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Gedächtniskraft von Muskelzellen Schnell wieder zur Höchstform

Früher waren Sie so schön stark? Dann bringt Sport die Kraft auch schnell zurück - denn Muskeln erinnern sich an frühere Leistung. Von diesem Effekt profitieren Wiedereinsteiger und leider auch Dopingsünder.

Der Stress im Job füttert den Schweinehund, die Grippe erfordert Bettruhe, der Bänderriss durchkreuzt den Trainingsplan. Immer wieder zwingt uns das Leben eine Sportpause auf. Und während wir freiwillig oder notgedrungen die Füße hochlegen, schauen wir den mühsam aufgebauten Muskeln beim Schwinden zu. Der ganze Fleiß und Schweiß umsonst? Von wegen.

Tatsächlich beginnt der Körper nach rund zwei Wochen, ungenutzte Muskelmasse abzubauen. Doch auch wenn uns das Spiegelbild nach längerer Bewegungsabstinenz erschreckt, die Forschung hat Trost parat: Studien legen nahe, dass sich unsere Muskeln an ihre Leistung erinnern und nach einer Pause schnell wieder zu Höchstform auflaufen können.

Lange wurde dieser Effekt dem motorischen Lernen zugeschrieben. Weil Bewegungsabläufe und Techniken im Gehirn verankert sind, so die bisherige These, trainieren Wiedereinsteiger effektiver und erfolgreicher als Neulinge. Nun aber mehren sich die Hinweise darauf, dass für die Erinnerungsfähigkeit auch zelluläre und sogenannte epigenetische Mechanismen verantwortlich sind. Dabei handelt es sich um molekulare Faktoren, die zwar die Aktivität bestimmter Gene regulieren, nicht aber das Erbgut selbst verändern.

Wie funktioniert der Memory-Effekt?

Wissenschaftler der britischen Keele University etwa ließen zuvor untrainierte Teilnehmer sieben Wochen lang ein intensives Sportprogramm absolvieren. Im Anschluss legten die Probanden eine siebenwöchige Pause ein, um das Training dann erneut für sieben Wochen aufzunehmen. In jeder dieser Phasen wurden Röntgenaufnahmen gemacht, Muskelstärken gemessen und Gewebeproben entnommen. Der wenig überraschende Befund: Die Muskelmasse nahm in der ersten Trainingsrunde zu und in der darauffolgenden Pause wieder deutlich ab.

Erstaunlich waren allerdings die Ergebnisse der Phase drei, in der die Probanden erneut sieben Wochen lang trainierten: In diesem Zyklus legten die Teilnehmer doppelt so viel Masse und Kraft zu wie beim ersten. Die Forscher schlussfolgern in ihrem Artikel in der renommierten Fachzeitschrift "Nature",  dass Muskeln auf frühere Erfahrungen aufbauen können.

Um der Ursache dieses "Muscle memory effects" auf die Spur zu kommen, analysierten die Briten über 850.000 Bindungsstellen an der DNA der Sportler. Sie entdeckten, dass die Muskeln während des Trainings von epigenetischen Anlagerungen befreit wurden. "Wir konnten zeigen, dass die Gene offenbar auch dann frei von den Markern bleiben, wenn wir Muskelmasse verlieren", erklärt Adam Sharples, einer der Studienautoren. "Nehmen wir das Training wieder auf, sorgt dieses frühere 'Entmarkern' dafür, dass die Muskeln schneller und stärker anwachsen."

"Das ist eine wichtige Studie", sagt Sportbiologe Henning Wackerhage von der TU München. "Sie liefert nicht nur einen indirekten, sondern auch einen direkten, molekularen Nachweis für ein Muskelgedächtnis."

Mehr Zellkerne, mehr Kraft

Einen anderen Erklärungsansatz bietet eine Untersuchung norwegischer Forscher : Sie verortet das Gedächtnis in den Zellkernen der Muskeln. In ihrer Studie behandelten die Wissenschaftler von der Universität Oslo weibliche Mäuse 14 Tage lang mit Steroiden, so wie es beim Doping mitunter eingesetzt wird. In der Folge nahmen sowohl die Muskelmasse als auch die Anzahl der Muskelzellkerne deutlich zu - denn jede Muskelfaser besitzt gleich mehrere Zellkerne. Treiben wir Sport, produzieren die Zellen zusätzliche Kerne, damit die Muskeln weiter wachsen können.

Während einer dreiwöchigen Doping-Pause ging die Muskelmasse der Mäuse fast auf das Niveau einer Vergleichsgruppe ohne Doping zurück - die Zahl der Zellkerne aber blieb gleich hoch. Als die Muskeln anschließend einer Belastung ausgesetzt wurden, wuchsen sie um 30 Prozent, während sich die der Kontrollgruppe nur unwesentlich veränderten.

"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich Muskelzellen an ihren einstigen Ruhm erinnern", sagt Studienleiter und Zellbiologe Kristian Gundersen. Sollte der Befund auch auf Menschen zutreffen, hätte das Konsequenzen für das Training - und für Doping-Sünder.

Denn das Wissen um ein Muskelgedächtnis stellt den bisherigen Umgang mit Dopingfällen zumindest infrage: "Wenn ein Spitzensportler leistungssteigernde Mittel einnimmt, erinnern sich seine Muskeln dauerhaft an dieses Wachstum", so Robert Seaborne von der Keele University. "Es könnte deshalb sein, dass kurze Sperren als Bestrafung nicht ausreichen. Selbst wenn ein Athlet nicht mehr dopt, ist er vielleicht langfristig gegenüber seinen Konkurrenten im Vorteil."

Auf Hormone und Ernährung achten

Für alle ehrlichen Sportler und Hobbyathleten ist es aber erstmal eine gute Nachricht: Haben wir schon einmal fleißig die Bauchmuskeln strapaziert und die Waden getrimmt, kommen wir nach einer Sportpause deutlich schneller in Form als der untrainierte Kollege nebenan. Die schlechte Nachricht: Das bedeutet leider nicht, dass wir am Tag eins unseres Comebacks die gleiche Leistung erwarten dürfen wie zu unseren Hochzeiten.

Trainer raten, mit rund der Hälfte der früheren Trainingsintensität zu starten - und nicht alleine auf das Muskelgedächtnis zu setzen. "Denn auch andere Faktoren beeinflussen die Geschwindigkeit des Muskelwachstums, etwa Hormone oder die Ernährung", sagt Henning Wackerhage. Wer Bizeps, Trizeps und Co. auf die Sprünge helfen will, sollte deshalb auch auf eine ausreichende Versorgung mit Proteinen und regelmäßige Ruhephasen achten.