In Tschetschenien hat eine neue Welle der Verfolgung Homosexueller begonnen

Schwule und Lesben in der russischen Nordkaukasus-Republik sehen sich einer Kampagne der Sicherheitskräfte gegenüber. Mehrere Dutzend Festnahmen und sogar Tote werden gemeldet. Vieles spielt sich im Dunkel der Rechtlosigkeit ab.

Markus Ackeret, Moskau
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Der autoritäre Herrscher der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow (links), hat der Entstehung eines für Homosexuelle äusserst feindseligen Klimas Vorschub geleistet. (Bild: Said Tsarnayev / Reuters)

Der autoritäre Herrscher der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow (links), hat der Entstehung eines für Homosexuelle äusserst feindseligen Klimas Vorschub geleistet. (Bild: Said Tsarnayev / Reuters)

Aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus gibt es eine Häufung neuer Berichte über die Verfolgung Homosexueller. Zu Wochenbeginn machte die Menschenrechtsorganisation Russisches LGBT-Netzwerk, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender in Russland einsetzt, darauf aufmerksam, dass seit Ende vergangenen Jahres der Druck auf Frauen und Männer, die, wie es auf Russisch heisst, einer «nichttraditionellen sexuellen Orientierung» verdächtigt werden, stark zugenommen habe.

Die genaue Zahl der Betroffenen sei nicht zu ermitteln. Aber laut dem Leiter der Organisation, Igor Kotschetkow, wurden mindestens vierzig Frauen und Männer abgeführt. Mindestens zwei Personen seien den Folgen von Folter erlegen.

Ähnliche Muster

Die Zeitung «Nowaja Gaseta» und das Onlineportal «Medusa» bestätigten in eigenen Recherchen die neue Kampagne gegen sexuelle Minderheiten in der vom Günstling Präsident Putins, Ramsan Kadyrow, selbstherrlich geführten Region. Recherchen sind schwierig und zeitaufwendig. In der Mitteilung erwähnen Kotschetkow und auch die zitierten Medien nicht nur die physische Bedrohung bis zur Inkaufnahme des Todes der Festgehaltenen. Laut Kotschetkow versuchten die Sicherheitskräfte auch, die Frauen und Männer daran zu hindern, aus der Teilrepublik auszureisen oder vor Gericht zu ziehen.

Die Kampagne, deren Muster und auch der Ort der Inhaftierung, eine Anlage in der Stadt Argun, erinnern an eine erste Welle der brutalen Verfolgung tschetschenischer Homosexueller vor zwei Jahren. Nach Einschätzung von Menschenrechtsaktivisten gingen die Einschüchterungen, Festnahmen und Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weiter, auch nachdem im Frühsommer 2017 das Ermittlungskomitee von höchster Stelle in Moskau aus wegen starken internationalen Drucks eine Untersuchung der schwerwiegenden Vorwürfe angeordnet hatte. Diese brachte allerdings nie konkrete Resultate. Das LGBT-Netzwerk half damals rund 150 Personen, Tschetschenien zu verlassen; 130 von ihnen reisten ganz aus Russland aus.

Soziale Ächtung

Wie 2017 stützen sich auch jetzt die Sicherheitskräfte offenbar auf Daten, die sie aus einschlägigen Seiten in sozialen Netzwerken beziehen. Unter Vorwänden, etwa der Einnahme von Drogen, werden Frauen und Männer, die der «nichttraditionellen sexuellen Orientierung» verdächtigt werden, von der Polizei festgenommen. Die Auswertung von deren Mobiltelefonen führt die Polizisten dann zu möglichen Bekanntschaften. Aus der Kampagne von 2017 sind erschütternde Erfahrungsberichte bekannt, die das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die Folter – die den Tod in Kauf nimmt –, die Erniedrigung und soziale Ächtung detailliert beschreiben.

Kaum ein Homosexueller lebte auch vor 2017 seine sexuelle Orientierung in Tschetschenien offen aus – im Gegenteil, wohl die meisten der Betroffenen führen ein nach aussen traditionell anmutendes Leben, sind verheiratete Familienväter und lassen sich von ihren eigentlichen Lebensträumen selbst im engsten Familienkreis nichts anmerken.

Damit, dass Homosexualität in der tschetschenischen Gesellschaft geächtet ist und Verwandte offen sagen, sie würden Angehörige eher umbringen, als ihre Familie der öffentlichen Schmach auszusetzen, spielen die Polizei und auch Kadyrow, der klarmachte, dass Homosexuelle in seiner Republik nichts zu suchen hätten. Hilfe für die Opfer ist äusserst schwierig bis fast unmöglich geworden, da in Tschetschenien bekannte Menschenrechtler ermordet und deren Menschenrechtsorganisationen vergrämt und vertrieben wurden.

Einem der letzten Standfesten, Ojub Titijew von Memorial, wird wegen angeblichen Drogenbesitzes gerade der Prozess gemacht. Wie in fast jeder Hinsicht drückt Moskau auch da gegenüber Kadyrow beide Augen zu.