Nach dem einleitenden und etwas theorielastigen ersten Artikel dieser dreiteiligen Reihe, geht es heute mit den Thesen los.
Der Kern der Banking 2.0-Philosophie liegt ja vor allem darin, die Kunden deutlich aktiver in die Leistungserbringung zu integrieren. Die Fidor Bank etwa bezieht seine Kunden aktiv in die Produktentwicklung ein und diskutiert offen mit der Community neue Produktideen oder gar eigene Zinsveränderungen. Ein besonderes Merkmale der Web 2.0- oder Social-Media-Technologien ist neben der Nutzung neuerer Webtechnologien daher vor allem eine erweiterte Philosophie im Umgang mit Kunden. Diese zeichnet sich durch offene und gleichberechtigte Kommunikation, hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen sowie Einbeziehung der Kunden in den Leistungsprozess aus.
Gemessen am Geschäfts- und Ertragsvolumen der jeweiligen Geschäftsbereiche bewegen sich die neuen Dienstleister allerdings noch im Promillebereich. Trotz großer Beachtung durch eine aktive Netzgemeinde, sind die neuen Plattformen für die Finanz- und Wirtschaftswelt bisher nicht wirklich ökonomisch relevant, noch nicht. Nach meiner Erwartung wird sich dies in den nächsten Jahren deutlich ändern, dafür wird auch die Aufmerksamkeit sorgen, die Goldman Sachs mit seiner Beteiligung an Facebook ausgelöst hat.
Hier geht es jetzt erst einmal mit meinen Thesen los, warum Banking 2.0 in der klassischen Finanzwelt jetzt noch nicht zündet:
These 1: Finanzbranche lebt von Informationsasymmetrie
Ein wesentlicher Kern des Geschäftsmodells von Finanzinstitutionen sind die Vorteile, die aus der Informationsasymmetrie zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern resultiert. Das Web 2.0 schickt sich dagegen an, die Transparenz über Risiken, Geschäftsmodelle, Entgelte sowie über die Kapitalmarktteilnehmer selbst deutlich zu erhöhen, zumindest in der Theorie. Finanzhäuser können kein Interesse daran haben, diese Transparenz ohne Not zu erhöhen. Dies gilt insbesondere für die Geschäftsmodelle des sogenannten Smart Money, also von Investmentbanken, Hedge Fonds und anderen institutionellen Anlegern. Transparenz würde hier richtig Geld kosten.
Gegenteilige Ankündigungen, wie jüngst von Goldman Sachs, sind rhetorische Lippenbekenntnisse, die allein der PR dienen. Ausführlicher dazu in dem Beitrag: Der Teufelskreis der Finanzmärkte oder warum Banken lieber schweigen.
These 2: Konservative Kundenstruktur und der digitale Graben
Der Kern des Finanzgeschäfts wird bisher nicht mit der Generation Facebook gemacht, sondern mit der in Entscheidungspositionen sitzenden Generation 40+. Und diese Generation ist deutlich zurückhaltender, was die Nutzung zum Teil hochgejazzter Instrumente betrifft. Etwa zwei Drittel der Bundesbürger sollen noch nicht “geübt” im Umgang mit den neuen Medien sein. Diese Zahl muss nicht exakt stimmen, wird aber in einer Studie der Initiative D21 zur digitalen Gesellschaft herausgearbeitet. Eine Studie der Deutschen Bank hat ebenfalls herausgefunden, dass sich viele Unternehmen beim Einsatz moderner Kommunikationsmöglichkeiten immer noch zurückhalten.
Daneben trifft das, was in These 1 zum mangelnden Interesse an Transparenz für die Finanzbranche gilt, ebenfalls auf viele Kunden zu. Welche gewerblichen Kunden möchte etwa ihre Finanzierungs- oder Anlagepläne öffentlich oder nur in einer geschlossenen Community diskutieren?
These 3: Andere Prioritäten im mittleren und Top-Management
Es herrscht weitestgehend Einigkeit in der Web 2.0-Szene, dass die neuen Instrumente nicht oder nur unzureichend funktionieren, so lange Social-Media nur vom Marketing oder der PR-Abteilung als Instrument genutzt werden. Eine durchgängige Social-Media-Strategie setzt gerade dort nicht ein, sondern in der Geschäftsleitung.
Gerade aber die Geschäftsleitungen von Finanzhäusern sind in ihren Prioritäten weiterhin sehr stark mit den Aufräumarbeiten der Finanzkrise beschäftigt und mit den nun drohenden Regulierungen.
Dazu kommt das, was Thomas Bahlinger, Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Nürnberg mit dem Spezialgebiet E-Finance, hat bereits Anfang 2008 in einem Beitrag für die Bank geschrieben hat:
“Der derzeitige Hype um Web 2.0 verstellt den Blick auf den eigentlichen Kern, der darin steckt. Dieser Kern ist weniger technologischer, sondern vielmehr kultureller Natur. Die neuen Technologien können die Beziehungen zwischen Anbietern und Abnehmern, Banken und Kunden dauerhaft verändern. Aber Web 2.0 als “Architektur der Mitwirkung aller” ist diametral zum heutigen Ansatz von Banken-Websites.
Ein demokratisch geprägter Wissensaustausch gerät schnell in einen Konflikt mit hierarchischen Unternehmenskulturen. Daher ist Web 2.0 bei Banken derzeit so selten zu finden. Will die Bank das ändern, muss sie zunächst prüfen, welche Teile der “Architektur” zum eigenen Hause passen – die eigentliche Umsetzung von Web 2.0-Technik kommt dabei zuletzt. Vorher muss die Bank eine Benutzerbeteiligung wirklich wollen. Dies ist eine Kulturfrage, mindestens aber eine Strategiefrage und hat mit Software-Programmierung wenig bis nichts zu tun.”
Folgt man dieser Einschätzung, dann muss für Veränderungen vor allem Zeit im Management investiert werden. Und diese Zeit darf sich nicht darauf beschränken, einen Leitfaden für die Social Media-Nutzung zu beauftragen.
These 4: Mangelnder Konkurrenzkampf: Tipping Point noch nicht erreicht.
Finanzhäuser, insbesondere in Deutschland, profilieren sich nicht durch besonders große Kreativität in der Produkt- und Vertriebswegeentwicklung. Deutsche Häuser gelten sogar als ausgesprochen konservativ und bieten erst dann Produkte an, wenn sie sich an anderen Märkten nachweisbar durchgesetzt haben. Deutlich einfacher ist es für sie, erfolgreiche Produkte und Vertriebskonzepte einfach zu kopieren. Da der nachweisbare Erfolg von Finanzdienstleistungen im Web 2.0 bisher ausgeblieben ist und deutsche Institute somit durch entsprechende Angebote noch keinen Wettbewerbsvorteil erringen konnten, besteht keine Notwendigkeit, hier voreilig zu reagieren.
Erst wenn ein sogenannter Tipping-Point erreicht wird, also eine kritische Masse überschritten wird, werden Banken in relativ kurzer Zeit auf den 2.0-Zug aufspringen, so wie das etwa beim Onlinebanking in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geschehen ist.
These 5: Enorme Know-how-Defizite
Dr. Hansjörg Leichsenring trug im Dezember in seinem Blog ein paar Umfragedaten zum Weg der Banken hin zum Banking 2.0 zusammen. Er schrieb:
“Demnach fühlen sich die Finanzdienstleister in ihrer überwiegenden Mehrheit erstaunlich gut gerüstet für den Umgang mit sozialen Medien. Auch wird anerkannt, dass soziale Medien über ein hohes relevantes Geschäftspotential verfügen und ihre Bedeutung in den nächsten Jahren massiv ansteigen wird.
Erschreckend sehen allerdings die Angaben zum aktuellen Umgang mit sozialen Medien aus. Von einer umfassenden geschäftlichen Nutzung durch das Unternehmen kann keine Rede sein. Vielmehr steht aufgrund der Ergebnisse zu vermuten, dass soziale Netzwerke ganz überwiegend persönlich beruflich genutzt werden, nicht jedoch für die Bank selbst. Beispielsweise gaben 80 % an, mithilfe von Xing vor allem Business Networking zu betreiben.”
Wenn eine Bank glaubt, sie verstehe etwas von Social Media, wenn sie einen Twitter-Kanal oder eine Webseite mit PR befüllt, dann beweist dies aus Sicht der Netzgemeinde, dass sie gar nichts verstanden hat. Tatsächlich hapert es in vielen Instituten selbst bei den Grundkenntnissen im Social-Media-ABC.
Klar, in vielen Häusern kennen sich die meist jüngeren Mitarbeiter mit den neuen Techniken aus, ihnen wird aber zu selten zugehört.
Am kommenden Montag geht es weiter mit den Thesen 6 bis 10. Bis dahin lade ich gern zur Diskussion der hier aufgestellten Thesen über den Kommentarbereich des Blogs ein.
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