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Merkels neue Afghanistan-Strategie Parole Vernebelung

Angela Merkel will als Kriegskanzlerin nicht alleine dastehen. Für den unpopulären Afghanistan-Einsatz sucht sie möglichst breite Unterstützung in Opposition und Öffentlichkeit - und verharmlost die wachsenden Risiken des Einsatzes.
Kanzlerin Merkel: "Neue Etappe" in Afghanistan

Kanzlerin Merkel: "Neue Etappe" in Afghanistan

Foto: ddp

Afghanistan

Angela Merkel

Berlin - Die Kanzlerin redet vom -Krieg, doch es klingt, als ginge es um die Kreispolitik in Schleswig-Holstein. Man müsse "Zugang zu Beschäftigung" schaffen, sagt . Auch die "Entwicklung der ländlichen Räume" sei wichtig. Das Land brauche 700 Kilometer neue Straßen, "damit auch Märkte erreicht werden können, damit Produkte verkauft werden können".

Es ist Dienstagmorgen. Die Kanzlerin steht im ersten Stock der Berliner Regierungszentrale und erklärt die neue deutsche Afghanistan-Strategie. Es ist ihre Strategie. Sie hat sie in bewährter Moderatoren-Manier in den vergangenen Tagen zusammen mit den Koalitionspartnern entwickelt. Die Strategie markiere eine "neue Etappe", erklärt Merkel stolz. Das soll beruhigend klingen.

Merkel bleibt sich treu. Seit ihrem Amtsantritt redet sie den Einsatz schön. Eines sagt sie auch diesmal nicht: Die Mission der deutschen Truppen wird immer riskanter. Deutschland rutscht immer tiefer in den Konflikt am Hindukusch hinein.

Nato

Den heikelsten Punkt ihrer neuen Strategie verrät die Regierung erst ganz am Ende ihres elfseitigen Konzeptpapiers: 500 zusätzliche Soldaten will Berlin ins Kriegsgebiet schicken. 350 stehen als "flexible Reserve" bereit, die nach Zustimmung des Bundestag-Verteidigungsausschusses bei "unvorhergesehenen Lageänderungen" in Marsch gesetzt werden können. Schon das ist nicht ehrlich. Tatsächlich weiß die Bundesregierung schon jetzt: Die -Partner werden diese Reserve sehr schnell anfordern.

Die grundsätzliche Aufstockung des Kontingents von bisher 4500 Soldaten ist nötig, damit die Truppe sich künftig noch intensiver dem Training afghanischer Rekruten widmen kann. Sie soll einen neuen Ansatz verfolgen, das sogenannte "Partnering": Die Ausbildung läuft nicht mehr nur hinter den Toren des schwer gesicherten Feldlagers ab. Die deutschen Experten werden sich künftig unter die afghanischen Einheiten mischen, mit ihnen "leben", sie bei laufenden Operationen ausbilden.

Mit anderen Worten: Der Einsatz wird riskanter.

Karl-Theodor zu Guttenberg

Das aber will die Regierung nicht offen eingestehen. Stattdessen versucht Merkel das neue Vorgehen am Dienstag als "sehr viel stärker defensiven Ansatz" zu verkaufen. Verteidigungsminister kündigt zwar "mehr Präsenz in der Fläche" an. Das Konzept bedeute aber weder mehr noch weniger Gefahr für die deutschen Soldaten, sagt der CSU-Politiker. Afghanistan bleibe ein "gefährlicher Einsatzort". Dort könnten auch künftig Soldaten fallen oder verwundet werden.

Kalkulierte Vernebelung

Hinter der Vernebelungsrhetorik steckt Kalkül. Der Afghanistan-Einsatz ist in der deutschen Bevölkerung extrem unpopulär. Die Mehrheit würde die Bundeswehr lieber heute als morgen nach Hause holen. Eine unangenehme Situation für die Kanzlerin. Sie muss den Menschen draußen im Land die Mission weiterhin als notwendigen Friedenseinsatz verkaufen, stellt ihnen dafür diesmal sogar vage den Abzug in Aussicht - als ob die Sicherheitslage nicht immer schlechter geworden wäre. Für Merkel ist wichtig, dass Afghanistan nicht allein ihr Krieg wird: Sie will sich eine möglichst breite Unterstützung im Parlament sichern.

Sie braucht die Opposition, SPD und Grüne jedenfalls - die Linke ist ohnehin kategorisch gegen den Einsatz. Die Sozialdemokraten dagegen schickten unter Kanzler Gerhard Schröder Anfang 2002 die ersten deutschen Soldaten an den Hindukusch, später hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier die deutsche Afghanistan-Politik maßgeblich gestaltet. Nun ist er Oppositionsführer - und will seine Partei gemeinsam mit SPD-Chef Sigmar Gabriel auf eine neue Afghanistan-Linie bringen. Die aber verläuft so nah am aktuellen Merkel-Plan, dass es an diesem Tag nur eine Chance für das Spitzenduo gibt: Steinmeier und Gabriel verkaufen das Regierungskonzept als Erfolg der SPD.

"Es ist doch sehr erfreulich, dass sich die Bundesregierung auf uns zu bewegt", sagt Steinmeier. Keine weiteren Kampftruppen, ein Abzugsszenario, mehr Geld für den Wiederaufbau - Gabriel sieht darin "genau unsere Position". Auch die Grünen finden sich wieder. Dass man mehr für Menschen in der Fläche tun will "haben wir doch immer gefordert", sagt Fraktionschefin Renate Künast. Es gebe immerhin "mehr Licht im Schatten als zuvor".

Merkel müht sich um die Opposition

Offensichtlich hat sich Merkel bei der morgendlichen Unterrichtung der Fraktions- und Parteispitzen im Kanzleramt wirklich bemüht um SPD und Grüne. "Sie war wie immer analytisch und rational", ist zu hören, "aber sehr offen". Die Kanzlerin habe auch von "Fehlern" gesprochen. Und davon, dass man den Strategiewechsel der USA sehr ernst nehmen müsse. Das Treffen habe zur Annäherung beigetragen.

Was nicht heißt, dass Sozialdemokraten und Grüne der Regierung nun einen Persilschein geben. Die Grünen stoßen sich vor allem an der angekündigten Truppenaufstockung. "Das sehen wir nicht ein", sagt Künast. Die SPD-Spitze vermisst ein klares Abzugsdatum. "Wir müssen sowieso die London-Konferenz abwarten", sagt Parteichef Gabriel.

Für Außenminister Westerwelle ist der erste Großeinsatz. Alleine wird er Deutschland dort vertreten, nicht im Schatten der Kanzlerin stehen. Westerwelle sieht zufrieden aus, als er am Dienstag zur neuen Strategie Stellung nimmt. Am Vortag hatte sich der FDP-Chef noch Häme anhören müssen für das Taliban-Aussteigerprogramm. Nun verteidigt er die Pläne: Es gehe nicht darum, Terroristen aus ihrer ideologischen Verbrämung herauszukaufen, sondern Mitläufern eine Perspektive zu geben. 50 Millionen Euro steuert Deutschland zu einem 500-Millionen US-Dollar-Topf bei. "Das ist gut eingesetztes Geld", sagt Westerwelle.

Guttenberg schluckt den Kompromiss

Dass die Regierung nicht mehr als 500 Soldaten schickt, ist vor allem dem Widerstand des Außenministers geschuldet. Wäre es nach den Militärexperten im Verteidigungsministerium gegangen, wäre die Mandatsobergrenze deutlich weiter nach oben verschoben worden. Von zusätzlichen 2500 Soldaten war in den vergangenen Wochen die Rede gewesen, dann von 1500, von 1200. Nun sind Westerwelles Gefolgsleute zufrieden, sprechen von einer "schönen Lösung" und verweisen ausdrücklich darauf, dass 500 doch eine "zivile Zahl" sei.

Und die Reserve?

Der Liberale verweist mit Nachdruck auf das Kleingedruckte im elfseitigen Konzept. Man möge sich den Beschluss "genau ansehen" - er wolle nicht, dass das als "einfache Kontingentausweitung" angesehen werde. Für Westerwelle heißt das: 500 Soldaten bleiben 500. Es ist deutlich zu spüren: Afghanistan ist auch immer ein innenpolitisches Schlachtfeld.

Karl-Theodor zu Guttenberg

Geschlagen geben muss sich an diesem Tag vorerst - auch wenn er die gefundene Lösung öffentlich natürlich nie in Frage stellen würde. Er weiß, den Militärs geht der Kompromiss nicht weit genug. Trotzdem nennt er ihn nun "ausreichend" und "notwendig".

Auch eine Art von Schönfärberei.