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Kopenhagen nach dem Anschlag Hinfallen, Krone richten, weitergehen

Ein antisemitischer Attentäter hat in Kopenhagen zwei Menschen ermordet und für ein paar Stunden die ganze Stadt in Atem gehalten. Die Bewohner reagieren zum Glück wie gewohnt: gelassen.
Von Clemens Bomsdorf, Kopenhagen

Dass so etwas geschehen könnte, haben wir in der dänischen Hauptstadt immer gewusst. Dennoch haben wir eine Dekade so weiter gelebt wie bisher, sind U-Bahn gefahren und haben Bier getrunken als hätte niemand Angst vor einem Anschlag. "Man darf sich durch Terror doch nicht verrückt machen lassen!", haben wir gedacht. Nach den Anschlägen von Paris war die Furcht konkreter geworden, zeitweilig hatte man den Eindruck, mehr Polizei auf der Straße zu sehen. Aber auch das war in Dänemark kein Grund, irgendetwas im Alltag zu ändern.

Ich bin im Herbst 2005 nach Kopenhagen gezogen, ungefähr zur selben Zeit, als in der Zeitung "Jyllands-Posten" der muslimische Prophet mit einer Bombe als Turban abgedruckt wurde. Die Karikatur wurde zum Fokus im Kampf "Meinungsfreiheit gegen religiöse Gefühle": Im Nahen Osten und in Pakistan wurden Botschaften angezündet, zahlreiche Menschen kamen bei Ausschreitungen ums Leben. Seitdem wird dieses Bild von Extremisten genutzt, um Morde zu rechtfertigen. Den Karikaturisten Kurt Westergaard versuchte ein Somalier in seiner Wohnung mit einer Axt zu ermorden.

Die Todesliste der Terroristen

Spätestens seit den Anschlägen auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris wissen wir, dass die Terroristen eine Art Todesliste herausgegeben haben. Stéphane Charbonnier, der Herausgeber von "Charlie Hebdo" stand darauf, wie auch Westergaard und Lars Vilks, der Gast war auf der Diskussionsveranstaltung im Kopenhagener Café Krudttønden und der vor den Schüssen des Extremisten fliehen konnte. Es starben im Kugelhagel der Filmregisseur Finn Nørgaard, und Dan Uzan, jüdischer Wachmann vor einer Synagoge, der dort Gäste einer Bar Mitzwa vor dem Eingang kontrollierte.

Der Täter kam aus Kopenhagen, ein 22-Jähriger, Sohn palästinensischer Eltern, einst Mitglied einer kriminellen Bande und wegen einer Messerstecherei vorbestraft. Erst im Januar war er aus dem Gefängnis entlassen worden. Er habe kein Geheimnis daraus gemacht, Juden generell zu hassen, erzählen Bekannte des Täters.

Die Leute bleiben gelassen

Und so beginnen wir diese Woche in Trauer und fahren doch weiter U-Bahn und trinken weiter abends wieder Bier. Wir müssen genauso weiterleben wie zuvor. Denn wer seine eigene Freiheit radikal beschneidet, weil irgendwo ein Anschlag lauern könnte, der gönnt Terroristen schon einen ersten Sieg. Bislang deutet auch nichts darauf hin, dass die Leute in Dänemark ihr Leben von den Extremisten beeinflussen lassen würden. Sie bleiben gelassen. In der Nacht zu Sonntag ließen sich Leute das Feiern trotz der massiven Polizeipräsenz nicht nehmen. Eine Freundin schrieb dazu bei Facebook: "Das ist so schön typisch Kopenhagen - betrunkene Däninnen in Minirock, die sich mit durchgefrorenen Polizisten mit Maschinenpistolen unterhalten".

Klingt gleichgültig? Ist es aber nicht. Eher gelassen, gelassen dänisch eben. In Frankreich gingen die Leute nach den Attentaten auf das "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt auf den Straßen demonstrieren, sie schwenkten die Tricolore, um zu zeigen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen wollen. Aber Frankreich ist eben das Land der Revolution. Der dänische Widerstandsgeist zeigt sich nicht in Massendemonstrationen, sondern in Pragmatismus.

Erstaunliches Maß an Resilienz

"Hinfallen, Krone richten, weitergehen" - dieser Spruch beschreibt die Dänen bestens. Sie haben ein erstaunliches Maß an Resilienz, die Fähigkeit, nach Tiefschlägen wieder obenauf zu sein und weiterzumachen wie zuvor.

Während in Frankreich die extreme Rechte forderte, die Todesstrafe wieder einzuführen, sind die Rechtspopulisten in Dänemark genauso wie die Politiker der anderen Parteien bisher erstaunlich ruhig geblieben. Es blieb aus, was im Land in den vergangenen Jahren zugenommen hat: Die teils üble Polemik gegen Einwanderer und speziell gegen die Muslime. Das kam für mich überraschend. Aber vielleicht haben die Politiker einfach von der Bevölkerung gelernt und üben sich nun statt in Aktionismus auch längerfristig in Gelassenheit. Zu hoffen wäre es.

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