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Mythos widerlegt Frauen und Männer reden gleich viel

Das Klischee von geschwätzigen Frauen und wortkargen Männern soll passé sein: Beide Geschlechter reden in etwa gleich viel, haben Psychologen festgestellt. Sie haben sogar elektronisch gezählt, wie viele Wörter im Tagesdurchschnitt aus Mann und Frau heraussprudeln.

"Jetzt sag doch auch mal was!" Schweigen. Ewig schon redet die Frau auf ihren Mann ein, doch der bleibt stumm. Ein "Hm" oder "Nö" ist alles, was er von sich gibt. Vielleicht lässt er sich wenigstens noch zu einem Satz hinreißen: "Ich habe meine Wörter für heute schon aufgebraucht."

Das Klischee von weiblichen Quasselstrippen und wortkargen Männern ist weit verbreitet, genährt von Statistiken aus der Wissenschaft. Doch nun behauptet ein deutscher Psychologe im Fachblatt "Science": Männer und Frauen reden gleich viel, im Durchschnitt geben sie rund 16.000 Wörter pro Tag von sich.

Das widerspricht früheren Angaben deutlich. Bisher war davon die Rede, dass Frauen etwa 7000 Wörter pro Tag von sich geben, Männer dagegen nur 2000. An anderen Stellen wird das Verhältnis mit 30.000 zu 12.000 pro Tag angegeben. Schon die großen Unterschiede zwischen diesen Zahlen nähren den Verdacht, dass sie auf unsicherem Fundament stehen.

Das Stereotyp der weiblichen Redseligkeit sei in der westlichen Volkskunde tief verwurzelt und oft sogar als ein wissenschaftlicher Fakt angesehen, schreiben Matthias Mehl von der University of Arizona in Tucson und seine Kollegen. "In Wirklichkeit hat keine Studie die natürlichen Gespräche von großen Menschengruppen für eine längere Zeit aufgenommen." Bis jetzt. Denn Mehl und sein Team haben zwischen 1998 und 2004 fast 400 Studenten aus den USA und Mexiko untersucht - mit einem selbst entwickelten Spezialrekorder.

Männlicher Vielsprecher kam auf 47.000 Wörter

Das kleine Gerät schaltete sich alle zwölfeinhalb Minuten ein und nahm dann die Wörter seines Trägers 30 Sekunden lang auf, ohne dass der Proband sich dessen bewusst war oder den Vorgang beeinflussen konnte. "Sicherlich wäre es besser gewesen, mehr aufzunehmen", sagte Projektleiter Mehl zu SPIEGEL ONLINE. "Allerdings wird die Anzahl der zu transkribierenden Wörter dann überwältigend, und die Probanden hätten das als Eingriff in ihr Privatleben empfunden."

Zwei bis zehn Tage wurde das Gesprochene durchgehend aufgenommen. Am Ende wurde die Wortzahl pro Teilnehmer auf den Tag hochgerechnet. Frauen kamen im Schnitt auf 16.215 Wörter, Männer auf 15.669. Zwar sind die Frauen zwar auch hier Sprech-Sieger, doch diese Differenz sei nur marginal und statistisch nicht signifikant, schreiben die Forscher. "Was ist ein 500-Wörter-Unterschied im Vergleich zu einem 45.000-Wörter-Unterschied zwischen den am meisten und am wenigsten gesprächigen Personen?", fragt Mehl. Die männliche Top-Quasselstrippe sprach 47.000 Wörter am Tag, der schweigsamste Proband kam auf wenig mehr als 500 Stück. Demnach gebe es tatsächlich gewaltige Unterschiede in der "verbalen Aktivität" einzelner Menschen, so die Forscher - aber die hätten nichts mit dem Geschlecht zu tun.

Zwar hätten sie nur Studenten untersucht - "eine potentielle Einschränkung unserer Analyse", wie die Psychologen einräumen. Aber wenn der Geschlechtsunterschied im täglichen Wort-Gebrauch biologisch vorbestimmt sei, sollte das unter Studenten genauso feststellbar sein wie in anderen Gruppen. Dennoch wollen die Forscher die Studie erst noch auf andere Bevölkerungskreise ausdehnen, bevor sie zu einer endgültigen Aussage bereit sind.

Auch ein Linguist kämpft gegen das Vorurteil

Schon mit der jetzigen Publikation bieten Mehl und sein Team einer US-Kollegin Paroli: "Eine Frau nutzt etwa 20.000 Wörter am Tag, während ein Mann rund 7000 benutzt", schrieb die Neuropsychiaterin Louann Brizendine in ihrem umstrittenen Buch "Das weibliche Gehirn". Die deutsche Ausgabe des Sachbuchs schaffte es bis auf Platz vier der SPIEGEL-Bestsellerliste. Das gelang mit Thesen wie: Frauen haben zwar ein kleineres Gehirn, doch in dessen Sprachzentrum befinden sich elf Prozent mehr Zellen als in der gleichen Region des Männerhirns. Die US-Medien verbreiten Brizendines Wörter-Verhältnis seit 15 Jahren, kritisieren Mehl und seine Kollegen - obwohl die Angabe unfundiert sei.

Auch Mark Liberman von der University of Pennsylvania in Philadelphia versucht, den Mythos "Ein Mann, ein Wort - eine Frau, ein Wörterbuch" zu entlarven: Auf seiner Homepage  listet der Linguist alle Zahlen auf, die er über das Klischee gefunden hat - in Witzen, Medienberichten und wissenschaftlichen Publikationen. In seiner jüngsten eigenen Studie zur Gesprächigkeit von Mann und Frau kam heraus: Die angeblich redseligen Damen sprachen im Schnitt 8805 Wörter pro Tag, die Herren 6073. Einziger Angriffspunkt: Die 153 abgehörten Probanden konnten das Aufnahmegerät selbst an- und ausschalten.

fba/dpa