Taiwans Regierungspartei fährt eine schwere Wahlschlappe ein

Taiwans Regierungspartei büsst nicht nur bei Lokal- und Regionalwahlen Macht ein und muss viele Ämter abgeben, auch bei Sachfragen findet sie bei der Bevölkerung wenig Rückhalt. Präsidentin Tsai Ing-wen tritt als Parteichefin zurück.

Patrick Zoll
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Anhänger der konservativen Kuomintang (KMT) feiern in der südlichen Hafenstadt Kaohsiung den Sieg ihres Kandidaten. Die KMT hat in ganz Taiwan in den Lokal- und Regionalwahlen stark zugelegt. (Bild: Tyrone Siu / Reuters)

Anhänger der konservativen Kuomintang (KMT) feiern in der südlichen Hafenstadt Kaohsiung den Sieg ihres Kandidaten. Die KMT hat in ganz Taiwan in den Lokal- und Regionalwahlen stark zugelegt. (Bild: Tyrone Siu / Reuters)

Die sogenannten «9-in-1-Wahlen», bei denen am Samstag in Taiwan auf neun verschiedenen lokalen und regionalen Ebenen 11 000 Ämter besetzt wurden, haben mit einer schweren Niederlage für die regierende Demokratisch-Progressive Partei (DPP) geendet. Da das nationale Parlament und das Präsidentenamt aber erst in zwei Jahren gewählt werden, ändert sich an den Kräfteverhältnissen auf nationaler Ebene vorläufig nichts.

Doch die «9-in-1-Wahlen» gelten als Stimmungsbarometer und werden daher auch als taiwanische Midterms bezeichnet. Vor vier Jahren kündigten sie den nationalen Umschwung zur DPP an, der sich in den nationalen Wahlen 2016 dann auch bewahrheitete.

Harter Kampf um die Hauptstadt

Präsidentin Tsai Ing-wen gestand die Niederlage ein und legte ihr Amt als Parteichefin der DPP nieder. Damit übernahm sie die Verantwortung für die Wahlschlappe. Nach provisorischen Ergebnissen der Zentralen Wahlkommission hat die oppositionelle Kuomintang (KMT) landesweit eine absolute Mehrheit der Stimmen erhalten. Von den sechs grössten Städten regiert die DPP nur noch zwei. Das starke Abschneiden der KMT erstaunt, denn nach den Wahlen von 2016 lag die machtverwöhnte Partei zerstört am Boden und stand führungslos da.

Da war die Welt von Präsidentin Tsai Ing-wen noch in Ordnung. Am Samstagmorgen wartet sie vor einem Wahllokal in Taipeh, um ihre Stimme abzugeben. (Bild: David Chang / EPA)

Da war die Welt von Präsidentin Tsai Ing-wen noch in Ordnung. Am Samstagmorgen wartet sie vor einem Wahllokal in Taipeh, um ihre Stimme abzugeben. (Bild: David Chang / EPA)

Beinahe gelang es der KMT, auch Taipeh zu erobern. Das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt wird als Sprungbrett zur nationalen Präsidentschaft angesehen. Amtsinhaber Ko Wen-je gewann mit 0,23 Prozentpunkten Vorsprung auf den Kandidaten der KMT – das waren nur gerade gut 3000 Stimmen. Vor vier Jahren hatte die DPP den parteilosen Ko noch unterstützt, diesmal trat sie mit einem eigenen Kandidaten an. Diese Strategie führte beinahe zu einem Eigentor, denn so wurden die progressiven Stimmen gespaltet. Das spielte der KMT in die Hände.

Der Kampf in Taipeh ist allerdings noch nicht zu Ende. Die KMT hat angekündigt, eine Klage gegen die Wahlkommission einzureichen. Denn einige Wahllokale blieben mehrere Stunden über den offiziellen Wahlschluss hinaus geöffnet, weil die Warteschlangen so lang waren. Dennoch begann die Wahlkommission bereits Zwischenresultate zu veröffentlichen, was das Verhalten der zuletzt Abstimmenden beeinflusst haben könnte.

Besonders schmerzen muss die DPP den Verlust der südlichen Hafenstadt Kaohsiung, die sie zwanzig Jahre lang regiert hatte. Der Süden Taiwans ist traditionell die Hochburg der DPP.

Enttäuschung für Homosexuelle

Parallel zu den Wahlen befanden die Stimmbürger über zehn Referenden. Das seit Anfang Jahr gültige neue Referendumsgesetz, das die Hürden für Volksbegehren senkte, führte zu dieser Welle von Vorlagen. Auch bei Sachfragen zeigte sich die Bevölkerung deutlich konservativer als die nationale Regierung. Zusammengefasst sind die Resultate eine klare Absage an die Politik von Tsai Ing-wen.

Gleich fünf Vorlagen betrafen die Ehe für Homosexuelle. Ein Gericht hatte vor einem Jahr beschlossen, dass es gegen die Bestimmung der Gleichberechtigung in der Verfassung verstösst, wenn Homosexuelle nicht heiraten können. Doch die Ausarbeitung dafür liegt beim Parlament.

Die gleichgeschlechtliche Ehe hat in mehreren Referenden einen deutlichen Rückschlag erlitten: Ein Vertreter der Rechte für Homosexuelle gibt am Samstag in Taipeh seine Stimme ab. (Bild: Ann Wang / Reuters)

Die gleichgeschlechtliche Ehe hat in mehreren Referenden einen deutlichen Rückschlag erlitten: Ein Vertreter der Rechte für Homosexuelle gibt am Samstag in Taipeh seine Stimme ab. (Bild: Ann Wang / Reuters)

Die drei Vorlagen von konservativen Kreisen fanden alle eine Mehrheit: So soll die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert und die neu zu schaffende Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare nicht im Zivilgesetzbuch festgeschrieben werden. Das bedeutet, dass für die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ein separates Gesetzt geschaffen werden muss. Vertreter der Homosexuellen hatten sich dagegen gewehrt, weil sie dies als Zweiklassensystem und damit als Diskriminierung ansehen. Ihre progressiven Vorlagen blieben hingegen chancenlos.

Das Resultat war insofern überraschend, als in Umfragen in den letzten Jahren immer wieder eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgewiesen wurde. Doch Umfragen sind in Taiwan notorisch unzuverlässig. Und das Volk denkt offenbar deutlich konservativer, als es die Vertreter der Homosexuellen gehofft hatten.

Ausstieg vom Atomausstieg

Direkt umgesetzt wird ein Referendum, das den Ausstieg vom Atomausstieg verlangte. Die DPP hatte Anfang 2017 beschlossen, bis 2025 schrittweise die drei Atomkraftwerke Taiwans abzuschalten. Taiwan ist stark erdbebengefährdet und nach der dreifachen Kernschmelze im japanischen AKW Fukushima Daiichi gab es in Taiwan starken Widerstand gegen Atomkraft. Im Wahlkampf 2016 war der Atomausstieg eines der Versprechen der DPP. Da sich das nun angenommene Referendum auf ein bestehendes Gesetz bezogen hat, ist dieses nun ungültig.

Kein neuer Name an Olympischen Spielen

Für viel Wirbel im Vorfeld sorgte das Referendum, das verlangte, dass Taiwan künftig an Olympischen Spielen als «Taiwan» und nicht wie bisher als «Chinesisch Taipeh» auftreten soll. Eine relativ knappe Mehrheit der Wählerinnen und Wähler sprach sich dagegen aus, womit es gescheitert ist.

Prominente Sportler hatten sich gegen die Vorlage gewehrt, weil sie fürchteten, dass sie von Olympischen Spielen ausgeschlossen werden könnten. Obwohl der Begriff «Chinese Taipeh» in Taiwan vor allem bei der jüngeren Bevölkerung äusserst unbeliebt ist, war die Mehrheit der Abstimmenden offenbar bereit, diese Kröte zu schlucken, um überhaupt an Olympischen Spielen vertreten zu sein.

Transparenz ist wichtig: Ein Wahlhelfer hält bei der Zählung in Taipeh einen Wahlzettel in die Höhe, damit alle ihn sehen können. (Bild: David Chang / EPA)

Transparenz ist wichtig: Ein Wahlhelfer hält bei der Zählung in Taipeh einen Wahlzettel in die Höhe, damit alle ihn sehen können. (Bild: David Chang / EPA)

Ein Sieg für Peking

Dass dieses Referendum nicht zustande kam, dürfte nicht zuletzt Peking freuen. Die Volksrepublik hatte vor Konsequenzen gewarnt, wenn Taiwan versuchen würde, den olympischen Namenskompromiss von 1981 zu ändern. Peking betrachtet Taiwan als Teil seines Territoriums und missbilligt alles, was auf eine Eigenständigkeit oder Unabhängigkeit der Insel hindeutet.

Ein Sprecher des chinesischen Taiwan Affairs Office sagte am Sonntag in Peking, dass das taiwanische Volk dagegen sei, die Interessen der taiwanischen Athleten aufs Spiel zu setzen. Jegliche Versuche einer taiwanischen Unabhängigkeit seien zum Scheitern verurteilt, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

Auch das starke Abschneiden der KMT ist ganz im Sinne der kommunistischen Machthaber auf dem Festland. Denn die KMT hatte unter Präsident Ma Ying-jeou zwischen 2008 und 2016 eine Politik der Annäherung an China verfolgt, die unter Präsidentin Tsai zum Erliegen gekommen ist. Peking hat in den vergangene zwei Jahren massiv Druck auf die Regierung Tsai ausgeübt, etwa indem es westliche Unternehmen dazu gezwungen hat, «Taiwan, China» als Bezeichnung für die Insel zu verwenden.

Ob dieser Druck das Wahlresultat beeinflusst hat, ist unklar. Ebenso die Frage, ob chinesische Einflussversuche über soziale Netzwerke Früchte getragen haben.

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