Griechenland: Mit der vollen Härte des Gesetzes

Athene und Plato über den Wundern Griechenlands. Foto: Sébastien Bertrand / CC BY 2.0

Zehn Jahre Zuchthaus für Putzen ohne Schulabschluss. Das "im Namen des Volkes" verhängte Urteil löst bei den politischen Parteien Entsetzen und Wut aus

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Eine 53-jährige Griechin wurde in zweiter Instanz vom fünfsitzigen Berufungsgericht in Volos zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe musste sofort angetreten werden. In erster Instanz war die Frau zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Der Strafantritt für diese Verurteilung wurde bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts ausgesetzt. Zusätzlich zur Haftstrafe wurde der Frau die Zahlung eines sechsstelligen Betrags an die Staatskasse auferlegt.

Steuerhinterziehung wird nicht immer bestraft

Die drakonische Strafe trifft nicht etwa eine korrupte Politikerin. Die Frau ist auch nicht wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Diesbezüglich ist die griechische Justiz in Extremfällen durchaus kulant.

Beim Unternehmer und Medienmogul Dimitris K. hatten Steuerfahnder nicht deklarierte Auslandskonten entdeckt, nachdem die so genannte Lagarde-Liste mit griechischen Kontoinhabern bei der Schweizer HSBC, mit von der damaligen Regierung Samaras-Venizelos zu verantwortender Verzögerung, in ihre Hände geriet.

Die Fahnder konnten bei den Konten von K. bei der HSBC keine wesentlichen Unregelmäßigkeiten entdecken. Sie fanden jedoch, nachdem im Zusammenhang mit den Ermittlungen 2014 das Bankgeheimnis für K. aufgehoben wurde, weitere Konten bei der Millenium-Bank in Höhe von 41,1 Millionen, 13,7 Millionen und 11 Millionen Euro. Die Herkunft dieser in Griechenland von 2006 bis 2008 eingezahlten Gelder konnte vom Unternehmer nicht mit entsprechenden Steuererklärungen belegt werden.

Kurzum, das Finanzamt warf K. Steuerhinterziehung vor und verhängte 2015 eine Strafe von knapp 90 Millionen Euro. Der Unternehmer goutierte das überhaupt nicht und zog vor Gericht. Dort konnte er mit der Entscheidung 2347/2018 des obersten Verwaltungsgerichts, des Staatsrats, seinen Freispruch feiern. Der Staatsrat befand, dass die 2008 datierten Steuervergehen nach fünf Jahren verjährt seien.

Fälschung eines "Studienabschlusses"

Was hat nun die 53-jährige Frau mit einem millionenschweren Unternehmer gemein? Überhaupt nichts, die Frau arbeitete mit der Berufsbezeichnung "Putzfrau" seit 1996 für einen öffentlichen Kindergarten. Sie hatte sich für die Stelle beworben, um ihre Kinder und ihren behinderten Ehemann ernähren zu können. Der Arbeitsplatz war über das Amt für die Einstellung von Angestellten des öffentlichen Dienstes ausgeschrieben und zugeteilt worden.

Gemäß zahlreichen Berichten ihrer Kollegen und Vorgesetzten erfüllte sie die ihr übertragenen Aufgaben ausgezeichnet. Es gab keinerlei Klagen, Abmahnungen, Dienstvergehen oder gar Diebstähle in Verbindung mit der Tätigkeit der Reinigungskraft.

Trotzdem hat die Frau nach Ansicht des Berufungsgerichts in Volos dem griechischen Staat erheblichen Schaden zugefügt und damit gegen die Bestimmungen des Gesetzes 1608/1950 (siehe Ende des Beitrags) verstoßen. Das in der Bürgerkriegszeit erlassene Gesetz sah früher sogar die Todesstrafe für derartige Vergehen vor.

Der Vorwurf gegen die Frau ist offenbar nach Ansicht der Richter so ungeheuerlich, dass die Öffentlichkeit mit einer sofortigen Inhaftierung der Frau vor deren Tun beschützt werden muss. Denn, die nach Ansicht der Richter offenbar hochrangige öffentliche Bedienstete hat "ihren Studienabschluss" gefälscht.

Was im Zusammenhang mit den Berufsaufgaben verrückt klingt, wird noch verrückter, wenn das fragliche "Diplom" in Betracht gezogen wird. Es handelt sich um das Zeugnis des Abschlusses der sechsjährigen Grundschule. Dieses stellte zur Zeit der Schulausbildung der Verurteilten den Mindestschulabschluss, der für alle vorgeschrieben war, dar.

Die 53-jährige hat jedoch in ihrem Leben lediglich die fünfte Klasse der Grundschule mit Erfolg abgeschlossen. Die sechste Klasse hatte sie nie besucht. Als sie sich für die Arbeitsstelle bewarb, musste sie den Mindestschulabschluss als Grundvoraussetzung vorweisen. In ihrer Not, die Familie ernähren zu müssen, fälschte sie kurzerhand die Angabe der Klasse 5 auf ihrem letzten Schulzeugnis in Klasse 6.

Niemand wurde so hoch bestraft wie die Reinigungskraft

Das Ganze flog erst auf, als der griechische öffentliche Dienst nach gefälschten Studientiteln und Abiturzeugnissen durchsucht wurde. Im Zusammenhang mit dieser Suche wurden zahlreiche Fälscher auch auf höheren Verwaltungsposten enttarnt, niemand jedoch wurde so hoch bestraft wie die Reinigungskraft. Es gibt sogar namhafte Journalisten, die ohne das für ihren Beruf vorgeschriebene Abiturzeugnis im öffentlichen Dienst dienten und die strafrechtlich unbehelligt blieben.

Die Fälschung des Zeugnisses an sich ist mittlerweile verjährt. Nach Ansicht der Richter hat die Frau jedoch zu Unrecht Geld vom griechischen Staat bezogen, weil der Arbeitsvertrag wegen der Fälschung des "Studientitels" gegenstandslos ist. Sie muss daher die erhaltenen Lohnzahlungen ab 1996 bis zu ihrem Aufliegen mehr als 18 Jahre später samt der anfallenden Zinsen zurückerstatten.

Weil die fragliche Summe im sechsstelligen Bereich liegt, nutzten die Richter einen der höheren Strafrahmen aus. Sie hätten gemäß des Gesetzes 1608/1950 sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen können. Die Todesstrafe ist in Hellas abgeschafft.

Es gibt mindestens einen weiteren, ähnlich gelagerten Fall. Ein Krankenwagenfahrer bekam erstinstanzlich fünfzehn Jahre Haft aufgebrummt, weil er zwar die notwendige Fahrerlaubnis, nicht aber den ursprünglich verlangten Gymnasialabschluss vorweisen konnte.

Mildernde Umstände?

Die Richter sahen bei der Tat der Frau keinerlei mildernde Umstände. Sie ist eines von acht Kindern einer armen Familie. Die Frau, die in der Zwischenzeit in Abendschulen ihre Schulausbildung weiterführte, wuchs im Waisenhaus auf und hatte nach der 5. Grundschulklasse zunächst keine Möglichkeit, ihre Ausbildung fortzusetzen. Zum Zeitpunkt ihrer Tat befand sie sich, damals neunundzwanzigjährig mit ihren beiden Kindern und ihrem aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähigen Mann in einer realen Notlage.

Der Frau wurde die lange Zeit, die bis zum Aufdecken ihrer Fälschung verging, zum Verhängnis. Dadurch wurden die vom Gericht als betrügerisch erschlichene Gehaltszahlungen zu einer relativ hohen Summe und zusätzlich dazu bestimmt Gesetz 1608/1950, dass eine derartige Straftat besonders schwer wiegt, wenn sie über einen langen Zeitraum begangen wird.

Mit den realen Anforderungen für die Tätigkeit, welche die Verurteilte nachweislich ohne Tadel erfüllte, beschäftigte sich das Gericht nicht. Es ist auch nicht bekannt, ob die Verurteilte durch ihren Betrug hinsichtlich des Grundschulzeugnisses, eine Mitbewerberin nachweislich schädigte. Ihre Kolleginnen und Kollegen haben sich landesweit mit der Verurteilten solidarisiert.