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Ausland Chemische Waffen

20.000 russische Raketen machen Libyen zu Pulverfass

Korrespondent für Kriegs- und Krisengebiete
Tonnenweise werden Gewehre, Boden-Luft-Raketen und sogar Senfgas-Fässer in Libyen geborgen. Doch viel Kriegsmaterial bleibt verschwunden.

In den frühen Morgenstunden des 17. Oktober verließ ein Konvoi von sechs Fahrzeugen Bani Walid, kurz bevor die Wüstenstadt von den Rebellen erobert wurde. Auf der Fahrt ins 120 Kilometer südöstlich gelegene Wadi Zamzam trafen Raketen von Nato-Kampfflugzeugen den Konvoi.

Später fand eine Rebelleneinheit unter dem Kommando von Omar al-Muchtar die zerstörten und ausgebrannten Fahrzeuge. Darunter der gepanzerte Toyota, mit dem Saif al-Islam al-Gaddafi gesehen worden war. „Wir waren ihm auf der Spur“, sagte al-Muchtar. „Er muss im gepanzerten Fahrzeug überlebt haben. Jemand hat ihm dann geholfen, zu entkommen. Wir haben die ganze Gegend abgesucht, aber nichts gefunden.“

Haftbefehl gegen Saif al-Islam

Es war die letzte Spur von Saif al-Islam („Schwert des Islam“) auf libyschem Boden. Er sei nach Niger geflohen und auf dem Weg nach Mali , hieß es. Dort soll sich bereits Abdullah al-Senussi, der ehemalige Geheimdienstchef des getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi aufhalten. Gegen die beiden Flüchtigen hat Internationale Gerichtshof in Den Haag Haftbefehl erlassen.

Saif al-Islam sei bereit, sich dem Gerichtshof zu stellen , ließ der Nationale Übergangsrat (NTC) in Tripolis wissen: „Er ist um seine Sicherheit besorgt und das ist seine beste Option.“ Saif verlange aber Garantien. Erwolle ein vertrauenswürdiges Land als Vermittler, das ihm ein Flugzeugorganisiert, um an einen sicheren Ort ausfliegen zu können.

Wie eine Trophäe präsentiert

Der Chefankläger des Haager Strafgerichtshofes hat Saif al-Islam Schutz und einen fairen Prozess in Aussicht gestellt. Sollte der Gaddafi-Sohn sich freiwillig stellen wollen, werde der Gerichtshof dabei Hilfestellung leisten, ließ Staatsanwalt Luis Moreno-Ocampo mitteilen. Zugleich bestätigte er indirekte Kontakte der Anklagevertretung mit Mittelsmännern des zweitälteste der sieben Gaddafi-Söhne, von denen nur noch vier leben.

Saifs Bruder Muatassim, der dem Vater als Sicherheitschef gedient hatte, mit ihm gemeinsam starb und in einer Kühlhalle in Misrata der Öffentlichkeit wie eine Trophäe präsentiert wurde, soll exekutiert worden zu sein. In einem Handyvideo ist er bei bester Gesundheit zu sehen: Er trinkt aus einer Wasserflasche und raucht eine Zigarette. Danach gibt es nur noch Bilder von seiner Leiche.

Bisher hat sich der NTC bei seinen Meldungen als wenig verlässlich erwiesen – gerade was Saif al-Islam anbelangt. Nach dem Einmarsch der Rebellen in Tripolis am 21. August habe man den Gaddafi-Sohn angeblich verhaftet. Einen Tag später gab Saif den internationalen Medien vor einem Luxus-Hotel Rixos in Tripolis ein Interview. Nachdem sein Vater in dessen Geburtstadt Sirte getötet worden war hieß es, Saif sei verhaftet. Dann war er plötzlich tot und schließlich lag er mit amputierten Beinen und nur noch einem Arm im Krankenhaus. Nichts davon stimmte.

Einen Tag nach dem Tod seines Vaters gab der Sohn über den syrischen Sender al-Rai seine Stellungnahme bekannt: „Wir werden unseren Widerstand weiterführen. Ich bin in Libyen, am Leben und frei. Ich werde bis zum Ende gehen und Rache nehmen.“ Auf einer pro-Gaddafi-Webseite wurde Saif zum Nachfolger seines Vaters erklärt, der den Widerstand gegen die Rebellen organisiert.

"Saif war nur noch ein nervöses Wrack"

Sind das leere Propagandafloskeln oder wird Saif tatsächlich den Weg seines Bruders und Vaters bis zum bitteren Ende gehen? Der Leutnant seiner Leibgarde, Sharif al-Sanoussi, der bis zur Flucht aus Bani Walid den Gaddafi-Sohn begleitet hatte, zeichnet ein wenig heroisches Bild von ihm: „Saif war nur noch ein nervöses Wrack, andauernd in Angst, von einer Granate getroffen zu werden.“

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Im Wüstengebiet von Niger und Mali werden Saif al-Islam wie auch Geheimdienstchef Senussi von Tuareg-Nomaden beschützt. Einer ihrer Stammesführer bestätigte, dass der Gaddafi-Sohn unter seinem Schutz stehe. Die Tuaregs arbeiteten als Söldner für das Regime. Muammar al-Gaddafi unterstützte ihre Stämme viele Jahre großzügig.

Ohne deren Waffen, Ortkenntnisse und Organisation hätten die Flüchtigen keine Überlebenschance gehabt. Diese Sahara-Region ist unübersichtlich. Die Islamische Republik Mauretanien ist für sie der einzige Ausweg. Das Land hat als einziges in der Region das Abkommen zur Auslieferung von international gesuchten Verbrechern nicht unterschrieben.

In Bani Walid gibt es fast täglich immer noch Schießereien zwischen Gaddafi-Anhängern und Rebellen des NTC. An den Häuserwänden stehen frische Graffitis, die „Allah, Libyen und Gaddafi“ preisen. Viele Bewohner der ehemaligen Hochburg Gaddafis sollen sich in der Wüste verstecken und den Widerstand gegen den NTC organisieren. Die in Bani Walid ansässigen Mitglieder des Stamms der Warfalla sollen Rache für den entwürdigenden Tod des Diktators geschworen haben. Ob sich daraus ein ernst zu nehmender Widerstand entwickelt, wird bezweifelt.

Aber genug Waffen dafür stünden bereit. „Mehr als zehn, vielleicht auch 100 Mal so viele Waffen wie im Irak“, soll es laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Libyen geben. Tonnenweise wurden Munitionskisten und Waffen von den Rebellen aus den Kasernen der libyschen Armee abtransportiert. Darunter auch das deutsche Gewehr G 36 von Heckler & Koch, mit dem die deutsche Bundeswehr ausgerüstet ist.

Libyschen Waffenbasar

Wie viele Waffen in welche Hände verschwunden sind, weiß niemand. Immer wieder werden neue Waffenlager entdeckt, die völlig unbewacht sind. Darunter auch ein Depot in der Wüste mit einer Tonne Senfgas, wie Oberst Saad al-Gamati von der Libyschen Armee bestätigte. Das größte Problem auf dem libyschen Waffenbasar sind russische Sam-Raketen, die ihr Ziel über Hitzequellen finden. „Ich habe einen Rebellen mit 20 Stück davon durch die Stadt fahren sehen“, berichtet Peter Bouckaert vom HRW.

Insgesamt soll es mindestens 20.000 dieses Typs in Libyen gegeben haben, viele davon sind verschwunden. Britische und US-amerikanische Spezialisten forschen nach diesen gefährlichen Waffen, die militante Gruppen wie al Qaida im Maghreb (AQIM) oder die radikalislamische palästinensische Hamas nur allzu gern in ihren Händen hätten.

2002 hatte die AQIM mit einer dieser Raketen versucht, eine israelische Chartermaschine in Mombasa abzuschießen. Die Rakete verpasste die Maschine nur knapp. Am vergangen Donnerstag hatten ägyptischen Behörden fünf kleinere Schmugglergruppen verhaftet, die verschiedene Waffentypen an die israelische Grenze bringen wollten. Darunter auch Luftabwehrraketen.

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