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Broadway Debut von Tarell McCraney
"Eine vergiftete Form von Männlichkeit"

Für das Drehbuch hinter "Moonlight" gewann Tarell McCraney den Oscar. Auch in seinem Broadway-Debut widmet sich McCraney jetzt wieder den Themen Isolation und Homosexualität: In "Choirboy" geht es um einen Jungen im Knabenchor, der von seinen Mitschülern gemobbt wird.

Von Andreas Robertz | 22.01.2019
    Tarell Alvin McCraney ist einer der einflussreichsten neuen Autoren in den USA. Sein Stück "Choirboy" hat nun Premiere am Broadway.
    Tarell McCraney ist einer der einflussreichsten neuen Autoren in den USA. (imago/PEN America New York USA/Beowulf Sheehan)
    Charles Richard Drew war ein afroamerikanischer Chirurg und Wissenschaftler, der im zweiten Weltkrieg das Verfahren der Bluttransfusion revolutionierte und mit der Einführung von Blutbanken Tausenden von britischen und amerikanischen Soldaten das Leben rettete. Die Frage, was man mit seinem Blut weitergibt - oder übertragen: was man an die nächste Generation weitergibt - steht im Zentrum von "Choirboy". Ein Stück über eine Gruppe von Schülern der "Charles R. Drew Prepschool for Boys", einer schwarzen Eliteschule mit berühmtem Gospelchor, benannt nach dem Mediziner.
    Der Schüler Pharis ist ein begnadeter Sänger und gerade erst zum Chorführer des Schulchors gewählt worden. Aber weil er sich oft "unmännlich" verhält – er liebt es, wild zu gestikulieren, laut herumzukichern und oft kann er vor Aufregung nicht still sitzenbleiben – wird er von einigen seiner Mitschülern drangsaliert und als schwul gemobbt. Besonders Bobby, der Neffe des Rektors, hat es auf ihn abgesehen. Als Pharis Bobby wegen seiner dummen Sprüche aus dem Chor wirft, muss er sich vor dem Rektor rechtfertigen. Die Schüler sind gezwungen, Stellung zu beziehen.
    Werte für die nächste Generation
    In "Choirboy" folgt Dramatiker Tarell McCraney dem Muster eines klassischen Problemstücks, und doch ist es so viel mehr. In einer Podiumsdiskussion nach der Vorstellung sagt der Autor:
    "'Choirboy' ist inspiriert durch eine Geschichte, in der auf einer überwiegend schwarzen Schule ein Schüler einen anderen verprügelte, weil er dachte, der sei schwul. Als ich das hörte, wollte ich darüber schreiben, was wir an die jungen Männer in unseren Gemeinden weitergeben: Traditionen, Ideen, aber auch eine vergiftete Form von Männlichkeit."
    Einsamkeit scheint eine Folge dieser vergifteten Männlichkeit zu sein. In einer von allen Schülern parallel gespielten Telefonszene – Handys sind in der Schule verboten – wird dieses Motiv überdeutlich: Disziplin und Abhärtung sind die Antwort auf Gefühle der Isolation und Sehnsucht. In der folgenden Szene singen die Schüler in den Duschräumen eine herzzerreißende Version von "Sometimes I feel like a Motherless Child" – einem Gospel, dessen Wurzeln in die Sklavenzeit reichen.
    Musik als Sprache der Gefühle
    Die Schönheit der Musik und der Schmerz, der sie hervorbringt: Ein Thema, das Tarell McCraney immer wieder in seinen Arbeiten formuliert. Dabei kann die Schönheit eines Moments im Stück ganz plötzlich entstehen, wenn etwa Zimmergenosse AJ den völlig überdrehten Pharis in seinem Bett übernachten lässt, damit der Schlaf findet: Ein wundervoll zärtlicher Moment von Nähe zwischen Gleichaltrigen, die nie gelernt haben, körperliche Nähe zueinander zuzulassen.
    Regisseur Trip Cullman hat mit einem herausragenden Ensemble junger Männer – für viele ist die Inszenierung ihr Broadway Debüt - und höchst dynamisch die konfliktreichen Szenen immer wieder mit dem verbindenden Element der Musik zusammengebracht. Die A-Capella-Stücke des Abends gehören zum Spektakulärsten, was man zurzeit am Broadway hören und sehen kann.
    Opfer werden verantwortlich gemacht
    In "Choirboy" ist Tarell McCraney seinen Themen Homosexualität und Isolation treu geblieben. Auch in dem preisgekrönten Film "Moonlight" ging es um die Tiefe unausgelebter Gefühle. Doch das Stück spricht eine sehr viel persönlichere Sprache als der Film, vielleicht auch, weil McCraney selbst als hochbegabter Schüler immer wieder wegen seiner Homosexualität gemobbt wurde.
    Denn eines ist in der Diskussion um die schwule Gleichberechtigung nicht anders als in der #blacklivesmatter oder #metoo Bewegung: Statt Täter zu bestrafen, werden Opfer verantwortlich gemacht. Am Beispiel Pharis kann man sehen, wie das Selbstbewusstsein des jungen Mannes dadurch langsam zerstört wird: Eine brutale Dynamik, die man überall dort finden kann, wo eine Gesellschaft die giftigen Nebenprodukte ihrer kulturellen Selbstdefinition nicht bloßstellen und korrigieren will.