Wowereit lässt Rot-Grün platzen:SPD und CDU in Berlin - mächtig abgeneigt

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Die Berliner Wunschkoalition platzt in Berlin wegen drei Kilometern Autobahn - SPD und Grüne schnauzen sich nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen ein bisschen an und versuchen, den Schaden zu begrenzen. Nun müssen sich Bürgermeister Wowereits SPD und die CDU zusammenraufen. Ein schweres Unterfangen, schließlich gilt das Verhältnis zwischen den Volksparteien als vergiftet.

Kathrin Haimerl und Oliver Das Gupta

Am Wahlabend herrschte Bombenstimmung im Kesselhaus der Brauerei in Prenzlauer Berg, denn dort feierte die SPD. Man ließ den Spitzenkandidaten Klaus Wowereit hochleben. Man feixte darüber, dass die FDP auf das Niveau einer Kleinstpartei abgeschmiert war. Und beklatschte "Wowi" für seine Feststellung, dass die Berliner "die Konservativen" in die Schranken gewiesen haben. Die Sozialdemokraten waren sich sicher, mit wem man künftig regieren würde - auch wenn man gemeinsam nur auf eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme kommt: "Wenn es irgendwie geht, wird Klaus Wowereit ein Regierungsbündnis mit den Grünen eingehen", tönte Kulturstaatssekretär André Schmitz. Zwei Wochen später ist klar: Es geht nicht - SPD und Grüne werden keinen Senat bilden.

Knackpunkt ist der Ausbau der Stadtautobahn zwischen Neukölln und Treptow. "Bei dem Thema A100 sind die Positionen offenbar nicht in Einklang zu bringen", sagte Wowereit zur Begründung. Der Regierende Bürgermeister hatte das Projekt schon vorher zur Gretchenfrage gemacht. Es geht um etwa drei Kilometer Schnellstraße - für Wowereit Sinnbild für "Fortschritt". Mit dem Wort hatte Wowereit noch in der Wahlnacht seine Wunschkoalition überschrieben - ein unmissverständlicher Wink in Richtung Grüne.

Die geben sich mächtig enttäuscht und machen Wowereit für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich: Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagt, seine Partei sei der SPD sehr weit entgegengekommen. "Wowereit hat offenkundig nie etwas anderes akzeptiert als das Koch-und-Kellner-Verhältnis zwischen SPD und Grünen", giftet Ratzmann in der Leipziger Volkszeitung. Er verhehlt nicht sein Misstrauen: Er frage sich jetzt, nach dem Abbruch der Verhandlungen, ob die SPD tatsächlich mit den Grünen koalieren wollte.

Ähnlich äußert sich die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Herr Wowereit hat nicht verstanden, was es bedeutet, einem potenziellen Koalitionspartner auf Augenhöhe zu begegnen", sagt Roth. "Ich glaube, Klaus Wowereit wollte gar keine rot-grüne Koalition in Berlin." Wowereit habe damit "unverantwortlich und gegen den Willen der Mehrheit in der Stadt und in seiner eigenen Partei gehandelt", so die Grünen-Chefin.

Im Willy-Brandt-Haus gibt man den Grünen die Schuld: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf den Berliner Grünen vor, "intern nicht sortiert" gewesen zu sein. Allerdings beeilt sich Nahles im Gespräch mit dem Tagesspiegel, nicht zu schroff zu klingen: Die SPD werde aus dem Scheitern der Verhandlungen "keine Rückschlüsse für die Zukunft für die Bundesebene ziehen". Bloß nicht zu viel Porzellan zerschlagen - das will auch Grünen-Chefin Roth. Sie sieht die rot-grüne Option für den Bund durch das Scheitern der Koalitionsgespräche im Land Berlin nicht als beschädigt an. "Nur wegen Klaus Wowereit gebe ich die Perspektive einer rot-grünen Koalition im Bund bestimmt nicht auf", so Roth.

Kein Wunder: Schließlich wollen SPD und Grüne spätestens nach der Bundestagswahl 2013 Schwarz-Gelb ablösen. So wie Union und FDP im Bund galten SPD und Grüne in Berlin als Wunschpartner - daran änderte auch die Spitzenkandidatur von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast nichts.

Doch nun bleibt der SPD als möglicher Koalitionspartner vorerst nur die CDU, die aus der Abgeordnetenhauswahl am 18. September als zweitstärkste Partei hervorgegangen war. Deren Spitzenkandidat Frank Henkel hat Wowereit und seiner SPD "ernsthafte Verhandlungen" angeboten. "Es bleibt dabei, wir sind uns unserer Verantwortung als zweitstärkste Kraft für diese Stadt bewusst. Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen", bekräftigte Henkel an diesem Mittwoch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Gerade im eher linken SPD-Landesverband lässt der Gedanke an eine Zusammenarbeit mit der CDU viele schaudern. Viele Sozialdemokraten haben zudem die homophoben Untertöne nicht vergessen, die in der Vergangenheit mit Blick auf den schwulen Bürgermeister in die Öffentlichkeit gedrungen waren. Viele denken auch mit Schrecken an die schwarz-roten Jahre unter dem CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen zurück, in denen das Landesbankfiasko die ohnehin mauen Finanzen der Hauptstadt vollends ruinierte.

CDU-Leute wie Michael Braun und Frank Steffel gelten den Genossen als Repräsentanten jener CDU, die den Bankenskandal verursacht hat. Steffel, der als Spitzenkandidat einmal eine Wahl gegen Wowereit verloren hat, ist stellvertretender Landesvorsitzender und fiel vor einem Jahr vor allem dadurch auf, dass er dem Regierenden via Boulevard-Blatt eine bizarre Wette anbot: "Ich biete Wowereit eine Wette an. 50 Flaschen Rotkäppchen-Sekt, dass er 2012 eher mit Desirée Nick Schampus aus Pumps schlürft, als dass er dann noch die Stadt regiert."

Wut auf Wowereit: Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann (Foto: REUTERS)

Alles Zoff oder was? Längst vergessen, sagt Steffel heute. Er habe mit Wowereit ein sehr gutes Verhältnis, habe dem Regierenden Bürgermeister sogar persönlich zum Geburtstag gratuliert. "Die führenden Christdemokraten haben mit den führenden Sozialdemokraten ein ausgezeichnetes Verhältnis", erklärt der Bundestagsabgeordnete, der im Landesvorstand der Berliner CDU sitzt und auch teilweise beim ersten Sondierungsgespräch mit der SPD dabei war. Erste Priorität für Berlin sei "eine stabile Regierung". Dies sei mit der CDU möglich: "Wir sind strukturell eine Regierungspartei und wir wollen Verantwortung übernehmen", so Steffel zu sueddeutsche.de.

Die Feindschaft zwischen Roten und Schwarzen - Schnee von gestern? Das sehen auch an diesem Tag einige der Akteure anders, selbst wenn sie es nicht laut sagen.

Wowereit dürfte so manchem Christdemokraten als rotes Tuch gelten. In seiner Autobiographie schildert Diepgen, dass die Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD nie spannungsfrei war. Zwar habe man sich unter SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt (bis Dezember 1994) und anschließend Klaus Böger in einzelnen Projekten annähern können. Die Atmosphäre im Senat beschreibt er als "sachlich-konstruktive Atmosphäre". Dies habe sich 1999 mit dem Amtsantritt Wowereits als SPD-Fraktionschef grundlegend geändert. Wowereit habe sich "vom Ansatz meist destruktiv" verhalten, so Diepgen.

Die Potsdamer Neuesten Nachrichten zitieren einen namentlich nicht genannten SPD-Politiker, der das Verhältnis folgendermaßen umschreibt: "Es gibt einfach zu viele, die uns hassen" und "man kann nicht miteinander - nicht wirklich".

All den Abneigungen zum Trotz werden Sozialdemokraten und Christdemokraten nun doch versuchen, auf einen politischen Nenner zu kommen. Immerhin: Programmatisch liegt man nicht weit auseinander, getroffen hat man sich auch schon mal.

Fast dreieinhalb Stunden sondierten SPD und CDU nach der Wahl. Hinterher sagte Wowereit: "Wir hatten eine sehr sachliche und konstruktive Atmosphäre." Bezüglich der Sachthemen sagte er: "Ich sehe keine unüberwindbaren Meinungsunterschiede."

Einig dürften sich Wowereit und Henkel weitgehend beim Thema Stadtautobahn sein, beim Ausbau Schönefelds zu einem Großflughafen sowie bei der Bebauung des Tempelhofer Feldes. Keine unüberbrückbaren Gegensätze gäbe es auch bei der Sozial- und Mietenpolitik. Eine gemeinsame Familien- und Jugendförderung wäre denkbar. Konflikte könnte es hingegen in der Schulpolitik und im Bereich Innere Sicherheit geben. Nach dem Sondierungsgespräch mit der CDU listete Wowereit außerdem noch Bundesthemen wie Ausländerrecht, Integration und doppelte Staatsbürgerschaft auf.

"Ich habe gemischte Gefühle, wenn ich an Verhandlungen mit der CDU denke", sagt Christian Gaebler zu sueddeutsche.de. Der Sozialdemokrat sitzt seit 1995 im Berliner Abgeordnetenhaus, er hat die Zeit unter Diepgen erlebt. Nun ist er Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und sagt: "Mit Leuten wie Henkel kann man pragmatisch reden". Gaebler sagt aber auch: "Mit manchen Leuten im Hintergrund kann man das nicht." Wen er damit meint, sagt er nicht. Aber später merkt er an: Die Reizfigur Frank Steffel sitze ja inzwischen im Bundestag, Henkel aber im Abgeordnetenhaus.

CDU-Spitzenmann Henkel könnte nicht nur Wowereits Politpartner werden - sondern sogar zum Vorreiter für eine Wiederauflage von großen Koalitionen auf Bundesebene. Denn auf den einstmals natürlichen Koalitionspartner FDP setzt der Christdemokrat längst nicht mehr, das machte er am Wahlabend deutlich. Da knöpfte sich Henkel die Liberalen vor: "Es ist unverantwortlich, wie die FDP Wahlkampf gegen Deutschland und Europa gemacht hat", rief er - und offenbarte sogar einen gewissen Abscheu vor den Freidemokraten: Er habe den Namen dieser Partei zuletzt nicht einmal mehr in den Mund genommen.

Auch aus der Bundes-CDU dringt Zufriedenheit: "Wowereit nicht länger genervt, Grüne müssen A100 Position nicht verraten, CDU kann zeigen was sie kann", twittert Peter Altmeier, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag und resümiert: "Ideal für alle!"

Und so werden sich SPD und CDU wohl zusammenraufen - allen Abneigungen zum Trotz. Der aus Berlin stammende Sozialdemokrat und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse stellt nun im Gespräch mit dem Tagesspiegel fest: "So wenig Rot-Grün der Himmel für Berlin gewesen wäre, so wenig ist Rot-Schwarz die Hölle."

Der Autor debattiert unter twitter.com/oliverdasgupta

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