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Re:publica-Eröffnungsrede: Von Afrika lernen

Foto: SPIEGEL ONLINE

Re:publica Von Afrika lernen

Der Kenianer Eric Hersman berichtet, wie sich Gründer in Afrika gegen alle Widerstände durchsetzen. Sie verlassen sich nicht auf Hilfe von außen, sondern packen als Gemeinschaft selbst an.

Bevor Erik Hersman die Bühne für seine Eröffnungsrede betritt, ist der größte Saal der re:publica noch voll. Bis ganz hinten stehen Menschen, um die Begrüßung der re:publica-Organisatoren zu hören. Es geht um den "Lebensraum Internet", es geht um die Telekom, die Bandbreiten drosseln will, darum, dass Deutschland in einem Ranking von Staaten nach durchschnittlicher Geschwindigkeit der Netzanbindung auf Platz 19 steht. Die re:publica-Gründer fordern von Angela Merkel und der EU die Durchsetzung der Netzneutralität, der Saal applaudiert. Dann ist die Begrüßung vorbei, die Hälfte der Zuschauer verlässt den Raum, und Erik Hersman spricht vor halb leeren Rängen über Afrika.

Hersman sieht aus, als könnte er Motorräder mit bloßen Händen zusammenschrauben, ein großer, kräftiger Kerl mit Vollbart, Glatze und Weste. Hersman ist weiß, er wuchs im Südsudan auf, er lebt in Kenia und vernetzt in Ostafrika Start-up-Gründer. Auch Hersman spricht auf der re:publica über Internetinfrastruktur. Er zeigt das Foto eines Start-up-Inkubators auf einem Universitätscampus in Äthiopien: übereinander gestapelte Schiffscontainer, die schmalen Seiten abgeflext und durch Glasscheiben ersetzt. Das sieht schick aus, hat aber ein Problem: Was macht man in einem Technologie-Inkubator, wenn der Festnetzanschluss für Wochen ausfällt?

"Niemand hilft dir"

Wie die Menschen vor Ort mit solchen Widrigkeiten umgehen, zeigt Hersman an einigen Problemlösern, die Menschen sich selbst gebastelt haben. "Niemand hilft dir, du musst es selbst machen", sagt Hersmann und zeigt unter anderem diese Beispiele:

  • Jugendliche haben sich einen Fußball aus Plastiktüten gebastelt. Wenn man den Müll eng genug zusammenschnürt und mit einem Netz aus Tütenfäden umwickelt, kann man damit gut spielen.

  • Ein Freund von Hersman hat den Prototypen eines Geländewagens entworfen, der neu so viel wie ein Piaggio Tuk-Tuk kosten soll: 6000 Dollar, der Wagen lässt sich leicht reparieren und wird in Kenia gebaut, mit Teilen aus China und Indien.
  • Ein Ingenieur hat einen Pkw-großen Wurzel- und Knollenverarbeiter aus Maschinenteilen gebaut, die er vor Ort besorgen konnte. Die Maschine produziert Stärke aus Cassava-Wurzeln oder Süßkartoffeln, viel schneller und effizienter als die bisherigen Verfahren.
  • Ein Jugendlicher hat sich aus Spritzen und Schläuchen eine Art Lego Pneumatics ohne Lego gebaut: Mit den sechs Spritzen steuert er die Schaufel eines Spielzeugbaggers, mit einer Autobatterie lässt er seinen Spielzeuglaster hin- und herfahren.

Hersman fördert solchen Erfindergeist und will Tüftler in die IT-Branche bringen. Dazu baut er Gründerzentren wie den iHub in Nairobi auf. Das Geld kommt von westlichen Regierungen, aber auch von Google. An solchen Orten gibt es einen Internetzugang, Computer, Unternehmen wie der große afrikanische Mobilfunkanbieter Safaricom schicken Manager zu Treffen. Die Interessenten kümmern sich selbst um ein Logo, die Räume, die Technik und die Internetanbindung. Hersman sagt: "So steigt die Identifikation, die Menschen werden aktiv, sie schaffen etwas." Mit dem nun drei Jahre alten iHub in Nairobi sind 152 IT-Firmen verbunden, zum Beispiel das kenianische Craigslist KilaKitu, der Online-Bringdienst Yum und Firmen, die Abrechnungs- und Buchhaltungssoftware entwickeln.

Vorbild für diese Organisation sind Dorfbewohner im Südsudan, die Hersman als Kind erlebte. Sie bauten ihre Hütten aus einem bestimmten Gras, das 50 Kilometer entfernt wuchs. Wie sie den Transport über diese Distanz ohne Autos, ohne nennenswerte Straßen geschafft haben? Hersman: "Das Dorf hat als Gemeinschaft für den Transport gesorgt. Die zwei, drei Leute, die ein Haus bauten, mussten den Transport nicht allein organisieren, das haben alle zusammen gemacht."

Per Kickstarter Afrika industrialisieren

Die Folgen der häufigen Ausfälle des Festnetzinternets in Afrika will Hersman mit einem neuen Projekt lindern. Er will in Afrika einen billigen Router bauen, der nahtlos zwischen Festnetz und 3G-Mobilfunk hin- und herschaltet. 20 Anwender soll das BRCK (so wie Brick, der Klotz) genannte Gerät versorgen, acht Stunden Akkulaufzeit soll es haben. Doch die Herstellung in Afrika gestaltet sich schwierig. Weil viele Bauteile importiert werden müssen, sind die Materialkosten hoch. Auf dem ganzen Kontinent gibt es gerade mal neun Fablabs, in denen man wenigstens ansehnliche Prototypen fertigen kann.

Hersman versucht es dennoch. Er sammelt Geld für die weitere Entwicklung auf Kickstarter . Es geht ihm dabei nicht nur um den Router selbst: "Wir brauchen Industrie in Afrika", sagt er. Und wenn die Bewohner sich nicht selbst darum kümmern, wird es niemand tun.

Von Afrika lernen

Seine Zuhörer in Deutschland können daraus eine Lehre ziehen: Wer über das Gebaren großer Online-Konzerne klagt, kann selbst etwas tun, Alternativen schaffen oder Alternativen unterstüten, zum Beispiel in Reparatur-Cafés, selbst gehosten Online-Diensten oder Unterstützung für die guten Alternativen kleiner Anbieter zu den vermeintlichen Gratisdiensten der Online-Riesen.