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Sozialwissenschaftler Günter Amendt: Tragischer Tod in Hamburg

Foto: Klaus Franke/ picture-alliance/ ZB

Zum Tod von Günter Amendt Kämpfer gegen das sexuelle Igittigitt

Er galt als glaubwürdigster Jugendversteher seiner Generation, stritt für die Entkrampfung der Sexualität und gegen eine heuchlerische Drogenpolitik: Nun ist der Sozialwissenschaftler Günter Amendt im Alter von 71 Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Von Jan Feddersen

Seine bekanntesten Bücher hießen "Sex Front" und "Sexbuch", als politischer Sexualaufklärer wurde er berühmt - und für viele berüchtigt. Doch Günter Amendts Interesse hatte sich schon vor vielen Jahren vom Sexualpolitischen zum Drogenthema verschoben. Trotzdem saß er noch bei seinen alten Freunden und der Sache treu im Beirat der Zeitschrift für Sexualforschung, dem Zentralorgan einer aufklärenden, neugierigen Wissenschaft vom Sexuellen, für die das Alphabet der Wahrnehmung nicht bei Koitusfrequenzen, Verhaltenstherapie und Viagra aufhört.

Und neulich hat sich Amendt zu seinem alten Thema noch einmal heftig zu Wort gemeldet: In der Intellektuellenzeitschrift "Merkur" intervenierte er unter dem Titel "Sexueller Missbrauch von Kindern" kühl und argumentstark gegen die weitere hysterische Aufladung der Debatte. Zugleich erteilte er allen Fürsprechern einer Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen eine krasse Abfuhr - und plädierte gegen die Gefahr der Traumatisierung der Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch eine öffentliche Debatte, die nur Opfer kennen will und keine Zwischentöne gelten lassen will.

Sich selbst aus einem Text der frühen achtziger Jahre zitierend, schrieb er: "Aber zum Kreis der Opfer zählen nicht nur Kinder und Jugendliche, denen gegen ihren Willen unter Einsatz überlegener Erwachsenenmacht sexuelle Beziehungen aufgezwungen werden. Opfer sind auch die Kinder und Jugendlichen, deren Entwicklung von sexuellen Tabus und Ängsten der Erwachsenen gehemmt wird, die in einem Klima der Prüderie und emotionalen Verarmung aufwachsen."

Dieser Prüderie, dieser Angstmache, diesem elften Gebot des Igittigitt der christlichen Kirchen galt sein Engagement, als er in den sechziger Jahren die politische Bühne betrat. Amendt, der im Gefolge seiner Kriegsdienstverweigerung Ende der fünfziger Jahre politisiert wurde, studierte Soziologie, Psychologie und Germanistik, hörte Adorno und Horkheimer und studierte zwei Jahre, von 1964 bis 1966, in der rebellisch aufgewühlten University of California in Berkeley.

Wichtigster Rat in sexuellen Dingen

Sein Interesse galt immer Jugendlichen, den vom kleinbürgerlichen Konsens noch nicht Vergifteten - Amendt widmete ihren Kämpfen gegen spießige, einengende Elternhäuser das Buch "Kinderkreuzzug oder: Beginnt die Revolution an den Schulen?". Zum Popstar aber avancierte er 1970, als er "Sex Front" im März-Verlag veröffentlichte. Das Büchlein wurde mit seinem knallgelben Umschlag zum wichtigsten Ratgeber in sexuellen Dingen neben allem, was Oswalt Kolle publizierte.

Amendt hatte den richtigen Ton der Aufklärung gefunden - Sex war ziemlich okay, Selbstbefriedigung prima, Homosexualität nichts Anstößiges, Jungs und Mädchen sollten darüber sprechen, was sie im Bett miteinander wollten. Im SPIEGEL hieß es zum "Sexbuch", dem Nachfolgewerk Ende der Siebziger, lapidar: "Die Leser erfahren, was los ist, nicht was sein soll."

Das war ein Affront schlechthin, musste aber vom bürgerlichen Establishment hingenommen werden: "Sex Front" wie das "Sexbuch" verkauften sich in mehreren hunderttausend Exemplaren. Amendt hatte mit seinen Büchern als ehemaliger Aktivist des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds geschafft, was Freunde wie Rudi Dutschke oder Hans-Jürgen Krahl nicht gegeben war: sich populär mitteilen zu können, ohne banal zu wirken. Er konnte auf jedem Podium glänzen - ein Preis für die verschwurbeltste Rhetorik wäre ihm nie verliehen worden.

Ätzender Blick auf chemische Drogen

Immer ging es ihm um Machtfragen, um die Verhältnisse, die Menschen daran hindern, das sein zu können, was sie selbst sein möchten. Für ihn, so sagen es Freunde und Zeitzeugen, schlossen sich Politik und Indienstnahme für diese aus: Im Jugendprojekt Staffelberg Ende der sechziger Jahre, in dem auch Kader der späteren RAF aus der Szene subproletarischer Pubertärlinge sich Nachwuchs heranzuziehen hofften für ihren politischen Kampf, stritt Amendt für echte Verbesserungen. Setzte sich für die Rechte der Jugendlichen ein - nötigenfalls in monatelangen Konflikten mit Behörden. Günter Amendt kannte, als er "Sex Front" verfasste, die Not, keine Sphäre des Sexuellen für sich beanspruchen zu können.

In den Achtzigern widmete er sich dem Phänomen Drogen. In "Sucht, Profit, Sucht. Politische Ökonomie des Drogenhandels" umriss er erstmals eine Kritik der staatlichen Drogenpolitik, die nur auf Strafen setzte - die Kampagne "Keine Macht den Drogen" geißelte er als verlogen und heuchlerisch. Sie blende die Interessen der Drogenproduzenten aus - und setze einseitig auf ein Strafrecht, das bereits den Besitz geringster Mengen an Marihuana unter Gefängnisdrohung stellte.

Sein Blick auf chemische Drogen, LSD vor allem, war ein ätzender: Solange, so Amendt, die Pharmakologisierung von immer mehr Bereichen des täglichen Lebens - von Ritalin bei allzu lebendigen Kindern bis hin zu Dopingmitteln im Sport - ein Tabu bleibe, sie nicht im Zusammenhang mit der Leistungsgesellschaft gesehen werde, nütze ein einseitiger Kampf gegen LSD nichts.

Libertär und entschlossen - und Bob Dylan als Gott

Amendt, langjährig Mitglied der DKP und ein eherner Skeptiker von spontihaften Politikmethoden, wie sie in den Siebzigern kultiviert und schließlich in den Grünen zur Partei wurden, hatte nichts von einem Breschnew-haften DKP-Menschen an sich. Im persönlichen Umgang war er von kultiviertester Freundlichkeit und, kam das Gespräch auf Bob Dylan, von leidenschaftlicher Kenntnis.

Dylan, das war ihm der Gott zeitgenössischer Musik, das war das Amerika, das er sich erträumte, das war der schleppend-coole Sound, der ihm am ehesten behagte - Chiffren eines ästhetischen Schaffens, das auf Ambivalenz setzte, nicht auf schwarzweiße Schablonen.

Amendt, libertär und entschlossen in seinen Argumenten in einem, machte aus seinem Schwulsein kein Hehl, wie er einmal zu Protokoll gab. Die Attitüden, die auf Homoparaden gepflegt werden, waren ihm eher fremd: Homosexualität, so sagte er in den frühen Achtzigern, ist nichts Schlechtes und nichts Gutes. Es sei, wie es sei - was der Menschen Liebe ausmache, dürfe nicht mit Angst belastet werden.

Günter Amendt

, 1939 in Frankfurt am Main zur Welt gekommen, starb am vergangenen Samstag in Hamburg, Opfer eines Verkehrsunfalls, 71-jährig. Alter? Er hatte, so sagen Freunde, immer diese gewisse Aura von unverwüstlicher Lebendigkeit gehabt - er war kein gerontokratisches Alterchen mit Jugendverdiensten. Zu seiner Zeit war er der wichtigste und glaubwürdigste Jugendversteher der Republik.

In der Tragik seines viel zu frühen Todes liegt freilich eine gewisse Ironie: Der Fahrer des außer Kontrolle geratenen Wagens soll Polizeiangaben zufolge unter Einfluss von Drogen gestanden haben.