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Lachse: Niedergang des Fischkönigs

Foto: Michel Roggo

Artenschutz Für den Wildlachs wird es eng

Zu Zehntausenden in engen Käfigen gemästet, sollen Zuchtlachse die wachsende Weltbevölkerung ernähren. Ihren wilden Verwandten werden die Lebensräume immer mehr vom Menschen eingeengt. Umweltschützer kämpfen für ein Revival des rar gewordenen Wanderfischs.
Von Nicole Basel

Es war das Jahr 1880, kurz bevor sich der Herbst wie eine rötlich-goldene Decke über die Westküste der USA legte. Die Schwarzbären begannen gerade, sich den Speck für die Winterruhe anzufressen, und die Tage wurden wieder kürzer, da fing es in der Fabrik von William Hume an zu stinken.

Der Fischer war 1849 vom Osten der USA an die Westküste gezogen und hatte sich später in Eagle Cliff niedergelassen, einem winzigen Ort im Bundesstaat Washington. Er wollte nicht nach Gold suchen wie viele andere, die es damals in den Westen trieb. Er hatte es auf Silber abgesehen, auf lebendes Silber. Hume fing und verkaufte Lachse. Damit wollte er reich werden.

Denn er hatte eine neue Erfindung aus Europa mitgebracht: die Konservendose. Und die Blechbüchse machte aus einem Fisch, den man nur zu bestimmten Jahreszeiten fischen konnte, eine Mahlzeit fürs ganze Jahr.

Lachse gab es damals an der Westküste der USA im Überfluss. Über Jahrtausende hinweg hatte es der Fisch immer wieder verstanden, sich anzupassen, er hatte Eiszeiten, gewaltige Seebeben und Verschiebungen der Küstenlinie überstanden. Die Europäer nannten ihn den "König der Fische". Die Ureinwohner Amerikas verehrten ihn geradezu, gaben ihm den Namen "Blitz, der einem anderen folgt". Kaum ein anderes Tier hatte sich in der Region derartig stark ausgebreitet wie die pazifischen Lachsarten.

Der härteste Kampf: gegen die Profitgier des Menschen

Es gab so viele, dass Humes Dosenfabrik im Spätsommer 1880 mit dem Konservieren nicht mehr nachkam. Die Lachse, manche 20, 30 Kilogramm schwer und so dick wie ein kleiner Baumstamm, fingen an zu gammeln, es stank. Die Fabrikarbeiter griffen daraufhin nach ein paar Schaufeln und schmissen die toten Fische einfach wieder in den Fluss. Der Lachs mag Eiszeiten überstanden haben. Aber sein neuer Kampf war ungleich härter: der Lachs gegen die Profitgier des Menschen. Fisch gegen Geld.

Hume war damals etwa 50 Jahre alt, und seine Konservenfabrik ein großer Erfolg. Allein in jener Saison packten seine Arbeiter Lachse im Wert von über drei Millionen Dollar in die Blechbüchsen. Die Industriearbeiter in den Fabriken in den USA und England verspeisten den Fisch aus Dosen, der Lachs war billig, nahrhaft, lecker, er wurde sogar zur Standardverpflegung der britischen Armee. Denn kaum ein Fisch war so leicht und in so großen Mengen zu fangen: Allein knapp 18 Millionen Kilogramm Königslachse gingen damals im Columbia River, an dem Humes Fabrik stand, in die Netze.

Vermutlich lebten die ersten Vorfahren des Lachses schon in der Zeit der Dinosaurier in den Flüssen. Als vor etwa 25 Millionen Jahren die Ozeane begannen, sich abzukühlen, wurden diese sehr viel nährstoffreicher. Das, so zumindest eine Theorie, war der Grund, warum die Fische schließlich auf Wanderschaft gingen. Die Jungtiere schwammen dorthin, wo sie mehr Nahrung fanden und schneller wachsen konnten: ins Meer.

Scharfer Geruchssinn hilft bei der Orientierung

Um sowohl im Süßwasser als auch im Salzwasser leben zu können, hat der Lachs im Lauf der Evolution besondere Strategien entwickelt. So kann der Fisch über Kiemen und Harn kleine Salzteilchen abgeben, wenn er im Meer schwimmt. Im Fluss hingegen scheidet er nur stark verdünnten Harn aus, um möglichst viel Salz im Körper zu behalten.

Wenn sie sich nach einigen Jahren im Ozean ordentliche Reserven angefressen haben, beginnen die Tiere eine oft mehrere tausend Kilometer lange Reise zurück zu dem Fluss, in dem sie einst geboren wurden. Sie sind dann keine kleinen Fischchen mehr, sondern bis zu einem Meter lange Brocken, Räuber mit imposanten Zähnen. Mit Kraft schlängeln sie sich stromaufwärts. Die Königslachse (Oncorhynchus tshawytscha), die Hume seinerzeit fing, können bis zu 3,60 Meter hohe Wasserfälle hinaufspringen. Und die Fettreserven reichen, um mehrere Monate ohne Nahrung auszukommen. Am Ende der Reise buddeln die Weibchen ein Loch in die Erde, dort hinein kommen die Eier.

Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie der Fisch seinen Geburtsort wiederfindet. Im Ozean orientieren sich Lachse offenbar am Magnetfeld der Erde und am Sonnenstand. Im Fluss nutzen sie ihren scharfen Geruchssinn, um die richtige Richtung wiederzufinden. Eines hingegen ist sicher: Während es einige Atlantische Lachse zurück ins Meer schaffen, bedeutet der Flussaufstieg für die pazifischen Lachse der sichere Tod. Die Weibchen bewachen ihre Eier noch eine Weile, die Männchen suchen weitere Partnerinnen, aber dann rafft sie die Erschöpfung und der Nahrungsmangel dahin.

Kampf um die Auferstehung des Atlantischen Lachses

gnadenlos überfischten

Und dennoch war die Strömung in den letzten Jahrzehnten der leichteste Gegner der Lachse. Die pazifischen Lachse bekamen es nicht nur mit Leuten wie Hume zu tun, die die Flüsse . In den USA verseuchten die Goldminen die Flüsse, die Menschen fällten die Bäume an den Flussufern, sodass die Flüsse in der prallen Sonne lagen und das Wasser zu warm für die Lachse wurde.

Atlantik

Dem Atlantischen Lachs (Salmo salar) an der Ostküste der USA und in Europa erging es nicht besser: Auch ihm stellten sich Schleusen, Dämme und Wehre in den Weg. Die Flüsse wurden begradigt, vertieft, sie wurden für die Industrialisierung gebraucht. Die Unternehmen nutzten die Flüsse auch als Abfluss für ihre Chemikalien. Im Rhein, einst der lachsreichste Fluss Europas, holten die Fischer in den 1950er Jahren die letzten Lachse aus dem verseuchten Wasser. Dann blieb er verschwunden. Zudem gelang es den Fischern in den 1960er und 1970er Jahren, die Orte zu finden, an denen sich die Wildlachse im aufhielten. Innerhalb weniger Jahre wurde dadurch ihr Bestand drastisch dezimiert, der Lachs zur seltenen Delikatesse. Im Kampf Fisch gegen Geld hatte der Lachs einen Knock-out kassiert.

Ein lebender Lachs ist 2000 Euro wert, ein gefangener 20

Der Mann, der für die Auferstehung des Atlantischen Lachses kämpft, hat strubbeliges, graues Haar, dunkle Ringe unter den Augen und einen kühnen Plan. Orri Vigfússon, Sohn einer Fischerfamilie wie William Hume, stammt von der Ostküste Islands, er ist 65 Jahre alt und Besitzer einer Wodkadestille. Er liebt es, seine dicke Wollmütze über die Ohren zu streifen, seine Angelrute zu nehmen und in Gummistiefeln hinaus zum Fluss zu stapfen. Mehr als 1000 Lachse hat er in seinem Leben gefangen. Er liebt es, Lachse zu angeln. Deshalb möchte er sie retten.

Vigfússon ist ein Umweltschützer mit Leib und Seele, aber er demonstriert nicht vor Parlamenten oder besetzt Fischerboote. Der Isländer hat eine schärfere Waffe: einen Businessplan. Vigfússon ist ein Geschäftsmann, und er hat nachgerechnet. Lebendig ist der Wildlachs einfach mehr wert als tot.

"Ein gefangener Fisch bringt dem Fischer etwa 20 Euro", sagt Vigfússon, "ein lebender Fisch aber ist rund 2000 Euro wert." Wenn er mit solchen Zahlen um sich wirft, könnte man ihn für etwas seltsam halten. Aber der Mann hat unter anderem den Goldman Prize gewonnen, sozusagen den Nobelpreis der Umweltschützer. Seine Kalkulation funktioniert so: Sportfischer zahlen hohe Gebühren, bis zu 3000 Euro am Tag, um ihre Köder in die Flüsse werfen und Lachse herausziehen zu dürfen. Wenn die Lachse wieder in größeren Mengen in die Flüsse zurückkehren, könnte das der Tourismusbranche große Umsätze bescheren. In Irland etwa bringt das kommerzielle Fischen sechs bis acht Millionen Euro ein. Der Fischtourismus aber könnte nach Angaben von Vigfússon einen Umsatz von 200 Millionen Euro einfahren.

Die Rechnung des Isländers ist Teil eines größeren Konzepts. Er will das kommerzielle Fischen nicht einfach nur verbieten und die Fischer ohne Job zurücklassen. Er zeigt ihnen zum einen nachhaltige Einnahmealternativen auf. Zum anderen kauft der North Atlantic Salmon Fund, Vigfússons Organisation mit Hauptsitz in Reykjavík, Fischereirechte, er bezahlt also die Fischer dafür, dass sie nicht fischen gehen. Der Erfolg ist beachtlich: In 85 Prozent aller Gebiete ist der Lachs inzwischen sicher vor den Netzen der Fischer.

Die restlichen 15 Prozent machen allerdings erhebliche Probleme. Norwegen beispielsweise erlaubt seinen Fischern weiterhin, die Lachse aus dem Wasser zu ziehen. Das bringt Vigfússons ganzes Modell in Gefahr. "Erklären Sie einmal einem grönländischen Fischer, warum er den Lachs schützen soll, wenn der Fisch später in Norwegen gefangen wird", sagt er. Dabei sind die Skandinavier längst nicht mehr auf den Wildlachs angewiesen. Norwegen ist der größte Zuchtlachsproduzent der Welt.

Bis zu 100.000 Zuchtlachse in einem Käfig

Der Atlantische Lachs, der heutzutage auf unseren Tellern landet, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch nie durch den Ozean geschwommen. Statistisch gesehen essen die Menschen 500-mal mehr Atlantischen Lachs, als überhaupt noch gefangen wird. Die Zucht macht es möglich.

Von außen ist von den riesigen Aquafarmen an der norwegischen Küste kaum etwas zu sehen. Die Ufer sind steil und menschenleer, die Luft klar und kühl, die See ruhig. Doch unter Wasser ist es weniger idyllisch. In den Mastkäfigen, die an großen schwimmenden Kreisen hängen, drängeln sich bis zu 100.000 Lachse, zwischen 15 und 25 Kilogramm Fisch je Kubikmeter Wasser. Und die müssen sich entledigen. 100.000 Fische sollen so viele Exkremente wie eine Stadt mit 10.000 Einwohnern produzieren. In Norwegen hat man das Problem durch strenge Gesetze in Griff bekommen. In Chile, dem zweitgrößten Lachsexporteur der Welt, hat die Zucht hingegen dramatische Auswirkungen auf die Umwelt. Wie Göttinger Forscher herausfanden, sind die Gewässer rund um die Farmen tot, voller Fäkalien und Futterreste.

Zuchtlachs bedroht die wilde Verwandtschaft

Einst dachte man, dass der Zuchtlachs den Wildlachs retten kann, da die große Nachfrage nach Fisch nun durch die Aquafarmen gedeckt würde. Immer mehr entwickeln sich die Farmen aber zur Bedrohung für den Wildfisch - nicht nur, weil die riesigen Mengen Kot in den Fjorden das Wasser verseuchen. Das Problem ist: Die Zuchtfische büxen aus. In Chile ist das besonders problematisch, weil der Raubfisch hier normalerweise gar nicht vorkommt und daher ein unnatürlicher Fressfeind für andere Fische ist.

In Norwegen hingegen gibt es ein anderes Problem. Wenn dort ein Fisch abhaut, dann trifft er auf Wildlachse und überträgt nicht nur Krankheiten und Parasiten, sondern paart sich auch mit ihnen. "Die Zuchtlachse können die Wildlachse verdrängen", sagt Geir Lasse Taranger.

Taranger ist Biologe am Institute of Marine Research im norwegischen Bergen, ein sportlicher Typ mit kurzen hellen Haaren und einem Ziel: Er will dafür sorgen, dass die Zuchtfische sich nicht mehr vermehren können. Er und seine Kollegen legen daher die befruchteten Eier der Lachse in eine Kammer und setzen sie einem Druck von mehreren hundert Bar aus. So verändern die Forscher das Erbgut, aus einem doppelten wird ein dreifacher Chromosomensatz - und die Tiere unfruchtbar. Doch das Problem ist damit nicht gelöst. "Die entstandenen Tiere sind weniger robust", sagt Taranger. "Sie wachsen zwar schneller, haben aber Probleme mit den Knochen, so dass sich das Rückgrat verformen kann."

Der Unterschied zwischen einem Wild- und einem Zuchtlachs ist für einen Laien kaum zu erkennen. Auch die Verpackungen sind häufig verwirrend. Oft glauben Verbraucher, Wildlachs zu essen, weil sie "Wildwasserlachs" oder "Echten irischen Lachs" gekauft haben, dabei stammt er in Wahrheit aus Mastkäfigen. Es muss schon genau das Wort "Wildlachs" daraufstehen und zusätzlich die Spezies: Salmo salar. Fischexperten raten allerdings, auf den vom Aussterben bedrohten atlantischen Wildlachs zu verzichten. Es gibt eine unbedenkliche Alternative: Die pazifischen Lachsarten aus Alaska und Kanada stehen auf der grünen Liste des WWF. Sie werden bislang kaum gezüchtet, da es noch natürliche Vorkommen gibt.

Das Geschäft mit der Zucht des Atlantischen Lachses hingegen floriert. 2008 wurden weltweit 1,5 Millionen Tonnen gezüchtet, eine Sieben-Milliarden-Dollarindustrie. In den letzten 20 Jahren hat sich die Produktion verfünfzehnfacht. Auf den Fischzuchten ruht die Hoffnung, die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrung versorgen zu können. Aus der einstigen Delikatesse ist wieder ein Alltagsessen geworden. Und aus dem König der Fische der Knecht des Menschen.

Dieser Text stammt aus "Mare" Februar/März 2011 .

Nicole Basel, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg und Kopenhagen, weiß durch ihre monatelange Recherche viel über Lachs, hat ihn aber noch nie gegessen. Sie ist seit ihrer Kindheit Vegetarierin. Der Schweizer Michel Roggo, geboren 1951, gehört zu den führenden Tierfotografen unserer Zeit. Mehr als 11000 seiner Bilder wurden weltweit in Magazinen und Zeitungen abgedruckt.