Mittelmeer:Ankara reizt Athen

Bundesregierung warnt Türkei vor weiteren seismischen Erkundungen im östlichen Mittelmeer.

Von Tomas Avenarius und Tobias Zick, Istanbul/München

Die Phase der vordergründigen Entspannung im östlichen Mittelmeer ist schon wieder vorbei. Die türkische Regierung hat erneut das auf seismische Messungen spezialisierte Forschungsschiff Oruç Reis losgeschickt; türkischen Medien zufolge soll das Schiff von zwei Fregatten begleitet bis zum 22. Oktober in Gewässern südlich der griechischen Insel Kastellorizo unterwegs sein, die etwa zwei Kilometer vor der türkischen Küste liegt. In den von Griechenland beanspruchten Gewässern werden große Erdgasvorkommen vermutet. Griechenlands Außenminister Nikos Dendias nannte Ankaras Schritt am Montag eine "schwere Eskalation und eine direkte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region". Regierungssprecher Stelios Petsas fügte hinzu, die Türkei habe damit ihren "Mangel an Glaubwürdigkeit" bewiesen.

Eigentlich hatten sich Ankara und Athen, auch auf Vermittlung Berlins, kürzlich darauf geeinigt, ihre 2016 abgebrochenen Sondierungsgespräche über ungeklärte Fragen der gemeinsamen See- und Luftraumgrenzen wieder aufzunehmen. Vor gut zwei Wochen hatte sich die Lage in der Region einigermaßen entspannt, nachdem Ankara die Oruç Reis in ihren Heimathafen Antalya zurückgerufen hatte. Die türkische Regierung stellte dies als Signal der Bereitschaft zum Dialog dar. Unklar blieb am Montag, weshalb der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan das Forschungsschiff ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erneut losschickt. Ankara unterwirft die Beziehungen zu Griechenland, zu Zypern und zur Europäischen Union damit einer neuen Belastungsprobe - und auch jene zu Deutschland, das sich in den griechisch-türkischen Konflikt zuletzt verstärkt als Vermittler eingeschaltet hatte.

Die Bundesregierung warnte am Montag Ankara vor neuen seismischen Erkundungen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, "wäre das sehr bedauerlich und aus unserer Sicht auch ein unkluger Schritt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Später wurde bekannt, dass Bundesaußenminister Heiko Maas am Dienstag nach Zypern und Griechenland reisen wird, um dort über den Streit der beiden EU-Staaten mit der Türkei über Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer zu sprechen. Ein anschließender Türkei-Besuch, über den türkische und griechische Medien bereits berichtet hatten, findet dagegen nicht statt. Auf die Frage, warum Maas nach Athen und Nikosia, aber nicht nach Ankara reise, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Montag nur: "Der Minister hat sich entschieden, in diese beiden Städte zu reisen, und das tut er."

Die erneute Reise der Oruç Reis passt zur seit Langem erprobten Taktik Ankaras, immer neue Krisen zu schaffen, offenbar in der Hoffnung, damit die eigene Verhandlungsposition stärken zu können. Bei einem EU-Gipfel Anfang Oktober hatten die Mitgliedsstaaten Sanktionen angekündigt, für den Fall, dass die Türkei ihre provokanten Aktivitäten im östlichen Mittelmeer fortsetzen sollte. Daraufhin hat Ankara die Tonart wieder verschärft. Offensichtlich in Absprache mit der türkischen Führung hat Nordzyperns Regierung einen seit Jahrzehnten gesperrten Strand in der Geisterstadt Varosha eröffnet. Auch dies belastet nun die Beziehungen zur Republik Zypern, zu Griechenland und zur EU. Der UN-Sicherheitsrat hat Varhoshas Öffnung ebenfalls kritisiert, da dies den Verhandlungsstatus der seit 1974 geteilten Insel verändere.

In türkischen sozialen Medien wurde spekuliert, dass Erdoğan mit der Entsendung der Oruç Reis vom geplanten Test des russischen Luftabwehrsystems S-400 ablenken will. Der Nato-Staat Türkei hat das Raketensystem gegen den Willen der westlichen Allianz gekauft, es aber bisher nicht aktiviert - in den USA werden bereits Sanktionen gefordert. Für die Tests, die für die kommenden Tage geplant sind und für die das türkische Militär die S-400 bereits nach Sinop am Schwarzen Meer verlegt hat, müsste die Waffe aktiviert werden.

Die türkische Opposition sieht in Erdoğans aggressiver Außenpolitik vor allem den Versuch, von der angespannten Wirtschaftslage und den innenpolitischen Problemen des Landes abzulenken. Metin Gürcan, Abgeordneter der Deva-Partei, erklärte: "Wir sagen Nein zu einer Politik, die sich aus Krieg, Kampf und Streit speist, allein um Erdoğans persönliche Ziele zu erreichen." Er warnte: "Wenn die Außenpolitik zur Innenpolitik gemacht wird, zahlt die Türkei den Preis."

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