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Vallée Blanche: Eine Skiabfahrt der Superlative

Foto: OdT Chamonix Mont-Blanc

Ski-Mythos "Vallée Blanche" Die Pulver-Perfektion

19 Kilometer ungespurte Abfahrt, fast 2000 Höhenmeter Skigenuss: Die "Vallée Blanche" in Frankreich ist einer der spektakulärsten Hänge, die ein Wintersportler in seinem Leben herunterbrettern kann. Schon der Einstieg ist eine echte Mutprobe.

Schon der Einstieg in das weiße Tal ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Die Skier haben wir an den Rucksäcken festgeschnallt, die Skischuhe tasten sich durch den Schnee. Die linke Hand umklammert ein Seil, das hier als Sicherung angebracht ist, die rechte hängt ausgestreckt über dem Nichts und versucht das Gleichgewicht zu stabilisieren. Jetzt nur nicht abrutschen!

Vor uns hangelt sich Gogo, unser Bergführer, am Handlauf entlang: Hinter uns hängen sieben weitere Abenteurer in der Seilschaft. Rechts und links fällt der Abhang praktisch senkrecht in die Tiefe. Adrenalin schießt durch den Körper, das Herz klopft unter der Skijacke. Wir hatten uns das etwas einfacher vorgestellt. Aber es wird sich lohnen.

"La Vallée Blanche" ist eine legendäre Skiroute, vielleicht sogar die berühmteste der Welt: eine 19 Kilometer lange, ungespurte Abfahrt, von der Aiguille du Midi auf 3800 Metern hinunter bis nach Montenvers auf 1900 Meter. Zwei Kilometer Luftlinie - in der Senkrechten. Aber erst als Gogo am Ausstieg der Gondel die Klettergurte aus seinem Rucksack zog, damit wir uns an dem Grat sichern können, wurde klar, dass dies keine normale Talabfahrt werde würde.

Keine Angst vor Gletscherspalten

Die Expedition hatte am Morgen gemütlich mit einer Tasse heißer Schokolade und einer Crêpe au sucre begonnen. Weil der Ansturm an manchen Tagen die Kapazitäten der Gondel übersteigt, bekommt man an der Kasse ein Ticket mit einem Platz zugeteilt. Unsere Reservierung lag zwei Stunden in der Zukunft. Und so erklärte Gogo in einem Café in Chamonix, dass man sich bei ihm keine Sorgen machen müsse, falls man mal eine Gletscherspalte stürze. "Ich habe immer ein langes Seil dabei", sagte er. Gogo hat natürlich auch einen normalen Namen, aber er sagt, dass er den oberhalb von 1000 Höhenmetern nicht benutzt. "Habt ihr auch genug zu trinken dabei?", fragte er noch und blickte uns prüfend an.

Als wir dann auf 3800 Metern aus der Gondel steigen, wird klar warum: Die Luft ist dünn, und das Panorama raubt einem den Atem - wie ein weißer Noppenteppich liegen uns die Berge zu Füßen. Die Pisten von Chamonix weit unten im Tal sehen aus wie Anfängerhügel, obwohl wir noch am Tag zuvor voller Respekt darauf herumgekurvt sind. Und dann der Mont Blanc: Seine Spitze ragt 1000 Meter über die Aiguille du Midi hinaus. Näher als hier kommt man dem Riesen nur selten. Der Mont Blanc gehört zu den wenigen Bergen der Region, an die man zum Glück nie eine Seilbahn gekettet hat. Wer hinauf will, muss es aus eigener Kraft schaffen.

Nachdem wir es immerhin aus eigener Kraft geschafft haben, mit Skischuhen den schmalen Grat hinabzusteigen, beginnt der schönste Teil der Abfahrt: Der Schnee auf dem ersten Stück der Vallée blanche ist pures Pulver, die Sonne glitzert über dem Gletscher.

Am Gletscher des Riesen

Die meisten Hänge sind keine schwarzen Pisten, sondern eher mittelsteile Tiefschnee-Abfahrten. Man muss kein Profi sein, um darauf eine gute Figur zu machen. Gogo kennt sich aus, findet auf dem weitläufigen Gelände immer wieder Flecken, die noch nicht von Skispuren durchzogen sind. Eine gute Stunde lang geht es bergab. Mit Pausen natürlich, denn immer wieder will jemand anhalten und die Berge fotografieren. Den "Glacier du Géant" zum Beispiel, den Gletscher des Riesen, der so aussieht, als würde einen der Berg angrinsen.

An einer kleinen Schutzhütte legt Gogo eine Mittagspause ein. Der Wind pfeift über die Holztische, das Sandwich aus dem Rucksack ist gefroren. Einige wollen lieber gleich weiter. Aber Gogo bremst: "Nutzt die Pause. Ihr müsst Kräfte sammeln, die Abfahrt ist noch nicht zu Ende." Wenn die Drängler ahnten, was noch auf sie zukommt, wären sie vielleicht nicht so forsch.

Nach Sandwich und Eistee brechen wir auf zum "Mer de Glace", zum Eismeer. Wie ein weißer See liegt dieses Stück der Abfahrt in der Sonne, der Schnee ist weicher, die Hänge flacher, das Skifahren eher ein Schau-Laufen. Denn der Weg führt vorbei an kleinen Bächen und großen Becken mit eisblauem Gletscherwasser. Wir bleiben stehen und staunen - und wir sind nicht die einzigen. Oben auf dem Berg hat sich der Strom der Abfahrts-Touristen über die verschiedenen Routen verteilt, hier trudeln sie wie am Ausfluss eines Trichters wieder zusammen.

Ein Traum für fortgeschrittene Skifahrer

Besonders an sonnigen Tagen ist der Andrang groß. Das Vallée Blanche ist ein Mythos für Skifahrer. Fast jeder, der eine schwarze Piste ohne Schreckensschreie runterkommt, träumt davon, einmal dort gefahren zu sein. Doch der Berg lässt die Sportler nicht jeden Tag an sich heran, im Gegenteil: Im Dezember ist die Abfahrt unmöglich, da liegt zu wenig Schnee über den Felsen und Gletscherspalten. Im Januar schneit es dafür umso stärker, auch das ist ein Hinderungsgrund.

Und selbst im Februar und März, den besten Monaten für die Abfahrt durch das weiße Tal, muss das Wetter den Abenteurern wohl gesonnen sein. Wenn morgens schlechte Sicht und Nebel herrschen, ist kein Guide bereit, die Verantwortung für eine Gruppe zu übernehmen. "Und wenn sie auf Knien betteln würden", sagt Gogo. Und dann erzählt er, wie ihn ein australischer Skiläufer angefleht hat, trotz des schlechten Wetters aufzubrechen. Gogo lehnte ab. "Manche Menschen sind echt irre."

Als wir am Ende der Abfahrt ankommen, wartet noch eine sportliche Herausforderung auf uns. Denn das Vallée Blanche führt nicht direkt zurück nach Chamonix, jedenfalls nicht im März, wenn der Schnee im Ort schon geschmolzen ist. Dann muss man in einen alten Zug mit roten Waggons steigen, der seit mehr als hundert Jahren zwischen Chamonix und der Station "Montenvers" am Fuße der Abfahrt verkehrt.

Weil die Piste aber weit unterhalb des Bahnhofs ankommt, schaukelt seit 1960 eine kleine Seilbahn die müden Skifahrer zum Bahnhof. Nur an diesem Tag versagt die Gondel ihren Dienst. "Zu windig für die alte Dame", sagt der Gondelführer und zuckt mit den Achseln.

Wir legen den Kopf in den Nacken: Vor uns liegt ein schier endlos langer Aufstieg über einen schneebedeckten Trampelpfad. Als wir nach einer Stunde oben ankommen, schnaufend, schwitzend, schimpfend, lehnt Gogo bereits an einem Zaun. "Wer 2000 Höhenmeter den Berg runtergefahren ist, wird ja wohl noch 200 Meter bergauf schaffen", sagt er. Dann grinst er sehr breit. "Wir sind hier schließlich nicht auf einer normalen Skipiste."