Das Internet, die technische Leitutopie unserer Zeit, ist von der Hoffnung zum Problem geworden. Das Netz aus Großprovidern und Megakonzernen wie Google oder Facebook bietet den einzelnen Menschen kaum noch persönliche Aufstiegschancen. Dazu kommt, dass die NSA und ihre zahlreichen Pendants das Netz militarisiert und es damit zu einem System gemacht haben, in dem nur noch mächtige Organisationen bestehen können. Ein Internet ohne Utopie ist aber tot. Wenn das Netz weiter lebendig bleiben soll, müssen seine Unterstützer sich einer Bestandsaufnahme stellen.

Den aktuellen Debatten über die Zukunft des Netzes liegen oft zwei falsche Annahmen zugrunde. Die erste besteht darin, das Internet nur als Mediensystem zu betrachten, wie Telefon, Radio oder Fernsehen. Doch das Netz ist auch ein Produktionsmittel, nicht nur für Medienunternehmen. Die derzeit spürbaren gesellschaftlichen Verwerfungen lassen sich auf Schübe der Rationalisierung und Machtkonzentration zurückzuführen, welche die zunehmende Verbreitung dieses Produktionsmittels mit sich bringt.

In dieser Krise tritt auch die Auffassung in den Hintergrund, das Internet und seine Dienste seien, unter Rückgriff auf Joseph Schumpeters Vorstellungen von der "kreativen Zerstörung" einzelner Branchen durch technische Innovationen, zuvorderst "disruptiv".  

Das Netz ist der neue Bourgeois

Die von Google, Facebook und anderen Firmen planierte Landschaft gibt nun den Blick frei auf die auch von Schumpeter betonte historische Perspektive: Man sieht heute von der Welle nicht mehr nur den Punkt, an dem sie bricht. Um zu erahnen, in welcher Situation die postindustriellen Gesellschaften sich gerade befinden, genügt es, in einem Text von 1848 nur einen einzigen Begriff durch das Wort "Internet" zu ersetzen. Man liest dann:

"Das Internet kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren."

Und:
"Das Internet hat durch seine Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Es hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet."

Aber:
"Das Internet hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Es hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert."

Das klingt nach der gängigen Kritik an Google, Facebook oder Amazon. Dabei sind es Sätze aus dem Manifest der Kommunistischen Partei. Der Begriff, den das Wort "Internet" in den obigen Zitaten ersetzt, ist der des "Bourgeois". Heute ist es transformative Kraft von damals, das Bürgertum, das sich bedroht sieht. Freilich nicht mehr durch den Kommunismus, sondern eben durch die technosoziale Innovation des Internets, das es liebt und bewundert, dessen erfolgreichste Exponenten wie Jeff Bezos, Larry Page oder Mark Zuckerberg zu seinen Helden zählen. Und doch macht sich im Bürgertum ein Unwohlsein breit.