ZEIT ONLINE: Herr Schneider, wie mobil sind die Deutschen?

Norbert F. Schneider: Generell können wir sagen: Junge Akademiker sind umzugsbereit, die anderen nicht. Nur jeder fünfte Vollzeiterwerbstätige in Deutschland ist mobil . Die Europäer sind übrigens sehr sesshaft, aber sie pendeln.

ZEIT ONLINE: Warum ziehen die Menschen so wenig um?

Schneider: Das hat unterschiedliche familiäre und berufliche Gründe. Gerade zum Beginn der Erwerbsphase haben die Menschen oft befristete Verträge und wechselnde Arbeitgeber. Ein Umzug erscheint dann weniger sinnvoll. Auch sind heute meist beide Ehepartner berufstätig und oftmals würde ein Umzug dann den Verlust des Arbeitsplatzes von einem der beiden bedeuten. Zudem hat sich die Verkehrsinfrastruktur in den vergangenen Jahren verbessert. So hat zum Beispiel die Zahl der Tagespendler zwischen Berlin und Hamburg durch den Ausbau der ICE-Strecke stark zugenommen. Und schließlich glauben viele, dass Umzüge mit Kindern nicht machbar sind. Umzug ist in Deutschland eher angstbesetzt.

ZEIT ONLINE: Welche Auswirkung hat das Pendeln auf die Gesundheit?

Schneider: Pendler leiden mit höherer Wahrscheinlichkeit an psychosomatischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Kopf- oder Rückenschmerzen. Ihnen fehlt die Zeit für aktive Gesundheitsvorsorge, wie Sport oder Vorbeugeuntersuchungen. Pendler fühlen sich ständig unter Zeitdruck, das senkt ihr Wohlbefinden. Bei unseren Studien haben wir festgestellt, dass es für das Belastungserleben einen großen Unterschied macht, ob die Entscheidung für das Pendeln als freiwillig empfunden wird oder eher als Entscheidung unter Zwang erlebt wird.

ZEIT ONLINE: Wie beeinflusst das Pendeln das Familienleben?

Schneider: Das Pendeln kann sowohl für die Mobilen selbst, als auch für die Partner sehr belastend sein. Die Daheimgebliebenen finden sich oft in der Situation eines alleinerziehenden Elternteils wieder. Wir können auch empirisch nachweisen, dass Partner in einer Pendlerbeziehung unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Freizeitgestaltung haben: Während die Partner der Pendler aktiv sein wollen, sehnt sich der Pendler nach Ruhe und Entspannung. Daran leiden oft auch die Eltern-Kind-Beziehungen.

Unsere Studien zeigen, dass das Pendeln insbesondere bei Frauen einen Einfluss auf die Familiengründung hat. Mobile Frauen sind häufig kinderlos und ledig. Das Pendeln verhindert oder schiebt die Familiengründung auf. Der zunehmende Mobilitätsdruck hat auch negative Folgen für die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Wir haben etwa festgestellt, dass pendelnde Männer selten Hausarbeit übernehmen. Sie werden auch dann weitgehend entlastet, wenn die Partnerin berufstätig ist. Bei mobilen Frauen ist die Entlastung durch den Partner eher gering. Pendlerinnen stehen daher unter einer großen Doppelbelastung.

ZEIT ONLINE: Sind ortsansässige Arbeitnehmer besser für ein Unternehmen?

Schneider: Der lange Wege zur Arbeit ist häufig ein Tabu. Viele Arbeitnehmer verheimlichen, dass sie pendeln. Denn sie haben Angst, dass sie sonst als weniger belastbar gelten und schneller entlassen werden. Zudem können Pendler bei Überstunden weniger flexibel sein.

ZEIT ONLINE: Was könnte den Pendlern das Leben einfacher machen?

Schneider: Weil die Pendler unter enormen psychischen Druck stehen, würden flexible Arbeitszeiten sie entlasten. Mobile Arbeitnehmer fühlen sich wesentlich weniger belastet, wenn sie einmal in der Woche die Möglichkeit haben, zu Hause zu arbeiten. Doch viele Arbeitgeber befürchten einen Kontrollverlust, wenn ihre Mitarbeiter nicht in der Firma anwesend sind. Wir stellen immer wieder fest, dass die meisten Arbeitgeber weit weniger flexibel sind als sie es von ihren Arbeitnehmern erwarten.

Die Fragen stellte T atjana Kimmel-Fichtner .