?  Hören  Sie  zu. 

Singend  gehen  sie  los.  »Stochere  ihn  aus  dem 
Graben  — «  so  beginnt  das  muntere  Lied,  das  so 
wehmütig  endet. 

Der  Kamerad:  Fesch! 

Die  Schalek:  Die  Leute  stürzen  sich  nun 
über  die  dritte  Linie  her  und  jetzt  gehen  die 
Sturmtruppen  nach  beiden  Seiten  vor  und  sie  wird 
ausgeputzt. 

Die  Methoden  wechseln  beständig,  und  die 
neueste  unter  den  neuen  ist  die  der  »Sturmtruppen« 
und  der  »Grabenputzerei«. 

(Mit  leuchtenden  Augen.)  Wer  je  eine  Sturmtruppe 
nachts  beim  Ausmarsch  gesehen  hat,  wird  nie  wieder 
ein  Erlebnis  romantisch,  abenteuerlich,  verwegen 
finden.  Und  wer  je  zu  ihnen  gehört  hat,  möchte 
um  keinen  Preis  der  Welt  wieder  fort. 

Der  Kamerad:  Das  kann  ich  Ihnen  nachfühlen! 

Die  Schalek:  Lauter  ganz  junge,  unverheiratete 
Leute  unter  vierundzwanzig  müssen  sie  sein.  Schlank, 
beweglich,   kühn   und   zu   tollen   Streichen  geneigt. 

Der  Kamerad:  Ja  die  Jugend  — ! 

Die  Schalek:  Genau  nach  dem  Muster  der 
wirklichen  Front  wird  hinten  ein  Übungsplatz  angelegt 
und  das  Ausputzen  im  wirklichen  Feuer  gelernt. 

Ist  eine  besondere  Aufgabe  im  Feindesgebiet 
zu  leisten,  so  wird  sie  mit  allen  Einzelheiten  wie 
ein  Theaterstück  geprobt.  Das  Leichteste  ist 
natürlich  das  gewöhnliche  Putzen. 

Der  Kamerad:  Natürlich. 


590 

Die  Schalek:  Zwei  Handgranatenwerfer  gehen 
voran. 

Ist  die  Handgranate  geworfen,  so  rennt  die 
Gruppe  um  die  Traverse  herum.  Die  Infanterie, 
die  folgt,  besetzt  dann  die  geputzten,  das  heißt, 
die  eroberten  Gräben, 

Die  Sturmtruppen  auf  der  Lysonia  unter 
Führung  des  Oberleutnants  Taiika,  des  Leutnants 
Kovacs  und  des  Fähnrichs  Sipos  arbeiten  wie  in 
der  Schule.  Sie  glühen  vor  Eifer  und  Wichtigkeits- 
gefühl. 

Die  Exaktheit  ihrer  Bewegungen,  das  Ineinander- 
greifen ihrer  Wirkungen  ist  erstaunlich,  erschütternd, 
gewaltig. 

Bis  zehn  Uhr  abends  wird  geputzt. 

Der  Kamerad:  No  aber  es  muß  doch  schon 
endlich  rein  sein?! 

Die  Schalek:  Was  fällt  Ihnen  ein,  noch 
lang  nicht! 

Da  sind  es  insbesondere  der  Leutnant  Pinter 
und  die  Gefreiten  Juhasz  und  Baranyi,  die  ihre 
Sache  so  ganz  besonders  bedächtig  und  vorschrifts- 
mäßig durchführen. 

Die  erste  Linie  aber  wird  noch  drei  Tage  lang 
geputzt.  Dort  findet  man  am  dritten  Tage  einen 
Verwundeten,  dessen  Heil  es  bedeutet,  daß  die 
»Putzerei«  so  lange  gedauert  hat.  Er  bekam  einen 
Bauchschuß  und  ist  nur  durch  das  fürchterliche 
dreitägige  Liegen  und  Fasten  gerettet. 

Der  Kamerad:  Da  sieht  man  erst  wie  gesund 
das  Putzen  is. 

Die  Schalek:  Selbstredend. 

Nun  da  die  Sturmtruppen  mit  Handgranaten 
ihre  Fuchslöcher  ausräuchern,  schreien  sie  um  Gnade. 

Der  Kamerad:  Sagen  Sie  bittsie,  das  haben  Sie 
alles  mit  eigenen  Augen  — 


591 


Die  Schalek:  Da  könnte  ich  Ihnen  noch  ganz 
andere  Dinge  erzählen!  Unterbrechen  Sie  mich  nicht 
immer. 

Während  der  drei  Tage,  in  denen  vorne  geputzt 
wird,  säubert  der  Kommandant  Oberst  Sold  von 
Dreihundertundacht  mit  seinen  übriggebliebenen 
Truppen  den  Wald. 

Der  Kamerad:   Wo  waren  die  andern? 

Die  Schalek:  So  viel  Leichen  hat  er  noch 
nie  gesehen.  Tag  und  Nacht  arbeitet  man,  alle  zu 
verscharren. 

Ein  paar  Gänse  retten  sich  aus  dem  zertrümmerten 
Käfig  und  spazieren  nun  wohlgemut  im  Trommel- 
feuer umher.  — 

Also  was  sagen  Sie? 

Der  Kamerad:  Ich  bin  begeistert.  Wenn  nicht 
das  mit  dem  Putzen  war  —  kein  Mensch  möcht 
merken,  daß  es  eine  Frau  geschrieben  hat! 

Die  Schalek:  Wie  meinen  Sie  das? 

Der  Kamerad:  Ich  meine,  wie  Sie  das 
Ausputzen  schildern  —  daß  Sie  so  viel  Wert  auf 
Reinlichkeit  im  Schützengraben  — 

Die  Schalek:  Wie? 

Der  Kamerad:  No  —  die  Putzerei  —  wie  Sie 
sich  das  loben  I 

DieSchalek (ihm  einen  veräcH tlichen Bück  zuwerfend) : 
Sie  blutiger  Laie!  Putzen  heißt  Massakrieren! 

Der  Kamerad  (zurücktaumelnd  und  sie  anstarrend): 
Wissen  Sie  — 1 

Die  Schalek:  Das  haben  Sie  nicht  gewußt? 
Die  Herrn  Kollegen! 

Der  Kamerad:  Aber  — 

Die  Schalek:  Fassen  Sie  sich,  ä  la  guerre 
comme  ä  la  guerre. 

Der  Kamerad:  Da  muß  ich  schon  sagen  — 
unsereins  — 

Die  Schalek:  Nun? 


592 


Der  Kamerad:  Koschamadiener!  (Nach  einer 
Pause,  in  der  er  sie  stumm  betrachtet,  ekstatisch.)  So  etwas 
ist  nur  in  Rußland  möglich !  Oder  in  Frankreich,  bei  der 
Jungfrau  von  Orleans!  Wie  sagt  doch  Sajten,  wenn 
dann  den  Männern  jegliches  Hoffen  entsinken  wollte, 
stand  solch  ein  Mädchen  auf,  geweckt  und  begeistert, 
von  der  Gewalt  des  Unglücks  aus  seiner  eingebornen 
Natur  gerissen,  und  trat  hervor,  um  die  Männer  an- 
zufeuern. An  diese  einzelnen  Gestalten  geben  wir 
unser  Bewundern  hin;  sie  sind  vom  Strahl  des  Ruhmes 
umleuchtet,  sind  vom  Reiz  großer  Tapferkeit  und 
poetischer  Abenteuer  umwittert,  und  gerade  weil  sie 
als  seltene  Ausnahmen  gelten  dürfen,  fühlen  wir 
uns  so  sehr  bereit,  sie  durchaus  zu  idealisieren,  daß 
der  nüchterne  Verstand  gar  nicht  dazu  gelangt,  sich 
all  der  vielen  furchtbaren,  häßlichen  und  rohen  Dinge 
zu  besinnen,  die  sie  doch  zweifellos  selbst  getan 
oder  mitangesehen  haben  müssen. 

Die  Schalek:  Es  muß  sein! 

Der  Kamerad:  Nein,  das  war  nicht  im 
Feuilleton  »Es  muß  sein«,  sondern  im  Feuilleton 
über  das  russische  Todesbataillon.  Da  werden  Weiber 
zu  Hyänen. 

Die  Schalek:  Wie  meinen  Sie  das  — ? 

Der  Kamerad:  Unterbrechen  Sie  mich  nicht. 
An  solchen  Ausartungen  der  weiblichen  Natur  können 
wir  nicht  schweigend  vorübergehen,  weil  sie  manches 
erklären,  was  zu  den  Erlebnissen  des  Krieges  gehört. 
Diese  abstoßende  Unweiblichkeit,  diese  auf  der  Gasse 
zur  Schau  getragene  Gemütlosigkeit  sind  Merkmale 
ernster  Verwilderung  — 

Die  Schalek:  Sie,  erlauben  Sie  mir  —  Sie 
haben  doch  gerade  —  das  ist  sehr  unkollegial  von 
Ihnen  —  woraus  ist  das? 

Der  Kamerad:  Aus  dem  Leitartikel,  von 
Ihm  selbst,  lassen  Sie  mich  ausreden  —  Wie  das 
immer  zu  sein  pflegt,  daß  die  Frau,  wenn  sie  aus 
der  Eigenart  des  Geschlechtes  heraustritt,  ihre  Zartheit 


593 


abstreift  und  sich  zum  Mannweib  verunstaltet,  zu 
einer  seltsamen  Grausamkeit  neigt,  hat  sich  diese 
Erfahrung  auch  in  England  wiederholt. 

Die  Seh  alek:  Ah  so! 

Der  Kamerad:  Da  werden  Weiber  zu  Hyänen! 
Die  Spinster  — 

Die  Schalek:  Sie,  wer  gibt  Ihnen  eine  Spinster 
ab?   Ich   beschwer   mich   beim    Eisner  von   Bubna! 

Der  Kamerad:  Hören  Sie  zu  —  die  Spinster 
darf  nicht  mit  ihrer  festländischen  Schwester  verglichen 
werden.  Diese  ist  gewöhnlich  ein  liebes,  gutmütiges 
und  bescheidenes  Wesen. 

Die  Schalek  (geschmeichelt):  No  SO  einen  Leit- 
artikel schreibt  ihm  heut  doch  keiner  nach! 

Der  Kamerad:  Dem  Himmel  sei  Dank,  daß 
eine  österreichische  Frau  im  Kriege  dort  ihren  Platz 
gewählt  hat,  wo  Kranke  zu  pflegen,  Müde  zu  erfrischen 
und  Bedrückte  zu  trösten  sind. 

Die  Schalek:  Was  heißt  das?  Das  steht  so? 
Wissen  Sie  —  er  läßt  sich  manchmal  doch  von  seinem 
Temperament  fortreißen.  Man  darf  nicht  generalisieren. 
Alles  zu  seiner  Zeit.  Man  kann  nicht  immer  im 
Hinterland  hocken.  Bekanntlich  hab  ich  das  Schwarz- 
gelbe Kreuz  angeregt  zusammen  mit  der  Anka  Bienerth  I 

Der  Kamerad:  Das  weiß  man,  regen  Sie  sich 
nicht  auf  — 

Die  Schalek  (mit  Tränen  kämpfend,  entschlossen) : 
Grad  schick  ich  ihm  das  Feuilleton! 

Der  Kamerad:  Nu  na  nicht.  Aber  den  Schluß- 
satz rat  ich  Ihnen  streichen  Sie. 

Die  Schalek:  Den  Schlußsatz?  (Sie  blickt  in  das 
Manuskript)  Ein  paar  Gänse  retten  sich  aus  dem 
zertrümmerten  Käfig  und  spazieren  nun  wohlgemut 
im  Trommelfeuer  herum  —  Das  soll  ich  streichen? 

Der  Kamerad:  Ja. 

Die  Schalek:  Warum? 

Der  Kamerad:  So. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  38 


594 


Die  Schalek:  Also  sagen  Sie  — 

Der  Kamerad  (zögernd):  Ja  wissen  Sie  denn 
niclit  — 

Die  Schalek:  Was  denn? 

Der  Kamerad:  —  daß  das  Kriegspressequartier 
beschlossen  hat  — 

Die  Schalek:  Ja  was  denn? 

Der  Kamerad:  —  von  jetzt  an  außer  Ihnen 
noch  ein  paar  Kriegsberichterstatterinnen  zuzulassen ! 

Die  Schalek  (betroffen,  dann  bitter  lachend):  Dank 
vom  Haus  Österreich !  (Sif^  will  gehen,  vermag  es  aber  nicht.) 

(Verwandlung.) 

17.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patiiot  im  Gespräch. 

Der  Abonnent:  Was  sagen  Sie  zu  den 
Gerüchten  ? 

Der  Patriot:  Ich  bin  besorgt. 

Der  Abonnent:  In  V/ien  sind  Gerüchte  ver- 
breitet, daß  in  Österreich  Gerüchte  verbreitet  sind. 
Sie  gehen  sogar  von  Mund  zu  Mund,  aber  niemand 
kann  einem  sagen  — 

Der  Patriot:  Man  weiß  nichts  Bestimmtes, 
es  sind  nur  Gerüchte,  aber  es  muß  etwas  dran  sein, 
wenn  sogar  die  Regierung  verlautbart  hat,  daß 
Gerüchte  verbreitet  sind. 

Der  Abonnent:  Die  Regierung  warnt  aus- 
drücklich, die  Gerüchte  zu  glauben  oder  zu  ver- 
breiten, und  fordert  jeden  auf,  sich  an  der  Unter- 
drückung der  Gerüchte  tunlichst  auf  das  energischeste 
zu  beteiligen.  No  ich  tu  was  ich  kann,  wo  ich  hin- 
komm sag  ich,  wer  gibt  auf  Gerüchte? 

Der  Patriot:  No  die  ungarische  Regierung  sagt 
auch,  daß  in  Budapest  Gerüchte  verbreitet  sind,  daß 
nämlich  in  Ungarn  Gerüchte  verbreitet  sind,  und 
warnt  auch. 


595 


Der  Abonnent:  Mit  einem  Wort,  es  hat 
stark  den  Anschein,  daß  die  Gerüchte  in  der  ganzen 
Monarchie  verbreilct  sind. 

Der  Patriot:  Ich  glaub  auch.  Wissen  Sie, 
wenn  mans  nur  gerüchtweise  gehört  hätte,  aber  die 
österreichische  Regierung  sagt  es  doch  ausdrücklich 
und  die  ungarische  auch. 

Der  Abonnent :  Es  muß  etwas  dran  sein.  Aber 
wer  gibt  auf  Gerüchte? 

Der  Patriot:  Selbstredend.  Wenn  ich  wen  von 
Bekannte  treff,  frag  ich  zuerst,  ob  er  schon  von  den 
Gerüchten  gehört  hat,  und  wenn  er  sagt  nein,  sag 
ich  ihm,  er  soll  sie  nicht  glauben,  sondern  ihnen 
erfordeilichenfalls  sofort  tunlichst  auf  das  energischeste 
entgegentreten.  Das  is  das  mindeste,  was  man  ver- 
langen kann  —  die  erste   Pflicht   der  Loyalität! 

Der  Abonnent:  Es  muß  etwas  dran  sein,  denn 
sonst  v/ären  doch  nicht  die  drei  Abgeordneten,  wissen 
Sie,  die  immer  zusamm  ausgehn,  beim  Minister- 
präsidenten Seidler  erschienen  und  hätten  ihn  auf  die  im 
Umlauf  befindlichen  Gerüchte  aufmerksam  gemacht. 

Der  Patriot:  No  sehn  Sie?  Aber  der  Minister- 
präsident hat  gesagt,  daß  ihm  die  in  Frage  stehenden 
und  im  Umlauf  befindlichen  Gerüchte  wohl  bekannt 
seien. 

Der  Abonnent:  No  sehn  Sie?  Wissen  Sie, 
was  ich  glaub?  Ich  sag  Ihnen  im  Vertraun  — 
die  Gerüchte  betreffen  das  angestammte  —  (er  nimmt 
sich  das  Blatt  vor  den  Mund.) 

Der  Patriot:  Was  Sie  nicht  sagen!  Ich  weiß 
sogar  mehr.  Die  Verbreiter  der  Gerüchte  wollen 
den  Glauben  der  Bevölkerung  an  dasselbe  vergiften! 

Der  Abonnent:  Was  Sie  sagen!  Und  es  heißt 
sogar,  daß  die  Gerüchte  zur  Ursprungszeit  jedesmal 
an  ganz  verschiedenen  Stellen  gleichzeitig  zu  ver- 
nehmen seien,  weshalb  — 


38* 


596 


Der  Patriot:  —  die  Annahme  gerechtfertigt 
ist,  daß  man  es  mit  einer  Organisation  der  Gerüchte 
zu  tun  habe. 

Der  Abonnent:  Sagt  man!  Aber  das  sind 
doch  schließlich  nur  Gerüchte,  wer  kann  das  so  genau 
festgestellt  haben  —  bittsie  gleichzeitig  an  verschie- 
dene Stellen! 

Der  Patriot:  Sagen  Sie  das  nicht.  Die 
Regierung  kann  das.  Wissen  Sie  was  man  sagt? 
Man  sagt,  die  Verbreitung  der  Gerüchte  sei  ein 
neues  Zeichen  der  aus  den  Reihen  unserer  Feinde 
kommenden  Versuche,  bei  uns  Verwirrung  zu  stiften. 
Aber  da  strengen  sie  sich  vergebens  an! 

Der  Abonnent:  Hab  ich  auch  gehört.  Man 
sagt  sogar,  die  Gerüchte  gehören  in  das  Arsenal 
unserer  Gegner,  die  kein  Mittel  scheuen,  um  das 
Gefüge  der  Monarchie  zu  erschüttern  sowie  die  Bande 
der  Liebe  und  Verehrung  zu  lockern,  nämlich  zum 
angestammten  —  (er  nimmt  sich  das  Blatt  vor  den  Mund.) 

Der  Patriot:  Was  Sie  nicht  sagen!  No  — 
da  wern  sie  auf  Granit  beißen! 

Der  Abonnent:  Wissen  Sie  was? 

Der  Patriot:  No  — ? 

Der  Abonnent:  Wissen  möcht  ich,  was  an 
den  Gerüchten  dran  is! 

Der  Patriot:  Das  kann  ich  Ihnen  sagen: 
gar  nix  is  dran  und  der  beste  Beweis  is,  daß 
man  nicht  einmal  weiß,  was  es  für  Gerüchte  sind. 
Wissen  Sie  was? 

Der  Abonnent:  No  — ? 

Der  Patriot:  Wissen  möcht  ich,  was  es  für 
Gerüchte  sind! 

Der  Abonnent:  No  was  wern  es  schon  für 
Gerüchte  sein  I  Schöne  Gerüchte  das,  von  Mund  zu  Mund 
gehn  sie,  aber  kein  Mensch  kann  einem  sagen  — 

Der  Patriot:  Man  is  rein  auf  Gerüchte 
angewiesen! 

(Verwandlung.) 


597 


18.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Was  sagen  Sie  zu  den 
Gerüchten? 

Der  Nörgler:  Ich  kenne  sie  nicht,  aber  ich 
glaube  sie. 

Der  Optimist:  Ich  bitt  Sie,  die  Lügen  der 
Entente  — 

Der  Nörgler:  —  sind  bei  weitem  nicht  so 
bedenklich  wie  unsere  Wahrheiten. 

Der  Optimist:  Das  einzige,  was  allenfalls 
den  Gerüchten  Nahrung  geben  könnte,  wäre  — 

Der  Nörgler:  —  daß  wir  keine  haben. 

(Verwandlung.) 


19.  Szene 

Michaelerplatz.    Die  Burgmusik  zieht  vorbei.    Hinter  ihr  die 
Pülcher.   Trommelwirbel. 

Chor  der  Pülcher: 

KabrrottkamöU  —  karauchtabak  — 

Kabrrottkamöll  —  karauchtabak  — 

Stier  —  stier  —  stier. 

O  —  du  mein  —  Österreich  —  Österreich  — 

(Die  Musik  entternt  sich.) 


20.  Szene 

Militärkommando. 

Ein  Hauptmann  (diktiert  ablesend):  Reservat!  — 
Kriegsgefangene,  die  von  ihrer  Arbeitsstelle  nichtiger 
Ursachen  wegen  entflohen  sind  und  wieder  einge- 
bracht wurden,  sind  mit  dem  mindestens  einmaligen 
zweistündigen  Anbinden    zu   bestrafen  —  (es  klingelt) 


598 


Was  is  denn?  —  Ah  so  —  ja  natürlich  —  20  Kilo 
Nullermehi  —  na  ja,  wer'  schaun  —  grüß  dich!  — 
Also  wo  sind  wir? 

Die  Schreibkraft:  —  mindestens  einmaligen 
zweistündigen  Anbinden  zu  bestrafen  — 

Der  Hauptmann:  —  und  nach  der  Ver- 
büßung der  Strafe  —  wenn  dies  bei  Berücksichtigung 
der  speziellen  Fälle  opportun  erscheint  —  grund- 
sätzlich und  ehestens  auf  ihre  frühere  Arbeitsstelle 
zurückzusenden.  Die  Kommandos  der  Kriegs- 
gefangenenlager haben  zu  trachten,  durch  Anwendung 
aller  zulässigen  Strafmittel,  sodann  durch  Heran- 
ziehung zu  den  beschwerlichsten  Arbeiten  im 
Kriegsgefangenenlager  den  geflüchteten,  wieder 
eingebrachten  und  dem  Kriegsgefangenenlager 
zugeschobenen  Kriegsgefangenen  den  Aufenthalt 
nach  Möghchkeit  zu  verleiden,  —  (Es  klingelt.)  Was 
is  denn  scho  wieder?  —  Ah  so  —  ja  natürlich  — 
C-Befund  —  fünf  Kilo  Filz  —  sag  ihm,  wer'  schaun 
was  sich  machen  laßt  —  Schreib  alles  auf  — 
Ja  du,  Momenterl,  vergiß  nicht,  erinner  den  Dokter 
von  der  Zeitung  wegen  die  Karten  zu  »Husarenblut«, 
telephonier  ihm,  hörst  —  Ich  komm  also  bißl  später, 
servus  Alte!  —  Also  wo  sind  wir? 

Die  Schreibkraft:  —  den  Aufenthalt  — 
Der  Hauptmann:  —  nach  Tunlichkeit  — 
Die  Schreibkraft:  —  nein,  nach  Möglichkeit 
zu  verleiden. 

Der  Hauptmann:  Bemerkt  wird,  daß  Freiheits- 
strafen im  allgemeinen  wenig  geeignet  erscheinen, 
um  die  Fluchtfälle  zu  verringern,  es  sei  denn, 
daß  sie  an  Tagen,  die  vorschriftsmäßig  der  Ruhe 
gewidmet  sind  oder  die  als  große  Feiertage  gelten, 
bei  Anwendung  der  erlaubten  Verschärfungen  in 
Vollzug  gesetzt  werden.  —  So  —  vier  is  gleich! 
Servus  die  Herrn,  gute  Nächte! 

(Verwandlung.) 


599 


21.  Szene 

Kriegsministerium. 

Ein  Hauptmann  (diktiert ablesend) :  Reservat !  — 
Mit  Rücksicht  darauf,  daß  im  Laufe  der  näclisten  Monate 
fast  eine  Million  russischer  Kriegsgefangener  die 
österreichisch-ungarische  Monarchie  verlassen  und 
in  ihre  Heimat  zurückkehren  werden,  ist  es  von 
wesentlicher  Bedeutung,  mit  welchen  Gefühlen  diese 
Kgf.  an  die  in  unserem  Vaterlande  verbrachte  Zeit 
zurückdenken.  Es  erscheint  daher  eine  im  richtigen 
Augenblick  einsetzende  Einwirkung  unsererseits  im 
höchsten  Maße  wünschenswert,  um  von  den  zahllosen, 
in  der  Gefangenschaft  gewonnenen  Eindrücken  und 
Erfahrungen  die  ungünstigen  abzuschwächen,  die 
erfreulichen  und  angenehmen  jedoch  zu  beleben  und 
zu  befestigen.  Die  in  ihre  Heimat  zurückkehrenden 
Russen  werden  dann  nicht  mit  stumpfer  Gleichgiltig- 
keit  oder  gar  feindseligem  Hasse  an  uns  zurück- 
denken, sondern  wissentlich  aus  voller  Überzeugung 
als  Sendboten  öst.-ung.  Kultur  in  ihrem  eigenen 
Vaterlande  tätig  sein.  Die  Wege,  eine  solche  günstige 
Einwirkung  zu  erzielen,  liegen  in  der  Entfaltung 
einer  der  russischen  Volksseele  angepaßten,  groß- 
zügigen, von  ehrlicher  Absicht  getragenen  politischen, 
sozialen  und  wirtschaftlichen  Propaganda.  Es  wird 
beabsichtigt,  kurz  vor  Abschub  — 

Die  Schreibkraft:  Wie  bitte? 

Der  Hauptmann:  Abschub  der  russischen 
Kgf.  durch  abzuhaltende  Propagandavorträge  über 
politische,  soziale  und  wirtschaftliche  Gebiete  einen 
Österreich  freundlichen  Geist  unter  den  russischen  Kgf. 
wachzurufen.  Abgesehen  von  allen  für  unser  Wirt- 
schaftsleben etwa  bedeutsamen  Folgen  kann  durch 
eine  solche  Umstimmung  der  russischen  Volksseele 
ein  mächtiger  Abbau  der  von  unseren  Feinden  über 
die  ganze  Welt  verbreiteten  Lügenpropaganda  herbei- 
geführt werden.  Um  einen  nachhaltigen  Eindruck 
auf   die   russischen  Kgf.  zu    erzielen,  darf   sich   die 


600 


Propaganda  bei  den  russischen  Kgf.  naturgemäß  nicht 
bloß  auf  die  Abhaltung  von  Vorträgen  beschränken, 
es  ist  vielmehr  bis  zur  Zeit  des  endgiltigen 
Abtransportes  notwendig,  auf  die  russischen  Kgf. 
anderv/eitig  in  jeder  Hinsicht  nach  Tunlichkeit  günstig 
einzuwirken.  —  Machen  S'  ein'  Absatz. 

Der  ganzen  Sachlage  nach  liegt  es  auf  der 
Hand,  daß  jedoch  eine  solche  Propaganda,  wenn 
sie  bloß  durch  Organe  der  Heeresverwaltung  erfolgen 
würde,  zweifellos  viel  von  ihrem  ursprünglichen  Wert 
einbüßen  müßte  —  no  jo,  is  eh  wahr  —  und  erscheint 
es  in  Ansehung  des  Zweckes  vorteilhaft,  durch 
tunlichste  Heranziehung  für  diese  Aufgabe  geeigneter 
und  auch  ideal  und  praktisch  interessierter  Personen 
diese  Beeinflussung  auf  ein  den  militärischen  Formen 
möglichst  entrücktes  Niveau  zu  heben.  —  No  das  is 
bißl  stark!  —  Dieser  wesentliche  Umstand  bedingt 
hinwieder,  daß  aus  militärisch-disziplinären  Gründen 
eine  solche  Propaganda  erst  knapp  vor  Abfahrt  der 
kriegsgefangenen  Russen  einsetzen  darf  —  selbstver- 
ständlich! —  wobei  auch  zu  hoffen  ist,  daß  dieselben 
mit  dem  frischen  unvermittelten  Eindruck,  den  sie 
hiebei  empfangen,  in  ihre  Heimat  zurückgelangen. 
—  Absatz!  Politisch:  Mit  einer  aus  tiefster  Wahr- 
haftigkeit entspringenden  Überzeugung  kann  gerade 
in  Österreich-Ungarn  den  heimkehrenden  Russen  die 
offenherzige  Versicherung  mitgegeben  werden,  wie 
wenig  unser  Vaterland  den  Krieg  gewollt,  wie  sehr 
es  den  Frieden  gewünscht  —  also  das  is  gut,  daß  er 
das  betont,  mir  san  ja  eh  die  reinen  Lamperln  — 
Die  Schreibkraft:  Wie  bitte?  Mir  san  — 
Der  Hauptmann:  Aber  nein,  das  schreiben  S' 
nicht!  —  also  den  Frieden  gewünscht,  wie  nach- 
drücklich man  die  mit  dem  Lose  der  Gefangenschaft 
für  die  Kgf.  unzweifelhaft  verbundenen  Härten  auf- 
richtig bedauert  und  wie  alle  etwa  seitens  der  Kgf. 
erlittenen  Unbilden  —  no  no!  —  keineswegs  in 
einer  Abneigung,  Geringschätzung   oder   gar  einem 


601 


Haß  gegen  das  russische  Volk  ihren  Ursprung 
gehabt  hätten,  sondern  einzig  und  allein  in  den  durch 
die  lange  Kriegsdauer  sich  häufenden  Schwierigkeiten 
begründet  seien.  —  Absatz!  Sozial:  Ohne  auch  nur 
mit  einem  Wort  die  derzeitigen  russischen  sozialen 
Verhältnisse  zu  berühren,  können  die  heimkehrenden 
Russen  über  die  Vorteile  und  Eigentümlichkeiten 
unserer  gesellschaftlichen  und  sozialen  Struktur 
zweckentsprechend  aufgeklärt  werden,  wobei  ins- 
besondere darauf  das  Augenmerk  zu  lenken  wäre, 
wie  bei  dieser  gesellschaftlichen  Ordnung  Wohlstand 
und  Fortschritt  stetig  steigen  und  die  Allgemeinheit 
sowohl  wie  der  einzelne  daraus  bleibenden  Vorteil 
zieht.  —  Noja,  is  eh  wahr  —  Absatz!  Jetzt  kommen 
wir  zum  puncto  puncti.  Wirtschaftlich:  Indem 
man  an  der  Hand  der  Tatsachen  den  Beweis  führt, 
daß  die  großen  Schwierigkeiten,  die  der  lange  Kriegs- 
und Unruhezustand  allseits  geschaffen,  nur  durch  die 
höchste  Entfaltung  aller  verfügbaren  Arbeitskräfte 
und  eine  damit  parallel  gehende  schleunige  Aufnahme 
eines  großzügig  organisierten,  die  Staaten  über- 
greifenden Güteraustausches  überwunden  werden 
können,  wird  den  heimkehrenden  Russen  die  un- 
bedingte Notwendigkeit  einer  raschen  und  rückhalt- 
losen Anknüpfung  von  Handelsbeziehungen  mit  der 
Monarchie  vollends  verständlich  werden.  Es  wird  ein 
Leichtes  sein,  den  Leuten  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  in  überzeugender  Weise  vor  Augen  zu  führen,  wie 
sehr  der  Bauer,  der  seine  Vorräte  verbirgt  und  dadurch 
der  Auswertung  durch  den  freien  Handel  entzieht, 
sich  selbst  schädigt,  indem  er  gerade  infolge  dieses 
Umstandes  nicht  oder  sehr  verspätet  in  den  Besitz 
der  von  ihm  begehrten  Gebrauchsartikel  kommen 
wird,  da  eben  unsere  eigene  Bevölkerung,  welche 
mit  der  Herstellung  solcher  Waren  beschäftigt  ist, 
infolge  des  Mangels  einer  zureichenden  Nahrung 
nicht  in  der  Lage  ist,  jene  höchsten  wirtschaftlichen 
Energien    zu    entwickeln,    wie   sie    im   Frieden    bei 


602 


guter  Ernährung  für  einen  großzügigen  Export 
erforderlich  sind.  —  No  das  muß  ihnen  doch  ein- 
leuchten. —  Absatz! 

Bei  den  landwirtschaftlichen  Partien,  insbe- 
sondere bei  den  Kgf.  in  Bauerngemeinden,  ist  eine 
Propaganda  zumindest  nicht  nötig,  es  wäre  denn  eine 
Orientierung  und  Beeinflussung  der  auf  dem  Lande 
lebenden  kgf.  Russen,  daß  die  Ernährungsverhältnisse 
der  in  Städten  wohnenden  Bevölkerung  viel  zu 
wünschen  übrig  lassen  und  Abhilfe  durch  Einfuhr  von 
außen  sehr  geboten  sei.  —  No  das  müssen  s'  einsehn.  — 
Absatz ! 

Anders  steht  es  jedoch  mit  den  russischen  Kgf. 
in  Fabriken,  bei  Bauten  aller  Art  und  bei  ärarischen 
Arbeitsstellen.  Es  wäre  hier  sehr  zweckdienlich,  wenn 
die  Arbeitgeber  in  solchen  Fällen  die  patriotische 
Pflicht  übernehmen  würden,  den  russischen  Kgf. 
die  letzten  Tage  ihrer  Arbeit  bei  uns  tunlichst  zu 
erleichtern.  —  Absatz! 

Alle  militärischen  Leiter  der  Firmen  unter  KLG. 
und  der  Mil.  Bergbaue  und  Kommandanten  werden 
daher  angewiesen,  unverzüglich  alle  Arbeitsstellen, 
wo  russische  Kgf.  beschäftigt  sind,  zu  bereisen, 
beziehungsweise  aufzusuchen  und  in  ähnlichem  Sinne 
auf  die  Kgf.  einzuwirken,  wie  es  im  Nachfolgenden 
(unter  hst.  Vdg.  Präs.  Nr.  14169/18)  bereits  von  den 
Lagerkommandanten  verlangt  wurde.  —  Absatz! 

Der  Lagerkommandant  muß  abwechselnd  die 
Wohngruppen,  Offz.-Abteilungen  oder  Lagerspitäler 
besuchen  und  mit  den  russischen  Kgf.  in  persönlichen 
Verkehr  treten.  (Mit  warmer  Stimme.)  Bald  fragt  er  sie 
nach  ihrem  Befinden,  bald  nach  ihren  Eltern,  nach 
der  Verpflegung,  Post,  Bekleidung.  Bei  Klagen  muß  er 
bis  ins  Detail  die  Untersuchung  an  Ort  und  Stelle 
pflegen,  öffentlich,  vor  allen  Kriegsgefangenen.  Er 
muß  sie  hiebei  überzeugen,  daß  er  keine  persönliche 
Mühe  scheut,  um  auf  die  Wahrheit  und  durch  diese 
zur   Gerechtigkeit   zu    gelangen.    Klagen   über  Ver- 


603 


pflegung  und  Bekleidung  benützt  er,  um  den  Russen 
zu  beweisen,  daß  nicht  wir,  sondern  unsere  Feinde 
im  Westen  schuld  daran  sind  und  daß  wir  mit 
Freuden  speziell  den  russischen  Kgf.  mehr  geben 
würden,  wenn  wir  es  hätten.  Sie,  die  Russen  sind  ja  jetzt 
nicht  mehr  unsere  Feinde.  (Erwird  wärmer.)  Wir  haben  sie 
überhaupt  niemals  für  unsere  Feinde  gehalten,  das 
beweisen  die  vielen  früheren  Kriege,  wo  Russen  und 
Österreich-Ungarn  tapfer  zusarnmengekämpft  haben. 
Der  Lagerkommandant  muß  hie  und  da  in  die  Küche, 
wenn  das  Fleisch  oder  Fische  bereits  zur  Verteilung 
gelangen.  Einen,  zwei  oder  vier  Kgf.  fängt  er  in 
dem  Momente  ab  — 

Die  Schreibkraft:  Wie  bitte? 
Der  Hauptmann:  —  fängt  er  in  dem  Momente 
^ab,   als  sie  mit  der  ausgegebenen  Menage  von  der 
f' Verteilungsstelle  zu  ihren  Pritschen  gehen.  (Mit  Eifer) 
■  Niederstellen,  Wage  herbei,  Fleisch  oder  Fisch  abwägen. 
Je  mehr  er  Zuseher  hat,  desto  besser.  Sodann  Fleisch- 
büchel  herbei,  wie  viel  wurde  im  ganzen  heute  ein- 
gekauft?  25  Prozent   an   Knochen,    20  Prozent   an 
Kochschwund    ab,     Rest    dividieren    durch    Anzahl 
der    Menageportionen     und     (drohend)     wenn     nur 
ein  Deka  an  der  Portion  fehlt  —  so  sind  z.  B.  bei 
200    Menageportionen    2    kg    Fleisch    oder    Fisch 
gestohlen  worden.  (Streng:  Wer  hat  das  getan?  iVlenage- 
kommission.     Köche,     Inspektionschargen     herbei! 
Strenges  Gericht   vor  allen  Kgf.  der  ganzen  Wohn- 
gruppe. Schluß:  Absetzung  der  Köche,  der  Menage- 
kommission  und  aller  in  der  Küche  Beschäftigten, 
falls  der   Schuldtragende   nicht    gefunden   wird.    — 
Absetzen  —  ah  Absatz! 

Findet  der  Lagerkommandant  Tabak,  Zigaretten, 
gekauftes  Brot,  Wurst  etc.  bei  den  Russen,  so 
erkundigt  er  sich  um  den  Preis,  welchen  der  be- 
treffende Kgf.  hiefür  gezahlt  hat.  Bald  wird  sich 
herausstellen,  daß  unter  den  Kgf.  es  viele  Schleich- 
händler gibt.  Diese  Winkelkaufleute  sind  nicht  immer 


604 


Juden.  Sie  haben  außerhalb  des  Lagers  Quellen,  wo 
sie  bei  passender  Gelegenheit  einkaufen  und  die 
gekauften  Artikel  im  Lager  an  ihre  Kameraden,  die 
Kgf.,  um  drei-  bis  vierfachen  Preis  verkaufen.  Wenn 
es  dem  Lagerkommandanten  gelingt,  einen  solchen 
Winkelhändler  zu  ertappen  —  (in  Rage)  ausziehen, 
Leibes-  und  Koffervisite.  Oft  wird  er  500  Kronen 
und  mehr  bei  ihm  finden.  Wegnehmen  und  jenen 
Betrag  davon,  über  dessen  gerechte  Herkunft  er  sich 
nicht  ausweisen  kann,  an  die  übrigen  Kgf.  verteilen.  — 
Absatz ! 

Derzeit  werden  dem  Lagerkommandanten  die 
kgf.  Russen  stundenlang  zuhören,  wenn  er  ihnen 
etwas  über  den  Austausch  erzählen  kann.  Wann 
kommen  wir  daran,  wie  lange  noch?  Wenn  er  in 
der  Lage  ist,  ihnen  lapidar  nachzuweisen,  daß  nicht 
wir  daran  schuld  sind,  daß  der  Austausch  so 
schleppend  vor  sich  geht,  so  wird  auch  die  Arbeits- 
freudigkeit der  Kgf.  sich  wieder  einstellen,  nur  darf 
er  dabei  Rußland  nicht  herabsetzen.  Das  wäre  ein 
grober  Fehler.  —  Absatz! 

(Mit  Gefühl)  Immer  weiter  werden  die  russischen 
Herzen,  wenn  er,  der  Oberst,  ihnen  hie  und  da  die 
neuesten  Nachrichten  aus  Rußland  mitteilt,  die  er  soeben 
im  Morgenblatt  gelesen  hat.  (Stellt  sich  in  Positur)  Stramm 
und  gehorsam  werden  sie  ihn  salutierend  begrüßen, 
keine  Furcht  vor  Disziplinlosigkeit,  wenn  er  mit 
ihnen  spricht.  Wie  überall,  muß  er  auch  hier  ein 
gutes  Beispiel  geben  und  selbst  so  stramm,  als 
es  sein  Alter  und  Gebrechen  erlaubt,  salutieren. 
(Er  salutiert).  Ein  Besuch  des  Lagerkommandanten 
im  Lagerspitale  — 

Ein  Fähnrich  (tritt  ein):  Herr  Hauptmann 
melde  gehorsamst,  der  Herr  Oberst  verlangt  den 
Bericht  über  die  russischen  Kriegsgefangenen. 

Der  Hauptmann:  Den  Erlaß  wegen  der 
Propaganda?  Da  bin  ich  grad  dabei. 


605 


Der  Fähnrich:  Nicht  wegen  der  Propaganda, 
sondern  über  die  Verhungerten. 

Der  Hauptmann:  Die  Verhungerten?  Wo 
Sans  denn  scho  wieder  verhungert?  Harn  mr  denn 
den  Akt? 

Der  Fähnrich:  Es  handelt  sich  um  den  Fall, 
wo  ein  Russe,  der  mit  zwei  andern  zusammen  auf 
einer  Pritschen  geschlafen  hat,  an  Hunger  gestorben 
ist.  Er  war  schon  verwest,  wie  der  Inspektor  in  den 
Raum  kommt,  und  die  zwei  andern  waren  so 
entkräftet,  daß  sie  nicht  mehr  haben  aufstehen  können 
und  auch  nicht  rufen. 

Der  Hauptmann:  Momenterl  —  also  sag  dem 
Herrn  Oberst,  ich  wer'  gleich  im  Einlauf  nachschaun, 
ich  bin  grad  mit  der  Propaganda  beschäftigt,  weißt 
damit  sich  die  ungünstigen  Eindrücke  bei  den  Kgf. 
abschwächen,  daß  mr  wieder  Handelsbeziehungen 
anknüpfen  können  und  daß  s'  uns  nacher  Lebensmittel 
schicken,  die  Russen,  wann  s'  z'haus  kommen  und  so. 

(Verwandlung.) 

22.  Szene 

Statthalterei  in  Brunn. 

Der  Landeshauptmann:  Ich  hab  eine  Idee! 
(Zur  Schreibkraft)  Schreib'n  S':  Zu  den  wichtigsten  Lehren, 
die  wir  dem  mörderischen  Weltkriege  und  seinen  opfer- 
vollen Anforderungen  an  die  gesamte  Bevölkerung 
entnehmen  können  und  müssen,  gehört  unzweifelhaft 
auch  jene  von  der  Wichtigkeit,  unsere  Jugend  schon 
in  der  Schule  im  patriotischen  Geiste  zu  erziehen, 
ihr  Kenntnis  und  Liebe  ihres  engeren  und  weiteren 
Vaterlandes  einzuimpfen  und  schon  in  die  Kindesseele 
alle  jene  Keime  zu  pflanzen,  aus  denen  sich  jene 
herrlichen  Manneseigenschaften  entwickeln,  welche 
den  jungen  Mann  befähigen  sollen,  als  glühender 
Patriot,  beseelt  von  Liebe  und  Pflichttreue  gegenüber 
dem  angestammten  Herrscherhause  und  dem  Vater- 


606 


lande,  seine  staatsbürgerlichen  Pflichten  gerne  und 
gewissenhaft  zu  erfüllen  und  gegebenenfalls  auch 
Leben  und  Gesundheit   für   diese  Ideale   zu  opfern. 

Wenig  wurde  leider  diesbezüglich  in  Österreich 
vorgearbeitet  und  Pflicht  aller  leitenden  Persönlich- 
keiten des  Reiches  scheint  es  mir  zu  sein,  dieses 
Versäumnis  einzuholen  und  für  die  weitere  Fort- 
entwicklung der  ja  gottlob  im  Keime  allenthalben 
vorhandenen  patriotischen  und  dynastischen  Gefühle 
in  der  kommenden  Generation  Sorge  zu  tragen. 

Ein  populär  geschriebenes,  dem  Geiste  unserer 
Schuljugend  angepaßtes  Monatsschriftchen,  betitelt 
»Mlade  Rakousko«,  soll  an  unseren  Volks-  und 
Bürgerschulen  sowie  an  den  Fortbildungsschulen 
verbreitet  werden  und  halte  ich  es  für  eine  heilige 
Pfhcht  unserer  Gesinnungs-  und  Standesgenossen, 
für  eine  erhabene  Aufgabe  des  Großgrundbesitzes, 
die  Verbreitung  dieses  Blattes  an  den  Schulen  seines 
wirtschaftlichen  Wirkungskreises  dadurch  zu  fördern, 
daß  er  für  jede  dieser  Schulen  eine  Anzahl  Exem- 
plare abonniert,  um  so  die  unentgeltliche  Verteilung 
des  Blattes  an  vermögenslose  Schüler  zu  ermöglichen, 
wobei  ja  noch  außer  der  Einwirkung  auf  die  Schüler 
selbst,  auch  der  Einfluß  auf  die  älteren  Familien- 
mitglieder mit  Recht  zu  erwarten  steht. 

Die  Zeitschrift,  deren  jährlicher  Abonnement- 
betrag K  2.40  macht,  kann  in  Brunn,  Kaiser  Franz 
Josef-Platz  Nr.  18,  bestellt  werden. 

Möge  dieser  Appell 

(Verwandlung.) 

23.  Szene 

In  einer  Volksschule. 

Einige  Bänke  sind  leer  Die  überlebenden  Kinder  sind  unterernährt. 

Alle  in  Papieranziigen. 

DerLehrerZehetbauer: Hütet  euch 

vor  den  Gerüchten,  die  in  Umlauf  sind,  und  tretet  den- 
selben tunlichst  entgegen.  Es  ist  der  tückische  Plan 


607 


der  Feinde,  Verwirrung  in  eure  Reihen  zu  bringen, 
aber  es  wird  ihnen  nicht  gelingen.  Verschließet  euer 
Ohr  den  Ausstreuungen,  als  ob  wir  nicht  bis  zum 
gedeihlichen  Ende  durchhalten  könnten  und  daß  bei 
uns  Hungersnot  herrsche.  Wer  ist  denn  schuld  an 
derselben  als  die  Feinde?  Und  jetzt  entfalten  sie  gar 
noch  eine  brunnenvergiftende  Tätigkeit,  indem  sie  — 
(Eine  Knabe  zeigt  auf.)  Was  willst  du,  Gasselseder? 

Der  Knabe  Gasselseder:  Bitt  Herr  Lehrer, 
derf  man  da  auch  nichts  trinken? 

Der  Lehrer:  Setz  dich,  du  bist  töricht,  ich 
meine  ja  das  nicht  bildlich,  sondern  wörtlich.  Der 
Feind  will,  da  er  uns  im  Felde  nicht  besiegen  kann, 
unsere  Kraft  im  Minierlande  zermürben.  Darum  seid 
auf  der  Hut  vor  den  Gerüchten!  Beteiliget  euch  auf  das 
energischeste  an  deren  Unterdrückung.  Sie  gehören  in 
das  Arsenal  unserer  Feinde  —  (Ein  Knabe  zeigt  auf.) 
Was  willst  du,  Anderle? 

Der  Knabe  Anderle:  Bitt  Herr  Lehrer, 
haben  denn  unsere  Feinde  auch  ein  Arsenal? 

Der  Lehrer:  Wohl  haben  sie  ein  solches, 
jedoch  es  sind  nur  Gerüchte  darin,  und  sie  scheuen 
ebendaselbst  kein  Mittel,  um  das  Gefüge  der 
JVlonarchie  zu  untergraben,  ja  sogar  die  Bande  der 
Liebe  sowie  der  Verehrung  zum  angestammten 
Herrscherhause  zu  lockern.  Kotzlik,  du  störst,  wieder- 
hole das  Gesagte. 

Der  Knabe  Kotzlik:  Die  Feinde  —  die 
Feinde  haben  —  das  Arsenal  untergraben  —  und  — 
und  wir  scheuen  nicht  die  Liebe  —  zur  angestammten 
Bande  — 

Der  Lehrer:  Du  bist  ein  Element!  Du  bleibst 
hier  und  wirst  den  Satz,  den  ich  dir  diktieren  werde, 
zehnmal  abschreiben.  Setz  dich,  Tunichtgut!  Ihr 
andern  aber,  bleibet  standhaft.  Nehmet  euch 
diesbezüglich  ein  Beispiel  an  dem  Wehrmann  in 
Eisen.  Wie  für  die  Ev/igkeit  gebaut  steht  er  da, 
solange  Habsburgs  Doppelaar  über  unsern  Häupten 


608 


kreisen  wird,  ein  Wahrzeichen  für  und  für.  Überzeuget 
euch,  gehet  hin  und  benagelt  dasselbe  tunlichst, 
wofern  noch  Platz  für  einen  Nagel  ist,  mit  Erlaubnis 
eurer  Herren  Eltern  oder  Vormünder.  Auf  dem  Wege 
dahin  verschließet  euer  Ohr  den  Einflüsterungen,  denn 
sie  verbreiten  sogar,  daß  die  Tage  des  Wehrmannes 
gezählt  seien  und  daß  an  seine  Stelle  ein  Wtirstelmann 
treten  werde.  So  weit  halten  wir  Gottseidank  noch 
nicht  und  gerne  tragen  wir  die  Entbehrungen,  die 
uns  das  Vaterland  auferlegt,  solange  der  Kampf 
noch  nicht  entschieden  ist  für  und  für,  sondern 
hin  und  herwogt.  Und  doch !  Wenn  wir  —  (Ein  Knabe 
zeigt  auf.)   Was  willst  du.  Zitterer? 

Der  Knabe  Zitterer:  Bitt  Herr  Lehrer,  den 
Frieden! 

Der  Lehrer:  Setz  dich,  du  Element!  Dir 
prophezeie  ich,  daß  du  noch  am  Galgen  endest, 
wenn  du  dereinst  ins  Leben  hinaustreten  wirst. 
Schäme  dich!  Und  was  ist  denn  das  dort  in  der 
dritten  Bank?    Ei  Merores,  du  schwätzest  ja! 

Der  Knabe  Merores:  Der  Papa  hat  gesagt, 
er  versteht  nicht  das  Geriß  um  den  Frieden,  er  kann 
es  erwarten,  konträr,  ich  glaub  es  war  ihm  eher 
unangenehm,  er  hat  hübsch  verdient,  no  und  wenn 
der  Frieden  kommt,  hört  sich  das  doch  auf. 

Der  Lehrer:  Merores,  es  ist  schön,  daß  dein 
Vater  so  wacker  durchhält  und  mit  gutem  Beispiel 
vorangeht,  aber  du  sprichst,  ohne  daß  du  gefragt 
wurdest,  und  das  ist  ein  Zeichen,  daß  dank  den 
Wühlereien  der  Feinde  die  Disziplin  schon  sehr 
gelockert  ist.  Ich  will  nicht  geradezu  annehmen, 
daß  ihr  im  Dienste  der  feindlichen  Propaganda 
stehet,  die  überall  ihre  Fühlhörner  im  Spiele  hat, 
aber  ich  muß  sagen,  daß  mir  ein  derartiges  Verhalten, 
jetzt  wo  wir  unmittelbar  vor  der  Entscheidung  stehen, 
doch  sehr  bedenklich  ist.  Ich  kann  euch  immer  wieder 
nur  einprägen:  Bleibet  standhaft  immerdar!  Was 
sollte  geschehen,  wenn  auch  ihr  ins  Wanken  geratet? 


609 


Die  Feinde  würden  ins  Land  kommen,  und  dann  wehe 
euch,  wehe  euren  Schwestern  und  Bräuten,  wehe  euren 
Herren  Eltern  oder  Vormündern!  (Ein  Knab'^  zeigt  auf.) 
Was  willst  du,  SukfüH? 

Der  Knabe  Sukfüll:  Bitt  Herr  Lehrer,  die 
Fremden!  Der  Vatter  hat  gsagt,  er  will  nicht  mehr 
durchhalten,  er  haltet  es  nicht  mehr  aus,  es  war 
sclion  höchste  Zeit,  daß  einmal  die  Fremden  kommen! 

Die  Klasse:  Ja,  pfleget  den  Fremdenverkehr! 

Der  Lehrer:  Nicht  doch!  Das  war  anders 
gemeint!  Der  Fremdenverkehr  ist  ein  gar  zartes 
Pflänzlein,  das  wohl  behütet  sein  will.  Verlangt  es  euch 
nach  den  Katzeimachern? 

Die  Klasse:  Ja!  Wir  möchten  was  zu  essen 
haben! 

Der  Lehrer:  Pfui!  Ihr  seid  Elemente!  Schämet 
euch!  Was  soll  sich  der  verewigte  erhabene  Monarch, 
dessen  Bild  weiland  auf  euch  herniederschaut,  von  euch 
denken?  Das  hätte  er  sich  schier  nicht  gedacht,  daß 
eine  derartige  Verlotterung  die  Folge  sein  wird,  als  er 
sich  genötigt  sah,  einen  mutwillig  heraufbeschworenen 
Verteidigungskrieg  zu  beginnen  und  gegen  eine 
Übermacht  das  Schwert  zu  ziehen.  Wehe  euch, 
wenn  die  Feinde  ins  Land  kommen!  Sie  würden  in 
den  erstklassigsten  Hotels  absteigen,  ihr  hättet  nichts 
zu  lachen  und  unsere  Frauen,  die  Hüterinnen  des 
häuslichen  Herdes,  hätten  das  Nachsehen.  Habt  ihr 
denn  alles  vergessen,  was  ich  euch  je  gesagt  habe? 
Ich  will  schier  nicht  hoffen! 

Die  Klasse:  Wiewohl  der  rauhe  Kriegessturm 
über  unsere  Lande  hinwegfegt,  indem  unser  erhabener 
Monarch  Tausende  und  Abertausende  unserer  Söhne 
und  Brüder  zu  den  Waffen  rief,  so  zeigen  sich  schon 
jetzt  die  ersten  Ansä+ze  zu  einer  Hebung  des  Fremden- 
verkehrs. Darum  lasset  uns  dieses  Ideal  nie  aus  dem 
Auge  verlieren,  sondern  lasset  uns  heute  das  alte 
Lied  anstimmen,  das  wir  einst  in  Friedenszeiten 
gelernt  haben:  Pfleget  den  Fremdenverkehr!  (Sie  singen:) 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  39 


610 


A  a  a,  der  Fremde  der  ist  da. 
Die  stieren  Zeiten  sind  vergangen, 
Der  Fremdenverkehr  hat  angefangen, 
A  a  a,  der  Fremde  der  ist  da. 
(Verwandlung.) 

24.  Szene 

Im  Landesverband  für  Fremdenverkehr. 

Der  Redakteur: um  einige  Äußerungen 

zu  bitten,  wie  sich  der  Fremdenverkehr  nach  dem 
Kriege  gestalten  wird,  das  heißt  ob  diesbezüglich 
überhaupt  schon  etwas  ins  Auge  gefaßt  ist. 

Der  Funktionär:  Selbstverständlich.  Be- 
kanntlich fand  dieser  Tage  im  Anschluß  an  die 
Tagung  der  ärztlichen  Abteilungen  der  waffen- 
brüderlichen Vereinigungen  ein  Gedankenaustausch 
unter  Vertretern  der  Fachgruppen  für  Fremdenverkehr 
der  waffenbrüderlichen  Vereinigung  Deutschlands, 
Ungarns  und  Österreichs  statt. 

Der  Redakteur:  Es  ist  wohl  zu  erwarten, 
daß  das  Problem  des  Fremdenverkehrs  nach  dem 
Krieg  von  ganz  neuen  Seiten  zu  betrachten  sein  wird? 

Der  Funktionär:  Zweifellos. 

Der  Redakteur:  Vielleicht  hätten  Sie  die 
Freundlichkeit,  mir  zunächst  einen  Fingerzeig  nach 
der  Richtung  zu  geben,  in  der  sich  die  Situation 
unserer  Waffenbrüder  hinsichtlich  des  Fremden- 
verkehrs nach  dem  Kriege  gestalten  wird.  Daß  die 
Feinde  auch  in  diesem  Punkt  einen  Verlust  erleiden 
werden,  steht  wohl  außer  Frage? 

Der  Funktionär:  Selbstverständlich  werden 
die  französischen  und  belgischen  Fremdenverkehrs- 
plätze aller  Voraussicht  nach  von  den  Reichsdeutschen 
nicht  aufgesucht  werden. 

Der  Redakteur:  Sie  meinen,  die  Deutschen 
werden  diese  Plätze  nicht  aufsuchen  können  oder 
nicht  wollen? 


611 


Der  Funktionär:  Ich  meine,  die  Deutschen 
werden  diese  Plätze  nicht  aufsuchen  wollen  können. 

Der  Redakteur:  Da  werden  die  Deutschen 
wohl  Ersatz  suchen?  Ich  meine,  Ersatz  im  eigenen 
Lande? 

Der  Funktionär:  Für  die  Nordseebäder 
bietet  die  deutsche  Küste  ausreichenden  Ersatz, 

Der  Redakteur:  Wo  aber  werden  die 
Deutschen  Ersatz  für  die  französische  Riviera  suchen? 
Doch  offenbar  bei  uns? 

Der  Funktionär:  Ersatz  für  die  französische 
Riviera  mit  ihren  klimatischen  Vorzügen  als  Frühlings- 
und Herbstaufenthalt  zu  bieten,  dazu  ist  sicherlich 
die  österreichische  Küste  der  Adria  vorzüglich 
geeignet,  die  demnach  auch  einen  großen  Fremden- 
zufluß zu  erwarten  haben  wird. 

Der  Redakteur:  Sie  sprechen  von  der  öster- 
reichischen Küste  der  Adria  wohl  im  Gegensatz  zu 
der  italienischen  und  wollen  damit  jedenfalls  sagen, 
die  Adria  bleibt  — 

Der  Funktionär:  —  unser.  Gewiß,  denn 
sonst  wären  ja  die  Deutschen  genötigt,  auch  für  die 
Adria  Ersatz  zu  suchen. 

Der  Redakteur:  Sie  sind  also,  wenn  ich  Sie 
richtig  verstanden  habe,  der  Ansicht,  daß  haupt- 
sächlich das  reichsdeutsche  Publikum  für  unsern 
Fremdenverkehr  in  Betracht  kommen  wird? 

Der  Funktionär:  Allerdings. 

Der  Redakteur:  Nun  aber  die  Hauptsache, 
Welche  Attraktionen  werden  wir  unsern  Fremden 
nach  dem  Kriege  bieten  können,  oder  vielmehr 
welchen  Ersatz  werden  wir  für  jene  Sehenswürdig- 
keiten, die  etwa  durch  den  Krieg  zerstört  worden 
sind,  durch  andere  Attraktionen  bieten  können?  Sie 
haben  mit  Recht  der  Adria  ein  günstiges  Prognostiken 
gestellt.  Aber  was  werden  wir  außerdem  zu  bieten 
haben? 


39* 


612 


Der  Funktionär:  Außerdem  werden  die 
Alpenländer  mit  ihren  hervorragenden  Kriegs- 
erinnerungen einen  Anziehungspunkt  des  mittel- 
europäischen Reisepublikums  bilden. 

DerRedakteur:  Welche  Art  Kriegserinnerungen 
wäre  diesbezüglich  ins  Auge  gefaßt? 

Der  Funktionär:  Wir  geben  uns  der  Hoffnung 
hin,  daß  der  pietätvolle  Besuch  der  Heldengräber  und 
Soldatenfriedhöfe  eine  lebhafte  Verkehrsbewegung 
zur  Folge  haben  wird.  Es  handelt  sich  ja  darum, 
unser  Haus  wiederum  zu  bestellen.  Und  v/ir  appellieren 
gerade  in  diesem  Punkte  an  die  verständnisvolle 
Mitarbeit  der  Presse,  da  es  unsere  Aufgabe  ist,  jeder 
Epoche  die  Attraktionen  abzugewinnen,  die  sie 
in  sich  selbst  bietet,  und  die  Gräber  der  Gefallenen 
wie  geschaffen  erscheinen,  die  Hebung  des  Fremden- 
verkehrs erhoffen  zu  lassen. 

(Verwandlung.) 

25.  Szene 

Ringstraßencafe.  Nachmittag.  Sitzend  und  stehend,  eine  Fauna 
von  Gestalten,  die  in  heftigen  Debatten  begriffen  sind.  Die 
Kon;rersation  bewegt  sich  um  die  verschiedensten  Gegenstände,. 
wie  Reis,  Zucker,  Lcder,  und  auch  Wetjen,  die  für  ein  Trabfahren 
abgeschlossen  werden;  einer  packt  ein  Ölgemälde  aus,  ein  anderer 
zeigt  einen  Brillantring,  der  von  einer  erregten  Gruppe  geschätzt 
wird.  Unter  den  Händlern  sind  auch  Leute  in  Uniform,  ein 
kleiner  Oberleutnant,  der  einem  Agenten  von  riesenhaften  Körper- 
formen >Tips«  gibt.  Dazwischen,  auf  den  Seitenbänken  da  und 
dort  verstreut,  Mädchen  in  insektenhafter  Tracht.  Kellner  und 
Kellnerinnen,  die  Getränke  bringen.  Rennprogrammverkaufer. 
Gürteltiere  schreiten  durch.  Die  Luft  ist  voll  von  Ziffern  und 
Miasmen. 

Dem  Eintretenden  tönt  ein  großes  Geschrei  entgegen, 
aus  dem  er  zunächst  nur  unartikulierte  Laute  hört,  dann  in 
allen  Tonarten  hervorgestoßene,  gebrüllte,  gepfiffene,  geröchelte 
Rufe,  die  zumeist  eine  Bekräftigung  bedeuten.  Näher  hinhorchend, 
vermag  man  erst  genauer  zu  unterscheiden. 

DasGeschrei:  —  Mirgesagt!  —  Ihmgesagtl  — 
Unter  uns  gesagt !  —  Sag  i  c  h  Ihnen !  —  Sagen  Siel  — 


613 


No  wenn  ich  Ihnen  sag!  —  Also  ich  sag  Ihnen  — I  — 
Was  sagen  Sie!  —  Sagt  er!  —  Auf  ihm  soll 
ich  sagen!  —  Ich  wer'  Ihnen  etwas  sagen  —  No 
was  soll  ich  Ihnen   sagen?  —  Ihnen  gesagt!  — 

Mammut:   Sie  —   pst  —  ham   Sie   Scheidl? 

Ein  Kellner:    Seit  vorige  Wochen  verboten. 

Mammut:  Nix  kriegt  man!  Nix  —  nix,  gut.  Aber 
gor  nix?  (Zu  seinem  Nachbar)  Also  wie  ich  Ihnen  sag, 
a  konto  dessen  bin  ich  heute  enthoben  1 

Zieselmaus:   Danken   Sie  Gott  jeden  Früh. 

Walroß:  —  Lassen  Sie  mich  aus,  ich  tipp 
nicht  auf  Hindenburg,  ich  tipp  nicht  auf  Prima- 
donna, ich  wer  Ihnen  sagen,  auf  was  ich  tipp,  ich 
tipp  auf  Doberdo!  — 

Hamster:  —  Er  hat  ausgesorgt,  er  is  Selbst- 
versorger. Ich  bin  doch  intim  mit  Kornfeld  von  der 
Oezeg,  bin  ich  also  heraufgegangen  zu  der  Miag, 
sag  ich  dort,  ich  bin  da,  Salo  Hamster  — 

Nashorn:  —  Wer  gebt  auf  Gerüchte,  für  Gerüchte 
wer'  ich  mr  nicht  den  Kopp  abreißen!  Warum,  weil 
in  der  Presse  stehn  soll  von  etwas  e  Friedensfühler? 
Idee!  Ich   sag  Ihnen,  e  Bombengeschäft!  — 

Tapir:  —  Was  wolln  Sie  von  mir  haben,  bin 
ich  Hindenburg?  — 

Schakal:  —  Was  wolln  Sie  von  Siegfried Hirschl, 
auf  einen  Menschen,  was  e  B-Befund  hat,  geb  ich 
keinen  Kreizer!  Sie  hätten  sehn  solin,  wie  sie  mich 
empfangen  ham  im  KM,  was  sich  da  getan  hat! 
Nu  na  nicht!  — 

Leg u an:  —  Lire  so  viel  Sie  wollen!  — 

Kaiman:  —  Ohne  Ausfuhrbewilligung  nicht 
zu   m.achen  —  sag   ich   Ihnen,   Julius  Kaiman!  — 

Pavian:  —  Albanien?  Nicht  der  Rede  wert, 
e  Goriüakrieg!  — 

Kondor:  —  Auf  Ihnen  hat  ma  gewartet! 
Ich  hab  scho  verdient,  v/ie  Sie  noch  nicht  auf  der 
Welt  waren!  Vor  fünf  Minuten,  wenn  Sie  zugehört 
hätten  beim  Telephon  —  achtzig  Zentner  mit  fufzig 


614 


Mille  auf  Ehre!  Ab  Wien  sofort  greifbar!  Werfen  Sie 
sich  auf  Zucker,  mit  Verbandzeug  wem  Sie  kein 
Glück  mehr  haben !   — 

Low:  —  No  kann  man  exestieren?  — 

Hirsch:  —  Täglich  schrei  ich  zu  meiner  Frau  — 

Wolf:  —  Das  wird  ein  Geriß  sein  um  das 
Abendblatt!  Aber  sicher  is  es  nicht  wahr!  — 

Posamentier:  —  Weiß  ich?  Burian  hat 
etwas  e  Friedensfühler  ausgestreckt!  — 

Spitzbauch:  Pst  —  Sie  eine  Tschoklad  — 
oder  nein,  wissen  Sie  was,  bringen  Sie  mir  — 

Schlechtigkeit:  —  Der  Brillant  ist  unter 
Brüdern  — 

Stimmen  hastig  Eintretender:  Aber  ich 
sag  Ihnen,  es  is  nicht  wahr!  —  So  wahr  ich  da  leb 
aus  kompetentester  Quelle,  es  is  wahr!  —  Also  wenn 
ich  Ihnen  sag,  es  is  nicht  wahr!?  —  Und  ich  sag 
Ihnen,  es  is  ja  wahr,  fertig  sind  wir!  —  Also  wetten, 
es  is  nicht  wahr?! 

(Ein  Pelz  wird  gestohlen.  Es  entsteht  große  Aufregung.) 

Gollerstepper:  Aber  ich  kenn  ihm  doch, 
jeden  Tag  hat  er  drin  herumgekiebitzt,  der  Schlieierl ! 

Tugendhat:   Wer   brauch   jetzt   einen  Pelz? 

Gollerstepper:   Frag  — !  Mundi  Rosenberg! 

Mammut  (röchelnd) :  Ich  hätt  noch  zwei 
Waggon  — 

Mastodon:  —  Fetten?  Woher  nehm  ich  Fetten? 
Ich  soll  riskieren?  — 

Raubitschek:  —  Meschugge  sind  sie  mit 
Hextpreise.  Ich  wer'  Ihnen  etwas  sagen  —  er  soll  in 
Uniform  hinaufgehn,  kriegt  er!  — 

Vortrefflich:  —  Wissen  Sie  was?  Mit  Seife 
erziel  ich  einen  Durchbruch!  Zwirn  setz  ich  auf  die 
Verlustliste.  — 

Gutwillig:  —  Großer  Mann  geworn !  Teenovin 
und  Punschnovin,  Kleinigkeit!  Der  Mann  hat  heute 


615 


seine  zwa  Millionen  auf  Ehre!  Was  vvolln  Sie  haben, 
ein  Artikel  Nommer  eins!  — 

Aufrichtig:  —  So  wahr  ich  da  leb,  mein  heiliges 
Ehrenwort,  er  hat  auf  die  Unterschrift  von  Tizian  am 
Bild  hingezeigt  und  hat  gesagt,  eine  Mezzie!  Wie 
ich  ihm  aber  später  beweis,  es  is  kein  echter 
Tizian,  sagt  er  einfach:  No  dabei  war  ich  nicht» 
wie  es  der  Tizian  gemalt  hat!  No  is  das  ein  Geschäft? 

Beständig:  Also  wenn  er  keine  Haftung 
übernommen  hat,  daß  es  kein  echter  Tizian  is  — ?! 

Brauchbar:  Man  greift  sich  an  den  Kopf, 
jetzt  erklärt  er  auf  amol  er  hat  ihm  den  Tizian  um 
vier  Rennpferd  gegeben,  also  wieso? 

Die  Toilettefrau  (ruft  herein):  Herr  Pollatschek 
zum  Telephon!   (Pollatschek  stürzt  hinaus.) 

Lustig:  Sehn  Sie  —  ?  Laufen  Sie  ihm  nach  — 

Ein  Invalide,  Zitterer,   erscheint.  Er  schüttelt  unaufhörlich   den 
Kopf.  Er  wird  entfernt. 

Im  Hintergrund,  ganz  in  sich  zusammengekauert,  wie  ge- 
brochen, sitzt  ein  alter  Schieber.  Freunde  bemühen  sich  um  ilin. 
Eine  Frau  hält  die  Hand  auf  seiner  Schulter.  Ein  Mädchen 
spricht  ihm  zu.  Neugierige  und  Teilnahmsvolle  gesellen  sich. 

Ein  Freund:  Aber  — !  Es  brauch  ja  nicht 
wahr  sein?! 

Ein  zweiter:  Du  —  ich  weiß  nicht,  wie  du  mir 
vorkommst  —  wer  wird  denn  gleich  —  du  bist 
komisch  — ! 

Der  alte  Schieber  (stöhnend):  Laßts  mich  — 
laßts  mich  —  ich  weiß  doch  —  ich  bin  e  Pech- 
vogel —  Gotteswillen  —  Gotteswillen  —  einmal  im 
Leben  hat  man  —  wo  bleibt  da  —  ich  hab  Schkoda  — 
ich  hab  Schkoda  — 

Die  Frau:  Bernaad  —  komm  zu  dir — ^  wer  sagt 
dir,  daß  es  wahr  is  —  du  bist  etwas  in  einen 
überreizten  Zustand  durch  dem  Krieg  — 

Die  Tochter:  No  regts  ihn  nur  noch  mehr 
auf  —  alle  kommen  sie  da  herein  —  I 

Die  Frau:  Gotteswillen  —  sein  Herz! 


616 


Der  alte  Schieber:  Laßts  mich  —  laßts 
mich  —  das  Herz  —  das  Abendblatt  —  achab 
Schkoda  — 

Die  Tochter:  Wie  er  sich  freut  dort,  Weitzner  — 
der  möcht  es  ihm  gönnen  — !  Onkel,  sag  doch 
er  soll  weggehn  —  der  Papa  is  schon  aufgeregt  wenn 
er  nur  sein  Gesicht  sieht! 

Der  Onkel:  Entschuldige  —  man  kann  keinem 
Gast  verbieten  —  in  einem  öffentlichen  Lokal  — 

Die  Frau:  Du  hast  uns  noch  gefehlt! 

Der  Freund:  Moldauer  —  duu  —  ich  hab 
geglaubt  —  schau,  du  bist  doch  ein  verninftiger 
Mensch  —  ich  kenn  mich  nicht  aus  in  dir  — 

Der  alte  Schieber:  Wenn  es  aber  —  wahr 
is  —  ich  weiß  doch  —  Gottes  —  willen  —  achab 
Schkoda  — 

Der  zweite  Freund:  Wetten, es  is  nicht  wahr  — 
also  was  wetten  wir?  —  ich  mach  ein  gutes 
Geschäft  —  oi  wie  du  gern  zahlen  wirst  — ! 

(Der   alte   Schieber    bricht    in   ein    konvulsivisches  Schluchzen 
aus.   Alles  ist  mit  angstverzerrten  Mienen    um    ihn  beschäftigt.) 

Ein  jüngerer  Wucherer  (drängt  sich  vor): 
Hat  er  Waggons  — ?  Wie  viel  Waggons  hat  er??  Also 
ich  erkläre  feierlich,  daß  ich  bereit  bin  — 

Der  Onkel:    Gehn  Sie  weg,   Sie  Asisponem! 

Der  alte  Schieber  (nur  noch  wimmernd) :  — 
Schkoda  

Der  Geschäftsführer  (erscheint) :  Was  is 
denn  gschehn  — ?  Ja,  was  is  denn  mit'n  Herrn  von 
Moldauer  — ? 

Der  Freund:  Niix  —  Rappaport  kommt  sich 
hereingestürzt  und  erzählt  ihm  —  er  weiß  — 
ausgerechnet  —  Rappaport  weiß! 

DerGeschäftsführer:Ja  —  was  denn  ?  Mein 
Gott,  er  liegt  ja  ganz  gefühllos  dal  Was  is  denn 
gschehn  — ? 


617 


Der  Freund:  Niix  —  geredt  wird —  und  das 
hat  er  sich  so  zu  Herzen  genommen. 

Der  Geschäftsführer:  Ja  —  was  wird  denn  gredt? 
Der  Freund:  No  — !  Vom  Frieden! 
(Verwandlung.) 

26.  Szene 

Friedrich-Straße.    Ein   geordneter  Zug  von  Rowdies,    Maklern, 

Operettensängern,    Bohemiengs,    Gesundbetern,    Luden,    Pupen, 

Nutten,  Neppern,  Schleppern,  Schiebern  und  Schneppen. 

Chor  der  Rufer:  —  Die  Vorbereitungen 
am  Piave!  —  Der  Heiratsonkel !  —  Neieste  Numma  des 
Semplecessemas!  —  B.  Z.  am  Mittach!  Die  Neutralen 
gehn  nicht  mit — Wachsstreichhelza.Wachsstreichhelza! 
—  Tageblatt  Amdausgabe,  deutsche  Schiffe  werden 
nich  beschlachnahmt!  —  Lakalanzaija!  —  Die  jroße 
Glocke!  Sensationelle  Enthüllungen,  Schweinerei  bei 
Wertheim  —  Deutsche  Schiffe  werden  nich 
beschlachnahmt!  —  Die  Welt  am  Montach!  Der 
Männervenustempel  in  der  Kochstraße  polezeilich 
jesperrt !  —  Für  unsre  Kinder !  Täuschende  Nachahmung 
des  Getöses  unsrer  jrößten  Kanonen!  —  Die  ersten 
duftenden  Frühlingsboten!  Fünfzehn  Fennje!  — 
Der  Heiratsonkel!  —  Pikantes  aus  Moabit!  — 
B.  Z.  am  Mittach,  B.  Z.!  —  Die  Woche,  Lustjefliejende 
Blätta!  —  Wachsstreichhelza,  Wachsstreichhelza !  — 
Weinstube  Rosenkavalier,  lauschigstes  Eckchen  der 
Welt!  —  Täuschende  Nachahmung  des  Getöses 
unsrer  jrößten  Kanonen !  —  Voss  Amdausgabe, 
Kühlmann  wird  Elsaß  niemals  rausjeben!  —  42cm 
Brummer!  Hochaktueller  10  Pfennich-Schlager !  Beim 
Herumschleudern  des  Brummers  entsteht  ein  Knattern 
und  Brummen,  als  wenn  wirkliche  Granaten  durch 
die  Luft  saasen!  —  B.  Z.  am  Mittach  i  Die  Neutralen 
gehn  nicht  mit  —  Tageblatt  Amdausgabe,  deutsche 
Schiffe  werden  nich  beschlachnahmt!  —  Neieste 
Numma  der  Wahrheit!  Die  Jeheimnisse  vom  Kurfürsten- 
damm!   Sensationelle  Enthüllungen!    —    Kühlmann 


618 


wird  Elsaß  niemals  rausjeben!  —  Heftje  Sprache 
des  Vorwärts!  —  Lakalanzaija!  Die  Vorbereitungen  am 
Piave !  —  Als  wenn  wirkliche  Granaten  durch  die  Luft 
sausen!  —  Der  Heiratsonkel!  —  Semplecessemas!  — 
Die  jroße  Glocke!  Schweinerei  bei  Wertheim  — 
Die  ersten  duftenden  Frühlingsboten  —  B.  Z.  am 
Mittach,  B.  Z.!  —  Die  Schlafzimmerjeheimnisse  der 
Frau  von  Knesebeck,  einfach  süß !  —  Für  unsre 
Kinder!  Täuschende  Nachahmung  des  Getöses  unsrer 
jrößten  Kanonen !  —  Die  Vorbereitungen  am  Piave!  — 

Ein  Jüngling  (zu  einem  vorübergehenden  Mädchen): 
Nuttenzeuch ! 

Das  Mädchen:  Pupenjung! 

Der  Jüngling:  Wat?  Schneppe!  (Die  Passanten 
sammeln  sich.) 

Das  Mädchen:  Wat?  Lude! 

Ein  Schutzmann:  Na  geht  man  eurer  Wege ! 
(Der  Zug  ordnet  sich  wieder.) 

(Ein  Berliner  Schieber  und  ein  Wiener  Schieber  treten  Schulter  an 
Schulter  auf.) 

Der  Berliner  Schieber:  Na  wat  is'n  los? 
Wann  jeht  ihr  'n  los? 

Der  Wiener  Schieber:  Ich  hätt  noch  drei 
Waggon,  aber  ich  wart  noch. 

Der  Berliner  Schieber:  Ach  Menschenskind, 
ik  meene  doch  mit  da  Offensive!  Na  man  los! 

Der  Wiener  Schieber:  Weiß  ich  — ? 

Der  Berliner  Schieber:  Na,  ihr  oberfaulen 
Östreicher,  ihr  müßt  doch  endlich  mal  losjehn! 
Werdet  ihr  denn  übahaupt  nich  mehr  losjehn? 
(Der  Wiener  Schieber  schweigt  verlegen.)   Nanu? 

Der  Wiener  Schieber  (sichermannend):  Nunal 
(Beide  ab.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  8  Uhr  Amdblatt,  das 
Friedensanjebot  des  Grafen  Burian  —  22.000  Kilo- 
gramm Bomben  auf  die  Festung  Paris  jeworfen ! 

(Verwandlung.) 


619 


27.  Szene 


Standort  des  Armeeoberkommandos.  Vergniigung-^lokal.  General- 
stäbler, Kriegsgewinner,  Animierdamen.  Die  Musik  spielt  »Prinz 
Eugen  der  edle  Ritter«,  >\Venn  die  letzte  Blaue  geht,  dann  in 
die  Bar  der  üent,  der  schlaue,  geht<  und  die  »Wacht  am  Rhein«. 
An  einem  Tisch  rechts  Kohn,  ein  Wiener  Schieber,  auf  dessen 
Schoß  ein  Mädchen,  dahinter  eine  Gruppe  von  Kellnern,  die 
seine  Wünsche  entgegennehmen.  An  einem  Tisch  links  Fettköter, 
ein  Berliner  Schieber,  auf  dessen  Schoß  ein  Mädchen,  dahinter 
eine  Gruppe  von  Kellnern,  die  seine  Wünsche  entgegennehmen.  In 
der  Mitte  ein  Tisch,  an  dem  Generalstäbler  und  Mädchen  sitzen. 
Die  Szene  ist  ungefähr  auf  den  foli^enden  Ton  gestimmt: 


^ 


._,  4    I    J  J  J)i  J^j^ 


szs: 


±u.s. 


#-* 


*VV 


Ein  betrunkener  Generalstäbler  (den  seine 
Kameraden  halten,  schlägt  auf  den  Tisch): 

Da  sagen  s',  die  Front  is  regiert  worn! 

Wenn  ich  das  hör,  krieg  ich  an  Zorn. 

Als  eingefleischter  Patriot 

spürt  mr  nix  von  einer  Hungersnot. 

Uns  hier  heraußt  kann  nix  geschehn, 

denn  Österreich  wird  ewig  stehn. 

Weißt,  ewig  bleibt  mit  Habsburgs  Thron  — 

Chor  der  Kellner: 
An  Heidsieck  gschwind  fürn  Herrn  von  Kohn! 

Das  Mädchen  rechts: 
Was  schaust  denn  heut  so  grantig  drein? 

Kohn: 
Du  lachst  —  und  morgen  kann  Frieden  sein! 

Der  betrunkene  Generalstäbler: 
Gehts  machts  doch  nicht  so  an  Pahöll! 

Fritzi  -  Spritzi     (einem  der  Generalstäbler  auf  die 
Hand  schlagend): 
Schmecks  —  nur  für  zwanzig  Kilo  Moll ! 


620 


Der  Besitzer  (zu  den  Kellnern  rechts) ; 
Gschwind  einkassiern  beim  Militär! 
Das  is  für  jedermann  a  Ehr. 

(zu  den  Kellnern  links) 
War  so  ein  Gast  auch  noch  so  stier, 
er  ist  und  bleibt  doch  Offizier. 
Die  Würzen  lauft  euch  nicht  davon! 

Der  betrunkene  Generalstäbler: 
Wir  stehn  und  falln  mit  Habsburgs  Thron  — 
(Er  fällt  unter  den  Tisch.) 

DieToilettefrauunddasGarderobepersonal: 
Wir  stehn  und  falln  mit  Habsburgs  Thron. 

Fettköter    (zu   dem   Mädchen  auf  seinem   Schoß): 
Nanu  —  das  sag  ich  Hindenburch! 
Ihr  Wiener  seid  ja  unten  durch. 
Nee  so'n  Skandal!  Nee  so  etwas! 

Das  Mädchen  links: 
Geh  hörst,  verstehst  denn  du  kein'  Spaß? 

Die   Generalstäbler: 
Steh  auf  —  jetzt  spüln  s'  den  Prinz  Euschen! 

Der  betrunkene    Generalstäbler  (unterm 
Tisch) : 
Weißt,  Österreich  wird  ewig  stehn  — 

DieToilettefrauunddasGarde  robepersonal: 
Ja,  Österreich  wird  ewig  stehn. 

Fettköter: 
Nee  Kinder,  's  geht  mit  euch  bergab. 
Euer  liebes  Ostreich  ist  zu  schlapp. 
Euch  Bundesbrüdern  fehlt  schon  lang 
ein  richtichgehendes  Reglemang. 

Das  Mädchen  links: 
Schau  Putzi,  nimm's  nicht  so  genau! 


621 


Fettköter: 
Erlaube  mal,  du  machst  ja  flau! 
Bei  uns  muß  heute  Groß  und  Klein 
zwar  ernst,  doch  zuversichtlich  sein! 
Sie  Oba,  zahln  —  na  flink  mal  ran! 

Das  Mädchen  links: 
Hör  auf,  du  bist  ein  Fadian. 

Das  Mädchen  rechts: 
Du  meiner  Seel,  das  ganze  Jahr 
wünsch  ich  mir  einen  Kaviar. 
Ich  geh  doch  nicht  mit  jedem  Herrn  — 

Kühn: 
E  Neuigkeit,  das  hört  ma  gern. 

Fettköter  (will  aufbrechen): 
Jetzt  bin  ich  schon  seit  gestern  da, 
und  war  noch  nicht  im  Aoka ! 
Nu  fix  und  mit  ein  wenig  Schwung  — 
ich  habe  eine  Lieferung! 
Wenn  ich  da  weiter  Zeit  verlor, 
so  kommt  der  Endsieg  mir  zuvor. 

(Er  knutscht  sie.) 
Doch  heute  liegt  mir  noch  im  Sinn 
so'ne  richtje  schicke  Wienerin. 

Das  Mädchen    links    (indem  sie  den  Kellnern 
ein  Zeichen  macht)  : 

Gelt  Putzi,  nicht  wahr,  du  bist  reich? 

Chor  der  Kellner: 
Noch  einen  Heidsieck,  bitte  gleich! 

(Nachfüllen.) 

Der  Besitzer  und  die  Kellner: 
Das  Beste  ist  —  er  ist  hier  fremd  — 
wir  ziehn  ihn  aus  bis  auf  das  Hemd. 

Kohn: 
Du,  was  ich  nicht  vertragen  kann, 
ich  zahl,  und  du  schaust  jennen  an! 


622 


Das  Mädchen  rechts: 
Kann  ich  dafür,  die  Offizier 
sie  schaun  halt  alle  her  zu  mir  — 

Kohn: 
Hör  auf,  ich  möchte  mich  genieren, 
mit  Offiziere  kokettieren! 

Ein  Generalstäbler: 
Wenn  wir  verliern,  is's  kein  Malheur, 
dem  Militär  bleibt  doch  die  Ehr, 
weißt,  Krieg  is  Krieg  —  wenn  s'  uns  besiegen, 
ich  tu  halt  auf  die  Fritzi  fliegen! 

Chor  der  Generalstäbler:  , 

Uns  hier  heraußt  kann  nix  geschehn,  I 

denn  Österreich  wird  ewig  stehn. 
Sind  wir  in  der  Schlamastik  drin, 
wern  uns  die  Deutschen  außiziehn. 
Sie  Kellner,  schenken  S'  gschwind  noch  ein! 

Fettköter: 
Fest  steht  und  treu  die  Wacht  am  Rhein  I 

(Verwandlung.) 


28.  Szene 

Wiener  Vorlragssaal. 

Der  Nörgler  (spricht  das  »Gebet«): 
Du  großer  Gott  laß  mich  nicht  Zeuge  sein! 
Hilf  mir  hinab  ins  Unbewußte. 
Daß  ich  nicht  sehen  muß,  wie  sie  mit  Wein 
zur  Not  ersetzen  ihre  Blutverluste. 

Du  großer  Gott,  vertreib  mir  diese  Zeit! 

Hilf  mir  zurück  in  meine  Kindheit. 

Der  Weg  zum  Ende  ist  ja  doch  so  weit, 

und  wie  die  Sieger  schlage  mich  mit  Blindheit. 


623 


Du  großer  Gott,  so  mach  den  Mund  mir  stumm! 
Nicht  sprechen  will  ich  ihre  Sprache. 
Erst  machen  sie  sich  tot  und  dann  noch  dumm, 
es  lügt  ihr  Haß,  nimmt  an  der  Wahrheit  Rache. 

Du  großer  Gott,  der  den  Gedanken  gab, 

ihr  Wort  hat  ihm  den  Rest  gegeben. 

Ihr  Wort  ist  allem  Werte  nur  ein  Grab, 

selbst  Tat  und  Tod  kam  durch  das  Wort  ums  Leben. 

Du  großer  Gott,  verschließ  dem  Graus  mein  Ohr, 

die  Weltmusik  ist  ungeheuer! 

Dem  armen  Teufel  in  der  Hölle  fror, 

er  fühlt  sich  wohl  in  diesem  Trommelfeuer. 

Du  großer  Gott,  der  die  Erfinder  schuf 
und  Odem  haucht'  in  ihre  Nasen, 
schufst  du  die  Kreatur  zu  dem  Beruf, 
daß  sie  dir  dankt  mit  ihren  giftigen  Gasen? 

Du  großer  Gott,  warum  beriefst  du  mich 
in  diese  gottverlassene  Qualzeit? 
Strafst  du  mit  Hunger,  straflos  setzte  sich 
der  Wucher  zu  der  fetten  Totenmahlzeit. 

Du  großer  Gott,  warum  in  dieser  Frist, 

wozu  ward  ich  im  blutigen  Hause, 

wo  jeder,  der  noch  nicht  getötet  ist, 

sich  fröhlich  setzt  zu  seinem  Leichenschmause? 

Du  großer  Gott,  dies  Land  ist  ein  Plakat, 
auf  dem  sie  ihre  Feste  malen 
mit  Blut,  Ihr  Lied  übt  an  dem  Leid  Verrat, 
der  Mord  muß  für  die  Hetz'  die  Zeche  zahlen. 

Du  großer  Gott,  hast  du  denn  aus  Gemüt 
Vampire  dieser  Welt  erschaffen? 
Befrei  mich  aus  der  Zeit,  aus  dem  Geblüt, 
unseligem  Volk  von  Henkern  und  Schlaraffen! 


624 


Du  großer  Gott,  erobere  mir  ein  Land, 
wo  Menschen  nicht  am  Gelde  sterben, 
und  wo  im  ewig  irdischen  Bestand, 
sie  lachend  nicht  die  reiche  Schande  erben! 

Du  großer  Gott,  kennst  du  die  Mittel  nicht, 
die  diese  Automaten  trennten, 
wenn  sie  sich  trotz  dem  letzten  Kriegsgericht 
bedrohen  mit  Granaten  und  Prozenten? 

Du  großer  Gott,  raff  mich  aus  dem  Gewühl! 
Führ  mich  durch  diese  blutigen  Räume! 
Verwandle  mir  die  Nacht  zu  dem  Gefühl, 
daß  ich  von  deinem  jüngsten  Tage  träume! 

(Beifall,  an  dem  sich  auch  die  vorderen  Reihen  beteiligen.) 

Ein  Zuhörer  (zu  seiner  Gattin):  —  Also  du 
mußt  nämlich  wissen,  er  hat  einmal  in  die  Presse 
kommen  wollen  — 

(Verwandlung.) 

29.  Szene 

Der  Abonnent  und  der  Patriot  im  Gespräch. 

Der  Abonnent:  Der  alte  Biach  hat  in  Kolberg 
gesagt  — 

Der  Patriot:  Wieso? 

Der  Abonnent:  Ich  wollte  sagen  der  alte 
Hindenburg  —  heut  sagt  er  doch,  er  hat  in  Kolberg 
gesagt,  mit  der  Hoffnung  auf  eine  bessere  Zukunft 
für  das  deutsche  Volk  steige  ich  ins  Grab. 

Der  Patriot:  Sie? 

Der  Abonnent:  Wieso  ich?  er! 

Der  Patriot:  Also  Er? 

D  er  Abonnent:Abernein  — bloß  er!  Hindenburg! 

Der  Patriot:  WenndasderalteBiacherlebthätte! 
(Lange  Pause,  in  der  sie  einander  anblicken.) 

Der  Abonnent:  Seit  Biach  tot  ist,  sind  die 
Stimmungen  nicht  mehr  so  wie  sie  sein  sollten. 


625 


Der  Patriot:  Statt  den  Stimmungen  sind  jetzt 
die  Gerüchte,  und  das  is  immer  ein  beeses  Zeichen. 

Der  Abonnent:  Mir  scheint  stark  —  es 
geht  schwach. 

Der  Patriot  (blickt  schmerzvoll  zum  Himmel >:  Man 
wird  doch  da  sehn. 

(Verwandlung.) 

30.  Szene 

Zwei   Kommerzialräte   aus   dem   Hotel   Imperial    tretend.    Eine 
Bettlerin  mit  einem  Holzbein  und  einem  Armstumpf  steht  vor 

ihnen. 

Erster  Kommerzialrat  (sich  umsehend):  Is  kein 
Wagen  da?  Schkandaal! 

Beide  (mit  ihren  Stöcken  auf  ein  vorüberiahrcndes 
Automobil  zielend) :  Auto  —  ! 

Der  erste  (einem  Fiaker  nachrufend):  Sie  —  sind 
Sie  frei? 

Der  Fiaker  (achselzuckend):   Bin  bstöllt! 

Der  zweite  (indem  sie  von  Bettlern  aller  Arten 
umkreist  werden) :  Das  einzige  was  ma  noch  hat,  daß 
man  überhaupt  noch  was  zum  essen  kriegt.  (Eine 
Frau  bricht  vor  Hunger  zusammen  und  wird  fortgetragen)  — 
Schkandaal,  auf  der  Ringstraße!  —  Rothschild  v/ird 
auch  grau  — 

Der  erste:  Kein  Wunder  bei  die  Zeiten. 

Der  zweite:  Er  kann  doch  höchstens  —  wie 
lang  is  das  her,  warten  Sie  — 

Der  erste:  Was  nutzt  das  alles,  eine  Stimmung 
is  in  dem  Wien  —  Wissen  Sie,  seit  der  alte  Biach 
tot  is  — 

Der  zweite:  Die  Krone  fällt  rapid  — 

Der  erste:  Vorige  Woche,  wenn  man  noch 
hinübergebracht  hätte  — 

Der  zweite:  Morgen  wollt  ich  hinauf  in 
die  Devisenzentrale  —  aber  was  braucht  man  sich 
richten,  es  geht  so  leichter. 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  40 


626 


Der  erste  (wirft  seinen  Zigarrenrest  und  einen 
Zwanzighellerschein  vor  einen  Bettler  hin):  Das  is  auch 
schon  teurer  geworn.  Silvester — dieLoosch  im  Tabarin 
kostet  mich  geschlagene  sechshundert  —  meine  Frau 
laßt  doch  nicht  locker  —  wenn  das  so  weiter  geht, 
nächsten  Silvester  tausend  1 

Der  zweite:  Warum  nicht? 
(Der  Nörgler  geht  vorbei.) 

Der  erste  (spuckt  aus):  Meine  Sorgen  auf  ihm! 

Der  zweite:  No  Sie,  wenn  ich  das  meinem 
Jüngsten  erzähl  — 

Der  erste:  Wieso? 

Der  zweite:  Er  schwärmt  für  ihm.  In  alle 
Vorlesungen  rennt  er.  Er  is  nämlich  einer  seiner 
glühendsten  Verehrer. 

Der  erste:  Ich  an  Ihrer  Stelle  würde  nur  hauen 

Der  zweite:  Was  fallt  Ihnen  ein,  heutzutag  — 
der  Bub  is  imstand  und  gebt  mich  hinein  in  das 
rote  Büchl. 

Der  erste:  Wissen  Sie,  daß  das  die  Zensur 
durchlaßt,  man  greift  sich  an  den  Kopf,  anderswo 
war  er  längst  gehängt!  Fortwährend  dieses  Auf- 
wiegeln —  gegen  den  Krieg  und  sogar  gegen  die 
Presse!  Er  schreit,  es  soll  kein  Krieg  sein  —  no  is 
deswegen  kein  Krieg?  No  also  müßt  er  doch  Ruh  geben. 

Der  zweite:  Das  hab  ich  gern  im  Krieg, 
hetzen,  zum  Frieden! 

Der  erste:  Neulich  hörich  soll  er  förmlich 
in  den  Saal  hereingerufen  haben,  sie  solln  nicht 
mehr  in  den  Krieg  ziehn  und  solln  aufhören  die 
Presse  abonnieren!  Also  wenn  der  nicht  von  der 
Antaant  bezahlt  is,  will  ich  Veitl  heißen.  Dorten 
kommt  der  Wassilko  mit  der  Gerda  Walde.  Zu  Fuß ! 

Der  zweite:  Wo? 

Der    erste   (mit  dem  Finger  zeigend) :    Dorten. 

Der  zweite:  Meinem  Buben  hat  er  den  Kopf 
verdreht.    Bis  mir  kürzlich   die   Geduld  gerissen  is, 


627 


no  hab  ich  mir  ihn  doch  hergenommen  und  hab 
ihm  gesagt,  das  Geschimpfe  auf  dem  Krieg  hat  gar 
keinen  Zweck,  wenn  kein  Krieg  war,  gebets  auch 
keinen  Kriegsgewinn,  fertig.  No  das  hat  er  eingesehn. 
Aber  was  nutzt  das,  dann  rennt  er  doch  wieder  in 
die  Vorlesungen.  Was  is  mit  Ihrem  Jüngsten? 
Macht  er  Fortschritte? 

Der  erste  (stolz):  Was  wolln  Sie  haben?  Er 
draht  schon  mit  dem  Sascha  Kolowrat! 

Der  zweite:  Sss!  Recht  hat  er,  solang  man 
jung  is,  soll  man  sich  unterhalten.  Komisch,  ich 
muß  immer  lachen  —  was  sagen  Sie  zum  heutigen 
Hirschfeld? 

Der  erste:  Glänzend.  No  und  die  Schalek? 
Sogar  die  greift  er  an! 

Der  zweite:  Nutzt  nix,  tapfer  is  sie.  Soll  er 
sich  traun,  mitten  in  der  Schlacht  sich  hinstelln  und 
schreiben !  Wir  ham  Sitze  zu  Piccaver  — 

Der  erste:  Ich  hab  kürzlich  auch  meiner  Frau 
auseinandergesetzt,  weil  sie  immer  treibt,  wenn  nur 
der  Krieg  schon  zu  End  war,  die  Soldaten  im 
Schützengraben  tun  ihr  leid.  Ich  sag  immer,  dafür 
ham  sie  das  Bene,  der  Nachruhm  in  den  Annalen! 
Was  ham  wir?  Die  Kriegsgewinnsteuer!  Das  ver- 
gessen die  Leute  immer. 

Der  zweite:  No  und  das  Friedensrisiko — ?! 

Der  erste:  Man  soll  gar  nicht  daran  denken. 
Wissen  Sie  —  wenn  einer  zurückkommt  und  er 
fängt  an  zu  erzählen  —  es  is  doch  immer  dasselbe  — 
gut,  sie  ham  ausgestanden,  aber  das  weiß  man  doch 
schon!  Ich  kann  gar  nicht  mehr  zuhörn,  es  is  doch 
schon  fad. 

Der  zweite:  Man  hat  scho  genug  von  die  Graiel. 

(Ein  Invalide  humpelt  vorbei.) 

Beide  (mit  ihren  Stöcken  auf  ein  vorüberfahrendes 
Automobil  zielend) :  Auto  —  ! 

(Verwandlung.) 


40* 


628 


31.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Nörgler:  Das  Pferdespital  bot  keine 
Rettung  mehr.  Dieser  Märtyrer  mußte  getötet  werden. 
Er  hatte  die  Zeichen  der  großen  Zeit  auf  seinem 
Rücken;  eine  förmliche  Zeichnung.  Auf  beiden  Seiten 
ziemlich  regelmäßig  die  gleiche  Form.  Vom  Rückgrat 
sah  man  das  Gelbe  des  Knochens;  ebenso  an  den 
Hüften.  Der  Schweif  durch  Streifschuß  weggeschossen. 
Der  Gurt  hatte  sich  ganz  herum  wund  eingegraben. 
Die  Wunde  war  grün  vereitert  und  sah  aus  wie  eine 
Verbrennung  höchsten  Grades.  Diagnose:  Tragbares 
Geschütz,  wochenlang  nie  abgeschnallt.  Weder  nachts 
noch  untertags  kam  die  Last  von  diesem  Rücken 
herunter. 

Der  Optimist:  Ja,  da  hilft  nichts,  die  Tiere 
müssen  eben  auch  an  den  Krieg  glauben. 

.Der  Nörgler:  Und  ihre  Blutzeugenschaft 
wird  die  Schinder  und  Schänder  der  Kreatur  lauter 
anklagen  als  das  Martertuni  der  Menschen ;  denn  sie 
waren  stumm.  Das  wunde  Pferd,  auf  dessen  Rücken 
die  Form  der  Geschützlast  eingezeichnet  war,  die  Last 
des  Menschentods,  ist  ein  Traumbild,  an  dessen 
Schrecknis  jene  sterben  werden,  die  sich  auf  Lorbeern 
schlafen  gelegt  haben. 

Der  Optimist:  Weil  wir  von  Tieren  sprechen  — 
da  habe  ich  eine  empörende  Annonce  für  Sie  aufge- 
hoben: »Hunde  zum  Schlachten  werden  zu  hohen 
Preisen  gekauft«.  So  etwas  sollte  doch  nicht  annonciert 
werden!  Welche  Schlüsse  sollen  die  Feinde  auf  unsern 
Ernährungszustand  ziehen,  wenn  sie  hören  — 

Der  Nörgler:  Die  Schlüsse  auf  unsern  Kultur- 
zustand scheinen  mir  noch  gefährlicher. 

Der  Optimist:  Wieso?  Wenn  der  Mensch 
Nahrung  braucht,  verschmäht  er  selbst  das  Fleisch  des 
Hundes  nicht  und  tötet  ihn  eben. 


629 


Der  Nörgler:  Zam  Unterschied  vom  Hund, 
der  die  Nahrung  verschmäht,  wenn  ihm  ein  Mensch 
gestorben  ist. 

Der  Optimist:  Ich  habe  noch  nie  von  einem 
solchen  Hund  gehört. 

Der  Nörgler:  Hier  können  Sie  von  einem 
lesen  —  in  der  Zeitschrift  ,Der  Tierfreund' :  »Hunde- 
treue. Wie  uns  ein  Mitglied  schreibt,  ist  die  von 
unserem  Vereine  mehrmals  mit  einer  ermäßigten 
Hundemarke  bedachte  Hilfsarbeiterin  Hermine  Pfeiffer 
vor  einigen  Wochen  gestorben.  Ihre  Pudelhündin 
verschmähte  seit  dem  Todestage  der  Frau  jede 
Nahrung  und  ging  einige  Tage  nachher  zugrunde. 
Man  fand  das  treue  Tier,  welches  seinen  Kopf  auf 
einem  von  seiner  Herrin  früher  benützten  Polster 
liegen  hatte,  des  morgens  tot  auf.  Merkwürdig  ist, 
daß  die  Verstorbene  sich  einmal  geäußert  hatte,  daß 
sie  froh  wäre,  wenn  ihr  Hund  auch  enden  würde, 
wenn  ihr  einmal  etwas  zustoßen  sollte,  damit  das 
Tier  nicht  in  schlechte,  rohe  Hände  käme.  Und 
wirklich  ist  die  Hündin,  welche  ihrer  Wohltäterin  so 
innig  zugetan  war,  sehr  rasch  nach  dieser  vor  Gram 
zugrundegegangen«.  Das  ist  gut  so. 

Der  Optimist:  Warum? 

DerNörgler:  Sie  wäre  sonst  gefressen  worden. 
Vorausgesetzt,  daß  sie  nicht  vor  Hunger  schon  zu 
mager  war.  Wenn  Hunde  nicht  den  Menschen  liebten, 
würden  sie,  eh  sie  sich  seitwärts  in  die  Büsche 
schlagen,  bekennen,  daß  sie  doch  bessere  Menschen 
sind! 

Der  Optimist:  Es  muß  aber  wohl  tiefere 
Gründe  haben,  daß  »Hund«  ein  Schimpfwort  ist  und 
»hündisch«  die  übelste  Gesinnung  bezeichnet. 

Der  Nörgler:  Das  ist  leider  wahr.  Es  be- 
zeichnet etv.'a  die  jener  Menschen,  welche  Hunde  zum 
Schlachten  zu  hohen  Preisen  kaufen  wollen.  Oder 
jener,  von  denen  es  hier  in  dieser  Theaterkritik  heißt: 
>Das  Deutsche  Volkstheater  hat  gezeigt,  daß  es  auch 


630 


Autoren  zu  Wort  kommen  läßt,  die  nicht  hündisch 
den  Geschmack  des  gutzahlenden  Publikums  abzu- 
lauschen suchen«. 

Der  Optimist:  Wollen  Sie  den  Geschmack 
des  gutzahlenden  Volkslheaterpublikums  mit  dem 
Geschmack  der  Leute,  die  zu  hohen  Preisen  Hunde 
zum.  Schlachten  — 

Der  Nörgler:  Warum,  nicht,  die  sitzen  auch 
schon  in  Logen.  Aber  was  immer  den  Hunden  nach- 
gesagt werden  mag,  nie  konnte  doch  einemi  von  ihnen 
bis  heute  vorgeworfen  werden,  daß  er  den  Geschmack 
des  Volkstheaterpublikums  abzulauschen  gesucht  hat. 
Ich  glaube  aber  auch  nicht,  daß  ein  Hund  aus  Gram 
über  den  Tod  eines  Volkstheaterhabitues  sterben 
würde.  Hier  spürt  die  liebende  Kreatur  die  Grenze.  Wo 
nichts  Menschliches  ist,  hat  auch  das  Hündische 
nichts  zu  suchen. 

Der  Optimist:  Sie  scheinen  ja  überhaupt 
den  Hunden  ein  besseres  Zeugnis  als  den  Menschen 
ausstellen  zu  wollen. 

Der  Nörgler:  In  jedem  Falle.  Ob  schön, 
ob  Regen,  bei  Tag  und  bei  Nacht,  in  Krieg  und 
Frieden.  In  diesem  Krieg  haben  auch  sie  durch- 
gehalten—  und  waren  doch  wehrloser.  Und  jeder  von 
jenen,  die  eingerückt  waren,  jeder  Kriegshund  könnte 
dem  besternten  Gelichter,  das  Soldaten  »Fronthunde« 
genannt  hat,  zeigen,  daß  an  dem  Vergleich  Ehre  ist 
und  nur  an  den  Unmenschen  keine.  Man  reiße  ihnen 
die  Orden  von  der  Brust  und  weihe  sie,  indem  man 
sie  den  Hunden  verleiht,  den  in  Armut  und  Würde 
beispielgebenden  Antipoden  des  Generalstabs! 
(Verwandlung.) 

32.  Szene 

Beim  Bataillonsrapport. 
Der  Major:  Was  warst  du? 
Der  Soldat:  Herr  Major,  melde  gehorsamst, 
Sattler. 


631 


Der  Major:  Hast  du  da  nicht  gelernt,  mir 
in  die  Augen  zu  sehn?  Du  Hund!  Ihr  Hunde!  Sohn 
einer  Hündin  du!  (Zu  einem  andern)  Du  hast  einen 
Brief  an  deine  Frau  geschrieben,  wo  du  dich  über 
die  Behandlung  beklagst. 

Der  Soldat  (erschrocken):  Herr  Major  — 
melde  —  bitte  —  gehorsamst  — 

Der  Major  (den  Brief  schwenkend):  Da  is  der 
Brief!  Was,  da  schaust,  hast  nicht  gewußt,  daß  ich 
der  Zensor  bin?  Du  Hund!  Ihr  Hunde!  Sohn  einer 
Hündin  du!  Das  ist  das  größte  Schwein  vom  ganzen 
Barackenlager!  21  Tag  Einzel  mit  drei  Fasttagen  in 
der  Woche,  hernach  in  die  vorderste  Lini  einrückend 
gemacht!  Wirst  schon  sehn,  du  Schweinehund! 
Wirst  dich  verflucht  umschaun!  (Zu  einem  andern  Soldaten) 
Ah  das  is  der  mit  die  Bauchschmerzen!  Hat  dir  deine 
Mutter  was  zum  fressen  geschickt?  Wenn  du  mir 
nur  verrecken  möchtest!  (Er  versetzt  ihm  drei  Hiebe  mit 
dem  Stock  über  Kopf  und  Rücken.  Der  Soldat  wankt  weinend 
fort.)  Daß  ihrs  nur  wißt,  die  vier  Infanteristen,  die 
sich  geweigert  haben,  ein  Achtel  Brot  anzunehmen, 
kommen  vors  Divisionsgericht  und  wern  erschossen. 
Natürlich  Tschechen!  Wenn  ein  Soldat  seinen  Pflichten 
als  Vaterlandsverteidiger  nicht  nachkommt,  so  is  es 
immer  ein  Tscheche!  Lauter  Überläufer!  Ein  deutscher 
Soldat  kommt  immer  seinen  Pflichten  nach.  Ich 
bin  ja  selbst  Tscheche,  aber  ich  schäme  mich, 
dieser  Nation  anzugehören.  (Zu  einem  Gefreiten)  Sie 
wern  mir  morgen  den  Einkauf  besorgen,  um  mir 
Gelegenheit  zu  geben,  Sie  einzusperrn.  Zum  Höchst- 
preis kriegen  Sie  nix,  über  den  Höchstpreis  dürfen 
Sie  nix  bringen.  Bringen  Sie  nix,  wandern  Sie 
unnachsichtlich  ins  Loch!  Also  —  was  wolln  S'  noch? 

Der  Gefreite:  Herr  Major,  melde  gehorsamst, 
der  Herr  Leutnant  Ederl  hat  auf  eigene  Faust  im 
Zillertal  Schnittkäse  für  10  Kronen  das  Kilogramm 
gekauft  und  hat  ihn  wollen  an  die  Oifiziersmesse 
für  24  Kronen  weiterverkaufen. 


632 


Der  Major:  Was  sagen  Sie  da?  —  Das  is  ja 
unerhört! 

Der  Gefreite:  Der  Menageverwalter  hat  das 
Anbot  wegen  schlechter  Qualität  abgelehnt.  Damit 
der  Herr  Leutnant  nicht  zu  kurz  kommt,  ist  ihm  der 
Käse  für  die  Mannschaft  abgenommen  worn,  dafür 
hat  man  sie  am  Fleischrelutum  verkürzt.  Ich  glaube, 
Herr  Major,  daß  ich  im  Interesse  der  Mannschaft 
gegen  das  Unstatthafte  einer  solchen  — 

Der  Major:  Das  is  ja  unerhört!  Sie  haben 
an  dem  Tun  und  Lassen  der  Herrn  Offiziere  keine 
Kritik  zu  üben!  Sechs  Stund  Spangen!  (Zu  einem  andern) 
Du  hast  dich  über  die  schlechte  und  unzulängliche 
Kost  beschwert? 

Der  Soldat:  Herr  Major,  bitte  gehorsamst, 
jawohl! 

Der  Major  (gibt  ihm  eine  Ohrfeige) :  Nicht  an 
der  Menage  fehlts,  sondern  ihr  habts  zu  wenig 
Appetit!  Seids  froh,  daß  Krieg  is!  Ihr  habts  in 
Friedenszeiten  nicht  einmal  das  zu  fressen!  Ich  wer' 
euch  exerzieren  lassen,  bis  euch  die  Zunge  bis  zum 
Magen  heraushängt  —  dann  wern  die  Klagen  über 
die  schlechte  Verpflegung  schon  vor  selber  aufhörn! 
Du  Hund!   Ihr  Hunde!    Sohn  einei  Hündin  du! 

(Verwandlung.) 

33.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Um  in  das  Gefühlslebendes 
Kriegsteilnehmers  Einblick  zu  gewinnen,  brauchte 
man  bloß  — 

Der  Nörgler:  —  einen  Feldpostbrief  zu  lesen. 
Zumal  einen  von  jenen,  deren  Schreiber  irgendwie  die 
Möglichkeit  hatten,  sie  zensurfrei  an  ihre  Adresse 
gelangen  zu  lassen. 

Der  Optimist:  Troizdem  würde  man  daraus 
entnehmen,  daß  es  eines  jeden  höchster  Ehrgeiz  ist, 


633 


sich  gut  zu  schlagen,  und  daß  ihm  Pflichttreue 
selbst  vor  der  Sehnsucht  nach  Weib  und  Kind  steht. 
Der  Nörgler:  Oder  es  faßte  einen  das 
Grausen  vor  dem  unermeßlichen  Verbrechen  dieser 
kriegsurhebenden,  beziehungsweise  kriegsverlängern- 
den Schurken,  das  der  Eingriff  in  ein  einziges  der 
Millionen  Schicksale  bedeutet,  die  Zerreißung  und 
Zertrampelung  jedes  einzelnen  Lebensglücks,  die 
Zubereitung  dieser  Martern  einer  jahrelangen 
Unheilserwartung  zwischen  Haus  und  Graben,  einer 
Spannung,  die  vor  dem  Schweigen  zittert  und  jedes 
Lebenszeichen  von  da  und  dort  als  Todesbotschaft 
fürchtet.  Eine  Gattin  wird  Mutter,  eine  Mutter  stirbt  — 
und  der,  den's  am  nächsten  angeht,  liegt  irgendwo 
im  Dreck  fürs  Vaterland.  Nun  haben  ja  die  Schurken 
die  sinnreiche  Einrichtung  getroffen,  daß  die  Feldpost, 
diese  verfluchte  und  doch  wie  ersehnte  Erfindung 
des  Satans,  zeitweise  überhaupt  suspendiert  wird. 
Da  wissen  dann  die  Unglücklichen  mehr  als  genug; 
denn  die  Stille  bedeutet  die  vor  dem  Sturm.  Und 
mit  wie  unausdenkbarer  Mechanik  fügen  sich  die 
elementaren  Tatsachen  des  Lebens,  Geburt  und  Tod, 
dem  unerforschlichen  Ratschluß  des  Generalstabs! 
Nur  die  Liebe  pariert  ihm   nicht.   Was   ist   ihm   die 

Liebe!    (Er  liest  vor :) 

»  —  der  allgemeine  Grund  der  Verlangsamung 
der  Post  von  hier  ins  Hinterland  soll  der  sein,  daß 
jetzt  nicht  mehr  zensuriert  wird,  sondern  die 
Post  einfach  zurückgehalten  wird,  um  von  den 
Ereignissen  überholt  zu  werden. 

Ich  versuche  die  verschiedensten  Methoden,  um 
mir  diese  schwere,  schreckliche  Zeit  leichter  zu 
machen  —  alles  ohne  Erfolg.  Wenn  ich  viel  an 
dich  denke,  so  werde  ich  nur  noch  trauriger,  und 
wenn  ich  mich  zu  zerstreuen  suche,  bin  ich  dai,n 
nachher  nur  noch  trauriger.  Das  Richtigste  ist 
so  in  den  Tag   hinein   zu   leben,    damit  die  Zeii 


634 


schneller  vergeht.  Denn  jeder  Tag,  der  vorüber  ist, 
bringt  uns  ja  näher,  das  dürfen  wir  nicht  vergessen! 
Ich  bin  noch  ganz  unter  dem  Eindruck  des 
Sorgengefühles,  das  ich  heute  um  dich  habe,  ich 
will  es  aber  abschütteln  und  mich  ganz  nur  der 
Hoffnung  auf  gute  Nachrichten  morgen  von  dir 
hingeben.  Wenn  ich  so  daran  denke,  daß  ich  jetzt 
bei  dir  sein  könnte,  dein  geliebtes  Gesichtl  sehen, 
mit  dir  sprechen  über  die  kommenden  Tage,  die 
ja  unser  Glück  noch  mehr  besiegeln  sollen  — 
und  ich  bin  hier,  weit  weg,  und  du  allein!  Wirklich, 
er  ist  so  grausam,  dieser  Krieg,  so  unnatürlich, 
es  sind  ja  nicht  nur  wir,  die  darunter  zu  leiden 
haben,  so  viele,  so  unzählige  werden  unglücklich 
gemacht  durch  diese  Willkür  einiger  gewissenloser 
Menschen.  Aber  was  scheren  mich  die  anderen, 
mir  bricht  das  Herz,  wenn  ich  an  das  denke,  was 
wir  zwei  jetzt  durchzumachen  haben!  Es  ist  zu 
schrecklich,  kaum  zu  überwinden.  Und  dabei  muß 
man  noch  Dienst  machen,  schweren,  verantwortungs- 
vollen, gefährlichen,  soll  als  Beispiel  der  Leute  an 
Tapferkeit,  Pflichttreue  und  wie  alle  diese  mir 
verhaßten  Tugenden  heißen,  auftreten  und  tut 
ja  jeden  Schritt,  den  man  in  dieser  Sache  macht, 
mit  Ekel  und  Widerwillen,  gegen  alle  innerste 
Überzeugung.  Es  wird  von  einem  verlangt,  daß 
man  alle  seine  besseren  Gefühle  verleugnet,  und 
wer  zu  gut  ist  um  das  zu  tun,  der  leidet  unsäglich, 
und  macht  mit  Ekel  alles,  was  man  von  ihm 
verlangt.  Wo  wir  so  glücklich  waren,  uns  so  in- 
einander gelebt  haben,  so  eins  sind,  daß  eins  ohne 
das  andere  ganz  verloren  ist.  Ich  bin  so  arm  und 
klein  ohne  dich,  du  würdest  mich  manchmal  gar 
nicht  wiedererkennen.  So  oft,  wenn  ich  meinen 
Gedanken  nachgehe,  auch  wenn  sie  nicht  gerade 
zu  dir  fliegen,  möchte  ich  dich  oft  was  fragen, 
was  wissen  von  dir,  deine  Meinung  hören,  und 
bin  allein!  Ich  brauche  die  Meinung  eines  andern 


635 


nicht,  dich  will  ich  hören,  für  dich  denke  und 
fühle  ich,  was  immer  es  auch  ist,  und  ohne  dich 
bin  ich  nicht  ich,  bin  ich  halb  und  arm.  Deine 
Liebe,  die  ja  auch  aus  der  Ferne  zu  mir  herüber- 
strahlt, ist  das  Einzige,  was  mir  noch  Lebensfreude 
erhält.  Zu  was  noch  reden,  zu  was  die  Wunden 
noch  aufwühlen,  die  ja  so  schon  so  brennen!  Du 
weißt,  daß  du  mir  alles  bist  —  oder  eigentlich 
bist  du  der  Grund  von  meinem  Elend,  denn  ohne 
dich  wäre  mir  das  alles  gar  nicht  arg!  Und 
manciimal  denke  ich  auch  voraus.  Bis  zur  völligen 
Erschöpfung,  halb  tot  werden  wir  uns  in  den  Armen 
liegen  und  nicht  mehr  können  vor  Liebe,  Liebe! 

Ach,  daß  ich  nicht  da  sein  kann!  Nicht 
gerührt  hätte  ich  mich  von  deiner  Seite  während 
der  schweren  Stunden,  die  dich  erwarten,  und  es 
wäre  dir  alles  so  viel  leichter  geworden. 

Über  m.ich  mach  dir  keine  Sorgen.  Wenn  ich 
dich  herzaubern  könnte,  würde  ich  dich  ganz  ruhig 
in  die  Gräben  mitnehmen. 

Oh,  daß  ich  nicht  bei  dir  sein  kann!  Ich  gehöre 
ja  dazu,  und  kann  nicht  da  sein!  Oh  gebe  Gott, 
daß  du  nicht  zu  arg  gelitten  hast,  daß  dir  nichts 
geschehen  ist,  daß  du  mir  gesund  geblieben  bist 
und  dich  jetzt  von  Tag  zu  Tag  erholen  und  stärken 
wirst.  Oh  gebe  Gott,  daß  ich  heute  eine  von  dir 
selbst  geschriebene  Karte  bekomme.  Bis  du  diese 
Zeilen  erhältst,  wird  es  dir  —  gebe  Gott  —  schon 
gut  gehen.  Hast  du  gefühlt,  daß  ich  bei  dir  war 
und  daß  ich  alles  mitgelitten  habe  mit  dir?  Oh, 
es  wird,  es  muß  die  Zeit  kommen,  wo  wir  uns 
entschädigen  werden  für  alles  überstandene  Leid. 

So  weit,  so  weit  von  dir  in  diesen  Tagen! 
Oh  warum,  warum  kann  ich  jetzt  nicht  bei  dir 
sitzen,  dich  wärmen  und  stärken  mit  meiner  end- 
losen Liebe!  Ich  kann  mich  nicht  erwehren,  habe 
fort  ganz  nasse  Augen,  so  daß  ich  kaum  sehe, 
was  ich  schreibe. 


636 


Ach  Gott,  daß  ich  nicht  bei  dir  sein  kann! 
Und  Iceine  Hoffnung!  Man  wird  jetzt  nicht  nach 
Haus  oder  zum  Kader,  sondern  in  irgend  ein 
Spital  geschickt. 

Habe  so  viel  graue  Haare  bekommen,  daß  ich 
sie  gar  nicht  mehr  zählen  kann.  Aber  lieb  hab  ich 
dich,  ob  weit  oder  nah,  lieb,  lieb,  lieb,  unaus- 
sprechlich, wahnsinnig.  —  « 

Der  Optimist:  Was  weiter?  Er  kehrt  heim, 
und  findet  Gattin  und  Kind,  die  sich  wohl  befinden. 
Der  Nörgler:  Das  Vaterland  wills  anders. 
Hier  kommt  ein  Mensch  zur  Welt,  dort  fällt  einer. 
Nie  habe  ich  Traurigeres  gelesen,  nie  Wahreres  als 
diesen  letzten  Brief  eines,  der  Vater  wurde,  als  er 
starb.  Das  ganze  Vaterland  mit  Sack  und  Generals- 
pack für  einen  einzigen  dieser  Millionen  Märtyrer 
der  Liebe! 

(Vervpandlung.) 

34.  Szene 

Im  Dorfe  Postabi tz. 

Eine  Frau  (sitzt  an  einem  Tisch  und  schreibt) : 
Inigsgelibter  Gatte! 

Ich  theile  Dir  mit,  daß  Ich  mich  verfeit  habe. 
Ich  kan  nichs  Dafür,  lieber  Gatte.  Du  verzeist  mir 
schon  alles,  was  ich  Dir  mittheile.  Ich  bin  in 
Hoffnung  gerathen,  von  einem  andern.  Ich  weis  ja, 
das  Du  gut  bist  und  mir  alles  verzeist.  Er  hat  mich 
überredet  und  sagte,  Du  komst  so  nicht  mehr  zurück 
vom  Felde  und  hatte  dazu  meine  schwache  Stunde. 
Du  kennst  ja  die  weibliche  Schwäche  und  kanst 
nichts  Besseres  als  verzeihen,  es  ist  schon  passiert. 
Ich  dachte  mir  schon,  Dir  muß  auch  schon  was 
passiert  sein,  weil  Du  schon  3  Monat  nichts  mehr 
geschrieben  hast.  Ich  bin  ganz  verschrocken,  als  ich 
Deinen  Brief  erhalten  habe  und  Du  noch  am  Leben 
warst.    Ich    wünsche   es  dir   aber   verzeihe  es  mir, 


637 


lieber  Franz,  vileicht  stirbt  das  Kind  und  dan  ist 
alles  wieder  gut.  Ich  mag  diesen  Kerl  nicht  mehr, 
weil  ich  weis,  das  Du  noch  am  Leben  bist.  Bei  uns 
ist  alles  sehr  teuer,  es  ist  gut,  daß  Du  fort  bist, 
im  Feld  kostet  Dich  wenigstens  das  Essen  nichts. 
Das  Geld,  was  Du  mir  geschickt  hast,  kan  ich  sehr 
notwendig  gebrauchen.  Es  grüßt  Dich  nochmals 
Deine  Dir  unvergeßliche  Frau  Anna. 

(Verwandlung.) 

35.  Szene 

Spital  in  Leitmeritz, 

Ein  Austauschinvalide  (zu  seinem  Bettnachbar, 
schwer  atmend):  Man  darf  nicht  —  die  Geduld  — 
verlieren.  Es  is  ja  doch  schon  —  unsere  vorletzte  — 
Station.  Dann  wem  s'  uns  —  nach  Prag  —  oder 
Wien  —  aber  bald  —  komm  ich  —  nach  Postabitz. 
(Es  wird  eine  Briefverteilung  vorgenommen.)  Vielleicht  — 
von  meiner  Anna  —  (Er  streckt  die  linke  Hand  nach 
einem  Brief  aus.)  Gott  —  ja!  (Er  versucht  sich  aufzurichten. 
Er  hält  den  Brief  mit  den  Zähnen  fest,  öffnet  ihn  mit  der 
Linken  und  liest.  Er  sinkt  zurück,  vom  Schlage  gerührt.) 

(Verwandlung.) 

36.  Szene 

Heimkehrerlager  in  Galizien. 

DerFreund  (schreibt  einen  Brief) : Besonders 

seit  jene  gefallen  sind,  wollte  es  mir  nicht  mehr 
passend  scheinen,  über  mein  verhältnismäßig  doch 
erträgliches  Los  auch  nur  ein  Wort  der  Klage  zu 
verlieren.  Aber  ich  bin  nun  nahe  den  Vierzig,  habe 
Frau  und  Kinder  und  sonst  noch  einige  Sorgen, 
die  mir  über  den  Kopf  zu  wachsen  drohen,  und 
muß  nun  schon  das  vierte  Jahr  (und  wer  weiß,  wie 
lange  noch!)  im  lächerlichen  Glanz  einer  Wehr- 
fähigkeit, die  einen  zum  wehrlosesten  Geschöpf  auf 


638 


Gottes  Erdboden  macht,  vor  der  Willkür  dieses 
hoffnungslosesten  aller  Kriege  sozusagen  ohnmächtig 
habtacht  stehen.  Das  zehrt  an  den  Nerven  und 
zermürbt  den  Geist.  Das  bitte  ich  Sie  in  Nachsicht 
zu  bedenken  und  mir  zu  verzeihen,  wenn  ich  mich 
auch  jetzt  noch,  da  sich  zweifellos  manches  zu 
meinen  Gunsten  gewendet  hat,  nicht  wortlos  über 
all  das,  was  mein  persönliches  leidliches  Ungemach 
betrifft,  hinwegzusetzen  vermag,  obwohl  meine 
Ehrfurcht  vor  dem  Schweigen  jener,  denen  Ihre 
ergreifende  Totenklage  gilt,  groß  und  meine 
Erkenntlichkeit  für  alles,  was  Sie  für  mich  —  für 
mich,  der  ich  noch  am  Leben  bin!  —  getan  haben, 
tief  und  unauslöschlich  ist. 

Gewiß,  ich  habe  allen  Grund,  einem  gütigen 
Geschick  dankbar  zu  sein,  das  mich  nun  schon  die 
längste  Zeit  der  Front  ferne  hält.  Aber  ich  weiß 
nicht  —  vielleicht  bin  ich  schon  zu  benommen,  um 
mir  dessen  als  einer  Wohltat  auch  recht  bewußt  zu 
werden;  und  manchmal  —  denken  Sie!  —  ist  mir 
sogar,  als  hätte  ich  draußen  in  der  Gefahr  mitunter 
freier  geatmet,  freier  als  hier  in  der  Geborgenheit.  Das 
mag  eine  Selbsttäuschung  sein  oder,  wenn  nicht, 
darin  begründet  sein,  daß  draußen  der  Lebenswille 
das  Blut  doch  seltsam  erregt,  während  ich  hier  von 
Angst  gelähmt  bin,  es  könnte  der  Lebensüberdruß 
mir  schließlich  zum  Lebensinhalt  werden.  Was  das 
betrifft,  kann  ich  nur  sagen,  daß  mir  die  Schrecken 
der  Kriegsmaschine  —  im  übertragenen  Sinne 
wenigstens  —  nie  so  nahe  gegangen  sind  wie  die 
Qual,  die  mir  gegenwärtig  die  Verbannung  in  ein 
Offiziersmilieu  bereitet,  das  —  zumeist  aus  ungarischen 
Juden  bestehend  —  sich  bei  näherem  Zusehen  als 
ein  Konsortium  uniformierter  Schleichhändler  enthüllt. 
Dazu  die  Trostlosigkeit  des  äußeren  Aspekts  dieses 
Lagers,  das  —  ein  rechtes  Sinnbild  unseres  Elends  — 
die  eigenen  heimgekehrten  Soldaten  wie  wilde 
Völkerschaften    hinter    einer    rostigen    Stacheldraht- 


639 


Umfriedung  zur  Schau  stellt,  während  Jammergestalten 
mit  aufgepilanzlem  Bajonett  die  Eingänge  und  ins- 
besondere ein  Haupttor  bewachen,  das  im  flatternden 
Schmuck  von  Fähnchen  und  Girlanden  die  gemüt- 
volle Aufschrift  »In  der  Heimat  willkommen!«  trägt. 
Gott,  man  begreift  ja  diese  wie  manche  andere 
peinliche,  fast  rührende  V  rlegenheit,  in  die  die 
Staaten  Europas,  und  vollends  der  unsere,  durch 
diese  Riesenkriegsblamage  gestürzt  wurden;  und 
stünde  man  draußen  —  außerhalb  des  Gitters  — , 
ließe  sich  das  Ganze  allenfalls  mit  Humor  betrachten 
(zumal  jetzt,  wo  die  Heimkehrer  vorziehen,  an  der 
Grenze  Kehrt  zu  machen  und  in  das  russische  Chaos 
zurückzuilüchten).  Aber  wenn  man  sozusagen  Zwangs- 
angestellter dieses  ärarischen  Jahrmarktbetriebes  ist, 
und  wenn  man,  in  die  Seele  dieses  Unternehmens 
vordringend,  auf  einen  Konzern  von  Geschäftemachern 
stößt,  der  Lebensmittel,  die  im  Handeinkauf  beschafft 
dem  Hunger  jener  armen  Teufel  zu  Leibe  rücken 
sollten,  im  Dunkel  eines  Hinterlands  verschwinden 
läßt,  das  keinen  Hunger  —  nur  den  nach  Geld  — 
kennt;  wenn  einem  ein  Exportkommis  zu  Defehlen 
hat,  dem,  als  er  mich  jüngst  bei  der  Lektüre  der 
Fackel  überraschte,  der  verdutzte  Ausruf  entfuhr: 
»I  du  meine  Güte  —  fackelt  der  noch  immer 
herum?!«  —  dann  dringt  einem  kalter  Schweiß  aus 
den  Poren  und  man  möchte  nicht  nur  aus  dem  da, 
sondern  überhaupt  aus  dem  Affenzwinger  dieser  Zeit 
und  dieser  Welt  bisweilen  ausbrechen! 

Und  nun  stellen  Sie  sich  vor,  daß  ein  Ausruf 
wie  der  eben  zitierte  sich  so  aufs  Geratewohl  vor 
einen  hinspuckt,  während  man  »Zum  ewigen  Frieden« 
und  andere  Gedichte  liest!  In  einem  Augenblick 
vielleicht,  da  ich  mir  denken  mochte,  was  ich  hier 
nur  im  Bilde  anzudeuten  wage:  Nie  noch  war  Ihr 
Herz  so  hellig  bloß  gelegen!  Wie  doch  sein  Sturm 
verebbt  im  Rauschen  der  Tiefe,  im  Gesang  der 
Höhen!  Wie  ein  leuchtendes  Gestade  taucht  es  auf 


640 


im  Schleier  Ihrer  Verse:  Morgenland  der  Kindheit  — 
Morgenland  der  Menschheit!  Und  alles  von  heut  scheint 
plötzlich  wie  von  gestern.  Die  junge  alte  Gotteswelt! 

So  ungefähr  sah  ich  das  Antlitz  Ihrer  Schöpfung, 
als  mir  das  Untier  sie  besudelte.  Indem  ich  an  Sie 
schreibe,  fühle  ich  erst,  wie  ich  doch  wieder  ganz 
voll  Lebensmut  bin.  Unj,  denen  die  Verewigung  im 
eigenen  Geist  versagt  geblieben  ist,  muß  genügen, 
was  uns  an  irdischem  Wunsch,  an  irdischer  Be- 
stimmung erfüllt  wurde;  auch  wenn  der  Zufall  des 
geborenen  Sohns  nur  die  Bestimmung  unserer 
Sterblichkeit  verewigt.  Vielleicht  ist  die  Liebe  zu 
meinem  Sohn  (der  mir  die  rührendsten  Zeichnungen 
und  Briefe  schiciit  —  »uns  geht  es  bis  jetzt  noch 
gut«  hat  er  mir  neulich  geschrieben)  —  vielleicht  ist 
sie  nur  deshalb  so  schmerzlich  und  tief.  Denn,  wie 
in  Ihrem  »Halbschlaf«,  irgendwo  wartet  doch  überall 
der  ungeborne  Sohn. 

Nun  aber  leben  Sie  wohl!  Doch,  noch  eins: 
Ihr  Zitat  von  Goethe  an  die  Frau  v.  Stein!  Wie 
habe  ich  die  Wahrheit  dessen  empfunden  hier  im 
Verkehr  mit  unseren  Heimkehrern!  Da  habe  ich 
z.  B.  in  dem  Ort,  an  dem  ich  zuletzt  war,  eine 
Kompagnie  gehabt,  die  aus  Leuten  der  verschiedensten 
Nationalitäten  bestand.  Ich  habe  kein  anderes 
Verdienst  umi  sie  gehabt,  als  daß  ich  mir  die  Auf- 
besserung ihrer  Menage  angelegen  sein  ließ  und  sie, 
anstatt  mit  ihnen  zu  exerzieren,  auf  die  Wiese  führte, 
mir  ihre  Schicksale  in  der  Gefangenschaft  erzählen 
ließ  und  ihnen,  wo  es  nötig  war,  ein  bißchen  in 
der  Korrespondenz  mit  ihren  Angehörigen  nachhalf. 
Wie  rührend  haben  mir  dies  die  Leute  vergolten!  Als 
die  Kompagnie  abmarschbereit  stand,  traten  von  jeder 
Nationalität  —  Deutsche,  Ruthenen,  Polen,  Czechen, 
Italiener,  Bosniaken  —  zwei  Mann  vor  und  sprachen 
mir  im  Namen  ihrer  Landsleute  den  Dank  aus. 
Nach  ein  paar  kurzen  Abschiedsworten  meinerseits 
brachten  sie  ein  dreifaches  Hoch  auf  mich  aus,  ein 


641 


Schriftsetzer  aus  Wien  sprang  noch  schnell  aus  der 
Einteilung  mit  der  Frage,  ob  er  mir  von  Wien  eine 
Karte  schreiben  dürfe,  und  mit  Mützenschwenken 
marschierte  dann  die  Kompagnie  in  den  schönen 
Frühlingsabend  hinein  zur  Bahn.  Unser  Oberstleutnant, 
der  von  ferne  zugesehen,  fragte  mich  dann:  »Sie 
haben  wohl  ein  Hoch  auf  den  Kaiser  ausgebracht?«, 
was  ich  selbstverständlich  bejahte.  — 

(Verwandlung.) 

37.  Szene 

Nach  der  Winteroffensive  auf  den  Sieben  Gemeinden.  Exerzier- 
platz in  der  Etappe.  Die  Überreste  eines  Regiments,  jeder  Mann 
zu  einem  Skelett  abgemagjrt.  Mit  den  zerfetzten  Monturen,  dem 
zerrissenen  Schuhwerk  und  der  verdreckten  Unterwäsche  ist  es 
auf  den  ersten  Anschein  ein  Haufe  kranker  und  zerlumpter 
Bettler.  Sie  erheben  sich  müde,  üben  Gewehrgriffe  und  machen 
Salutierübungen. 

Erster  Kriegsberichterstatter:  Wie  sie  auf- 
leuchten wem,  wenn  sie  hören  wem,  der  oberste 
Kriegsherr,  der  soeben  bei  seinen  tapferen  Truppen 
an  der  Front  weilt,  geruhe,  das  siegreiche 
Regiment  zu  besichtigen. 

Zweiter  Kriegsberichterstatter:  Er  weilt 
noch  an  der  Front,  in  Gries  bei  Bozen,  aber  gleich 
wird  er  da  sein,    Mir  scheint,    sie  wissen  es  schon. 

Ein  Soldat  (zu  einem  andern):  Jetzt  kommt  er 
her,  der  Lackl! 

Zweiter  Soldat:  Draußen  laßt  er  sich  eh  net 
anschaun! 

Erster  Kriegsberichterstatter:  Der  Kaiser 
genießt  unter   den   Soldaten   ein   blindes  Vertrauen. 

Zv/eiter  Kriegsberichterstatter:  Sie  sind 
schon  glücklich,  wenn  er  sie  nur  anlächelt,  die 
Braven. 

Ein  Hauptmann:  Fixlaudon,  bißl  fescher, 
gleich  kommt  Seine  Majestät!  Natürlich,  Urlaub  — 
das  schmeckert  euch.    Habts  glaubt,  weil  ihr  in  die 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  41 


642 


Retablierung  kommts,  wird's  an  Urlaub  geben. 
An  Dreck.  Seine  Majestät  kommt  zur  Besichtigung 
seines  glorreichen  Regiments  und  da  darf  kein  Mann 
fehlen,    Bagasch  überanand! 

Erster  Kriegsberichterstatter:  Schaun  Sie 
her,  das  is  interessant,  was  jetzt  geschieht.  Sie  ziehn 
sich  um.  Neu  ausstaffiert  wem  sie,  vom  Scheitel  bis 
zur  Sohle. 

Zweiter  Kriegsberichterstatter:  Was  ge- 
schieht mit  den  alten  Fetzen? 

Der  erste:  Die  kriegen  sie  wieder,  wenn  der 
Kaiser  weg  is. 

Der  zweite:  Die  Kompagnien  sind  auf  einen 
Stand  von  15  bis  60  Mann  gesunken,  die  wird  man 
doch  natürlich  auffüllen  — ? 

Der  erste:  Was  heißt  man  wird?  Sie  sind  doch 
grad  dabei  —  dorten  —  schaun  Sie  her,  v/le  sie 
auffüllen.  Man  wird  doch  dem  Kaiser  nicht  Verluste 
von  2500  Mann  zeigen,  was  glauben  Sie! 

Der  zweite:  Mit  was  für  Material  wird  aufgefüllt? 

Der  erste:  No  mit  Schuster,  Schneider, 
Oifiziersdiener,  Köche,  Tragtierführer,  Pferdewärter, 
Marode  und  so  —  alle  haben  sie  doch  schon  Gewehre 
und  exerzieren  schon.  Wenn  er  nur  schon  da  war! 
Die  Kälten  soll  ein  anderer  aushalten. 

Der  zweite:  Schaun  Sie,  was  sie  jetzt  machen  — 
was  is  das? 

Der  erste:  No  das  is  doch  klar,  die  dekorierte 
und  besser  aussehende  Mannschaft  wird  ins  erste 
Glied  geschoben,  sie  wechseln  aus. 

Der  zweite:  Das  seh  ich,  aber  was  machen 
sie  am  Gesicht? 

Der  erste:  Was  sie  am  Gesicht  machen? 
Das  wissen  Sie  nicht,  Sie  blutiger  Laie?  Sie  reiben 
sich  das  Gesicht  mit  Schnee  ein,  damit  jeder  Mann 
eine  gesunde  Gesichtsfarbe  kriegt,  auch  die  Kranken. 


643 


Der  zweite:  Das  is  eine  glänzende  Idee! 
Schaun  Sie  her,  wie  sie  schon  blühend  aussehn  1 
Was  oreschieht  aber  jetzt?  Etwas  wird  verteilt. 

Der  erste:  Karten  mit  dem  Bildnis  des  Kaisers. 
Dafür  kriegen  sie  um  die  Hälfte  weniger  Brot. 

Der  zweite:  Da  wern  manche  sein,  was  mit  dem 
Tausch  zufrieden  sind,  die  Tapfern!  —  Gotteswillen, 
die  Autos  —  hören  Sie  nicht? 

Automobile  kommen.  Dickleibige  Gestalten  entsteigen  ihnen, 
darunter  eineschmächtigere,  in  dichtes  Pelzwerk  gehüllt,  mit  großen 
Ohrenwärmern.  Man  sieht  kaum  mehr  als  zwei  Wülste  von  Lippen. 

Der  erste:  Sehn  Sie,  da  können  Sie  es  einmal 
erleben:  der  oberste  Kriegsherr  inspiziert  an  der 
Front  die  Truppen,  die  soeben  aus  der  siegreichen 
Schlacht  kommen,  und  läßt  sich  mit  dem  einfachsten 
Mann  in  ein  Gespräch  ein. 

Der  zweite:  Sein  Wesen  ist  gewinnend.  Sehn 
Sie  sich  an,  wie  ihm  die  Herzen  zufliegen. 

Der  erste:  Jetzt  elektrisiert  er. 

Der  zweite:  Wenn  man  nur  hören  könnte, 
was  er  sagt,  was  sagt  er? 

Der  erste:  Nichts.  Aber  er  lächelt. 

Man  hört  nun,  von  Mann  zu  Mann,  von  Zug  zu  Zug,  in  einem 
regelmäßigen  Abstand  von  je  fünf  Sekunden  entweder  >Aha! 
Sehr  schön!<  oder  >Aha!  Sehr  gutl<  oder  »Aha!  Sehr  brav!« 
oder  >Aha!  Nur  so  weiter!«  Es  dauert  zwei  Stunden.  Ver- 
abschiedung von  den  Offizieren.    Die   Automobile   fahren   ab. 

Der  Oberst  (zum  Major):  Folgender  Abendbefehl 
ist  zu  verlautbaren:  »Seine  Majestät  hat  sich  über 
das  Regiment  besonders  lobend  ausgesprochen.  Der 
Geist  und  das  Aussehen  der  Truppen  ist  hervorragend, 
der  Mut,  der  jedem  einzelnen  aus  den  Augen  blickt, 
ein  unvergleichlicher.  Besonders  freute  sich  Seine 
Majestät  über  die  geringen  Verluste,  die  das  Regiment 
erlitten.  Seine  Majestät  schloß:  , Nicht  wahr,  Herr 
Oberst,  das  Regiment  wird  auch  wie  bisher  zu  den 
treuesten  Truppen  seines  Kaisers,  seines  Vaterlandes 
zählen   und    in   den   bevorstehenden   Kämpfen,    die 


644 


wohl  hart,  dafür  aber  siegreich  sein  werden,  voll 
und  ganz  seinen  Mann  stellen  und  so  Lorbeer  an 
Lorbeer  an  seine  Fahne  heften.'  Ich  erwiderte: 
,Jawohl,  Majestät,  ich  verspreche  es.'« 

Der  Hauptmann  (zu  den  Soldaten) :  Was  ihr 
heute  erlebt  habts,  davon  könnts  ihr  noch  euern 
Kindern  und  Kindeskindern  erzählen,  wanns  wollts! 
Jetzt  aber  heißt  es:  Auf  zu  neuen  Schlachten  und 
Siegen!  Und  vor  allem  —  ziagts  gschwind  die 
neuchen  Uniformen  aus! 

Der  erste  Kriegsberichterstatter:  No  steht 
das  dafür?  Sie,  das  is  wirklich  kein  Vergnügen,  bei 
28  Grad! 

Der  zweite  Kriegsberichterstatter:  No 
was  hab  ich  Ihnen  gesagt?  Mir  paßt  der  Dienst  schon 
lang  nicht!  Mein  Ressort  is  Theater  —  der  Hoehn  weiß 
doch!  Ich  wer  einfach  mit  dem  Divisionär  sprechen, 
was  mitdeniFrontthealer  is.  Die  Idee  hat  ihm  imponiert. 

Der  erste:  Fronttheater?  Sie  schminken  sich 
doch  schon  ab! 

^Verwandlung.) 

38.  Szene 

Hofburg.  Pressedienst. 

Hauptmann  Werkmann  (diktierend):  Ver- 
ehrliche Redaktion!  Sie  würden  mir  einen  großen 
Gefallen  erweisen,  wenn  Sie  die  heute  erscheinenden, 
gewiß  nicht  zu  langen  Berichte  über  die  Truppen- 
besichtigungen durch  Seine  Majestät  und  den  Besuch 
Ihrer  Majestät  in  der  Ottakringer  Kriegsküche 
tunlichst  ungekürzt  bringen  wollten.  Ich  möchte 
besonderen  Wert  auf  die  Schilderung  der  Seiner 
und  Ihrer  Majestät  dargebrachten  Huldigungen  legen. 
Ich  selbst  war  Zeuge  dieser  wirklich  überwältigenden 
Begrüßungen  und  habe  in  meinem  Bericht  gewiß 
nicht  zu  viel  gesagt.  Nehmen  Sie  im  voraus  meinen 
verbindlichsten  Dank  entgegen.  Ihr  ganz  ergebener  — 


645 


So  und  jetzt  das : 

V'erehrliche  Redaktion!  Es  liegt  mir  sehr  viel 
daran,  daß  der  Bericht  über  ein  von  Seiner 
kaiserlichen  Hoheit  Herrn  Erzherzog  Max  geleitetes 
Sturmunternehmen,  welcher  in  der  Österreichisch- 
ungarischen Kriegskorrespondenz  vom  27.  d.  veröffent- 
licht werden  wird,  möglichst  allgemein  veröffentlicht 
werde.  Ich  bitte  Sie  daher  um  zuverlässige  Über- 
nahnie  dieses  Berichtes  in  Ihr  sehr  geschätztes  Blatt. 
Nehmen  Sie  im  voraus  meinen  verbindlichsten  Dank 
entgegen.  Ihr  ganz  ergebener  — 

(Verwandhing.) 

39.  Szene 

Kärntnerstraße.  Passanten  umringen    einen  Opereltentenor.   Ein 

Hof  wagen  hält.    Die  Passanten  grüßen.    Ein  Lakai    öffnet   den 

Wagenschlag. 

ErzherzogMax  (aus  dem  Wagen  rufend):  Serwas 
Fritzl!  Kummst  mit  zum  Sacher? 

Der  Operettentenor:  I  kann  net,  kaiserliche 
Hoheit  —  {  wart  auf  ein  Madl!  (Hochrufe  für  beide.) 

Erzherzog  Max:  Ah  so.  Alstern  serwas! 

(Der  Lakai  schließt.  Der  Hofwagen  fährt  davon.) 

Ein  Zeitungsausrufer:  —  —  Erfolge  am 
Piavee! 

(Verwandlung.) 

40.  Szene 

Eine  Seitengasse.  Unter  einem  Ha'!Stor  ein  Soldat  mit  zwei 
Medaillen  auf  der  Brust.  Die  Kappe  hängt  ihm  tief  über  das 
Gesicht.  Ihm  zur  Seite  seine  kleine  Tochter,  die  ihn  geführt  hat 
und  sich  nun  bückt,  um  einen  Zigarettenrest  vom  Trottoir 
aufzuheben,  den  sie  ihm  in  die  Tasche  steckt.  Im  Hofe  des 
Hauses  ein  Invalide  mit  einem  Leierkasten. 

Der  Soldat:  Jetzt  sind's  schon  genug. 
(Er  zieht  eine  Holzpfeife  hervor,  in  die  das  Mädchen  den  Tabak 
der  Zigarettenreste  hineinstopft.) 


646 


Ein     Leutnant     (der   vorbeigekommen    isi,    dreht 
sich  um,  barsch):  Können  Sie  niclit  sehn? 
Der  Soldat:  Nein. 
Der  Leutnant:  Was?  —  Ah  so  — 

(Er  entfernt  sich.    Der  Soldat,   geführt  von  dem  Kind,  in  die 
andere  Richtung.  Der  Leierkasten  spieltden  Hoch  Habsburg-Marsch.) 

(Verwandlung.) 


41.  Szene 

Armeeoberkommando. 

Ein  Major  (zu einem  andern) :  Von  denen  Fronten 
hat  ma  wirklich  nix  wie  Verdrießlichkeiten.  Schon 
wieder  so  Teuxelsberichte,  wo  ma  rein  nicht  weiß,  was 
ma  machen  soll.  Gib  ichs  dem  Waldstätten,  wird 
er  wüld,  gib  ichs  ihm  nicht,  wird  er  aa  wüld.  Alstern 
was  soll  ma  machen?  Schau  her: 

»Bei  manchen  Regimentern  ist  eine  Aufbesserung 
der  Verpflegung  dringend  geboten,  um  die  Leute 
in  physischer  Hinsicht  in  Schwung  zu  erhalten.  Bei 
einer  Division  beträgt  das  Durchschnittsgewicht  des 
Mannes  50  Kilogramm.«  No  also!  —  Und  das: 

»Jeder  Deserteur  im  Hinterland,  selbst  wenn 
er  in  den  Wäldern  versteckt  leben  muß,  kann  sich 
besser  ernähren  als  der  Soldat  an  der  Front«.  Deserteur! 
Wie  man  nur  so  was  hinschreiben  kann!  »Was 
die  Bekleidung  betrifft,  so  ist  oft  keine  volle  Garnitur 
mehr  vorhanden,  da  Hemd  oder  Unterhose  oder 
beides  fehlt.  Der  eine  hat  keinen  Ärmel  mehr  am 
Hemd,  dem  andern  fehlt  der  Rückenteil,  der  dritte 
besitzt  nur  halbe  Unterhosen  oder  Fragmente  von 
Fußfetzen.  Malariafiebernde  müssen  nackt  warten, 
bis  ihre  Fetzen  gewaschen  und  getrocknet  sind.« 
Fetzen!  Der  Ton,  den  sich  die  Front  gegen  unser- 
einen  erlaubt!  Das  is  ja  rein,  als  ob  wir  verant- 
wortlich wären,  war  net  schlecht!  »Bei  einem 
Regiment    fehlt    jedem    dritten    Mann    der   Mantel. 


647 


Feldwachen  mit  Helm  und  Mantel  ohne  Hosen 
kommen  vor.«  Noja,  muß  gspaßig  zum  Anschaun  sein. 
»Von  soldatischem  Ehrgefühl  kann  da  nicht  mehr 
gesprochen  werden,  die  einfache  Menschenwürde 
ist  da  verletzt.«  No  no,  soll  sich  nix  antun. 
Ein  Ton  is  das!  Diese  Leute  an  der  Front  begreifen 
weder  die  eisernen  Kriegsnotwendigkeiten  noch  wie 
man  mit  dem  AO  K  zu  verkehren  hat.  Das  is  ja  rein, 
als  ob  wir  den  Krieg  angfangen  hätten!  Und  auf 
was  für  Ideen  die  Leut  kommen.  Schau  her: 

»Um  die  Stimmung  zu  heben,  würde  es  sich 
empfehlen,  die  jüngeren  Mitglieder  des  Allerhöchsten 
Kaiserhauses  bei  Kampftruppen  und  an  schwierigeren 
Frontabschnitten  einzuteilen.«  Also  da  muß  ich 
bitten  —  das  is  schon  Beleidigung  von  Mitgliedern 
des  kaiserlichen  Hauses!  Nein  lieber  Herr,  um  den 
Preis  wem  wir  die  Stimmung  nicht  heben  —  die 
wern  wir  denen  Herrschaften  schon  anders  heben! 
Das  is  schon  der  reine  Defaitismus  —  Mitglieder 
des  angestammten  Herrscherhauses  an  die  Front 
schicken!  War  net  schlecht! 

Der    andere  Major:     Was    regst    dich    auf? 


Gingerten  s'  denn? 


(Verwandlung.) 


42.  Szene. 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Glauben  Sie  mir,  der  junge 
Kaiser  macht  den  Eindruck  eines  Mannes,  der  sich 
auf  seinen  Herrscherberuf  gründlich  vorbereitet  hat. 

Der  Nörgler:  Das  glaube  ich  ohneweiters, 
als  Thronfolger  hatte  er  ja  ein  mit  »Muskete«-Bildern 
austapeziertes  Arbeitszimmer. 

Der  Optimist:  Sie  glauben  gar  nicht,  wie 
ernst  er  geworden  ist. 


648 


Der  Nörgler:  Kein  Wunder  bei  einem,  der 
in  keine  Operette  mehr  geht,  seitdem  der  >Walzer- 
traum«  nicht  mehr  gegeben  wird. 

Der  Optimist:  Erlauben  Sie  mir,  wenn  man 
den  »Walzertraum«  schon  fünfzigmal  gesehn  hat  — 

Der  Nörgler:  —  dann  muß  der  Mensch 
ernst  werden,  das  ist  wahr. 

Der  Optimist:  Es  hat  sich  auch  sonst  viel 
um  ihn  verändert.   Die  Schwärmerei  der  Jugend  — 

DerNörgler:  —  für  das  Papageienkabarett  — 

Der  Optimist:  —  die  schöne  wilde  Garni- 
sonszeit in  Brandeis  — 

Der  Nörgler:  —  das  Kino  in  Reichenau  — 

Der  Optimist:  Da  geht  er  auch  nicht  mehr  hin. 

Der  Nörgler:  Nach  seinem  hundertsten 
Besuch  soll  er  erklärt  haben,  daß  es  ihm  schon  zu 
fad  ist. 

Der  Optimist:  Nein,  glauben  Sie  mir,  Sie 
unterschätzen  seine  geistigen  Qualitäten. 

Der  Nörgler:  Ich  bin  überzeugt,  daß  sein 
Gesicht  eine  übertriebene  Vorstellung  von  ihnen 
gibt.  Erst  neulich  hat  mir  jemand,  der  ihn  kennt, 
versichert,  daß  er  gut  auffaßt.  Das  ist  das  höchste 
Lob,  das  Monarchisten  für  den  Gegenstand  ihrer 
Ehrfurcht  aufbringen,  wenn  sie  einen  Zweifler 
bekehren  wollen.  Eigentlich  sollte  aber  die  Vor- 
bedingung für  den  Herrscherberuf  sein,  daß  ein 
Monarch  besser  auffaßt  als  seine  Untertanen. 

Der  Optimist:  Ist  es  ihm  nicht  hoch  anzu- 
rechnen, daß  er  den  Frieden  will? 

Der  Nörgler:  Auch  diese  Eigenschaft  erhebt 
ihn  nicht  über  die  meisten  Angehörigen  seiner 
Monarchie.  Ich  zum  Beispiel  will  den  Frieden  noch 
mehr  und  habe  sogar  noch  keine  Lüge  ausgesprochen, 
um  ihn  zu  vereiteln,  wo  ich  durch  die  Wahrheit 
ihn  hätte  herbeiführen   können.     Und  unsereins  hat 


649 


nicht  einmal  die  Möglichkeit,  auf  einen  Thron  zu 
verziciiten,  wenn  man  einen  Krieg  nicht  zu  führen 
oder  nicht  fortzusetzen  wünscht. 

Der  Optimist:  Das  ist  das  einzige,  was  an 
ihm  ausgesetzt  wird:  er  ist  wankelmütig,  wer  zuletzt 
mit  ihm  spricht,  behält  recht. 

Der  Nörgler:  Die  Vielfältigkeit  seiner  An- 
sichten ist  verblüffend.  Denn  er  sieht  aus,  als  ob  er 
nur  einfältig  wäre. 

Der  Optimist:  Aber  alles  in  allem  muß 
man  doch  zugeben,  daß  seine  Entwicklung  über- 
raschend ist.  Man  hat  Gutes  von  ihm  erwartet  und 
er  hält,  was  er  versprochen  hat. 

Der  Nörgler:  Das  schon.  Aber  nicht,  was  er 
verspricht. 

Der  Optimist:  Seine  Zwiespältigkeit  —  daß 
er  heute  so  und  morgen  anders  redet  — 

Der  Nörgler:  —  kommt  offenbar  von  dem 
Naturspiel  einer  sächsischen  Habsburgerlippe. 

Der  Optimist:  Aber  alles  in  allem  ist  er 
doch  ein  gemütliches  Haus.  Man  kann  sagen,  was 
man  will  — 

Der  Nörgler:  Ja  wissen  Sie,  leider  kann  man 
aber  nicht  sagen,  was  man  will. 

Der  Optimist:  Was  würden  Sie  sonst  sagen? 

Der  Nörgler:  Daß  ich  nicht  der  Untertan 
eines  Operettenlieblings  sein  möchte.  Daß  es  mir 
unmöglich  ist,  mir  den  Herrn  Marischka  oder  den 
Herrn  Fritz  Werner  auf  einem  Thron  vorzustellen. 
Daß  es  noch  weit  gräßlicher  ist,  für  einen  Feschak 
Ehrfurcht  empfinden  zu  sollen  als  für  einen  Lemur. 
Daß  ich  es  unerträglich  finde,  von  einem  Schönpflug- 
Modell  regiert  zu  werden.  Von  einem,  der  lächeln 
kann  und  immer  lächeln  —  und  den  Mund  nie 
zukriegen  wird.  Von  einem  Grüßer,  der  in  der 
dazugehörigen  Stellung  verharrt. 


650 


Der  Optimist:  Und  den  lustigen  Text  zu 
dem  Bild  machl  er  auch.  Er  soll  kürzlich  bei  der 
Hoftafel  das  köstliche  Mot  geprägt  haben:  »Was 
ist  das  Gegenteil  von  Apponyi?  —  A  Pferd!« 

D  e  r  N  c  r  g  1  e  r :  Ich  höre  das  wiehernde  Gelächter 
derer,  die  uns  in  den  Tod  schicken  können.  Nein, 
es  geht  nicht.  Den  Winterfeldzug  mache  ich  nicht 
mehr  mit. 

Der  Optimist:  Aber  schauen  Sie,  Sie  können 
ihm  doch  seinen  Humor  nicht  ernstlich  zum 
Vorwurf  machen.  Er  hat  eben  die  sprichv/örtliche 
Leutseligkeit  der  Habsburger  geerbt,  von  der  nur 
Franz  Ferdinand  eine  Ausnahme  gemacht  hat, 
und  sogar  Harden,  der  doch  gewiß  einen  Kronzeugen 
abgibt,  hat  große  Hoffnungen  auf  ihn  gesetzt. 
Nämlich  damals,  als  er  nach  der  Sarajevoer  Mordtat 
sich  lächelnd  am  Arm  seines  Großonkels  — 

Der  Nörgler:  —  Grußonkels  dem  Volke 
zeigte,  der  sogar  durch  seine  Aufgeräumtheit  das 
Bulletin  Lügen  gestraft  hat,  er  habe  zum  Zeichen 
seiner  tiefen  Trauer  das  Dejeuner  allein  eingenommen. 
Vorgänger  und  Nachfolger  empfahlen  sich  grüßend 
dem  p.  t.  Publikum.  Der  Nachfolger  rechtfertigte 
sogleich  die  an  ihn  geknüpften  Hoffnungen  durch 
den  historischen  Ausspruch:  i>Also  —  fahr'  mr!« 

Der  Optimist:  Übersehen  Sie  nicht  die 
symbolische  Bedeutung,  die  solchen  Aussprüchen 
innewohnt. 

Der  Nörgler:  Wie  sollte  ich?  Der  Vorgänger 
hat  durch  das  Wort:  »Die  Linienwälle  müssen  fallen« 
in  das  Bollwerk  der  alten  Zeit  Bresche  geschlagen. 

Der  Optimist:  Und  der  Kronprinz  Rudolf 
hat  bekanntlich  die  Hoffnung  ausgesprochen,  daß  ein 
»Meer  von  Licht«  erstrahlen  werde  — 

Der  Nörgler:  —  als  die  Elektrizitäts- 
ausstellung eröffnet  wurde.  Aber  wenn  der  sterbende 
Goethe  nicht,  wie  die  Legende  behauptet,  »Mehr 
Licht!«  gerufen  hat,  sondern  nur:  »Macht  doch  den 


651 


zweiten  Fensterladen  auf,  damit  mehr  Licht  herein- 
komme«, so  dürfte  mehr  Licht  darin  gewesen  sein 
als  in  sämtlichen  Habsburgerworten,  die  freilich 
nach  dem  allerhöchsten  Tarif  von  den  ausstellenden 
Firmen  geschätzt  wurden  und  deren  gehirnlähmende 
Wucht  den  von  den  Habsburgertaten  heimgesuchten 
Völkern  den  Rest  gegeben  hat.  Imm.erhin  hat  der 
Kronprinz  Rudolf,  dessen  Gestalt  zwischen  den 
Fiakern  Bratfisch  und  Mistviecherl  kommenden 
Drahrergeschlechtern  vorleuchten  wird,  seinen 
Kulturdurst  bei  Szeps  und  Frischauer  befriedigt. 
Jedennoch,  trostlos  sind  diese  Habs- und  Kalksburger 
als  Wegbahner  des  Fortschritts,  unter  deren  Ägide  den 
Wissenschaften  und  Künsten  nichts  anderes  übrig  blieb 
als  zu  blühen.  Ich  meine,  daß  man  sich  nur  wenige 
von  ihnen  mit  einem  Buch  in  der  Hand  vorzustellen 
vermöchte,  nicht  einmal  mit  einem  von  Smolle  über 
die  Vorzüge  des  Doppelaars.  Ihrer  aller  geistiges 
Adelszeichen  war,  »gut  aufzufassen«,  was  sie  schlecht 
behalten  haben.  Aber  von  allen  Aussprüchen  Franz 
Josephs  erscheint  mir  doch  der  im  Anblick  des 
Aquariums  einer  Kochkunstausstellung  gesprochen-e 
als  der  authentischeste.  Er  sprach:  »Ah  Goldfische,  die 
schwimmen  ja  wie  natürlich!«  Die  geistig  regsamsten 
und  zugleich  verläßlichsten  unter  den  Habsburgern 
dürften  noch  die  homosexuellen  gewesen  sein,  und 
wenn  von  einem  eine  menschliche  Regung  überliefert 
wird,  so  liegt  er  gewiß  auf  Mailorca  begraben 
und  nicht  in  der  Kapuzinergruft.  Die  andern, 
die  ihre  welthistorische  Bestimmung,  die  Haus- 
macht durch  Heirat  zu  mehren,  ausleben  konnten, 
und  jene,  die  ihr  zuwider  das  glückliche  Österreich 
durch  Kriegführung  verkleinert  haben,  sie  alle  haben 
mehr  Kaiserwetter  gehabt,  als  ihre  Völker  Verstand. 
Sonst  wäre  das  angestammte  Pech,  von  Individuen 
regiert  zu  sein,  denen  man  günstigsten  Falls  nichts 
anderes  nachsagen  konnte,  als  daß  sie  nicht  beleidigt 
werden    durften,    längst    unerträglich    gewesen    und 


652 


der  Übelstand,  daß  es  im  zwanzigsten  Jahrhundert  nicht 
nur  Erzherzoge  gab,  sondern  auch  Hurentreiber  von 
Beruf,  die  sich  solche  Würde  zusprachen,  noch 
vor  einem  verlorenen  Kriege  behoben  worden.  Der 
Gehirndruck,  der  von  diesen  Existenzen  ausging, 
wird  erst  in  seiner  ganzen  vernichtenden  Schwere 
gefühlt  werden,  wenn  er  gewichen  sein  wird,  was 
demnächst  geschehen  dürfte.  Das  walte  Gott,  der 
lange  genug  von  einer  opferfreudigen  Bevölkerung 
angerufen  wurde,  sie  zu  erhalten  und  zu  beschützen. 
Ich  hoffe,  den  nächsten  18.  beziehungsweise 
17.  August  schon  ohne  die  illuminierte  Bereitschaft 
der  Arschlecker  zu  feiern,  die  sich  zu  diesem 
Behufe  in  die  Kurorte  begeben  hatten,  und  ohne 
die  nachhallenden  »Auch  hier«-Schreie  einer  ehr- 
losen Presse,  die  es  noch  im  Weltkrieg  gewagt 
hat,  diese  Hinterlandsgemeinde  vor  der  Front 
unseres  blutigen  Leides  aufzubieten  und  die  Flüche 
von  Millionen  Müttern  in  den  Hochrufen  der 
kaiserlichen  Räte  zu  ersticken.  Österreich,  das  ewige 
Weiland  seiner  kaiserlichen  Hoheit,  wird  erst  dann 
zu  sich  kommen,  wenn  es  eines  Tages  erkennt,  daß 
dort  kein  Gras  wächst,  wo  ein  elastischer  Schritt 
hintrat;  wenn  es  sich  besinnt,  Republiken  zu  bilden 
statt  Spaliere,  und  mit  jähem  Entschluß  den  Salvators 
und  Annunziatas  das  Hofwagentürl  vor  der  Nase 
zuschlägt. 

Der  Optimist:  Das  scheint  aber  noch  in 
weiter  Ferne  zu  liegen.  Denn  der  Wagen  der  Blanka 
schien  mir  neulich  erst  respektvollste  Beachtung 
zu  finden,  und  wenn  am  Graben  eine  Verkehrsstockung 
entsteht,  so  ist  sicher  die  anziehende  Erscheinung 
des  stattlichen  Erzherzogs  Eugen  die  Ursache. 

Der  Nörgler:  Unleugbar  ist  insbesondere 
die  Popularität  des  Erzherzogs  Max,  der  vom  Vater 
die  Frohnatur  geerbt  hat,  unter  Umständen  sogar 
über  Särge  zu  galoppieren,  wozu  ja  der  Weltkrieg 
reiche  Gelegenheit  bieten  würde. 


653 


Der  Optimist:  Nur  ein  Nörgler  kann  es 
ihm  übelnehmen,  daß  er  — 

Der  Nörgler:  —  während  der  siebenten 
Isonzoschlacht  eine  Würstelsoiree  im  Polo-Klub 
veranstaltet  hat,  von  der  Gäste  und  Musikanten 
in  Hofautomobilen  transportiert  wurden.  Daß  man 
gezwungen  war,  aufzustehen  oder  sein  Haupt 
zu  entblößen,  wenn  es  dem  blödgemachteii  Volke 
gefiel,  einem  seiner  Gut-  und  Blutegel  zu  huldigen, 
einen  dieser  parasitischen  Dummköpfe  hochleben 
zu  lassen,  die  auch  während  einer  Offensive  ihren 
Orgien  und  Bubenstreichen  nicht  entsagen  konnten, 
erfüllt  einen  mit  tiefer  Scham,  wie  uns  die 
Erinnerung  an  die  offenbar  zeiigebotenen  Zusammen- 
hänge von  Kapuzinergruft  und  Nachtcafe  mit  Ekel 
überwältigt.  Wer  hätte  sich  nicht  dieses  lebendigste 
dynastische  Gefühl  für  die  spezifische  Kaisertreue 
bewahrt,  die  unlösbar  mit  der  dunstigen  Vorstellung 
eines  Animierlokals  verknüpft  bleibt,  wo  es  plötzlich 
allerhöchst  hergeht,  zwischen  den  Gassenhauern 
der  Liebe  das  Vaterland  in  seine  Rechte  tritt  und, 
da  die  geweihten  Melodien  einer  verblichenen  Glorie 
schon  durch  die  kriegerische  Gegenwart  entehrt  sind, 
die  nur  hier  denkbare  Schmach  ehrfürchtig  gesinnter 
Schieber,  Büffetdamen,  Diebe  und  Würzen  aller 
Grade  sich  von  den  Sitzen  erhebt  unter  Assistenz 
flaschenfertiger  Kellner,  des  Garderobepersonals  und 
last  not  least  der  Toilettefrau.  Es  war  das  Milieu, 
in  dem  die  Liebe  zum  angestammten  Herrscherhaus 
am  tiefsten  verwurzelt  war.  Monarchisten,  die  nicht 
alle  werden,  die  in  einem  Krieg  nicht  aussterben 
und  die  es  selbst  nach  diesem  noch  geben  wird, 
halten  die  majestätsbeleidigenden  Eigenschaften  einer 
regierenden  Familie  für  nebensächlich  und  für  ein 
Erbteil  aller  Dynastien.  Aber  sie  werden  nicht 
leugnen  können,  daß  die  Evidenz  und  Aufdringlich- 
keit dieser  Eigenschaften,  die  Entaitung  in  den 
Erlaubnissen    einer   gelockerten   Zeit,    die   Si<andal- 


654 


ja  Kriminalreife  höchster  Vorbilder  in  einer  durch 
sie  ausgebluteten  Welt  der  monarchischen  Idee 
nicht  eben  förderlich  ist  und  daß  diese  einiger- 
maßen von  der  Reue  beeinträchtigt  werden  dürfte, 
einen  Weltkrieg  für  eine  Familie  unternommen  zu 
haben,  die  keinen  Schuß  Pulver  wert  ist.  Wenn  eine 
kaiserliche  Hoheit  nicht  nur  Generalinspektor  der 
Artillerie,  sondern  auch  Armeelieferant  ist  und  im 
Treubund  mit  einem  Schieber  ein  Millionengeschäft 
entriert,  das  zur  Aushungerung  der  Front  wesentlich 
beiträgt,  dann  muß  die  Volkshymne  ehestens  einen 
neuen  Text  bekommen,  weil  sonst  die  Verwechslung 
von  Lorbeerreisern  und  Dörrgemüse  unvermeidlich 
wäre.  Lemuren,  die  a  Ruh  haben  wollten  und 
darum  Krieg  geführt  haben,  und  Feschaks,  die  in 
ihm  gedraht  und  gewuchert  haben,  werden  uns 
nicht  mehr  regieren! 

Der  Optimist:  Das,  was  uns  alle  in  Wahr- 
heit regiert,  ist  — 

Der  Nörgler:  —  das  Gesicht  des  Wolf  in 
Gersthof!  Da  sehen  Sie  ihn!  Erinnern  Sie  sich  an 
meine  Prophezeiung?  Vier  Jahre  —  und  wie  ist  er 
gewachsen !  Der  blutige  Blick  ist  da  und  doch  waltet 
Milde  über  diesem  österreichischen  Antlitz. 

Der  Optimist:  Sie  übertreiben.  Danach  wäre 
er  ein  Symbol  unseres  Wesens  geworden  wie  der 
Kopf  Hindenburgs  für  das  preußische? 

Der  Nörgler:  Da  können  wir  nicht  ran. 
Gut  schaun  mr  aus  —  aber  nicht  so  ernst  und  zuver- 
sichtlich! Wie  einst  Vater  Radetzky  auf  uns  oba- 
schaute,  so  blickt  jetzt  das  Haupt  dieses  abgeklärten 
Fiakerkutschers  auf  unser  Wirrsal  hernieder. 

Der  Optimist:  Mein  Gott,  so  ein  Plakat  — 
das  besagt  nichts  weiter  als  — 

Der  Nörgler:  —  daß  Millionen  dahingehen 
mußten;  er  aber  überlebt,  ist  überlebensgroß!  Wenn 
aufs  Jahr  die  Feinde  kommen,  die  wern  schaun! 


655 


Der  Optimist:  Ganz  vermöchten  Sie  diese 
Verbindung  zwisciien  einem  Piakat  und  dem  Welt- 
krieg doch  nicht  auszudenken. 

Der  Nörgler:  Usque  ad  finem!  Wenn  man 
die  Plakate  erschossen  hätte,  wären  die  Menschen 
erhalten  geblieben. 

Der  Optimist:  Ich  vermag  Ihnen  auf  diesem 
Gedankengang  nicht  zu  folgen. 

Der  Nörgler:  Bleiben  Sie  getrost  zurück.  Der 
Monolog,  den  ich  mit  Ihnen  führe,  hat  Sie  erschöpft. 
Die  Realitäten,  die  Sie  nicht  sehen,  sind  meine 
Visionen,  und  wo  sich  für  Sie  nichts  verändert 
hat,  erfüllt  sich  mir  eine  Prophezeiung.  Zwischen 
meiner  Voraussage,  daß  der  Weltkrieg  die  Welt  in 
ein  großes  Hinterland  des  Betrugs,  der  Hinfälligkeit 
und  des  unmenschlichsten  Gottverrats  verwandeln 
wird,  und  meiner  Behauptung,  daß  es  geschehen  sei, 
liegt  nichts  als  der  Weltkrieg.  Um  dieser  Behauptung 
dieselben  Zweifel  entgegenzustellen  wie  jener, 
brauchen  Sie  nichts  zu  tun,  als  den  Zustand  der 
Welt  auszuschalten.  Sind  Sie  nicht  ein  Nörgler  am 
Ideal,  dessen  Entehrung  durch  die  Welt  Sie  gewähren 
lassen?  Ich  Optimist  muß,  da  sich  meine  Prophezei- 
ungen erfüllen,  es  erleben,  daß  mein  frömmster 
Wunsch  unerfüllt  blieb.  Am  Ursprung  dieses  Unheils 
hatte  ich  Gott  gebeten,  es  in  Stadt  und  Staat  die 
Mißgebornen  fühlen  zu  lassen,  daß  es  vollbracht  ist. 
Aber  er  hat  nicht  ihr  Blut  genommen  zur  Sühne  für 
die  Tat,  die  am  Anfang  war,  das  Blut  der  Betrüger, 
der  Hinfälligen  und  der  Gottesverräter.  Er  ließ  sie 
dafür  das  Blut  der  andern  opfern  und  unversehrt 
den  Mord  der  Welt  überleben.  Wahrlich,  wenn  Gottes 
Wege  nicht  unerforschlich  wären,  so  wären  sie  unbe- 
greiflich !  Warum  doch  hat  er  uns  kriegsblind  gemacht! 
Hier  tappen  sie  durchs  Leben,  Krüppel  und  Gelähmte, 
zitternde  Bettler,  altersgraue  Kinder,  irrsinnige  Mütter, 
die  von  Offensiven  geträumt  hatten,  Heldensöhne 
mit  den  Flackeraugen  der  Todesangst,  und  alle,  die 


656 


keinen  Tag  mehr  haben  und  keinen  Schlaf  und 
nichts  mehr  sind  als  die  Trümmer  einer  zerbrochenen 
Schöpfung.  Und  dort  lachen  jene,  die  sich  des 
Eingriffs  vermessen  haben,  des  Richters  über  den 
Sternen,  der  zu  hoch  thront,  als  daß  sein  Arm  sie 
erreiche.  Ist's  nicht  erfüllt?  Keine  Narbe  blieb  ihrer 
Seele,  die  nie  verwundet  ward  von  dem,  was  sie 
getan,  gewußt,  geduldet.  Der  Menschheit  ist  die 
Kugel  bei  einem  Ohr  hinein  und  beim  andern  hinaus- 
gegangen. Weg  von  diesem  lachenden  Grauen!  Weg 
von  diesem  österreichischen  Antlitz,  von  dem  unend- 
lichen Behagen  dieser  Blutlache! 
(Verwandlung.) 

43.  Szene. 

Stadtpark.  Mittag.  Eine  unübersehbare  Menschenmenge  umsteht 
die  Terrasse  des  Kursalons. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Mittagszeitung ! 
Die  Piaveschlacht!  Der  österreichische  Sturmangriff! 

Eine  Dame:    Gott   ich   bin   so  aufgeregt  — 

Eine  zweite:  No  zeichnest  du  denn  Kriegs- 
anleihe? 

Die  erste:  Ich?  Wasfalltdirein,begierigbinich  — 

(Das  Publikum  wird  ungeduldig.) 

Ein  Herr:  Meine  Herrschaften  bitte  nicht 
drängen  — ! 

Ein  Göttergatte:  Du  wirst  sehn,  es  is  ein 
Aufsitzer ! 

Die  Göttergattin:  Also  wenn  ich  dir  sag 
wenn  in  der  Zeitung  früh  gestanden  is  — 

Der  Gatte:  Hier  hast  du  die  ,Zeit'  —  wo 
steht  das  bittich? 

Die  Gattin:  No  bist  du  blind?  Hieran  der 
Spitze,  noch  vor  dem  Leitartikel  — 

Der  Gatte:  Auf  Ehre.  An  der  Stelle  hab 
ich  es  nicht  vermutet  —  (er  liest)  Heute  Donnerstag 
den  23.  Mai,  mittags  V2  1  Uhr  wird  auf  der  Terrasse 


657 


des  Kursalons  im  Stadtpark  Herr  Hubert  Marischka 
vom  Theater  an  der  Wien  jener  Dame,  welche  das 
o:rößte  Opfer  für  die  VIII.  Kriegsanleihe  bringt,  einen 
Kuß  verabreichen.  —  Also  das  sag  ich  dir  im  Voraus, 
d  u  wirst  mir  kein  Opfer  für  die  Vlll.  Kriegsanleihe 
bringen,  hörst  du?! 

Die  Gattin:  No  no,  reg  dich  nicht  auf,  ich 
will  mir  doch  nur  ansehn  1  Glaubst  du,  daß  alle 
was  gekommen  sind,  gleich  Kriegsanleihe  zeichnen 
wem?  Man  will  doch  bloß  sehn! 

Der  Gatte:  Man  wird  doch  da  sehn  —  du 
wirst  sehn,  es  is  ein  Aufsitzer.  Komm  weg  aus  dem 
Gedräng!  Weißt  du  was  es  sein  wird  —  ich  wer' 
dir  sagen,  ein  Film  wird  es  sein! 

Die  Gattin:  Du  möchtest  einem  alles  ver- 
miesen !  No  und  wenn  es  schon  ein  Film  is  —  sieht 
man  doch  auch  den  Marischka,  wie  er  einen  Kuß  gibt. 

Der  Gatte:  Auch  ein  Vergnügen,  wenn  es 
gestellt  ist! 

Ein  dicker  Schieber  (am  Arm  eines  Mädchens, 
trällernd):  Kissen  is  keine  Sind  —  a  scheenes  Kind  — 

DasMädchen:  Geh  hör  auf,  das  is  doch  vom 
Girardi,  den  hab  ich  nie  leiden  können! 

Ein  Begleiter:  Nicht  ausstehn  hab  ich  ihn 
können.  Mein  Mann  is  der  Thaller. 

Stimme  eines  Skeptikers:  No  und  der 
Treumann  is  e  Hund  — ? 

Fräulein  Körmendy:  Gott  der  Marischka, 
ich  bin  so  aufgeregt ! 

Fräulein  Löwenstamm:  Ich  zeichne  nur 
Kriegsanleihe,  wenn  der  Storm  einen  Kuß  gibt! 

Fräulein  Körmendy:  Gott  dort  kommt  — 

Fräulein  Löwenstamm:  —  der Nästelberger! 

Ein  Feschak  (zu  einer  Funzen):  Kstiand  meine 
Gnädigste  —  Ohne  den  Göttergatten  — ?  Oh.  ich  hab  für 
Gnädigste  ein  Protektionsplatzerl  —  Momenterl!  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  42 


658 


(Murren  im  Publikum.) 
Rufe:  Es  is  ja  nur  ein  Film!  —  Schwindel!  — 
Wo  bleibt  der  Marischka?  —  Hoch  Marischka!  — 
Es  is   doch    ein  Saschafilm!    —  Schwindel!   —  Die 
solin  wem  a  idern  pflanzen ! 

Ein  Zeitungsausrufer:  Mittagsjournal!  Die 
Vorbereitungen  am  Piave ! 

Ein  Redner:  Meine  Herrschaften !  Harren  wir 
noch  aus  und  Sie  werden  sehn  — 

Ein  anderer:  Wenn  es  nur  ein  Saschafilm  is, 
hätt  man  das  gleich  sagen  sollen!  Da  sind  viele 
Damen,  die  ein  Opfer  für  die  Kriegsanleihe  gebracht 
haben,  und  jetzt  stehn  sie  da! 

Rufe:  Pfui!  —  Schkandal !  —  Wo  bleibt  der 
Marischka ! 

Ein  dritter:  Der  Marischka  soll  abgesagt  haben! 

Eine  Gruppe:  Wie  kommen  wir  dazu?  — 
Jetzt  stehn  wir  eine  geschlagene  Stunde  da  — !  wir 
derstessn  uns  — !  Unsere  Frauen  — ! 

Eine  andere  Gruppe:  Bravo !  So  ist  es!  — 
Wo  ist  das  Komitee?  —  Pfui! 

Einer  (kommt  atemlos  «relaufen) :  Ich  weiß  ein 
Gerücht   —  Marischka  hat  abgesagt! 

Ein  anderer:  No  natürlich  —  hab  ich  mir 
gleich  gedacht  —  er  wird  doch  nicht  selbst  küssen! 

Ein  älterer  Herr  (vor  sich  hinsummend):  Geh  — 
sag  —  Schnucki  zu  mir  — 

Ein  junger  Mann  mit  Gürtelrock  und 
weißen  Gamaschen  (trällert,  indem  er  dabei  tanzartige 
Bewegungen  ausführt):  Sterngucker  —  Sterngucker  — 
nimm  dich  in  Acht  — 

Sein  Freund:  Du,  wirklich  wahr,  du  wirst 
ihm  immer  ähnlicher. 

Die  Steffi:  Aber  der  ganze  Marischka  I 
Dezsö  laß  dich  küssen ! 

Der  junge  Mann:  Ich  bin  imstand  und  tritt 
für  ihn  auf. 

Die  Steffi:  Untersteh  dich. 


659 


Der  junge  Mann:No  glaubst  du,  ich  tausch 
mit  dem  Marischka  —  ?  (Obige  Melodie:)  Vierzehn 
Wa — gon  hab  ich  —  angebracht.    (Gelächter.) 

(Wachsende  Unruhe  im  Publikum.) 

Rufe:  Was  heißt  das?  —  Komitee I  —  Wofür 
hat  man  uns  hergelockt?  —  Pfui! 

Ein  Aufwiegler:  So  etwas  is  nur  in  Wien 
möglich !  Die  Leut  glauben  rein,  daß  man  seine  Zeit 
gestohlen  hat! 

Der  Vertreter  der  Film -Gesellschaft 
(erscheint) :  Hochverehrtes  Publikum !  Beruhigen  Sie  sich ! 
Man  hat  Sie  nicht  betrogen!  Es  handelt  sich  um  einen 
im  Auftrag  des  k.  u.  k.  Kriegspressequartiers  aufzu- 
nehmenden Werbefilm  für  die  Kriegsanleihe.  Die 
Publikation,  der  die  Saschafilmgesellschaft  vollständig 
fernsteht,  ist  offenbar  einem  patriotischen  Beweg- 
grund entsprungen.  Wir  selbst  hatten  ein  Interesse 
daran,  daß  die  Filmprobe  unter  größtmöglichstem 
Ausschluß  der  Öffentlichkeit  stattfindet,  aber  da  Sie 
nun  einmal  erschienen  sind  — 

Rufe:  Bravo!  —  Schwindel!  —  f-Ioch 
Marischka!  — Wo  is  der  Marischka?  —  Wir  wollen 
den  Marischka  sehn!! 

Das  Publikum    drängt   unter   lebhaften    Hoch-  und  Pfui-Rufen 

vorwärts  und  stürmt  die  Terrasse,  zahlreiche  Stühle  und  Tische 

werden  umgeworfen,  das  Geländer  der  Terrasse  zerstört  und  auch 

am  übrigen  Inventar  beträchtlicher  Schaden  angerichtet. 

Der  Restaurateur  (ringt  verzweifelt  die  Hände, 
ermannt  sich  aber  und  ruft  dem  Filmregisseur  zu) :  So  — 
dös  müassen  S'  zahln! 

Die  Menge:  Marischka !  Marischka  I ! 
Marischka ! ! ! 

Der  Vertreter  der  Film-Gesellschaft 
(in  größter  Erregung):  Unter  solchen  Umständen  —  ist 
die  Probe  abgesagt! 


42» 


660 


Rufe:  Eine  Frechheit!  —  Was  sich  die  Leut 
mit  einem  erlauben!  —  Pfui!!  —  Wo  bleibt  die 
Polizei?  —  So  ein  Skandal  im  Krieg!  —  Alles  is 
zusammengebrochen ! 

(Es  bilden  sich  Gruppen,  die  das  Ereignis  in  größter  Erregung 
besprechen.) 

Die  Göttergattin:  Also  er  kommt  nicht! 
Die  ganze  Kriegsanleihe  kann  mir  — 

Der  Göttergatte:  Gotteswillen  — ! 

Die  Gattin:  Also  gib  wenigstens  das 
Abonnoma  auf  die  ,Zeit*  auf! 

Der  Gatte:  Beruhige  dich.  No  siehst  du  — 
also  was  hab  ich  gesagt?! 

Die  Gattin:  Natürlich  — !  das  freut  dich  — !  so 
bist  du  — !  geh  weg,  ich  kann  dich  nicht  mehr  sehn! 
alles  vermiesen  — 

Der  Gatte  (trällernd):  Weibi,  Weibi,  sei  doch 
nicht  so  hart  — 

(Die  Menge  zerstreut  sich.) 

Der  dicke  Schieber:  Gehma  zahaus  und 
sagma  es  war  nix. 

Ein  Zeitungsausrufer:  Mittagszeitung!  Die 
PJaveschlacht!  Der  österreichische  Sturmangriff! 

(Verwandlung.) 

44.  Szene 

Der  Nörgler  und  der  Optimist  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Und  was  wäre  dann  der 
Heldenruhm? 

Der  Nörgler:  Das  ersehen  Sie  aus  dieser 
Theaterkritik.  Ich  möchte  sie  mit  Ihrer  Stimme 
gelesen  hören.  Gibts  ein  Fronttheater,  gibts  auch 
eine  Theaterfront.  Oder  auch  umgekehrt.  Der  Wechsel 
ist  schaurig. 

Der  Optimist  (liest,  zuweilen  die  Stimme  erhebend): 
Btirgertheater.  Den  Witwen  und  Waisen  der 
Helden    von    Uszieczko    galt   der    heutige    Abend 


661 


im  Bürgertheater.  Die  Ersatzeskadron  des  k.  u.  k. 
Dragonerregiments  Kaiser  Nr.  11  (Oberstleutnant 
Baron  Rohn)  hat  für  die  Witwen  und  Waisen 
der  bei  Uszieczko  gefallenen  Kameraden  eine 
Festvorstellung  veranstaltet.  In  aller  Erinnerung  ist 
das  ruhmvolle  Heldenstück  der  Kaiserdragoner  vor  der 
Brückenschduze  am  Dnjestr.  Gegen  zahllose  Stürme 
haben  sie  den  vorgeschobenen  Posten  gehalten,  der 
vielfachen  Übermacht  getrotzt,  bis  nach  monatelangem 
heißen  Streiten  die  Massen  der  Feinde  die  zu  einem 
Trümmerhaufen  gewordene  Schanze  endlich  bezwingen 
konnten.  Mitten  durch  die  feindlichen  Reihen 
bahnte  sich  das  übriggebliebene  Häuflein  der 
Kaiserdragoner,  von  seinem  Kommandanten  Oberst 
Planckh  geführt,  dennoch  den  Weg  zu  den 
Unsrigen.  Die  Tapferen  von  Uszieczko  grüßte 
heute  das  Wiener  Publikum  auf  der  Bühne 
des  Bürgertheaters  und  brachte  ihnen  eine 
stürmische  Huldigung  dar.  Dieser  schöne 
Gedanke,  die  Helden  von  Uszieczko  zu  feiern,  lag 
dem  szenischen  Vorspiel  zugrunde,  das  die  fein- 
sinnige heimische  Dichterin  Irma  y.  Höfer  für 
diesen  Anlaß  verfaßt  hat.  Sie  hat  die  Örtlichkeit  der 
heißen  Kämpfe  zum  Schauplatz  der  Szene  gemacht, 
und  Maler  Ferdinand  Moser  hat  die  Landschaft  am 
Dnjestr  mit  glücklicher  Hand  auf  die  Bühne 
gezaubert.  Vor  der  Schanze,  hinter  der  sich  im 
Dämmerlichte  des  Mondes  der  Dnjestr  wie  ein 
Silberfaden  hinzieht,  sind  die  Kaiserdragoner 
gelagert,  und  die  heute  die  Bühne  belebten, 
standen  noch  vor  kurzem  im  fürchterlichen 
Ringen  am  Dnjestr.  Die  meisten  von  ihnen 
trugen  die  wohlverdienten  Auszeichnungen. 
Hofburgschauspieler  Skoda  interpretierte  in  der 
Uniform  eines  Dragoneroffiziers  den  gehaltvollen 
und  fesselnden  Prolog  von  Irma  v.  Höfer.  Er  erzählt 
von  dem  Ruhme  der  Kaiserdragoner,  von  den  Helden- 
taten   der   ^>Elfer«,    von    dem    Ausharren    in    allen 


662 


Angriffen,  ist  von  zündender  Begeisterung  und 
tiefem  Empfinden  erfüllt.  Während  der  Kaiser- 
dragoner im  Morgengrauen  den  Überfall 
des  Feindes  erwartet,  denkt  er  an  sein  Heim, 
an  Mutter,  Gattin  und  Kinder,  streicfielt 
und  küßt  die  letzte  Postkarte  von  den 
Lieben  und  geht  darauf  vor  den  Feind.  Das 
Vorspiel  von  Irma  v.  Höfer  ist  eine  poetische,  form- 
schöne Darstellung  der  letzten  Heldentat  der  Kaiser- 
dragoner und  gibt  in  großen  Umrissen  die  Geschichte 
des  ruhmvollen  Regiments.  Nach  der  glutvollen 
Ansprache  des  Offiziers,  die  Herr  Skoda  mit 
rhetorischem  Schwung  und  pathetischer  Steigerung 
hinreißend  vortrug,  wurde  das  neue  Regim.ents- 
lied  von  Rittmeister  Zamorsky,  einem  Helden 
von  Uszieczko,  mit  dem  anfeuernden  Text 
von  Frau  Rittmeister  Perovic  gesungen. 
Dann  zogen  die  Gestalten  der  Fülirer  und 
Inhaber  des  berühmten  Regiments  vorüber,  des 
Obersten  Heißler,  Prinz  Eugen,  Radetzky  und 
schließlich  unseres  Kaisers.  Der  Regiments- 
trompeter blies  »Zum  Gebet!«  Die  Soldaten 
auf  der  Bühne  knieten  nieder  und  stimmten 
die  Volkshymne  an,  in  deren  Töne  das 
Publikum,  in  dem  man  außer  den  höchsten 
militärischen  Kreisen  auch  die  Spitzen 
der  Zivilbehörden  und  die  Vertreter  der 
vornehmsten  Gesellschaft  bemerkte,  einfiel. 
Rauschender  Beifall  folgte  diesem  Vorspiel  der  Frau 
v.  Höfer,  welche  die  Ereignisse  der  jüngsten  Tage 
mit  lebender  Kraft  und  greifbarer  Plastik  auf 
die  Bühne  gebracht  hat.  Dann  mußte  der  Vorhang 
des  öftern  in  die  Höhe  gehen  und  das  übervolle 
Haus  jubelte  den  Helden  begeistert  zu, 
die  stramm  salutierend  dankten.  Irma  v.  Höfer 
war  Gegenstand  rauschender  Ovationen  und 
es  wurde  von  vielen  Seiten  der  Wunsch  laut, 
daß    die    Dichtung    durch    weitere    Aufführungen 


I 


663 


breiteren  Schichten  zugänglich  gemacht  werde. 
Dem  szenischen  Prolog  folgte  die  Aufführung 
von  Eyslers  »Der  Frauenfresser«  mit  Fritz 
Werner  und  Betty  Myra  in  ihren  bekannten 
Glanzrollen Nein!  Das  kann  nicht  wahr  seini 

Der  Nörgler:  Wie  denn  also? 

Der  Optimist  (sieht  noch  einmal  in  die  Zeitung  und 
sagt):  Das  Publikum  jubelte  den  Helden  begeistert  zu  — 
die  stramm  salutierend  dankten.  (Pause.  Er  sieht  den 
Nörgler  an.)  Das  kann  nicht  wahr  sein!  Was  —  wäre 
dann  der  Heldenruhm? 

Der  Nörgler:  Ein  Theaterstück.  Oder:  Ein 
morscher  Hügel,  auf  dem  das  Unkraut  rot  wie 
Feuer  steht  —  wie  ein  chinesischer  Kriegsdichter 
sagt.  Ein  deutscher  Hausierer  denkt  weit  weniger 
defaitistisch. 

Der  Optimist:  Wie  meinen  Sie  das?  So 
sollten  Sie  von  diesen  Dingen  nicht  sprechen.  Der 
Heldenruhm  ist  keine  Hausiererware. 

Der  Nörgler:  Doch.  Lesen  Sie  nur  diesen 
Ausschnitt  aus  einem  Fachblatt,  den  mir  jemand 
zugesandt  hat. 

Der  Optimist  (liest):  Wichtige  Mitteilung 
für  Hausierer!  Falls  Sie  Interesse  für  einen 
glänzenden  1  Mk. -Verkaufs-Artikel  haben,  empfehlen 
wir  Ihnen  unser  patriotisches  Gedenkblatt:  »Er 
starb  den  Heldentod  fürs  Vaterland«. 
Größe  des  Bildes:  44X60  cm.  Dasselbe  ist  in  hoch- 
künstlerischer Kupferstich -Imitation  ausgeführt  und 
eine  Zierde  als  Wandschmuck  für  jede  Familie,  die 
einen  ihrer  Angehörigen  auf  dem  Felde  der  Ehre 
verloren  hat.  Es  zeigt  neben  ergreifenden  Schlachten- 
bildern aller  Waffengattungen  ein  stilles  Soldaten- 
grab,  darunter  Name  und  Ort  des  Gefallenen 
eingetragen  wird.  Seine  Photographie,  von  einem 
Eichenkranz  umrahmt,  wird  inmitten  des  Bildes 
befestigt  und  von  den  Strahlen  des  darüber  befind- 
lichen  Eisernen   Kreuzes   glorifiziert,  während   ihm 


664 


die  Friedensgöttin  den  Sieges -Lorbeer  reicht. 
Se.  Majestät  der  Kaiser  ist  sichtbar,  den  Volks- 
vertretern die  denkwürdigen  Worte :  »Ich  kenne 
keine  Parteien  mehr!«  zurufend,  und  aus  den  Wolken 
leuchten  verklärt  die  Antlitze  der  Gründer  des 
Deutschen  Reiches:  Kaiser  Wilhelm  I.,  Bismarck 
und  Moltke,  hervor.  —  Ein  Gedenkblatt,  so  vornehm 
und  ergreifend,  daß  es  von  Arm  und  Reich  begehrt 
sein  wird.  Übertrifft  bei  weitem  alles,  was  bisher 
in  diesem  Genre  erschienen  ist!  Preise  für  Wieder- 
verkäufer —  —  Das  kann  nicht  wahr  sein!  — 
Sagen  Sie,  daß  es  —  von  Ihnen  ist  —  daß  das  alles 
von  Ihnen  ist! 

Der  Nörgler  (drückt  ihm  die  Hand):  Ich  danke 
Ihnen.  Es  ist  von  mir. 

(Verwandlung.) 

45.  Szene 

Innsbruck.  Maria  TheresienstraRe.  Mitternacht.  Menschenleer.  Ein 
Mädchen  tritt  auf,  in  ihrer  Rechten  hält  sie  einen  Säbel,  mit  dem 
sie  herumfuchtelt.    Von   der   andern    Seite   ein   Metzgergenilfe. 

Der  Metzgergehilfe:  Ja  was  war  nacher  dös? 
(Er  erkennt  sie)  Ja  —  (er  packt  den  Säbel.) 

Das  Mädchen  mit  dem  Säbel:  Auslassen  — 
Auslassen  sag  ich  — ! 

Der  Metzgergehilfe:  Sie  sein  eine  Protestierte! 
Sie  ham  mich  vorige  Woch'n  zu  Ihnen  gewunken! 
Sie  derfen  keinen  Säbel  nicht  tragen!  (Er  entreißt  ihr 
den  Säbel.)  Wie  kam  denn  so  eine  Person  zu  ein' 
Säbel,  jetzt  im  Krieg  — 
Drei  Offiziere  erscheinen  im  Laufschritt;  einer  ohne  Säbel. 

Der  Offizier  ohne  Säbel  (wankend):  Oho!  Wer 
hat  denn  da  meinen  Sabul?  Hergeben  auf  der  Stelle! 
(Er  will  dem  Metzgergehilfen  den  Säbel  entreißen.) 

Der  Metzgergehilfe:  Tschuldigen  schon  Herr 
Oberleutnant,  aber  diese  Dame  ist  mir  wohlbekannt  — 
es  ist  eine  Person  —  diese  Person  ist  eine  Protestierte  — 


665 


da  bin  ich  verpflichtet  —  da  muß  ich  den  Säbel 
doch  auf  die  Wachstuben  bringen  —  oder  niclü? 
Wie  kam  denn  so  eine  Person  zu  ein'  Säbel? 

Der  Offizier  ohne  Säbel  (energischer  werdend)  : 
Kerl,  hergeben  oder  —  (er  greift  an  die  Stelle,  wo 
sonst  der  Säbel  ist.) 

Der  Metzgergehilfe:  Das  gibts  nicht,  daß  so 
eine  Person  einen  Säbel  hati  Das  muß  angezeigt  wem! 

Der  zweite  Offizier  (zieht  seinen  Säbel):  Kein 
Aufsehn!  Willst  du  Fallot  auf  der  Stelle  — 

Der  dritte  Offizier  (ihn  zurückhaltend):  Kein 
Aufsehn,  Waber,  gscheidt  sein!  Das  is  eine  bsoffene 
Gesellschaft! 

Der  Metzgergehilfe  (fuchtelt  mit  dem  Säbel): 
Was?  Bsoffene  Gesellschaft?  Herr  Oberleutnant, 
schaun  S',  ich  hab  auch  einen  Säbel! 

Der  Offizier  ohne  Säbel  (packt  ihn  beim  Arm): 
Fallot  I 

Das  Mädchen  ohne  Säbel:  Geh  Pipsi, 
stell  dich  nicht  her  —  mit  so  Zivilisten! 

Der  Met zger gehilf e:  Wachmann!  Wachmann! 
Das  wern  wir  sehn! 

Zwei  Wachleute  kommen.  Alle  sprechen  auf  sie  ein. 

Der  erste  Wachmann:  Aber  bitte,  bitte,  Herr 
Oberleutnant,  nur  kein  Blutvergießen  —  jetzt  im  Krieg! 

Der  dritte  Offizier:  Hörst,  kein  Blutvergießen, 
gscheidt  seinl 

Der  zweite  Wachmann:  Kommen  die  Herr- 
schaften alle  mit  aufs  Hauptwachzimmer  im  Rathaus, 
dort  wern  wir  schon  ins  Reine  kommen. 

Ein  Inspektionsoffizier  erscheint.  Alle  sprechen  auf  ihn  ein. 

Der  Inspektionsoffizier:  Was  is  denn?  Jede 
Nacht  gibts  was.  Du,  die  kenn  ich  schon.  Du  bist 
nicht  der  erste,  dem  s'  mit'n  Säbel  durchgeht.  Also  da 
hast  ihn!  (Er  nimmt  dem  Metzgergeh ifen  den  Säbel  ab  und 
überreicht  ihn  dem  Oberleutnant,  der  ihn  fallen  läßt.  Die 
Kameraden  sind  ihm  behilflich.)  No  was  is  mit  der  Person? 


666 


DerMetzgergehilfe:  Vorige Woch'n hat  s'mich 
zu  ihr  gewunken!  Das  ist  eine  Protestierte  —  ist  das! 

Beide  Wachmänner  (zum  Mädchen  ohne  Säbel) : 
Sie  mir  scheint,  Sie  ham  kan  Schein! 

Der  Inspektionsoffizier  (zum  Oberleutnant): 
Du  Pöffl,  warst  mit  ihr? 

Beide  Wachmänner  (zum  Mädchen  ohne  Säbel) : 
Sie,  Sie  führn  einen  unbefugten  Lebenswandel! 

Der  erste:  Wegen  Verdachtes  von  Geschlechts- 
krankheiten — 

Der  zweite:  —  und  gewerbsmäßiger  Unzucht 
ohne  Erlaubnisschein  — 

Beide:   —   gehn  S'  mit  auf  die  Wachstuben! 

Der  Inspektionsoffizier:  Solche  Witz  mit'n 
Säbel  mitten  im  Krieg  meine  Liebe  wern  Ihnen 
teuer  zu  stehn  kommen!  Das  is  schon  der  dritte 
Fall,  von  dem  ich  weiß. 

Das  Mädchen  ohne  Säbel  (auf  den  Oberleutnant 
zeigend):  Bitte,  der  is  mein  Freund!  Gelt  Pipsi,  du 
bist  mein  Freund? 

Der  Offizier  mit  Säbel  (auf  den  Metzgergehilfen 
zeigend):  Der  soll  auch  mit!  Der  hat  meinen  Säbel 
angerührt! 

Der  Metzgergehilfe:  Bitt,  ich  bin  un- 
schuldig — ! 

Der  Inspektionsoffizier:  Du  Pöffl,  hast  ihr 
den  Schandlohn  gegeben? 

Das  Mädchen  ohne  Säbel  (indem  sie  abgeführt 
wird,  zurückrufend) :  Ich  bin  keine  SO  eine  — !  Ich  bin  nur 
vazierend  — !  Zwanzig  Kronen  krieg  ich  von  ihm  — 1 
Zwanzig  Kronen  — !  Blitzen,  pfui  Teufel!  — 

Der  Metzgergehilfe:  So  ein  Schlampen! 
Herr  Oberleutnant  wern  sich  doch  nicht  mit  so 
ein'  Schlampen  abgeben! 


667 


Der  Offizier  mit  Säbel:  Der  hat  meinen 
Säbel  angerührt!  (Er  will  den  Säbel  ziehen.)  Frontschwein! 
Muienpack!  Wer  mir  in  die  Näh  kommt  —  ! 
Warts  —  Sabul  —  Rock  des  Kaisers  —  uah  — 
(Er  übergibt  sich.  Die  andern  ziehen  ihn  tort.  Die  Straße  ist 
menschenleer.) 

(Verwandlung.) 

46.  Szene 

Zwei  Verehrer  der  Reichspost,  schlafend. 

Erster  Verehrer  der  Rcichspost  (aus  dem 
Schlaf  sprechend) :  —  und  bat,  die  Huldigung  der 
kaisertreuen  Bevölkerung  an  den  Stufen  des  aller- 
höchsten Thrones  niederzulegen,  Bürgermeister 
Weiskirchner  antwortete,  meine  lieben  Wiener,  ihr 
lebt  eine  große  Zeit  mit,  in  unentwegter  Treue 
huldigen  wir  unserem  geliebten  alten  Kaiser,  brausende 
Hochrufe,  wir  gedenken  auch  des  Bundesgenossen 
in  schimmernder  Wehr,  donnernde  Heilrufe,  und 
heute  — 

Zweiter  Verehrer  der  Reichspost  (aus  dem 
Schlaf  sprechend) :  —  und  heute  war  der  italienische 
Botschafter  bei  unserem  Minister,  um  die  feierliche 
Erklärung  abzugeben,  daß  Italien  in  Treue  Österreich 
zur  Seite  stehe,  stürmische  Evvivarufe  —  Katzel  — 

Der  erste:  In  Prag,  Brunn  und  Budweis,  überall 
jubeln  s'  den  kaiserlichen  Entschließungen  zu. 

Der  zweite:    Allerhöchstes  Hoflager  in  Ischll 

Der  erste:  In  Serajevo  haben  s'  Gott  erhalte 
gsungen. 

Der  zweite:  Fürst  Alfred  Windischgrätz  hat 
sich  freiwillig  zum  Kriegsdienst  gemeldet. 

Der  erste:  Der  Kaiser  hat  während  des  ganzen 
Tages  in  angestrengtester  Weise  gearbeitet. 

Der  zweite:  Soldatenvater. 


668 


Der  erste:  Am  27.  zwischen  12  und  1  Uhr 
wurde  im  Postsparkassenanit  die  finanzielle  Vorsorge 
für  den  Krieg  getroffen. 

Der  zweite:  Die  Approvisionierung  Wiens  für 
die  Kriegsdauer  wurde  vom  Bürgermeister  gemeinsam 
mit  dem  Ministerpräsidenten  und  dem  Ackerbau- 
minister gesichert. 

Der  erste:  Keine  Teuerung  durch  den  Krieg. 

Der  zweite:  Nur  Tugenden. 

Der  erste:  Welch  einen  Schatz  von  Tugenden 
hat  doch  dieser  Krieg  schon  gehoben. 

Der  zweite:  Ein  gar  strenger  Lehrmeister  der 
Völker. 

Der  erste:  Prometheischer  Erringer  von  Licht 
und  Klarheit. 

Der  zweite:  Lichtbringer  —  Lebensspender  — 
Katzeimacher  — 

Der  erste:  Kriege  sind  Prozesse  der  Läuterung 
und  Reinigung,  sind  Saatfelder  der  Tugend  und 
Erwecker  von  Helden. 

Der  zweite:  Renaissance  österreichischen 
Denkens  und  Handelns. 

Der  erste:  Ramatama! 

Der  zweite:  Rrtsch  —  obidraht! 

Der  erste:  Wir  sind  für  den  Frieden,  wenn 
auch  nicht  für  den  Frieden  — 

Der  zweite:  Um  jeden  Preis! 

Der  erste:  Noch  ist  Lemberg  — 

Der  zweite:  —  in  unserem  Besitze. 

Der  erste:  Belgrad  und  Deschenee  im  intimsten 
Familienzirkel  eingenommen  —  dinatoor  —  begaben 
sich  — 


669 


Der  zweite:  Elastischen  Schrittes. 
Der  erste:  Kurz  und  gut  — 
Der  zweite:  Gut  und  Blut  — 
Beide:  Allerhöchstes  Hoflager! 

(Verwandlung.) 

47.  Szene 

Separatcoupe  erster  Klasse.    Im  finstern  Gang   ein    Haufen  von 
Koffern  und  Körpern. 

Der  Oberstleutnant  des  Generalstabs 
MaderervonMullatschak  (liegt  betrunken  im  Coupe, 
lallend) :  Ich  und  du  —  blinde  Kuh  —  der  größere  Gauner 
das  bist  du!  —  Huupp  —  Hupf  mein  Mäderl  — 
umarme  dich  im  Geiste,  mein  Lumperl  —  hast  die 
600  Kilo  Dörrgemüse?  —  Was?  Was?  Aber  na,  aber  na! 

—  ah  daschaurija  —  100.000  Kronen  per  Waggon 
hast  gmacht  —  ich  noch  nicht  —  du  Schlankl! 
du  Schlankl !  —  Ich  —  hab  ein  —  kolo  —  sales  Gschäft — 
mit  Speck  in  petto  —  nein,  kein  Veto!  —  Kajestät  der 
Maiser  —  kann  mich  gern  haben  —  Was?  Der  dalkerte 
Ehrenpunkt  —  Le  —  Leleopold  —  schmeiß  ihm 
'n  Lleopoldsorden  —  heut  trommel  ich  auf  dein"  Kakadu 
den  Radetzkymarsch  —  Ehrenpunkt  —  Gfraßt  — 
das  soll  er  seiner  Schwiegermutter  erzähln  —  die 
macht  noch  bessere  Gschäften  —  oder  seiner  Tant  — 
recht  hams  —  wann  ich  eine  Herz  —  erzogin  war  — 
ich  räubert  die  Schatzkammer  aus  —  und  der 
Sal  —  Salvator!  —  ujegerl,  hammer  an  Gspaß  ghabt 

—  was  Schatzi  —  is  ja  eh  alles  Wurscht  —  bin 
gedeckt  —  was  —  Mutzigam  —  haha!  hoho! 
huhu!  —  ich  —  bin  riesig  stolz  —  ich  hab  jetzt 
ein  Sparkassabuch  —  das  is  mein  Reglement!  — 
huupp  —  mein  Lumpi  —  ich  kann  nur  sagen  —  ich 
bin  sehr  zufrieden  mit  dem  Krieg!  —  jeder  Waggon 
fünftausend  Kronen  Pro  —  Provision  —  lauft  als 
Müli  —  Mülidärfrachtgut  —  der  Jud  —  zahlt  gut  — 
aber  daß  du  nicht  glaubst  —  daß  du  nicht  glaubst, 


670 


ich  arbeit  nicht  selber  auch  —  oh  der  Speck  —  der 
Speck  —  wirst  schon  sehn  —  was  schauts  denn? 
standeswidrige  —  ZiviHstenbagasch  —  huupp  — 
alle  hab  ich  außischmeißn  lassen  —  ausn  Coupe  —  das 
andere  wissen  S'  eh  —  mein  Lumpi  —  sollns  sich 
derstessn  —  hängts  euch  alle  auf  —  ah  woos,  häng 
mrs  alle  auf  —  sollns  krepiern  —  fürs  Vaterland, 
wanns  —  auf  der  Maschikseiten  —  Herstellt!  —  den 
bsoffenen  Kerl  hab  ich  —  huupp  —  erschießen  lassen  — 
bin  gedeckt  —  Mausi  —  ich  bring  dir  —  raten,  raten! 

—  schmecks  —  hundertzv/anzig  Pfund  Schweinernes! 
(Fährt  auf,  sieht  auf  die  Uhr.)  Was  —  elf  is  SChon?  Gleich 

—  sama  do  —  in  Steinbrück  —  huupp  —  oha  — 
jetzt  —  jetzt  —  wann  s'  jetzt  nicht  parieren  —  ich  hab 
telephonisch  —  Befehl  geben,  daß  der  Dings  —  den 
Schnellzug  warten  Ir-ßt  —  er  weiß  ja  nicht,  der 
Trottel  —  daß  es  —  für  dich,  mein  Arscherl  — 
Sakra  heut  bin  ich  aber  geil  auf  dich  —  warum 
kommt  er  nicht  —  der  Saukerl  von  an  Burschen  — 
gleich  is  Steiermark  —  Steinbrück  —  er  —  er  ließ 
schlagen  —  eine  Brücken  —  brr  —  was  schauts  denn?  — 
Stein  —  Steinbrück  —  wann  er  nur  kan  Pallawatsch 

—  einen  Schlof  (Gähnen)  —  haab  ich  —  uäh  —  es  is  — 
alles  —  Wurscht  — 

(Verwandlung.) 

48.  Szene 

3000  Meter  hoch. 

Der  Fähnrich  (im  Halbschlaf) :  Vier  Jahre  — 
Gott,  Gott,  wozu  —  das  —  alles  —  Helene  —  ach  — 
wo  —  bist  du  — 

Die  Schalek  erscheint. 

Die  Schalek:  Also  was  empfinden  Sie  jetzt, 
was  denken  Sie  sich,  Sie  müssen  sich  doch 
etwas  —  (Batteriesalve.) 

(Verwandlung.) 


671 


49.  Szene 

Der  Optimist  und  der  Nörgler  im  Gespräch. 

Der  Optimist:  Wenns  nur  schon  zu  Ende  wärel 
Was  sagen  Sie  zu  den  Grab-  und  Leichenschändungen 
bei  den  Engländern  und  Franzosen?  Die  deutsche 
Propaganda  behauptet,  daß  die  Knochen  der  Gefallenen 
verwertet  werden  und  aus  Soldatenleichen  Fett  ge- 
wonnen wird. 

Der  Nörgler:  Ich  kann  es  nicht  nachprüfen, 
aber  als  Metapher  scheint  es  mir  eine  weitere  Realität 
zu  beglaubigen,  dem  weltüblichen  Sachverhalt  zu 
entsprechen  und  ganz  und  gar  den  Gebrauch  zu 
bezeichnen,  den  die  überlebende  Menschheit  in  allen 
ihren  Bestrebungen  und  Interessen  vom  Heldentod 
und  von  der  Glorie  macht. 

Der  Optimist:  Wenn  man  Sie  sprechen  hört, 
möchte  man  allerdings  glauben,  daß  der  allgemein 
erwartete  Seelenaufschwung  tatsächlich  nicht  ein- 
getreten ist. 

Der  Nörgler:  Fast  glaube  ich  es  selbst. 
Aber  ich  glaube  auch,  daß  das  Blutgeschäft,  das  die 
Agenten  mit  dieser  Chance  verlockend  machen  wollten, 
als  der  größte  Bankrott,  den  je  der  Planet  erlebt  hat, 
enden  wird.  Und  vor  allem  in  den  Reichen  dieser 
mißgebornen  Mittelwelt.  Denn  wir  haben  den  Mord 
mit  der  Bibel  und  den  Raub  mit  der  Fibel  in  der 
Hand  betrieben.  Wir  wollten  den  Weltmarkt  in  der 
Ritterrüstung  erobern  —  wir  werden  mit  dem 
schlechteren  Geschäft  vorlieb  nehmen  müssen,  sie  am 
Tandelmarkt  zu  verkaufen. 

Der  Optimist  (will  eine  Zigarette  anzünden): 
Sonderbar,  kein  Zündholz  fängt. 

Der  Nörgler:  Das  kommt  vom  Ultimatum 
an  Serbien. 

Der  Optimist:  Ich  sage,  kein  Zündholz  fängt! 

Der  Nörgler:  Ich  sage,  weil  es  gelungen  ist, 
die  Welt  in  Brand  zu  stecken ! 


672 


Der  Optimist:  Besteht  auch  hier  ein  Zu- 
sammenhang? 

Der  Nörgler:  Gerade  hier!  Nichts  von  allem 
was  wir  stündlich  berühren,  ist  unverändert  ge- 
blieben, innen  und  außen,  in  Wert  und  Preis.  Hätte 
1914  ein  Staatsmann  gelebt,  der  so  viel  Phantrsie 
hatte,  zu  wissen,  daß  1918  kein  Zündholz  zünden 
werde,  er  hätt's  mit  der  Welt  nicht  getan!  Er 
hätte  den  Krieg,  den  er  erklären  sollte,  auch  gesehn 
und  dazu  den  Frieden,  in  den  aller  Jammer  noch 
wachsend  hineinreichen  wird. 

Der  Optimist:  Aber  v/enn  einmal  der 
Friede  kommt  — 

Der  Nörgler:  —  so  wird  der  Krieg  beginnen I 

Der  Optimist:  Jeder  Krieg  wurde  doch  noch 
durch  einen  Frieden  beendigt. 

Der  Nörgler:  Dieser  nicht.  Er  hat  sich 
nicht  an  der  Oberfläche  des  Lebens  abgespielt, 
sondern  im  Leben  selbst  gewütet.  Die  Front  ist  ins 
Hinlerland  hineingewachsen.  Sie  wird  dort  bleiben. 
Und  dem  veränderten  Leben,  wenns  dann  noch 
eines  gibt,  gesellt  sich  der  alte  Geisteszustand.  Die 
Welt  geht  unter,  und  man  wird  es  nicht  wissen. 
Alles  was  gestern  war,  wird  man  vergessen  haben; 
was  heute  ist,  nicht  sehen;  was  morgen  kommt,  nicht 
fürchten.  Man  wird  vergessen  haben,  daß  man  den  Krieg 
verloren,  vergessen  haben,  daß  man  ihn  begonnen, 
vergessen,  daß  man  ihn  geführt  hat.  Darum  wird 
er  nicht  aufhören. 

—      Der  Optimist:  Aber  wenn  nur  erst  der  Friede 
da  ist  — 

Der  Nörgler:  —  so  wird  man  vom  Krieg 
nicht  genug  kriegen  können! 

Der  Optimist:  Sie  nörgeln  selbst  an  der 
Zukunft.  Ich  bin  und  bleibe  Optimist.  Die  Völker 
werden  durch  Schaden  — 

Der  Nörgler:  —  dumm.  Dumdum! 
(Verwandlung.) 


673 


50.  Szene 

Schweizer  liochbahn. 

Zwei  riesenhafte  Fettkugeln,  deren  unbeschreibliche  Formen  mit 
menschlichen  Maßen  nicht  bestimmbar  sind,  nehmen  die 
i;anze  Sitzbank  ein.  Die  eine  läßt  in  Wintersporthosen  und 
Wadenstrümpfen  zwei  von  einander  unterscheidbare  Fleisch- 
massen erkennen;  die  ungeheuren  Wangenflächen  sind  bku 
beschattet,  der  gestutzte  Schnurrbart  glänzt  unter  Mondaugen 
wie  ein  schwarzes  Boskett  und  läßt  zwei  rote  Wülste  frei.  Das 
andere  Wesen  ist  von  einem  abgetragenen  Winterrock  überzogen; 
es  ist  der  Kompagnon,  der  eben  zu  Besuch  gekommen  ist. 
K'ein  Hals,  nur  ein  vierfaches  Kinn  vermittelt  den  Übergang  der 
Körperkugel  zur  Kopfkugel,  das  Ganze  ist  völlig  ungegliedert 
und  hat  das  Aussehen  eines  Igelfisches.  Beide  haben  Bergstöcke; 
der  eine  eine  Gattin,  die  eine  Brosche  mit  der  Inschrift  >Gott  strafe 
England«  trägt  und  gegenübersitzt.  Es  sind  die  Riesen  Gog&M.agog. 
Eine  strahlende  Schneelandschaft  mit  tiefblauem  Himmel  bildet 
den  Hintergrund. 

G  0  g :  Was  ich  mir  jetzt  noch  wünsche,  sind 
schöne  Bilder.  Es  muß  ja  nich  jrade  'n  Rembrandt 
oder  'n  Böckün  sein  — 

Magog:  Ich  habe  schon  hundert. 

Gog:  So  'n  schönes  Bild  ist  doch  wat 
Schönes.  Na,  's  nich  wah'  Elschcn?  Jib  'n  Schmatz. 
(Er  küßt  sie.) 

Magog  (nach  einer  Pause):  Wer  in  diesem  Kriege 
nicht  reich  wird,  verdient  nicht,  ihn  zu  erleben. 

Gog:  Jewiß  doch. 

Magog:  Ich  verlege  mich  jetzt  auf  Miniaturen, 
am  liebsten  16.  Jahrhundert,  auch  Gobelengs, 
Dosen,  Wappenbücher  und  so  Krimskram  macht  mir 
Spaaß.  Übahaupt  trachte  ich  mir  möglichst  alte 
Kultur  zuzulegen. 

Gog:  Na  und  was  ists  denn  mit  Ihren  Büchern  ? 
Ihr  Bengel  ist  doch  mit  einer  der  feinsten  Bibliophilen, 
die  wa  jetzt  im  Reich  haben  — 

Magog:  Ja,  da  koof'n  wa  alles  zusammen, 
was  es  jetzt  an  numerierten  Ausjaben  auf  Bütten 
jibt.  Wird  bald  nischt  mehr  da  sein.  Eh  ich 
von  Berlin  abreiste,   habe  ich  um  60.000  Emmchen 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  43 


674 


Bücher  jekauft,  Aufmachung  in  Leder  —  Leder 
is  Bedingung.  Ich  bevorzuge  Enschede  en  Zonen- 
Drucke  auf  handjeschöpftem  van  Geldern-Bütten. 
Bütten  muß  handjeschöpft  sein.  Denn  Kaiserlich  Japan 
mit  Perjamentrücken,  zur  Not  auch  Old  Stratford. 

Gog  (blickt  in  die  Zeitung):  Na  wat  sagen  Se, 
WTB  —  »In  24  Stunden  60.000  Kilogramm 
Bomben!  —  Ganz  Dünkirchen  steht  in  Flammen! 
Unsre  Bombengeschwader  haben  Außerordentliches 
geleistet.  Auch  über  der  Festung  London  wurde 
die  Wirkung  einwandfrei  festjestellt.« 

Magog:  Die  Sache  im  Westen  wird  jemacht. 

Gog:  's  muß  doch  'n  Hochjefühl  sein,  so'n 
Kampfflieja!  Vasteht  man  erst,  wenn  man  das 
Ullsteinbuch  von  unserm  Richthofen  jelesen  hat! 
Wie  er  den  Rußkis   die   Bahnhöfe   einjetöppert   hat 

—  da  kann  man  ihm  den  Jenuß  des  Bomben- 
fluges so  recht  nachfühlen.  Ist  doch  köstlich,  die 
Schilderung,  wie  er  sich  aus  'nem  bessern  Etappen- 
schwein zum  unbestrittenen  Kampfflieja  emporje- 
arbeitet  hat!  's  muß  'n  Hochjefühl  sein,  so  alles 
unter   sich    haben    und   man   kann   kaputt    machen 

—  wie  'n  König,  mit  Bomben  beladen,  wie 
'n  Gott! 

Magog:  U-Böot  is  ooch  nich  von  Pappe. 

Gog:  Jewiß  doch.  (Blickt  in  die  Zeitung.)  Na  wat 
sagen  Se,  W  T  B  —  »Die  wenigsten  Leute  können 
sich  vorstellen,  welche  prachtvolle  U-Boot-Leistung 
die  gestern  und  heute  als  versenkt  gemeldeten 
sechzehn  Dampfer  wieder  bilden.  Auch  der  ange- 
schossene, leider  entkommene  Dampfer  dürfte 
wenigstens  für  mehrere  Monate  seiner  Bestimmung 
entzogen  sein.« 

Magog:  Unsre  blauen  Jungen  schaffen  es. 

Gog:  Na  passen  Se  man  uff,  die  jroße  Kanone 
allein  wird  die  Kerls  mores  lehren!  Der  Schuß  in  die 
Kirche  neulich,  so  mitten  rin  ins  Verjnüjen,  Menschens- 
kind  da  müssen  se  doch  dran  glauben  lernen! 


675 


M  a  g  0  g :  In  spätstens  zwei  Monaten  ist 
England  auf  die  Knie  gezwungen.  Eeventuell  in  drei. 
Machen  wa.  Die  Pleitestimmung  ist  da.  Das  sieht 
man  doch  an  den  Humanitätszicken,  wat  se  jetzt 
wieda  aufmachen. 

Gog:  Kokolores.  Wat  sagen  Se  zum  Aufruf 
gegen  den  Gaskampf? 

Magog:  Sollte  das  nicht  ein  Zeichen  für  die 
überlegene  Wirkung  unsrer  Gase  sein? 

Gog:  Nu  eben.  Wir  Deutsche  begrüßen  alle 
Versuche,  dem  Völkerrecht  und  der  Menschlichkeit 
zum  Siege  zu  vahelfen,  mit  Freude,  lehnen  es  aber 
ab,  uns  übertölpeln  zu  lassen. 

Magog:  Der  Entwicklung  der  Angelegenheit 
sehn   wa   mit  Ruhe  und  gutem  Gewissen  entgegen. 

Gog:  Da  sehn  Se  mal  —  immer  dieselbe 
Schose!  Immer  die  olle  Vaständjungskiste!  Reuter 
wirft  uns  vor,  daß  wir  einer  klaren  und  ernsthaften 
Einigung  mit  den  Prinzipien  einer  kommenden 
Rechtsordnung  ausweichen.  Haben  Se  schon  so  'nen 
Quatsch  jehört? 

Magog:  Rechtsordnung?  Wir  haben  GasI 

E  1 S  ch  e  n  (zum  Fenster  hinausdeutend):  Ach  Manne 
sieh  dir  bloß  —  I 

Gog:  Jewiß  doch.  Solange  der  Vanichtungs- 
wiile  unsrer  Feinde  unjebrochen  ist  — 

Magog:  Ach  lassen  Se  m.ich  man  bloß  mit 
den  lausigen  Lügen  der  Angtangte  unjeschoren. 
Immer  das  Jequasel  mit  ihrem  Vaständjungsfrieden! 

Gog:  Fisimatenten.  Die  Brüder  kenn  wa 
doch.  Wa  brauchen  'nen  deutschen  Frieden,  und 
'n  deutscher  Friede  is  keen  weicher  Friede, 
vaschtehste  lieber  Lloyd  George,  Herzensjunge? 

Magog:  Jaawoll,  wir  wern  det  Kind  schon 
schaukeln,  da  is  mir  nich  bcng  vor.  Machen  wa. 
Faule  Jesellschaft,  sage  ich  Ihnen.  Da  wolln  se  uns 


43* 


676 


damit  komm',  daß  Amerika  nich  einjetreten  wäre, 
wenn  wa  den  vaschärften  U-Bootkrieg  nicli  anje- 
fangen  hätten.  U-Boot  kann  jar  nich  scharf  jenuch 
sein!  Dieser  Erzpharisäer  Wilson  is  doch  'n  janz 
fauler  Kopp,  meinen  Se  nich  auch? 

Gog:  Na  von  dem  hab  ich  die  Neese  pleng! 

Magog:  Nich  in  die  Lameng! 

Gog:  Alles  Blöff!  Mogelt  bis  in  die  Puppen. 
Die  Sache  liegt  doch  janz  eenfach  so,  daß  wa  durch 
den  pyramidalen  Coup  mit  Brest-Litowsk  unjeheure 
Truppenmassen  frei  bekomm'  haben.  Na  und  wenn 
Rußland  erledicht  ist,  denn  vasteht  sich  alles  weitre 
von  selbst.  Denn  wird  die  Chose  für  die  Brieder 
mulmich.  Denn  mögen  die  Onkels  übers  jroße 
Wasser  rüber  komm' ! 

Magog:  Unter  allen  Umständen  haben  wa 
doch  Belgien  als  Faustpfand.  Wa  brauchen  'ne 
jesunde  Flottenbasis,  wa  brauchen  'ne  tüchtje 
Fliejabasis,  wa  brauchen  Übasee  und  wa  brauchen 
doch  det  Erzbecken.  Es  erübricht  sich,  von  allem 
übrijen  zu  sprechen,  was  wa  noch  brauchen.  Und 
daß  unsre  Schwerindustrie  beschäfticht  werden  muß, 
leuchtet  jedem  ein,  nur  nich  den  dämlichen  Feinden, 
Wenn  da  übahaupt  von  Frieden  die  Rede  sein 
kann,  könn'  wa  uns  doch  unter  keinen  Umständen 
in  'ne  Auseinandersetzung  über  Elsaß-Lothringen 
einlassen ! 

Gog:  Selbstvaständlich.  Die  zweideutje  Haltung 
der  Gegner  zeigt  deutlich,  daß  sie  keenen  Frieden 
wollen. 

Magog:  Die  Leute  sind  eben  in  'ner 
Mentalität  vastrickt  und  da  könn'  se  nu  mal 
nich  raus. 

Gog:  Na  wenichstens  weiß  man  jetzt,  wo  die 
Kriegsvalängerer  sind.  Wo  die  Kriegsschuldjen  sind, 
weiß  man  ja  längst. 


I 


677 


Magog:  Uns  Deutschen  bleibt  niclits  übrich 
als  durchzuhalten. 

Gog:  Wenn  die  Völkerbundsfritzen  behaupten, 
daß  sie  für  'ne  moralische  Idee  kämpfen,  bleibt 
einem  nichts  übrich  als  der  Appell  an  die  Jewalt. 
Der  olle  Humanitätsfatzke  übern  jroßen  Teich  soll 
es  vorerst  mal  probieren! 

Magog:  Ach,  ik  sage  immer  —  Jeduld  und 
warme  Füße.  Die  Jungens  wern  jroße  Augen 
machen,  wenn  wir  Berliner  schwuppdich  in  Bachdad 
stehn.  Mit'm  D-Zuch! 

Gog  (zum  Fenster  hinausblickend):  Na?  sind  wa 
nich  bald  da?  —  Nu?  jeht  de  Dampfpuste  aus? 
—  Nee!  —  Wat  sagen  Se  zu  unsern  Internierten  — 
stramme  Kerls,  wat? 

Magog:  Ach  Se  meinen  well  die  Hindenburch- 
Feier  auf  der  Rütli-Wiese? 

Gog:  Na  ja,  und  den  Rütli-Schwur  haben  se 
doch  mit  dem  Fahneneide  vajlichen ! 

Magog:  Fein,  da  hätt  ich  mit  bei  sein  mögen! 
Ja  wenn  unsre  Eidjenossen  aufmarschieren,  kommt 
gleicn  'n  andrer  Zuch  in  den  Betrieb!  Wat  sagen 
Se  zu  unsern  schneidjen  Landsleuten  in  Luganooh, 
die  haben  somit  richtich  die  feindlichen  Konsuln  aus 
dem  Hotel  rausjejrault,  der  Hotelier  hat  nachjeben 
müssen, 

Gog:  Da  jeschieht  noch  lange  nich  jenuch. 
Wir  müssen  die  Schweiz  säubern!  Auf  der  Zürcher 
Straßenbahn  hat  einer  neulich  französisch  jesprochen! 
Da  habe  ich  denn  jleich  Krach  jemacht  und  dem 
Mann  auf  den  Kopf  zujesagt,  daß  Neutralitätsbruch 
vorliege.  Hätten  Se  ooch  bei  sein  mögen.  Der  Bengel 
schwieg  betroffen.  Na  und  Eischen  hat  in  Bern  in 
'ner  Konditorei  darauf  bestanden,  daß  die  Vakäuferin 
stal*  Creme  Sahne  sage.  Die  Sahne  war  zwar  alle, 
aber  Eischen  ließ  doch  nicht  locker.  Nich  wah' 
Eischen?  Na,  jib  'n  Schmatz.  (Er  küßt  sie.) 

Eischen:  Ja,  Schnuckepiezelchen. 


678 


Magog:  Das  sind  leider  nur  va einzelte  Fälle. 
Unsre  Jesandtschaft  müßte  viel  energischer  zujreifen. 
Wir  tun  entschieden  zu  wenich,  um  die  neutralen 
Sympathien  zu  jewinnen. 

G  o  g :  Unsre  Propaganda  versacht.  Nu  ja,  da 
und  dort  werden  wohl  Bomben  deponiert  —  aber 
mit  der  Aufklärung  ists  Essig. 

Magog:  Das  dicke  Ende  kommt  nach  — 
das  wird  sich  mal  bitter  rächen.  Nach  dem  Krieg 
wer'n  wa  zwar  als  Sieger  jefürchtet  sein,  nber  man 
müßte  doch  schon  jetzt  das  Terräng  sondieren  und 
um  jeden  Preis  für  Beliebtheit  sorjen. 

Gog:  Ach,  's  wird  sich  nich  allzuviel  ändern, 
so  und  so.  Daheim  —  ja;    aber  — 

Magog:  Na  wat  jlooben  Se  woll  wird  da 
der  Unterschied  sein,  vastehn  Se,  zwischen  der 
Zeit  vor  dem  Kriege  und  der  Zeit  nach  dem  Kriege 
—  so  im  Alljemeinen  ? 

Gog;  Sehr  einfach,  vor  dem  Kriege  habn  wa 
von  achte  bis  siebene  jearbeetet,  nach  dem  Kriege 
wern  wa  von  siebene  bis  achte  arbeeten. 

Magog:    Jewiß  doch.  Britische  Habgier  — 

Gog:     französischer  Revangschedurst  und  — 

Magog:  —  russischer  Haß  — 

Gog:  —  haben  uns  diesen  Krieg  aufjezwungen. 

Magog:  Alaum  Se  mal,  aber  das  Ausland  is  'n 
nich  zu  unterschätzender  Faktor!  Wenn  se  auch  besiegt 
sind,  wir  müssen  uns  in  Ansehn  setzen  und  beliebt 
machen!  Darauf  kommt  es  an,  könn'  Se  ma  jlooben. 
Der  Abbau  des  Hasses  —  das  müßte  'ne  richtichgehende 
Propaganda  besorjen.  Und  wenn  se  bis  zum  Weiß- 
bluten kommen  —  die  Kunden  dürften  nie  vajessen, 
daß  wir  das  Volk  Goethes  sind! 


M 


679 


(Aus  dem  Nebenconpe   dringt  der  Gesang  eines  fianzösischen 
1-iedes.) 

Gog:  Unvaschämtheit!  In  'nein  neutralen 
Lande!   Na   die  Jungen   soll'n  uns  kennen  lernen! 

(Er  singt  »Deutschland,  Deutschland  über  alles«.  Magng  stimmt 
ein,  die  Gattin  gleichfalls.  Der  Gesang  nebenan  verstummt.) 

Magog:  So  —  da  wär'n  wa!  (Sie  wälzen  sich 
aus  dem  Coupe.) 

Gog  (ausgestiegen):  Na  wat  sagen  Se  zu  der 
Sonne  und  zu  dem  Himmel? 

Magog:  Tüchtjer  Betrieb!  Nu,  und  der  Schnee 
is  ooch  sein  Geld  wert! 

Gog:  Nee,  und  der  Gletscha  is  ooch  nich  von 
Pappe ! 

Magog:  Na,  und  die  Luft  — ! 

Gog:  Nee,  da  braucht  man  keene  Jassmaske! 
Mach  —  Jesundbrunn  — !  Da  hat  doch  Deutschland 
mal  seinen  Platz  an  der  Sonne!  's  is  jut!  's  is  jut! 
(halb  singend)  Sie  sollen  ihn  nicht  ha — a — ben — ! 
Na  Eischen?  Biste  froh,  daß  Männchen  nich 
vatalandvateidchen  muß,  wat? 

Eischen:  Ja,  Siegfriedchen. 

Nun,   da  die  Gruppe  sich  bewegt,  ist  es  für  einen  Augenblick, 

als  ob  die  Riesensilhouette  eines  schwarzen  Flecks  das  in  Weiß 

und  Blau  strahlende  Weltall  verdeckte. 

(Verwandlung.) 

51.  Szene 

Baracke  in  Sibirien.  Ergraute  Männer,  ganz  unterernährt,  barfüßig, 

in  zerfetzten  Uniformen,  kauern  auf  der  Erde,  starren  aus  hohlen 

Augen  ins  Weite.  Einige  schlafen,  einige  schreiben. 

Ein  österreichischer  Hauptmann  (tritt  ein 
und   ruft):  Ihr  Schweine! 

Sie  erheben  sich  und  leisten  die  Ehrenbezeigung.    Während  ein 

Teil  Habtacht  steht,    exerzieren    die   andern  mit  Schaufeln  und 

machen  Gewehrgriffe. 

(Verwandlung.) 


680 


52.  Szene 


Nordbahnhof.  Der  Perron  im  fahlen  Morgenlicht.  Labedienst. 
Funktionäre.  Honoratioren.  Ein  Zug  mit  Austauschinvaliden  ist 
soeben  eingetroffen.  Auf  Tragbahren  werden  Leiber,  die  sich  in 
Zuckungen  winden,  aus  den  Waggons  geladen.  Die  Tragbahren 
werden  aufgestellt. 

Eine  Stimme:  Aufpassen,  daß  sich  die 
Angehörigen  nicht  vordrängen. 

(Vor  der  vordersten  Reihe  des  Publikums  postieren  sich  die 
Mitglieder  des  Vereins  >Lorbeer  für  unsere  Helden«  und 
Funktionäre  in  Frack.  Eine  Regimentsmusik  bezieht  ihre  Plätze.) 

Eine  zweite  Stimme:  Zwa  Stund  Verspätung 
hat  er  g'habt,  jetzt  is  er  da,  jetzt  stehn  mr 
zwa  Stund  da  und  die  Leut,  die  was  da  sein  solin, 
San  net  da. 

Eine  dritte  Stimme:  Gengan  S'  —  acht  Tag 
von  Schweden  her,  da  wird's  drauf  ankommen. 

(Es  erscheinen  zehn  Herren  in  Gehröcken,  die  sich  so  aufstellen, 
daß  sie  zwar  selbst  die  Vorgänge  beobachten  können,  aber  diese  den 
Blicken  der  Außenstehenden  fast  ganz  entziehen.  Die  Tragbahren 
sind  seit  dem  Moment  ihres  Auftretens  nicht  mehr  sichtbar. 
Während  jeder  der  zehn  ein  Notizblatt  hervorzieht,  treten  zwei 
Funktionäre  an  die  Gruppe  heran  und  stellen  sich  gegenseitig 
wie  folgt  vor.) 

Zawadil:  Spielvogel. 

Spielvogel:  Zawadil. 

Beide  (zugleich  sprechend):  Ein  trüber  Morgen. 
Schon  um  6  Uhr  waren  wir  zur  Stelle,  um  die 
Anordnungen  zu  treffen. 

Angelo  Eisner  v.  Eisenhof  (tritt  hinzu  und 
spricht  angelegentlich  mit  einem  der  zehn,  die  zu  schreiben 
beginnen.  Er  deutet  auf  verschiedene  Gestalten,  die  alle  die  Hälse 
recken  und  den  Versuch  machen,  aus  dem  Spalier  zu  treten. 
Er  beruhigt  durch  Winken  jeden  einzelnen,  indem  er,  gleichzeitig 
auf  die  zehn  Männer  weisend,  die  Pantomime  des  Schreibens 
macht,  so  als  ob  er  ihm  bedeuten  wollte,  daß  bereits  von  ihm 
Notiz  genommen  sei.  Inzwischen  ist  es  dem  Hofrat  Schwarz- 
Gelber  und  dessen  Gemahlin  gelungen,  in  unmittelbaren  Kontakt 
mit  den  Schreibenden  zu  kommen  und  einem  von  diesen  auf 
die  Schulter  zu    uppen.; 


681 


Hofrat  Schwarz-Gelber  und  Hofrätin 
Schwarz-Gelber:  Wir  haben  es  uns  nicht  nehmen 
lassen  wollen,  persönlich  zu  erscheinen. 

Sektionscher  Wilhelm  Exner:  Ich  stehe  hier 
als  Vorkämpfer  der  Prothesen-Aktion. 

Dobner  v.  Dobenau:  Als  Truchseß  hätte  ich 
eigentlich  das  Recht,  hineinzugehen,  wodieSpitzen  sind. 

Riedl:  In  der  Adriaausstellung  habe  ich  mit 
ihm  verkehrt,  als  Obmann  um  damit  auf  dem  ein- 
mal betretenen  Wege  unerschrocken  fortzufahren. 

Stukart:  Meine  Anwesenheit  versteht  sich 
von  selbst. 

Sieghart:  Ich  bin  heute  Gouverneur. 

Präsident  Landesberger  von  derAngio- 
bank:  Sie  sagen  von  mir,  ich  sei  ein  Bankmagnat. 

Eine  Stimme:  Da  stell  di  her,  da  siehst  sie 
besser,  die  heimgekehrten  Manen. 

Eine  andereStimme:  Durch  Sibirien  solin s' 
acht  Wochen  gebraucht  haben.  No  jetztn,  bei  die 
Verspätungen  — 

Eine  Mutter:  Geh  nicht  zu  nah,  man  weiß 
nicht,  was  sie  für  Krankheiten  mitbringen.  Schau 
dort,  wie  der  dort  sich  windet. 

Die  Tochter:  Bittich  Bauchschuß. 

Dr.  Charas:  Mit  mir  an  der  Spitze  ist  auch 
die  Rettungsgesellschaft  erschienen,  hat  aber  noch 
keinen  Anlaß  gefunden,  in  zahlreichen  Fällen  zu 
intervenieren. 

(Inzwischen  ist  eine  Dame  in  tiefster  Trauer  eingetreten.    Alles 
weicht  zurück.) 

Hofrätin  Schwarz-Gelber  (wie  vom  Blitz 
getroffen,  gibt  ihrem  Gatten  einen  Stoß  und  spricht):  Was 
hab  ich  dir  gesagt!  Die  is  überall,  wo  sie  nicht 
hineingehört.  Ob  man  einmal  unter  sich  sein  könnte! 

Flora  Dub:  Wie  ruhig  sie  daliegen! 

Ein  Redakteur  (zu  seinem  Nachbar):  Schreiben  Sie, 
die  Augen  der  heimgekehrten  Krieger  leuchten. 


682 


Zwei  Konsuln  (stellen  sich  gleichzeitig  vor): 
Stiaßny.  Wir  sind  herbeigeeilt. 

Drei  kaiserliche  Räte  (treten  in  einer  Reihe  auf): 
Als  Vertreter  der  Aktion  »Lorbeer  für  unsere  Helden« 
sind  wir  erschienen,  den  heimgekehrten  Vertretern 
unserer  glorreichen  Armee  den  Zoll  zu  spenden. 

Sukfüll:  Vom  Gremium  entsendet,  nehme 
ich  die  Gelegenheit  wahr,  hocherhobenen  Herzens 
der  Freude  Ausdruck  geben  zu  können,  mit  der 
unsere  tapferen  Krieger,  die  auch  in  der  Ferne 
unseren  Bestrebungen  ihr  Interesse  unverändert 
bewahrt  haben,  sich  nunmehr  von  deren  Erfolgen 
tiberzeugt  haben  zu  können.  Wenngleich  keineswegs 
zu  leugnen  ist,  daß  das  Hoteliergewerbe  durch  den 
Krieg  gelitten  hat  und  wofern  dem  Fremdenverkehr 
auch  durch  die  Schwierigkeit  der  Beschaffung  von 
Lebensmitteln  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt 
waren,  so  werden  sich  die  glorreichen  Kämpfer, 
die  für  Habsburgs  Ehre  geblutet  haben,  keineswegs 
verschließen  können. 

Birinski  und  Glücksmann:  Als  Vertreter 
der  Kunst  hat  uns  die  Kunst  entsendet. 

Hans  Müller:  Wohlan!  Wer  diese  Bresthaften 
betrachtet,  die  nun  am  Ziele  der  Heimfahrt  das  Spittel 
empfängt,  den  wird  es  in  sein  Inneres  hinein  schauern, 
als  blickte  er  jäh  durch  einen  Spalt  in  die  letzte  Glut 
des  Erlebens. 

(Es  erscheinen  Leute,    Männer  und  Frauen,   die  eine  Anregung 
gegeben  haben,   geführt  vom   kaiserlichen  Rat   Moriz  Putzker.) 

Putzker:  Meiner  Anregung  zufolge  haben  zum 
Zwecke  der  genauen  Berechnung  der  Dauer  ihrer 
Gefangenschaft  unsere  sibirischen  Kriegsgefangenen 
die  Stunden  bis  zu  ihrer  Ankunft  gezählt. 

(Der  Prinz  Eugen-Mai  seh  wird  intoniert.    Einige  der  Invaliden 
werden  ohnmächtig.) 

Die  Mutter:  Geh  nicht  zu  nah,  ich  hab 
meine  Gründe. 


683 


Die  Tochter:   Gott  wie  viel  solche   hab   ich 
schon  gelabt! 
(Es  entsteht  eineBcMtegung.  Einer  der  Ohnmächtigen  ist  gestorben.) 

Eine  Stimme:  Schaun  Siesich  den  Blick  an. 
Wie  er  selig  is,  daß  er  am  Ziel  is. 

Eine  andere  Stimme:  Wo  bleibt  Heller? 

Eine  dritte  Stimme:  Er  wird  in  den  Annalen 

fortleben.  „  ,    ,.     •  u 

Dobner  v.  Dobp-au:  Als  Truchseß  hätte  ich 

eigentlich  das  Recht  — 

Der  Buchhändler  Hugo  Heller  (hat  sich  Bahn 
gebrochen):  Durch  meine  weitverzweigten  kulturellen 
Verbindungen  wäre  es  mir  offenbar  ein  Leichtes 
gewesen,  die  Verbindung  mit  den  dem  Kulturkreis 
Entrückten  herzustellen,  wenn  nicht  wie  gesagt  der 
Tod  dazwischen  gekommen  war. 

Hans  Müller:  Wohlan! 

(Wälirend  Funktionäre  an  die  Invaliden  Kriegsabzeichen  verteilen, 
wird  der  Radetzkymarsch  intoniert.) 

Der  Redakteur  (zu  seinem  Nachbarn):  Schreiben 
Sie,  wie  sie  lauschen! 

(Verwandlung.) 

53.  Szene 

Eine  menschenleere  Gasse.  Es  dunkelt.  Plötzlich  stürzen  von  allcH 
Seiten  Gestalten  herbei,  jede  mit  einem  Stoß  bedruckten  Papiers, 
atemlos,  Korybanten  und  Mänaden,  rasen  die  Gasse  auf  und  ab, 
toben  scheinen  einen  Mord  auszurufen.  Die  Schreie  sind 
unversländiich.  Manche  scheinen  die  Meldung  förmlich  hervor- 
zustöhnen.  Es  klingt,  als  würde  das  Weh  der  Menschheit  aus  emem 
tiefen  Ziehbrunnen  geschöpft. 

—  asgabee  — !  strasgabää  — !  xtrasgawee  — ! 
Peidee  Perichtee  — !  Brichiee  ~!  strausgabee  — ! 
Extraskawee  — !  richtee  — !  eestrabee  — !  abee  —  ! 

bee  — !  .    ,     . 

(Sie  verscl'.windcn.    Die  Gasse  ist  leer.)s 

(Verwandlung.) 


684 


54.  Szene 

Der  Nörgler  am  Schreibtisch. 
(Er  liest.) 

»Der  Wunsch,  die  genaue  Zeit  festzustellen, 
die  ein  im  Walde  stehender  Baum  braucht, 
um  sich  in  eine  Zeitung  zu  verwandeln,  hat 
dem  Besitzer  einer  Harzer  Papierfabrik  den  Anlaß 
zur  Ausführung  eines  interessanten  Experiments 
gegeben.  Um  7  Uhr  35  Minuten  ließ  er  in  dem  der 
Fabrik  benachbarten  Walde  drei  Bäume  fällen,  die 
nach  Abschälung  der  Rinde  in  die  Holzstoffabrik 
transportiert  wurden.  Die  Umwandlung  der  drei 
Holzstämme  in  flüssige  Holzmasse  ging  so  schnell 
vor  sich,  daß  bereits  um  9,39  Uhr  die  erste  Rolle 
Druckpapier  die  Maschine  verließ.  Diese  Rolle 
wurde  mittels  Automobil  unverzüglich  nach  der  vier 
Kilometer  entfernten  Druckerei  einer  Tageszeitung 
geschafft,  und  bereits  um  11  Uhr  vormittags  wurde 
die  Zeitung  auf  der  Straße  verkauft.  Demnach  hatte 
es  nur  eines  Zeitraumes  von  3  Stunden  25  Minuten 
bedurft,  damit  das  Publikum  die  neuesten  Nach- 
richten auf  dem  Material  lesen  konnte,  das  von  den 
Bäumen  stammte,  auf  deren  Zweigen  die  Vögel 
noch  am  Morgen  ihre  Lieder  gesungen  hatten.« 

Von  draußen,  ganz  von  weitem  her,  der  Ruf:  —  —  bee! 

Also  ist  es  fünf.  Die  Antwort  ist  da.  Das  Echo 
meines  blutigen  Wahnsinnes,  und  nichts  mehr  tönt 
mir  aus  der  zerschlagenen  Schöpfung  als  dieser  Laut, 
aus  dem  zehn  Millionen  Sterbende  mich  anklagen, 
daß  ich  noch  lebe,  der  Augen  hatte,  die  Welt  so  zu 
sehen  und  dessen  Blick  sie  so  getroffen  hat,  daß  sie 
wurde  wie  ich  sie  sah.  Wars  gerecht  vom  Himmel,  daß 
es  geschah,  so  wars  doch  ungerecht,  mich  nicht  eher 
zu  vernichten!  Habe  ich  diese  Erfüllung  meiner 
Todesangst  vor  dem  Leben  verdient?  Was  wächst 
mir  da  in  meine  Nächte?  Warum  ward  ich 
nur  ausersehen,  den  Thersites  zu  rehabilitieren,  und 


685 


nicht  auch,  den  Achilles  zu  entehren?  Warum 
wurde  mir  nicht  die  Körperkraft,  die  Sünde  dieses 
Planeten  mit  einem  Axthieb  umzulegen?  Warum 
wurde  mir  nicht  die  Gedankenkraft,  die  geschändete 
Menschheit  zu  einem  Aufschrei  zu  zwingen?  Warum 
ist  mein  Gegenruf  nicht  stärker  als  dieses  blecherne 
Kommando,  das  Macht  hatte  über  die  Seelen 
eines  Erdenrunds?  Ich  bewahre  Dokumente  für  eine 
Zeit,  die  sie  nicht  mehr  fassen  wird  oder  so  weit 
vom  Heute  lebt,  daß  sie  sagen  wird,  ich  sei 
ein  Fälscher  gewesen.  Doch  nein,  die  Zeit  wird 
nicht  kommen,  das  zu  sagen.  Denn  sie  wird 
nicht  sein.  Ich  habe  eine  Tragödie  geschrieben, 
deren  untergehender  Held  die  Menschheit  ist; 
deren  tragischer  Konflikt  als  der  der  Welt  mit 
der  Natur  tödlich  endet.  Ach,  weil  dieses  Drama 
keinen  anderen  Helden  hat  nls  die  Menschheit,  so 
hat  es  auch  keinen  Hörer!  Woran  aber  geht  mein 
tragischer  Held  zugrunde?  War  die  Ordnung  der 
Welt  stärker  als  seine  Persönlichkeit?  Nein,  die 
Ordnung  der  Natur  war  stärker  als  die  Ordnung 
der  Welt.  Er  zerbricht  an  der  Lüge:  die  Wesen- 
losigkeit,  an  die  er  den  alten  Inhalt  seines 
Menschentums  verloren  hat,  in  den  alten  Lebens- 
formen zu  bewähren.  Händler  und  Held  zu  sein 
und  dieses  sein  zu  müssen,  um  jenes  zu  bleiben. 
Er  vergeht  an  einem  Zustand,  der  als  Rausch  und 
Zwang  zugleich  auf  ihn  gewirkt  hat.  Gibt  es 
Schuldige?  Nein,  sonst  gäbe  es  Rächer,  sonst  hätte 
der  Held  Menschheit  sich  gegen  den  Fluch  gewehrt, 
der  Knecht  seiner  Mittel  zu  sein  und  der  Märtyrer 
seiner  Notwendigkeit.  Und  zehrt  das  Lebensmittel 
vom  Lebenszweck,  so  verlangt  es  den  Dienst  am  Todes- 
mittel, um  noch  die  Überlebenden  zu  vergiften.  Gäbe 
es  Schuldige,  die  Menschheit  hätte  sich  gegen  den 
Zwang  gewehrt,  Held  zu  sein  zu  solchem  Zwecke ! 
Den  einzelnen,  die  es  befahlen,  hätte  die  Einheit 
geantwortet.    Jene    aber    sind    nicht    Tyrannen.    Ihr 


686 


Geist  ist  aus  dem  Geist  der  Masse  geschnitten. 
Wir  alle  sind  einzeln.  Wir  haben  jeder  unsern 
Schmerz  und  der  andere  entbrennt  nicht  daran. 
Und  wir  entbrennen  nicht  an  dem  Kontrast,  den 
unser  Opfer  zum  Gewinn  des  andern  täglich  stellt, 
zum  grausamen  Gewinn  des  andern.  Tyrannen  wichen 
dem  Schrecken.  Wir  aber  hätten  uns  unsere  Tyrannen 
immer  wieder  aus  uns  selbst  ersetzt.  Denn  uns  alle 
treibt  ein  hohles  Wort,  doch  nicht  des  Herrschers, 
sondern  der  Maschine.  Was  frommte  der  Revolver  gegen 
die  Maschine?  Der  Revolver  gibt  kein  Beispiel  gegen 
sie,  wie  die  Armbrust  gegen  den  Tyrannen.  Wir 
haben  das  Ding  erfunden  und  was  uns  im  Rücken 
bedroht,  ist  nicht  das  Maschinengewehr,  sondern  das 
öde  Wunder,  daß  es  dieses  gibt.  Nicht  seine  Drohung, 
sein  Dasein  lähmt  den  Entschluß.  V/ie  könnte  da  das 
Gegenkommando  erstehen,  das  uns  unsere  Waffen 
zerbrechen  hieße!  Kann  ich  im  Sprechsaal  Europas 
sprechen?  So  müßt  ihr  weiter  sterben  für  etwas, 
was  ihr  die  Ehre  nennt  oder  die  Bukowina,  und  wovon 
ihr  nicht  wißt,  was  es  ist,  was  aber  wieder  nur  die 
Waffe  selbst  ist.  Wofür  seid  ihr  gestorben?  Hättet 
ihr  alle  zusammen  Geist  genug,  um  die  Kontraste 
zu  spüren,  ihr  hättet  den  Leib  gewahrt.  Was  Todes- 
verachtung! Warum  solltet  ihr  verachten,  was  ihr  nicht 
kennt?  Wohl  verachtet  man  das  Leben,  das  man  nicht 
kennt.  Ihr  lernt  es  erst  kennen,  wenn  der  Zufall  des 
Schrapnells  euch  nicht  ganz  getötet  hat  oder  wenn 
die  kommandierte  Bestie,  Schaum  vor  dem  Mund, 
ehedem  ein  Mensch  wie  ihr,  euch  anfällt  und  ihr  die 
Minute  Bewußtsein  habt,  nun  an  der  Schwelle  zu  stehn. 
Und  da  wagt  die  kommandierende  Bestie  euch  nach- 
zusagen, ihr  hättet  den  Tod  verachtet?  Und  ihr  habt 
jene  Minute  nicht  genützt,  eurem  Vorgesetzten  zu- 
ruschreien,  daß  er  nicht  der  Vorgesetzte  Gottes  sei, 
der  ihm  schaffen  könne.  Geschaffenes  ungeschaffen 
zu  machen?  Nein,  ihr  habt  euch  von  ihm,  mit  Gott, 
über  die  Schwelle  jagen  lassen,   wo  das  Geheimnis 


I 


687 


beginnt,  dessen  Verrat  kein  irdischer  Staat  erlangen 
könnte!  Nacii  dem  jeder  seine  Helden  und  keiner 
seine  Spione  sendet!  Hättet  ihr  doch  in  dem  Augen- 
blick des  Opfers  um  den  Gewinn  gewußt,  der  trotz, 
nein,  mit  dem  Opfer  wächst,  sich  an  ihm  mästend! 
Denn  nie,  bis  zu  dem  unentschiedenen  Krieg  der 
Maschinen,  hat  es  so  gottlosen  Kriegsgewinn  gegeben 
und  ihr,  siegend  oder  besiegt,  verlöret  den  Krieg,  der 
ein  Gewinn  eurer  Mörder  ist.  Eurer  feigen,  technisch 
avancierten  Mörder,  die  nur  in  der  Entfernung  vom 
Schauplatz  ihrer  Tat  töten  und  leben  können.  Wie, 
du  treuer  Begleiter  meines  Worts,  mit  reinem  Glauben 
zum  H'mmel  der  Kunst  emporgewandt,  mit  stiller 
Wissenschaft  das  Ohr  an  ihr  Herz  legend,  du  mußtest 
hinüber?  Ich  sah  dich  an  dem.Tag,  da  du  auszogst.  Regen 
und  der  Schmutz  dieses  Vaterlands  und  seine  ruchlose 
Musik  waren  der  Abschied,  als  man  euch  in  den 
Viehwagen  pferchte!  Ich  sehe  dein  blasses  Gesicht 
in  dieser  Orgie  von  Kot  und  Lüge,  in  diesem  furcht- 
baren Lebewohl  eines  Frachtenbahnhois,  von  wo 
das  Menschenmaterial  versandt  wird  durch  jenes 
Machtwort,  das  die  Leiber  entfesselt  und  die  Geister 
gebunden  hat  und  das  verurteilte  Leben  in  eine 
Kinderstube  verwandelt,  in  der  Viehknechte  spielen  I 
Du  sähest  nicht  aus  wie  solche.  Wie  konntest  du 
nicht  schon  daran  sterben,  daß  du  diesen  Start  erleben 
mußtest,  vor  dem  wahrlich  Wallensteins  Lager  als  die 
Halle  eines  Palasthotels  erschien!  Denn  schmutzig 
wird  der  Maschinenmensch,  ehe  er  blutig  wird. 
So  fing  deine  Italienreise  an,  du  Kunstforscher. 
Und  du,  edles  Dichterherz,  das  zwischen  den  Stimmen 
der  Mörser  und  Mörder  dem  Geheimnis  eines  Vokals 
oblag  —  vier  Jahre  deines  Frühlings  hast  du  unter  der 
Erde  verbracht,  die  künftige  Wohnstatt  zu  erproben? 
Was  hattest  du  dort  zu  suchen?  Läuse  fürsVaterland?  Zu 
warten,  bis  der  Granatsplitter  kam.?  Zu  beweisen,  daß 
dein  Leib  gegen  die  Leistungsfähigkeit  der  Schneider- 
Creuzot-Werke  widerstandsfähiger  sei,  als  der  eines 


688 


Turiners  gegen  den  Skoda?  Wie,  wir  sind  die  Comniis 
voyageurs  von  Waffenfabriken,  die  nicht  mit  ihrem 
Mund  die  Tüchtigkeit  ihrer  Firma,  sondern  mit 
ihrem  Körper  die  Minderwertigkeit  der  Konkurrenz 
bezeugen  sollen?  Wo  viel  Reisende  waren,  wird  es 
viel  Hinkende  geben!  Mögen  sie  sich  die  Absatz- 
gebiete in  Schlachtfelder  verwandeln.  Aber  daß  sie 
auch  Macht  hatten,  die  höher  Gearteten  in  den  Dienst 
der  Schufterei  zu  zwingen  —  nie  hätte  der 
Teufel  gewagt,  eine  solche  Befestigung  seiner  Herr- 
schaft für  denkbar  zu  halten.  Und  wenn  man  ihm 
nun  zugeraunt  hätte,  im  ersten  Jahre  des  Kriegs, 
in  den  er  die  Völker  mit  der  Fibel  in  der  Hand  gejagt 
hat,  damit  sie  sein  Geschäft  mit  mehr  Seele  betreiben, 
im  ersten  Jahr  schon  werde  eine  Petroleumraffinerie 
137  Prozent  Reingewinn  vom  gesamten  Aktienkapital 
erzielen  und  der  David  Fanto  73  Prozent,  die  Kredit- 
anstalt 19'9  Millionen  Reingewinn  und  die  Wucherer 
an  Fleisch  und  Zucker  und  Spiritus  und  Obst  und 
i\artoffeln  und  Butter  und  Leder  und  Gumrni  und 
Kohle  und  Eisen  und  Wolle  und  Seife  und  Öl  und 
Tinte  und  Waffen  würden  hundertfach  entschädigt 
sein  für  die  Entwertung  fremden  Bluts  —  der 
Teufel  hätte  einem  Verzichtfrieden  das  Wort 
geredet!  Und  dafür  läget  ihr  vier  Jahre  in  Dreck 
und  Nässe,  dafür  war  der  Gruß  erschwert,  der 
euch  erreichen,  das  Buch  aufgehalten,  das  euch 
trösten  wollte.  Sie  wünschten,  daß  ihr  am  Leben 
bliebet,  denn  sie  hatten  auf  ihren  Börsen  noch 
nicht  genug  gestohlen,  in  ihren  Pressen  noch 
nicht  genug  gelogen,  in  ihren  Ämtern  noch  nicht 
genug  drangsaliert,  die  Menschheit  noch  nicht  genug 
durcheinandergepeitscht,  in  allen  ihren  Gelegenheiten 
und  Tätigkeiten  sich  noch  nicht  genug  für  ihr 
Unvermögen  und  ihre  böse  Lust  auf  den  Krieg 
berufen,  damit  ihr  Verbrechen  sie  entschuldige  — 
sie  hatten  diesen  ganzen  tragischen  Karneval,  in 
dem    Männer     vor     den    Augen     des    weiblichen 


689 


Kriegsberichterstatters  starben  und  Metzger  Piiilo- 
sophen  honoris  causa  wurden,  noch  nicht  bis  zu  Kehraus 
und  Fasten  durchgetanztl  Wie,  ihr  habt  wochenlang 
unter  Minen  Wurf  engelegen;  wart  von  Lawinen  bedroht; 
hinget  3000  Meter  hoch  an  einem  Seil  zwischen  dem 
Trommelfeuer  des  Feindes  und  dem  Maschinen- 
gewehrfeuer der  »Eigenen<^  —  ein  Wort,  des  Landes- 
verrats wert  — ;  wäret  hundertfach  verlängerter 
Delinquentenqual,  und  oft  genug  ohne  Henkermahl, 
ausgesetzt;  mußtet  die  ganze  Varietät  des  Todes 
im  Zusammenprall  von  Organismus  und  Maschine 
durchleben,  durch  Sprengminen,  Drahtverhaue, 
spanische  Reiter,  Dumdumgeschosse,  Bomben, 
Flammen  und  Gase  und  alle  Höllen  des  Sperrfeuers  — 
weil  Wahn  und  Wucher  ihr  feiges  Mütchen  an  euch 
noch  nicht  gekühlt  hatten?  Und  ihr  solltet  in  solcher 
Preisgegebenheit  »wehrfähig«  bleiben,  weil  der 
Menschheit  für  die  ihr  geraubte  Phantasie  noch  nicht 
genug  Syphilis  eingeimpft  war?  Und  ihr  draußen  und 
wir  drinnen,  wir  sollen  noch  länger  in  das  Grab  starren, 
das  wir  uns  auf  höheren  Befehl  schaufeln  mußten  — 
wie  den  serbischen  Greisen  geboten  war,  und  auskeinera 
andern  Grunde  geboten,  als  weil  sie  Serben  waren  und 
noch  am  Leben,  also  verdächtig!  Oh  daß  man  doch, 
wenn  man  mit  heiler  Haut,  obschon  verhärmt, 
verarmt,  gealtert,  aus  diesem  Abenteuer  entkam,  durch 
den  Zauber  einer  allerhöchsten  Vergeltung  die  Kraft 
empfinge,  sie,  die  stets  überlebenden  Rädelsführer 
des  Weltverbrechens,  einzelweis  zur  Verantwortung 
zu  ziehen,  in  ihre  Kirchen  zu  sperren  und  dort, 
ganz  wie  sie  es  den  serbischen  Greisen  getan  haben, 
jeden  zehnten  sein  Todeslos  ziehen  zu  lassen!  Dann 
aber  nicht  zu  töten  —  nein,  zu  ohrfeigen!  Und 
also  anzureden:  V/as,  ihr  wußtet  nicht,  ihr  Buben, 
ahntet  nicht,  daß  die  Folgen  einer  Kriegserklärung 
unter  Millionen  Möglichkeiten  des  Schauders  und 
der  Schmach  auch  die  wären,  daß  die  Kinder  keine 
Milch,  die  Pferde  keinen  Hafer  haben  und  daß  man 

Die  letzten  Tage  der  Menschheil.  44 


690 


noch  fern  vom  Schuß  an  Metliylalkohol  erblinden  kann, 
wenn  es  denn  im  Kriegsplan  des  Wuchers  beschlossen 
wäre?  Wie,  ihr  ermaßet  nicht  das  Unglück  einer 
Stunde  vieljährigen  Gefangenenleids?  Eines  Seufzers 
der  Sehnsucht  und  der  beschmutzten,  zerrissenen, 
hingemordeten  Liebe?  Wart  nicht  einmal  fähig 
der  Vorstellung,  welche  Höllen  aufgetan  sind  einer 
Qualenminute  mütterlichen  Hinaushorchens  durch 
Nächte  und  Tage,  dieses  jahrelangen  Wartens  auf  den 
Heldentod?  Und  spürtet  nicht,  wie  die  Tragödie 
eine  Posse  wurde,  durch  die  Gleichzeitigkeit  neuen 
Unwesens  und  alten  Formenwahns  eine  Operette,  eine 
jener  ekelhaften  neuzeitlichen  Operetten,  deren 
Text  eine  Insulte  ist  und  deren  Musik  eine  Tortur? 
Und  ihr  spürtet  nicht,  daß  der  geringste 
eurer  Befehle,  ja  nur  die  letzte  Folge  eures 
geringsten  Befehls,  und  wäre  es  bloß  die  Stupidität, 
die  die  Flucht  aus  eurem  Bezirk  erschwerte,  die 
eure  Kriegsüberwachungsämter,  Paßämter,  Paßan- 
weisungsämter, Paßklauselämter,  Grenzübertritts- 
bewilligungsämter,  Platzkommanden  und  Grenz- 
schutzkommanden gegen  einander  losgelassen  hat, 
damit  sie  einander  verwirrten  —  spürtet  nicht, 
daß  die  geringste  Maßnahme  eurer  Besessenheit 
der  Menschenwürde  ein  unauslöschliches  Schandmal 
aufprägen  würde?  Und  ihr  hattet  übersebn,  daß,  wenn 
ihr  sämtliche  Menschen  in  die  Uniform  stecktet, 
sie  nun  alle  unaufhörlich  einander  salutieren  müßten? 
Und  merktet  nicht,  daß  diese  Gebärde  eines  Tags, 
plötzlich,  nur  mehr  der  Griff  au  die  Stirn  war, 
der  den  Zweifel  an  dem  wechselseitigen  Verstand 
betraf?  Und  daß  das  Kopfschütteln  zuckender  Invalider 
euch,  nur  euch  galt?  Und  ließet  nicht  ab  von  dem 
Zeitvertreib  eurer  zum  Niederbruch  verurteilten  und 
dennoch  die  Welt  fortschröpfenden  Glorie?  Wie,  und 
ihr  dort,  ihr  Gemordeten,  standet  nicht  auf  gegen 
diese  Ordnung?  Gegen  dieses  System  von  Mord  und 
einer  Ökonomie,    die   das   Leben   für  alle  Zukunft 


691 


zum  Durchfialten  verurteilen  mußte,  alle  Aussicht 
verliängt  und  das  kleinste  Glücksbedürfnis  dem  Haß 
der  Nationen  preisgegeben  hat?  Sinnlos  im  Krieg 
gewütet  und  grundlos  gewütet  gegen  jeden,  weil 
Krieg  war!  Armut,  Hunger  und  Schmach  gehäuft 
über  Flüchtigen  und  Seßhaften  und  alle  Menschheit 
innen  und  außen  konfiniert.  Und  Staatsmänner,  in  ab- 
schüssiger Zeit  einzig  berufen,  den  bestialischen  Drang 
der  Menschheit  zu  hemmen,  sie  haben  ihn  entfesselt! 
Im  Frieden  zu  Tiermord  und  Kindermord  bereit,  griff 
feiger  Lebenshaß  zur  Maschine,  um  alles  Wachstum  zu 
verheeren.  Hysterie  im  Schutze  der  Technik  überwältigt 
die  Natur,  Papier  befehligt  die  Wafie.  Invalide  waren 
wir  durch  die  Rotationsmaschinen,  ehe  es  Opfer 
durch  Kanonen  gab.  Waren  nicht  alle  Reiche  der 
Phantasie  evakuiert,  als  jenes  Manifest  der  bewohnten 
Erde  den  Krieg  erklärte?  Am  Ende  war  das  Wort. 
Jenem,  welches  den  Geist  getötet,  blieb  nichts  übrig, 
als  die  Tat  zu  gebären.  Schwächlinge  wurden  stark, 
uns  unter  das  Rad  des  Fortschritts  zu  bringen.  Und 
das  hat  sie  vermocht,  sie  allein,  die  mit  ihrer  Hurerei 
die  Welt  verdarb!  Nicht  daß  die  Presse  die  Maschinen 
des  Todes  in  Bewegung  setzte  —  aber  daß  sie  unser 
Herz  ausgehöhlt  hat,  uns  nicht  mehr  vorstellen  zu 
können,  wie  das  wäre:  das  ist  ihre  Kriegsschuld! 
Und  von  dem  Wollustwein  ihrer  Unzucht  haben  alle 
Völker  getrunken,  und  die  Könige  der  Erde  buhlten 
mit  ihr.  Und  er  sprach  ihr  zu,  der  apokalyptische 
Reiter,  den  ich  einstens,  lange  eh  ers  tat,  durch 
das  deutsche  Reich  rasen  sah.  Ein  Jahrzehnt  ist 
um,  seit  ich  sein  Werk  erfüllt  wußte.  »Er  ist 
Volldampf  voraus  in  allen  Gassen.  Sein  Schnurrbart 
reicht  von  Aufgang  bis  Niedergang  und  von  Süden 
gen  Norden.  ,Und  dem  Reiter  ward  Macht  gegeben, 
den  Frieden  von  der  Erde  zu  nehmen,  und  daß  sie 
sich  einander  erwürgten.'«  Und  ich  sah  ihn  als  das 
Tier  mit  den  zehn  Hörnern  und  den  sieben  Köpfen 
und  einem  Maul  gleich  dem  Rachen  eines  Löwen. 


44* 


692 


»Man  betete  das  Tier  an  und  sprach:  Wer  ist  dem 
Tiere  gleich?  Und  wer  vermag  mit  ihm  zu  streiten? 
Ein  Maul  ward  ihm  gegeben,  große  Dinge  zu  reden.« 
Und  wir  fielen  durch  ihn  und  durch  die  Hure  von 
Babylon,  die  in  allen  Zungen  der  Welt  uns  über- 
redete, wir  wären  einander  feind  und  es  solle  Krieg 
sein !  Und  ihrGeopferten  standet  nicht  auf  gegen  diesen 
Plan?  Wehrtet  euch  nicht  gegen  den  Zwang,  zu  sterben, 
und  gegen  die  letzte  Freiheit:  Mordbrenner  zu  sein? 
Gegen  die  Teufelei,  die  die  Aufopferung  für  den 
Wollmarkt  gar  unter  den  Fahnen  des  sittlichen  Pathos 
vollziehen  hieß!  Die  sich  an  Gott  vergreift,  um  seine 
Zeugenschaft  für  den  blutigen  Wechsel  zu  erlangen! 
Alle  Hoheitsrechte  und  Lebenswerte  an  die  Idee  der 
Materie  verschachert.  Das  Kind  im  Mutterleib  dem 
Imperativ  des  Hasses  verpflichtet  und  das  Bild  dieser 
kämpfenden  Mannheit,  ja  selbst  dieser  pflegenden 
Frauenschaft,  gepanzerte  Leiber  mit  Gasmasken, 
als  das  einer  Horde  von  Fabeltieren  dem  Grausen 
der  Nachwelt  überliefert  hat.  Mit  Kirchenglocken 
auf  Gläubige  geschossen  und  vor  Altären  aus 
Schrapnells  nicht  bereut!  Und  in  all  dem  Glorie 
und  Vaterland?  Ja,  ihr  habt  das  Vaterland  erlebt, 
ehe  ihr  dafür  starbet!  Das  Vaterland  von  dem 
Augenblick  an,  wo  ihr  in  der  Schweiß-  und  Bierluft 
des  Vorsaals  zum  Heldentod  entkleidet  warten  mußtet, 
als  sie  Menschenfleisch  musterten  und  Menschen- 
seelen zum  gottlosesten  Schwüre  zwangen.  Nackt 
wäret  ihr,  wie  nur  vor  Gott  und  der  Geliebten,  vor 
einer  Kommission  von  Schindern  und  Schweinen! 
Scham,  Scham  für  Leib  und  Seele  hätte  euch  dem 
Vaterland  weigern  sollen!  Wir  alle  haben  dieses 
Vaterland  gesehn  und  die  Glücklichern  unter  uns, 
die  ihm  entfliehen  konnten,  sahen  es  noch  in  der 
Gestalt  des  frechen  Grenzwächters.  Wir  sahen  es 
in  allen  Formen  der  Machtgier  des  losgelassenen 
Sklaven  und  der  Umgänglichkeit  des  trinkgeldgierigen 
Erpressers.    Nur   daß   wir   andern    es   nicht   in   der 


693 


Gestalt  des  Feindes,  des  wahren  Feindes,  erleben 
mußten,  der  mit  dem  Maschinengewehr  euch  vor  das 
Maschinengewehr  trieb.  Aber  wenn  wir  es  nur  in  den 
Konterfeis  dieser  scheußlichen  Generale  gesehen 
hätten,  die  sich  die  große  Zeit  hindurch,  statt  der 
Luxusdamen,  in  Theaterrevolverblättern  inserierten, 
zum  Zeichen,  daß  nicht  immer  nur  gehurt,  sondern 
auch  gemordet  werde  in  der  Welt  —  wahrlich,  wir 
ersehnten  diesem  Blutbordell  seine  Sperrstunde!  Wie, 
ihr  dort,  ihr  Gemordeten,  ihr  Geprellten,  standet  nicht 
auf  gegen  den  Betrieb?  Ertrüget  die  Freiheit  und  das 
Wohlleben  der  Preßstrategen,  Parasiten  und  Possen- 
reißer, wie  euer  Unglück  und  euern  Zwang?  Und  wußtet, 
daß  sie  für  eure  Martern  Ehrenzeichen  bekamen? 
Spieet  ihnen  nicht  die  Glorie  ins  Gesicht?  Läget  in 
Verwundetenzügen,diedasGesindel  abschildern  durfte? 
Brächet  nicht  aus,  desertiertet  nicht  in  den  heiligen 
Krieg,  uns  hinten  von  dem  Todfeind  zu  befreien, 
der  uns  täglich  mit  Lügenbomben  das  Gehirn 
belegte?  Und  starbet  für  dies  Geschäft?  Lebtet  das 
Grauen  durch,  um  unser  Grauen  zu  verlängern,  die 
wir  hier  zwischen  Wucher  und  Not  hindurchkeuchten 
und  zwischen  den  marternden  Gegensätzen  gemästeter 
Frechheit  und  lautloser  Schwindsucht.  Oh,  ihr  hattet 
weniger  Gefühl  für  uns  als  wir  für  euch,  die  wir  jede 
Stunde  dieser  Jahre,  welche  sie  euch  aus  dem  Leben 
rissen,  von  ihnen  hundertfach  zurückfordern  wollten 
und  die  an  euch  immer  nur  die  Frage  hatten:  Wie 
werdet  ihr  aussehen,  wenn  ihr  das  überlebtet!  Wenn 
ihr  dem  letzten  Ziel  der  Glorie  entronnen  seid,  daß 
die  Hyänen  zu  Fremdenführern  werden,  um  euere 
Gräber  als  Sehenswürdigkeit  auszubieten!  Erkrankt, 
verarmt,  verludert,  verlaust,  verhungert,  verendet, 
gefallen  zur  Hebung  des  Fremdenverkehrs  —  dies 
unser  aller  LosI  Sie  haben  eure  Haut  zu  Markte 
getragen  —  doch  auch  aus  der  unsern  schnitt  sich  ihr 
Lebenssinn  seine  Geldtasche.  Ihr  aber  hattet  Waffen  — 
und   zogt  nicht  in   dieses  Hinterland?    Und  kehrtet 


694 


nicht  um,  von  jenem  Feld  der  Schande  in  den 
ehrlichsten  Krieg,  uns  und  euch  zu  erretten?  Und 
steht  nicht  als  Tote  aus  euein  Erdlöchern  auf,  das 
Gezücht  zur  Verantwortung  zu  ziehen,  ihnen  im 
Schlaf  zu  erscheinen  mit  dem  verzerrten  Antlitz,  das 
ihr  in  der  Stunde  des  Ablebens  trugt,  mit  den  glanz- 
losen Augen  eurer  heldischen  Wartezeit,  mit  der 
unvergeßlichen  Maske,  zu  der  eure  Jugend  von  dieser 
Regie  des  Wahnsinns  verdammt  ward!  So  stehet 
doch  auf  und  tretet  ihnen  als  Heldentod  entgegen  — 
damit  die  gebietende  Feigheit  des  Lebens  endlich 
seine  Züge  kennen  lerne,  ihm  ins  Auge  schaue  ein 
Leben  lang!  Weckt  ihren  Schlaf  durch  euern  Todes- 
schrei I  Stört  ihre  Wollust  durch  die  Erscheinung 
eurer  Leiden!  Sie  konnten  Weiber  umarmen  in  der 
Nacht  nach  dem  Tage,  an  dem  sie  euch  erwürgt  hatten! 
Rettet  uns  vor  ihnen,  vor  einem  Frieden,  der  uns 
die  Pest  ihrer  Nähe  bringt!  Rettet  uns  vor  dem  Unglück, 
heimgekehrten  Auditoren  die  Hand  zu  reichen  und 
Henkern  im  Zivilberuf  zu  begegnen.  Denn  das  Gewissen 
dieser  niedrigen  Grausamkeit,  der  die  Hemmung 
der  Phantasie  nicht  durch  Leidenschaft,  nur  durch 
Mechanik  genommen  war,  wird  sich  so  rasch  zum 
Tagwerk  erholen,  wie  es  sich  aus  der  Banalität  der 
Vergangenheit  ins  Morden  geschickt  halte.  Zu  Hilfe, 
ihr  Ermordeten!  Steht  mir  bei,  daß  ich  nicht  zwischen 
Menschen  leben  muß,  die  aus  Ehrsucht  oder  Selbst- 
erhahungstrieb  Befehl  gaben,  daß  Herzen  zu  schlagen 
aufhören  und  Mütter  weiße  Haare  bekommen!  So 
wahr  ein  Gott  lebt  —  dies  Schicksal  wird  nur  durch 
ein  Wunder  heil!  Kehret  zurück!  Fragt  sie,  was  sie 
mit  euch  getan  haben!  Was  sie  getan  haben,  als  ihr 
durch  sie  littet,  bevor  ihr  durch  sie  starbt!  Was  sie 
in  euren  galizischen  Wintern  getan  haben!  Was 
sie  in  jener  Nacht  getan  haben,  da  telepbonierende 
Kommanden  keine  Antwort  von  eurem  Platz  bekamen. 
Denn  vorn  war  alles  ruhig.  Und  nur  später  sahen  sie, 
wie  ihr  brav  dastandet,  Mann  neben  Mann,  das  Gewehr 


695 


im  Anschlag.  Denn  ihr  gehörtet  nicht  zu  jenen,  die 
übergingen,  nichl  zu  jenen,  die  zurückgingen  und 
denen,  weil  sie  fror,  ein  Soldaten  vater  mit 
Maschinengewehrfeuer  einheizen  mußte.  Ihr  habt 
eure  Stellungen  gehalten  und  fielet  nicht  bei  einem 
Schritt  nach  hinten  in  die  Mördergrube  eures  Vater- 
lands. Vor  euch  der  Feind,  hinter  euch  das  Vaterland 
und  über  euch  die  ewigen  Sterne!  Und  ihr  habt 
nicht  Reißaus  genommen  in  den  Selbstmord.  Ihr 
starbt  nicht  fürs,  ihr  starbt  nicht  durchs  Vaterland; 
nicht  durch  die  Munition  des  Feinds,  nicht  durch 
die  eigene  —  ihr  standet  und  starbt  durch  die  Natur. 
Welch  ein  Bild  des  Ausharrens!  Welch  eine  Kapuziner- 
gruft! Wehrhafte  Leichname,  Protagonisten  Habs- 
burgischen Todlebens,  schließt  eure  Reihen  und 
erscheint  ihnen  imSchlaf!  Erwacht  aus  dieserErstarrung! 
Tretet  vor!  Tritt  hervor,  du  lieber  Bekenner  des 
Geistes  und  verlange  deinen  teuren  Kopf  von  ihnen! 
Du  —  wo  bist  du,  der  im  Spitale  starb?  Sie  schickten 
mir  von  dort  meinen  letzten  Gruß  mit  dem  Bescheid 
zurück:  »Abgeschoben.  Aufenthalt  unbekannt«.  Tritt 
vor,  ihnen  zu  sagen,  wo  du  bist  und  wie  es  dor!  ist,  und 
daß  du  dich  nie  mehr  dazu  gebrauchen  lassen  wolltest! 
Und  du  dort,  mit  dem  Gesicht,  zu  dem  du  in  deiner 
letzten  Minute  verurteilt  warst,  als  die  kommandierte 
Bestie,  Schaum  vor  dem  Mund,  ehedem  vielleicht 
ein  Mensch  wie  du,  in  deinen  Graben  stürzte  —  tritt 
hervor!  Nicht  daß  du  sterben  —  nein,  daß  du  das 
erleben  mußtest,  macht  künftig  allen  Schlaf  und 
allen  Tod  im  Bett  zur  Sünde.  Nicht  euern  Tod  — 
euer  Erlebnis  will  ich  rächen  an  jenen,  die  es 
euch  autgebunden  haben!  Ich  habe  sie  zu  Schatten 
geformt,  die  sie  sind  und  die  sie  in  Schein  umlügen 
wollten!  Ich  habe  ihnen  das  Fleisch  abgezogen!  Aber 
den  Gedanken  ihrer  Dummheit,  den  Gefühlen  ihrer 
Bosheit,  dem  furchtbaren  Rhythmus  ihrer  Nichtigkeit 
gab  ich  die  Körper  und  lasse  sie  sich  bewegen. 
Hätte   man    die  Stimme   dieses  Zeitalters   in   einem 


696 


Phonographen  aufbewahrt,  so  hätte  die  äußere 
Wahrheit  die  innere  Lügen  gestraft  und  das  Ohr 
diese  und  jene  nicht  wiedererkannt.  So  macht  die 
Zeit  das  Wesen  unkenntlich,  und  würde  dem  größten 
Verbrecheil,  das  je  unter  der  Sonne,  unter  den  Sternen 
begangen  war,  Amnestie  gewähren.  Ich  habe  das  Wesen 
gerettet  und  mein  Ohr  hat  den  Schall  der  Taten, 
mein  Auge  die  Gebärde  der  Reden  entdeckt  und 
meine  Stimme  hat,  wo  sie  nur  wiederholte,  so  zitiert, 
daß  der  Grundton  festgehalten  blieb  für  alle  Zeiten. 

Und  laßt  der  Welt,  die  noch  nicht  weiß,  mich  sagen. 
Wie  alles  dies  geschah;  so  sollt  ihr  hören 
Von  Taten,  fleischlich,  blutig,  unnatürlich, 
Zufälligen  Gerichten,  blindem  Mord; 
Von  Toden,  durch  Gewalt  und  List  bewirkt, 
Und  Planen,  die  verfehlt,  zurückgefallen 
Auf  der  Erfinder  Haupt:  dies  alles  kann  ich 
Mit  Wahrheit  melden. 

Und  hörten  die  Zeiten  nicht  mehr,  so  hörte  doch 
ein  Wesen  über  ihnen!  Ich  habe  nichts  getan,  als 
diese  tödliche  Quantität  verkürzt,  die  sich  in  ihrer 
Unermeßlichkeit  auf  den  Unbestand  von  Zeit  und 
Zeitung  beriefe.  All  ihr  Blut  war  doch  nur  Tinte  — 
nun  wird  mit  Blut  geschrieben  sein!  Dieses  ist  der 
Weltkrieg.  Dies  ist  mein  Manifest.  Ich  habe  alles 
reiflich  erwogen.  Ich  habe  die  Tragödie,  die  in  die 
Szenen  der  zerfallenden  Menschheit  zerfällt,  auf  mich 
genommen,  damit  sie  der  Geist  höre,  der  sich  der 
Opfer  erbarmt,  und  hätte  er  selbst  für  alle  Zukunft 
der  Verbindung  mit  einem  Menschenohr  entsagt. 
Er  empfange  den  Grundton  dieser  Zeit,  das  Echo 
meines  blutigen  Wahnsinns,  durch  den  ich  mit- 
schuldig bin  an  diesen  Geräuschen.  Er  lasse  es  als 
Erlösung  gelten! 

(Von  draußen,  ganz  von  weitem  her,  der  Ruf: bee!) 

(Verwandlung.) 


697 


55.  Szene 


Liebesmahl  bei  einem  Korpskommando.  Die  dem  Zuschauer 
zugekehrte  Wand  des  Saales  ist  von  dem  Koiossalgemälde 
»Die  große  Zeit«  ausgefüllt.  Es  wird  ein  Sautanz  serviert.  Die  Musik 
spielt  >Der  alte  Noah  hats  doch  gewußt,  die  schönste  Boa  wärmt 
nicht  die  Brust«.  Das  Gelage  neigt  sich  dem  Ende  zu.  Offiziere  der 
verbündeten  Armeen  stoßen  miteinander  an.  Ansder  Ferne  Geschütz- 
donner. Ein  Husarenoberleutnant  wirft  ein  Sektglas  an  die  Wand. 

Der  preußische  Oberst  (neben  dem  General, 
summend  und  nickend):  Der  olle  Noah,  ja  der  hats 
jewußt  —  Na  Prösterchen! 

Der  General  (erhebt  sich  unter  Hoch-Rufen,  schlägt 
an  das  Glas):  Meine  Herrn  —  also  —  nachdem  unser 
Offizierskorps  ein  vierjähriges  beispielloses  Ringen  — 
also  gegen  die  Übermacht  einer  Welt  —  überstanden 
hat  —  also  setze  ich  das  Vertrauen  auf  meinen 
Stab  —  indem  ich  überzeugt  bin  —  wir  werden  auch 
fernerhin  —  unerschrocken  —  tunlichst  —  die  Spitze  zu 
bieten.  Kampfgestählt  gehen  unsere  heldenmütigen 
Soldaten  —  diese  Braven  —  gehen  sie  neuen  Siegen 
entgegen  —  wir  wanken  nicht  —  wir  werden  den  bis  ins 
Mark  getroffenen  Feind  —  zu  treffen  wissen,  wo 
immer  es  sei  —  und  der  heutige  Tag  —  der  heutige  Tag, 
meine  Herrn  —  wird  einen  Markstein  bilden  —  in  der 
Geschichte  unserer  glorreichen  Wehrmacht  immerdar! 
(Hoch-Rufe.)  —  Drauf  und  dran!  Von  Ihnen  aber,  denen 
die  schwerste  Aufgabe  in  diesem  beispiellosen  Kampfe 
obliegt  —  wie  von  unserer  in  Not  und  Tod  getreuen 
Mannschaft,  der  die  unermüdlichste  Pflicht  aufge- 
zwungen ist  —  also  ich  erwarte  von  euch  allen  —  daß 
ihr  bis  auf  den  letzten  Hauch  von  Mann  und  Roß 
mit  Hintansetzung  eure  Pflicht  erfüllen  werdets!  Es 
gilt  einen  letzten,  aber  heißen  Strauß  und  wir  wissen, 
daß  es  —  um  nichts  Geringes  geht.  Fürwahr!  Stehen 
wir  doch  alle  hier,  jedermann  —  und  ein  jeglicher 
stellt  seinen  Mann  —  auf  seinen  Posten,  um  auszu- 
harren —  daselbst  —  wohin  den  Soldaten  unsere 
Pflicht  hingestellt  hat  —  und  der  Allerhöchste  Dienst 


698 


uns  hingesetzt  hat  (Hoch-Rufe)  —  wie  es  dem  Gagisten 
geziemt !  In  dieser  Stunde  gedenken  wir  der  Lieben 
in  der  Heimat  —  die  fern  sind  und  unserer  in 
Treuen  gedenken.  Und  speziell  die  Mütter,  die 
vorangegangen  sind  —  indem  sie  also  naturgemäß 
mit  Freuden  ihre  Söhne  geopfert  haben  auf  dem 
Altare  des  Vaterlands !  Und  wahrlich  —  es  ist  nicht 
leicht,  in  diesem  Augenblicke  alle  Gedanken  zusammen- 
zufassen —  weil  sie  immer  auf  das  eine  Ziel 
gerichtet  sein  müssen.  Es  gilt  —  ich  spreche  das 
Wort  im  vollen  Bewußtsein  meiner  Tragweite  aus  — 
es  gilt,  zu  siegen!  Siegen,  meine  Herrn  —  wissen  Sie, 
was  das  heißt?  Das  ist  die  Wahl,  die  dem  Soldaten 
bleibt  —  sonst  muß  er  ruhmbedeckt  sterben!  Zu  diesem 
Behufe  —  will  ich  mich  der  Erwartung  verschließen 
—  daß  Sie  meine  Herrn  —  im  Hinblicke  und  mit 
Rücksicht  darauf  die  Pflege  eines  innigeren,  herz- 
licheren Kontaktes  mit  derselben  —  also  mit  der 
Mannschaft  —  für  die  tunlichste  Herabminderung 
der  persönlichen  Gefahr  —  also  —  sich  aufgeopfert 
haben.  (Hoch-Rufe.)  Denn  meine  Herrn  —  wir  alle 
wissen  —  das  Letzte,  wrs  der  Offizier,  vornehmlich 
der  Stabsoffizier,  besitzt  —  ist  (Rufe:  Seine  Ehre!)  —  Sie 
haben  es  erraten  meine  Herrn  —  seine  Ehre !  Und 
die  werden  wir  sich  nicht  —  also  ich  weiß  schon  —  es 
gibt  solche  subv^ersive  Elemente  —  die  bis  ganz  vorn 
in  die  vorderste  Lini  hineinreichen  —  aber  —  meine 
Herrn  —  uns  können  sie  nicht  das  Wasser  reichen! 
Oho!  Unser  Menschenmaterial  haltet  noch  was  aus! 
(Bravo-Ruie.)  —  Und  wir,  die  wir  Blut  von  ihrem  Blute, 
Geist  von  ihrem  Geiste  sind  —  nein  und  tausendmal 
nein!  —  der  Offizier  fühlt  mit  dem  gemeinen  Mann, 
mit  dem  einfachen  Mann,  der  am  heutigen  Tage  das 
Bollwerk  ist,  an  dem  sich  der  Feind  blutige  Köpfe  holen 
wird  —  wenn  sie  auf  Granit  beißen !  Und  da  können  s* 
sagen,  was  sie  wollen,  diese  Schkribler  —  man 
derf  nicht  generalisieren !  (Er  schlägt  auf  den  Tisch)  — 
derf  man  denn  das?  (Rufe:  Nein!)  Diese  Schkribler  — 


699 


ich  meine  natürlic!i  nicht  die  beiden  Herren  Kriegs- 
berichterstauer, die  uns  heuie  hier  die  Ehre  erwiesen 
haben  —  wir  wissen  nur  zu  gut,  was  die  Wehrmacht 
einer  wohluniformierien  Kriegsberichterstattung  zu 
verdanken  hat  —  die  Presse  —  die  in  Erfüllung  ihrer 
hochpadriotischen  Pflicht  den  Mut  des  Hinteriands 
behebt  —  belebt  —  kann  bei  uns  immer  auf  Anklang 
rechnen!  ;Bravo-Rufe.)  Ich  meine  nicht  diese  Herrn 
und  ich  hoffe,  daß  die  Herrn  das  also  nicht  auf 
die  Herrn  bezogen  haben  —  indem  wir  ihre  gemein- 
nützige Tätigkeit  tunlichst  vollaui  würdigen  (Bravo- 
Rufe.  Die  Kriegsberichtersiatter  verneigen  sich.)   Ich  meine  — 

diese  Anarchisten  und  Def  aitisten  —  die  ihre  Zwietracht 
hineintragen  und  durch  Ausstreuung  von  Gerüchten 
zur  Verbreitung  derselben  beitragen!  Das  sind  die 
Elemente!  Das  sind  die  Leute,  die  zuerst  v.'ühlen  und 
nacher  dann  noch  Umtriebe  machen.  Und  ich  frage 
Sie  meine  Herrn  —  haben  wir  das  notwendig? 
(Rufe:  Nein!)  In  meinem  Korps  —  wo  alle  Nationen 
friedlich  miteinander  vertreten  sind  —  wir  haben  in 
unserem  Stab  deutsche  Herrn  und  w'r  haben 
böhmische  Herrn,  wir  haben  Polen  und  Kroaiten 
haben  wir  und  rumänische  Herrn  haben  wir  und 
solche  mosaischer  Konfession  sind  auch  da.  Und  haben 
wir  nicht  auch  Vertreter  unserer  prächtigen  Honved? 
(Eljen-Rufe)  —  Also  da  hat  sich  noch  niemand  beschwert ! 
Da  heißts  immer  —  Nationalioäten  hin  und  her.  Ich 
frage  Sie  meine  Herrn  —  merkt  man  da  etwas?  Also 
—  darum  sage  ich  —  es  wird  nicht  so  heiß  gegessen, 
wie  es  gekocht  wird.  Wenigstens  bei  uns!  Da  zeigen 
Sie  den  Herrn  Bundesgenossen,  die  wir  mit  Stolz 
heute  an  dieser  Tafel  hier  herin  erblicken  dürfen  — 
(Hoch-Rufe)  —  wie  bei  uns  volle  Einigkeit  herrscht! 
Jeder  füllt  seinen  Platz  aus  —  mit  Hintansetzung  — 
denn  wir  wissen  alle,  daß  und  wofür  wir  durchhalten 
müssen,  alle  Nationalidäten  ohne  Ausnahme,  wie  wir 
da  sind,  in  diesem  uns  aufgezwungenen  Verteidi- 
gungskriege der  germanischen    gegen  die  slawische 


700 


Rasse !  (Hurra-  und  Hoch-Rufe.)  Unsere  Waffen  in  diesem 
beispiellosen  Kampfe  heißen  Zuversicht  und  Disziplin! 
(Bravo-Rufe.)  Oh,  ich  halte  etwas  auf  Disziplin  —  aber 
eisern  muß  sie  sein !  Und  wir  alle  —  können  wahrlich  ein 
Lied  davon  singen.  Beider  letzten  Inspizierung  habe  ich 
diesbezüglich  also  Übelstände  bemerken  müssen  und 
ich  habe  auch  leider  bemängeln  müssen,  daßmirdraußen 
zu  wenig  Herrn  gefallen  sind.  Ich  will  niemandem  nahe- 
treten,  aber  es  gilt  doch,  mit  gutem  Beispiel  voran- 
zugehen. Statt  den  eigenen  werten  Kadaver  in  Sicherheit 
bringen!  (Bravo  bravo!)  Mein  hohes  Vorbild,  Seine  Exlenz 
Pflanzer-Baltin  (Hoch-Rufe)  hat  das  Wort  geprägt:  »Ich 
werde  schon  meinen  Leuten  das  Sterben  lehren!« 
Dadrauf  halte  ich!  Und  was  wolln  denn  die  Lent 
eigentlich?  Wolln  s'  denn  ewig  leben?  Zu  solchen 
Passionen  meine  Herrn  ist  jetzt  nicht  die  Verfassung  — 
wo  das  Vaterland  in  Gefahr  ist,  das  aber  so  Gott  will  — 
hervorgehn  wird  —  wie  ein  Phönix  aus  dem  Stahlbad 
des  Weltkriegs!  Was  uns  nottut —  ist  Selbstsucht!  Ver- 
wöhnung kann  ich  nicht  hingehn  lassen.  Wie  sie 
das  Glück  gehabt  haben,  damals  wie  Seine  kaiserliche 
Hoheit  der  durchlauchtigste  Herr  Erzherzog  Friedrich  — 
(mit  Rührung)  der  Soidatenvater  (Hoch-Rufe)  —  bis  in  die 
vorderstenSchützengräbenvordrang,umderMannschaft 
die  huldreichen  Grüße  Seiner  Majestät  des  obersten 
Kriegsherrn  zu  überbringen  (Hoch-Rufe)  —  da  haben  s' 
also  naturgemäß  eine  Freud  ghabt!  Ja  was  wolln  denn 
die  Leut  noch  haben?  Damals  wars  noch  ganz  ruhig 
draußen  und  kein  so  bewegter  Tag  wie  heute,  wo  sie  den 
Stürmen  trotzen.  Aber  nein,  da  wird  herumgestierlt 
und  es  gibt  Elemente,  welche  es  glücklich  so  weit 
gebracht  haben,  daß  sich  die  Mannschaft  beklagt  und 
aufbegehrt  —  wegen  dem  Dörrgemüse  und  so  —  sie 
möchten  womöglich  wie  im  Frieden  ein  Soupetscherl 
vom  Sacher  haben  (Heiterkeit)  —  und  dreimal  täglich 
Schaumrollen!  Jetzt  heißt  es  durchhalten!  (Bravo  bravo!) 
Meine  Herrn  —  ich  perhorresziere  das  und  wo  ich 
Anzeichen    bemerke,    da    bin    ich   scharf   hinterher! 


701 


Disziplin  —  wissen  Sie  meine  Herrn,  was  das  heißt? 
Disziplin  heißt  Mannszucht!  Das  ist  die  Autorität  — 
die  das  tägliche  Brot  für  den  Soldaten  ist!  Wenn  s'  das 
untergraben,  hört  sich  die  Gemütlichkeit  auf!  Diese 
Schkribler  —  Bismarck  —  er  war  zwar  —  also  unser 
großer  Bundesgenosse — hat  das  Kernwort  geprägt: 
Was  das  Schwert  uns  vernichtet  hat  —  geht  durch 
die  Feder  wieder  verlorn!  —  Meine  Herrn,  lassen  wir 
das  nicht  aus  dem  Auge  fallen!  Erinnern  wir  uns!  — 
Aber  ich  staune  über  die  Langmut  unseres  hohen  K  M. 
Wenns  nach  mir  ginge,  müßte  die  Zensur  ein  Exempei 
schtatuiern  und  diese  Leute  alle  aufhängen!  (Bravo-Rufe.) 
Auditor  et  altera  parte !  Ich  habe  schon  gege  n  die  Katzel- 
macher  gekämpft,  wo  diese  Elemente  noch  nicht  auf  der 
Welt  waren !  (Bravo-Rufe)  —  das  kann  ich  mit  Stolz  sagen ! 
Aber  meine  Herrn  —  wenn  das  am  grünen  Tische  ge- 
schieht, da  freilich  —  können  wir  nicht  die  Ver- 
antwortungübernehmen! Mandarf  nicht  alle  feindlichen 
Lügen  über  uns  glauben.  Opferfreudigkeit  hätten  wir 
genug  in  unserem  lieben  Vaterlande,  aber  was  uns  fehlt, 
ist  Hingabe  und  grad  auf  die  kommt  es  an !  Also  —  man 
darf  derartige  subversive  Strömungen  gar  nicht  auf- 
kommen lassen  —  weil  sie  sonst  unterminierend  wirken 
könnten!  Wenn  wir  hier  jeder  unentwegt  bleiben,  so 
werden  wir  auch  die  letzte  Entscheidung,  die  uns  der 
Feind  aufzwingt  —  planmäßig  und  in  Ehren  an  uns 
herankommen  lassen!  Wer  von  uns  gedenkt  nicht  der 
geradezu  beispiellosen  Taten,  mit  denen  unsere 
allzeit  bewährte,  todesmutige  Truppe  uns  voran- 
gegangen ist  —  nachdem  sie  getreu  unserem  Befehl 
gefolgt  ist  in  Sturm  und  Gefahren !  Und  fürwahr  — 
die  sich  vielfach  aufgeopferten  Stäbe  haben  jederzeit 
die  Verantwortung  planmäßig  übernommen  und  auch 
beispiellos  durchgeführt!  Und  haben  wir  denn 
nicht  auch  schöne  Erfolge  erzielt?  Erfolge,  die  in 
den  Annalen  unserer  Wehrmacht  fortleben  werden, 
während  wir  selbst  dereinst  ruhmbedeckt  gefallen  sind. 
Haben    wir    nicht    Erfolge    erzielt,     die    den    Neid 


702 


unserer  Bundesgenossen — unserer  Feinde — erwecken 
—  so  daß  sie  sie  uns  sciimälern  wollen?  Leicht, 
meine  Herrn,  hat  man  es  uns  wahrlich  nicht 
gemacht.  Sind  wir  doch  umgerungen  von  lauter 
Feinden  und  bieten  einer  numerischen  Übermacht 
die  Stirne  immerdar!  Sieg  über  Sieg,  meine  Herrn  1 
Wer  hätte  das  vor  vier  Jahren  gedacht,  damals  als 
wir  auszogen  in  das  Ungewisse,  um  Serbien  zu 
zertreten  —  planmäßig  und  unter  den  Klängen  des 
Prinz  Eugen!  (Hoch-Rufe.)  —  Und  ist  es  uns  denn  nicht 
gelungen?  Haben  wir  nicht  Serbien  zertreten  meine 
Herrn?  Wir  haben  es  zertreten!  (Hoch-Rufe.)  —  Da  hats 
geheißen :  Bis  hieher  und  nicht  weiter!  Also  —  auskehrn 
mit  eiserner  Faust !  Meine  Herrn,  noch  ein  Schritt  und  der 
Sieg  ist  unser!  Rußland  stellt  sich  immer  klarer  heraus — 
das  ist  ein  Koloß  auf  tönernen  Füßen !  Das  ist  so  gut 
wie  ein  erledigter  Standpunkt!  Und  was  die  Katzei- 
macher anbetrifft  —  nun  also,  wer  von  uns  zweifelt 
heute  noch  am  schließüchen  Endsieg?  Pflicht  des 
Soldaten,  meine  Herrn,  ist  es  sich  gut  zu  schlagen, 
und  wir  haben  sich  gut  geschlagen,  fürwahr!  Diese 
Tapferen  —  die  vorangegangen  sind  und  alles  in  die 
Schanzegeschlagen  haben!  Wir  gedenken  ihrer  —  denn 
sie  haben  die  Fahne  ihres  Regiments  hochgehalten 
und  tunlichst  mit  ihrem  Blute  besiegelt !  Meine  Herrn  — 
wir  leben  in  einer  großen  Zeit  und  die  für  unser  Vater- 
land unschätzbaren  Früchte  sind  noch  im  Wachsen  — 
sein  Ansehn  in  der  Welt  —  und  vor  allem  verdanken 
wir  diesem  Stahlbad  den  horrenden  Seelenaufschwung, 
den  wir  mitgemacht  haben.  Is  das  vielleicht  nix? 
Nun  trennt  uns  nur  noch  ein  Schritt  und  wir  haben 
den  Lorbeer  unüberwindlich  erreicht!  Darum  sage 
ich  —  und  das  gilt  für  den  Gagisten  wie  für  den 
gemeinen  Mann  —  kalten  Mut,  kaltes  Blut  meine 
Herrn!  Auf  Sie  kommt  es  in  letzter  Linie  an  —  seien 
Sie  sich  dessen  bewußt!  Sie  wissen,  wofür  wir  hier 
stehen!  Für  den  .allerhöchsten  Dienst  (Hoch-Rufe)  — für 
unsern  allergnädigsten  Kaiser  (Hoch-Rufe)  —  dem  jeder 


703 


sein  Bestes  geben  soll,  trotz  Not  und  Tod  in  Stürmen 
Gefahren  und  UnternehmiingeTi  aller  Art,  wie  es 
einem  braven  Kriegsmanne  geziemt!  (Hoch-Rufe.) 
Gott  helfe  weiter!  Ich  trinke  auf  das  Wohl  unserer 
allmächtigen  Verbündeten  —  die  wir  hier  erblicken 
im  Zeichen  bewährter  sturm.erprobter  Nibelungentreue 
Schulter  an  Schulter  mit  uns  verbunden  auf  Gedeih 
und  Verderb!  (Hoch-  und  Hurr-i-Rufe.)  Seine  Majestät 
der  deutsche  Kaiser  und  Seine  Majestät  unser  oberster 
Kriegsherr,  unser  allergnädigster  Kaiser  und  König 
mitsamt  dem  angestammten  Herrscherhause  — 
sie  leben  hoch  I  hoch !  hoch !  (Brausende  Hoch-  und 
Hurra-Rufe.  Allgemeines  Anstoßen.  Er  setzt  sich.)  —  Was 
servierst  denn  da? 

Der  Bursche:  Exzellenz  bitte  gehorsamst, 
Handgranaten. 

DerGeneral  (lacht  aus  vollem  Halse):  Das  sein  ja 
Eisbomben  —  die  heißen  s'  bei  uns  Handgranaten! 
Also  in  Gottes  Namen  —  Handgranaten  her! 

Der  preulii  sehe  Oberst:  Haridgranaten  her! 
—  Donnerwetter  noch  mal,  seid  ihr  Östreicher  aber 
schneidjeKerlchens!  Na  wir  haben  kürzlichMetzelsuppe, 
denn  Schlachtpastetchen  mit  Blutwurst  jehabt  (Heiterkeit) 
und  zum  guten  Ende  ga^^s  Torpedos  mit  Schlagsahne. 
(Er  singt:) 

Wer  sorgt  für  solche  Gäste 
So,  wie's  bei  uns  geschieht! 
Gesprengt,  versenkt  wird  fesie  — 
Doch  immer  mit  Jemütl 
(Hurra-  und  Hoch-Rufe.  Heiterkeit.) 

Der  General:  Auf  das  deutsche  U-Boot! 
(Hoch-  und  Hurra-Rufe.  Anstoßen.) 

Der  preußischeOberst:  Exzellenz, ich  binkein 
Wortemacher  und  'nen  Toast  zu  leisten,  dazu  —  reichts 
nicht  mehr.  Dazu  —  ist  euer  Ungarwein  zu  gm. 
(Heiterkeit.)  Aber  soviel  kann  ich  noch  sagen  —  Ihre 
Worte    haben    auch   zu    meinem   deutschen   Herzen 


704 


gesprochen!  Wo  Disziplin  fehlt,  kommt  das  dicke  Ende 
nach.  Der  schlappe  Geist,  der  bei  euch  Östreichern 
in  eurem  Hinterlande  herrscht,  würde  unfehlbar  auch 
die  Front  zum  Wanken  bringen  —  (ein  Hauptmann  ist 
unter  den  Tisch  gefallen.  Es  entsteht  Bewegung.) 

Der  General:  Die  Schkribler  sind  schuld! 
Was  wollen  s'  denn  haben  —  mir  san  ja  eh  die 
reinen  Lamperln! 

Der  preußische  Oberst:  Nich  doch.  Euer 
Friedensgewinsel  war  Unjebühr.  Da  habt  ihr  an  euch 
selbst  jesündicht.  Nu  droht  dieser  Geist  auch  eure  Front 
zu  verseuchen. 

Der  General:  Horts  es?  Disziplin  muß  sein, 
da  gibts  nix! 

Der  preußische  Oberst:  Ludendorff  hat 
volles  Vertrauen  zu  Ihnen,  Exzellenz. 

Der  General:  Zu  schmeichelhaft.  O  ja,  ich 
schau  auf  das  Menschenmaterial  —  ich  schau  aber 
auch  auf  die  Herrn!  Jetzt  wern  mrs  wieder  a  biß! 
auffüUn  —  speziell  bei  der  Kag  fehlt's  —  mit  'n 
Flak  war  ich  eher  zufrieden  —  unsere  Herrn  Ärzte 
sind  im  allgemeinen  recht  brav,  sie  tun  was  sie 
können  —  bei  der  Konschtatierung  und  halt  so.  Alles 
is  scho  inschtradiert  Wissen  S',  mit  die  Ersatzkörper  — 

Der  preußische  Ober  st:  Prothesen?— Ach  so! 

Der  General:  Zum  Inschtradieren! 

Der  preußische  Oberst:  Na  —  heut  dürfte 
ja  'n  heißer  Tach  sein. 

Der  General  (sich  die  Stirn  wischend):  Damisch 
heiß  is  herint. 

Ein    Telephonoffizier    kommt,    tritt    an    den    diensthabenden 

Qeneralstabsoffizier  heran   und  überreicht   eine  Depesche.   Der 

Qeneralstabsoffizier  öffnet,  erhebt  sich,  torkelt  auf  den  General 

zu  und  flüstert  ihm  etwas  ins  Ohr. 

Der  General:  Trotteln! 
Der  preußische  Oberst:  Was  is  'n  los? 
Der  General:    Vorstellung  genommen.   Auf 
zweite  Linie  zurück.  Da  is  der  Wottawa  schuld! 


705 


Der  preußische  Oberst:  Fatal?  Schose!  Na 
da  habt  ihr  wieder  mal  auf  dem  falschen  Fuß  Hurra 
jeschrien?  (Die  Musik  spielt  ein  Wiener  Lied.)  Ach  köstlich! 
(Er  singt  mit)  Trink  ma  noch  a  Flaschal  —  trink  ma  noch  a 

Flaschal  —  ich  —  haab  —  Geld  im  Taschal (Um  sich 

blickend)  Aber  ich  kenne  ja  eigentlich  einige  der  Herren 
noch   nich  —   (er  zeigt  auf  eine  Gruppe  von  Offizieren.) 

Der  General  (winkt):  Tu!  tu!  tu!  (Die  Offiziere 
erheben  sich.) 

Ein  Husarenoberleutnant:  Geza  von 
Lakkati  de  Nemesfalva  et  Kutjafelegfaluszeg. 

Der  preußische  Oberst:  Komischer  Name. 
Fideles  Haus. 

Der  General:  Das  is  a  roter  Teufel. 

Der  preußische  Oberst:  Roter  Teufel  — 
schneidich  1  Ja  die  prächtje  Honved! 

Ein  Hauptmann:  Romuald  Kurzbaner. 

Der  preußische  Oberst:  Wiener? 

Der  General:  Na,  ä  Salzburger  is  er. 

Ein  Oberleutnant:  Stanislausv.ZakrychiewMcz. 

Der  preußische  Oberst:  Kroate? 

Der  General:  Pole,  Pole. 

DerpreußischeOberst:Ah,  ein  edler  Pole ! 

Ein  Leutnant:  Petricic. 

Der  preußische  Oberst:  Rumäne? 

Der  General:  Nein,  Kroatt. 

Ein  Oberleutnant:  Iwaschko. 

Der  preußische  Oberst:  Böhme? 

Der  General:  Rumäner. 

Ein  Hauptmann:  Koudjela. 

Der  preußische  Oberst:  Italiener? 

Der  General:  Behm! 

Ein  Trainrittmeister:  Trainreferent  Felix 
Bellak. 

Der  preußische  Oberst:  Aha.  (Die  Vorgestellten 
setzen  sich.  Der  Oberstabsarzt  stößt  mit  dem  Oberauditor  an. 
Der  Feldrabbiner  mit  dem  Feldkuraten.)  Mal  munter,  Heiligen- 
scheinwerfer !  Immer  stramm,  immer  stramm !  Recht  so ! 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  45 


706 


Ein  Hauptmann:  Das  is  unsere  wackere 
Sündenabwehrkanone!  (Schallende  Heiterkeit,  in  die 
der  Feldkurat  eirstimmt.) 

Der  Feldkurat:  Jawoohl,  jawoohl  —  ich  tu 
ihnen  schon  das  Wülde  abiramen! 

Der  preußische  Oberst:  Abi  —  ramen? 
Köstliches  Wort!  Bedeutet  vermutlich  abräumen? 
Der  Mann  ist  woll  vom  Lande? 

Der  Feldkurat:  Nein  Herr  Oberst,  aus  Linz. 
Der  preußische  Oberst:   Ah,   das  schöne 
Linz  in  der  grünen  Steiermark! 

DerGeneral:  Jetzt  soll  einer  meiner  begabten 
jüngeren  Herrn  was  zum  besten  geben! 
Der  Oberintendant:  Der  Wowesl 
Der  General:  Wowes!  Zum  Klavier  antreten! 
Gschwind! 

Wowes  (setzt  sich  ans  Klavier,  spielt  und  singt  dazu) : 
Wenn  ich  dich  —  an  deinem  Fenster  seh  — 
So  tut  mir  —  das  Herz  so  weh. 
Ich  sehn  mich  —  nach  dir  zurück. 
Denn  du  bist  —  das  Glück. 
(Rufe:  Bravo  Wowes!) 

Wowes:  Is  noch  nicht  aus! 
Der  preußische  Oberst  (summend  und  nickend): 
Du  bist  —  das  Glück.  Hat  er  fein  jemacht! 
Wowes  (fortfahrend): 
Wenn  ich  —  bei  dir  im  Bette  bin  — 
So  ist  mir  —  gar  wohl  im  Sinn. 
Ich  will  —  von  dort  nicht  fort. 
Denn  dort  ist  —  mein  Ort. 
(Heiterkeit.  Rufe:  Bravo  Wowes!) 

DerpreußischeOberst  (summend  und  nickend) : 
Denn  dort  ist  —  mein  Ort.  Famoser  Bengell 
(Trinkt  ihm  zu.) 

Der  General:  Er  komponiert  selbst!  Oh,  er 
is  sogar  auch  ein  Zauberkünstler.  Prestischatehr!  Der 
unterhaltet  eine  ganze  Gesellschaft! 


707 


Der  preußische  Oberst:  Ach  was! 

Der  General:  Ja,  das  is  ein  gefinkelter  Kampll 
Aber  ich  laß  ihn  auch  nicht  hinaus.  Jetzt  hab  ich 
ihn  eingegeben  für  die  große  Silberne.  (Geschützdonner.) 

Ein  deutscher  Generalstabsoffizier:  Es 
lebe  die  österreichische  Gemütlichkeit!  (Hurra-  und 
Hoch-Rufe.  Anstoßen.) 

Der  Oberstabsarzt:  Es  lebe  die  deutsche 
Organisation !  (Hoch-  und  Hurra-Rufe.  Anstoßen.) 

Der  General:  Oho  I  Auch  wir  —  meine  Herrn ! 
Auch  wir!  —  Oho!  Da  gibts  nix  —  Wir  folgen  — 
unserer  Fahne  —  (Die  Musik  spielt  »Heut  hab  i  schon 
mein  FannI«.  Gelächter  und  Singen  am  Tafelende.)  Was  — 
habts  denn? 

Ein  Rittmeister  (singend):  Heut  hab  i  — 
schon  mein  — 

Der  Oberintendant:  Ja  wer  tommerlt  denn 
da  —  ?  (Heiterkeit.) 

Der  Telephonoffizier  kommt  eih'gherein,  tritt  an  den  diensthabenden 

Generalstabsoffizier    heran  und   überreicht  eine  Depesche.    Der 

Generalstabsoffizier  erhebt  sich,   torkelt    auf    den    General   zu 

und  flüstert  ihm  etwas  ins  Ohr. 

Der  General:  Solche  Hornviecher! 

Der  preußische  Oberst:   Was   is  'n   los? 

Der  General  (liest):  Stellung  —  zusammen- 
getrommelt. Annäherungsräume  liegen  —  unter  — 
unter  schwerem  Vernichtungsfeuer  —  Diese  Kineser — I 
verderben  emem  die  schönsten  Erfolge  — !  (Läßt 
die  Depesche  fallen.)  Ah  WOOS  —  gar  net  ignorieren. 

Der  preußische  Oberst(sieaufhebend):Reserven 
eingesetzt.  Abschnittsreserven  vollkommen  aufge- 
braucht. Batterien  müssen  in  Aufnahmsstellung 
zurückgenommen  werden  —  Donnerwetter  noch  mall 
(Verstärkter  Geschützdonner.) 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier 
(zu  einem  Burschen):  Net  all  weil  einschenken.  Heut  brauch 
ich  —  einen  klaren  —  Kopf.  Wieviel  Stiefel  und  Kappen 
verloren,  sagt  er  natürlich  wieder  nicht.  Trottel  das! 


45* 


708 


Der  deutsche  Generalstabsoifizier: 
Nanu?  Stiefel  und  Kappen? 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier: 
Weißt  —  Leut  und  Herrn. 

DerpreußischeOberst:Es  scheint,  daß  euch 
lieben  Östreichern  die  Friedensoffensiven  denn  doch 
besser  gelingen  sollen.  Na  hoffen  wir,  daß  Hindenburch 
da  mal  zum  Rechten  sehn  wird.  Schließlich  ist  es  ja 
doch  wieder  an  uns,  euch  aus  dem  Dreck  zu  ziehnl 

DerGeneral:  Meine  Herrn  —  wir  sind  stolz  — 
daß  wir  —  Schulter  an  Schulter  mit  unseren  kampf- 
gestählten Bundesgenossen  —  in  schimmernder  Wehr 

—  meine  Herrn,  ich  trinke  auf  die  Nibelungentreue  — 
in  diesem  Bündnis  —  das  s*  jetzt  ausgebaut  hab'n  — 
(Bravo-Rufe)  und  —  und  — 

Der  preußische  Oberst:  Vertieft!  (Hoch- und 
Hurra-Rufe.  Die  Musik  spielt  die  >Wacht  am  Rliein«  und  hierauf 
»Heil  dir  im  Siegeskranz«.)  Ich  danke  Ihnen  meine  Herrn  — 
ich  danke  Ihnen!  Aber  nu  mal  wieder  ohne  feierlichen 
Klimbim  wenn  ich  bitten  darf.  Die  Wonnejans  heben 
wir  uns  für  den  Tach  des  Endsiechs  auf.  Jetzt  mal 
wieder  eins  eurer  köstlichen  Östreicherlieder  — 
von  euerm  prächtigen  Lehaar,  der  uns  an  der  West- 
front so  viel  Freude  jebracht  hat.  (Bravo-Rufe.) 

DerGeneral:  Spielts  » Sag  Schnucki  zu  mir«  I 
Der  preußische  Oberst:  Schnuckii  —  was 
ist    denn   das?    Also  Schnuckii,   famos  1   (Die  Kapelle 
intoniert  dieses  Lied.) 

Der  General:  Aber  was  is  denn  mit  unsere 
Feldmatratzen?  Die  san  ja  heut  ganz  stad?  Was 
singts  denn  nicht  mit? 

Der  Rittmeister  (über  den  Tisch  rufend):  Die 
Schwester  Paula  —  die  hat  dir  eine  Krupp!  Taarlos — ! 
Da  kann  sich  die  Schwester  Ludmilla  verstecken! 

Schwester  Paula  (kreischt):  Au!  —  Aufhörn 

—  grauslicher  Mensch  das! 


709 


Der  Rittmeister:  Was  is  denn,  was  is  denn, 
Komplimenten  inachen  darf  man  aucii  nicht  mehr? 

Schwester  Ludmilla:  Immer  der  mit  seine 
Anzüglichkeiten! 

EinOberleutnant:  No  und  die  Gspaßlaberln ! 

Der  preußische  Oberst:  Gespaßlabnl  — ? 
Nee,  hört  mal,  was  ihr  für  ulkje  Namen  —  was  ist  denn 
das  fürn  Ding?  (Der  General  gibt  eine  Erklärung.) 

Dar  Oberintendant:  Die  Madin  solin  a  Duett 
singen!   (Rufe:  A  Duett!) 

Der  Oberleutnant:  Der  Feldkurat  und  der 
Feldrabbiner  solln  aa  a  Duett  singen  1 

Ein  zweiter:  Der  Feldrabbiner  kann  jodeln  — 
und  der  Feldkurat— na  —  verkehrt  —  (Schallende  Heiterkeit.) 

Ein  preußischer  Hauptmann:  Doli! 

Ein  dritter  Oberleutnant:  Bist  halt  a 
Klassikaner.  (Heftiger  Geschützdonner.) 

Der  Artilleriereferent:  Die  arbeiten  heut 
aber  fest  —  meine  Herrn  —  1  das  geht  ja  wie  im  Takt! 

Der  Feldkurat  (singend):  Können  nimma  Katzl 
mach'n,  es  tuat  halt  gar  zviel  krach'n!  Tschiff,  tscheff, 
tauch  —  der  V/allisch  liegt  am  Bauch!  (Gelächter 
und  Mitsingen.) 

Mehrere:  Prost  Hochwürden!  (Anstoßen.) 

Der  preußische  Oberst:  Ich  fürchte,  daß  es 
'n  heißer  Tach  ist! 

Der  General  (sich  die  Stirn  wischend):  Wiar  in 
die  Hundstäg.  (Die  Musik  spielt  »Am  Manzanares«.) 

Der Tc'ephonoffizier  stürzt  herein,  tritt  direkt  an  den  General  heran, 
flüstert  ihm  etwas  ins  Ohr. 

Der  General:  Was?  Die  elendigen  —  die 
elendigen  —  diese  Frontschweine  — ! 

Der  preußische  Oberst:    Was  is  'n  los? 

Der  General:  Ich  —  versteh  —  das  nicht. 
Ich  —  habe  doch  ausdrücklich  — 


710 


Der  preußische  Oberst:  Nanu  Kinder  — 
macht  mir  man  bloß  jetzt  nich  flau,  wo  wir  den 
Sieg  in  der  Tasche  haben! 

Der  General:  Herrschaften  —  da  sind  wir 
in  der  rue  de  Kack! 

Der  preußische  Oberst  (zum  Telephonoffizier): 
Was  is  'n  los? 

Der  Telephonoffizier  (in  größter  Erregung, 
stammelnd):  Die  Spitzen  der  rtickflutenden  Divisionen 
erreichen  bereits  den  Stand  des  Korpskommandos  — 
die  gesamte  Artillerie  wurde  im  Stich  gelassen  —  die 
Straßen  sind  von  gepfropftem  Train  gesperrt  —  die 
Truppen  demoralisiert  —  feindliche  Kavallerie  im 
schärfsten  Nachdrängen.  (Ab.  Der  Oberst  spricht  auf  den 
General  ein.  Die  andern  in  zwangloser  Konversation.) 

Ein  Hauptmann:  Du  —  Koudjela  — 

Koudjela:  Jaa  — 

Der  Hauptmann:  Spehlmeis  war  guut! 
Aber  schon  sehr  gut! 

Koudjela:  Jaa  — 

Der  Hauptmann:  Du  —  Koudjela  — 

Koudjela:  Jaa  — 

Der  Hauptmann:  Wein  is  guut!  Aber 
schon  sehr  gut! 

Koudjela:  Jaa  — 

EinOberstleutnant(zueinemschlafendenObersten): 
Du  Herr  Oberst! 

Der  österreichische  Oberst  (erwacht):  Was 
is  denn  — 

Der  Oberstleutnant:  Nix!  (Heiterkeit.) 

Ein  Leutnant  (über  den  Tisch  rufend):  Du 
Windischgraetz  —  hast  heut  mit  dem  Schlesinger 
gebritscht  oder  gebackt? 

Der  Rittmeister:  —  Horts  mr  auf,  die 
Glanzzeit  der  Presse  war  im  Anfang,  wie  s'  noch  'n 
Roda  Roda  ghabt  ham  —  jetzt  is  gar  nix. 

Ein  Oberleutnant  (gibt  ihm  einen  Stoß):  Pst  — 
die  zwei  Judenbuben!  (Laut)  Weißt,  großartig  find  ich 


711 


die  Sachen  von  der  Schaick  —  sehr  instruktiv !  —  nächste 
Wochen  kommt  sie  zu  uns  heraus  —  no  vor  allem 
is  sie  tapfer,    das  muß  ihr  auch  der  Feind  lassen! 

Der  Rittmeister  (gibt  ihm  einen  Stoß):  Pst  — 
das  gift'die  doch  noch  mehr !  (Laut)  Weißt,  der  Roda  Roda, 
der  hat  das  verstanden,  so  mit  einem  Satz  eine 
militärische  Situation  —  also  zum  Beispiel,  das  is 
mir  noch  genau  in  Erinnerung  —  wie  er  gschrieben 
hat:  »Sie  werden  Ihren  Mantel  kaum  mehr  brauchen«, 
sagte  der  Oberleutnant,  als  er  den  Popen  an  den 
Steigbügel  eines  Uhlanen  binden  ließ.  Nix  weiter. 

Der  Oberleutnant:  Gelungen,  aber  wieso 
hast  dir  das  so  gemerkt? 

Der  Rittmeister:  No  Tepp  —  ratest  denn 
nicht,  wer  der  Oberleutnant  war?   Ich! 

Der  Oberleutnant:  Kehl  —  V/as  hat  der 
angstellt  ghabt? 

Der  Rittmeister:  No  Umtriebe  und  so.  A  rote 
Nasen  hat  er  ghabt  —  also  du  das  reine  Lichtsignal! 
Das  war  schon  einer! 

Ein  Oberleutnant  (zu  einem  andern,  der  versunken 
dnsitzt):  Du  —   was  denkst  du   so?   Du  Denker  du. 

Der  andere:  Weißt,  ich  denk  halt  —  jetzt, 
auf  der  Sirk-Ecken.  Hier  sitzt  man  herum  — 

Der  erste:  Du  —  ich  auch. 

Ein  preußischer  Oberleutnant:  —  Nee 
Kinderchens  laßt  mich  man  bloß  unjeschoren,  den 
Siegfrieden  erringt  ihr  fein  ohne  mich  —  ich  muß 
ja  doch  nächste  Woche  nach  Berlin.  Da  haben  wir 
unser  Heldengedächtnisrennen. 

Ein  zweiter:  Ach  wer  wird  an  morgen 
denken!  Die  Hauptsache  ist  'ne  tüchtje  Pulle,  daß 
man  die  nötje  Bettschwere  bekommt.  Die  faulen 
Hinterlandonkels  — 

Der  Rittmeister:  No  ich  verlang  mir  auch 
keinen  Urlaub.  Ujegerl  —  ins  Land,  wo  Wrucken  und 
Maisbrot  fließt!  (Heiterkeit)  —  könnt  mich  haben! 


712 


Ein  Hauptmann:  Was  Reischl,  aber  auf 
die  Front  hast  halt  auch  kan  Gusto?  (Heiterkeit.) 

Der  Rittmeister:  Du  hast  was  zu  reden, 
Obertachinierer! 

Der  zweite  preußische  Oberleutnant: 
Mit  das  Schlimmste  an  der  Front  ist  alle  Tage 
Marmelade. 

Der  erste:  Ach  Keldenbutter  ist  auch  schon 
alle.  In  Rußland  sind  sie  jetzt  eklich  dran.  Da  haben 
sie  in  einem  Abschnitt  ne  richtichgehende  Cholera. 
Wißt  ihr,  weil  die  Kerls  Wasser  aus  'nem  Teich 
getrunken  haben,  wo  Rußenleichen  waren. 

Der  Rittmeister:  Das  war  nix  für  mich,  ich 
brauch  einen  Schampus!    (Schallende  Heiterkeit.) 

Der  zweite:  —  Ja,  kochen  könnt  ihr 
Östreicher,  aber  die  Speisenfolge,  die  wir  mal  an 
der  Nachmittachstafel  in  Homburg  jehabt  haben  — 
da  (er  zeigt  die  Menükarte):  Kraftbrühe  mit  Ochsenfleisch 

—  Königinpastetchen  —  Gebackene  Rheinfische  mit 
Remouladentunke  —  Fasane  im  Topf  —  Osterlamm- 
rücken  auf  Hausmannsart  mit  Halberstädter  Würst- 
chen —  Hammelkeule  mit  Weißbohnen  und 
Artischockenböden  —  Spargel  mit  Sahnentunke  — 
Niersteiner  Auflanger  vom  Kasino  Duisburg  — 
Kupferberg-Gold  —  Eisbombe  —  Geschmortes  Obst 

—  Käsestangen!  Jawoll!  Da  könnt  ihr  nich  ran! 
(Oho-Rufe.) 

Der  preußische  Oberst:  —  Nee  Kinder, 
euer  berühmtes  Hofftheaterballett  war  bei  euch? 

Der  General:  Ja  —  und  auf  d'  Wochen 
krieg  mr  ein  Kabarett  was  sich  gewaschen  hat! 

Der  erste  Kriegsberichterstatter:  Herr 
Oberst,  mein  Werk! 

Der  zweit eKriegsber ich terstatt er:  Wiesoo? 
Angeregt  hab  ich! 

Ein  Oberleutnant:  —  Aber  nein,  das  war 
doch  bei  der  siebenten  Isonzoschlacht,  weißt,  wie  der 
Sascha  bei  uns  heraußt  war  — 


713 


Ein  anderer  Oberleutnant:  —  Noja,  der 
Oberst  haltet  sich  übern  Kanonendonner  auf.  Er  kann 
bei  der  Nacht  iiet  schlaf'n.  Da  warn  die  frühern 
Quartier  besser.  Ich  hab's  immer  gsagt,  die  Situation 
is  ungünstig.  Das  wird  wieder  a  Nacht  wern  heuti 
Passieren  kann  nix,  aber  der  Lärm  bei  der  Nacht 
is  zwider.  (Heftige  Detonation. "> 

Der  Artilleriereferent:  Das  war  a  seh  warer 
Pumperer! 

Ein  Leutnant:   —   Der  Scharinger  von  die 
Elfer?  No  der  hat  dir  eine  Sau!  Jetzt  is  er  eingegeben  — 
Der   Rittmeister:   —   Du,    weißt,   also   ein 
Busen  —  (Geste)  erstklassig! 

Ein  Oberleutnant:  Du,  aber  was  ich  jetzt 
in  petto  hab  — !  also  tulli  — ! 

Der  Rittmeister:  Obersteiger!  In  der  letzten 
Muskete  — 

Ein  Major:  Unsern  Menageoffizier  lass  mr 
leben!  (Hoch-Rufe.  Anstoßen.) 

Ein  Generalmajor:  Ja  der  Pschierer!  Der 
stellt  seinen  Mann!  Zwölf  Gänge  —  da  muß  man 
schon  Habedjehre  sagen.  (Trinkt  ihm  zu.) 

Der  Oberauditor:  Also  ich  habe  mich  schon 
Euf  manchen  schweren  Gang  vorbereitet  (Heiterkeit)  — 
aber  ich  muß  schon  sagen  —  Pschierer  Prost! 
Der  Major:  Du,  hörst  nix  vom  Haschka? 
Der  Oberauditor:    Der    Haschka    is    noch 
immer  der  Alte.  Fleißig  — ! 

Der  Major:  Aber  jetzt  kann  er  doch  nicht 
mehr  für'n  Stöger-Steiner  arbeiten?  Also  gar  so 
viel  kanns  doch  nicht  mehr  zu  tun  geben! 

Der  Oberauditor:  Ja  die  Zeiten  sind  vorbei. 
Aber  der  Haschka  is  dir  ein  Hauptbursch.  Sein 
Steckenpferd  hat  er  halt  noch  immer.  Da  hebt  er  sich 
das  Todesurteil  auf,  pünktlich  bis  die  Suppen  aufgessen 
is.  Schaut  auf  die  Uhr,  springt  auf,  mit'n  Braten  solln 
s'  warten  sagt  er  —  bumsti  san  scho  drin  im  Billard- 
zimmer zum  Verkündigen.    Sein  schönster  Fall  war 


714 


bei  den  Ma-Formatioiien  vom  Fünfzehner-Korps,  weißt 
Wocheiner-Feistritz.  Da  warn  a  paar  Humanitätspimpf, 
die  ham  sich  aufghalten  —  paßt  ihnen  altl^urat  nicht, 
weils  der  Stöger-Steiner  gewunschen  hat  —  no  ja,  es 
hat  halt  solln  ein  Exempel  schtaiuiert  wern. 

Der  Major:  p.  u.? 

Der  Oberauditor:  Aber  nein  —  der  Fall  is 
doch  berühmt.  Ein  Kerl  hat  a  Brieftaschl  gstohln 
ghabt,  no  und  vom  Arrestgitter  ham  s'n  hineingheanzt, 
daß  er  dafür  erschossen  wird.  Der  Kerl  geht  durch  — 
aus  Furcht.  No  hat  der  Haschka  gsagt,  wanns  auch 
keine  ausgesprochene  Desertion  is,  weils  bloß  aus 
Furcht  war  —  es  is  wegn  'n  Exempel.  Weil  also  natur- 
gemäß der  Stöger-Steiner  Wert  drauf  legt.  —  Wern  dir 
die  Pimpf  hopatatschig!  Daraufhin  verurteilen  s'  nicht! 
Was  sagst!  Ein  Skandal  so  was!  Aktive! 

Der  Major   (perplex):  Aktive  — ?! 

Der  Oberauditor:  Ja  das  gibts  auch!  Aber 
ich  bitt  dich  —  ich  hab  ja  selbst  Fälle  ghabt,  wo  s' 
selbst  bei  Selbstverstümmlung  einen  Kerl  ham  heraus- 
haun  woUn.  Bitte  —  Aktive!  Tragen  des  Kaisers  Rock! 
Die  sollt  man  schtampern!  Diese  umstürzlerischen 
Ideen  sind  eben  sogar  schon  in  unsern  engern  Stand 
eingedrungen. 

Der  Major:  Was  willst  haben,  in  der  Lini 
machen  s'  auch  scho  manchmal  Gschichten  wegen 
der  Mannschaft!  No  —  ich  will  nix  sagen,  man  darf 
nicht  generalisieren,  zum  Glück  ist  der  Geist  unver- 
sehrt. —  Also  du,  was  war  da? 

Der  Oberauditor:  No  hat  er  ihnen  versprechen 
müssen  der  Haschka  im  Protokoll,  der  Kerl  wird 
begnadigt,  wann  s'n  nur  verurteilen.  Aber  der  Haschka, 
schlau  wie  er  is,  hat  oben  kan  Ton  von  kan  Protokoll 
nicht  gsagt  —  no  is  also  naturgemäß  schtantepeh 
vollzogen  worn.  Weißt,  bei  uns  sind  auch  schon 
viel  Exempel  schtatuiert  worn  —  aber  so  eine 
Exekution,  da  muß  man  schon  tulli  sagen!  Ja,  der 
Haschka  is  halt  was  bsonderes. 


715 


Der  Major:  Weißt,  mit  die  Humanen  —  das 
hab  ich  scho  gfressen.  Wann  ich  einen  Humanen 
nur  von  weitem  siech,  wer'  ich  scho  fuchtig.  Sich 
auflehnen  gegen  'n  Stöger-Steiner!  Da  hat  dir  der 
Tersztszyansky  amal  kurzen  Prozeß  gmacht.  Das 
heißt  —  er  hat  gar  kan  Prozeß  gmacht. 

Der  Oberauditor:  Wieso? 

Der  Major:  Weißt,  da  war  dir  auch  so  ein 
Humaner  —  also  ein  engerer  Standesgenosse  von  dir  — 

Der  Oberauditor:  No  mich  brauchst  nicht 
verdächtigen,  du  ! 

Der  Major:  Aber  geh,  ich  tu  dich  ja  nur  bißl 
pflanzen.  Also  hör  zu  —  der  weigert  sich,  einen  Kerl 
standrechtlich  zu  behandeln.  Es  is  nur  eine  Disziplinar- 
sache, sagt  er  und  so  Spomponadeln.  No  in  der 
Meß  —  kommt  dir  der  Tersztszyansky  herein,  setzt 
sich  zur  Suppen  —  du  aber  so  ruhig  hab  ich  dir  den 
Tersztszyansky  noch  nie  gsehn!  —  sagt  er,  Herr 
Hauptmann-Auditor  sagt  er,  mit  Ihrem  Delinquenten 
brauchen  wir  überhaupt  keine  Verhandlung  mehr. 
Wieso,  fragt  er.  No  schaun  S'  sich  ihn  draußen  im 
Garten  an  —  schaun  S'  sich  ihn  nur  an  —  draußen 
liegt  er.  Hat  dir  der  Tersztszyansky  einfach  dem 
Zugsführer  gsagt  ghabt,  er  soll  den  Kerl  niedermachen, 
mit  'n  Bajonett  —  bumstinazi!  Weißt,  weil  er  dir  eine 
Wut  ghabt  hat  auf  den  widerspenstigen  Menschen. 

Der  Oberauditor:  Auf  den  Kerl? 

Der  Major:  Aber  nein,  auf  'n  Auditor! 

Der  Oberauditor:  Ah  so,  natürlich!  Du  gelt 
ja,  neulich  hab  ich  mich  gstritten,  der  Tersztszyansky 
is  doch  Ehrendokter  der  Philosophie  —  oder  nicht? 

DerMajor:  No  ich  möcht  glauben!  —  Du  richtig, 
was  macht  denn  der  StanzI  von  der  Na-Stelle?  Is  der 
noch  in  Albanien?  Ich  hab  ghört,  daß  s'  ihn  nach 
Feldkirch  hin  tun  wolln  für  'n  feinern  Dienst? 

Der  Oberauditor:  Woher  denn,  der  hat  dir 
in  Albanien  Hals  über  Kopf  zu  tun!  Du,  aber  der 
Balogh  —  weißt  in  Kossovo-Mitrovica  — 


716 


Der  Major:  Ja  richtig,  da  hab  ich  so  eine 
Gschicht  ghört  von  einer  Hinrichtung  mit  Zahnziehn 
oder  was. 

Der  Oberauditor:  Das  is  ein  Tratsch.  Es  is 
unglaublich  wie  der  Mensch  verleumdet  wird  —  das 
wollt  ich  dir  grad  erzähl'n.  Das  is  die  harmloseste 
Gschichte  von  der  Welt.  Das  Ganze  beruht  einfach 
darauf,  daß  er  einen  Sechzehnjährigen  zum  Auf- 
hängen ghabt  hat,  weil  er  ein  Komitatschi  war. 
No  hat  er  dem  Dokter  gsagt,  er  soll  halt  nachschaun, 
ob  der  Bursch  nicht  am  End  schon  an  Weisheits- 
zahn hat.  No  sagt  der  Dokter,  ja.  No  hat  er 
hineingschrieben  20  —  ham  s'n  halt  aufghängt.  Also  er 
hat  sich  noch  die  Mühe  gnommen  mitn  Nachschaun- 
lassen.  Das  war  der  Fehler  —  so  is  's  herauskommen. 
No  und  nacher,  weil  er  dafür  vom  AOK  eine  Rüge 
bekommen  hat,  is  halt  der  ganze  Tratsch  entstanden. 
No,  das  AOK  hat  früher  bei  solche  Fälle,  wo  es 
sich  um  verdiente  Offiziere  handelt,  mit  die  Rügen 
nicht  so  geuraßt  —  unter  uns!  Sonst  setzt  ma's  Alter 
einfach  hinauf,  sagt  ka  Mensch  was. 

D  e  r  M  a  j  0  r :  Is  mir  auch  ein  Schleier.  Bei  unserer 
Truppendivision  —  Herrgott  waren  das  Zeiten  — 
wie  noch  der  Peter  Ferdinand  mehr  freie  Hand  ghabt 
hat  —  da  hams  einmal  gewettet,  weißt  die  kaiserliche 
Hoheit  und  der  Parma,  der  Generalstabschef  —  also 
ob  bei  der  Hinrichtung  von  Vierzehnjährigen  eine  — 
Dingsda  stattfinden  werde  —  wie  hat  er's  nur 
gheißen,  der  Dokter  —  so  a  gspaßigs  Wort  — 

Ein  Regimentsarzt:  Aha,  eine  ejaculatio 
scminis!  (Gelächter.) 

Der  Major:  Ja  richtig,  natürlich!  Oh  das  war 
intressant.  No  überhaupt  —  damals! 

Der  Oberintendant:  Vierzehnjährige  hin- 
richten —  derfen  s'  denn  das?  (Gelächter.) 

Der  Major:  Ja  mein  lieber  Oberintendant, 
wir  ham  ja  schließlich  Krieg,  verstandewu?  Da  wird 
man  schon  keine  Spomponadeln  machen!  Was?  Bei 


717 


die  92  er  hams  Kerln  weils  eine  Konserven  'gessen 
hab'n  vom  eisernen  Vorrat,  draußen  vorm  Drahtverhau 
anbinden  lassen,  damit  s'  von  die  Russen  abgschossen 
wem  — 

Der  Oberintendant:  Noja,  wann  s'  vom 
eisernen  Vurrat  — 

Der  Major:  Meine  Devise:  Krieg  — das  is  nicht 
nur  gegen  den  Feind,  da  müssen  die  Eigenen  schon 
auch  was  gspürn !  Ujeh !  Damals  ham  sie  s'  bei  uns  zum 
Hinrichten  anstell'n  lassen!  No  und  a  Butterweib,  was 
die  Buttern  für'n  Stab  bracht  hat,  wie  s'  hat  warten 
müssen  —  no  hams  ihr  halt  gsagt,  sie  soll  sich  dazu 
stell'n  —  no  und  da  hat  mas  halt  auch  aufghängt! 
(Schallende  Heiterkeit)  —  Aber  —  bitte  —  da  gibts  nix  ZU 
lachen  —  irren  is  menschlich  —  so  was  kann  ja 
vorkommen  —  bei  untergeordnete  Organe!  Siels  hall 
auf  die  Maschikseiten  zu  stehn  kommen.  Noja.  Aber 
schöne  Zeiten  waren  's  doch  I  Wie  der  Weiskirchner 
zu  uns  bei  die  Edelknaben  auf  Besuch  kommen  is,  also 
da  hams  ihm  zu  Ehren  lebhafteren  Kanonendonner 
anbefohlen  —  ja!  Und  mit  dem  30*5  Mörser  hams  nach 
pflügenden  Bauern  schießen  lassen  —  ja!  Und — 

Der  Oberintendant:  Ja  warumperl  denn  —  ? 

Der  Major:  No  —  ein  Erzherzog v/ar  zu  Besuch! 
—  also  du  Oberauditor,  wannst  mich  derschlagst,  weiß 
ich  nicht  mehr,  welcher  —  also  damit  er  sich  halt 
von  der  Treffsicherheit  der  Geschosse  überzeugen 
tut.  No  er  hat  aber  auch  seine  Bewunderung  aus- 
gesprochen! Also  in  der  leutseligsten  Weise  — 
richtig,  der  Josef  Ferdinand  wars!  —  Aber  du — weißt, 
ich  hab  dich  immer  fragen  woll'n  —  du  hast  doch 
den  Fall  in  Kragujevac  ghabt  mit  die  vierundvierzig. 
Hast  da  keine  Unannehmlichkeiten  —  (Die  Musik  spielt 
»Jetzt  trink  mr  noch  a  Flascherl  Wein,  hollodrioh!«  Die  Offiziere 
singen:  >Es  niuaß  ja  nicht  das  letzte  sein,  hollodrioh!«  Der 
Husarenoberleutnant  Lakkati   wirft  ein  Sektglas  an  die  Wand.) 

Der  Oberauditor:  Aber!  Das  war  a  Sauferei. 
Es  is  wirklich  unglaublich,    wie   die   Leut    saufen. 


718 


Weißt,  ich  hätt  auch  dreihundert  hinrichten  lassen  1 
Trunkenheitsexzesse  können  nicht  geduldet  werden! 
Ich  habe  den  Leuten  den  ehrenvollen  Tod  durch 
Erschießen  ausnahmsweise  bewilligt! 

Ein  K -Offizier  (mischt  sich  in  die  Konversation) : 
Die  Bagasch  is  ja  immer  besoffen.  Aber  da  verraten 
s'  einem  wenigstens  die  Gesinnung.  Na  so  viel  wie 
im  vierzehner  Jahr  is  nicht  mehr  zu  tun.  Also  du 
Herr  Oberauditor,  da  hab  ich  dir  einmal  einen  Transport 
von  die  Achtundzwanzigeraus  Prag,  ehschowissen,  nach 
Serbien  begleitet.  Ich  hab  gleich  einen  Schpurius 
ghabt!  No  —  hinter  Marchegg  gehts  los.  Die  Leut  sind 
renident  und  fangen  an  mit  die  Unteroffizier  zu 
schimpfen,  weil  s'  gegen  die  Serben  gehn  solin  — 
diese  Horde!  Die  sind  aber  auf  die  Maschikseiten 
zu  liegen  kommen!  Pomali  —  da  ham  wir  s'  schön 
ausv/aggoniert,  25  packt  und  in  einen  bsondern  Waggon 
einigschupft.  Da  is  für  40  Platz  —  ham  s'  es  eh  noch 
kommod  ghabt.  Dann  —  so  alle  Stund  ham  mr  dann 
auf  offener  Strecken  schön  ghalten.  Nacher  —  also  eine 
Unteroffizierspatrouille  hat  nacher  jedesmal  drei  Mann 
schön  außagholtund  in  den  letzten  Wagen  einigschupft. 
Also  —  fahr'  mr!  Nach  zwei  Minuten  —  rrtsch 
obidralit!  Hältst  die  Gsichter  sehn  solin  von  die 
nächsten  drei  —  wann  alstern  wieder  drei  neuche  eini- 
kommen  sind.  Immer  drei  —  nachanand.  Der  letzte 
seprat.  Die  Beschtie!  No  bis  am  Westbahnhof  in 
Budapest  waren  alle  fünfundzwanzig  schön  erledigt. 
Der  Waggon,  wie  s*  ihn  abkoppeln  —  der  hat  aus- 
gschaut!  Meine  Herrn!  Ein  Ramatama!  Förmlich 
durchgesiebt  —  also  taarlos!  —  und  's  Blut  is  nur  so  — 

Der  Oberauditor:  Hätt  ma  photographiern 
solln.  Da  hast  dich  verdient  gemacht! 

Der  K- Offizier:  Ich  habe  nur  meine  Pflicht 
erfüllt.  Der  Oberst  hat  gsagt,  schtatuirn  mr  ein 
Exempel.  Das  is  nix  gegen  den  Wild. 

Der  Zvlajor:  Ja  der  Wild! 


719 


Der  K-Offizier:  Er  geht  halt  am  liebsten 
auf  Ruthener.  Gestern  hat  er  mir  seine  Ansichtskarten 
gschickt  —  er  zwischen  vier  Ghängte.  Feschak  das! 

Der  Oberauditcr:  Ja  der  Wild! 

Der  K-Offizier:  No  und  der  Wild  is  wieder 
nix  gegen  den  Prasch !  Das  is  einmal  ein  Frontoffizier, 
wie  er  sein  soll.  Was  der  schon  eigenhändig  — 

Der  preußische  Oberst:  —  Wie  hieß  doch 
das  Gericht?  Sautanz?  Köstliches  Wort!  Ich  könnte 
mich  halbdot  lachen  über  eure  ulkjen  Bezeichnungen. 
Ach  —  ihr  Östreicher  — !  Aber  leider  muß  man  auch 
sagen,  es  fehlt  euch  doch  an  der  nötjen  ernsten 
Lebensauffassung.  Krieg  is  'n  Stahlbatt!  Seit  euer 
alter  ritterlicher  Kaiser  dot  ist,  jeht  die  Sache  man 
bisken  etepetete.  Nich  mehr  so  stramm,  nich  mehr 
so  stramm,  Gott  seis  jeklagt.  Na  was  schwatzt  denn 
der  rote  Teufel  dort? 

Geza  von  Lakkati  de  Nemesfalva  et 
Kutjafelegfaluszeg  (zu  einer  Gruppe):  — Tescheek 

—  hob  ich  gleich  bemerkt,  wor  Dreck  am  Huf. 
Sogt  der  Kerl,  Huf  wor  rein,  muß  am  Weg  von 
Stall  passiert  sein !  Nohät,  nehm  ich  Säbel  —  nehm 
ich  Dreck  von  Huf  —  schmier  ich  Schwain  in  Maul. 
(Heiterkeit.  Bravo  Rufe.)  Igen,  ise  SO  ein  ise  —  SO  ein 
Reservepintsch  dobeigestonden  — hot  sich  eingemischt 

—  hob  ich  verflixtem  Hund  gesogt,  kommt  vor  Kriegs- 
gericht! Na  ssärwus,  konn  sich  frain!  (Bravo-Rufc.) 

Der  Rittmeister:  No  und  der  Kerl,  der 
Bursch?  Hat  der  was  gsagt? 

Geza  von  Lakkati  de  Nemesfalva  et 
Kutjafelegfaluszeg:  Obbär  —  hot  nicht  können 

—  hot  Dreck  in  Maul  gehobt,  bittä  —  !  (Schallende 
Heiterkeit.  Starke  Detonation.) 

Der  Artilleriereferent:  Nono!  a  wengerl 
pomali  —  die  beledern  uns  am  End  a  no! 

Der  preußische  Oberst:  —  Nee,  da  könn' 
Se  nischt  dawider  sagen  —  euer  galizischer  Rückzuch 
war  nich  berühmt.  Euer  Erzherzog  — 


720 


Der  General:  Tschuldigen  —  man  hat  nix 
machen  können.  Seine  kaiserliche  Hoheit  hat  das 
Menschenmöglichste  getan  —  aber  der  geringe 
Kampfwert  der  Truppe  —  und  dann  —  also  das  is  mir 
zufällig  bekannt  —  Exlenz  Borewitsch  hat  das  aus- 
drticklich  anerkannt  —  also  daß  es  Seiner  kaiserlichen 
Hoheit  durchaus  nicht  an  Energie  gemangelt  hat 
—  bitte,  die  Leut  ham  Selbstmord  begangen!  Kann 
man  halt  nix  machen.  Mit'n  Maschingwehr  allein  oder 
Dezimiern  also  naturgemäß  —  wissen  S',  es  war  halt 
gar  so  ein  schwächliches  Korps.  Manchmal  is  scho 
so  mit  die  Eigenen.  Die  Leut  warn  nicht  aus- 
gschlafen  und  so. 

Der  preußische  Oberst:  Nanu? 

DerGeneralrJa  —  bitte  —  Exlenz  Borewitsch 
hat  selber  zugeben  müssen,  die  vorgekommenen 
Erfrierungen  Schlafender,  hat  er  hinaufgschrieben, 
erzeugen  Furcht  vor  dem  Einschlafen. 

Der  preußische  Oberst:  Ach  so.  Na  denn 
freilich  trifft  euern  Erzherzog  Josef  keine  Schuld, 
Na  ejal.  Seht  mal  nur  jetzt  zum  Rechten.  Ihr  habt 
gut  getan,  die  diesmalige  Offensive  der  Jahreszeit 
anzupassen.  Die  Jahreszeit  ist  nich  ungünstich. 
Die  Schlappe  in  Ihrem  Frontabschnitt  — 

Der  General:  Na  bei  die  andern  wirds  a 
net  vül  besser  — 

Der  preußische  Oberst:  Wir  wollen  das 
beste  hoffen.  Es  ist  freilich  fatal,  daß  der  Feind 
auf  diesem  Teil  der  Front  zur  Offensive  übergegangen 
zu  sein  scheint.  Aber  umso  mehr  Aussicht  besteht, 
ihn  zu  umzingeln.  Das  haben  wir  im  Westen  schon 
an  die  dutzend  Mal  erprobt.  Ich  bin  in  diesem  Punkte 
guter  Dinge.  Wir  Deutsche  konzentrieren  alle  unsre 
Gedanken  auf  den  schließlichen  Endsiech  —  und 
da  kann  ich  nur  sagen:  Machen  wir. 

Der  General:  Aber  ja,  wer'  mr  scho  machen. 
(Lakkati  wirft  ein  Sektglas  an  die  Wand.) 


721 


Ein  Oberleutnant:  —  Horts  —  heut  hab  ich 
Schluß  gmacht  mit  der  Schreibmaschinflitschen  — 
frech  war's  —  na,  der  hab  i's  eingfadelt! 

Ein  Leutnant:  No  was  hast  gmacht  mit  ihr? 

Der  Oberleutnant:  Petschiert!  Fertig! 
(Gelächter)  —  Na  —  bled  seids  — !  Gehts  ins 
Lausoleum! 

Der  Rittmeister:  —  Mei  Lieber,  da  kannst 
sagen,  was  d'  willst  —  die  Honved  stellen  ihren 
Mann ' 

Ein  deuischer  Hauptmann:  Ja,  aber  die 
Bayern  beißen  die  Gurgel  entzwei!  Also  das  möcht  ich 
dir  wünschen,  so  einem  — ! 

Der  Rittmeister:  Erlaub  du  mir  —!  (Heiterkeit. 
Der  Geschützlärm  nimmt  ab.) 

Der  Artilleriereferent:  —  Horts  mr  auf  — 
da  hab  ich  schon  ganz  andere  Mullatschaks  mh- 
gemacht,  mei  Lieber  —  in  der  siebenten  und  achten 
Isonzoschlacht! 

Der  Rittmeister:  No  was  is  das  für  a 
Mullatschak,  wo  die  Mädeln  fad  sein!  (Ruft)  Kapelle! 

Ein  Oberleutnant:  In  Rußland  hab  ich 
euch  mullattiert  — ! 

Ein  zweiter:  Weißt,  bei  Rawaruska  —  wie 
noch  der  Fallota  — 

Ein  preußischer  Leutnant:  Nanu  —  der 
Musikfritze  schläft  ja! 

Ein  preußischer  Hauptmann:  Spielt  mal 
»Auf  dem  Friedhof  La  Bass^e« ! 

Der  Major:  Nein  —  herstellt  —  spielts 
»Mizzerl,  Mizzerl,  sei  doch  netter«! 

Der  preußische  Hauptmann:  Also  — Mizzal! 
Ach,  's  ist  ja  doli! 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier: 
Das  hams  immer  in  der  Gartenbau  —  der  Varady 
und  die  Rolle  — 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  46 


722 


Der  Oberintendant:  Ja  die  Gartenbau! 
V/ie  noch  der  Schenk  v/ar  — !  (singt)  Wir  brauchen  — 
keine  —  Schwiegermamama  —  Schwiegermamama  — 
Spülts  »Ein  Tampus  vom  Schampus«!  (Rufe.  Ein 
Tampus  vom  Schampus!  Bravo!) 

Der  Rittmeister:  Spielts  »Nobel  geht  die 
Welt  zugrund«! 

Der  Oberauditor:  Spielts  »Schön  war  der 
Tanz,  aber  spieln  tan  s'  'n  net«!  (Rufe:  Bravo!  Die 
Musik  spielt.  Die  Offiziere  singen  mit.) 

Der  Oberintendant  (wiederholend):  —  aber 
spüln  tan  s'  'n  net! 

Der  Telephonoffizier  stürzt  Icreidebleich  herein  und  direkt  auf 
den  General  los,   sagt  ihm  etwas  ins  Ohr. 

Der  General:  Was  — ?!  Meutern  tan  s'?! 
Dezimiern  die  Bagasch  überanandü  Solin  s' a  paar 
frische  Regimenter  einsetzen! !  Antreiben,  antreiben!! 
Gschwind ! 

Der  preußische  Oberst:  Was  is  'n  los? 
(Der  Telephonoffizier  flüstert  dem  General  abermals  etwas  zu.) 

Der  General:  Was?!  Die  Gasgranaten  gehn 
auch  nicht?!  Sauwirtschaft  überanandü 

Der  preußische  Oberst:  Na  hört  mal,  das 
sollte  denn  doch  nich  — !  das  könnte  bei  uns 
denn  doch  — ! 

D  e  r  G  e  n  e  r  a  1 :  So  ein  —  Pallawatsch !  —  So  ein 
Pech!  —  Kann  man  halt  nix  machen  — 

Derpreußische  Ob  e  r  s  t :  Na  vor  beijelungen! 
Bißk  'n  schlapp,  die  lieben  Östreicher,  bißk  'n  schlapp! 

Der  erste  Kriegsberichterstatter:  Sehn 
Sie  sich  den  General  an,  also  was  hab  ich  gesagt  — !? 

Der  zweite  Kriegsberichterstatter:  Herr 
Major,  können  Sie  mir  vielleicht  sagen,  wie  die 
Schlacht  steht  —  ? 

Der  Major:  Es  hat  eine  feindliche  Oliensive 
eingesetzt. 

Der  erste  Kriegsberichterstatter:  Ojwe. 


723 


Der  Major:  Der  Feind  hat  die  eigenen 
Stellungen   der   ersten  Linie   etwas   eingedrückt   — 

Der  zweite  Kriegsberichterstatter:  Die 
eigenen?  wozu  — ? 

Der  Major:  Wir  hoffen,  daß  es  uns  gehngen 
wird,  diesen  tückischen  Plan  zuschanden  zu  machen. 
Bitte  aber  meinen  Namen  nicht  zu  nennen. 

Dererste:UnsereartilleristischeÜberlegenheit — 

Der  zweite:  Alles,  nur  keinen  Flankenangriff! 

Schwester  Paula:  —  Au!  —  frecher  Mensch  I 

Der  Rittmeister:  No  no  —  man  wird  doch 
noch  angreifen  dürfen  oder  nicht? 

Schwester  Ludmilla:  Aufhörn!  Immer  der 
mit  seine  — 

Ein  Hauptmann:  Schakerl,  trau  di  net! 

Der  preußische  Hauptmann:  Ach  ja, 
Schakal  Schakal  trau  dich  nich! 

Ein  Oberleutnant:  —  Meinst  'n  Madler  oder 
'n  Madie,  der  was  in  Schabatz  beim  Hausenblas  war? 
Der  Madler  sag  ich  dir,  is  der  größte  Tachinierer  in 
der  ganzen  Armee.  Der  Pimpf  is  wütend,  weil  ich 
eingegeben  bin. 

Ein  anderer:  Wo  is  er  jetzt? 

Der  Oberleutnant:  No  wo  wird  er  sein, 
beim  Kader!  Wir  plagen  uns  hier  —  Du,  was  macht 
dein  Pupperl? 

(Die  Musik  spielt   einen  Csardas.    Lakkati   und   eine   weibliche 
Hilfskraft  tanzen.  Lebhafte  Bravo-Rufe.) 

Der  preußische  Oberst:  Ach  einzich! 
Famos!  'n  richtichgehender  roter  Teufel! 

Der  deutsche  Generalstabsoffizier: 
—  Ach  laßt  mich  man  bloß  mit  euerm  Gas  zufrieden! 
Unser  Gelbkreuz,  unser  Grünkreuz,  unser  Blaukreuz  — 
v;enn  wir  in  Frankreich  Bunte  Woche  hatten! 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier: 
Bitte  wir  haben  bei  Tolmein  a  ganz  a  scheene  Wirkung 
erzielt.  Die  sind  nur  so  umgfalln,  bitte  — 


46* 


724 


Der  Oberintendant:  Spülts  »Braunes  Isonzo- 
mädel!«  (Rufe:  Braunes  Isonzomädel !  Bravo!  Die  Musik  spielt.) 

Die  Offiziere  (singen  mit): 

Brau — nes  Isonzomädel  — 

Heiß  glüht  —  dein  Auge  —  mir  zu, 

Brau— nes  Isonzomädel  — 

Die  Schönste  —  von  allen  —  bist  du. 

Laß  mich  —  noch  einmal  —  dich  küsseen, 

Schling  dei — ne  Arme  —  um  mich, 

Süßestes  braunes  Isonzomädel, 

Ich  lieb  ja  —  alleine  —  nur  dich. 

Der  preußische  Oberst  (summend  und  nickend): 
Ich  lieb  ja  — alleine  —  nur  dich.  Einfach  süß! 

Der  Oberintendant  (singend): 

Doch  auch  sie  —  scheute  nicht  das  Kriegs- 
gebraus — 

Aber  das  is  noch  gar  nix  gegen  die  dritte  Strophen, 
wie  dann  aufs  Jahr  der  Pamperletsch  kommt  mit 
die  Guckerln  so  schwarz  wie  Mama  und  mit  ein' 
Lockenschäderl  genau  so  wie  einstens  Papa.  So  a 
ganz  a  glanwunzigs  Wuzerl. 

Der  preußische  Oberst:  Wuzal?  Köstlich! 
Na  wer  war  denn  der  Vater? 

Der  Oberintendant:  Ein  gar  ein  schmucker 
Kaiserjägerleutenant!  Ein  Feschak!  Auf  die  Art  wie 
der  Wowes.  Der  Wowes  solls  singen! 

Der  preußische  Oberst:  Na  sagt  mal  — 
von  wem  ist  doch  dies  wundervolle  Lied? 

DerOberintendant:  Das  is  von  Egon  Schubert! 

Der  preußische  Oberst:  Ach  natürlich  —  na 
das  sollte  man  eigentlich  wissen.  Ja,  euer  Schubert! 
Ja,  den  habt  ihr  Wiener  doch   vor  uns  voraus,   da 


725 


is  nischt  zu  wollen.  Ach  überhaupt  —  euer  herrliches 
Wien!  Ja  ja!  So  'n  richtjer  Wiener  Fiagaa  mit  seiner 
Jummidroschke  und  mit  seinem  Heurigen  im  Prater  — 
nee,  da  is  nich  dran  zu  tippen.  Und  die  Weana 
Waschermadal  —  ja  —  kennimus!  Auch  mal  da- 
jewesen.  Da  sangen  se  immerzu  —  (er  singt  und  pascht) 
Weil  ich  'n  oller  Dreher  bin  —  oder  so  ähnlich.  Da  war 
noch  Vater  Strauß  in  Blüte  mit  seinen  Schwammal  — 
nee,  wie  hieß  doch  gleich  das  Ding  —  Schrammal! 
Der  gute  Johann.  Na  da  mag  sich  auch  manches 
verändert  haben.  (Der  Qeschützlärm  immer  schwächer.) 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier: 
—  Bitte  bei  Tolmein  — 

Der  deutsche  Generalstabsoffizier:  Ach, 
das  war  einmal.  Da  haben  wir  doch  an  einem  Tach 
weit  mehr  vergast  als  ihr  in  'nem  ganzen  Jahr!  Bei 
Ausräuchern  von  letzten  Franzosennestern,  weißen  und 
farbigen  Engländern  und  so.  Jawoll  —  unsre  deutsche 
Handgasbombe  B!  Da  verspritzt  sich  die  Giftmasse 
und  erzeugt  eiternde  Wunden,  mit  'ner  Absonderung 
wie  'n  richlichgehender  Tripper.  (Heiterkeit.)  Nanu? 
das  ist  wissenschaftlich  einwandfrei  festjestellt!  Der 
Mann  ist  erst  am  andern  Tach  kaputt. 

Die  Kapelle  (spielt  und  singt  zugleich) : 
Jessas  na  — 
Uns  gehts  guat  — 
Ja,  das  liegt  schon 
So  im  Bluat! 
(Die  Offiziere  repetieren.) 

Der  General  (lallend):  Ja  —  das  liegt  schon  — 
(,Der  Qeschütziärm  ist  verstummt.) 

Verschiedene  Stimmen:  Ohai  Was  is  denn? 
Was  is  denn? 

Die  Kriegsberichterstatter:  Was  heißt 
das  —  ? 


726 


DerGeneral  (mit  brandrotem  Kopf,  springt  auf,  schlägt 
auf  den  Tisch):  KruzÜ!  Ich  habe  doch  ausdrücklich  — !! 
Das  is  wirklich  nur  bei  uns  möglich  —  Was  —  hab  ich 
derer  Bagasch  eingeschärft?!  (brüllend)  Wenn  eine 
Patrone  fehlt,  kannibalisch  strafen!  —  Mit  kräftigem 
Hurra  ungestüm  auf  Gegner  stürzen!  —  Ihm  noch  auf 
kurze  Distanz  eins  unter  die  Nasen  brennen, 
dann  sofort  mit  dem  Bajonett  in  die  Rippen!  — 
Ungetreue  rücksichtslos  niedermachen!  —  Gewehr 
bleibt  trotz  Handgranate  und  MG  stets  bester 
Freund  der  Infanterie!  —  Offiziere  müssen  da 
hart  sein  und  beste  Kräfte  herausfordern!  — 
Und  was  haben  s'  gmacht  —  diese  Frontschweine, 
diese  Fronthunde,  diese  —  diese  —  (jammernd) 
verderben  einem  alles  —  der  Wottawa!  —  diese 
Schkribler!  —  Nicht  durch  den  Feind,  durch 
Hunger!  —  der  Hunger  —  und  da  hams  angsetzt  — 
(die  Fäuste  ballend)  da  hams zersetzend  —  aufhängen!  — 
Ich  —  war  derjenige  —  ich  habs  immer  voraus- 
gesagt, das  Unglück  unserer  Armee  wird  —  selbst 
mein  Korps  mitreißen!  —  Dieser  boden — lose  Leicht- 
sinn —  unausrottbar  —  nix  als  fressen  und  Menscher  — 
demora  —  (er  bricht  zusammen.) 

Der  diensthabende  Generalstabsoffizier 
(springt  auf):   Dadran  sind    diese   Tachinierer   schuld 

—  vorne  —  diese  Frontschv/eine  —  diese  — 

Der  österreichische  Oberst  (erwachend) :  Was 
is  denn  gschehn? 

Der  Oberstleutnant:  Nix!  Gschossen  hams 
in  Ottakring! 

Der  General:  Wo  —  waren  die  Maschingwehr 
zum  Antreiben?!  —  Wo  bleibt  unsere  artilleristische 
Überlegenheit?!  —  Schufte  das!!  —  Nach  einem 
vierjährigen    beispiellosen    Ringen    —    gegen    eine 

—  vorbildliche  —  Übermacht  —  beispielgebend  — 
unsere   glor   —  (er  fällt  auf  den  Stuhl,  wimmernd)   —   also 

—  da  —  kommen  s'   noch  —  am  End  —  da  — 
herein  — 


727 


Der  preußische  Oberst:  Nich  doch, Exzellenz, 
Kopf  hoch!  Meine  Herrn  — wir  dürfen  und  können 
den  Mut  nicht  sinken  lassen  —  jetzt  vor  dem  End- 
sieg —  können  und  dürfen  wir  erhobenen  Hauptes  — 
Seien  Sie  überzeugt,  meine  Herrn,  daß  es  sich  nur 
um  den  typischen  Anfangsgewinn  einer  jeden  feind- 
lichen Offensive  handelt  —  um  Bluff  und  weiter  nichts I 
Bange  machen  gilt  nicht.  Was  uns  noch  immer  bleibt, 
ist  ein  strategischer  Rückzug  —  und  ein  strategischer 
Rückzug  ist  immer  'n  Erfolg!  (Vereinzelte  Hurra-  und 
Hoch-Rute.)  Und  davon,  daß  der  Feind  unsre  seit 
Jahren  ins  Auge  gefaßten  und  seit  Tagen  ein- 
geleiteten Bewegungen  nicht  hindern  werde,  bin  ich 
vorwech  überzeugt.  Unsre  Operationen  nehmen 
einen  planmäßigen  Verlauf.  Wir  haben  uns  einfach 
vom  Feinde  losjelöst  und  denn  ziehen  wir  ihn  glatt 
hinter  uns  her!  Immer  feste  druff!  Die  Stimmung  der 
Truppen  ist  eine  nicht  zu  überbietende.  Meine  Herrn, 
wir  wanken  nicht  und  wir  weichen  nicht!  Je  öfter  wir 
dem  Feind  Gelegenheit  zu  Vorstößen  geben,  umso 
mehr  Aussicht  haben  wir,  ihn  zu  zermürben!  Das  ist 
die  Taktik,  die  wir  an  der  Somme  erprobt  haben.  Das 
ist  dieTaktik,  die  uns  auch  am  Piave  gelingen  wird.  Nur 
jetzt  nicht  miesmachen!  Gott  ist  mit  uns!  Wir  schaffen 
es  —  und  wenn  die  Welt  voll  Teufel  war!  Der  Feind 
wird  —  seien  Sie  des  überzeugt,  meine  Herrn  —  der 
Feind  wird  an  uns  wie  an  einer  ehernen  Feuermauer  — 

Der  Horizont  ist  eine  Flammenwand.   Panikartiger  Lärm.  Viele 

der    Anwesenden    liegen    unter    der    Tafel.    Viele    eilen    oder 

wanken   dem  Ausgang   zu,  etliche   kehren   mit   entsetzten   und 

verzerrten  Gesichtern  zurück. 

Rufe:  Was  is  denn  gschehn?  —  Was  —  is  — 
Der   General   (lallend):    Durch  —  san  s'  —  ! 
Spielts  —  weiter  — 

Alle  Lichter  sind  erloschen.  Draußen  Tumult.  Man  hört  das 
Platzen  von  Fliegerbomben.  Dann  tritt  Stille  ein.  Die  Anwesenden 
schlafen,  liegen  in  Somnolenz  oder  starren  völlig  entgeistert 
auf  die  Wand,  an  der  das  Tableau  >Die  große  Zeit«  hängt  und  nun 
der  Reihe  nach  die  folgenden  Erscheinungen  aufsteigen. 


728 


Schmaler  Bergpfad  nach  Mitrovica.  Schneegestöber. 
Zwischen  tausenden  von  Karren  eine  unübersehbare  Menschen- 
masse, Greise  und  Frauen,  Kinder,  halbnackt,  an  der  Hand  der 
Mütter,  deren  manche  auch  einen  Säugling  im  Arme  tragen.  Ein 
kleiner  Junge,  an  der  Seite  einer  Bäuerin  aus  dem  Moravatal, 
streckt  sein  Händchen  aus  und  sagt: 

Tschitscha,  daj  mi  hleba  — 

Die  Szene  wird  von  einem  andern  Bilde  verdrängt.  Durch  die 
Landschaft  rast  der  Balkanzug.  Das  Tempo  verlangsamt  sich. 
Man  sieht  den  Speisewagen,  aus  dessen  Fenstern  sich  die 
beiden  Kriegsberichterstatter  beugen,  sie  scheinen  ihren  Eben- 
bildern im  Saal  zuzutrinken.  Einer  ruft: 

Es  ist  doch  etwas  Schönes  um  den  Krieg  — 

Nun  ist  es  wieder  das  andere  Bild.  Die  erschöpften,  fast  schon 
erfrorenen  Flüchtlinge  liegen  auf  den  eisbedeckten  Steinen. 
Das  Morgenlicht  fällt  auf  eingefallene,  blasse  Gesichter,  in  denen 
noch  das  Grauen  der  verbi achten  Nacht  steht.  Ein  Schrei:  ein 
Pferd  stürzt  in  die  Tiefe.  Wieder  ein  Schrei,  noch  gellender:  sein 
Führer  ist  ihm  nachgestürzt.  Am  Wegrand  ein  zu  Tode  erschöpftes 
Pferd,  dort  ein  Ochse  mit  heraushängenden  Eingeweiden,  ein 
Mensch  mit  zertrümmertem  Schädel.  Der  Zug  setzt  sich  in 
Bewegung.  Entkräftete  müde  Tiere  bleiben  zurück.  Unbeweglich 
stehen  sie.  Ihr  todtrauriger  Blick  folgt  dem  Zug.  Mit  totenblassem 
Antlitz,  an  einen  Tannenbaum  gelehnt,  sitzt  eine  Bäuerin  —  es 
ist  jene  aus  dem  Moravatal  —  in  den  Armen  einen  leblosen 
kleinen  Körper,  zu  dessen  Häupten,  mit  zitterndem  Licht,  eine 
kleine  Wachskerze  brennt. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Eine  Garnison.  Es  spielen  sich  in  jähem  Wechsel 
die  folgenden  Szenen  ab.  Slowakische  Bauern,  aus  der 
russischen  Gefangenschaft  heimgekehrt,  zum  Teil  in  Bauem- 
kleidern,  zum  Teil  in  russischen  Uniformen,  bitten  um 
Urlaubsverlängerung  wegen  des  Rückstandes  in  der  Erntearbeit. 
Der  Kompagniekommandant  ordnet  die  sofortige  Einteilung  der 
Bittsteller  in  die  nächste  Marschkompagnie  an.    Ein  Raum  wird 


729 


sichtbar,  in  welchem  zwei  junge  Heimkehrer,  19  und  21  Jahre 
alt,  schlafen.  Sie  werden  durch  den  Lärm  des  Auftritts  geweckt, 
der  sich  nun  draußen  abspielt.  Der  Feldwebel  nimmt  die  Ver- 
teilung der  iWonturen  vor.  Die  Leute  verweigern  die  Übernahme, 
verlangen  die  Vorführung  zum  Bataillonsrapport.  Der  Feldwebel 
schlägt  einige  von  ihnen  und  empfängt  einen  Schlag  ins  Gesicht. 
Die  Kasernen mannschaft  wird  alarmiert,  die  Gewehre  werden 
geladen,  die  Meuternden  mit  dem  Bajonett  in  den  Kasernenhof 
getrieben  und  umzingelt.  Der  Hauptmann  erscheint,  alle  leisten 
seinem  Befehl,  sich  in  Reih  und  Glied  aufzustellen,  Folge.  Jetzt 
befinden  sich  auch  die  zwei  darunter.  Er  nimmt  den  Bericht 
über  den  Vorfall  entgegen.  Niemand  weiß,  wer  den  Schlag 
versetzt  hat.  Der  Hauptmann  greift  jeden  zehnten  heraus,  läßt  sie 
ins  Wachzimmer  abführen.  Dort  werden  sie  geschlagen,  liegen  mit 
Springeisen  an  den  Füßen  gefesselt,  werden  dann  in  den  Garnisons- 
arrest gebracht.  Das  Standrecht  wird  verhängt.  Es  folgen  die 
Verhöre.  Sechs  werden  vor  das  Standgericht  gestellt.  Der  Arresthof 
im  Grauen  des  nächsten  Morgens.  Die  Richter,  der  Batailions- 
kommandant,  der  Militäranwalt  und  zwei  Geistliche  erscheinen. 
Ein  Tisch  und  ein  Kruzifix  werden  gebracht.  Der  Gerichtshof 
gruppiert  sich  um  den  Tisch,  zu  beiden  Seiten  die  Geistlichen. 
Einer  der  sechs  bekommt  bei  diesem  Anblick  einen  Herzkrampf, 
er  stürzt  heulend  und  schäumend  zusammen,  andere  raufen  sich 
die  Haare,  toben,  zerreißen  ihre  Kleider.  Die  Wachmannschaft 
sucht  sie  mit  der  Versicherung  zu  besänftigen,  daß  nur  zwei  zum 
Tode  verurteilt  würden.  Ein  Richter  verliest  die  Anklageschrift. 
Der  Neunzehn-  und  der  Einundzwanzigjährige  werden  zum  Tode 
durch  Erschießen,  die  übrigen  zu  mehrjährigen  Kerkerstrafen  ver- 
urteilt. Der  Neunzehnjährige  stürzt  vor  den  Vorsitzenden  hin  auf  die 
Knie,  bittet,  von  Schluchzen  geschüttelt,  um  Gnade.  Er  zeigt  ein 
Medaillon  mit  dem  Bilde  seines  alten  Mütterchens.  Sie  werde 
seinen  Tod  nicht  überleben,  man  solle  ihn  ins  Feld  schicken, 
er  wolle  beweisen,  daß  er  ein  braver  Soldat  ist,  er  habe  während 
des  Krawalls  geschlafen,  er  sei  ganz  unschuldig.  Der  Richter 
läßt  ihn  abführen.  Der  andere  Angeklagte  steht  totenbleich,  aber 
aufrecht  da.  Er  spricht  die  Worte: 

Gott  weiß,  daß  ich  unschuldig  sterbe! 


730 


Er  läßt  sich  abführen,  während  die  übrigen  um  ihre 
Kameraden  weinen.  Die  Richter  begeben  sich  ins  Kasino.  Dort 
sagt  einer  von  ihnen: 

Es  is  ja  ganz  klar,  daß  nur  der  eine  Verheiratete 
der  Schuldige  sein  kann.  Aber  kann  man  denn  an* 
Vätern  von  sechs  Kindern  erschießen?  Da  müsset  ja 
das  Ärar  für  die  Hinterbliebenen  zahlen!  So  hat  er 
sechs  Jahr,  soviel  wie  er  Kinder  hat,  und  den 
Angehörigen  von  Militärsträflingen  kann  der  staatliche 
Unterhaltsbeitrag  entzogen  wern  a  no. 

Ein  zweiter  sagt: 

Drei  andere  waren  auch  verheiratet  —  also 
bleiben  nur  die  zwei  jungen  Burschen  zum  Erschießen. 
Wern  scho  was  angstellt  haben.  Tun  sie's  heut  nicht, 
täten  sie's  morgen.  Unschuldig  hin,  unschuldig  her  — 
ein  Exempel  muß  schtatuiert  wern. 

Nachts  im  Arrest.  Der  Jüngere  steht  mit  dem  Rosenkranz 
betend  hinter  dem  vergitterten  Fenster.  Die  Militärgeisth'chen 
erscheinen,  um  den  Delinquenten  die  letzte  Ölung  zu  erteilen. 
Der  jüngere  heult  auf  und  äußert  den  Wunsch,  noch  einmal 
seine  Mutter  zu  sehen.  Es  folgt  ein  gemeinsames  Gebet.  Er 
erbittet  Papier  und  Bleistift,  um  seiner  Mutter  zu  schreiben. 
Er  schreibt.  Es  ist  schon  V<9  Uhr.  Er  erhebt  sich. 

Mutter! 

Er  sinkt  zusammen.  Der  andere: 

Habe  ich  deshalb  gekämpft,  bin  ich  deshalb 
aus  Rußland  gekommen,  daß  man  mich  jetzt  wie 
einen  Schlachtochsen  zum  Metzger  führt?  —  Man  soll 
mich  binden  und  tragen!  —  Bin  ich  dazu  21  Jahre 
alt  geworden,  um  erschossen  zu  werden?  —  Macht 
es  schnell! 

Auf  dem  Weg  zum  Richtplatz.  Er  nimmt  Abschied 
von  der  strahlenden  Augustsonne.  Er  reißt  ein  grünes  Baumblatt 
ab  und  küßt  es  inbrünstig.  Der  Jüngere  weint  unaufhörlich 
um  seine  Mutter.  Auf  dem  Richtplatz.  Alter  Burghof 
Der    Einlaß    erfolgt    nur    gegen    Verweis    einer    Legitimation. 


731 


Man  bemerkt  unter  den  Anwesenden  die  Spitzen  der  Behörden, 
hohe  Offiziere  und  sonstige  Würdenträger  mit  ihren  Damen. 
Die  besten  Gesellschaftskreise  der  Stadt  sind  vertreten.  Die 
Richter,  der  Bataillonskommandant  und  die  dienstfreien  Bataillons- 
offiziere  nehmen  in  der  Mitte  des  Karrees  Aufstellung.  Die 
Delinquenten  werden  vorgeführt.  Das  Urteil  wird  verlesen. 
Der  ältere: 

V/enn  der  Feldwebel  so  aussagen  konnte,  ver- 
dient er  hier  zu  stehen,  um   erschossen  zu  werden. 

Sie  wollen  nicht,  daß  ihnen  die  Augen  verbunden  werden. 

Ich  fürchte  nicht  mehr  die  Kugel. 

Die  Augen  werden  ihnen  verbunden.  Sie  knien  nieder. 

»Feuer!« 

Säbelschwenken.  Zwei  Leichen  im  Gras.  Der  Hauptmann 
kommandiert  zum  Gebet.  Alle  salutieren.  Einer  der  Priester,  mit 
Offizierskappe  und  goldener  Distinktion  am  Arm,  hält  eine  Rede, 
zeigt  mit  erhobener  Rechten  auf  eine  Standarte  und  blickt  ver- 
klärt gen  Himmel  auf  das  Habsburgerwappen  über  dem  Tor. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Kragujevac.  In  zwei  parallelen  Reihen  sind  je  22  Gräber 
aufgeworfen.  Davor  knien  44  Heimkehrer  älterer  Jahrgänge,  mit 
Tapferkeitsmedaillen  aller  Grade.  Bosniaken  schießen  auf  zwei 
Schritt  Entfernung.  Ihre  Hände  zittern.  Die  erste  Partie  wälzt 
sich  am  Boden.  Keiner  ist  tot.  Man  setzt  ihnen  die  Gewehr- 
läufe an  den  Kopf.  Offiziersmesse.  Der  Oberauditor  erhebt  das 
Glas  und  spricht,  indem  er  seinem  Ebenbild  im  Saal  zutrinkt, 
die  Worte: 

Weißt,  ich  hätt  auch  dreihundert  hinrichten 
lassen.  Trunkenheitsexzesse  können  nicht  geduldet 
werden.  Ich  habe  den  Leuten  den  ehrenvollen  Tod 
durch  Erschießen  ausnahmsweise  bewilligt. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


732 


Der  Hauptmann  Prasch  steht  vor  seiner  Deckung,  gsnz 
mit  Blut  bestrichen,  er  hält  über  seinem  Kopf  einen  Kopf,  den  er 
auf  einen  Stock  gespießt  hat.  Er  spricht: 

Das  ist  mein  erster  italienisciier  Gefangener,  mit 
meinem  eigenen  Säbel  habe  ichs  getan.  Meinen 
ersten  russischen  Gefangenen  habe  ich  vorher  martern 
lassen.  Am  liebsten  gehe  ich  auf  Tschechen.  Ich  bin 
ein  gebürtiger  Grazer.  Wer  mir  in  Serbien  begegnet 
ist,  den  habe  ich  auf  der  Stelle  niedergeknallt. 
Zwanzig  Menschen,  darunter  Zivilisten  und  Gefangene, 
habe  ich  mit  eigener  Hand  getötet,  mindestens 
hundertfünfzig  habe  ich  erschießen  lassen.  Jeden 
Soldaten,  der  sich  beim  Angriff  verspätet  oder 
während  des  Trommelfeuers  versteckt  hat,  habe  ich 
eigenhändig  niedergeknallt.  Ich  habe  meine  Unter- 
gebenen immer  ins  Gesicht  geschlagen,  sei  es  mit 
dem  Stock,  sei  es  mit  der  Faust.  Aber  ich  habe 
auch  viel  für  sie  getan.  In  Serbien  habe  ich  ein 
serbisches  Mädchen  vergewaltigt,  aber  dann  den 
Soldaten  überlassen  und  am  nächsten  Tag  das 
Mädchen  und  seine  Mutter  auf  einem  Brückengitter 
authängen  lassen.  Die  Schnur  riß  und  das  Mädchen 
fiel  noch  lebend  in  das  Wasser.  Ich  zog  meinen 
Revolver  und  schoß  auf  das  Mädchen  so  lange,  bis 
es  tot  unter  dem  Wasser  verschwand.  Ich  habe 
stets  meine  Pflicht  erfüllt,  bis  zum  letzten  Hauch 
von  Mann  und  Roß.  Ich  wurde  ausgezeichnet  und 
befördert.  Ich  war  stets  auf  dem  Posten.  Der  Krieg 
erfordert  ein  straffes  Zusammenfassen  aller  Kräfte. 
Man  darf  den  Mut  nicht  sinken  lassen.  Kopf  hoch! 
(Er  hebt  den  Stock  höher.) 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Ein  Ulanenoberleutnant  läßt  einen  Popen  an  den  Steig- 
bügel eines  Ulanen  binden.  Man  zieht  ihm  den  Mantel  aus. 

Sie  werden  ihren  Mantel  kaum  mehr  brauchen. 
Der  Reiter  entfernt  sich  in  leichtem  Trab. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


733 


Winter   in    den    Karpathen.    Ein  Mann   an   einen    Baum 
gebunden.  Er  wird  losgebunden  und  bricht  ohnmäcntig  zusammen. 
Der  Kompagnieführer  tritt  ihn  mit  dem  Stiefelabsatz  und  weist 
auf  ein  Erdioch,  zu  dem  ihn  Soldaten  tragen. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Flucht.    Es  regnet.    Der  General  der  Tafelrunde   sitzt  im 
Automobil  und  gibt  Auftrag,  einem  Verwundeten  das  Zeltblatt 
von  der  Tragbahre   wegzunehmen    und   über  seinen  Wagen  zu 
breiten.   Er  winkt  seinem  Ebenbild  zu  und  fährt  ab. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

An  einem  Rübenfeld  in  Böhmen.  Zwei  Kinder  tragen 
einen  Kindersarg  zum  Friedhof.  Sie  lassen  den  Sarg  fallen.  Sie 
schleppen  die  Leiche,  die  im  Feld  liegt,  wieder  zum  Sarg  und 
setzen  dann  ihren  Weg  fort. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Neben  einer  Brotfabrik  ein  Haufen  von  Schutt,  Schlacken 
und  Betriebsabfällen.  Halbverhungerte  Kinder  suchen  nach  Brot- 
krumen. Sie  finden  ein  Schrapnell.  Sie  spielen  damit.  Es  explodiert. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Hängeallee  in  Neusandec.  Kinder  schaukeln  und  drehen 
die  Leichname. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Eine  Frau,  die  Kartoffeln  gekauft  hat,  wird  von  anderen 
Personen,  die  nichts  mehr  bekommen  haben,  erschlagen.  Sie 
treten  auf  der  Leiche  herum. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Auf  einem  Geleise  steht  ein  Lastzug:  die  Wohnstatt  eines 
schmutzigen    Menschenhaufens;    es   sind    Flüchtlinge,   darunter 
schwangere  Frauen,  sterbende  Greise,  kranke  Kinder. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Vor  einer  Hütte  in  Wolhynien.  Ein  Bauer  mit  seinem 
Schäferhund.  Ein  Soldat  kommt  des  Weges  und  verwundet  den 
Hund  durch  einen  Bajonettstich. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


734 


Trinkgelage   von  Offizieren.    Ein  Leutnant   ersdiießt  eine 
Kellnerin, 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Gefechtspause   an  der  Drina,    Ein   serbischer  Bauer  holt 
Wasser.  Gegenüber  steht  und  zielt  ein  Leutnant.  Er  schießt  ihn  ab. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Karfreitag  in  einer  Pariser  Kirche.  Ein  Geschoß  aus  der 
120  Kilometer-Kanone  schlägt  ein. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Ostersonntag.  Russische  Gefangene,  die  sich  geweigert 
haben,  Stellungsarbeiten  im  feindlichen  Feuer  auszuführen,  ver- 
richten ihr  letztes  Gebet. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Sterbende  am  Drahtverhau  vor  Przemysl. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Nahkampf  und  Ausputzen  in  einem  Graben. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Ein  Schulzimmer,  in  das  eine  Fliegerbombe  fällt. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Ein  Soldat  wird  aus  einer  Erdmasse  emporgezogen.  Sein 
Gesicht  ist  blutüberströmt.  Er  breitet  die  Arme  aus.  Seine  Ai-gen 
sind  erloschen. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Ein  Verbandplatz,  auf  den  eine  Fliegerbombe  fällt. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Minenexplosion.    Ein   Soldat   reckt   seine   blutigen   Arm- 
stümpfe in  die  Richtung  des  Saales. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Doppelbild:    Ein  deutscher   Offizier,    der  einen  um  sein 
Leben  flehenden    französ'schen    Gefangenen    niederschießt.    Fin 
französischer    Offizier,    der   einen    um    sein    Leben    flehenden 
deutschen  Gefangenen  niederschießt. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


735 


Somme-Wüste.  Brände.  Rauchschwaden  wie  Riesentrauer- 
fahnen. Gebäude  stürzen  ein.  Brunnen  werden  von  Pionieren 
gesprengt  und  verschüttet.  Evakuierung.  Alte  Leute  werden  aus 
ihren  Häusern  gejagt.  Vor  Kälte  zitternde  Menschen  auf  dem 
Versammlungsplatze.  Frauen  fallen  vor  Offizieren  auf  die  Knie. 
Abtransport  in  die  Zwangsarbeit. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Einäscherung  der  Meierei  Sorel  bei  Loison  und  Verbrennung 
von  250  dort  befindlichen  Verwundeten. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 
Versenkung  eines  Spitalschiffes. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Longuyon  mit  Petroleum-Eimern  in  Brand  gesetzt,  Häuser 
und  die  Kirche  geplündert.  Verwundete  und  kleine  Kinder 
verbrennen. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Flandern.  In  einer  ausgeplünderten  Hütte  sitzt  vor  einem 
Kessel  eine  Gasmaske.  Auf  ihrem  Schoß  eine  kleinere  Gasmaske. 
(Die  Erscheinung  A^erschwindet.) 

Es  erscheint  das  Pferd,  auf  dessen  Rücken  die  Torm  der 
Qeschützlast  blutig  eingezeichnet  ist. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Winter  auf  Asinara.  Gefangene  nehmen  den  an  Cholera 
verstorbenen  Kameraden  die  Kleider  ab.  Hungernde  essen  das 
Fleisch  von  Verhungerten. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Baracke  in  Sibirien.  Ergraute  Männer,  ganz  unterernährt, 
barfüßig,  in  zerfetzten  Uniformen,  kauern  auf  der  Erde,  starren 
wie  mit  ausgehöhlten  Augen  ins  Weite.  Einige  schlafen, 
einige  schreiben,  einige  exerzieren  mit  Schaufeln  und  machen 
Gewehrgriffe. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Tausende  von  Kreuzen  in  einem  Schneefeld. 
(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


736 


Ein  Schlachtfeld.  Trichter  und  Kavernen.  Spazierwege 
durch  die  noch  stehenden  Drahtverhaue.  Luxusautomobile  treffen 
ein.  Die  Touristen  zerstreuen  sich  in  Gruppen,  photographieren 
sich  gegenseitig  in  heroischen  Stellungen,  parodieren  Feuersalven, 
lachen  und  stoßen  Schreie  aus.  Einer  hat  einen  Schädel  gefunden, 
steckt  ihn  auf  das  Ende  seines  Spazierstockes  und  bringt  ihn 
mit  triumphierendem  Gesicht.  Ein  Trauernder  tritt  dazwischen, 
nimmt  den  Fund  an  sich  und  begräbt  den  Schädel. 

(Stöhnen  der  Schlafenden,  Die  Erscheinung  verschwindet.) 


Nun  kommt  ein  Zug  von  Gasmasken,  die  vor  den  im  Saale 
Anwesenden  Front  machen  und  sich  der  Tafel  zu  nähern  scheinen. 

Die  Gasmasken: 

Gesegnete  Mahlzeit,  wir  stecken  den  Rüssel 
aus  purer  Neugier  in  fremde  Speise. 
Denn  unsre  leider  war  nicht  geraten. 
Wir  hatten  heute  nur  auf  der  Schüssel, 
und  zubereitet  auf  deutsche  Weise, 
Dörrgemüse  mit  Grünkreuzgranaten. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Bei  der  vordersten  Linie  in  den  Karpathen.  Es  ist  alles 
ruhig.  In  den  Schützengräben  stehende  Leichname.  Mann  neben 
Mann,  das  Gewehr  im  Anschlag. 

Die  erfrorenen  Soldaten: 

Kalt  war  die  Nacht. 
Wer  hat  diesen  Tod  erdacht! 
Oh  die  ihr  schlieft  in  Beiten  — 
daß  euch  das  Herz  nicht  bricht! 
Die  kalten  Sterne  retten  uns  nicht. 
Und  nichts  wird  euch  erretten! 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


161 


Ein  alter  serbischer  Bauer  schaufelt  sein  Grab. 
Der  alte  serbische  Bauer: 

Wir  standen  rings  um  unsere  Truh. 

Soldaten  schrieen  auf  uns  zu. 

Wir  hatten  nichts  mehr.  Sie  wollten  was  haben. 

Drum  muß  ich  jetzt  meine  Grube  graben. 

Wir  waren  arm,  wir  waren  nackt. 

Uns  selber  haben  sie  angepackt. 

Sie  stellten  die  Kinder  mir  an  die  Wand, 

sie  haben  sie  mir  vorausgesandt. 

Verbrannt  ist  mein  Feld,  verbrannt  mein  Hab. 

Nun  grabe  ich  mir  das  eigene  Grab. 

Schon  rufen  die  Kinder  —  ich  komme  gleich! 

Herr,  hilf  mir  in  das  Himmelreich! 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


Der  Kronprinz  bei  den  Flammenwerfern  der  5.  Armee. 
Zur  Begrüßung  des  Kronprinzen  wird  durch  Flammer:  ein  >\V« 
gebildet. 

Die  Flammen: 

Wir  sind  die  Flammen!  Es  waren  verloren 

in  unsrer  Höllenqual 

viele,  die  Mütter  in  Schmerzen  geboren. 

Wir  sind  ein  Initial! 

Oh  W  der  Zeit!  Weh  diesem  blutigen  Tropf! 

Er  hatte  nichts  im  Sinn, 

er  führte  was  im  Schilde. . 

So  mähte  er  die  Menschheit  hin. 

Geschaffen  nach  Teufels  Ebenbilde, 

Hat  er  vorm  Kopfe  einen  Totenkopf  1 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  47 


738 


Zwöifhundert  Pferde  tauchen  aus  dem  Meer,  kommen  ans 
Land  und  setzen  sich  in  Trab.  Wasser  strömt  aus  ihren  Augen. 

Die  zwölfhundert  Pferde: 

Wir  sind  da,  wir  sind  da,  wir  sind  da,  wir  sind  da  — 
wir  sind  da,  die  zwölfhundert  Pferde! 
Die  Dohna'schen  Pferde  sind  da,  Dohna,  da  — 
wir  stiegen  empor  zu  der  Erde. 

Oh  Dohna,  wir  suchen  dich  auf  im  Traum. 
Uns  wollte  der  Platz  nimmer  taugen. 
Wir  hatten  kein  L.icht,  zu  viel  Wasser  hat  Raum 
in  zweimal  zwölfhundert  Augen. 

Graf  Dohna  umgeben  von  zwölf  Vertretern  der  Presse. 
Plötzlich  stehen  statt  ihrer  zwölf  Pferde  da.  Sie  dringen  auf  ihn 
ein  und  töten  ihn. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Eine  altertümliche  Erfinderwerkstatt. 

Lionardo  da  Vinci: 

wie   und   warum   ich   nicht   meine   Art 

schreibe,  unter  dem  Wasser  zu  bleiben,  solang'  ich 
bleiben  kann;  und  dies  veröffenthche  ich  nicht  oder 
erkläre  es  wegen  der  bösen  Natur  der  Menschen, 
welche  Art  sie  zu  Ermordungen  auf  dem  Grund  des 
Meeres  anwenden  würden,  indem  sie  den  Boden  der 
Schiffe  brächen  und  selbige  mitsamt  den  Menschen 
versenkten,  die  drinnen  sind 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Ein  süßer  Ton  erklingt.  Meeresstille  nach  dem  Untergang 
der  Lusitania.  Auf  einem  schwimmenden  Brett  zwei  Kinderlcichen. 

Die  Lusitania-Kinder: 

Wir  schaukeln  auf  der  Welle  — 
wir  sind  nun  irgendwo  — 
wie  ist  das  Leben  helle  — 
wie  sind  die  Kinder  froh  — 

r  (Die  Erscheinung  verschwindet) 


739 


Z'rei  Kriegshutide,  vor  ein  Maschinengewehr  gespannt. 

Die  Kriegs hunde: 

Wir  ziehen  unrecht  Gut.  Und  doch,  wir  ziehn. 
Denn  wir  sind  treu  bis  in  die  Todesstund. 
Wie  war  es  schön,  als  Gottes  Sonne  schien! 
Der  Teufel  rief,  da  folgte  ihm  der  Hund. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


Ein  toter  Wald.  Alles  ist  zerschossen,  abgehauen  und 
abgesägt.  Hüllenloses  Erdreich,  aus  dem  sich  nur  ab  und  zu 
ein  paar  kranke  Bäume  erheben.  Zu  Hunderten  liegen  noch  die 
gefällten,  entästeten,  zersägten  Stämme  mit  halb  schon  verwitterter 
Rinde  am  Boden  herum.  Eine  zerfallene  Feldbahn  führt  quer 
hindurch. 

Der  tote  Wald: 

Durch  eure  Macht,  durch  euer  Mühn 
bin  ich  ergraut.  Einst  war  ich  grün. 
Seht  meine  jetzige  Gestalt. 
Ich  war  ein  Wald!  Ich  war  ein  Wald! 

Der  Seele  war  in  meinem  Dom, 
ihr  Christen  hört,  ihr  ewges  Rom! 
In  meinem  Schweigen  war  das  Wort. 
Und  euer  Tun  bedeutet  Mord! 

Fluch  euch,  die  das  mir  angetan! 
Nie  wieder  steig  ich  himmelan! 
Wie  war  ich  grün.  Wie  bin  ich  alt. 
Ich  v/ar  ein  Wald!  Ich  war  ein  Wald! 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


47 


740 


Ein  Oberst  läßt  eine  dalmatinische  Frau  mit  ihrem  zwölf- 
jährigen blonden  Knaben  festnehmen.  Während  die  Frau  weggezerrt 
wird,  gibt  er  den  Auftrag,  dem  Knaben  in  den  Kopf  zu  schießen. 
Er  steht  rauchend  dabei,  indes  Soldaten  auf  den  Händen  des 
Kindes  knien  und  die  Exekution  vollzogen  wird. 

Die  Mutter: 

Daß  nie,  durch  alle  Tage,  die  ihr  schändet, 
sich  euer  Blick  von  diesem  Bilde  wendet! 
Und  seid  am  Ende  ihr  der  Höllenfahrt, 
bleib'  euch  erst  dieser  Anblick  aufgespartl 
Die  Splitter  dieser  edlen  Kinderstiin, 
sie  bohren  sich  in  euer  Herz  und  Hirn! 
Lebt  lang  und  ewiger  Begleiter  sei 
durch  eure  Nächte  dieser  Mutterschrei! 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Ins  Fiebrige  verzerrte  Heurigenmusik  setzt  ein.  Die  Hin- 
richtung Battistis.  Lachende  Soldaten  umstehen  den  Leichnam, 
Neugierige  recken  die  Hälse.  Die  Hände  über  dem  Haupt  des 
Toten  der  fidele  Scharfrichter. 

Das  Österreichische  Antlitz: 

Aus  Tod  wird  Tanz, 
aus  Haß  wird  Gspaß, 
aus  Not  wird  Pflanz, 
was  is  denn  das? 
Is  alles  stier, 
is's  einerlei, 
denn  mir  san  mir 
und  a  dabei. 
Ein  guter  Christ 
sagt:  Kinder  bet's, 
und  Henker  ist 
man  nur  aus  Hetz. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 


741 


Die  Klänge  erheben  sich  während  des  folgenden  Phantoms 
zu  furchtbarer  Musilc.  Auf  dem  Monte  Gabriele.  Zu  einem  hohen 
Haufen  geschichtet  unbegrabene,  halb  verweste  Leichen.  Ein 
Schwärm  von  Raben  umkreist  krächzend  die  Beute. 

Die  Raben: 

Immer  waren  unsre  Nahrung 
die  hier,  die  um  Ehre  starben. 
Aber  eure  Herzenspaarung 
macht,  daß  Raben  nimmer  darben. 

Wir,  die  wir  uns  nie  bewarben, 
Nahrung  haben  wir  erworben. 
Ihr  nicht,  wir  nicht  dürfen  darben, 
euch  und  uns  sind  sie  verdorben. 

Ihr  und  wir  vom  Siege  schnarren, 
wenn  die  Opfer  sich  vermehren, 
weil  im  Reiche  rings  die  Narren 
eurem,  unsrem  Ruf  nicht  wehren. 

Waren  Generale  Raben, 

schnarrts  von  Phrasen  dort  im  Saale. 

Draußen  sind  sie  unbegraben, 

da  sind  Raben  Generale! 

Dürft  getrost  die  Schlacht  verlieren, 
wir  und  ihr  in  keinem  Falle 
müssen  uns  vor  uns  genieren, 
Kriegsgewinner  sind  wir  alle! 

Ja  wir  sind  noch  sehr  lebendig, 
wir  sind  beide  noch  die  Alten, 
und  wir  freuen  uns  unbändig, 
diese  Kriegszeit  durchzuhalten. 

Während  ihr  zum  Fraß  vereinigt, 
brauchen  wir  nicht  zu  entbehren. 
Hunger  hat  uns  nie  gepeinigt, 
seit  wir  folgen  euren  Heeren. 


742 


Hunger  würd'  uns  nimmer  munden, 
und  wir  stürben  an  der  Schande, 
und  wir  sind  euch  sehr  verbunden, 
daß  wir  nicht  im  Hinterlande. 

Dort  ist  wahre  Not,  die  Greise 
und  die  Kinder  dort  verderben, 
weil  hier  auf  die  andre  Weise 
uns  zum  Trost  die  Männer  sterben. 

Eure  Schlachtbank  läßt  nie  darben 
ihre  angestellten  Kunden. 
Raben  haben,  seit  sie  starben, 
immer  Nahrung  noch  gefunden. 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Die  Musik,  völlig  abgedämpft,  begleitet  das  nun  einsetzende 
Schauspiel,  um  allmählich  zu  verstummen.  Ein  unübersehbarer 
Aufzug  von  bleichen  Frauen  marschiert  vorüber,  flankiat  von 
Soldaten  mit  aufgepflanztem  Bajonett. 

Die  weiblichen  Hilfskräfte: 

Wir,  die  Wehrmacht  zu  entzücken, 
eingerückte  Heereshuren, 
kehren  nunmehr  euch  den  Rücken 
als  Brigade  der  Lemuren. 

Opfernd  heldischem  Verlangen, 
angesteckt  von  eurem  Mute, 
Rosen  blühn  uns  auf  c'en  Wangen 
und  die  Syphilis  im  Blute. 

Blut  und  Tränen,  Wein  und  Samen 
flössen  euch  zum  Bacchanale, 
und  was  wir  von  euch  bekamen 
tragen  heim  wir  zum  Spitale. 


743 


So  verabscheut  sind  wir  heute, 
denn  uns  schlottern  die  Gewänder, 
und  wir  schleppen  unsre  Beute 
in  die  fernen  Hinterländer. 

Doch  wir  wachsen  durch  die  Zeiten! 
Einstens  rast  ein  Landsturm,  brausend, 
alle  Menschheit  zu  bestreiten, 
durch  ein  schauderndes  Jahrtausend! 

(Die  Erscheinung  verschwindet.) 

Nun  erfüllt  ein  phosphoreszierender  Schein  den  Saal. 

Der  ungeborne  Sohn: 

Wir,  der  Untat  spätere  Zeugen, 
bitten  euch,  uns  vorzubeugen. 
Lasset  nimmer  uns  entstehn! 
Wären  eurer  Schmach  Verräter. 
Woll'n  nicht  solche  Heldenväter. 
Ruhmlos  möchten  wir  vergehn! 

Wehlust  irdischen  Getues! 
Liebend  hinterläßt  die  Lues 
mir  mein  Vater,  dieser  Schuft. 
Ruft  uns  nicht  in  diese  Reiche! 
Wir  entstammen  einer  Leiche. 
Ungesund  ist  hier  die  Luft. 

(Der  Schein  erlischt. 'i 

Völlige  Finsternis.  Dann  steigt  am  Horizont  die  Flammen- 
wand empor.  Draußen  Todesschreie. 


Epilog 


DIE   LETZTE  NACHT 


tny 


Schlachtfeld.     Trichter.     Rauchwolken.     Sternlose    Nacht.    Der 

Horizont  ist  eine  Flammenwand.    Leichen.    Sterbende.    Männer 

und  Frauen  mit  Gasmasken  tauchen  auf. 


Ein  sterbender  Soldat 
schreiend 


Hauptmann,  hol  her  das  Standgericht! 
Ich  sterb'  für  keinen  Kaiser  nicht! 
Hauptmann,  du  bist  des  Kaisers  Wicht! 
Bin  tot  ich,  salutier'  ich  nicht! 

Wenn  ich  bei  meinem  Herren  wohn', 
ist  unter  mir  des  Kaisers  Thron, 
und  hab'  für  sein  Geheiß  nur  Hohn! 
Wo  ist  mein  Dorf?  Dort  spielt  mein  Sohn. 

Wenn  ich  in  meinem  Herrn  entschlief, 
kommt  an  mein  letzter  Feldpostbrief. 
Es  rief,  es  rief,  es  rief,  es  rief! 
Oh,  wie  ist  meine  Liebe  tief! 

Hauptmann,  du  bist  nicht  bei  Verstand, 
daß  du  mich  hast  hieher  gesandt. 
Im  Feuer  ist  mein  Herz  verbrannt. 
Ich  sterbe  für  kein  Vaterland! 

Ihr  zwingt  mich  nicht,  ihr  zwingt  mich  nicht! 
Seht,  wie  der  Tod  die  Fessel  bricht! 
So  stellt  den  Tod  vors  Standgericht! 
Ich  sterb',  doch  für  den  Kaiser  nicht! 


750 


Weibliche  Gasmaske 
nähert  sich 

Soviel  icii  seh',  fiel  hier  ein  Mann  mit  Gottes  Willen. 
Auch  unsereins  hat  seine  Pflicht  hier  zu  erfüllen. 
In  dieser  ernsten  Zeit  gibts  keinen  Zeitvertreib. 
Das  Kleid  ist  nicht  der  Mann,  doch  ist's  auch  nicht 

das  Weib. 
In  Not  und  Tod  und  Kot  gibt  es  die  gleichen  Rechte. 
Wo    kein    Geschlecht,    gereicht's    zur   Ehre    dem 

Geschlechte. 


Männliche  Gasmaske 
stellt  sich  gegenüber 

Nur  daß  dein  Gesicht 
sich  an  meines  gewöhne! 
Ich  kenne  dich  nicht, 
du  Maske,  du  schöne  I 

Erfüllt  von  dem  Grauen, 
erfüllend  die  Pflicht, 
sollen  wir  uns  nicht  schauen, 
wir  kennen  uns  nicht. 

Uns  gilt  nur  die  Sache, 
hier  gilt  es  zu  kämpfen, 
es  droht  uns  die  Rache 
mit  giftigen  Dämpfen. 

Der  Himmel  spuckt  Flammen, 
verzischend  im  Blute. 
So  gehn  wir  zusammen 
auf  diese  Redoute. 

Fernes  Trommelfeuer 


751 


Weibliche  Gasmaske 

Gesicht  und  Geschlecht 
verbietet  die  Pflicht. 
Wir  haben  kein  Recht 
auf  Geschlecht  und  Gesicht. 

Das  Leben  verbracht 
zwischen  Leichen  und  Larven  — 
mir  tönt  diese  Nacht 
wie  Hörner  und  Harfen! 

Beide 

Arm  in  Arm 

Wir  haben  kein  Recht 
auf  Geschlecht  und  Gesicht, 
Gesicht  und  Geschlecht 
verbietet  die  Pflicht. 

Sie  verschwinden. 

Zwei  Generale  auf  der  Flucht,  in  einem  Automobil 
General 

(Sprechgesang) 

Da  kann  man  nicht  weiter, 
die  Erde  hat  Risse, 
da  gibts  spanische  Reiter 
und  sonst  Hindernisse. 

Die  Schlacht  hat  nunmehr 
eine  Wendung  genommen, 
wir  sind  bis  hieher 
nach  vorne  gekommen. 


752 


In  unsere  Jahr' 
da  is  nicht  zu  spaßen, 
wir  sind  in  Gefahr, 
das  Leben  zu  lassen. 

Nicht  wanl^en  und  weichen 
die  Mannschaften  ziert. 
Fahren  S'  über  die  Leichen, 
sonst  sind  wir  petschiert! 

Was  hat  denn  der  eine, 
der  hat  keinen  Kopf, 
dem  fehlen  die  Beine, 
und  am  Rock  fehlt  a  Knopf! 

Das  is  ein  Skandal, 
da  werd'  ich  leicht  schiech, 
Sie  toter  Korpral, 
adjustieren  Sie  sich! 

Das  is  doch  zuwider, 
da  krieg'  ich  ein'  Pik, 
ah,  da  legst  di  nieder  — 
hörn  S',  jetzt  is  doch  Krieg! 

Der  hört  nicht.  Herstellt! 
Sie,  was  machen  S'  denn  dort 
mir  San  doch  im  Feld! 
Sie  gehn  zum  Rapport! 

Das  is  doch  verboten, 
die  Wirtschaft  hier  vorn! 
Fahren  S'  über  die  Toten, 
sonst  sind  wir  verlorn! 

Sie  fahren  ab.  Es  tagt. 


753 


Zwei  Kriegsberichterstatter  im  Automobil,  sie  steigen  aus. 
Breeches,  Feldstecher,  Kodak 

Ersier  Kriegsberichterstatter 

Icii  finde  es  gut, 

hier  stehen  zu  bleiben. 

Ich  habe  den  Mut, 

diese  Schlacht  zu  beschreiben. 

Zweiter  Kriegsberichterstatter 

Ja,  hier  wie  mir  scheint 
kann  noch  etwas  geschehn. 
Der  Punkt  ist  vom  Feind 
sehr  gut  eingesehn. 

Der  erste 

Hier  liegen  die  Helden, 
hier  ist  es  bewegt, 
und  wenn  wir  es  melden, 
es  Aufsehn  erregt. 

Der  zweite 

Es  imponiert  ja  doch  allen, 
authentisch  mit  Bildern, 
ist  einer  gefallen, 
die  Stimmung  zu  schildern. 

Der  erste 

Wir  sind  gern  informiert 
von  besonderen  Seiten. 
Was  mich  intressiert, 
sind  die  Einzelheiten. 

Er  tritt  an  einen  sterbenden  Soldaten  heran. 


Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  48 


754 


Der  zweite 

Sie,  machen  S'  zum  End' 
ein  verklärtes  Gesictit! 
Ich  brauch'  den  Moment, 
wo  das  Aug  Ihnen  bricht. 


Der  erste 

Sie  sind  doch  gescheit  — 
solang  Sie  am  Leben, 
ist  hinreichend  Zeit, 
eine  Schilderung  zu  geben. 

Der  zweite 

Was  haben  Sie  empfunden, 
was  haben  Sie  sich  gedacht, 
wir  brauchen  die  letzten  Stunden, 
wie  war  denn  die  Schlacht? 

Der  erste 

Schaun  S',  das  wird  goutiert, 
auf  Details  ich  schon  spitz', 
und  Ihr  Heldentod  wird 
eine  schöne  Notiz. 

Der  zweite 

Dieses  Detail  schon  allein 
hat  für  das  Blatt  seinen  Reiz, 
und  der  Chef  gibt  mich  ein 
für  das  Eiserne  Kreuz. 


755 


Der  Sterbende 

Geschwinde  —  geschwinde  — 
seht,  wie  ich  —  mich  —  winde  — 
verbinde,  Herr  Doktor  — 
verbinde,  verbinde! 

Seit  so  vielen  Stunden  — 
mit  so  vielen  Wunden  — 
sie  bluten,  sie  bluten  — 
sie  sind  nicht  verbunden. 

Kur  noch  wenig  Minuten  — 
laßt  mich  doch  nicht  verblu'.en  — 
verbindet  geschwinde, 
ihr  müsset  euch  sputen. 

So  seht  doch  —  wie  mir  schon  — 
der  Atem  —  entschwindet  — 
geschwinde  —  Herr  Doktor  — 
verbindet,  verbindet! 

Der  erste  Kriegsberichterstatter 

Der  erzählt  nichts  —  zu  peinhehl 
Der  wird  immer  verstockter. 
Er  hält  mich  wahrscheinlich 
für  einen  Dokter! 

Der  zweite 

Krieg  ist  Krieg  —  hör'n  S',  ich  hust', 
unsere  Pflicht  hier  ist  schwer, 
über  Ihre  zerschossene  Brust 
sag'  ich  nur   c'est  la  guerre. 


48 


756 


Der  erste 

Denn  Wunden  verbinden, 
das  hab'  ich  nicht  studiert, 
aber  für  Eindrücke  finden 
wer'n  wir  honoriert. 

Der  zweite 

Die  Stimmung  zu  melden, 
das  ist  unser  Brot. 
Einen  schweigsamen  Helden, 
den  schweigen  wir  tot. 

Wenden  sich  zur  Abfahrt. 

Der  Sterbende 

Mein  Weib  —  ach  —  ich  —  bitt  — 
das  ist  —  eine  Qual  — 
so  —  nehmen  S'  mich  mit  — 
bis  zum  —  nächsten  —  Spital! 

Der  erste  Kriegsberichterstatter 

Das  ist  doch  gediegen  — 
was  der  von  mir  will! 
So  bleiben  Sie  doch  liegen 
und  halten  Sie  still! 

Der  zweite 

Für  einen  Gemeinen 
ist  das  eine  Ehr'! 
Ihr  Bild  wird  erscheinen, 
was  wollen  Sie  mehr! 

Der  erste 

Wenn  ich  Ihnen  garantier', 
es  erscheint  ein  Bericht! 
Ich  war  vor  dem  Tod  hier, 
so  schaun  S'  mir  ins  Gesicht! 


757 


Der  zweite 

Er  sagt  nichts  darauf. 
Ich  glaub',  es  wird  gehn. 
So  nehm'  ich  ihn  auf  — 
man  wird  doch  da  sehn. 
Er  photographiert. 


Der  erste 

So  sein  S'  doch  nicht  fad, 
es  soll  stimmungsvoll  sein. 
Uns  fehlt  der  Kurat, 
Sie  sind  leider  allein. 


Der  zwe i te 

Das  war'  ein  Effekt, 

dem  Abonnenten  zu  zeigen, 

den  Priester  direkt 

über  den  Helden  sich  neigen  I 

Der  erste 

Wir  sind  doch  intim, 
er  tät's  mir  zu  Liebe, 
weil  ja  schließlich  auch  ihm 
eine  Reklam  dabei  bliebe. 

Der  zweite 

Wo  man  ihn  ja  einmal  braucht, 
ist  er  natürlich  beim  Teufel. 
Das  ist  trostlos  ...  Es  raucht! 
Nur  ein  Blindgänger,  kein  Zweifell 


758 


Der  erste 

Geh'  mr!  Hier  is  stier, 
liier  is  doch  nix  los. 
Gehn  wir  ins  Pressequartier 
vor  dem  Gegenstoß. 

Der  zweite 

Der  würde  mich  nicht 
im  geringsten  tuschieren, 
ich  kann  bloß  bei  dem  Licht 
nicht  photographieren. 

Der  erste 

Sie,  hier  wie  mir  scheint 
kann  noch  was  geschehn, 
der  Punkt  ist  vom  Feind 
zu  gut  eingesehn! 

Der  zweite 

Es  lohnt  nicht  zu  bleiben. 
Bin  ich  ein  Held? 
Also  was  soll  man  schreiben? 
Ein  Erlebnis  im  Feld! 

Sie  fahren  ab. 

Ein   Feldwebel  jagt  mit  dem  Revolver  einen  Zug  vor  sich  her 
Feldwebel 

Marsch!  Ich  wer'  euch  lehrn  hier  herumtachiniern! 
Fürs  Vaterland  stirbts,  oder  ich  laß  euch  krepiern! 
Was  glaubts  denn,  i  wer's  euch  schon  einigeignen! 
Jetzt  schießts  auf  den  Feind,  oder  ich   schieß  auf 

die  Eignen! 

Sie  verschwinden. 


759 


Ein  Erblindeter 
tastet  sicli  kriechend  vorwärts 

So,  Mutter,  Dank!  So  fühl'  ich  deine  Hand. 
Oh,  sie  befreit  von  Nacht  und  Vaterland! 
Ich  atme  Wald  und  heimatliches  Glück. 
Wie  führst  du  mich  in  deinen  Schoß  zurück. 

Nun  ist  der  Donner  dieser  Nacht  verrollt. 
Ich  weiß  es  nicht,  was  sie  von  mir  gewollt. 
O  Mutter,  wie  dein  guter  Morgen  thaut! 
Schon  bin  ich  da,  wo  Gottes  Auge  blaut. 

Er  stirbt. 

Die  Kriegsberichterstatterin 
erscheint 

Hier  ist  er,  das  Suchen  hat  sich  gelohnt, 

hier  find'  ich  den  einfachen  Mann  an  der  Front! 

Ein  Verwundeter 

tastet  sich  kriechend  vorwärts 

Fluch,  Kaiser,  dir!  Ich  spüre  deine  Hand, 

an  ihr  ist  Gift  und  Nacht  und  Vaterland! 

Sie  riecht  nach  Pest  und  allem  Untergang. 

Dein  Blick  ist  Galgen  und  dein  Bart  der  Strang! 

Dein  Lachen  Lüge  und  dein  Hochmut  Haß, 

dein  Zorn  ist  deiner  Kleinheit  Übermaß, 

der  alle  Grenze,  alles  Maß  verrückt, 

um  groß  zu  sein,  wenn  er  die  Welt  zerstückt. 

Vom  Rhein  erschüttert  ward  sie  bis  zum  Ganges 

durch  einen  Heldenspieler  zweiten  Ranges! 

Der  alten  Weit  warst  du  doch  kein  Erhalter, 

gabst  du  ihr  Plunder  aus  dem  Mittelalter. 

Verödet  wurde  ihre  Phantasie 

von  einem  ritterlichen  Weltkommis! 


760 


Nahmst  ihr  das  Blut  aus  ihren  besten  Adern 

mit  deinen  Meer-  und  Luft-  und  Wortgeschwadern. 

Nie  würde  sie  aus  Dreck  und  Feuer  geboren! 

Mit  deinem  Gott  hast  du  die  Schlacht  verloren  1 

Die  offenbarte  Welt,  so  aufgemacht, 

von  deinem  Wahn  um  ihren  Sinn  gebracht, 

so  zugemacht,  ist  sie  nur  Fertigware, 

mit  der  der  Teufel  zu  der  Hölle  fahre! 

Von  Gottes  Zorn  und  nicht  von  seinen  Gnaden, 

regierst  du  sie  zu  Rauch  und  Schwefelschwaden. 

Rüstzeug  des  Herrn!  Wir  werden  ihn  erst  preisen, 

wirft  er  dich  endlich  zu  dem  alten  Eisen! 

Komm  her  und  sieh,  wie  sich  ein  Stern  gebiert, 

wenn  man  die  Zeit  mit  Munition  regiert! 

Laß  deinen  Kanzler,  deine  Diplomaten 

durch  dieses  Meer  von  Blut  und  Tränen  waten! 

Fluch,  Kaiser,  dir  und  Fluch  auch  deiner  Brut, 

hinreichend  Blut,  ertränk  sie  in  der  Flut! 

Ich  sterbe,  einer  deutschen  Mutter  Sohn. 

Doch  zeug'  ich  gegen  dich  vor  Gottes  Thron! 

Er  stirbt. 

Ein  Totenkopfhusar  mit  Gefolge  erscheint. 

Der  Totenkopfhusar 

Schnedderereng,  schnedderedeng! 

Die  Luft  hier  ist  mein  Leibparfeng. 

Wir  sind  die  Totenkopfhusaren, 

in  unsrem  Handwerk  wohlerfahren. 

Wir  haben  eine  schlanke  Tallie, 

ich  lasse  stürmen  die  Kanaille. 

Hält  man  von  außen  uns  für  Puppen, 

vom  Auge  fall'n  dem  Feind  die  Schuppen. 

Denn  nimmermehr  läßt  an  die  Wimpern 

ein  Totenkopfhusar  sich  klimpern! 

Jetzt  sollen  mal  die  Jungens  ran 

und  jeder  zeigen,  v/as  er  kann, 


761 


sie  sollen,  denn  wer  wagt  gewinnt, 
jetzt  zeigen,  was  sie  imstande  sind. 
Seit  damals,  seit  dem  Tag  der  Marne, 
ich  täglich  vor  Erschlaffung  warne. 
Wir  müssen  warten  vor  Werdeng. 
Schnedderedeng,  schneddererengl 

Schnedderedeng,  schneddercreng! 

Mein  Mieder  wurde  mir  zu  eng. 

Mein  Vater  ist  ein  zahmer  Panther; 

in  dem  Punkt  bin  ich  viel  gewandter. 

Ich  bin  ein  junger  Jaguar, 

dss  Vaterland  ist  in  Gefahr. 

Mein  Bart  ist  britisch  zugestutzt; 

zu  wenig  Mörser  sind  verputzt. 

In  Frankreich  lebt  es  sich  nicht  leicht; 

es  ist  bei  weitem  nicht  erreicht! 

Solang  man  jung,  solang  man  jung, 

braucht  man  noch  mehr  Betätigung. 

Doch  eh  ich  opfere  die  Garde, 

soll  ins  Quartier  mein  Lieblingsbarde. 

Schlag  zwölf  ist  Sturm,  glock  fünf  ist  Vesper, 

den  einzigen  Reim  drauf  weiß  mein  Presber. 

Denn  Kunst  ist  h«iter,  Dienst  ist  streng. 

Schneddercreng,  schnedderedeng! 

Die  üruppe  verschwindet. 

Man  hört  einen  Marsch.   Nowotny  von  Eichensieg  tritt  auf. 

Nowotny  von  Eichensieg 

Ja  aus  Flak  und  Dag 

und  aus  Rag  und  aus  Kag 

bezieh  jeden  Tag  ich  das  Menschenpack. 

Auch  das  Hinterland 

an  die  Front  wird  gesandt. 

Wer  sich  nicht  ermannt,  der  gspürt  meine  Hand. 


1 

762 


Dem  gemeinen  Mann 

tu  ich  an,  was  ich  kann. 

Gott  weiß  es  allein,  was  liegt  daran. 

Wer  hier  tachiniert, 

wird  zurückinstradiert 

und  wird  aufgehängt  oder  eingespirrt. 

Wer  verdächtig  war 
oder  gar  Deserteur, 
den  schick  ich  zurück  auf  das  Feld  der  Ehr. 

Wer  an  Bauchschuß  hat 

und  er  steht  mir  nicht  grad, 

der  stirbt  mir  zur  Straf  als  a  Frontsoldat. 

Denn  hier  ist  mein  Reich 

und  mir  ist  alles  gleich 

und  bevor  einer  stirbt,  is  er  schon  eine  Leich. 

Und  hier  ist  man  gesund, 

sagt  der  Stabsarzt  und 

der  Mensch  is  im  Grund  nur  a  A-Befund. 

Ja  da  gibts  keine  Wahl, 
hier  entscheidet  die  Zahl, 
überall  is  a  Menschenmaterial. 

Ab. 


Der  Doktor-Ing.  Abendrot  aus  Berlin  erscheint. 

Doktor-Ing.   Abendrot 

Um  endlich  den  endlichen  Endsieg  zu  kriegen, 
und  dann  also  endlich  unendlich  zu  siegen, 
greift  ungebrochne  strategische  Kraft 
in  die  letzten  Reserven  der  Wissenschaft. 


763 


Was  half  uns  die  Kunst  unsrer  Bombenwericr? 
Und  das  Gas,  noch  so  scharf,  macht  das  feindliche 

schärfer. 
Oft  wurde  das  Anbot  von  unseren  Gasen 
in  unsre  Linien  zurückgeblasen. 
Bei  immer  wieder  vergebnem  Beginnen 
muß  Wissenschaft  endlich  auf  Abhilfe  sinnen. 
Da  Not  bekanntlich  das  Eisen  zerschlagen, 
das  man  einst  für  Gold  uns  hat  angetragen, 
so  warfen  wir  es  zum  Eisen,  zum  alten, 
um  mit  unserm  Ingenium  durchzuhalten. 
Als  Ritter  vom  Geist  greifen  wir  noch  zum  Schwert, 
wenn  sich  längst  schon  der  Flammenwerfer  bewährt, 
und  sind  entschlossen,  mit  Dünsten  und  Dämpfen 
und  Minen  bis  aufs  Messer  zu  kämpfen. 
Den  Wortschmuck  beziehen  wir  gern  für  die  Tat 
aus  der  Zeit,  wo  es  die  noch  gegeben  nicht  hat, 
und  sind  selbst  heut  in  Turnieren  befangen, 
wo  wir  längst  schon  die  chlorreichsten  Siege  errangen. 
Mit  allen  Schikanen  der  chemischen  Kraft 
kämpft  der  Deutsche  im  Geiste  der  Ritterschaft. 
Nun  gilt  es  in  diesen  romantischen  Tagen 
ein  Letztes  noch  in  die  Schanze  zu  schlagen. 
Der  vielen  Wunder  aus  deutschen  Mären 
wir  bringen  das  radikalste  zu  Ehren, 
und  zu  widerlegen  die  Mär  von  den  Hunnen, 
griffen  wir  tief  in  den  deutschen  Märchenbrunn'^n. 
Der  Erzähler  bin  ich,  denn  ich  bin  der  Erfinder ; 
bestimmt  ist's  für  ungehorsame  Kinder, 
die  immer  noch  glauben,  wir  sei'n  die  Barbaren, 
wiewohl  wir  elektrotechnisch  verfahren. 
Das  praktische  Märchen,  das  poetische  Mittel, 
es  trägt  nach  meinem  Namen  den  Titel : 
ich  stelle  mich  vor,  bin  Herr  Abendrot 
aus  Berlin  und  leuchte  zu  frühem  Tod. 
Es  war  einmal,  so  will  ich  beginnen 
mir  meine  Hörerschaft  zu  gewinnen, 


764 


es  war  einmal  eine  Lungenpest, 
so  böse,  daß  kaum  sich's  beschreiben  läßt. 
Doch  hat  sie  die  Wissenschaft  längst  begraben, 
und  wo  man  sie  brauchte,  war  sie  nicht  zu  haben. 
So  hilft  ihr  die  Wissenschaft  wieder  empor, 
denn  sie  hat  für  strategische  Wünsche  ein  Ohr. 
Sie  verhalf  schon  zu  allen  den  Surrogaten, 
die  uns  das  Leben  ersetzen,  den  Kaffee,  den  Braten. 
So  ersetz'n  wa  einfach,  m.  w.,  auch  den  Tod 
durch  das  praktische  Mittel  Abendrot. 
Mit  unseren  ausgesuchtesten  Gasen 
jagten  wir  aus  dem  Feld  nur  die  falschen  Hasen. 
Doch  fortan,  kein  Hase  bleibt  auf  dem  Platz, 
dank  unserem  Lungenpestersatz! 
Die  Welt  in  Spital  oder  Friedhof  zu  wandeln, 
mußten  wir  oft  zu  geräuschvoll  handeln. 
Nun  hoffen  wir  die  Position  uns  zu  stärken, 
denn   der  Feind  wird  jetzt  sterben,  ohne  selbst  es 

zu  merken. 
Ein  Druck  auf  den  Knopf  wird  fürder  genügen, 
über  zehntausend  feindliche  Lungen  zu  siegen. 
Man  lebt  auf  Sandalen  und  nicht  mehr  auf  Sohlen, 
doch  der  Tod  wird  sein  Opfer  geräuschloser  holen. 
Man  hat  mich  berufen,  meine  Kunst  zu  erproben. 
So  soll  nun  das  Werk  seinen  Meister  loben! 
Die  Miesmacher  wollten  den  Endsieg  uns  rauben, 
nun  werden  sie  doch  an  ein  Wunder  glauben! 
Wir  woll'n  mit  dem  Tod  uns  neuorientieren 
und  unsere  letzte  Schankze  probieren. 
Und,  Wuppdich,  ehe  der  Feind  es  gedacht, 
ist  die  Sache  im  Westen  auch  schon  gemacht, 
und  vor  unsern  Linien  liegen  die  Leichen, 
damit  wir  den  Platz  an  der  Sonne  erreichen. 
Schon  glänzt  wie  von  Abendrot  eine  Krone. 
Ich  bin  im  Weltkrieg  die  große  Kanone! 
Mit  Tirpitz  und  Zeppel  nehm'  ich  es  auf. 
Mit  Gott  nimmt  das  neueste  Verhängnis  den  Lauf! 
Er  drückt  auf  einen  Knopf.  Drei  Brigaden  sinken  lautlos  um. 


765 


Die  Kinder,  die  Kinder,  sie  hör'n  es  nicht  gern. 
So  bewährt  sich  das  wahre  Rüstzeug  des  Herrn  1 
Keine  Wacht  am  Rheine  liefert  so  fest 
und  so  treu  wie  die  Nibelungenpest, 
Die  Not  ließ  erkennen  das  letzte  Gebot. 
Mein  Name  ist  Siegfried  Abendrot. 

Er  verschwindet. 


Es  wird  dunkel.   Es  erscheinen   Hyänen,  die  Menschengesichter 

tragen.  Als  Sprecher  die  Hyänen  Fressack  und  Nasch  katz. 

Sie  kauern  vor  den  Leichen  und  sprechen,  rechts  und  links,  in 

ihr  Ohr. 


Fressack 

Wenn  Sie  vielleicht  was  bedarfen,  wenn  Sie  vielleicht 

was  bedarfen, 
wir  sind  da,  wir  tragen  Gesichter  als  Larven. 
Doch  erschrecken  Sie  nicht  vor  Barten  und  Mähnen: 
wir  sind  keine  Menschen,  wir  sind  nur  Hyänen! 
Nur  daß  Ihr  Opfer  umsonst  nicht  wäre, 
sind  wir  hier  am  Platz,  auf  dem  Felde  der  Ehre. 
Bedarfen  Sie  nichts,  nehmen  wir  Ihnen  was  ab, 
was  solln  Sie  mit  Schmuck  und  Barschaft  ins  Grab! 

Naschkatz 

Ihr  seid  nebbich  froh,  daß  alles  erledigt. 
Für  eure  Verluste  haben  wir  uns  entschädigt. 
Auf  unseren  Rat  gingt  ihr  frisch  in  das  Feld, 
gabt  ihr  euer  Blut,  nahmen  wir  euer  Geld. 
Damit  wir  gewinnen,  mußtet  ihr  wagen, 
jetzt  gilt's  noch  ein  Scherflein  beizutragen. 
Wenn  ihr  auch  besiegt  seid,  wir  werden  doch  siegen. 
Das  Blut  ist  gesunken,  das  Fleisch  ist  gestiegen. 


766 


Fressack 


Ihr  könnt  euch  in  dem  Punkt  auf  uns  verlassen: 
bald  wird  euch  des  Kaisers  Rock  nicht  mehr  passen. 
Mit  euren  Granaten  und  Bomben  und  Minen 
fahrt  weiter  so  fort  und  laßt  uns  verdienen. 
Das  ist  ein  Vergnügen,  herum  hier  zu  lungern, 
ihr   braucht  nicht  zu   frieren,   ihr  braucht   nicht  zu 

hungern! 
Wir  wissen  es  doch,  unser  Ehrenwort,  heuer 
sind  Kohle  und  Fett  noch  dreimal  so  teuer! 


Naschkatz 

Wir  sagen  es  ins  Ohr  euch,  ihr  solltet  uns  danken: 
dadurch,  daß  ihr  hier  liegt,  gehts  besser  den  Banken. 
Durch     die     Bank    konnten    sie    das    Kapital    sich 

vermehren, 
die  Fusion    mit   der   Schlachtbank  kann  man  ihnen 

nicht  wehren. 
Ihr  könnt  noch  von  Glück  sagen,  so  ruhig  zu  liegen, 
wenn  zugleich  mit  den  Kugeln  die  Tausender  fliegen. 
Doch  ihr  seid  entschädigt:  ein  jeder  ein  Held! 
Ihr  schwimmt  ja  in  Blut,  und  wir  nur  in  Geld. 


Fressack 

Ihr  werdet  doch  fortleben  in  den  Annalen! 

Umsonst  ist  der  Tod,   doch  dafür  muß  man  zahlen. 

Wir  haben  den  Krieg  ja  nicht  angefangen. 

Wir  haben  ihn  nur  gewünscht,  aber  ihr  seid  gegangen! 

Von  unsern  Verdiensten  wird  niemand  sii  gen, 

euch  müssen  doch  schon  die  Ohren  klingen! 

Von  euch  werden  euere  Enkel  noch  sagen. 

So  solln  sich  die  unsern  über  uns  nicht  beklagen. 


767 


Naschkatz 


Meine   Kinder   warn    auf   ein    Haar    an   die   Front 

gekommen. 
Zum  Glück  aber  hat  man  sie  nicht  genommen. 
Der  eine  is  für  Hintertürin  zu  ehrlich, 
er  is  im  Geschäft  einfach  unentbehrlich. 
Der  andere  is  zu  stolz,  so  war  ich  für  ihn  oben, 
a  conto  dessen  is  er  heute  enthoben. 
Aufs  Jahr  lass  ich  meinen  Jüngsten  emheben. 
Ihr  wartauch  einmal  jung  —  da  soll  man  erleben  1 

Fressack 

Mein  Bub    hat    ka    Protektion,    doch    er   hat    sichs 

gerichtet, 
der  andere  hat  Talent,  er  hat  über  Siege  gedichtet. 
In  demselben  Moment,  wie  ihn  das  Vaterland  rief, 
macht  der  Jung  ein  Gedicht  und  kommt  ins  Archiv. 
Er  will  aber  hinaus  —  statt  dort  is  ihm  lieber 
er  geht,  und  wird  gleich  Dramaturg  bei  Ben  Tiber, 
Biltsie    drin    muß    er   schreiben,    was   sich   draußen 

ereignet! 
Der  Jüngste  is  nebbich  ungeeignet. 

Naschkatz 

Ihr  könnt  nicht  genug  die  Mezzie  euch  preisen, 
ihr  starbt  doch  für  Wolle,  wir  leben  für  Eisen. 
Und  wir  müssen  gestern  und  heute  und  morgen 
uns  noch  für  Leder  und  Seife  und  Tafelöl  sorgen. 
Freihändig  offeriert  man  und  erlebt  noch  die  Schand, 
ein  Dutzend  Waggons  bleibt  einem  in  der  Hand! 
Jetzt  gehts  noch,   doch   im  Frieden  —  da  sag  ich 

von  Glück, 
wenn,  Gott  geb,  entsteht  eine  Waffenfabrik. 


768 


Fressack 

Gott  verhüte  das  Unglück,  wer  redt  heut  von  Frieden, 
wir  haben  uns  zur  Not  mit  der  Kriegsnot  beschieden. 
Wir  liefern  und  leisten,  und  geben  auch  was  her  — 
dann  w'ärn  wir  geliefert,  und  das  war  ein  Malheur. 
Was  heißt  Waffenfabrik,  ich  bin  zufrieden  mit  Skoda, 
die  Wirkung  wie  treffend  beschreibt  Roda  Roda. 
Wenn    ihr   schon    genug   habt,   so  laßt   nackt  euch 

begraben, 
meine  Frau  will  einen  neuen  Pelzmantel  haben. 

Naschkatz 

Ihr  könnt  es  uns  glauben,  das  Leben  ist  sauer, 
ihr  Toten,  ihr  solltet  für  uns  tragen  Trauer. 
Wenn  sich  einmal  herausstellt,   man  hat  umsonst 

sich  geplagt, 
das  Friedensrisiko  —  Ihnen  gesagt  1 
Wie  wenig  bleibt  einem,  denn  für  meinen  Sohn 
kauf  ich  jetzt  ein  Gut,  und  mein  Freund  wird  Baron. 
Einem  jeden  das  Seine.  Dem  Helden  das  Grab. 
Wir  sind  die  Hyänen.  Uns  bleibt  nur  der  SchabI 

Chor  der  Hyänen 

So  sei's!  So  sei's! 
Doch  nur  leis!  Nur  leis! 
Die  Schlacht  war  heiß 
und  durch  eueren  Schweiß 
und  durch  unseren  Fleiß 
ist  gestiegen  der  Preis. 
Gott  weiß,  Gott  weiß. 
Noch  drei  Waggon  Reis 
und  noch  drei  Waggon  Mais 
stehn  auf  dem  Geleis. 
Steh  auf,  geh  leis! 
Wir  schließen  den  Kreis. 
So  sei's!  So  sei's! 


769 


Tango  der  Hyänen  um  die  Leichen.  Die  Flammenwand  im 
Hintergrund  ist  inzwischen  verschwunden.  Ein  schwefelgelber 
Schein  bedeckt  den  Horizont.  Es  erscheint  die  riesenhafte 
Silhouette  des  Herrn  der  Hyänen.  In  diesem  Augenblick 
stehn  die  Hyänen  still  und  bilden  Gruppen. 


Der  Herr  der  Hyänen 

Schwarzer,  graumelierter,  wolliger,  ganz  kurzer  Backen-  und 
Kinnbart,  der  das  Gesicht  wie  ein  Fell  umgibt  und  mit  eben- 
solcher Haarhanbe  verwachsen  scheint;  energisch  gebogene 
Nase;  große  gewölbte  Augen  mit  vielem  Weiß  und  kleiner 
stechender  Pupille.  Die  Gestalt  ist  gedrungen  und  hat  etwas 
Tapirar'iiges.  Jackettanzug  und  Piqueweste.  Der  rechte  Fuß  in 
aussch'eitender  Haltung.  Die  linke  Hand,  zur  Faust  geballt, 
ruht  an  der  Hosentasche,  die  rechte  weist  mit  gestrecktem  Zeige- 
finger, auf  dem  ein  Brillant  funkelt,  auf  die  Hyänen. 


Habt  acht!  Und  steht  mir  grade! 

Ich  komme  zur  Parade, 

und  es  gefällt  mir  gut. 

Ihr  habt  die  Schlacht  gewonnen! 

Nun  ist  die  Zeit  begonnen! 

Nun  zeiget  euren  Mut! 

Müßt  nicht  mit  leisen  Tritten 

den  Tod  um  Beute  bitten, 

Weh  dem,  der  jetzt  noch  schleicht! 

Nein,  sollt  mit  freiem  Fuße 

ihn  treten,  Gott  zum  Gruße! 

Denn  jetzt  ist  es  erreicht! 

Und  der  es  einst  vollbrachte, 
an  seinem  Kreuz  verschmachte, 
wert,  daß  man  ihn  vergißt. 
Ich  tret'  an  seine  Stelle, 
die  Hölle  ist  die  Helle! 
Ich  bin  der  Antichrist. 


Die  letzten  Tage  der  Menschheit.  49 


770 


Dank  steigt  von  allen  Dächern, 
daß  jener  zwischen  Schachern 
nun  auch  sein  Spiel  vollbracht. 
Sein  bißchen  Blut,  verronnen 
ist's  kläglich  an  den  Tonnen 
der  unverbrauchten  Macht! 


Die  Liebe  ist  gelindert! 
Sie  hat  es  nicht  verhindert, 
was  nun  zum  Glück  geschah. 
So  hört,  ihr  wahrhaft  Frommen, 
das  Heil  ist  doch  gekommen, 
der  Antichrist  ist  nah! 

Die  nie  besiegte  Rache 
half  der  gerechten  Sache, 
ich  war  ihr  gutes  Schwert! 
Sie  zogen  blank  vom  Leder 
dank  meiner  guten  Feder. 
Die  Macht  nur  ist  der  Wert! 


Aus  diesem  großen  Ringen 
mit  vielen  Silberlingen 
gehn  siegreich  wir  hervor. 
So  schließen  sich  zum  Ringe 
die  altgedachien  Dinge. 
Das  Kreuz  den  Krieg  verlor! 


Und  die  gekreuzigt  hatten, 
wir  treten  aus  dem  Schatten 
mit  gutem  Judaslohn! 
Mich  schickt  ein  andrer  Vater! 
Von  seinem  Schmerztheater 
tritt  ab  der  Menschensohn. 


771 


Er  weicht  dem  guten  Bösen. 
Er  wüiit'  die  Welt  erlösen; 
sie  ist  von  ihm  erlöst. 
Damit  sie  ohne  Reue, 
was  sie  erlöst  hat,  freue 
und  für  den  Himmel  tröst'! 

Der  Haß  mußt'  sich  empören. 
Um  nimmer  aufzuhören, 
war  Liebe  nicht  gemacht. 
Dank  dieser  Weltverheerung 
gilt  eine  ewige  Währung, 
zu  der  der  Teufel  lacht! 

Geht  auch  die  Welt  auf  Krücken, 
der  Fortschritt  mußte  glücken, 
ging  aufs  Geschält  er  aus. 
Was  Gott  nicht  will,  gelingt  doch, 
der  Teufel  selber  hinkt  do:h 
und  macht  sich  nichts  daraus. 

Mit  invalider  Ferse 
geht  dennoch  er  zur  Börse 
und  treibt  den  Preis  hinauf. 
Dort  ist's  gottlob  nicht  heilig, 
der  Teufel  hat's  nicht  eilig 
und  läßt  der  Welt  den  Lauf. 

Ich  bin  sein  erster  Faktor,    ;      . 
ich  bin  des  Worts  Redaktor^  oib 
das  an  dem  Ende  steht.  o 

Ich  kann  die  Seelen  packen       ^ 
und  trete  auf  den  Nacken 
von  aller  Majestät! 


49* 


772 


Ich  züchtige  die  Geister. 
Drum  zollet  eurem  Meister 
den  schuldigen  Tribut. 
Nach  diesen  großen  Taten 
auf  größern  Inseraten 
die  neue  Macht  beruht. 


Das  Leben  abzutasten 
mit  unbeirrtem  Hasten, 
seid,  Brüder,  mir  bereit. 
Versteht  der  Zukunft  Zeichen, 
tastet  noch  ab  die  Leichen, 
in  Ziffern  spricht  die  Zeitl 

Laßt  keine  Werte  liegen, 
die  dann  die  andern  kriegen, 
macht  eure  Sache  ganz! 
Tragt  ein  in  die  Annalen 
die  intressantcrn  Zahlen 
und  macht  mir  Blutbilanz  1 


Der  alte  Pakt  zerreiße! 
So  wahr  ich  Moriz  heiße, 
der  Wurf  ist  uns  geglückt! 
Weil  jener  andre  Hirte 
sich  ganz  gewaltig  irrte! 
Ich  heiße  Benedikt! 


Ich  bin  gottlob  verwandt  nicht, 
die  andere  Welt  sie  ahnt  nicht, 
daß  ich  ein  andrer  Papst. 
Denn  alle  an  mich  glauben, 
die  wuchern  und  die  rauben 
und  die  im  Krieg  gegrapst. 


773 


Die  Frechen  und  die  Feigen 
vor  meinem  Thron  sich  neigen, 
denn  nun  erst  gilt  das  Geld. 
Daß  nie  der  Zauber  weiche 
von  diesem  meinem  Reiche! 
Es  ist  von  dieser  Welt! 

Ging'  es  nicht  über  Leichen, 
die  dicken,  schweren  Reichen 
das  Reich  erreichten  nie. 
Steht  auch  die  Welt  in  Flammen, 
wir  linden  uns  zusammen 
durch  schwärzliche  Magie! 

Durch  die  geheime  Finte 
zum  Treubund  rief  die  Tinte 
die  Technik  und  den  Tod. 
Mögt  nie  den  Dank  vergessen 
den  Blut-  und  Druckerpressen. 
Ihr  habt  es  schwarz  auf  rot! 

Ich  traf  mit  Druckerschwärze 
den  Erzfeind  in  das  Herze! 
Und  weil  es  ihm  geschah, 
sollt  ihr  den  Nächsten  hassen, 
um  Judaslohn  verlassen  — 
der  Antichrist  ist  da! 

Walzer  der  Hyänen  um  die  Leichen. 


Die    Hyänen 

So  sei's  1  So  sei's! 
Wir  treten  mit  Mut. 
Wir  treten  nicht  leis. 
Wir  trinken  das  Blutl 


774 


Wir  treten  mit  Mut. 

Wir  trinken  es  heiß. 

Wir  treiben  das  Blut. 

Wir  treiben  den  Preis! 

Vergossen,  vergessen, 
genossen,  gegessen, 
wir  prassen  und  pressen, 
wir  treiben  den  Preis  1 

So  sei's!  So  sei's! 
Wir  treiben  es  mit  Mut. 
Die  Schlacht  war  heiß. 
Wir  pressen  das  Blut! 

Nicht  sinke  der  Mut. 
Wir  bleiben  im  Kreis. 
Wir  treiben  das  Blut. 
Nicht  sinke  der  Preis! 

Vergossen,  vergessen, 
genossen,  gegessen, 
wir  fressen  und  pressen, 
wir  treiben  den  Preis! 

Wir  treten  und  treiben 
und  trinken  das  Blut. 
Wir  pressen  es  gut! 

Wir  treten  und  treiben 
und  trinken  es  heiß. 
Wir  treiben  den  Preis! 

Schlaft  gut,  schlaft  gut! 
Wir  treten  nicht  leis. 
Eia  popeia! 
So  sei's!  So  sei's! 

Die  Hyänen  lagern  sich  über  die  Leichen. 

Drei    gelegentliche  Mitarbeiter  erscheinen. 


776 


Der  erste  gelegentliche  Mitarbeiter 

Der  Frühschein  schon  über  der  Finsternis  liegt. 
Der  Walzer  hat  über  den  Tango  gesiegt. 

Der  zweite  gelegentliche  Mitarbeiter 

Wie  sich  endl-ch  der  Frohsinn  der  Trübsal  gesellt! 
Es  sind  die  Vertreter  der  Handelswelt. 

Der  dritte  gelegentliche  Mitarbeiter 

Das  Leben  erholt  sich  von  mühvollen  Taten, 
's  gibt  Industriekapitäne  und  Bankmagnaten. 

Der  erste 

Ich  muß  nicht  mehr  in  der  Einsamkeit  wandern. 
Ich  habe  sie  schon  bemerkt  unter  andern. 

Der  zweite 

Mir  scheint  selbst,  das  Ziel  ist  gar  nicht  mehr  weit. 
Ich  hatte  bereits  die  Gelegenheit. 

Der  dritte 

Man  hat  auch  genug  von  dem  Treiben  der  Truppen. 
Es  bilden  sich  wieder  die  anderen  Gruppen. 

Der  erste 

Das  wird,  mein'  ich,  jetzt  ein  ganz  anderer  Fall. 
Ich  wittere  Morgenluft  und  Concordiaball! 

Der  zweite 

Er  tibertrifft  ganz  gewiß  seine  Vorgänger  weit.    : 
Frau  Fanto  trägt  ein  Ecru-Creme-Crepe-Souplekleid. 


776 


Der  dritte 


Die  Estrade  wird  kaum  iiire  Zugkraft  verlieren. 
Das  Publikum  seh'  ich  bereits  sich  massieren. 


Der  erste 

Daß  sie,  gottbehüt,  nicht  zusammenbräche! 
Jetzt  ziehn  sie  sich  alle  schon  in  die  Gespräche. 


Der  zweite 

Jetzt  kommen  auch  die,  die  sich  immer  begeben. 
Was  sich  sonst  noch  begibt,  soll  man  nicht  erleben. 


Der  dritte 

Der  Salvator  hat  einen  elastischen  Schritt. 
Drei  kaiserliche  Räte  erscheinen  zu  dritt. 

Der  erste 

Zwei  Konsuln  erscheinen,  weil  man  sie  vermißte 
sonst  in  der  sonst  schon  vollzähligen  Liste. 

Der  zweite 

Man  verliert  keine  Zeit,  die  Verlustliste  lesend. 
Zum  Glück  ist,  was  Namen  hat,  heute  anwesend. 

Der  dritte 

Denn  hier  geschieht,  was  längst  geschah; 
die  da  sind  da  zu  sein,  sind  da!    y^"  'y^»*»"' 


777 


Der  erste 


Es  wimmelt  von  Sternen  und  auch  Koryphän, 
nein,  was  sich  da  tut,  man  wird  doch  da  sehn! 

Der  zweite 

Der  Generalstab  ist  verhindert,  aber  der  Höfer  ist 

erschienen. 
Noch  liegt  der  Ernst  auf  den  sämtlichen  Mienen. 

Der  dritte 

In  der  welthistorischen  Faschingsnacht 

weiß  man  doch,  wofür  man  die  Opfer  gebracht. 

Der  erste 

Gern  möcht'  ich  noch  wissen,  was  der  Feind  sich 

da  dächte. 
Denn,  ei,  der  Humor  tritt  schon  in  seine  Rechte. 

Der  zweite 

Sieh,  alles  ist  da,  die  Niedern  und  Obern. 
Die  Jugend  will  sich  das  Tanzrecht  erobern. 

Der  dritte 

Ich  fürchte,  zu  Ende  geht  dieses  Fest. 

Sie  sehn  doch,  der  Teufel  tanzt  mit  der  Pest! 

Sie  entfliehn. 


778 


Nun  ist  der  ganze  Horizont  von  Rauchschwaden  bedeckt.  Ein 
scharlachfleckiger  Mond  tritt  aus  den  Wolken,  die  in  schwarzgelben 
und  farbigen  Fetzen  hängen.  Im  Feld  ein  chaotisches  Durch- 
einander aller  Truppenkörper.  Drei  Panzerautomobüe  erscheinen. 
Menschen  und  Tiere  in  wilder  Flucht.    Stimmengewirr. 

Erste  Stimme 

Mir  klappern  die  Knochen,  mir  klappern  die  Knochen! 
Der  Angriff  ist  in  unserem  Feuer  gebrochen. 

Zweite 

Die  Affäre  wird  uns  noch  übel  bekommen! 
Wir   haben    die   Stellung   mit   kühnem    Handstreich 

genommen. 

Dritte 

Das  halt'  wenn  er  Lust  hat  der  Teufel  au?! 
Wir  werfen  den  Gegner  aus  dem  Graben  hinaus. 

f-  Vierte 

Da  hat  uns  der  Herrgott  was  Schönes  beschert! 
Zwei  der  Unsrigen  sind  nicht  zurückgekehrt. 

Erste 

Ich  fürchte,  verlustreich  ist  diese  Schlacht! 
Wir  haben  Gefangene  eingebracht. 

Zweite 

Der  Feind  furcht'  ich  uns  von  der  Flanke  bedroht! 
Ein  Säugling  und  zwei  Zivilisten  sind  tot. 


779 


Dritte 

Etliche  Volltreffer  haben  wir  heute  erzielt! 
Fünf  Kinder  haben  auf  dem  Spielplatz  gespielt. 

Vierte 

Wir  sind  hin,  ob  Fußtruppe  oder  reitend! 
Der  militärische  Schade  ist  unbedeutend. 

Erste 

Die  drüben  so  mörderisch  Kirchweih  feiern, 
kein  Zweifel,  es  sind  die  braven  Bayern! 

Zweite 

Das  wird  ja  mit  jedem  Augenblick  ärger! 
Es  sind  wohl  die  wackeren  Württemberger. 

Dritte 

Die  jetzt  ihre  Todesverachtung  bewiesen, 
das  sind  die  Thüringer,  Pfälzer  und  Friesen. 


Vierte 

Das  Ergebnis  der  Handlung  wird  es  euch  lehren, 
daß  sich  die  heißblütigen  Honveds  bewähren. 


Erste 

Ihnen  die  Angriffslust  zu  bewahren, 
treiben  wir  vorwärts  die  tapfern  Bulgaren. 


780 


Zweite 


Die  dort  so  schlappe  sicii  schieben  und  schleppen, 
das  sind  die  verbündeten  Kismetknöppen. 

Dritte 

Na  warts,  jetzt  gibts  ordentlich  Hieb  mit  der  Peitschen! 
Jetzt  kommen  die  Deitschen!   Ja,  das  sind  halt  die 

Deitschen ! 

Vierte 

Es  regnet  in  Strömen,  das  Terrain  wird  schon  weicher. 
Das  sind  die  gemütlichen  Österreicher. 

Diese 

Da  sind  wir  in  einer  schönen  Soß! 
Das  ist  der  lange  erwartete  Gegenstoß! 

Jene 

Wer  nicht  deutsch   mit  dem   Feind   spricht,  ist  ein 

Hundsfott!  'n  Halunke! 
Ihr  seid  in  der  Sauce,  wir  sind  in  der  Tunke! 

Verschieden  e 

Was  geht  denn  nur  vor,  sind  wir  denn  vereint? 
Schießt  der  Feind  auf  den  Freund   oder  der  Freund 

auf  den  Feind? 

Andere 

Was  soll  uns  denn  diese  Verbrüderung  nützen? 
Die  schießen  ja  mit  unsern  eignen  Geschützen! 


781 


Alle 


Das  ist  wohl  die  schwerste  von  allen  unsern  Krisen! 
Der  Angriff  ist  mühelos  abgewiesen. 

Die  eine 

Wir  sind  aus'm  Wasser  1  Das  Himmelsgewölb 
verfärbt  sich,  auf  einmal  is  alles  schwarzgelb! 

Die  andere 

Ach,  's  ist  doch  zum  Schießen,  ik  lache  mir  tot, 
der  Himmel  vaschtehste  ist  nur  schwarzweißrot! 

Die  e  ine 

Ja  Schmarrn,  da  schau  her,  das  siehst  du  doch  selber, 
über  euch  is  er  schwarz,  über  uns  is  er  gelber. 

Die  andere 

Der  Himmel  allein  weiß,  wofür  wir  hier  starben. 
Er  führt  selbstvaständlich  nur  unsere  Farben! 

Beide 

Jedenfalls  will  er  freundlich  den  Fortgang  begleiten, 
schön  ist  es,  Schulter  an  Schulter  zu  streiten. 

Die  ei  ne 
UndaniEnd  wird  sich  unsdieGeschichte schonlohnen  — 

Die  andere 

dank  unsern  vortrefflichen  Kruppkanonen. 
Wir  verlassen  uns  ganz  auf  unsere  Stärke  — 

Die  eine 
durch  Gottes  und  unsere  Skoda- Werke. 


782 


Beide 


Doch  fürchten  wir  beide  noch  aufzusitzen, 
denn  wir  haben  ja  die  neuesten  Feldhaubitzen! 


■R  bni 


,..  Blitze 

Alle  Stimmen 
durcheinander 

Ja,  die  da  sind  schneidig! 
Die  hier  haben  Flammen! 
Die  dort  sind  uns  neidig, 
wir  hau'n  alles  zusammen! 

Feurige  Schlangen  am  Himmel,  rote  und  grüne  Lichter 

Was  ist  denn  los?  Was  ist  denn  los? 


Stimmen  von  oben 
Der  larige  erwartete  Gegenstoß! 

Stimmen  von  unten 

V/ir  sind  die  Sieger!  Wir  sind  die  Sieger! 
Kopf  hoch,  das  sind  ja  die  eigenen  Flieger! 

)      Stimmen  von  obenj  ii3äcj»i.:/> 

Ja,  Flieger,  die  mit  ganz  andern  Gewichten 
euch  den  militärischen  Stützpunkt  vernichten! 


783 


Stimmen  von  unten 

Das  ist  gar  ein  prächtiger  Zeitvertreib, 
die  löten  das  Kind  dann  im  Mutterleib! 

Feurige  Sterne,  Kreuze  und  Schwerter  am  Himmel 

Seht,  welche  Pracht, 
mit  den  schönsten  Orden 
lohnt  diese  Nacht 
unser  braves  Morden. 

Leuchtende  Kugeln,  Feuergarben 

Die  Untertanen 
Ereignisse  merken 
mit  Flaggen  und  Fahnen 
und  Feuerwerken. 

Drei  Kometen  erscheinen 

Stimmen  von  oben 

Drei  feurige  Reiter  auf  feurigen  Rossen! 

Daß  die  euch  am  Ende  nicht  schlechter  gefielen! 

Stimmen  von  unten 

Bei  uns  kommen  sie  wie  aus  der  Kanone  geschossen, 
sie  kommen  auf  Panzerautomobilen! 

Stimmen  von  oben 

Nicht  unwürdig  wären  sie  eures  Danks! 
Sind  Maschinen  von  einem  andern  Gusse! 

Stimmen  von  unten 

Wir  kennen  den  Schwindel,  wir  hab'n  unsre  TankS/ 
die  apokalyptischen  Autobusse! 


784 


Zwei  Ordonnanzen  kommen 

Erste  Ordonnanz 

Laßt  Hosianna  erschallen,  laßt  Hosianna  erschallen: 
Bomben  sind  auf  den  Ölberg  gefallen! 

Zweite  Ordonnanz 

Das  gläubige  Ohr  kein  Zweifel  belästigt: 
Der    Ölberg  war  längst  militärisch  befestigt  1 

Erste 

Lob  sei  von  euch  dem  Kühnen  gesungen, 
und  preiset  mir  auch  den  Weisen  laut: 
dem  endlich  der  große  Wurf  gelungen, 
und  jenen,  der  rechtzeitig  vorgebaut. 

Zweite 

Jenen  und  diesen,  die's  endlich  vollbrachten, 
laßt  sie  auf  Lorbeern,  auf  Dornen  nicht  ruhn. 
Denn  wenn  sie  sich  auch  etwas  anderes  dachten, 
ach,  sie  wußten  doch,  was  sie  tun. 

Beide 

Wenn  statt  der  Kanone  das  Kreuz  getroffen, 
bei  verfehltem  Ziel  ist  die  Absicht  löblich. 
Nicht  splitterrichtend,  wollen  wir  hoffen: 
Der  militärische  Schade  ist  unerheblich. 

Ein  großes  blutiges  Kreuz  erscheint 

Stimmen  von  oben 

Nun  tretet  zurück,  der  Anblick  gebeut's! 
Habt  Achtung  vor  unserem  roten  Kreuz! 


785 


Stimmen  von  unten 


Wer  macht  uns  das  nach,  uns  macht  man  nichts  vor, 
wir  achten  kein  Amen,  wir  scheuen  kein  Omen! 
Solang  unser  Kaiser  den  Kopf  nicht  verlor, 
schreckt  uns  kein  Astronom  mit  seinen  Phantomen! 

Blutregen  setzt  ein 

Stimmen  von  oben 

Geht  zurück,  wenn  ihr  könnt,  und  seid  auf  der  Hui! 
Bei  euch  ist's  zu  trocken,  von  oben  fließt  Blut! 

Stimmen  von  unten 

Unser  neuester  Trick,  das  muß  man  nur  wissen, 
das  hat  unser  Kriegsrat  längst  beschlossen. 
Wir  haben  doch  den  Feind  in  der  Luft  zerrissen,    . 
so  kommt  eben  das  Blut  von  oben  geflossen. 
Die  Einheit  der  Fronten  ist  hergestellt  — 

Stimmen  von  oben 
wenn  eine  mit  der  andern  zusammenfällt! 

Stimmen  von  unten 

Wir  sind  stärker  denn  je,  wenn  das  Wetter  nur  will, 
so  hat  uns  der  Generalstab  berichtet. 

Stimmen  von  oben 

Doch  das  Wetter  pariert  einem  andern  Drill! 

Der  Himmel  ist  schwarz,  eure  Reihn  sind  gelichtet! 

Aschenregen  setzt  ein 

Die  letzten  Tage  der  Menschheit,  SO 


786 


Stimmen  von  unten 


Das  ist  ja  ein  Segen,  das  ist  ja  ein  Segen, 
das  ist  unser  künstlicher  Aschenregen! 

Steinregen  setzt  ein 

Mit  Steinen  schmeißen?  Ein  altes  Verfahren I 
Da  sind  unsre  Handgranaten  schon  neuer. 
Der  Anwurf  prallt  an  uns  ab,  die  seit  Jahren 
sind  abgehärtet  im  Trommelfeuer! 


Stimmen  von  oben 

Wir  sind  drin  noch  nicht  so  sehr  fortgeschritten, 
doch  werden  wir  es  mit  der  Zeit  schon  noch  lernen. 
Denn  unter  uns,  den  besseren  Sternen, 
gibt  es  zwar  Vaganten,  doch  unter  uns  Banditen! 


Stimmen  von  unten 

Jeder  Stern  kann  von  Glück  sagen,  scheint  er  über 

Berlin. 
Eure  Offensive  ist  der  typische  Anfangsgewinn! 

Funltenregen  setzt  ein 

Eine  Stimme  von  unten 

Ich  komm'  nicht  ins  Reine 
mit  der  Erscheinung. 
Davon  hab'  ich  meine 
besondere  Meinung. 


787 


Zweite  Stimme  von  unten 

Was  soll  dieses  Schwirren? 
Was  soll  das  Gefunkel? 
Es  scheint  —  davor  irren 
wir  alle  im  Dunkel. 


Völlige  Finsternis 


Die  Kino-Operateure 

Das  gibts  nicht,  was  heißt  das,  das  ist  doch  kein 

Licht! 
Da  wird  ja  doch  keine  Nummer  daraus, 
zwischen  dem  Sketch  »Willi  geniert  sich  nicht« 
und  dem  Detektiv-Schlager  »Mir  kommt  keiner  aus!« 
Das  gibts  nicht,  wir  haben  doch  einen  Vertrag, 
wir  brauchen  einen  Treffer  und  keine  Nieten! 
Der  Isonzofilm  läßt  sich  zwar  nicht  tibet bieten, 
doch  woll'u  wir  mehr  Licht  für  den  »Jüngsten  Tag«  1 


Eine  Stimme  von  oben 

Zu  eurem  unendlichen  Schädelspalten 

haben  wir  bis  zum  Endsieg  durchgehalten. 

Nun  aber  wißt,  in  der  vorigen  Wochen 

hat  der  Mars  die  Beziehungen  abgebrochen. 

Wir  haben  alles  reiflich  erwogen 

und  sind  in  die  Defensive  gezogen. 

Wir  sind  denn  entschlossen,  euern  Planeten 

mit  sämtlichen  Fronten  auszujäten 

und  mit  allen  vermessenen  Erdengewürmen, 

die  sich  erfrechten,  die  Sphären  zu  stürmen, 


M* 


788 


und  wie  immer  sie  sich  gewendet  haben, 
das  Bild  der  Schöpfung  geschändet  haben, 
die  Tiere  gequält  und  die  Menschen  versklavt, 
die  Schande  geehrt  und  die  Würde  bestraft, 
die  Schlechten  gemästet,  die  Guten  geschlachtet, 
die  eigene  Ehre  am  tiefsten  verachtet, 
sich  als  Hülle  irdischer  Güter  benutzt, 
ihre  Sprache  durch  ihr  Sprechen  beschmutzt, 
und  Seele  und  Sinne,  Gedanke  und  Wort 
und  ihr  Jenseits  nur  aufgemacht  für  den  Export, 
und  Tod  und  Teufel  und  Gott  und  die  Welt 
und    die    Kunst    in    den    Dienst    des    Kaufmanns 

gestellt, 
den  Lebenszweck  hinter  dem  Mittel  versteckt, 
mit  dem  Leib  ihre  Fertigware  gedeckt 
als  Knechte  ihrer  Notwendigkeiten, 
die  ihr  Dasein  mit  ihrem  Dasein  bestreiten, 
sich  selber  für  das  Produkt  verkauft 
und  mit  dem  andern  um  den  Rohstoff  gerauft, 
und  ihren  Handel  mit  Haß  nicht  geendet, 
mit  Geld  und  Gift  sich  die  Augen  geblendet, 
in  ihrem  ruchlos  verblendeten  Nichts 
sicti  unwert  erwiesen  des  ewigen  Lichts 
und  unter  den  Strahlen  der  Sterne  und  Sonnen 
sich  Schlachten  geliefert  und  Schanden  gewonnen, 
im  Frevel  geeint,  von  Süden  bis  Norden 
den  Geist  nur  verwendet,  um  Leiber  zu  morden 
und  einverständlich  von  Osten  bis  Westen 
die  Luft  mit  Rache  und  Rauch  zu  verpesten, 
die  beten  konnten,  um  besser  zu  töten 
und  nicht  vor  Scham,  nur  von  Blut  zu  erröten, 
ihren  Gott  gelästert  und  ihrer  Natur 
zertreten  die  letzte  lebendige  Spur, 
das  Blaue  vom  Himmel  heruntergelogen, 
mit  Landesfarben  die  Landschaft  betrogen. 
Eisen  gefressen,  jedoch  zumeist 
mit  siegreichen  Lügen  sich  abgespeist, 


789 


auf  die  Not  des  Nebenmenschen  gepocht, 
am  Brand  des  Nachbarn  die  Suppe  gekocht, 
von  fremdem  Hunger  die  Nahrung  genommen, 
und  sich  dabei  selber  nicht  satt  bekommen, 
das  Haupt  des  andern  mit  glühenden  Kohlen 
beladen,  um  sich  etwas  Wärme  zu  holen 
und  diese  Empfindung  frech  zu  besteuern 
und  die  Butter  am  eigenen  Kopf  zu  verteuern, 
erpreßt  und  geplündert,  gelogen  wie  gedruckt 
und  als  Kost  nur  den  eigenen  Wahn  verschluckt, 
Invaliden  auf  allen  Siegeswerkeln, 
Agenten  mit  Lues  und  frischen  Tuberkeln, 
Händler  und  Helden  und  Menschenjäger, 
Bombenwerfer,  Bazillenträger, 
Raubbauer  am  Schatze  der  Phantasie, 
Bankrotteure  der  eigenen  Ökonomie, 

Buschräuber  hinter  dem  Ideale, 

Glücksritter  in  einem  Jammertale, 
gepanzert  mit  Bildung,  gewandt  und  gelehrt, 

überbewaffnet  und  unterernährt, 

von  Gnaden  ihrer  Maschine  mächtig, 

hochmütig  und  dennoch  niederträchtig, 

von  sich  überzeugte  Untertanen, 

erbaute  Erbauer  von  Bagdadbahnen, 

Hochstapler  der  Höhen   und  Schwindler  der  Tiefen, 

Hyänen,  die  Leben  und  Tod  beschliefen, 

Flieger,  die  an  dem  Irdischen  haften, 

Sklaven  der  neusten  Errungenschaften, 

in  Tort  und  Technik  bestens  erfahren, 

elektrisch  beleuchtete  Barbaren, 

die  vor  dem  Tod  noch  den  Einfall  hatten, 

ihn  mit  allem  Komfort  fix  auszustatten, 

so  daß  er  bei  jenen  behaglich  gelebt, 

die  auf  der  Flucht    vom   Ursprung    das   Kriegsziel 

erstrebt  I  — 

Nicht  abgeneigt  einem  Verständigungsfrieden, 

hat  das  Weltall  sich  folgendermaßen  entschieden: 


790 


Wir  vom  Mars  sind  gar  nicht  eroberungssüchtig. 
Doch  greift  man  was  an,   so  greift  man  es  ttichtig. 
Zum  Heil  des  Alls  und  all  seiner  Frommen 
haben  wir  eure  Methoden  angenommen. 
Sowohl  um  zu  forschen  wie  um  zu  töten 
war  uns  eure  Wissenschaft  vonnöten. 
Durchs  Fernrohr  betrachtet  war  euer  Stern  uns  nur 

Schnuppe: 
wir  besahn  den  martialischen  Zwerg  durch  die  Lupel 
Wir  woll'n  nur  ein  wenig  das  Wetter  erheitern, 
doch  nimmer  an  euch  unsre  Grenzen  erweitern. 
Die  Prüfung  war  schwer.  Vernehmt  das  Ergebnis: 
Wir  planen  mit  euch  ein  besondres  Erlebnis. 
Fern  sei  es  von  uns,  euch  zu  annektieren, 
wir  würden  dadurch  an  Prestige  verlieren. 
Zu  friedlicher  Arbeit  dem  Kosmos  zu  nützen, 
wollen  wir  nur  die  eigenen  Grenzen  schützen. 
Entschlossen,  auf  euern  Besitz  zu  verzichten, 
wollen  wir  das  Geschäft  ganz  anders  verrichten. 
Die  Kriegskosten  werdet  ihr  freilich  bezahlen, 
da  der  Schuldner  getilgt  wird  aus  den  Annalen, 
damit  auf  Ewigkeitsdauer  die  Sphären 
sich  über  Störung  der  Harmonie  nicht  beschweren, 
nicht  greife  in  den  verschlossenen  Äther 
die  Hand  der  Denker  und  Attentäter, 
und  kein  Schlachtendonner,  kein  Handelstauschen 
je  dringe  zu  unserm  verschwiegenen  Rauschen  I 
Habt  lange  genug  im  Weltall  gesprochen. 
Die  Ewigkeit  ist  bereits  angebrochen. 
Lang'  wartetet  ihr  und  warteten  wir, 
wir  harrten  geduldig,  ihr  hofftet  mit  Gier. 
Und  damit  doch  auf  eurer  noch  hoffenden  Erd€ 
nun  endlich  der  endliche  Endsieg  mal  werde, 
und  damit  sich  dagegen  kein  Widerspruch  regt 
haben  wir  sie  erfolgreich  mit  Bom.ben  belegt I 

Meteorregen  setzt  ein 


791 


Stimme  von  unten 

Mal  'ran  ins  Feldl 
Noch  einer  mehr! 
Und  wenn  die  Welt  — 

Flammenlohe 

Stimme  von  unten 

Nur  feste  druff! 
Auf  Knall  und  Fall! 
Es  braust  ein  Ruf  — 

Weltendonner 

Stimme  von  unten 

Das  ist  uns  neu! 
Was  soll  das  sein? 
Fest  steht  und  treu  — 

Untergang 

Stimme  von  unten 

Wir  sind  verbrannt! 
Wer  brach  da  ein? 
Lieb  Vaterland  — 

Ruhe 


792 

Stimme  von  oben 

Der  Sturm  gelang.  Die  Nacht  war  wild. 
Zerstört  ist  Gottes  Ebenbild! 

Großes  Schweigen . 

Die  Stimme  Gottes 
Ich    habe    es   nicht    gewollt. 


B'^^"^    MAY  2    1968 


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