Dresden:Linke-Politiker droht Strafe wegen Neonazi-Blockade

Weil sie einen genehmigten Aufmarsch der Neonazis 2010 verhindert haben, sollen vier führende Linke-Politiker wegen "Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz" vor Gericht. Der sächsische Landtag hat mit den Stimmen von Schwarz-Gelb und der rechtsextremen NPD die Immunität von Linke-Fraktionschef Hahn aufgehoben. Der bleibt bei seiner Haltung - und vermutet ein "politisch motiviertes Verfahren".

Blockade als Mittel des Protests: Im Dresdner Landtag ist der Streit um rechtlich zulässige Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche voll entbrannt. Nun hat der Landtag mit Hilfe der Stimmen aus der CDU/FDP-Koalition sowie der rechtsextremen NPD die Immunität des sächsischen Linke-Fraktionschef André Hahn aufgehoben - und damit den Weg für die Strafverfolgungsbehörden frei gemacht.

Vorschau: Landtag entscheidet ueber Immunitaet von Linke-Politiker

Der "Rädelsführer": Sachsens Linken-Fraktionschef André Hahn soll Blockaden gegen eine rechtsextreme Demo mitorganisiert haben - nun hat der Dresdner Landtag seine Immunität aufgehoben.

(Foto: dapd)

Die Anklagebehörde wirft Hahn vor, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Er soll Blockaden gegen einen Neonazi-Aufmarsch im Februar 2010 in Dresden als "Rädelsführer" mitorganisiert haben. Anfang November werde gegen den Politiker Anklage erhoben oder ein Strafbefehl wegen eines Versammlungsdeliktes beantragt, kündigte die Staatsanwaltschaft Dresden an.

Zur Ausgangslage: Die rechtsextreme Junge Landsmannschaft Ostdeutschland hatte am 13. Februar 2010 wie jedes Jahr einen Marsch zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg angemeldet. Die Staatsanwaltschaft Dresden stellte schon vorab klar, dass Blockaden gegen eine genehmigte Kundgebung ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und somit eine Straftat sind. Auch "braune Dumpfbacken" hätten das Recht auf Versammlungsfreiheit, so die Argumentation.

Trotzdem gingen weit mehr als 10.000 Menschen auf die Straße und riegelten das Terrain rund um den Neustädter Bahnhof, dem Sammelpunkt der Neonazis, weitgehend ab. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, die Blockaden zu räumen und den Weg für den genehmigten Aufmarsch der Rechtsextremen frei zu machen.

Über den Fall Hahn an sich wurde im sächsischen Landtag am Mittwochabend gar nicht mehr debattiert. Nur der Betroffene selbst durfte zehn Minuten lang Stellung nehmen: "Und ich bleibe ausdrücklich dabei: Es war und es ist richtig, sich gegen derartige Aufmärsche mit friedlichen Mitteln zur Wehr zu setzen", betonte Hahn. Protest sei auch in Zukunft erforderlich: "Und ich werde wieder dabei sein."

Hahn sprach von einem "politisch motivierten Verfahren" und Willkür. Er habe weder gestohlen noch eine Körperverletzung oder andere Straftat begangen, sondern gemeinsam mit vielen anderen Demonstranten friedlich gegen die Neonazis protestiert.

Die Bundesgeschäftsführerin der Linkspartei, Caren Lay, nannte die Landtags-Entscheidung empörend. Damit sei der demokratischen Kultur ein Bärendienst erwiesen worden. Demokratische Parteien sollten die Bürger ermutigen, "Gesicht gegen rechts zu zeigen". Sie forderte zugleich, sämtliche Verfahren wegen Teilnahme an friedlichen Blockaden gegen Nazi-Aufmärsche in Dresden einzustellen.

Außer Hahn müssen auch die Linke-Fraktionschefs der Länderparlamente von Thüringen und Hessen, Bodo Ramelow sowie Janine Wissler und Willy van Oyen, mit einem Prozess rechnen. Ramelows Immunität wurde bereits aufgehoben, in Hessen liegt das Immunitätsverfahren derzeit allerdings noch auf Eis.

Die Staatsanwaltschaft Dresden wies den Vorwurf der politisch motivierten Verfolgung zurück. "Wir gehen unserer gesetzlichen Pflicht nach, Straftaten zu verfolgen", sagte Oberstaatsanwalt Lorenz Haase der Nachrichtenagentur dapd. Dies geschehe auch im vorliegenden Fall "unabhängig von der politischen Couleur der Beteiligten". Nach Angaben von Haase kommen auf die Beschuldigten im Falle einer Verurteilung "höchstwahrscheinlich Geldstrafen" zu. Grundlage für die Strafverfolgung ist nach Angaben der Ermittler das Bundesversammlungsgesetz, da das Versammlungsgesetz des Freistaats Sachsen vom dortigen Verfassungsgericht für nichtig erklärt worden war.

Polizei und Justiz gehen auch gegen weitere Akteure der Dresdner Neonazi-Aufmärsche vor. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Dresden wurden an diesem Morgen in Berlin zwei Wohnungen von Angehörigen aus der linken Szene durchsucht. Sie sollen sich an der Blockade des Neonazi-Aufmarschs am 19. Februar dieses Jahres in Dresden beteiligt haben.

Razzia bei Teilnehmern von Dresdner Anti-Nazi-Protesten

Den Männern im Alter von 34 und 47 Jahren wird laut Staatsanwaltschaft besonders schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Zudem geht es um gefährliche Körperverletzung, den Aufruf zur Begehung einer Straftat und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Im Zuge der Ermittlungen rund um die Geschehnisse vom 19. Februar 2011 sind die Ermittler den Angaben zufolge auf die beiden Männer aufmerksam geworden. Wie im Vorjahr hatten in Dresden Tausende Menschen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch blockiert. Überschattet wurde der friedliche Protest von schweren Krawallen.

Eine Sprecherin des Bündnisses "Dresden Nazifrei!" warf den Behörden in einer Mitteilung vor, "mit hochgradig illegalen Mitteln" zu arbeiten. So seien bei der Durchsuchung in Berlin alle Wohnungen in einem Haus durchsucht worden, obwohl die beiden Betreffenden im Hinterhaus des Objektes gemeldet sind, heißt es in der Erklärung.

Die Dresdner Sicherheitsbehörden stehen in Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Anti-Neonazi-Protesten massiv in der Kritik: Im Juni wurde bekannt, dass sich die Polizei die Handyverbindungsdaten aller Personen auflisten ließ, die sich am 19. Februar in der Dresdner Südvorstadt aufhielten. Von der Aktion dürften auch Zehntausende Unschuldige betroffen gewesen sein, deren Daten gespeichert und analysiert worden waren.

Linktipp: jetzt.de sprach mit Thomas Bergmann vom Bündnis "Dresden Nazifrei", das auch in diesem Jahr zu einer Blockade des Neonazi-Aufmarschs am 19. Februar aufrief.

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